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BLICKPUNKT.

NR. 5 / AUSGABE 2020/21

ALTSCHWABING

DAS PFARRVERBANDSMAGAZIN VON ST. SYLVESTER UND ST. URSULA


BLICKPUNKT.

Impressum

V.i.S.d.P:

Pfarrverband Altschwabing

Kath. Pfarramt St. Ursula

Kaiserplatz 1, 80803 München

Tel.: 089/3837703 / Fax 089/341252

E-Mail: st-ursula.muenchen@ebmuc.de

Internet: www.altschwabing-katholisch.de/sankt-ursula

Kath. Pfarramt St. Sylvester

Biedersteiner Str. 1, 80802 München

Tel.: 089/330074-3 / Fax 089/330074-55

E-Mail: st-sylvester.muenchen@ebmuc.de

Internet: www.altschwabing-katholisch.de/sankt-sylvester

Chefredaktion: Gerd Henghuber

Gestaltung: Martin Jarde

Redaktion: Benedikt Breil, Tobias Gebhard, Regina Holzer, Martin Jarde,

Annette Krauss, Klaus Lang, Bastienne Mues, Dr. Robert Mucha, Marcel Renneberg,

Svenja Ritzer, Miriam Schmucker, Michael Steinbacher, David Theil

Fotos: Lukas Barth, Peter Braun, Jimmy Dolle, Gerd Henghuber, Till Hofmann,

Martin Jarde, Klaus Lang, Bastienne Mues, Stephan Rumpf, Anja Wechsler

Photography, Deutsche Bischofskonferenz, Süddeutsche Zeitung, Katholische

Nachrichtenagentur

Kontakt: redaktion@altschwabing-katholisch.de

2


Editorial

IM ANFANG WAR

DAS WORT

Wir leben von den Ja-Worten des Lebens

und dem JA zum Leben

Liebe Leserin, lieber Leser,

Verunsichert, schockiert, voller

Fragen, sind wir – Ängste ums

Leben und die eigene Existenz

bewegen Menschen in der Corona-

Pandemie. Es gibt kein Rezept und

wir stehen in dieser Situation vor

der Herauforderung, Solidarität unter

völlig veränderten Bedingungen

zu üben. Und die anderen Themen

und Aufgaben sind ja nicht einfach

weg oder gar gelöst. Wir werden

durch diese weltweite Krise eine

neue Haltung lernen müssen und da

haben wir Christinnen und Christen

eine spezifische Rolle.

Gott wird Mensch – das ist die Mitte

der christlichen Botschaft und zugleich

das Alleinstellungsmerkmal

des Christentums. Das Johannesevangelium

beschreibt diesen schwer

zu fassenden Vorgang in einem Lied,

dem sogenannten Logos-Hymnus

„im Anfang war das Wort und das

Wort war bei Gott und Gott war das

Wort (Joh 1,1) ... und das Wort ist

Fleisch geworden und hat unter uns

gewohnt ...“ (Joh

1,14).

Wort wird

Fleisch, Worte

werden Fleisch,

das heißt für

mich, wir haben

Verantwortung

für unser Wort,

für unsere Worte.

Worte wollen

wahrhaftig und verlässlich sein und

ein gutes Leben ermöglichen. Wir

wollen Worten vertrauen können.

Wir leben von den Ja-Worten des Lebens

und dem „JA“ zum Leben.

Populismus vergiftet die Sprache

und macht Menschen verächtlich

Wenn Worte zu Lügen missbraucht

werden, wird menschliches Leben

zersetzt und ein freies, verantwortetes

Miteinander verunmöglicht.

Lüge, Wahrheit zu nennen ist der Zynismus,

der Vertrauen zerstört.

Und wenn Wort voller Hass Fleisch

wird, zerstört es andere Menschen,

3


BLICKPUNKT.

bringt sie ums Leben und frisst letztendlich

auch das eigene Leben auf.

Das erleben wir bedrückend in unserer

Zeit, auch durch die Fratze des

Populismus dieser Tage. Der Satz:

„Das wird man doch noch sagen

dürfen ....“ wird zum Einfallstor für

das Verächtlichmachen von Menschen

durch vergiftete Sprache. Es

ist zu wenig diesen Zustand nur zu

beklagen. Es ist gefährlich, sich einfach

ins Private zurück zu ziehen.

Gerade Christinnen und Christen ist

die Verantwortung für die Sprache

anvertraut zum Wohle unseres gesellschaftlichen

Miteinanders.

Benedicere heißt nicht nur segnen,

sondern zunächst „gut sprechen“

Wir wollen unsere Verantwortung für

Schöpfung und Klima, für eine soziale

Marktwirtschaft, für kluges politisches

Handeln für eine menschliche

Gesellschaft, für ein solidarisches

Miteinander in der einen Welt und

für den Dialog der Religionen und

Weltanschauungen annehmen, weil

wir uns eben von einem Mensch

gewordenen und menschenfreundlichen

Gott in diese Verantwortung

gesetzt wissen.

Unser Blickpunkt legt unter anderem

darüber Rechenschaft ab, wie wir

hier in Schwabing unser Christsein

leben und aus diesem Geist Stadtgesellschaft

gestalten. „Katholisch

– für alle offen, verstehen wir unser

Leben als dialogischen Weg des Miteinanders

in Verschiedenheit. Wir

begreifen Verschiedenheit nicht als

Bedrohung, sondern als Bereicherung.

Auch deshalb suchen wir auf

diesem Weg „Verbündete“ die mit

uns Verantwortung tragen und übernehmen

wollen für eine menschliche

Gesellschaft über die Grenzen von

Pfarrei und Pfarrverband hinaus.

Dies macht die aktuelle Krise noch

deutlicher – wir brauchen einander,

die Zeit der ICH-Menschen ist vorbei,

wir brauchen ein neues WIR, ein Miteinander

in dem wir exemplarisch

Verantwortung für unsere Freiheit

übernehmen und dies im Dialog

miteinander üben. Die Herausforderungen

der Zeit meistern wir nur

gemeinsam. So wollen wir in aller

Bedrohung das Gute zum Sprechen

bringen.

Wir wollen gut sprechen – das Gute

zur Sprache bringen und Fleisch werden

lassen – „benedicere – Gutes/

gut sprechen – segnen“. In diesem

Sinne wollen wir als Kirche Segen

sein im Heute der Welt mit Ihnen zusammen

für Welt und Menschen in

Miteinander, Respekt und Frieden.

Ihr David Theil

Rechts: Die neu renovierte Kuppel von

St. Ursula

4



BLICKPUNKT.

WER SICH LIEBT,

IST VON GOTT

GELIEBT

Der Valentinsgottesdienst erinnert am 14. Februar

an die religiösen Wurzeln des populären Tags

Von Regina Holzer

Der Valentinstag – für Floristen ein

anstrengender, aber auch wirtschaftlich

wichtiger Tag. Auch Pralinenhersteller

oder Herausgeber von rosa

Grußkarten mit Herzen darauf freuen

sich über die Bedeutung, die dieser

Tag in den letzten Jahren gewonnen

hat. Dabei ist den meisten gar nicht

wirklich bewusst, worauf dieser Tag

der Liebenden zurückgeht.

