Campuls - Konstanzer Studi-Magazin WiSe19/20 #2
Wintersemester 2019/20 Ausgabe 02 Radio Free Europe Ein Kampf gegen die Zensur HSG Arbeiterkind Von den Ersten in ihren Familien, die den Sprung an die Hochschule wagen Der "Mädelstreff" in Konstanz Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
Wintersemester 2019/20
Ausgabe 02
Radio Free Europe
Ein Kampf gegen die Zensur
HSG Arbeiterkind
Von den Ersten in ihren Familien, die den Sprung an die Hochschule wagen
Der "Mädelstreff" in Konstanz
Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
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DAS KONSTANZER STUDI-MAGAZIN VON SEEZEIT
campuls
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WISE 19/20 AUSGABE 02
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Radio Free Europe
Ein Kampf gegen die Zensur
HSG Arbeiterkind
Von den Ersten in ihren Familien, die den Sprung an die Hochschule wagen
Der „Mädelstreff“ in Konstanz
Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
Von Studierenden für alle: Einpacken, liebhaben, weitersagen
Wieder mit Kreuzworträsel Seite 24
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02
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editorial
Liebe alle,
wie viel größer als ich es bin, kann oder möchte ich werden?
Ich bekomme als tröstende Antwort auf Selbstzweifel,
Überforderung oder Sorgen sehr häufig die mitfühlende Reaktion:
„Jetzt kannst du über dich hinauswachsen!“ In diesen
Situationen habe ich gleichzeitig das Gefühl, winzig klein und
riesengroß zu sein. Ich finde es schwer erkennbar, wo meine
Komfortzone endet, die ich verlassen möchte und ab wo ich
anfange, mich selbst zu verbiegen und von mir zu verlangen,
dass ich alles können und schaffen muss, so unangenehm es
auch ist. Ein bisschen Wachstumsschmerz ist bereichernd,
aber wo ist der Punkt, an dem ich getrost feststellen kann,
dass meine Stärken an anderer Stelle verortet sind und ich
nicht alles können muss.
Die Organisation der Campuls zu übernehmen, war auf
vielen Ebenen eine große Herausforderung für mich. Ob ich
gewachsen bin, weiß ich nicht. Einmal durchgerüttelt wurde
ich aber auf jeden Fall. Bereichernd war die Erfahrung vor
allem deshalb, weil die Campuls gelebte Praxis dessen ist,
dass niemand allein agieren muss, sondern sich Menschen
gegenseitig ergänzen können. Ein Spielfeld zum Ausprobieren,
wo die eigenen Stärken sind und wo eben nicht.
Vor einem Jahr fing gerade langsam die Planung unserer
ersten Ausgabe in der Chefredaktion an. Seitdem ist bei
der Campuls einiges neu und anderes gleichgeblieben. Den
Semesterplan spulen wir immer noch routinemäßig ab, reichen
unsere Texte eine Stunde nach Redaktionsschluss ein
und versuchen, in regelmäßigen Abständen, kleine bis mittelgroße
Katastrophen abzuwehren. Wir haben aber auch wieder
einige neue Gesichter hinter den Campuls-Seiten, unseren
Instagram-Account final aktualisiert und unsere Website
umgestaltet. Wer wirkt im Jahr und im Alltag am Bodensee
mit? Niklas Lemperle berichtet euch in dieser Ausgabe über
das Vereinsleben in Konstanz, unsere neue Redakteurin Bella
Kratzberg hat sich mit Extinction Rebellion getroffen und
Ema Jerkovic bringt euch unsere Studierendenvertretung in
Zahlen etwas näher. Vivien Götz erzählt euch, was das „ICA-
RUS-Projekt“ ist und Charlotte Krause gibt euch Einblicke in
die wichtigen Aufgaben von „ArbeiterKind“.
Wachsen ist viel angenehmer, wenn es Menschen gibt,
die einen ab und an gießen. Mit diesem etwas nassen Gefühl
verabschiede ich mich zum nächsten Semester von der
Campuls und freue mich, Charlotte Krause als neue Chefredakteurin
vorzustellen.
In diesem Sinne wünschen wir euch allen ein frohes neues
Jahr 2020 voller Mut, mitzugestalten, Dinge auszuprobieren
und auch mal Fehler zu machen.
Eure Chefredaktion,
Lea Luttenberger und Nico Talenta
Liebe Studierende,
liebe Konstanzerinnen und Konstanzer,
bald kommen sie wieder, die lieben Grüße zu Weihnachten:
„Und dann noch besinnliche Tage“. Das ist zwar gut
gemeint, doch wir bei Seezeit sind schon wieder in der Jahresabschluss-Rallye.
Vermutlich müssen Sie für Ihr Studium
auch genug Arbeit mit in die besinnlichen Tage nehmen oder
wollen noch Projektarbeiten abschließen. Ich hoffe, Sie machen
das motiviert, weil Sie auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken
können.
Ob das Jahr für Seezeit erfolgreich war, entscheiden
Sie, liebe Studierende. Wir haben versucht, mit den uns zur
Verfügung stehenden Mitteln das Beste für Sie zu organisieren.
„Nebenbei“ hatten wir noch diverse Aktivitäten anlässlich
unseres 50-jährigen Jubiläums. Unser Bestreben war,
möglichst viele Aktionen zu veranstalten, die Ihnen zugutekommen.
Ich hoffe, Sie konnten auch ein bisschen absahnen
bei Osterhasen, Rabattaktionen, Campus-Festival-Tickets,
Froobies, Kuchen, Glühwein oder der Weihnachtspost.
Keine Sorge, wir verballern Ihre Semesterbeiträge nicht
selbstherrlich. Bevor wir in ein neues Wirtschaftsjahr gehen,
müssen wir mit unserem Plan erstmal den kompetenten und
anspruchsvollen Verwaltungsrat überzeugen. In diesem sitzen
übrigens auch drei studentische Mitglieder. Sie vertreten
Ihre Interessen, damit das zur Verfügung stehende Geld
sinnvoll, nachhaltig und wirtschaftlich ausgegeben wird. Ein
Wirtschaftsprüfer dreht dann im Folgejahr jeden Beleg um,
und bestätigt uns im besten Falle, alles ordentlich gemacht
zu haben.
Als sozialer Dienstleister finanzieren wir mit unseren
eigenen Einnahmen, Ihren Semesterbeiträgen und verschiedenen
Zuschüssen die Angebote, von denen Sie profitieren.
Wie das genau funktioniert, können Sie ausführlich in dieser
Ausgabe nachlesen.
Natürlich müssen wir auch mittel- und langfristig planen,
wie jedes Unternehmen. Für die kommenden Jahre versuchen
wir, den Ansprüchen der Nachhaltigkeit noch besser
gerecht zu werden, denn wir sind einer der größten Versorger
rund um den See. Mir persönlich ist es wichtig, mit Ihnen
noch mehr in Kontakt zu kommen, um Ihre Bedürfnisse
umfassender wahrzunehmen. Es wäre schön, wenn Sie dies
ebenso proaktiv angehen und mit uns über die verschiedenen
Kanäle kommunizieren. Nur so können wir helfen, die
Studierendenwelt zu verbessern.
Nun wünsche ich es Ihnen doch: Kommen Sie gut und
erfolgreich über die besinnlichen Tage. Alles Gute für das
kommende Jahr.
Ihr Helmut Baumgartl
Geschäftsführer Seezeit Studierendenwerk Bodensee
redaktion
04
ANNA KÜBLER
Lektorin
NICO TALENTA
Chefredakteur
LEA LUTTENBERGER
Chefredakteurin
NIKLAS LEMPERLE
Redakteur
PIA SAUTTER
Redakteurin
LEONIE THIEL
Redakteurin
RENÉE KAISER
Fotografi n
MAI LINH BUI
Layouterin
MALIN JACHNOW
Fotografi n
LENA LINK
Layouterin
EMA JERKOVIC
Redakteurin
VIVIEN GÖTZ
Redakteurin
HERAUSGEBER
Seezeit
Studierendenwerk
Bodensee
Jochen Mink
ANZEIGEN
Marina Filipczyk
marina.fi lipczyk@ seezeit.com
BELLA KRATZBERG
Redakteurin
CHARLOTTE KRAUSE
Redakteurin
LOLA NERGER
Redakteurin
KONTAKT
Seezeit
Studierendenwerk Bodensee
Universitätsstraße 10
78464 Konstanz
campuls@seezeit.com
www.seezeit.com/campuls
LAYOUT & GRAFIK
Lena Link & Mai Linh Bui
Campuls Online
THEMA DIESER AUSGABE
Standhaftigkeit
@Campuls_Konstanz
SCHRIFT
Prophet Medium
Seezeit
Studierendenwerk
Bodensee
CHEFREDAKTION V.I.S.D.P
Lea Luttenberger
Nico Talenta
impressum
DRUCK
Druckerei DB GmbH
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inhaltsverzeichnis
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EDITORIAL
MONEY_MONEY_MONEY_–_Welche_Rolle_spielt_der
_Studierendenwerksbeitrag?
RADIO_FREE_EUROPE_Kampf_gegen_Zensur
MEINUNG:_Witze_und_ihre_Kosten
EINEM_-ISMUS_AUF_DER_SPUR_–_Alpinismus
STUDIUM_MIT_KIND_–_Diese_Anlaufstellen_gibt_es
NO_SCIENCE,_NO_FUTURE_An_den_Universitäten_wird
das_Geld_knapp
DER_“MÄDELSTREFF“_IN_KONSTANZ
DIE_STATISTIK_Die_Studierendenvertretung_
der_Uni_Konstanz
DIE_BAUMPFLANZAKTION_VON_SEEZEIT
BLICK_IN_DEN_ELFENBEINTURM_Das_Internet_der_Tiere
KONSTANZER_SPORTVEREINE
EXTINCTION_REBELLION_KONSTANZ_Eine_Reportage
KREUZWORTRÄTSEL
HSG_ARBEITERKIND_Von_den_Ersten_in_ihren_Familien,
_die_den_Sprung_an_die_Hochschule_wagen
KOLUMNE
Lea_Luttenberger_Helmut_Baumgartl
Pia_Sautter
Pia_Sautter
Vivien_Götz
Leonie_Thiel
Vivien_Götz
Charlotte_Krause
Lola_Nerger
Ema_Jerkovic
Niklas_Lemperle
Vivien_Götz
Niklas_Lemperle
Bella_Kratzberg
Lea_Luttenberger
Charlotte_Krause
Lea_Luttenberger
KUNTERBUNTES
06
STATISTIK
Die Studierendenvertretung (StuVe) der Uni Konstanz
Etwa 74
220 000
Menschen arbeiten in der StuVe.
Davon sind zwei fest angestellt, die Sekretärin und der Haushaltsbeauftragte, sowie eine
Minijobberin. Die ehrenamtliche Mitarbeit ist jedoch schwerer einzuschätzen. Momentan
belaufen sich gewählte Referierende, Gremienmitglieder und Koordinierende auf
71 Personen ausschließlich der Fachschaften.
Euro hat die StuVe pro Jahr zur Verfügung.
11 286
Das ist der Stand der Studierenden 2018 und genauso viele finanzieren die StuVe. Denn
Geldgeber sind die Studis selbst über den Semesterbeitrag.
4
Referate existieren innerhalb der Stuve. Diese sind Finanzen; Nachhaltigkeit, Gleichstellung
und Soziales; Hochschulpolitik sowie Kultur und Events.
01.01.2005
1 189
an diesem Datum trat das aktuelle Landeshochschulgesetz in Kraft
und seitdem gibt es die StuVe in der Form, in der wir sie heute kennen. Eine Studierendenvertretung
in irgendeiner Form existiert jedoch schon seit der Unigründung 1966.
Studierende haben bei der Wahl im Sommersemester 2019 ihre Stimme abgegeben.
!
Etwa 35
7
63
Fun Fact: An der Uni finden zu einem Zeitpunkt zwei
unterschiedliche Wahlen statt. Deswegen gibt es auch zwei unterschiedliche Urnen.
Die Studierendenvertretung organisiert nur die Wahl ihrer eigenen Gremien. Es werden aber auch
studentische Vertretende in universitäre Gremien gewählt.
Veranstaltungen werden pro Jahr von der StuVe organisiert. Bei weitem
die größte Veranstaltung ist das Campus Festival. Hinzu kommen auch Themenwochen,
Grillfeste, Parties, Vorträge und vieles weitere mehr.
langfristige Projekte verfolgt die StuVe.
