PT-MAGAZIN 02 2020
Offizielles Magazin der Oskar-Patzelt-Stiftung. Titelthema: Keine Angst vor Krisen. Nominierungsliste 2020 des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes". Motto: Meilensteine setzen.
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Lifestyle | Auto<br />
<strong>PT</strong>-<strong>MAGAZIN</strong> 2/2<strong>02</strong>0<br />
Fotos: Wilhelm-Rafael Garth<br />
64<br />
Geladen und Entsichert<br />
Jaguar, als ehemals britische Traditionsmarke,<br />
steht auch unter der<br />
Schirmherrschaft der einstigen Kolonie<br />
Indien für starke Werte. Sportlichkeit,<br />
Eleganz, aufregendes Design und emotionale<br />
Schicklichkeit sind die Dinge, die<br />
der anglophile Automobilenthusiast mit<br />
Jaguar assoziiert. Umso aufregender also,<br />
wenn sich der britische Klassenprimus<br />
aufmacht, neue Wege zu entdecken und<br />
sich traut, den Weg der Elektromobilität<br />
zu gehen, vor dem sich die europäischen<br />
Automobil Global Player so zieren.<br />
Jaguar präsentiert den I-Pace, verspricht<br />
knapp 470 km Reichweite bei<br />
400 Elektropferden verteilt auf 2 Elektromotoren,<br />
und ein Drehmoment von ca.<br />
700 Nm. Dieses Leistungsprofil katapultiert<br />
den Oberklasse-SUV von 0-100 km/h<br />
in weniger als 5 Sekunden und es wird<br />
schnell klar, dass besagte Elektropferde<br />
auch die Reiter der Apokalypse sein könnten,<br />
nur leiser.<br />
Besteigt man das noch ungewohnt<br />
anmutende Gefährt, dessen gewöhnungsbedürftiges<br />
Design der maximalen<br />
Aerodynamik geschuldet ist, findet<br />
man sich in einem aufgeräumten Cockpit<br />
wieder, was durch Verarbeitung und<br />
Haptik zu überzeugen weiß. Jede Taste<br />
lässt sich gerne drücken und die Klimasteuerung<br />
über ein eigenes freischwebendes<br />
Display ist nicht nur innovativ, sondern<br />
auch angenehm zu bedienen. Das<br />
ganze Multimediasystem könnte etwas<br />
schneller auf die Befehle reagieren, birgt<br />
aber dafür viele Individualisierungsmöglichkeiten<br />
und Reize für den informationsaffinen<br />
Autofahrer, unter anderem<br />
eine Active Sound Design Modifikation,<br />
die den Innenraumsound im Beschleunigungsfall<br />
simuliert und einen ernsthaft<br />
und aufrichtig denken lässt, man knallt<br />
mit Warpgeschwindigkeit über die Autobahnen<br />
der Normalsterblichen.<br />
Jaguar selbst beschreibt den I-Pace<br />
als Performance SUV und dieses Versprechen<br />
löst die 2,2 Tonnen schwere Stromkutsche<br />
in jeder Kurve ein. Die Akkumulatoren<br />
liegen am Fahrzeugboden, der<br />
Schwerpunkt ist entsprechend niedrig.<br />
In der Praxis bedeutet dies, dass man<br />
diesen lokal emissionsfreien Schwerenöter<br />
gekonnt durch jede Kurve prügeln<br />
kann, ohne an Geschwindigkeit oder gar<br />
Anmut zu verlieren.<br />
Am Ende jeder Fahrt, so komfortabel<br />
oder sportiv sie auch ausgefallen sein<br />
mag, steht aber die leere Batterie. Diese<br />
wieder zu laden, der Katze ihren Spirit<br />
zurückzugeben, fällt da schon etwas<br />
unerfreulicher aus. Da Deutschland bei<br />
neuen Technologien stets als Entwicklungsland<br />
glänzt, ist das Ladesystem<br />
selbst in der Großstadt weder ausreichend<br />
genormt, noch ausgebaut. Sollte<br />
man also zu Hause nicht die Wallbox<br />
haben, mit der Elektromobilität erst richtig<br />
Sinn macht, fährt man gern mal eine<br />
halbe Stunde zu einer Ladebuchse, um<br />
festzustellen, dass irgendein unachtsamer<br />
Student die Ladebuchse mit seinem<br />
Carsharing-Fahrzeug so zugestellt hat,<br />
dass man den Jaguar nicht laden kann<br />
oder die Safttanke eh keinen freien Platz<br />
mehr bietet. Hier zeigt sich, dass eine<br />
nach dem Linksverkehr ausgerichtete<br />
Ladebuchse am linken Kotflügel für das<br />
Laden am Seitenstreifen nur umständlich<br />
nutzbar ist. Aber der I-Pace ist mit<br />
dem CCS-System über 20 Kilowatt in 45<br />
Minuten halbvoll und in der Regel nach<br />
zwei Stunden vollständig geladen. Zwei<br />
Stunden klingen viel, aber diese waren<br />
die Zeit, in der ich während der Testphase<br />
in die interessantesten Gespräche mit<br />
Gleichgesinnten verwickelt wurde, die<br />
ebenfalls dieser Zwangspause unterlagen.<br />
Zum Ende entwickelten sich sogar<br />
Geschäftskontakte, so dass ich die Ladezeit<br />
stets produktiv in meinen Tagesablauf<br />
einbauen konnte.<br />
Der Jaguar I-Pace macht seine Sache<br />
richtig, er überzeugt durch hohe Verarbeitung,<br />
die man bei Tesla vergebens sucht,<br />
geht einen vertretbaren Kompromiss bei<br />
Ladezeit und Reichweite ein und emotionalisiert<br />
über sein Fahrverhalten. Hoffen<br />
wir, dass Elektromobilität, wie Jaguar sie<br />
vorlebt, nicht das Ziel ist, aber vielleicht<br />
die richtige Antwort auf die Fragen, die<br />
uns in eine neue Welt begleiten. ó