Ein katholischer Heiliger, bei dem

viele Fragen offen bleiben

Der 14. Februar ist der Namenstag

des hl. Valentinus, der Anknüpfungspunkt

liegt also im liturgischen Gedenken

an einen katholischen Heiligen.

Wer genau dieser allerdings

war, ist historisch nicht ganz geklärt.

So könnte er der Bischof von Terni in

Umbrien gewesen sein und als Märtyrer

im Jahr 268 den Tod gefunden

haben. Möglich ist

auch, dass er Priester

in Rom war, auch dieser

soll im Jahr 269

den Märtyrertod gestorben

sein. Auch ist

es möglich, dass diese beiden einund

dieselbe Person darstellten.

Der Grund für seinen Platz in der

Reihe der katholischen Heiligen und

vermutlich auch für seinen Märtyrertod

liegt wohl darin, dass er als

Priester Soldaten, denen das Heiraten

verboten war, christlich traute

und Gottesdienste für Christen

feierte, die vom Römischen Reich

verfolgt wurden. Eine andere Variante

dieser Legende besagt, dass

er Liebende gegen den Willen ihrer

Eltern traute. Die von ihm geschlossenen

Ehen sollen jedenfalls nach

der Überlieferung unter einem guten

6


Besondere Gottesdienste

Stern gestanden haben. So wurde

der hl. Valentinus zum Schutzpatron

der Liebenden ernannt.

Ein Priester, der Blumen bringt

Sein Namenstag am 14. Februar wird

einmal mit seinem angeblichen Todestag

am 14. Februar 269 erklärt.

Auch die Erklärung, dass an diesem

Tag nach römischer Tradition die

Göttin Iuno, die Hüterin der Familie

und der Ehe, verehrt wurde, zu

deren Ehre man Altäre verzierte und

auch Frauen und Mädchen mit Blumen

beschenkte, klingt historisch

einleuchtend.

Diese Auslegung erbringt zusätzlich

noch die Erklärung, wieso Blumen

so mit diesem Tag verknüpft sind.

Die Legende erzählt aber auch, dass

Valentinus den von ihm getrauten

Paaren Blumen aus seinem Garten

geschenkt haben soll. Es gibt also

durchaus eine historische Rechtfertigung

dafür, seiner Angebeteten an

diesem Tag einen Blumenstrauß mitzubringen.

Der Ursprung liegt also in der Kirchengeschichte.

Daher feiern viele

Gemeinden diesen 14. Februar und

den hl. Valentin mit einem Gottesdienst,

in dem es um die Liebe geht.

7


BLICKPUNKT.

Dabei ist das Thema grundsätzlich

allumfassend, es geht um die Liebe

zwischen zwei Menschen, um die

Beziehung zu seinen Mitmenschen

und zu Gott. Am Ende des Gottesdienstes

werden Paare oder auch

Einzelpersonen mit ihren jeweiligen

Anliegen hierzu gesegnet. Dieser Segen

knüpft damit mehr noch als die

verschenkten Blumensträuße und

kleinen Aufmerksamkeiten an die

historische Herkunft dieses Festes

an und gehört für viele genau aus

diesem Grund zu diesem Tag dazu.

Segen für alle Liebenden

So sei die Liebe „etwas Zerbrechliches,

an dem man immer wieder arbeiten

muss, das man immer wieder

erneuern muss, und an diesem Tag

erhält man Hilfe hierfür. Man spürt,

dass man bei alldem nicht alleine

ist“, wie ein Paar seine Begeisterung

für den jährlichen Segnungsgottesdienst

erklärt. Dieser Tag sei auch

als regelmäßiger Kirchenbesucher

etwas Besonderes, da man sich ganz

konkret in den Blick genommen fühle.

So nehmen sich viele Zelebranten

bei der Segnung für jedes Paar ganz

bewusst Zeit, um sich ganz konkret

auf dieses zu konzentrieren.

In unserem Pfarrverband wird jedes

Jahr am 14. Februar in St. Ursula ein

Valentinsgottesdienst mit Segnung

abgehalten. Dabei sind Paare und

Einzelpersonen jeden Alters und jeder

Orientierung herzlich willkommen.

Die Einladung unseres Pfarrverbandes

an alle und das Bekenntnis,

für jeden offen zu sein und keinen

auszuschließen, setzt sich dabei

auch in der Einladung zur Valentinssegnung

fort, so dass dieser Tag

für jeden Liebenden ein Besonderer

werden kann.

Buch-Tipp

Andreas Rode: Das Jahresbuch der

Heiligen. Große Gestalten für jeden

Tag. Leben und Legenden. Zuständigkeiten,

Attribute und Erkennungsmerkmale.

Mit einer Einführung von

Abt Odilo Lechner. Bildauswahl von

Günter Lange.

1.040 Seiten, mit über 80 Farbtafeln.

ISBN 978-3-466-36803-7

8


Denken und Beten

HERR PROF.

BORDT,

WIE

BETEN

SIE?

Interview mit dem Jesuitenpater

und Initiator der Reihe

„Denken & Beten“

in St. Sylvester


BLICKPUNKT.

Das Gottesdienstformat Denken &

Beten hat sich in den zehn Jahren

seines Bestehens zu einer erfolgreichen

Marke entwickelt. Die Messe

um 11:00 Uhr ist an fast jedem

Sonntag sehr gut besucht und hat

einen großen Einzugsbereich aus

ganz München und Umgebung, sogar

über Konfessionsgrenzen hinweg.

Sie richtet sich besonders an

Christinnen und Christen, die eine

anspruchsvolle Predigt, eine schlichte,

aber würdevolle Gottesdienstgestaltung

und einen besonderen musikalischen

Akzent suchen.

2019 eröffneten Kardinal Reinhard

Marx, und Pater Michael Bordt SJ,

Vorstand des Instituts für Philosophie

und Leadership an der Hochschule

für Philosophie München (HFPH) ein

neues Jahrzehnt der Reihe mit einem

Festgottesdienst. Zeit für ein Interview

mit dem Erfinder des Formats.

Sehr geehrter Herr Prof. Bordt.

„Denken & Beten“ ist Ihr Baby. Wie

kam es dazu?

Wir Jesuiten von der Hochschule für

Philosophie wollten wieder stärker

als Priester sichtbar werden. Als

Hochschuldozenten spielt die Tatsache,

dass wir Priester sind, keine

Rolle, da unsere Einrichtung sich ja

an Studierende mit oder ohne Glaubenshintergrund

richtet. Als ich 2005

Präsident der Hochschule wurde,

begann ich mit meinen Kollegen zu

überlegen, wie und wo wir als gläubige

Katholiken wirken und unseren

Glauben vermitteln können. Das

stellte sich zunächst als gar nicht so

leicht heraus. Zu unserem großen

Glück traf ich auf Pfarrer David Theil.