Dazu gehören das Campus Festival, das Kulturticket, die Rechtsberatung sowie die
Fahrradwerkstatt. Außerdem werden die Hochschulgruppen Nightline, das Lumière Kino sowie das
Unitheater regelmäßig gefördert. Auch kleinere Projekte von Hochschulgruppen und Studierenden
können ebenfalls finanziell unterstützt werden.
Materialien wurden letztes Semester verliehen. Besonders beliebt
sind Biergarnituren, Waffeleisen und Glühweinkocher.
text_EMA_JERKOVIC_illustration_MAI_LINH_BUI
KUNTERBUNTES
07
Einem -ismus auf der Spur:
ALPINISMUS
Alpinismus – das klingt zuerst nach grünen Tälern
und schneebedeckten Bergspitzen, belegten Broten und
quietschbunten Wanderklamotten. Doch eigentlich umfasst
Alpinismus das komplette Spektrum an Aktivitäten, die in
den Alpen so veranstaltet werden können: vom alltäglichen
Bergwandern über das Ski- und Snowboardfahren bis hin
zum gefährlichen Kletterspaß an steilen Felswänden.
Jahrhundertelang traute sich niemand auf die hohen
und unheimlich wirkenden Alpen. Doch gegen Ende des
Mittelalters wurde der Weg auf die Gebirgskette gewagt und
der Alpinismus entstand. Und wer hat‘s erfunden? Dieses
Mal tatsächlich kein Schweizer, sondern der italienische
Dichter Francesco Petrarca, der 1336 den Mount Ventoux
zum ersten Mal bestieg – und damit allen bewies, dass man
einen solchen Berg wirklich bezwingen kann. Doch bis der
Alpinismus vollkommen aufblühte, sollte es noch ein paar
Jahrhunderte dauern: Erst Mitte des 19. Jahrhunderts – auch
das „Goldene Zeitalter des Alpinismus“ genannt – trauten
sich viele Abenteurer_innen, die Berge der Westalpen zum
ersten Mal zu erklimmen. Heutzutage ist das kein Problem
mehr; im Gegenteil, es hat sich ein Sport daraus entwickelt:
ein Trend, bei manchen sogar ein Wahn. In den letzten dreißig
Jahren hat sich das Image der Alpen gewandelt: von
der erbarmungslosen, unvorhersehbaren Naturgewalt
hin zum familienfreundlichen Naturerlebnispark.
Das hat fatale Folgen: Viele unerfahrene oder
schlecht vorbereitete Wandernde oder Kletternde
überschätzen sich und bringen sich dadurch in lebensgefährliche
Situationen. 2018 starben 207
Personen allein in den Schweizer Bergen, davon
wurden 135 Opfer von Bergunfällen. Der
strahlende Sonnenschein im Sommer und
Herbst hat Lust aufs Wandern gemacht
und viele haben sich unüberlegt an zu
schwierige Strecken gewagt oder
sich nicht ausreichend ausgerüstet
– ein paar der
Gründe für die vielen
Todesfälle.
Durch die moderne Erschließung des Gebirges, die steigende
Nachfrage sowie die vielen tausend Berghütten verlieren die
Alpen ihren Ruf der Gefährlichkeit, strahlen Harmlosigkeit
und Idylle aus. Das führt auch dazu, dass den Bergen – sinnbildlich
– die Türen eingerannt werden. Doch wie jede_r, die
oder der schon mal an einem überfüllten Strand lag, nachvollziehen
kann, macht das die Stimmung kaputt. Der Reiz des
Berges geht verloren, die Stille, die Harmonie, die unberührte
Natur wird buchstäblich niedergetrampelt. Reinhold Messner
hat das schon 1998 in einem Interview präzise zusammengefasst:
„Das Potenzial der Gebirge bleibt die Stille, die
Gefahr, die Erhabenheit: Sie zwingen den Menschen, mit sich
allein sein zu können, abzuwarten, Umwege zu suchen, Maß
zu halten.“ Genau das müssen wir bewahren. Deshalb ist
auch an dieser Stelle der NATURSCHUTZ großzuschreiben,
um die Alpen vor dem Kollaps durch den Kapitalismus
und Massentourismus zu bewahren. Schon heute sieht man,
wie aus grünen Hainen zertrampelte Pfade werden, an
deren Wegesrand sich der liegengelassene Müll türmt. Und
die Murmeltiere, die mal nebenan gehaust haben, sind von
der ungeheuren Lautstärke der immer größer werdenden
Wandergruppen längst vertrieben worden. Letztendlich ist
das Gefühl von Freiheit, das man in den Alpen finden (und beinahe
auch atmen) kann, der große Schatz von nebenan.
Denn der Berg bietet vor allem eins: Stille. Und
diese Stille können wir in dieser schnellen
und reizüberflu- teten Welt gut
gebrauchen.
C
text_LEONIE_THIEL_illustration_LENA_LINK
POLITIK
08
Extinction Rebellion
Konstanz
Ein Protest der ungehorsamen, aber friedlichen Art.
Sonntag, 03. November 2019. Abseits des Stadttreibens
treffen sich rund ein Dutzend Rebell_innen
im Neuwerk. Extinction Rebellion Konstanz (XR) lädt zu
einem Aktionstraining für zivilen Ungehorsam ein. Die
Stimmung ist locker und ausgelassen, auch für Snacks
und Getränke ist gesorgt. Die im Stuhlkreis versammelten
Teilnehmer_innen debattieren eifrig über
mögliche Szenarien, die im Laufe von Protestaktionen
auftreten können. XR Konstanz hat sich Anfang des Jahres
2019 etabliert und ist aus einer kleinen Gruppe
heraus entstanden. Mittlerweile sind allein in Konstanz
über 50 Mitglieder aktiv, Tendenz steigend. 2018 in
England von Roger Hallam und Gail Bradbrook gegründet,
umfasst die Umweltschutzbewegung laut eigenen
Angaben tausende von Mitgliedern in über 49 Ländern
auf sechs Kontinenten.
Extinction Rebellion meint frei übersetzt „Aufstand
gegen das Aussterben“. Die Bewegung setzt sich
mithilfe ihrer gewaltfreien Protestaktionen dafür ein,
einen tiefgreifenden Wandel in unserem derzeitigen
System hervorzurufen. Dadurch soll eine Ausrottung der
Menschheit sowie des Ökosystems verhindert werden.
XR fordert, dass die Regierung öffentlich über die
Auswirkungen einer ökologischen Krise spricht und entsprechend
handelt. Darunter fällt die Forderung nach
der Senkung der vom Menschen verursachten Treibhausgase
auf Null bis zum Jahr 2025. Ebenso befürwortet
die Bewegung eine Bürger_innenversammlung.
Dabei sollen die Teilnehmenden so ausgelost werden,
dass sie die Bevölkerung hinsichtlich Alter, Geschlecht,
Herkunft und sozialer Schicht repräsentativ vertreten
können.
Sie werden anschließend von Expert_innen über
alle relevanten Hintergründe zur Thematik informiert.
Es soll so eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz der
Entscheidungen gewährleistet werden, wenn diese von
einem repräsentativen Teil der Bevölkerung getroffen
text_BELLA_KRATZBERG_illustration_LENA_LINK_foto_MALIN_JACHNOW
POLITIK
09
werden. Laut Extinction Rebellion entsteht dadurch ein
echtes Interesse an Demokratie. Erfolgreiche Bürger_innenversammlungen
gab es unter anderem schon in
Irland, Island, Australien, Großbritannien und Kanada.
Protestaktionen, wie zuletzt das Einfärben des
Züricher Flusses Limmat mit nicht-toxischen Farbmitteln
oder das Blockieren öffentlicher Plätze wie Flughäfen
oder Brücken, müssen gut organisiert werden, um
so reibungslos wie möglich stattfinden zu können. Um
Interessierte gut aufzuklären, wird mehrmals jährlich
in Konstanz und vielen weiteren Städten ein Aktionstraining
angeboten. Unter anderem wird erklärt, wie sich die
Menschen bei bestimten Abläufen verhalten sollen, was
friedliche Proteste von Protesten unter Gewalt unterscheidet
und wie sie mit Passant_innen oder der Polizei
umgehen können. Dabei ist es den Veranstaltenden
des Aktionstrainings in Konstanz wichtig zu betonen,
dass innerhalb der Bewegung XR alles auf Freiwilligenbasis
stattfindet. Niemand wird gezwungen, zu partizipieren.
Während der Aktionen gibt es zusätzliche Personen,
die sich um die emotionale Befindlichkeit der
Teilnehmenden kümmern und bei denen man sich melden
kann, sobald Zweifel oder Angstgefühle entstehen.
Diese Personen werden zumeist von XR ausgebildet.
Eine Protestaktion, sei sie auch zivil und nicht
gewalttätig, kann unter Umständen ausarten – von
Seiten der Demonstrierenden, Passant_innen oder aber
Polizeikräften. Es ist somit notwendig, sich auf alle
erdenklichen Szenarien einzustellen. Bei wem nun Interesse
besteht, XR Konstanz näher kennenzulernen:
Jede Woche Sonntag um 16 Uhr treffen sich die Teilnehmenden
im Palmenhaus, eine Voranmeldung ist nicht
nötig. C
Quelle: https://extinctionrebellion.de
Im November 2019 wurde ein Interview in der Zeit mit Roger Hallam veröffentlicht. Die Redaktion der Campuls distanziert sich
hiermit ausdrücklich von Hallams Aussagen. Ebenso hat Extinction Rebellion Deutschland verkündet, Hallam sei im deutschen
Ableger der Bewegung aufgrund von verharmlosenden Äußerungen bezüglich des Holocausts nicht mehr willkommen.
In den Medien wird XR gern als „radikalere Version von Friday’s for
Future“ dargestellt, doch was steckt eigentlich dahinter? Daniela
und Felix von XR Konstanz haben sich die Zeit genommen, in einem
kurzen Interview ein paar Fragen zu beantworten.
Auf der offiziellen Website spricht XR von einem baldigen
Aussterben der Menschheit sowie unseres Ökosystems.
Wie ist euer momentanes Weltbild und wie
schneidet Konstanz da ab?
Felix: Noch ganz gut. Ich bezeichne Konstanz gern als eine Insel
der Glückseligen (lacht).
Wie wird bei euch eigentlich entschieden, wer entscheidet?
Beide: Das sind alle Teilnehmenden zusammen. Wir glauben
daran, dass die hierarchischen Machtstrukturen überwunden
werden müssen, damit unser System läuft.
Wo zieht ihr bei euren Aktionen die Linie zwischen „zu
radikal“ und „noch akzeptabel“?
Felix:
Felix:
Puhh, das kommt ganz auf die Aktion an.
Auf der Website wird außerdem vermerkt, dass ihr für
einen radikalen Systemwandel seid, was ist eurer Meinung
nach das System?
Konsum, Wirtschaft und Kapitalismus, gerade in Europa.
Was war der schönste Moment verbunden mit einer
Protestaktion für euch?
Daniela: Das war im Frühjahr 2019 in London. Wir haben dort eine
Brücke blockiert und während der Aktion war es so still.
Keine Autos und kein Trubel um uns herum. Die Menschen
haben meditiert, gesungen, getanzt und hatten so eine
gute Zeit, dass sich die Stimmung der Demonstrierenden
sogar auf die Polizei übertragen hat. Diese ist sehr bedächtig
und ruhig vorgegangen.
Felix:
Daniela:
Für mich war das die Schweigeminute dieses Jahr in
Berlin nach dem Anschlag auf Halle. Der langsame Aufbau
von totalem Schweigen zur Normalstimmung war für
mich sehr überwältigend.
Wie können Interessent_innen XR Konstanz oder XR allgemein
unterstützen, auch wenn sie sich nicht trauen,
mit zu protestieren?
Ich spreche mal für alle Teilnehmenden, wenn ich sage,
dass wir uns immer freuen würden, wenn ihr das Wort
teilt, uns auf unseren Social Media Kanälen unterstützt
oder einfach mal eine Kanne Kaffee oder einen Kuchen
bei der nächsten Protestaktion vorbeibringt.
Nehmt ihr Geld an?
Daniela:
Ja, aber nicht von jedem. Die Person oder Organisation
müsste schon unsere Prinzipien teilen. Bisher mussten
wir allerdings noch nichts ablehnen.
