Schritt für Schritt zur eigenen Mitte: Mein Jakobsweg. Leseprobe_XXL
Pilgern? Nichts für mich, hätte Katharina Lankers noch vor wenigen Jahren gesagt. Doch in Krisensituationen ist vieles anders… Hier eine XXL-Leseprobe aus ihrer persönlichen Reiseerzählung
Pilgern? Nichts für mich, hätte Katharina Lankers noch vor wenigen Jahren gesagt. Doch in Krisensituationen ist vieles anders…
Hier eine XXL-Leseprobe aus ihrer persönlichen Reiseerzählung
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in die Berge geht. Ich wünsche mir eine Tarnkappe, die mich für kommunikationsfreudige
Mitmenschen unsichtbar macht – es ist so unglaublich
anstrengend, immer wieder dieselben Floskeln auszutauschen: Wo
kommst du her, gehst du heute noch weiter, bist du schon mal den
Ca mino gegangen, und so weiter. Mir ist einfach noch nicht danach. Zum
Glück für mich haben fast alle Gäste ihre Smartphones dabei, und in
dieser Herberge gibt es WiFi. So beschränkt sich das Gespräch meist
auf die unvermeidlichen Begrüßungsfloskeln, und den Rest der Zeit
kann ich unbehelligt den anderen beim Surfen, Chatten und Posten zusehen
und meinen eigenen Gedanken nachhängen.
Wieder eine Erlösung, als endlich die Zimmer zum Bezug freigegeben
werden. In einem Achterzimmer mit vier Stockbetten soll ich schlafen.
Die besten Plätze sind schon besetzt und mir bleibt nur ein oberes Bett
neben der Tür. Egal, ich habe mir ja vorgenommen, offen für alles zu
sein und meine Ansprüche nicht zu hoch anzusetzen. Hauptsache, ich
komme raus aus den klammen Klamotten in die heiße Dusche und kann
dann in meinen warmen Schlafsack krabbeln. Es ist erst der halbe Tag
rum, und ich stelle mich wieder auf stundenlanges Dösen, In-die-Gegend-schauen
und vielleicht ein bisschen Schlafen ein, während draußen
der Regen aufs Dach trommelt. Ein Anflug von Neid überkommt mich,
als ich eine Zimmerkollegin mit einem Buch auf ihrem Bett sehe: Das
wäre genau der richtige Tag, um mal in Ruhe ein ganzes Buch zu lesen!
Auch dafür habe ich schon seit Ewigkeiten keine Zeit gehabt. Du hast
es nicht anders gewollt, sage ich mir, und wenigstens dieses Extragewicht
einer Lektüre werde ich nicht mit mir herumschleppen müssen.
Auch in dieser Herberge wird ein gemeinsames Abendessen für alle
angeboten, und mir graust schon wieder ein bisschen vor der erzwungenen
Geselligkeit. Die Vorstellungsrunde geht diesmal gottseidank der
Reihe nach, und man sagt nur seinen Namen und das Land, aus dem
man kommt. Unkritisch. Neben mir am Tisch sitzt genau meine Zimmerkollegin
mit dem Buch, Sofia aus Dänemark, und auf der anderen
Seite Erik aus Schweden. Dieses Mal ergibt sich die Kommunikation
ganz von selbst, ohne Anstrengung, denn nach wenigen Sätzen sind wir
schon über die Oberflächlichkeiten hinaus: Erik erzählt von seiner
Krebserkrankung, die ihn viele Monate ans Bett gefesselt hat. Für ihn
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