In St. Sylvester war der hiesige Pfarrer

Schlossnickel in den Ruhestand

gegangen und eine Vakanz für die

Sonntagsmesse entstanden. Pfarrer

Theil war auf der Suche nach einer

Lösung, wir Jesuiten waren auf der

Suche nach einer Gelegenheit, eine

Messe feiern zu können. Wir einigten

uns schnell und unkompliziert, wofür

ich dem Pfarrer bis heute dankbar

bin. Es begann die Erfolgsgeschichte

von Denken & Beten.

Was bedeutet die Kombination aus

den Worten „denken“ und „beten“

eigentlich genau? Kardinal Marx

sagte in seiner Predigt während des

Jubiläumsgottesdiensts: „Beten ist

Aufklärung, nicht Verdunklung, nicht

Verengung.“ Es solle den Menschen

nicht „klein machen, sondern ihn

frei machen zum eigenen Denken,

dazu, die eigenen Erfahrungen zu

reflektieren“.

Denken kann uns helfen, die Gewissheit

zu verstehen, dass wir

von Gott getragen sind. Oder zumindest

Hindernisse zum Glauben

aus dem Weg zu räumen. Mir fällt

auf, dass die Menschen heute vor

allem Räume der Spiritualität und

Geborgenheit suchen, wo sie sich

fallen lassen können, wo sie ihr

Vertrauen, aber auch ihre Enttäuschung

vor Gott bringen können.

Das hilft ihnen, sich mit Gott und

10


Denken und Beten

mit sich selbst zu versöhnen. Dabei

kann Denken wichtig sein, damit

das nicht nur auf der Ebene des

Gefühls stehenbleibt. Als ein Mittel

zum Frieden und zur Versöhnung ist

für mich aber das Beten noch wichtiger.

Beten bedeutet für mich Hingabe,

ganz nach Jesus‘ Lehre: „Dein

Wille geschehe.“

„Denken kann Hindernisse zum

Glauben aus dem Weg räumen.“

Herr Prof. Bordt, wie beten Sie?

Üblicherweise verbindet man Gebete

mit Worten, also eine diskursive Begegnung

mit Gott. Ich habe für mich

die Form des Meditierens gefunden,

eine Verbundenheit mit Gott in Stille

und Schweigen. Meine morgendliche

Meditation hilft mir, eine verdichtete,

auf Gott ausgerichtete Haltung für

den ganzen Tag zu finden, mit der

ich auch die Eucharistie feiere und

versuche, die Gemeinde mit in meine

Meditation hineinzunehmen.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie

still es während der Kommunion ist.

Mir hilft dabei ein Bild, das ich einmal

von einer Ordensschwester gehört

habe. Viele Menschen wünschten

sich von ihr, für sie zu beten. Sie

mache dann da keine Liste für alle,

vielmehr nehme sie während der Begegnungen

mit ihnen all die Sorgen

und das Leid in sich auf und halte

dann im Gebet Gott ihr verwundetes

Herz hin. Das trifft sehr gut, was Beten

sein kann.

Darf man Gott im Gebet schimpfen?

Unbedingt. Das Gebet ist der einzige

Ort, an dem man ganz ungeschützt

und bei sich ist. Da kann man auch

schon mal wutentbrannt vor Gott

treten.

Sie zelebrieren meist die Osterliturgie

in St. Sylvester. Welcher ist Ihr

Lieblingstag in dieser Woche?

Der Gründonnerstag. Er ist der Kulminationspunkt

des Geschehens.

Hier treffen sehr intensive und existentielle

Momente auf engem Raum

aufeinander: das letzte Abendmahl,

Jesus‘ Einsamkeit, sein Leiden. Die

absolute Hingabe an Gott.

Entdecken Sie noch etwas Neues

beim Zelebrieren der Osterliturgie?

Die Liturgie ist mir schon so in Fleisch

und Blut übergegangen, deshalb

während der Feier eher nicht. Aber

bei deren Vorbereitung befinde ich

mich immer in einem neuen geistlichen

Prozess. Während ich die Predigt

schreibe, frage ich mich jedes

Mal, wo stehe ich gerade selbst? Wie

war das in den vergangenen Jahren?

Was wünschen Sie sich für die

nächsten zehn Jahre?

Ich wünsche mir für meine Kollegen

und mich, dass wir weiterhin so viele

Menschen erreichen.

Interview: Bastienne Mues

11


BLICKPUNKT.

WAS EINEN

DAVID HALT

SO AUS-

ZEICHNET

Eine Laudatio auf unseren Pfarrer

zum 10-jährigen Jubiläum in

St. Sylvester von Marcel Renneberg

Lieber Pfarrer Theil,

als Vorsitzender des PGR darf ich

sagen, dass die Gemeinde außerordentlich

glücklich darüber ist, Sie

jetzt seit zehn Jahren als Seelsorger

und Priester zu haben. Sie möchte

sich deshalb auch mit einem Geschenk

bei Ihnen bedanken, welches

Ihnen hoffentlich Freude macht: Die

Lithographie aus dem 19. Jahrhundert

zeigt den Moment, in dem der

spätere König David auf den geharnischten

Philister Goliath trifft, der

ja dann bekanntermaßen kurze Zeit

später zu Tode kommt.

Es ist bekannt, dass unser Pfarrer

1. den Vornamen David trägt und 2.

– vielleicht weniger bekannt – den

auch noch gerne und stolz trägt, in

vollem Bewusstsein der Taten des

Königs David. Furchtlosigkeit, Beharrlichkeit,

Einfallsreichtum, Gottvertrauen

und vielleicht auch eine

gewisse Schlitzohrigkeit sind beiden

Davids zu eigen, wie wir jetzt hören

werden.

Skepsis gegenüber dem Mann von

„drüben“

Wenn wir die zehn Jahre Revue passieren

lassen, so war der Beginn weder

für Sie, Herr Pfarrer, noch für das

ein oder andere Gemeindemitglied

damals einfach. Als bereits etablierter

Pfarrer von „drüben“, jenseits

der Leopoldstrasse, von St. Ursula

nämlich, schlug Ihnen mancherorts

Skepsis entgegen, man kannte

Sie wenig bis gar nicht. Es bestand

hier die Furcht vor einer Übernahme

12


Gemeinden

durch „die da drüben“, man hatte

Sorge, zur Filialkirche des Schwabinger

Doms zu werden!

Kein Pfarrer von oben herab

Es galt also, rasch zueinander Vertrauen

zu fassen und sich peu à

peu aneinander zu gewöhnen! Und

es wurde sehr schnell deutlich, wie

Sie Ihr Amt, Ihren Dienst, verstehen

und versehen wollen und dass Ihnen

der besondere Charakter und die

Eigenständigkeit der Pfarrgemeinde

St. Sylvester von Anfang an sehr am

Herzen lag und bis heute liegt. Sie

sind kein Pfarrer, der von oben herab

Anweisungen gibt, sondern der

stets den Diskurs in aller Offenheit

mit den Menschen und den – durch

Sie selbst durchaus gestärkten Gremien

PGR/PVR und Kirchenverwaltung

– sucht.