MEINUNG
Im Folgenden sind einige Aussagen über
die allgemeine Medienpräsenz und
die Forderungen der Bewegung von Konstanzer
Studierenden gelistet:
10
Stefan L. (HTWG)
„Sich für die Umwelt einzusetzen, ist ein wichtiger Schritt und immer gut. Vor allem da es nicht viele andere Gruppierungen in Konstanz
selbst gibt, ist es umso wichtiger, dass Leute auf das Thema Klimaschutz angesprochen werden, welches momentan enorm an Relevanz
zunimmt.“
Katja M. (Uni Konstanz)
„Die Bewegung XR ist meiner Meinung nach sehr medienpräsent, besonders durch ihre Aktionen in Berlin oder in London. Von XR Konstanz
habe ich dagegen kaum gehört. Ich denke, dass es generell sehr wichtig ist, dass viel Aufmerksamkeit auf die Umwelt und das Klima
gelenkt wird. Über zivilen Ungehorsam Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist auch ein guter Weg. Vor allem die drei Hauptforderungen sind so
allgemein gehalten, dass ich den ersten beiden problemlos zustimmen kann. Der dritten Forderung, der Einführung einer Bürger_innenversammlung,
stehe ich dagegen sehr kritisch gegenüber.“
David H. (HTWG)
„XR ist mir bisher als eng mit Friday‘s for Future verknüpfte Bewegung aufgefallen, welche ihre Forderungen allerdings auf radikalere Art und
Weise umsetzen will. Es stört mich, dass zwar klare Forderungen gestellt werden, der Lösungsansatz aber viel zu vage ist. Klar müssen wir
die Umwelt retten, besser jetzt als später, aber ich sehe die Technologie da als entscheidenden Faktor, der nicht genug gewürdigt wird. Ich
finde, dass eine vernetzte, globalisierte Welt eine Errungenschaft unserer Gesellschaft darstellt und sehe daher keine Verbesserung der Situation
durch Boykotte.“
Martha H. (Uni Konstanz)
„Bisher kenne ich die Bewegungen XR und Friday’s for Future nur von den Klimaprotesten in Konstanz oder durch diverse Plakate und
Sticker, die in der Stadt verteilt sind. Da ich natürlich auch für den Kampf gegen den Klimawandel bin, finde ich es gut, wofür sich eingesetzt
wird. Ich stimme der Meinung zu, dass nicht viel verändert werden kann, indem nur geredet aber nicht gemacht wird. Für den Einzelnen
ist es schwierig, einen großen Effekt zu bewirken. Daher ist XR durch ihre auffällige und provokative Art, eine Änderung hervorzubringen, ein
guter Schritt in die richtige Richtung. Ich muss leider gestehen, dass diese Art und Weise zu protestieren nichts für mich wäre, ich bin in
der Hinsicht leider nicht mutig genug. Respekt jedoch an alle, die dies durchziehen!“ C
POLITIK
wo selbst
der schall
nicht durch
die wände
dringt
11
Nur zu zweit darf über das Gelände von „Radio Free Europe“ zum
Eingang gelaufen werden. Mehr Personen dürfen es nicht auf einmal sein.
Davor werden Pässe eingescannt, alle Taschen durchleuchtet und die Körper
abgetastet. Am Empfangsschalter erhält man die Gästepässe, die nochmals eingescannt
werden müssen, damit sich die Schranke zur Tür des Ganges öffnet.
Zuerst ist schwer verständlich, was das soll. Bei jeder anderen Exkursion zum
Fernsehen und zu Tageszeitungen, die bisher im Rahmen der `Summerschool of
Journalism` in Prag gemacht wurden, durfte gemütlich in das Gebäude spaziert werden.
Hier kommen jedes Jahr Studierende aus der ganzen Welt zusammen, um über
journalistische Tätigkeiten zu lernen. Als das Gelände verlassen wird, ist allen
Besucher_innen bewusst, dass keine dieser Kontrollen überflüssig war.
text_&_foto_PIA_SAUTTER_illustration_MAI_LINH_BUI
POLITIK
Die Gästebeauftragte, Frau Konovalova –
eine junge Frau aus Russland – führt die Gruppe durch
den Komplex. Es handelt sich um das Headquarter
des Medienunternehmens, das Radio-, Fernseh- und Social-
Media-Nachrichten produziert. Das klingt erst einmal
nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich jedoch ist die Mission:
Der Kampf gegen Zensur. Im Eingangsbereich hängt
eine Weltkarte. Die 22 Länder, in denen Radio Free Europe
in 26 Sprachen berichtet, sind orange eingefärbt.
Diese Länder haben Eines gemeinsam: In ihnen hat die
Regierung die Pressefreiheit eingeschränkt oder verboten.
Die Bürger_innen haben, wenn überhaupt, nur schwer
Zugang zu ungefilterten Nachrichten. Das Internet ist stark
zensiert, die Nutzung von Social Media oft tabu.
Politische Diskussionen werden in der Regel einseitig geführt;
Wer kritische Debatten beginnt oder private Meinungen äußert,
kann hart bestraft werden. Dieses Risiko nehmen über
600 Vollzeit-Journalist_innen und 750 Freiberufler_innen
von Radio Free Europe auf sich. Sogenannte `Fixer`,
Journalist_innen, die in einem der Länder leben, berichten
als Expert_innen aus erster Hand von den Geschehnissen
in die Zentrale. Von Prag aus werden die Informationen dann
veröffentlicht. Die Menschen in den betroffenen Ländern
können die Nachrichten dann mit `VPNs` abrufen.
Das heißt, dass sie mithilfe eines virtuellen privaten
Kommunikationsnetzwerks vor ihrer Regierung
geschützt das Internet nutzen können.
Gang durch einige Redaktionsräume: Flaggen,
Farben und Statuen geben Hinweise auf das jeweilige Land,
über das und aus dem berichtet wird. Am Ende des Ganges
befindet sich ein Konferenzraum, in dem Platz genommen
werden darf. Ein Mann betritt den Raum. Es ist Farruh Yusupov,
der Leiter des Redaktionsteams, das über Turkmenistan
berichtet. Die Geschichte seiner Karriere ist ein wahrer Krimi:
Zuerst berichtete der Journalist über Uzbekistan und deckte
während seiner Ermittlungen einige Machenschaften wie
die finanzielle Korruption des uzbekischen Präsidenten Islam
Karimov und dessen Familie auf. Was er jetzt erzählt,
macht sprachlos:
„Mein Bruder ist erst im Februar nach drei Jahren Haft aus dem
Gefängnis in Uzbekistan freigelassen worden. Er wurde eingesperrt,
damit ich aufhöre, über diese Missstände zu berichten.
Mein Bruder sagte mir, ich solle auf keinen Fall nachgeben.
Also habe ich weitergemacht.“ Leider passiere es immer
wieder, dass Menschen, die für Radio Free Europe arbeiten,
beobachtet, befragt, verhaftet, eingesperrt oder im schlimmsten
Fall sogar getötet werden. Das Unternehmen hat auf
seiner Website diesen Mitarbeiter_innen eine ganze Rubrik
gewidmet und veröffentlicht immer wieder Updates zu
deren Situation. Auch in Turkmenistan müssen die Journalist_innen
vorsichtig sein: „Erst vor kurzem wurde ein Kollege vor Ort von
der Polizei verhört. Er hatte seine Kamera dabei, aber zum
Glück konnte er die Beamten davon überzeugen, ein Tourist
zu sein, bevor sie diese beschlagnahmen konnten“, erzählt
Yusupov. Warum es so wichtig ist, über Turkmenistan zu berichten,
erklärt er im Folgenden. Der Präsident des Landes
Gurbanguly Berdimuhamedow regiert seit 2006 und gewann
die letzte Wahl mit einer Mehrheit von 98 Prozent.
„Die Wahl war manipuliert und das Land hat eine hochkorrupte
Regierung“, sagt Yusupov.
12
Das Parlament genehmigte sogar eine Verfassungsänderung,
die dem Präsidenten erlaubt, bis zu seinem Tod zu regieren.
Er zeigt ein Propagandavideo, das so verrückt ist, dass
zunächst Gelächter entsteht: Das Video ist mit kitschiger traditioneller
Musik unterlegt und stellt den Präsidenten mit
allerlei bunten Effekten vor: Es zeigt ihn unter anderem beim
Basketballkörbe werfen, Tischtennis spielen und Singen.
Weitere Videoclips zeigen, dass er außerdem angeblich – so
ist es auch in den Untertiteln bezeichnet – ein Rennfahrer,
Autodesigner, DJ, Stuntfahrer, Autor und Pferdeexperte ist. Als
Berdimuhamedow im Sommer für einen Monat von der
Bildfläche verschwand und Gerüchte über seinen Tod die Runde
machten, reagierte die Regierung mit einem Video, das
35 Minuten lang zeigt, dass der Präsident nur im Urlaub war
und quicklebendig ist. Die Highlights dieses absurden
Beweises zeigen ihn rappend mit seinem Enkel und mit einem
Rennauto um einen glühenden Krater fahrend. Immer
wieder sieht man Regierungsmitglieder in Reih und Glied
aufgestellt diese Tätigkeiten beklatschen. Yusupov nennt ein
weiteres Beispiel der maßlosen Selbstdarstellung:
„Weil Weiß Berdimuhamedows Lieblingsfarbe ist, ließ er alle
andersfarbigen Autos in der Hauptstadt verbieten.“
Hinter der lächerlichen und fast schon amüsant anmutenden
Fassade steckt jedoch eine ernste, traurige Wahrheit.
Freedom House, eine internationale Organisation zur
Förderung liberaler Demokratien, gibt Turkmenistan null von
vierzig Punkten für politische Rechte und Bürgerrechte.
Auf Homosexualität stehen bis zu zwei Jahre Haft. Die Wirtschaft
ist miserabel; Zucker, Mehl, Speiseöl und Eier sind kaum zu
finden. Jede_r Bürger_in hat ein Limit von zwei Brotscheiben
pro Tag, die Geldautomaten sind schon wieder leer bevor
die Mehrheit die Chance hatten, Geld abzuheben. Wenn es
denn Geld abzuheben gibt: Über 60 Prozent der Turkmen_innen
sind arbeitslos. 2018 wurden die seit 1990 etablierten
Fördergelder für Gas, Elektrizität, Wasser und Salz gestrichen.
Aufgrund dieser Umstände ist bereits ein Drittel der Bevölkerung
in umliegende Länder ausgereist; die Ausreise wurde
inzwischen jedoch auch größtenteils verboten. Als Tourist in den
Staat zu kommen, ist ebenfalls fast unmöglich. Derweil ertönt
in einem weiteren Video das Parlament in einem gruseligen
Chor „Ehre dem Beschützer und dem Helden“. Aussicht auf
Änderung gibt es kaum: Turkmenistan hält sich aus der
Weltpolitik heraus, die Missstände bleiben weitgehend unbemerkt.
Tatsächlich wird in letzter Zeit über Turkmenistan berichtet:
Die amerikanischen Comedians John Oliver und Trevor Noah
machten sich über Berdimuhamedow lustig, kein Wort
aber fiel über die Probleme im Land. Yusupov berichtet:
„Wenn der Präsident im Fernsehen kommt, läuft kein anderes
Programm. Und natürlich sind die Turkmenen nicht auf
den Kopf gefallen. Ich behaupte, kaum jemand schenkt dem
Personenkult ihres Präsidenten Glauben. Aber machtlos sind
sie trotzdem.“ Yusupov steht ständig in Kontakt mit seinen
Kolleg_innen vor Ort. „Die Sicherheit unserer Journalisten
steht immer an erster Stelle. Der Wahrheitsgehalt aller
Informationen wird streng überprüft und wir veröffentlichen
diese nur, wenn niemand dadurch zu Schaden kommt.
Tatsächlich können wir von allen Nachrichten nur einen kleinen
Teil veröffentlichen, oft ist das Risiko zu groß, Journalisten
oder Bürger zu belasten. Erst kürzlich hat ein Kollege
eine lange Menschenschlange gefilmt, die auf Mehl wartete.
POLITIK
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Später entdeckte er Überwachungskameras auf
dem Platz, wodurch es zu gefährlich war, das Filmmaterial
online zu stellen.“ Persönlich habe er einmal ein
Interview mit einem Befürworter des Staates geführt.
