Schritt für Schritt zur eigenen Mitte: Mein Jakobsweg. Leseprobe_XXL
Pilgern? Nichts für mich, hätte Katharina Lankers noch vor wenigen Jahren gesagt. Doch in Krisensituationen ist vieles anders… Hier eine XXL-Leseprobe aus ihrer persönlichen Reiseerzählung
Pilgern? Nichts für mich, hätte Katharina Lankers noch vor wenigen Jahren gesagt. Doch in Krisensituationen ist vieles anders…
Hier eine XXL-Leseprobe aus ihrer persönlichen Reiseerzählung
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bezüglich Reservierungen eines Besseren belehrt. Er hat ein Einsehen:
Ich bekomme einen Zettel in die Hand gedrückt, Bettnummer 105 steht
darauf. Was für ein Glücksgefühl! Und was für eine Spannung! Die
Treppe hoch gehen, voller Vorfreude, bereit für jede Überraschung, die
mir diese außergewöhnliche Lotterie zu bieten hat. Ich finde einen riesigen
langgezogenen Schlafsaal in den Klostermauern vor, mit 80 Betten,
nur durch Holztrennwände in Vierer-Nischen unterteilt. Und die Nummer
105 ist ein unteres Bett! Keine Kraxelei wie in der Nacht zuvor, und
ein direkter Zugang zum Rucksack, der neben dem Bett stehen bleiben
kann – welch ein Luxus! Der absolute Jackpot, freue ich mich.
Bis ein weiterer Gast auftaucht, ein Franzose, deutlich älter als ich,
und sich seufzend anschickt, das obere Bett zu erklimmen. Als ich sehe,
wie er sich abmüht, kann ich nicht anders, als ihm den Tausch anzubieten.
»Really?« Was für eine Freude in seinen Augen! Da fällt es mir
nicht schwer, auf den vermeintlichen Luxus zu verzichten – auch das
obere Bett ist wunderbar für mich. Und Pierre, so heißt der Franzose,
ist ein total netter Kerl, der sogar ziemlich gut englisch spricht, denn
mit meinem Französisch ist es nicht so weit her. Seit einem Monat ist
er schon unterwegs, erfahre ich, bereits 800 Kilometer ist er durch
Frankreich gelaufen und hat es jetzt nochmal so weit bis nach Santiago.
Ich staune ehrfürchtig: Da sitzt jemand, der ganz frisch 800 Kilometer
in den Knochen stecken hat. Braungebrannt, wettergegerbt, und doch
ein völlig normaler Mensch, sogar ein Rentner, wie er mir erzählt. Es
ist also wirklich zu schaffen, eine solche Distanz unbeschadet zu überstehen.
Und das, obwohl er absolut untrainiert gestartet ist, wie Pierre
erzählt, und besonders in der ersten Woche furchtbar gelitten hat: »Iit
was haard, veri haard!«, bestätigt er in seinem putzigen französischen
Akzent.
Ungläubig registriere ich dann, wie Pierre sein Smartphone hervorholt
und darauf herumzutippen beginnt. In ganz weite Ferne gerückt
war für mich die Existenz dieser Geräte, von denen mir heute noch keins
wirklich begegnet ist, und ich habe nicht die geringste Idee, wofür man
hier und jetzt ein Smartphone brauchen sollte. Er füttert seinen Blog,
erklärt mir Pierre fast schuldbewusst – habe ich ihn etwa vorwurfsvoll
angestarrt? Es gibt einige Leute zuhause, die seinen Weg mitverfolgen
und so postet er täglich einen kleinen Bericht und ein paar Bilder. Welch
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