Ich persönlich, lieber Herr Pfarrer,

kenne Sie nun seit fünf Jahren aus

der gemeinsamen Arbeit im PGR und

PVR und erlebe Sie dort als guten

und ermutigenden Zuhörer, klar,

wertschätzend, offen, lösungsorientiert

und humorig dann und wann,

auch wenn Ihnen der alljährlich

stattfindende Pfarrfasching – bislang

zumindest – fremdgeblieben ist und

Sie an dem Abend lieber verreisen.

Immer wieder neu gelingt es Ihnen,

Menschen für das Ehrenamt in der

Gemeinde zu gewinnen. Ich weiß,

das Wort Ehrenamt mögen Sie nicht

so besonders, denn, und da haben

Sie Recht, durch unsere Taufe sind

wir gleichsam dazu berufen, an den

Grundvollzügen unserer Kirche, jede

und jeder nach seinen Charismen,

mitzuarbeiten, aber Ehrenamt ist

da den meisten doch irgendwie verständlicher.

In den zehn Jahren Ihres „Wirkens“

– welch schönes Wort, aber ich glaube,

bei Pfarrern aufwärts darf man

das so sagen (so ein Pfarrer arbeitet

nicht, er wirkt) – ist viel passiert,

wurden viele Dinge neu und anders.

Einige Highlights: Die Sanierung unserer

Pfarrkirchen inkl. Orgeln sind

Sie sehr rasch angegangen, eine

Mammutaufgabe mit immer wieder

neuen Fragezeichen und Hürden, die

Sie und wir mit Ihnen in den Gremien

zuversichtlich und kraftvoll, hier und

da wagemutig, aber stets mit Augenmaß

begonnen und zu Ende geführt

haben. Da sind wir also viel weiter

als Kirche und Orgel in St. Ursula,

was für ein Glück!

Mensa für arme Menschen

Das Verfassen eines Pastoralkonzepts,

in dem beide Gemeinden,

St. Ursula und St. Sylvester, ihr

gemeinsames aber auch jeweils

unterschiedliches Selbstverständnis

an den Grundpfeilern Offenheit,

Orientierung und Verlässlichkeit definieren,

haben Sie begleitet, ohne

irgendwelche harten Vorgaben zu

machen. Der Gemeinschaft Sant’Egidio,

die sich um arme Menschen

mitten unter uns sorgt, die gemeinsam

mit ihnen, und jeder von uns ist

13


BLICKPUNKT.

dazu eingeladen, an Samstagen zu

Mittag isst und Nähe schenkt, und

wöchentlich Gottesdienst feiert, haben

Sie in unserer Pfarrei eine feste

und verlässliche Heimat gegeben.

So viel Weihrauch …

In Ihrem priesterlichen Dienst und

gerade in der Liturgie, also in der

Art und Weise, wie wir miteinander

Gottesdienst und Eucharistie feiern,

kommt ganz deutlich auch Ihre benediktinische

Prägung und Spiritualität

zum Vorschein. Was für eine kraftvolle

Stimme!!! Und dann der viele

Weihrauch!!! Fast schon barock!!!

Und sagen Sie jetzt bitte nicht, da

seien ganz allein die Minis für verantwortlich

…!!!

Ermutigend im Glauben und nachhaltig

sich in Hirn und Herz verfestigend

sind Ihre Predigten. Nie moralisierend

deuten Sie klar die frohmachenden

aber mitunter auch ungemütlichen

Botschaften und Wahrheiten des

Evangeliums mutig und, wenn nötig,

ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen,

ins Hier und Heute. Stets frei

vorgetragen (sicherlich jedoch wohl

überlegt!) überschreiten Sie nie die

durchschnittlichen und empfohlenen

zehn Minuten, die sich übrigens rein

rechnerisch ergeben, wenn man, so

meine Recherche, im Predigtarchiv

auf der Website des Vatikans alle

Predigten bzw. die Anzahl der Wörter

am normalen Sprechtempo bemisst

und mittelt. In Sachen Homilie

verfahren Sie wohltuend ganz nach

Jesus Sirach ‚Dräng die Worte zusammen,

fasse dich kurz‘.

Nie frustriert, immer freundlich

Sie scheinen nicht nur, sondern sind

unermüdlich fleißig. Dabei wirken Sie

nie frustriert oder resigniert, manchmal

doch zu Recht erschöpft zwar,

aber stets wach und freundlich. In

allem, was Sie und wie Sie es tun,

lieber Herr Pfarrer, nimmt man Ihnen

Ihre Freude an Ihrem Dienst und Amt

ab, gleichwohl Sie sich, das haben

Sie mal geäußert, lieber mehr pastoral

und seelsorgerisch unterwegs sehen

würden und weniger befasst als

Manager der Kirche. Das wünschen

wir Ihnen, wie wir uns wünschen,

dass da noch viele Jahre gemeinsamen

Weges kommen mögen!

(Redetext gekürzt)


DAS SCHLÜSSELLOCH

VON SANKT URSULA

Von Annette Krauss

Der Blick durchs Schlüsselloch gehört

sich eigentlich nicht. Außer beim

Schwabinger Dom, hier wird er seit

kurzem sogar inszeniert. Denn wer

nachts die Treppen zum verschlossenen

Haupteingang am Kaiserplatz

hinaufsteigt und durch das ziemlich

große Schlüsselloch linst, der kann

etwas entdecken …

Den Stein ins Rollen brachten einige

Jugendliche, die in der Säulen-Vorhalle

gelangweilt auf das Ende einer

Hochzeit warteten. „Sind die immer

noch nicht fertig da drinnen?“ war

die Frage – die Antwort fand sich

beim Blick durchs Schlüsselloch,

durch das dann gleich noch frech

geknipst wurde: „Brautpaar durchs

Schlüsselloch“.

Das Vorkommnis fand Kirchenpfleger

Tobias Gebhard nicht anrüchig, sondern

tiefgründig: „Die Mitte, aus der

wir als Gemeinde leben, ist unser

Altar unter der Kuppel. Warum also

nicht diese Mitte Tag und Nacht ins

Licht setzen?“ Zusammen mit einem

Theater-Beleuchter und einem Elektroingenieur

schritt man zur Tat: Die

Ehrenamtlichen montierten unter der

jüngst restaurierten Kuppel zusätzliche

Leuchtkörper.

Seither spähen in St. Ursula nachts

zuweilen Menschen durchs Schlüsselloch,

ganz ungeniert auf den beleuchteten

Altar. Dunkel bleibt der

lediglich in der Zeit von Gründonnerstag

bis zur Osternacht. Um das

zu verstehen müsste man neugierig

sein, und einfach mal in den Gottesdienst

gehen.

15


BLICKPUNKT.

WENN EIN KÖLNER

HELAU SCHREIT …

… dann muss es sich um einen guten Fasching handeln:

Der Pfarrfasching von Altschwabing ist wahrscheinlich

der beste in München!