Und obwohl dieser nur Positives über den Staat
berichtet habe, sei er inhaftiert worden. Wirklich niemand
in Turkmenistan ist sicher vor der Zensur. Während
die Schranke am Eingang einen nach dem Anderen von
der Gruppe wieder ausspuckt, ruft Frau Konovalova
allen zu:
„Seid dankbar, wenn ihr aus einem Land kommt, in dem
ihr eure Meinung ausdrücken dürft, seht das niemals als
Selbstverständlichkeit!“
Die Gruppe besteht aus Studierenden aus 13
verschiedenen Ländern. Ksenia kommt aus Russland.
Sie wurde innerhalb der letzten zwei Wochen unzählige
Male auf die Missstände in ihrem Land angesprochen:
„Dauernd muss ich Leuten erklären, dass ich
liberal eingestellt bin und nicht jeder Russe Zuhause
sitzt und die Weltherrschaft will. Das ist anstrengend“,
erzählt sie. Suha aus Saudi-Arabien ist begeistert,
dass alle politischen Diskussionen mitten auf den Straßen
von Prag geführt werden können und sogar Witze über
Politiker_innen möglich sind: „In Saudi-Arabien bin ich
gewohnt, bei solchen Themen leise zu sprechen und
mich dauernd umzugucken.“ Rosaline aus China sagt, das
schlimmste in ihrem Land sei die Korruption. Deshalb
hakt sie auch bei allen Journalist_innen, mit denen es
während des Programms die Chance gibt zu sprechen,
hartnäckig nach, ob diese unabhängig von der
tschechischen Regierung arbeiten. Rosaline, Suha und
Ksenia sind normale Studierende, aber keiner von
ihnen bleibt unberührt von der umstrittenen (Presse-)
Politik ihrer Heimatländer. Gebildete junge Erwachsene,
die ins Ausland reisen dürfen. Es gibt jedoch noch
viel mehr gebildete junge Erwachsene. Sie leben in Turkmenistan,
Tadschikistan, dem Kosovo, überall auf der
Welt verteilt. Sie haben auch eine Meinung, aber weniger
oder gar keine Möglichkeit, sie öffentlich zu machen.
Das UNI-versum ist ein toller Ort voller Möglichkeiten.
Es stehen Bibliotheken zur Verfügung, es gibt
Vorträge zu allen möglichen Themen und eduroamen
geht auch jederzeit. Alle diese Informationsquellen
verschaffen ein größeres Bild von Thematiken und helfen
optimalerweise, kritisch zu bleiben und eigene Meinungen
zu bilden. Wir können für die Campuls schreiben und
im Uniradio sprechen. Wir können aus dieser Universitätsbubble
auf größere, wichtigere Dinge schauen und
somit unsere Privilegien nutzen. Es gibt viele Menschen,
die Radio Free Europe hassen. Sie fürchten die
Pressefreiheit und möchten die Zensur aufrechterhalten.
Und viele von ihnen sind mächtige Leute. Jede Sicherheitsvorkehrung
vor dem Headquarter und in den
betroffenen Ländern schützt die Journalist_innen und
sorgt für ein bisschen mehr Pressefreiheit. Emily
aus Großbritannien bringt es auf den Punkt: „Die Leute,
die hier arbeiten, sind für mich die Definition
wahrer Helden.“ C
HOCHSCHULLEBEN
In Konstanz wird gerade die Welt
des Wissens neu erfunden. ICARUS
heißt das Projekt, das lange Zeit
ebenso zum Scheitern verurteilt schien,
wie sein Namensgeber aus der griechischen
Mythologie. Der symbolträchtige
Name steht für „International
Cooperation for Animal Research
using Space“. Ausgedacht hat ihn
sich Martin Wikelski. Eine Trotzreaktion,
wie er sagt, nachdem sein Projekt
von der NASA abgelehnt wurde.
Die Idee hinter ICARUS klingt
erstmal simpel: Auf der ganzen Welt
sollen Tiere mit Sensoren ausgestattet
werden, um sie mit Hilfe einer
Antenne an der ISS aus dem Weltraum
zu beobachten. Durch die
gesammelten Informationen erhoffen
sich die Forscher_innen neue
Erkenntnisse zu der Verbreitung von
Krankheiten, den Folgen des Klimawandels
und zur Vorhersage
von Naturkatastrophen. „Für das
Leben auf der Erde sind Tiere die
komplexesten und sensibelsten
Sensoren, die wir haben“, davon ist
Martin Wikelski überzeugt. Der
Ornithologe beschäftigt sich schon
seit Jahren mit den Bewegungen
und dem messbaren Verhalten von
Tieren. „Auf dem Boden verlieren wir
Tiere aber relativ häufig, können
sie nicht gut beobachten – aus großer
Höhe ist das einfacher“, erklärt
der 54-Jährige die Idee, eine Antenne
an der internationalen
Raumstation zu montieren.
Bei ICARUS geht es aber nicht nur
darum, Tierverhalten dort zu messen,
wo Menschen ihm schlecht
folgen können. Das Zauberwort
unserer Zeit lautet auch hier „Big Data“.
„Wenn wir Tiere als Gruppe oder
im Schwarm beobachten, dann liefern
sie uns Informationen, die für uns
auf der Ebene des Individuums nicht
messbar sind. Wir wollen gewissermaßen
den sechsten Sinn der
Tiere anzapfen“, erklärt Martin
Wikelski. Unzählige Tiere – Vögel,
Fische und Säuger – sollen so
ein weltumspannendes Netz an
Informationspunkten bilden.
Das Internet der Tiere; Martin
Wikelskis großer Traum.
Dass ICARUS nun Realität wird,
ist vor allem Wikelskis unerschütterlicher
Hartnäckigkeit zu verdanken.
Als die NASA seine Idee ablehnte,
gab er eine Professur auf Lebenszeit
an der Universität von Princeton auf
und kam zurück nach Deutschland.
Dort übernahm er die Leitung des
Max-Planck-Instituts in Radolfzell und
musste auch hier zunächst
viel Überzeugungsarbeit für seine
Idee leisten: „Sofort einstellen“,
lautete das Urteil einer Evaluation
zu Beginn seiner Arbeit. Wikelskis
Projekt würde die reguläre Forschung
des Instituts gefährden.
Heute sieht das ganz anders aus.
Obwohl ICARUS immer noch in der
Testphase steckt und bisher nur
wenige Tiere mit Sendern ausgestattet
sind, ist sich die Wissenschaft einig:
Das Internet der Tiere ist einzigartig.
„Die einzige digitale Technologie
dieses Kalibers, die nicht in erster
Linie aus Asien oder dem Silicon
Valley kommt“, wie Wikelski sagt.
Auch beim Thema Artenschutz sollen
die ICARUS-Daten für neue Impulse
sorgen: „Wir haben in Europa in
den letzten 30 Jahren ungefähr
420 Millionen Singvögel verloren.
Das Problem ist – niemand identifiziert
sich mit 420 Millionen Singvögeln“, ,
sagt der Ornithologe. Amsel Anna
und Storch Fritz, deren Bewegungen
sich mit ICARUS live verfolgen lassen
sollen, hätten dagegen ein ganz
anderes Potenzial, die Menschen für
den Artenschutz zu bewegen,
erklärt er.
Weltweit warten im Moment rund 100
Forschungsprojekte darauf, dass
die Testphase von ICARUS erfolgreich
abgeschlossen wird. Wenn alles
glatt läuft, soll im April 2020 mit dem
großflächigen Besendern der
Tiere begonnen werden.
Ihr wollt mehr über ICARUS
erfahren? Bei Campuls Online
(seezeit.com/campuls)
und auf Facebook findet ihr
das ausführliche Interview mit
Martin Wikelski. C
TRAUM?
Martin Wikelski und das Internet der Tiere
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EIN UNMÖGLICHER
Blick in den Elfenbeinturm
text_VIVIEN_GÖTZ_illustration_MAI_LINH_BUI
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text_CHARLOTTE_KRAUSE_illustration_MAI_LINH_BUI
no science, no future
„No border, no nation, free education“, hallte es durch die Straßen der
Konstanzer Altstadt. Am 26. November 2019 gingen in ganz Baden-Württemberg
rund 9.000 Menschen auf die Straße, um gegen den neuen Hochschulfinanzierungsvertrag
zu demonstrieren. Allein in Konstanz waren es 1.600 Menschen, die ihre Unzufriedenheit
über die Bedingungen an den Hochschulen kundtaten. Jede_r an der Universität Konstanz
hat die direkten Auswirkungen der Unterfinanzierung schon beobachten können:
Der Hörsaal oder das Seminar sind so voll, dass Studierende auf den Treppen sitzen
oder in den Türen stehen müssen. Dozierende kommen kaum mit der Korrektur
der vielen Hausarbeiten hinterher. Und wo ist das Geld für die dringend
anstehende Sanierung des ein oder anderen Gebäudes geblieben?
HOCHSCHULLEBEN
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no science, no future
no science, no future
no science, no future
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„No border, no nation, free education“, hallte es durch die Straßen der
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Konstanzer Altstadt. Am 26. November 2019 gingen in ganz Baden-Württemberg
Konstanzer Altstadt. Am 26. November 2019 gingen in ganz Baden-Württemberg
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Konstanzer Altstadt. Am 26. November 2019 gingen in ganz Baden-Württemberg
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HOCHSCHULLEBEN
16
Sie führt weiter aus, dass Dozierende
an der Universität momentan einer 120- bis 130-prozentigen
Arbeitsbelastung ausgesetzt werden. Eine gute Lehre kann nicht garantiert
werden, wenn die Mitarbeiter_innen im Endeffekt systematisch ausgebrannt werden.
Aktuell kann die Unterfinanzierung nur durch die Einholung von Zweit- und Drittmitteln
ausgeglichen werden. Wichtig ist, dass eine gewisse Drittmittelquote für eine Universität zwar immer
auch Qualitätsindikator ist – ganz besondere wissenschaftliche Leistungen und innovative Projekte werden
damit unterstützt – aber die allgemeine Grundfinanzierung einer Universität niemals ausgleichen kann.
„Die Frustration ist groß. Vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst bekommen wir
die Rückmeldung, unangemessene Forderungen zu stellen. Für uns macht das Land Baden-Württemberg
jedoch deutlich, dass ihm akademische Bildung im Vergleich zu anderen Themen nicht besonders viel wert zu sein
scheint. Gleichzeitig betrachtet sich Baden-Württemberg als Innovationsland. Wenn es diesen Status halten möchte,
benötigt es hochqualifizierte zukünftige Arbeitnehmer_innen, die von einer guten Ausbildung seitens ihrer Universitäten
und Hochschulen kommen und nicht aus einer abgesparten“,
so Krieglstein. Die Direktorin appelliert an alle Mitarbeiter_innen, Studierenden und Doktorand_innen der
Universität Konstanz, weiterhin gegen die Unterfinanzierung protestieren zu gehen. Denn ohne die ökonomische
Garantie für eine gute universitäre Forschung und Lehre könne es keine Zukunft geben. Daher sind Demonstrationen,
so Krieglstein, wohl die einzige Möglichkeit, auf Missstände aufmerksam zu machen und das Land
Baden-Württemberg von der Dringlichkeit dieses Problems überzeugen zu können. C
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HOCHSCHULLEBEN
17
Von Arbeiterkindern,
erobern.
die auszogen,
die Hochschule zu
„Die Skepsis meiner Eltern war am Anfang ziemlich
groß, als ich ihnen verkündete, dass ich gerne studieren
möchte. Und wenn ich schon studieren will, dann sollte es
natürlich etwas Anständiges sein, was auch immer das bedeuten
soll“, sagt Markus Stern, Student an der Universität
Konstanz. Er befindet sich momentan in seinem letzten
Mastersemester des Studiengangs ‚Political Economy‘. Vorher
absolvierte er gleich zwei Bachelorabschlüsse in Wien.
Klingt erst einmal nach einer steilen Karriere. Vor deren
Antritt mussten allerdings grundlegende Dinge für seinen
Start an einer Hochschule geklärt werden. „Meine Eltern
waren beide nicht an der Uni, finanziell konnten sie mich
nur geringfügig unterstützen; beraten, was und wie genau
man studiert, schon gar nicht. Die Finanzierung meines Studiums
war daher natürlich immer ein wichtiges Thema.
Auch fiel mir irgendwann auf, dass Kommiliton_innen mit
einem akademischen Background neben dem Studium nicht
so wie ich zusätzlich jobben mussten.“
Was Markus hier beschreibt, sind typische Erfahrungen,
die viele Studierende in erster Generation an einer Universität
oder Fachhochschule erleben. Laut des Arbeitspapiers
249 der Hans-Böckler-Stiftung, welches sich mit
Studierenden aus nicht-akademischen Haushalten befasst,
ging im Jahr 2007 von 100 Kindern aus Familien mit einem
nicht-akademischen Hintergrund gerade einmal ein Viertel
später auf eine Hochschule. Fast doppelt so viele von ihnen
erreichten jedoch die Hochschulreife. Bei Akademikerkindern
waren es dagegen 71 Kinder, die ein Studium begannen.