Von Marcel Renneberg

Als ich im September 1996 meine

linksrheinische Heimat kurz vor den

Toren Kölns verließ und nach München

zog, war recht schnell klar,

dass, bei allem Zugewinn an Neuem

in meinem neuen Zuhause mir doch

auch vieles dauerhaft fehlen würde,

nämlich Familie, Freunde, Gewohntes

und Liebgewonnenes. Wie bei

jedem, der seine Heimat verlässt.

Am schlimmsten aber war die Ferne

zum kölschen Fasteleer mit seinem

Straßen- und Kneipenkarneval. Der

Karneval ist in Köln tatsächlich die

fünfte Jahreszeit, die überall sichtbar

und erlebbar, in den Kindergärten,

den Schulen, den Pfarrgemeinden,

den Familien und den Karnevalsvereinen

am 11.11. beginnt und am

Rosenmontag seinen explosiven Höhepunkt

findet.

Kein Närrischer Lindwurm, sondern

nur Schwarz-Weiß-Bälle?

Weil der Karneval, hier Fasching genannt,

in München nicht so gefeiert

wird, wie ich ihn kannte und liebte

(und immer noch liebe), weil es hier

keinen Närrischen Lindwurm gibt (jedes

Dorf im Rheinland hat da einen

längeren Umzug), kein Prinzenpaar

(Prinz, Bauer und Jungfrau – quasi

die kölsche Dreifaltigkeit), sondern

irgendwelche Schwarz-Weiß-Bälle,

fuhr ich in den ersten Jahren zumindest

an den „tollen Tagen“ zuerst

alleine, später dann mit meiner

ebenfalls rheinischen, aber in Mün-


chen eroberten Ehefrau Birgit (nein,

nicht im Fasching, sondern an einem

„Kölner Abend“) und unseren beiden

Jungs zu Eltern/Schwiegereltern und

Freunden nach Bonn und Köln.

Vor ein paar Jahren wurde ich allerdings

während einer Sitzung des

Pfarrverbandsrates in das Planungsteam

eines mir bis dato unbekannten,

vielleicht auch geflissentlich

ignorierten, Pfarrverbands-Faschings

berufen. Was bitte sollte das sein,

frage ich mich!? Wat soll dä Quatsch?

Aber da ich für (fast) jeden Spaß zu

haben bin und ich mir insgeheim

erhoffte, so vielleicht ein bisschen

karnevalistische Heimat nach Schwabing

zu bringen, sagte ich ohne großes

Zögern zu. Freilich waren kölsche

Einflussmöglichkeiten gering

und, Gott sei Dank, auch nicht nötig!

„Uschi feiert“: Mottoparty, bunte

Kostüme und Tanzgruppe

Oben: Das berühmte

Männerbalett

des Pfarrverbads;

Links: Urgestein

von St. Sylvester,

das Ehepaar

Fürmeier.

Sicher, es fehlen beim Pfarrfasching,

der immer unter einem Motto steht

und einleitet etwa mit „Uschi feiert…“,

wesentliche karnevalistische

Bestandteile, wie beispielswiese.

das umfangreiche, teilweise hymnische,

Liedgut, bei dem sich wildfremde

Jecken nach ein paar Glas

Kölsch berauscht oder besinnlich,

je nach charakterlicher Beschaffenheit

oder weiteren Absichten, in den

Armen liegen und sich ewige Liebe,

Freundschaft und Treue schwören,

ihre Stadt Köln besingen, aber, wat

wellste maache, et is halt esu wie

et is!

17


BLICKPUNKT.

Seit Jahren gehe ich also, weil ich

es ja auch mit vorbereitet habe, und

es wäre Blödsinn, dann nicht hinzugehen,

mit meiner Frau und mittlerweile

auch mit Freunden, zum Pfarrfasching.

Ich mache sogar in der

Tanzgruppe mit, was meine Freunde

in Köln ganz sicher nicht glauben

würden, meine Frau aber gutheißt,

weil ihr sehr an einem beweglichen

Ehemann gelegen ist!

Es macht wirklich großen Spaß, der

Termin wird, wenn er feststeht, verbindlich

in unseren Kalendern eingetragen,

wir kostümieren uns, freuen

uns und feiern eben dann mit der

Gemeinde Fasching. Und es ist schön

so, wie es ist!

Pfarrfasching Altschwabing: Nicht

kölsch, aber dennoch großartig!

Und wenn da das ein oder andere

fehlen sollte, ja mei, dann denken

wir es uns dazu, man bekommt ja bekanntlich

den Kölner aus Köln, aber

Köln nicht aus dem Kölner, summen

die kölschen Liedchen im Kopf und

im Herzen mit, nehmen unsere Nachbarn

in den Arm und schunkeln so,

wie man halt schunkelt, ob in Bayern,

im Rheinland, in New York, Sao

Paolo oder Paris.

Kommen Sie doch einfach zum

nächsten Pfarrfasching, er ist großartig

wie er ist, wenn auch nicht

kölsch. In diesem Sinne: Alaaf und

Helau!

18


Kirchenmusik

„MUSIK

MUSS

RÜHREN“

Der Komponist Markus Höring

über sein Werk „Die Seligpreisungen“

für St. Sylvester,

zeitgenössische Musik, und die

Rolle des Glaubens beim Komponieren

von Kirchenmusik.

Zum Jubiläum 10 Jahre der Reihe

„Denken und Beten“ in St. Sylvester

hat der Münchner Komponist

Markus Höring die neun Seligpreisungen

aus der Bergpredigt vertont.

Den Impuls dazu gab Pater

Michael Bordt SJ, der Kontakt zum

Lehrbeauftragten an der Hochschule

für Musik kam durch den

Kirchenmusiker von St. Sylvester

Andreas Behrendt zustande, der bei

Höring studiert hatte. Dieser war

sofort begeistert, unterbrach eine

Oper über Hölderlin und machte

sich ans Werk.

Herr Höring, warum hören wir in der

Kirche wie auch im Konzertsaal so

gern Beethoven, Mozart oder Haydn

und so ungern zeitgenössische Musik?

Jeder Künstler baut einerseits auf

dem auf, was vor ihm war, und muss

doch gleichzeitig mit hergebrachten

Erwartungen brechen, sonst wäre

er kein Künstler. Auch die Klassiker

haben gebrochen: Haydn mit der höfischen

Musik der Barockzeit etwa.

Die Protagonisten der so genannten

„Neuen Musik“ – Stockhausen und

andere – haben diesen Bruch mit der

Tradition sehr drastisch vollzogen. In

dieser Ästhetik, die vielen schwer

zugänglich ist, hängt die zeitgenössische

Musik leider seither immer

noch fest. Interessant ist, dass eine

solche Debatte um den rechten Weg

nur in der Musik so dogmatisch geführt

wird, in keiner anderen Kunstform.

Aber das ändert sich gerade.

19


BLICKPUNKT.

Wie sind Sie als zeitgenössischer

Musiker an diese Neukomposition

von Kirchenmusik herangegangen?

Reinen Dogmatismus finde ich

schrecklich, die reine Lehre der Neuen

Musik langweilt mich. Mein Stil

war es immer, Traditionen zu vereinen.

Ich sitze da gewissermaßen

zwischen den Stühlen, und da fühle

ich mich ganz wohl.

Was für Stile können wir bei den Seligpreisungen

hören?

Angefangen vom direkten Zitat eines

gregorianischen Chorals finden Sie

Anlehnungen an die Kanonkünste

der Renaissance und an Bachs Fugentechnik.

Aber in den solistischen

Passagen durchaus auch Reminiszenzen

an die italienische Oper des

19. Jahrhunderts. Der gesamte tonale

Aufbau wurde aber von zwei

Komponisten des 20. Jahrhunderts

maßgeblich beeinflusst: Bartok und

Messiaen.

„Es gibt für einen zeitgenössischen

Komponisten keinen besseren Ort

als die Kirche.“

Was reizt Sie an der Kirchenmusik?

Es gibt für einen zeitgenössischen

Komponisten keinen besseren Ort

als die Kirche: Ein Raum voller Menschen,

die sich versammeln, um zuzuhören,

sich einzulassen auf die

Musik und sich zu versenken in die

Spiritualität, die diese transportiert.

Hinzu kommt, dass es gerade bei

der Kirchenmusik eine sehr große

Tradition gibt, auf der ich aufbauen,

derer ich mich auch bedienen konnte

bei den Seligpreisungen.

Die sind ja zuerst mal nur ein Text ...

Das war eine ganz große Herausforderung,

schließlich handelt es sich

um 2000 Jahre alte Texte, die ich

in ein musikalisches Gewand packen

sollte. Die Psalmen sind noch viel

älter. Das war eine sehr emotionale

Angelegenheit für mich – schwierig

und gleichermaßen reizvoll – wie ich

diese Texte Menschen heute näherbringen

könnte.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Mir war klar, dass nicht ein mächtiger

Chor die Hauptrolle haben dürfte,

sondern die Solisten, die eher

subjektiv wirken. Wir lieben heute in

der klassischen Kirchenmusik ja die

Chöre, dürfen aber nicht vergessen,

dass auch Bach höchstwahrscheinlich

ursprünglich nur für Solisten

geschrieben hat, und die Chöre erst

später hinzukamen. So hatte ich

beim Schreiben eine Sopranistin

schon direkt im Kopf: Katrin Arnold,

die ich seit vielen Jahren gut kenne.

Ich habe ihr vorab auch immer wieder

einzelne Passagen zum Probieren

geschickt, insofern ist die Sopranpartie

wirklich dieser Sängerin

auf den Leib geschrieben, und am

Ende ist sie genauso erklungen, wie

ich es mir vorgestellt hatte, das ist

20


Kirchenmusik

dann für den Komponisten das ganz

große Glück.

Ich war glückselig! Sowas hatte ich

in meinem Leben noch nicht gehört.

Wie haben Sie dieses Glück erlebt?

Ich saß bei der Uraufführung unten

im Publikum und war auch schon

bei den Proben dabei gewesen. Es

war die heißeste Woche des Jahres,

40 Grad, die Musiker hatten es nicht

leicht. Ich konnte bei der Aufführung

aber vollkommen abschalten und

die Musik erleben wie jeder andere

Konzertbesucher auch. Als der große

Jubel ausbrach, war ich natürlich

glückselig! Sowas hatte ich in meinem

Leben noch nicht erlebt. Dabei

war es für mich besonders schön,

diesen Erfolg in genau der Gemeinde

erleben zu dürfen, in der ich als

Vor- und Grundschulkind in den Orff-

Gruppen von St. Sylvester und St.

Ursula meine ersten musikalischen

Schritte tun durfte.

kennt. Aber man muss verstehen

und nachvollziehen können, worum

es geht, sonst brauche ich gar nicht

anzufangen zu komponieren. Da ist

eine solide Basis schon sehr wichtig.

Aber gerade konfessionell darf man

als Kirchenmusiker in seiner Tradition

nicht zu eng verhaftet sein. Alle

gute Kirchenmusik vermittelt meines

Erachtens eine universell-humanistische

Botschaft.

„Wir sind heute keine Genies mehr

wie Beethoven.“

Wie geht das heute eigentlich: komponieren?

Werfen Sie Ihre Noten auch

so wild aufs Blatt wie Beethoven?

(Lacht) Nein, solche Genies sind wir

heute nicht mehr. Natürlich braucht

man als Komponist zunächst eine

Idee für das Thema, und da hat

mir Pater Bordt mit den Texten und

Interpretationen, die er mir zur Verfügung

gestellt hat, sehr geholfen.

Daraus folgen dann ein Konzept für

Muss man als Komponist eigentlich

gläubig sein, um Kirchenmusik zu

schreiben?

Nicht unbedingt, Verdi und Brahms

z.B. haben großartige Kirchenmusik

geschrieben und standen dem

Glauben distanziert gegenüber, aber

es erleichtert die Sache sehr. Einerseits

ist es sogar gut, wenn man

ein wenig über die Konfession und

die Religion hinausblickt, auch spirituelle

Musik anderer Traditionen

Musiker nach der Uraufführung

21


BLICKPUNKT.

das Stück, Melodien, Takte, Rhythmen

und Instrumente. Das alles skizziere

ich am Klavier und probiere es

aus. Wenn es für mich passt, nehme

ich den Computer, es gibt heute sehr

gute Notensatz-Software. Da kann

man sich die Passagen in voller Besetzung

anhören, sie verändern, verschieben.

Das ist kein billiger Synthesizer

mehr, sondern ein richtig

guter Klang. Da sind wir heute viel

besser dran als frühere Komponisten

und vor bösen Überraschungen bei

der Aufführung gefeit.

Wie lange haben Sie an den Seligpreisungen

gearbeitet?

Ich kann beim Komponieren nur ganz

oder gar nicht. Nicht nebenbei. Deshalb

habe ich die vom Landestheater

Tübingen beauftragte Hölderlin-

Oper, an der ich schon arbeitete,

unterbrochen und ein halbes Jahr

nur die Seligpreisungen komponiert.

Es war wie bei Mozart: im Rausch.

Ist das Ergebnis eher U- oder E-Musik?

Unterhaltsam oder ernsthaft?

zeitgenössische Komponisten heute

gleichzeitig Filmmusik komponieren,

wenn auch meistens unter Pseudonym.

Ich habe immer schon beides

gemacht und sehe die Mauer nicht,

die manche aufbauen wollen.

Was ist dann für Sie gute Musik?

Mein Motto ist: Musik muss rühren.

Was meinen Sie damit? Berühren,

anrühren, bewegen?

Alles zusammen vielleicht.