Woher stammt diese Diskrepanz?
Antworten auf diese Frage können bereits in der Schulausbildung
von Kindern und Jugendlichen gefunden werden.
In Deutschland wird heutzutage ein ganz bestimmtes
Verständnis von sozialer Gerechtigkeit vertreten: das Leistungsprinzip.
Nicht mehr die Herkunft soll über die realen
Chancen im späteren Berufsleben entscheiden, sondern die
eigenen Anstrengungen in Schulausbildung, Studium und
Beruf. Dieser als fair angenommene Wettbewerb ist bei genauerer
Betrachtung, zumindest bisher, nicht ganz so fair.
Denn ein ausgeglichener Leistungswettbewerb kann nur
dort existieren, wo die Startbedingungen dieselben sind.
In Bezug auf Chancengleichheit in Bildung und Beruf ist es
in Deutschland eindeutig von Relevanz, ob man aus einer
akademischen oder nicht-akademischen Familie stammt.
Ein Grund ist, dass bereits in der Schulzeit Schüler_innen
nach der Grundschule getrennt und auf unterschiedliche
weiterführende Schulen verteilt werden. Die Vermittlung
von Basisqualifikationen an alle Schüler_innen steht hinter
dem vergleichenden Leistungswettbewerb zurück.
HSG Arbeiterkind Konstanz
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HOCHSCHULLEBEN
18
Auch der Studieneinstieg und dessen Kosten, der
neben dem Semesterbeitrag weitere Hürden wie einen etwaigen
Umzug, Anschaffung von Mobiliar, die erste Kaution
und Miete für das WG-Zimmer beinhaltet, ist vor allem
für Kinder aus finanziell schwachen Familien kaum zu stemmen.
Denn Zusatzangebote wie BAföG, Studienstipendien
oder Kredite kommen erst nach dem Hochschulstart zum
Tragen. „Oft ist es Unsicherheit, welche Schülerinnen und
Schüler aus sogenannten Arbeiterfamilien vor einem Hochschulstudium
scheuen lässt. Sie sind sich nicht sicher, ob
sie den intellektuellen Ansprüchen genügen und wie sich
ein Studium finanzieren lässt“, erläutert Jaana Espenlaub. Sie
ist die Bundeslandkoordinatorin für das Land Baden-Württemberg
für „ArbeiterKind.de“, gemeinnützige GmbH zur
Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akademikerkindern
– einer Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht
hat, vor allem Schüler_innen mit nicht-akademischem Hintergrund
über den Studieneinstieg zu informieren und im
besten Fall bis zum Studienabschluss zu unterstützen. Zum
Großteil finanziert sich „ArbeiterKind.de“ über Spenden, erhält
gleichzeitig aber auch Fördermittel von Ministerien und
Stiftungen. Außerdem sind bis zu 500 Einzelpersonen an
der Finanzierung der Organisation beteiligt.
Als Bundeslandkoordinatorin stattet Espenlaub der
Hochschulgruppe „Arbeiterkind“ der Universität Konstanz
regelmäßige Besuche ab. Die HSG wurde von Markus Stern
und weiteren Studierenden im Wintersemester 2017/18
wiederbelebt. „Mit Beginn meines Masters wollte ich mich
gerne engagieren. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung als
Erststudierender in meiner Familie wollte ich diese mit anderen
Studierenden teilen und etwas gegen die Chancenungleichheit
im deutschen Bildungssystem tun“, erklärt er.
„ArbeiterKind“ trifft sich circa alle zwei Wochen im
Café Mondial, gelegen im Konstanzer Stadtviertel Paradies.
Alle Mitglieder an dem Tag, an welchem auch Espenlaub
dem Koordinationstreffen beiwohnt, sind Studierende erster
Generation. Jede_r ist willkommen, die oder der sich
über das „ArbeiterKind“-Netzwerk engagieren möchte.
Der offizielle Name lautet „ArbeiterKind.de“, da die Organisation
2008 zunächst als Internetplattform gegründet
wurde. Deutschlandweit haben sich inzwischen bis zu 80
Lokalgruppen gebildet. Das „ArbeiterKind“-Netzwerk lebt
neben seinen knapp über 30 Hauptangestellten vor allem
von den über 6.000 ehrenamtlichen Mitgliedern. Espenlaub
weiß, wovon sie redet, wenn sie der Konstanzer Lokalgruppe
zur Seite steht, da sie ebenfalls als Erste ihrer Familie
an verschiedenen Universitäten Germanistik und Evangelische
Theologie studierte. „Wir möchten besonders Schülerinnen
und Schüler aus Arbeiterfamilien erreichen, bevor
sie ihren Schulabschluss in der Tasche haben. Denn der Mut
muss wachsen, sich aus einer nicht-akademischen Familie an
ein Studium heranzuwagen. Als Netzwerk stehen wir ihnen
beratend zur Seite, klären über Finanzierungsmöglichkeiten
auf und vermitteln Kontakte. Zudem betonen wir immer, dass
ein Studium nach Interesse und Begabung gewählt werden
sollte; und nicht nach Zweckmäßigkeit“, erklärt sie.
Besonders die Möglichkeiten des „ArbeiterKind.de“-
Online-Netzwerks, in welchem alte und neue Mitglieder
registriert sind, liegen ihr am Herzen. Nach einer Profilerstellung
unter „netzwerk.arbeiterkind.de“ kann man sich mit
HOCHSCHULLEBEN
Hilfe des Veranstaltungskalenders über kostenlose Events,
Webinare und Workshops informieren. Diese erklären,
wie eine gute schriftliche Bewerbung verfasst wird, das
nächste Vorstellungsgespräch gelingen kann oder die eigene
Hausarbeit strukturiert wird. Über diverse öffentliche,
aber auch Lokalgruppen-Seiten, kann zudem mit anderen
Mitgliedern in Kontakt getreten werden. Viele finden dann
über das Netzwerk ihren ganz persönlichen Mentor oder
ihre Mentorin, der oder die ihnen mit Rat und Tat zur Seite
steht.
Zukünftig hofft die Lokalgruppe von „ArbeiterKind“
in Konstanz, noch mehr ehrenamtliche Mitglieder zu gewinnen
und vor allem noch mehr Schulen besuchen zu können.
Denn besonders jungen Menschen soll aufgezeigt werden,
dass es viele Wege geben kann, sein Leben nach der Schule
selbstbestimmt zu gestalten – ob mit oder ohne Hochschulstudium.
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die du durch das „ArbeiterKind.de-Netzwerk“ klären
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20
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Als Helmut Baumgartl vor gut sieben Jahren beschloss,
sich bei Seezeit für die vakante Stelle des Geschäftsführers
vorzustellen, waren Studierendenwerke
für ihn Neuland. Aus der freien Wirtschaft kommend, machte
er sich im Zuge seiner Bewerbung deshalb auch Gedanken
darüber, was denn das Studierendenwerk Seezeit
überhaupt auszeichnet, wie es funktioniert und wie es aufgebaut
ist. Er entwarf die hier abgebildete Zeichnung, die
das Studierendenwerk Seezeit auf anschauliche Weise als
Baum darstellt.
Nicht passender könnte es also sein, dass das Studierendenwerk
nun im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums
seinen fünf Partnerhochschulen einen Baum schenkte.
„Wir wollten nicht für alle Stake-Holder eine
große Party schmeißen und hätten
das auch gar nicht stemmen können. Immerhin
betreuen wir allein bereits 27.000 Studierende
an fünf Hochschulen. Also
beschlossen wir stattdessen, über das gesamte
Jahr hinweg Aktionen für die
Leute, für die wir da sind, zu veranstalten“,
erklärt Baumgartl. Er selbst hätte sich bei der Ideenfindung
und Umsetzung bewusst zurückgehalten und seinen
Mitarbeiter_innen vertraut.
„Ich war quasi nur der Spielball, der dann an den
Tagen der Baumpflanzungen die Repräsentation unseres
Studierendenwerks übernahm“, führt er aus. Dies hätte
ihm viel Spaß bereitet, die Aktion sei für ihn eine sehr emotionale
Nummer gewesen. Schließlich würden die Bäume
uns alle überleben und für die Partnerschaften mit den
Hochschulen stehen. Die jeweilige Baumart konnten sich
die Hochschulen selbst aussuchen. In Konstanz gab es
beispielsweise eine Flatterulme für die Universität und eine
japanische Zierkirsche für die HTWG. Attraktive Standorte
für ihre neuen Bäume hätten sich, findet Baumgartl, alle
Hochschulen ausgesucht.
Zum Hintergrund der Idee erklärt Baumgartls Assistentin
Nadja Szymanski, dass vor allem der symbolische
Wert hervorzuheben sei.
So stehe ein Baum für Beständigkeit und
Wachstum und sei damit optimal als Sinnbild
für die Partnerschaft zwischen Seezeit
und den Hochschulen geeignet.
Bei den Baumpflanzaktionen waren neben Geschäftsführer
Baumgartl und dem Orga-Team von Seezeit jeweils
der Rektor oder die Rektorin der Hochschule, die zuständigen
Vertreter_innen des Amts für Vermögen und Bau,
Studierendenvertreter_innen und Pressevertreter_innen
anwesend. Die Aktion wurde von Seezeit eher im Stillen
abgehalten, auf ein Rahmenprogramm wurde gezielt verzichtet.
text_NIKLAS_LEMPERLE_illustration_LENA_LINK_foto_MALIN_JACHNOW
SEEZEIT
Text zur Übersicht der Aktionen für Studierende:
50 Jahre Seezeit - Aktionen für
Studierende
01
02
03
Neujahrsgruß: 2 x 5.000 Schokocards mit
Glücksbringern in allen fünf Mensen
Jubiläums-Aktionswochen für EasyLoad-Nutzer:
50 Cent Rabatt auf verschiedene Produkte in Mensen
und Cafeterien
Fasnacht: Berliner für
50 Cent an allen Standorten
„Es ist nicht unsere Stärke, aus so etwas ein
großes Ding zu machen. Uns geht es
immer um das Prinzip und um unsere Haltung.
Pro Standort wussten etwa zehn Leute
von der Aktion und das ist auch gut so.
Die Aktion selbst sollte im Vordergrund stehen
und außerdem wird ja in der Presse und von
den Hochschulen darüber berichtet“,
so Baumgartl. Sowieso verzichtete man beim Studierendenwerk
Bodensee bewusst auf ganz große Festlichkeiten
zum Jubiläum. Lediglich ein Sommerfest für
alle Mitarbeiter_innen und langjährige Partner_innen und
Unterstützer_innen des Studierendenwerks wurde im Juli
in der Strandbar von Seezeit an der HTWG Konstanz abgehalten.
Da man auch aus platztechnischen und organisatorischen
Gründen nicht alle Studierenden hätte einladen
können, überlegte sich ein Orga-Team von Seezeit
stattdessen eine Reihe von Aktionen für die Studis rund
um den Bodensee, die über das ganze Jahr verteilt gelaufen
sind. Dazu zählen unter anderem eine Osterüberraschung,
ein Fotobus auf dem Campus-Festival und eine
Glühweinaktion. Eine genaue Übersicht zu den verschiedenen
Aktionen findet ihr in der Graphik. „Wir wollten in
unserem Jubiläumsjahr einfach etwas für die Leute tun,
für die wir da sind, und ihnen zeigen, dass sie uns wichtig
sind. Dafür waren unserer Meinung nach die vielfältigen
Aktionen für die Studierenden und die Baumpflanzungen
deutlich besser geeignet, als eine einzige große Jubiläumsfeier“,
fasst Baumgartl noch einmal zusammen. Dem
ist nichts hinzuzufügen. C
04
05
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07
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10
11
Ostern: 50 versteckte
Schoko-Osterhasen in den Mensen
Strandbar Saisonstart:
Jubiläumscocktail für 50 Cent
Campus-Festival I: Verlosung von
50 Tickets über Instagram, Facebook sowie
per Glücksrad am Seezeit-Infostand
Campus-Festival II: kostenloser Fotobus
für die Festival-Besucher_innen
Sommer-Aktion: Froobie-Eis
für 50 Cent an allen Standorten
Semesterstart Herbst: 5.000 Stück Kuchen
gratis in allen Mensen und Cafeterien
November: 50 Liter Glühwein an
jedem Hochschul-Standort
Weihnachtsaktion: 5.000 portofreie
Weihnachts-Postkarten
SEEZEIT
22
Was passiert mit meinem Studierendenwerksbeitrag?