Interview: Gerd Henghuber

Zum Nachhören

Die Seligpreisungen in der Uraufführung

in der Kirche St. Sylvester

gibt es zu hören auf

www.altschwabing-katholisch.de/

seligpreisungen

Das ist eine typisch deutsche Diskussion,

die es nirgendwo sonst auf

der Welt gibt. Und ich glaube sie hat

mit den Dogmatikern der „Neuen

Musik“ begonnen. Warum soll unterhaltende

Musik nicht ernsthaft sein

und anders herum genauso? Fast

alle großen Komponisten haben sowohl

E- wie U-Musik geschrieben,

Landler, Tänze, Polonaisen. Ich verrate

Ihnen kein Geheimnis, wenn ich

Ihnen sage, dass sehr prominente

22



BLICKPUNKT.

DER HEIMLICHE

KIRCHENVATER

Warum tun sich Katholiken mit dem

Apostel Paulus so schwer?

Von Dr. Robert Mucha

Nein, wir Katholiken sind irgendwie

nicht so ganz warm mit ihm

geworden! – Und das, obwohl wir

das Christentum in seiner „katholischen“,

also die ganze Welt umspannenden

Form, allein ihm zu

verdanken haben. Die Rede ist vom

Völkerapostel Paulus.

Paulus-Figur in St. Ursula

Ich wage einmal den Versuch einer

Erklärung, warum das so ist, und

möchte Ihnen diese wichtige Persönlichkeit

des jungen Christentums zunächst

etwas vorstellen. Paulus war

zwar schriftgelehrt – jüdisch gebildet

– stammte aber nicht aus Judäa

sondern aus Tarsus in der heutigen

südlichen Türkei. Das war eine stinknormale

griechisch-römisch geprägte

Stadt im Imperium Romanum. Paulus

hatte sogar einen ziemlich weltlichen

Beruf: Er war Zeltmacher, wie wir aus

seinen Briefen erfahren. Diese Herkunft

ist also in etwa so spektakulär,

wie wenn jemand aus Pfronten

im Allgäu kommt – schonmal gehört

vielleicht, etwas ab vom Schuss,

24


Theologie

stinknormal eben. Interessant ist

das aber aus dem Grund, weil in der

Antike die Herkunft immer viel über

die Person aussagte, ja ihren Weg

sogar ein Stück vorgab.

Ein Eiferer für den „Neuen Weg“ des

Judentums

Von Paulus erfahren wir, dass er zunächst

ein Feind des Christentums

war – bis zu dem Tag, an dem ihm

vor Damaskus der Auferstandene in

einer Vision erschien. Dieses Ereignis

muss für Paulus das Ende dieses

stinknormalen und der Beginn eines

völlig neuen Lebens bedeutet haben.

Die Apostelgeschichte beschreibt

dieses Ereignis mehrfach (Apg 9,3–

19; 22,6–16; 26,12–18) und Paulus

selbst in seinen Briefen ebenfalls (1

Kor 9,1; 15,8; 2 Kor 4,6; Gal 1,12–16;

Phil 3,4–11) – in euphorischer Weise.

Was auch immer genau passiert ist:

Er wurde zum Eiferer für den „Neuen

Weg“ des Judentums, wie sich das

Christentum nannte. Der „Neue Weg“

führte ihn zu den Aposteln und so

war Paulus maßgeblich daran beteiligt,

dass das Evangelium nicht nur

den Juden gepredigt wurde, sondern

an alle Menschen gerichtet war – ja,

auch an die götzenanbetenden und

(in den Augen des Judentums gänzlich

unzivilisierten) Heidenvölker.

Diesen Prozess der Missionierung der

Völker ging Paulus tatkräftig mit: Er

gründete Gemeinden – auch die erste

auf europäischem Boden in Philippi

im heutigen Nordgriechenland.

Die Gemeinde von Rom gründete er

zwar nicht, stellte sich ihr aber mit

einem langen Brief vor, der quasi seine

ganze Theologie enthält. Der Brief

an die Römer ist auch Zeugnis dafür,

dass er gerne bis ans Ende der bekannten

Welt, also nach Spanien, gereist

wäre, um auch dort Gemeinden

zu gründen (Röm 15,22–24). Die in

der Apostelgeschichte beschriebene

Gefangennahme, der Appell an den

Kaiser und sein Martyrium in Rom

standen diesen Plänen aber im Weg.

Wir haben Paulus so viel zu verdanken,

dass man überhaupt nicht

weiß, wo man anfangen soll: Von

ihm stammen die ältesten Schriften

des Neuen Testaments, seine Briefe,

die ein Zeugnis für die früheste Mission

des Christentums waren. Aus

ihnen erfahren wir zum ersten Mal

überhaupt von der Feier der Eucharistie

(vgl. 1 Kor 11), dem, was an

Ostern passierte (vgl. 1 Kor 15) und

von vielen Nöten und Fragen der

Christen in der Antike.

Paulus: Jeder Gläubige ist individuell

Von Paulus kann man einen ganz einfachen

pastoralen Grundsatz lernen:

Jeder Gläubige ist individuell und

kann und sollte sogar den Glauben

individuell leben, um ihn dann wieder

in die Gemeinschaft zurückzutragen.

Ein schönes Beispiel für diese

Denkart des Paulus ist das Problem

des Götzenopferfleischs: In der Antike

konnte man, wenn man Fleisch essen

wollte, nicht einfach zum Metzger

25


BLICKPUNKT.

gehen. Fleisch gab es nur zu hohen

Festtagen der heidnischen Götter.

Die Tiere wurden z.B. der Göttin Artemis

als Opfer dargebracht und geschlachtet.

Die Göttin, so die antike

Vorstellung, begnügte sich dann mit

Blut und Knochen, die zu ihrer Freude

verbrannt wurden und als Dampf emporstiegen.

Das gute Fleisch konnte

gerne verteilt werden. Und das wurde

es: Bei großen Gelagen, bei denen

sich auch Zünfte trafen und wo Kontakte

und Handelsvereinbarungen

geschlossen wurden. Das waren gesellschaftliche

Großereignisse.

Keine starren Regeln – immer mit

Rücksicht auf die Schwachen

Wie sollten sich die Christen nun

dazu verhalten? Antwort gibt Paulus

im ersten Korinther-Brief: Er meint,

diejenigen, die verstehen, dass die

Götter der Heiden gar nicht existieren,

können ruhig hingehen und vom

Fleisch essen. Sie sind schon stark

im Glauben. Diejenigen, die sich

noch nicht so sicher sind, sollten sich

enthalten. So bleibt es jedem selbst

überlassen, gemessen am Glauben

zu entscheiden. Und die Starken sollen

nicht vor den Schwachen hervorposaunen,

wo sie hingehen, sondern

aus Rücksicht ggf. auch auf die Teilnahme

am Mahl verzichten. Ich halte

das für weise, weil die Freiheit in der

Erkenntnis Christi – der Erkenntnis

Gottes – liegt. Keine starren Regeln,

sondern jeder je nachdem „wie weit“

er oder sie ist und immer in Rücksicht

auf die Schwachen der Gemeinschaft.