CashFlow Seezeit-Edition
Draußen ist es kalt und wie jedes Jahr
im Winter hat sich der berühmte Konstanzer
Nebel ausgebreitet. Das Licht an Max Mustermanns
Fahrrad ist kaputt und deshalb steigt
er lieber in den Bus. Der Weg vom Wohnheim
zur Bushaltestelle ist zum Glück nicht weit.
Drinnen lässt er sich müde auf einen Platz
fallen, eine neue Fahrkarte muss er nicht
kaufen, die hat er in Form seines Semestertickets
immer dabei. Der Monat neigt sich dem
Ende zu und seine finanzielle Lage kann er
deshalb nicht gerade mit dem Aggregatszustand
flüssig beschreiben. Er hat immerhin
noch ein bisschen Geld auf der Mensakarte
und kann sich zwischen den Vorlesungen
warmes Essen, Beilagen und sogar Nachtisch
für knapp drei Euro kaufen.
Hinter vielen Dingen, die uns den Studienalltag
erleichtern, steckt Seezeit. Das
Rad des Studierendenwerks dreht sich rund
um die Uhr: 27.000 Studierende muss Seezeit
versorgen. Im Jahr 2018 betrugen die
eigenen Einnahmen 18,2 Millionen Euro. Diese
entstehen größtenteils aus den Mieten für
die Studierendenunterkünfte und aus dem
Umsatz durch den Lebensmittelverkauf. Dazu
kommen circa 3,9 Millionen Euro Zuschüsse.
Der letzte Finanzierungsbaustein von
Seezeit ist der Studierendenwerksbeitrag.
Dieser muss jedes Semester zur Rückmeldung
zusammen mit Hochschul-Verwaltungskosten
und dem Studierendenschaftsbeitrag
entrichtet werden. Geschäftsführer Helmut
Baumgartl erläutert: „Die Studierendenwerksbeiträge
machen rund 15 Prozent der Einnahmen
von Seezeit aus.“ Die Summe dieses
Beitrages belief sich im Jahr 2018 auf 3,8 Millionen
Euro. Teil des Studierendenwerksbeitrags
ist der sogenannte Solidarbeitrag von 22
Euro (Uni) bzw. 19,50 Euro (HTWG) für das
Semesterticket. Die Idee dahinter ist, dass
alle Studierenden einen geringen Betrag entrichten,
der das Semesterticket mitfinanziert.
Dadurch können die Verkehrsbetriebe die Semestertickets
zu günstigen Preisen anbieten.
Baumgartl betont: „Der Solidarbeitrag fürs
Semesterticket ist ein durchlaufender Posten.
Das heißt, wir geben das eingenommene
Geld eins zu eins an die jeweiligen Verkehrsbetriebe
weiter.“
Wem das nicht bewusst ist, dem kann
Seezeit vorkommen wie eine riesige, anonyme
Maschinerie, die im Semestertakt Studierendenwerksbeiträge
einsackt, ohne dass das
Geld jemals wieder zum Vorschein kommt.
Tatsächlich ist Seezeit nicht auf Gewinn aus.
„Würden die Semesterbeiträge sinken, müssten
wir an anderer Stelle Einnahmen generieren.
Das ginge dann beispielsweise mit Preiserhöhungen
bei Mieten oder in den Mensen
einher“, erklärt Baumgartl. Ob in der Küche,
im Kinderhaus, in der Wohnungsvermittlung,
der Verwaltung oder im BAföG-Amt: 240 Mitarbeiter_innen
und bis zu 80 studentische
Hilfskräfte helfen mit, dass Studierenden
der Hochschulalltag erleichtert wird, sodass
mehr Energie für die Aufgaben in Vorlesungen
und Seminaren übrigbleibt. Ein Beispiel
veranschaulicht Seezeit selbst auf einem
Plakat: „Schweinegeschnetzeltes Züricher
Art“ lautet die Überschrift und darunter steht
der Preis - wenn es kein Studierendenwerk
gäbe - stolze 7,90 Euro. „Ohne Seezeit wäre
die Mensa ein Restaurant“, ist darunter zu lesen.
Und dass dieser Service erhalten und
ausgebaut werden kann, dafür sorgt letztendlich
jeder Studierendenwerksbeitrag.
Leider startet nicht jeder Mensch mit
den gleichen Voraussetzungen in das Hochschulleben.
Finanziell unsichere Verhältnisse
können den Studienalltag erschweren. Seezeit
zahlte im letzten Jahr rund 16,2 Millionen
Euro BAföG aus. Oder jemand kommt aus
dem Ausland und muss sich erst in der neuen
Umgebung zurechtfinden. Ein_e Andere_r
hat eine Behinderung oder eine chronische
Erkrankung und ist auf spezielle Hilfe angewiesen.
Und dann gibt es auch noch Mütter
und Väter, die studieren. Die Devise von Seezeit
steht dick und fett auf der ersten Seite
des Studierendenwerks-Magazins anlässlich
des 50-jährigen Jubiläums: „Jeder soll studieren
können.. Bildung soll schließlich für alle
zugänglich sein und somit trägt jede_r mit
einem kleinen Beitrag zur ständigen Verbesserung
dieses großen Vorsatzes bei und sorgt
dafür, dass alle Studierenden als Gemeinschaft
davon profitieren können. Baumgartl
erklärt: „Das Studium sollte weder vom Geldbeutel
noch von gesellschaftlichen oder gesundheitlichen
Faktoren abhängen. Deshalb
ist es unsere Aufgabe, für alle Studierenden
die passenden Angebote bereitzustellen, sei
es durch finanzielle Unterstützung, soziale
Beratung, günstige Essenspreise, bezahlbare
Mieten, Kinderbetreuung oder psychologische
Unterstützung.“ Dieser Leitgedanke
hat sich seit der Gründung von Seezeit 1969
nicht geändert. C
text_PIA_SAUTTER_illustration_LENA_LINK
SEEZEIT
23
Vielfältige Unterstützung:
für Studierende mit Kind
gibt es an der Uni viele
Anlaufstellen
Hausarbeiten, Klausuren, der Nebenjob, das Ehrenamt – studieren kann ganz schön
anstrengend sein. Aber was, wenn da plötzlich ein kleiner Mensch ist, der einen nachts
wach hält und tagsüber die volle Aufmerksamkeit fordert? Studieren und gleichzeitig ein
Kind aufziehen: Vor dieser Doppelbelastung stehen immer mehr junge Eltern. Die Zahlen
steigen seit Jahren. Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks lag
die Zahl studierender Eltern 2018 bei 130 000. Studierende mit Kind, die vor den finanziellen
und organisatorischen Herausforderungen stehen, die Elternschaft im Studium
mit sich bringen kann, sollen nicht alleine dastehen. Deshalb gibt es an der Uni Konstanz
verschiedene Angebote, die Eltern bei der Vereinbarkeit von Kind und akademischer
Ausbildung unterstützen sollen.
Die Sozialberatung von Seezeit kann eine erste Anlaufstelle sein, um sich über finanzielle Unterstützung,
wie etwa Elterngeld, zu informieren. Studierende, die unter der Doppelbelastung Kind-Studium leiden oder
psychologische Unterstützung in der Schwangerschaft in Anspruch nehmen wollen, können sich an die
kostenlose Psychotherapeutische Beratungsstelle von Seezeit (PBS) wenden. Auch im Studierenden-Service-
Zentrum (SSZ) gibt es eine eigene Sprechstunde zum Thema „Studieren mit Kind“, an die sich Eltern
und Schwangere mit ihren Fragen wenden können.
Sowohl Alleinerziehende als auch Paare können beim Studierendenwerk außerdem einen Antrag auf
„Wohnen mit Kind“ stellen und sich so auf einen Wohnheimplatz bewerben. Bis zum Alter von zehn Jahren
dürfen die Kinder von Studierenden in der Mensa außerdem kostenlos Mittagessen. Hierfür kann bei
Seezeit die „MensaKidsCard“ beantragt werden.
Mit dem frisch renovierten „Seezeit Kinderhaus“ bietet das Studierendenwerk außerdem ein
Betreuungsangebot, das sich explizit an Studierende mit Kind richtet. Insgesamt 80 Kinder und Kleinkinder
zwischen vier Monaten und sechs Jahren werden im Kinderhaus betreut. Die Einrichtung wurde für ihr
pädagogisches Konzept inzwischen zum dritten Mal mit dem Zertifikat „Haus der kleinen Forscher“
ausgezeichnet. Auch hier macht sich der steigende Betreuungsbedarf unter den Studierenden bemerkbar:
„Zeitweise haben wir sehr viele Anfragen. Dann versuchen wir stets individuelle Lösungen zu finden und
arbeiten auch mit dem Kinderhaus an der Uni zusammen“, erklärt die Leiterin der Krippe, Sandra Schächtle.
Seit 2012 gibt es an der Universität außerdem den „Studierenden Elternpass“. Mit diesem Konzept können
sich Studierende den Elternstatus gegenüber der Universität bestätigen lassen und viele Beratungs- und
Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen. Sie bekommen mit dem Elternpass beispielsweise Zugang
zum Stillzimmer der Uni (in K 501), können pro Semester eine Kopierkarte im Wert von 10 Euro beantragen
und die Notfallbetreuung der Uni in Anspruch nehmen. Im Rahmen dieses Konzeptes können sich
Studierende ebenfalls an Seezeit wenden und sich bei Marlies Piper in der Sozialberatung zu finanziellen
Fördermöglichkeiten beraten lassen.
Die Uni bemüht sich außerdem, Studierende mit Kind untereinander zu vernetzen: Es gibt eine eigene
Facebookgruppe, ein Mentoringprogramm und beim Hochschulsport bietet das Programm „uni Family“
Ausflugsmöglichkeiten für Familien mit Kind. Auch hier gilt: niemand soll mit der Doppelbelastung
Studium-Kindererziehung alleine gelassen werden. C
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KUNTERBUNTES
Kreuzworträtsel
24
24 34 43 9 20 14 16 14 21
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2 3 4 5 6 7 8 9 10
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WAAGERECHT 1 Ein immer unzufriedenes Küchentuch 11 Im kurzen Jahre des Herren 12 Könnten „The Mamas and the Papas“ generationenund
sprachübergreifend ergänzen 15 Brauchen „42 senkrecht“ und „46 waagerecht“ zum Sauerstoff filtern 16 Mit ein bisschen Gel wird’s schlau, ohne
gibt’s Ruhm 17 Wird betend zur Buchstabenreihenfolge 18 Schmückt Konstanzer Autos 19 Blutaufsaugender Vorsteher eines Ortes 20 Auch privat
kann Alterseinkommen finanziert werden 23 Sechste Degrowthkonferenz Location 24 Arm aber sexy 26 Schon eigen phasenweise tendenziell 31 Eine
Schwester von Lätta 33 Schmuck, der unter die Haut geht 35 Nicht rein, nicht im Sinne von sauber 37 Diese Schweizer beschützen den Papst in goldener
Robe 38 Am Silvesterabend James zu Ms. Sophie: „You are the…“ 39 Ohne ihn ist Hinz ein Niemand 40 … sich Buchstaben mit dem Titel 41 Das
Sahnehäubchen von Popeyes Leibgericht 43 Bestehen per Definition aus mindestens zwei Personen 46 Die „42 senkrecht“ aus salzigen Gewässern
47 Wünscht mensch sich auf manchem Klo
SENKRECHT 1 Gemeinsamer Nenner von Wasen und Wiesn 2 Italienische Region nlich einem männlichen Vornamen lateinischen Ursprungs
3 Nicht nur die mit „18“ waagerecht können hier übernachten 4 Eine krasse Druckeinheit 5 Unterrichtsfirma 6 Vorwärts wie rückwärts in Irland auch
als solche_r bekannt 7 fünfzehn Stellen nach „17 waagerecht“ 8 Verschlafene französische Rechtspopulistin 9 :) 10 Gegenteil von Hauptfüllung 13
Zwischen Soprano und Tenoro mitten hinein 14 Erhöht den Heartbeat im doppelten Sinne 18 Die „2“ mit einem n am Ende könnte ein solcher sein 21
Jugendwort, bei dem vor lauter aufs Handy gucken die Endung abhandenkam 22 Lokale Produkte können besonders schnell geliefert werden, Abkürzung
25 So führt die Seestraße am Bodensee entlang 27 Bier anbauender Landwirt 28 Machen den Eintritt in die Therme meist noch teurer, außer
in Finnland 29 Macht ein Biber mit einem Baum und ein Fehler am Gewissen 30 Trinkt Alster auf dem Drahtesel 32 Macht das Atom zum blauen Fleck
34 Das Sortieren von Herunterfallen dem dededee dededee dededeee de de deeee de dee dee dee de de 36 Im Magazin das Kreuz mit den Worten 42
Überaus glatter Fisch 44 Durch sie wird der Junggeselle zum Meister 45 Haben meist Hausnr.
einsendeschluss_23_03_2020_einsendungen an_L.LUTTENBERGER@POSTEO.DE_
zu gewinnen_3 x 2 STUDIKARTEN FÜRS BODENSEE PLANETARIUM
GLOSSE
25
unsere Freiheit
zu verletzen
“Ich weiß, dass meine Äußerungen nicht immer politisch korrekt sind
und manche Leute verärgern. Nehmen Sie das, was ich sage, einfach
nicht ernst”, sagt mein Professor am Ende einer Vorlesung, in der er
sich bereits peinlich lange mit dem Zustand seiner eigenen Potenz
beschäftigt hatte. Auch Greta Thunberg und gendergerechte Sprache
bekamen ihr Fett weg. Er sei sich bewusst, dass seine Äußerungen von
manchen als Kränkung empfunden werden könnten. Sich das vorhalten
zu lassen, sehe er aber nicht ein, weswegen die Vorlesungen in diesem
Semester zum ersten Mal seit langem nicht aufgezeichnet werden.
In Deutschland wird in diesen Tagen wieder viel über Meinungsfreiheit
gestritten – leider nicht in erster Linie deshalb, weil Neonazis
Journalist_innen und Aktivist_innen bedrohen, sondern weil die sogenannte
„Political Correctness“ zunehmend zur Zensurmaschinerie
der Linken stilisiert wird. „Wir beleidigen ja niemanden mit Absicht“,
rechtfertigten sich überwiegend weiße, männliche und heterosexuelle
Verfechter des Liberalismus in diversen Talkshows und auf den Titelseiten
großer Tageszeitungen. Wer sich durch unsensible Aussagen
gekränkt oder beleidigt fühlt, den stempelt diese Gruppe schnell als
dünnhäutig und überempfindlich ab. „Nehmen Sie mich nicht ernst“,
sagt mein Professor und weist damit jegliche Verantwortung für seine
Aussagen von sich.
Wenn man Witze macht, geschieht das oft entweder auf eigene Kosten
oder auf die Kosten anderer. Die Gruppe, die durch Political Correctness
ihre Meinungsfreiheit bedroht sieht, konnte über Jahrhunderte
hinweg maßgeblich bestimmen, auf wessen Kosten Witze gemacht
werden. Wenn sie jetzt Alarm schlagen, dann bedeutet das nur, dass
sie diese Entscheidung nicht mehr ohne Gegenwind treffen können.
Frauen, People of Colour, Menschen nonbinären Geschlechts – sie
alle verlangen plötzlich den Respekt, den diese privilegierte Gruppe
bisher ausschließlich für ihresgleichen reserviert hatte.
„Wir haben verlernt, unterschiedliche Meinungen auszuhalten“, und
„der Demokrat muss ein Schmerzkünstler sein“, schrieb Volker Kitz
schon 2018 in einem Text, den die ZEIT 2019 zum „Tag der Toleranz“
wieder aus ihrem Online-Archiv hervorgekramt hat. Diese Haltung verkennt
die Tatsache, dass Angehörige marginalisierter Gruppen oft ihr
ganzes Leben lang Schmerzkünstler_innen sein müssen, ohne je eine
Wahl zu haben. Ausgerechnet diejenigen, die in „Political Correctness“
eine Gefährdung ihrer Meinungsfreiheit sehen, werden am seltensten
Opfer von Diskriminierung oder struktureller Gewalt. Und doch ist es
offenbar bereits zu viel des Guten, wenn Menschen, die viele diskriminierende
Erfahrungen machen, verlangen, dass ihre Erfahrungen
ernst genommen werden und man sie beispielsweise durch sensible
Sprache berücksichtigt.
Für die Angehörigen marginalisierter Gruppen geht es dabei nicht
selten um die Anerkennung ihrer Existenz. Für die Liberalist_innen
geht es vor allem um die eigene Bequemlichkeit. Die Meinungsfreiheit,
für die die Gegner_innen der „Political Correctness“ kämpfen, ist vor
allem ihre eigene, persönliche Freiheit, andere verletzen zu können,
ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. Man kann diese
rücksichtslose Haltung natürlich vertreten, auch sie ist in Deutschland
durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Versucht man aber, dieses
hohe Gut der Demokratie dazu zu verwenden, um ihre Gegner_innen
zum Schweigen zu bringen, dann ist das schlicht feige. C
text_VIVIEN_GÖTZ_illustration_MAI_LINH_BUI
KULTUR
26
Du turnst für dein Leben
gern und willst mehr als
einmal pro Woche an die Geräte?
Du bist leidenschaftliche_r Teamsportler_in
und würdest gerne hier in Konstanz in einem
Verein am Spielbetrieb teilnehmen? Du findest
Fußball viel zu Mainstream und hättest Lust, dich im
American Football auszuprobieren? Kein Problem! In dieser
Übersicht zu Konstanzer Sportvereinen ist für alle etwas dabei,
denen der Hochschulsport einfach nicht ausreicht.
Von Rudern bis Thai Chi –
SC KONSTANZ-WOLLMATINGEN
Der Sportclub Konstanz-Wollmatingen hat
etwa 1 300 Mitglieder und ist damit der
größte Sportverein in Konstanz. Die hohe
Mitgliederzahl lässt sich auch darauf zurückführen,
dass der Sportclub aus zwei
ehemaligen Traditionsvereinen besteht. 2012
wurden der FC Konstanz und der FC Wollmatingen
zu einem Verein. Stand bei dem
Zusammenschluss noch der Fußball im
Vordergrund, bietet der Verein inzwischen
mit Tischtennis, Ringtennis und Gymnastik
mehr als nur das Spiel um das runde
Leder. In jüngerer Vergangenheit hat der
Sportclub zudem mit den Konstanz Seagulls
ein Lacrosse-Team und mit den Konstanz
Pirates ein American Football-Team
in den Verein aufgenommen. Mit dem Fürstenberg-Sportplatz,
der Frichtle Arena am
Hockgraben, dem Sportplatz am Waldheim,
dem Sportzentrum Wollmatingen Schwaketen,
der Turnhalle Berchenschule, dem
Bodenseestadion und dem Ringtennisplatz
im Strandbad Horn hat der Sportclub eine
Vielzahl an Sportstätten zur Verfügung.
KONTAKTDATEN UND WEITERE
INFOS GIBT’S UNTER:
HTTPS://WWW.SCKW.DE/
TV KONSTANZ
Beim Turnverein Konstanz steht dem Vereinsnamen
entsprechend Gymnastik aller
Art im Vordergrund. Das Sportprogramm
reicht von Eltern-Kind-Turnen und Kindersport
über Aerobic und Fitnessgymnastik
bis hin zu Thai Chi und Zumba. Dazu kommen
Faszien- und Muskellängen-Training,
Krafttraining und Nordic Walking. Des Weiteren
gibt es eine spezielle Abteilung für
Geräteturnen. Auch die Leichtathletik hat
beim TV Konstanz ihren festen Platz. Ein
Blick auf die weiteren Abteilungen zeigt,
dass auch der Mannschaftssport nicht zu
kurz kommt. Basketball, Fußball, Handball
und Volleyball können Mitglieder des Vereins
ausüben. Im Winter werden zudem
Skiausfahrten für die Mitglieder angeboten.
Bereits 1862 gegründet, ist der Turnverein
Konstanz wohl einer der traditionsreichsten
Sportvereine am Bodensee. Die Sportanlagen
des Vereins finden sich rund um
den Sportplatz am Schänzle.
ALLES WEITERE FINDET IHR HIER:
HTTPS://TV-KONSTANZ.DE/WP/
HOCKEY CLUB KONSTANZ
Im Stadtteil Staad an der Seehalde 15
kann im Hockey Club Konstanz auf
modernem Kunstrasen Feldhockey gespielt
werden. Das zugehörige Vereinsheim
wurde erst kürzlich neu gebaut und
kann auch von Nichtmitgliedern besucht
werden. Von Oktober bis März weicht der
Verein für die Hallensaison in die Halle
der Geschwister-Scholl-Schule oder die
Halle des Eisenbahnersportvereins aus.
Sowohl für Männer als auch für Frauen
bietet der Verein Mannschaften an. Auch
Neulinge sind hier stets willkommen.
ALLES, WAS IHR WISSEN MÜSST,
FINDET IHR HIER:
HTTPS://WWW.HCKAMSEE.DE/
text_NIKLAS_LEMPERLE_illustration_MAI_LINH_BUI
RUDERVEREIN NEPTUN
KULTUR
Die Lage von Konstanz direkt am Bodensee
verspricht nicht nur Abkühlung für Studierende
im Sommer, sondern auch mehr Sportmöglichkeiten.
So kann in Konstanz unter anderem
gerudert werden. Bereits seit 1885 werden
im Ruderverein Neptun ganzjährig Boote über
den See bewegt. Die Vereinsstätte liegt direkt
am Seerhein bei der Bushaltestelle Sternenplatz/
Spanierstraße. Insgesamt besitzt der
Ruderverein 44 Boote aller Art. Mitglieder
haben also verschiedene Möglichkeiten zum
Rudern. Im Bereich Leistungssport konnte
der Verein in seiner Geschichte einige Erfolge,
unter anderem bei olympischen Spielen,
sammeln. Doch auch Anfänger_innen sind
im Ruderverein Neptun herzlich willkommen.
Der Einstieg in den Sport und die Aufnahme
erfolgen dann über einen Anfängerkurs, der
immer im Frühjahr absolviert werden kann.
Ferner bietet „Neptun“ Wander- und Fitnessrudern
an. Die Mitglieder kommen nicht nur
in den Genuss, Boote ausleihen zu können.
Über das Jahr hinweg werden auch Feste und
Feiern veranstaltet, so zum Beispiel die Bodenseewoche.
In dieser finden verschiedene
Bootswettbewerbe statt, zudem gibt es ein
vielfältiges Rahmenprogramm, unter anderem
mit maritimem Markt, Riesenrad, Kinderbootfahrten,
verschiedenen Shows auf dem Wasser
und Konzerten.
NOCH MEHR DETAILS GIBT’S HIER:
HTTPS://WWW.RVNEPTUN.DE/
SCHWIMMCLUB SPARTA KONSTANZ
Echte Wasserratten kommen in Konstanz im
Schwimmclub Sparta auf ihre Kosten. Mitglieder
haben hier die Möglichkeit, an leistungsorientiertem
Schwimmen oder Wasserball
teilzunehmen. Sowohl für Einzel- als auch
für Mannschaftssportler_innen ist also etwas
geboten. Im Bereich Breitensport bietet der
Schwimmclub mit Aqua-Masters, Aqua-Sport,
Aqua-Swim, Aqua-Fit, Fit & Swim und Fit &
Fun zudem Gruppen für Jugendliche und Erwachsene
an, in denen Spaß am Schwimmen
und die körperliche Fitness im Mittelpunkt
stehen. Hier kann aber auch an der Technik
und an der Ausdauer gearbeitet werden.
Zusätzlich werden Kurse zum Erlangen verschiedener
Schwimm-Abzeichen angeboten.
Die diversen Angebote finden im Hallenbad
am Seerhein oder in der Therme statt. In der
sogenannten „alten“ Halle am Seerhein gibt es
ein Vereinsheim mit eigenen Kraft- und Gymnastikräumen.
Mit dem „Wasserfloh“ existiert
außerdem eine Vereinszeitschrift, die zwei
Mal im Jahr erscheint.
GENAUERE INFORMATIONEN
FINDET IHR HIER:
HTTPS://WWW.SPARTA-KONSTANZ.DE/
SPARTA/INDEX.PHP C
27
Konstanzer SportvereineimPorträt
KONSTANZER ROLL-
UND EISSPORTCLUB
Wer es etwas wilder mag, ist
möglicherweise beim Konstanzer
Roll- und Eissportclub gut aufgehoben,
schließlich werden hier Roll- und Inlinehockey
angeboten. Die Halle des Vereins liegt direkt an der
Bushaltestelle Tannenhof am Salesianerweg 12. Hier
findet auch Rollkunstlauf statt. Ebenfalls Eingang in den
Verein hat der Eiskunstlauf gefunden. Dieser findet in der
Bodensee-Arena in Kreuzlingen statt.
WEITERE INFORMATIONEN GIBT’S UNTER:
HTTP://WWW.KONSTANZER-REC.DE/HTM/1_DE.HTML
KULTUR
ein platz in sicherheit
Der „Mädelstreff“ in Konstanz. Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
28
Es ist Samstag, 15:00 Uhr in Konstanz. Für rund 20
geflüchtete und deutsche Mädchen im Alter zwischen 13
und 18 Jahren bedeutet das: „Mädelstreff“. Heute steht, wie
an jedem zweiten Wochenende, das „Lerncafé“ auf dem
Programm. Hier treffen sich die Mädchen gemeinsam mit
Ehrenamtlichen, darunter hauptsächlich Studentinnen, um
sich auszutauschen und für die Schule zu lernen.
Der Mädelstreff findet in einem kleinen aber sehr sicher
wirkenden Raum statt. Dieses Gefühl entsteht vor allem
dadurch, dass er abgelegen von der Straße ist und somit
frei vom Lärm des Verkehrs. Es herrscht hektisches Treiben
und nach und nach kommen immer mehr Mädchen dazu,
die sehr freundlich und neugierig in die Runde blicken. Nach
einer Weile sitzen alle um einen großen Tisch, an dem Silvia
Baumann die „Befindlichkeitsrunde“ einleitet. Sie ist eine
der Gründerinnen des Mädelstreff, die das Projekt hauptamtlich
begleitet. Jetzt haben die Mädchen die Chance, zu
erzählen, wie sie sich fühlen, was sie beschäftigt und wie ihre
Woche war. Wie aus späteren Gesprächen ersichtlich wird,
schätzen die Mädchen diese Runde sehr. „Wir dürfen ehrlich
sein“, erzählt Sara, ein 13-jähriges Mädchen aus Syrien. Kurz
darauf teilen sich alle in kleinere Gruppen auf, geleitet von
jeweils einer Studentin, die den Mädchen bei ihren Hausaufgaben
hilft.
Im Jahre 2016, nachdem die Bundesregierung mit
der Bitte, Integrationsprojekte zu fördern, auf die Malteser
zukam, hat sich Silvia Baumann zunächst gefragt,
wo es Bedarf geben könnte. Sie wusste zwar schon von
vielen Angeboten für junge Männer, insbesondere im
Bereich Sport, ein Angebot für junge Frauen war aber nicht
bekannt. Daraufhin hat sie sich an die Organisation „Save
me“ gewandt, die sich um die Unterstützung und Integration
von Geflüchteten in Konstanz kümmert.
Auch hier herrschte schnell Einigkeit: Für junge Mädchen
und Frauen müsse etwas getan werden. Bei „Save me“
kam diese Idee von Marion Woelki, die außerdem das Referat
für Gleichstellung, Familienförderung und Diversity an
der Universität leitet.
Erste Vorstellungen über inhaltliche Themen, über
die die Gründerinnen mit den Mädchen sprechen wollten,
drehten sich vorwiegend um Gender-Themen und
„Empowerment“. „Doch wir kamen schnell auf den Boden
der Tatsachen zurück“, erklärt Silvia Baumann. Für diese
Themen war es viel zu früh. Man müsse erstmal mit den
Basics anfangen. „Wie fährt man Bus?“, „Was ist eine Bibliothek?“
und besonders wichtig: „Was für Schultypen gibt es?“
Schwierig war zu Beginn des Projekts auch der Umgang mit
den Müttern. Diese wollten häufig nicht, dass die Mädchen
alleine das Haus verlassen, daher mussten sie zu den Treffen
mit eingeladen und vor allem einbezogen werden. Das
wurde den Vorstellungen der Gründerinnen nicht gerecht,
weil statt der Mädchen plötzlich die Mütter im Vordergrund
standen. So kam es 2016 zu einem Neustart und nach einem
Aufnahmestopp im Frühling diesen Jahres besteht der Mädelstreff
nun aus zwei unterschiedlichen Gruppen. Mädchen
von 12 bis 17 Jahren und Mädchen ab 17 Jahren, dem
sogenannten „Young Women’s Club“. „Wenn die Mädchen
älter werden, entstehen plötzlich andere Themen, die mit
einer 13-Jährigen zum Beispiel nicht besprochen werden
können“, so Silvia Baumann.
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KULTUR
Rawan ist ein 16-jähriges Mädchen aus Syrien. Sie ist vor
drei Jahren nach Deutschland gekommen und seit zwei Jahren
beim Mädelstreff dabei. Sie erzählt von den Veränderungen,
die sich durch den Mädelstreff in ihrem Leben ergeben ha-
ben: „Ich wurde stärker und selbstständiger“, sagt sie voller
Stolz. Auf die Frage, was ihr am besten an dem Projekt gefällt,
antwortet sie: „Egal, was passiert, eine große Gruppe steht
immer hinter mir.“ Der Mädelstreff sei für sie der erste Schritt
in ihr neues Leben in Deutschland gewesen. „Ich bin eine neue
Rawan, ich fühle mich wie neugeboren“, sagt sie mit einem
Lächeln im Gesicht.
29
anderen Mädchen aus dem Mädelstreff, beim Sanitätsdienst
der Malteser tätig.
Es geht auch darum, herauszufinden, wo die einzelnen
Stärken der Mädchen liegen. An jedem zweiten Wochenende
werden deshalb zusätzliche Aktivitäten angeboten, wie Tanzen,
Basteln oder Sport. Großes Ziel für 2020 ist es laut Silvia
Baumann, dass jedes Mädchen ein Hobby findet, das ihr Spaß
macht. Themen wie Sport, Ernährung, Umweltschutz oder
soziales Engagement waren in den Heimatkulturen meistens
anders, bzw. noch nicht so stark verankert. Jetzt gelte es sie
noch stärker dafür zu sensibilisieren.
Das Gemeinschaftsgefühl unter den Mädchen wird
schnell ersichtlich. Was ihnen am besten gefällt, ist der sammenhalt untereinander. Darüber sind sich die Mädchen
Zueinig.
So erzählt die 16 Jahre alte Robin aus Syrien, die erst
seit drei Wochen dabei ist, dass alle sehr nett zu ihr seien und
sie schon neue Freundinnen gefunden habe. Der Mädelstreff
bereite ihr großen Spaß und sie wolle auf jeden Fall weiterhin
zu den Treffen kommen.
Neben dem sozialen Aspekt steht aber auch das „Frau-
Sein“ im Vordergrund. Das Projekt richtet sich bewusst nur
an Frauen und so spielen Themen wie Sexualität, Liebe und
weibliche Lebensentwürfe eine große Rolle. Werte von
Gleichberechtigung und Freiheit werden vermittelt. Rawan
erklärt: „Ich bin ein Mädchen, keiner darf mit meinen Gefühlen
spielen!“
Auch werden die Mädchen dabei unterstützt, ihre
Träume und Ziele zu verwirklichen. Bildung und ein guter
Abschluss sind für sie alle sehr wichtig. Die 19-jährige Noura,
die vor vier Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam und
zu den ersten Mitgliedern des Mädelstreff zählt, berichtet
von ihrem Traum, Medizin zu studieren. „Wenn man etwas
wirklich will, dann kann man das auch schaffen.“ Um ihrem
Ziel näher zu kommen, ist sie bereits, zusammen mit vielen
Die beiden Gruppenleiterinnen sowie die Ehrenamtlichen
scheinen sehr zufrieden mit der Entwicklung des Projekts.
„Was mich im Moment sehr berührt ist, dass wir den
Erfolg des Projekts aufgezeigt bekommen“, so Silvia Baumann.
Mädchen, die schon lange dabei sind, kommen seltener, gehen
nun aber selbstständig mit ihren Freundinnen shoppen oder
fahren am Wochenende mit dem Zug in umliegende Städte.
Und genau das sei das Ziel. Genau das bedeute Integration.
Es gehe nicht darum, die Mädchen so lange wie möglich bei
den Treffen dabeizuhaben, sondern darum, dass sie irgendwann
ihre eigenen Wege gehen. Trotzdem besteht weiterhin
Kontakt zu ihnen und wenn sie wieder einmal Hilfe benötigen
sollten, dann werden sie diese auch bekommen.
Celine, eine der Studentinnen, die sich beim Mädelstreff
engagiert, erzählt abschließend, dass sie vor allem das Ehrliche
und Offene schätzt: „Die Mädchen waren direkt herzlich zu
mir, obwohl sie mich gar nicht kannten.“ Ein Eindruck, der
sich schnell nachvollziehen lässt. C
KOLUMNE
DRINNEN HÄNGEN STEHEND LEUTE,
SCHWEIGEND INS GESPRÄCH VERTIEFT
30
Ich liebe es, beim Zugfahren aus dem Fenster zu schauen. Einfach zu schauen,
tief in die vorbeirollenden Wiesen hinein zu meditieren und alle unsortierten, wirren
Gedanken fein säuberlich aufgereiht an den vorüberflitzenden Bäumen zum Trocknen
aufzuhängen. Ich selbst sitze ruhig auf meinem Platz, nur die Welt um mich herum
bewegt sich schnell vorwärts oder rückwärts, je nach Perspektive. So entspannend
das ist, so überfordernd ist es, wenn ich am Zielbahnhof aussteige und feststelle: Ich
habe mich doch die ganze Zeit bewegt. Ich habe es nur nicht gemerkt, weil ich mich
in einer Maschine, eingehängt zwischen Rädern und
Stahlseilen, habe treiben lassen. Dann habe ich das
Gefühl, mich erstmal selbst wieder einholen zu müssen.
So ähnlich fühle ich mich an Silvester. Silvester
als Tag, der mir mit lautem Radau und Raketenknall
keinen Zweifel daran lässt, dass jetzt seit dem letzten
31. Dezember ein ganzes Jahr vergangen ist. Es ist dieses
Gefühl von „Ähh, was ist nochmal genau alles in
diesem Jahr passiert und wann genau ist das nochmal
vorbeigegangen? Ich habe doch noch nicht mal fertig
gefrühstückt…“ – „Absurd“ beschreibt es ganz gut.
Wenn ich zurückblicke und überlege, wo ich losgefahren bin, verschwimmt in meinem
Kopf alles zu einem Wassermalbild aus grün, braun und blauem oder grauem Himmel.
Einen großen Teil der Zeit saß ich in meinem Alltagszug und habe mich in meine Stahlseile
eingehängt, mit denen ich routinemäßig wunderbar funktioniert habe. Eine Haltestelle
kam nach der anderen und ich rollte wie eine Lok auf zwei Beinen vorwärts. Mein
Zielbahnhof war manchmal das Ende der Klausurenphase, manchmal herausfinden,
was ich mit meinem Leben machen möchte und manchmal der WG-Putzdienst. Manche
Passagen in meinem Rückblick sind schwarze Nachtfahrten. Und an manchen Stellen
ist ein Punkt. Das bin ich, wie ich am Bahnhof stehe, bereit aufzubrechen, nicht ganz
sicher, ob ich wirklich alles Nötige eingepackt habe und ob ich überhaupt am richtigen
Gleis stehe. Dann hat der Zug Verspätung. Zwischen passivaktiv Dinge tun, Anschlüsse
verpassen, überlegen, wo ich überhaupt hinfahren möchte und welche Verbindung die
beste ist. Und dann in Stuttgart übernachten, weil ich den letzten Zug nach Konstanz
verpasst habe. Ungefähr das ist im letzten Jahr passiert.
Ich sitze im Moment im Zug, schaue abwechselnd aus dem Fenster und auf den
Computerbildschirm. An den Bäumen, die schon wieder am Zugfenster vorbeigeflogen
sind, hängen meine Gedanken in einer Reihe. Auf dem Papier stehen sie in einer
Schlange. Manchmal weiß ich nicht, ob ich lieber stehen oder hängen soll. Es ist ein
bisschen absurd, dass dieser Text schon 2020 rauskommt. Ich frage mich, wann das
Jahr 2019 passiert ist und was ich da nochmal gemacht habe. C
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