Vielleicht mögen die Katholiken Paulus

ja deswegen nicht ganz so gerne:

Wir haben gerne Klarheit und eine

verbindliche Richtschnur. Ich erkenne

im neuen Stil von Papst Franziskus

etwas von dem paulinischen Gedanken

wieder … Die Kardinäle, die

Anfragen zur Glaubenslehre hinsichtlich

der Kommunion von wiederverheirateten

Geschiedenen formuliert

haben, denken auch so linear wie einige

aus der Gemeinde von Korinth.

Der Pontifex nimmt sich in dieser

Frage vermutlich Paulus als Vorbild:

Nicht alles muss bis ins letzte Detail

reglementiert sein. Das macht Paulus

doch ganz sympathisch, oder?

Zudem wird Paulus katholischerseits

immer etwas schief angeguckt, da

Luthers Vorstellung des „sola gratia“

(allein durch Gottes Gnade sind wir

26


Theologie

gerettet) aus der Lektüre der paulinischen

Briefe geboren wurde. Es

stimmt, Paulus lenkt den Blick ganz

auf die Tatsache, dass wir von Gottes

Gnade angesprochene Wesen sind.

Wenn wir uns Gott öffnen, auf sein

Wort hören und ihm Raum in uns

schenken, dann bewirkt seine Gnade

in uns Glaube und Werke der Liebe.

Die Werke machen keinen Glauben,

sie sind das Resultat göttlicher Gnade.

Ich glaube, Paulus ist in dieser

Hinsicht moderner als wir meinen

und hätte auch die Ökumenische Erklärung

von 1999 dazu unterstützt,

die diese Streitfrage zwischen beiden

Konfessionen klärte.

Wenn Sie einmal die Gelegenheit

haben, in der Staatsgalerie in Stuttgart

zu sein, schauen Sie sich das

Bild „Paulus im Gefängnis“ von Rembrandt

an. Es zeigt Paulus – Briefe

schreibend, mit dem Schwert des

Martyriums schon am Bett, ein Schuh

angezogen zum sofortigen Aufbruch,

ein Schuh ausgezogen zur Rast. Das

unglaublich Schöne an diesem Bild

ist der Blick des Paulus: nachdenklich

und müde, ausgelaugt und doch auch

bestimmt, verwirrt und doch klar. Ein

Blick ins Leere – und ein Blick auf die

nächste Aufgabe. Das Bild zeigt ihn als

aufopfernden Kämpfer für das, woran

er glaubt. Auch wenn der Aposteltitel

noch viel mehr Wert ist, weil er denjenigen

vorbehalten ist, die Christus

als Auferstandenen erfahren haben,

so finde ich, hätte Paulus unter den

Aposteln auch den Titel des Kirchenvaters

verdient: Seine Schriften, sein

Eifer und seine Liebe zu Gott haben

das Christentum geweitet. Dafür muss

man ihn einfach lieben!

Paulus-Figur, zweite von rechts


BLICKPUNKT.

TRAUER –

WAS TRÖSTET?

Wie man mit dem Tod eines nahen Menschen umgeht

Von Klaus Lang, Svenja Ritzer und

David Theil

„Es gibt nichts, was die Abwesenheit

eines lebenden Menschen ersetzen

kann, und man sollte es auch gar

nicht versuchen, man muss es einfach

aushalten und durchhalten. Das

klingt zunächst sehr hart, aber es ist

doch zugleich ein großer Trost, denn,

indem die Lücke unausgefüllt bleibt,

bleibt man durch sie miteinander verbunden.

Es ist verkehrt, wenn man

sagt, Gott füllt die Lücke aus. Er füllt

sie gar nicht aus, sondern er hält sie

vielmehr gerade unausgefüllt und

hilft uns dadurch, unsere alte Gemeinschaft

miteinander – wenn auch

unter Schmerzen – zu bewahren“

(Dietrich Bonhoeffer).

Der Geist Bonhoeffers zog sich durch

einen Vortrags- und Diskussionsabend

zum Thema Trauer und Trost, zu dem

Dekan David Theil und der Psychotherapeut

Dr. Klaus Lang im Trauermonat

November in den Pfarrsaal St. Ursula

eingeladen hatten. Moderiert wurde

die Veranstaltung von Svenja Ritzer.

Vor mehr als zwanzig Zuhörern betonten

beide Redner, dass Trauer

nicht einfach weggetröstet werden

könne. Im Gegenteil: Für Trauernde

liege oft der einzige Trost darin, dass

ihre Untröstlichkeit anerkannt werde.

Biblisch sei dies im Buch Hiob bezeugt,

wo es heiße: „Sieben Tage

und sieben Nächte saßen sie neben

ihm auf der Erde, und keiner sprach

ein Wort zu ihm. Denn sie sahen,

dass sein Schmerz übergroß war“

(Hiob 1,12).

Keine Sorgen um den Verstorbenen

Erst als die Freunde Hiobs sich später

in klugen Erklärungen des Leids

versuchen, werden sie zu „leidigen

Tröstern“. Heutzutage erlebten viele

Trauernde ähnliches: Allerdings

machten Tröstungsversuche wie „Sie

ist doch jetzt erlöst!“, „Für irgendetwas

wird es gut sein!“ oder „Das

Leben geht weiter!“ das Leid nicht

kleiner – aber den Trauernden einsamer.

Deshalb wirkte die Botschaft,

dass Trauer völlig normal ist und

auch Jahre nach einem Verlust noch

28


Lebensläufe

gespürt werden darf, wie Balsam auf

die Seelen vieler Anwesenden.

Dekan Theil stellte klar, dass wir uns

um einen Verstorbenen keine Sorgen

zu machen brauchten: „Er ist bei Gott.

Aber um den Verlust und um das Nie

wieder“ einer Begegnung in irdischen

Maßstäben dürfen wir trauern.“

Anhaltspunkte für Trauernde

Aus psychologischer Sicht ist Trauer

eine ganz natürliche Reaktion auf

einen bedeutsamen Verlust. Solch

ein Verlust stellt Trauernde vor mehrere

Aufgaben: Sie müssen ERSTENS

den Verlust begreifen, was beispielsweise

durch das Anschauen des Verstorbenen

und das Bestattungsritual

erleichtert wird.

ZWEITENS durchleben Trauernde

eine Vielfalt intensiver Gefühle (z.B.

Schmerz, Traurigkeit, Verzweiflung,

Wut, Zukunftsangst, Schuldgefühle),

die viel Energie absorbieren

und gemeinsam mit Unlust und Antriebsschwäche

zu einem teilweisen

sozialen Rückzug führen können. In

dieser Zeit helfen Außenstehende

Trauernden am ehesten dadurch,

dass sie sich die Klagen des trauernden

Menschen wiederholt und

geduldig anhören.

Dekan Theil wies darauf hin, dass

die Klage auch vor Gott gebracht

werden könne, dass gegenüber ihm

auch gehadert, geschimpft und eine

zeitweise Abwendung vollzogen wer-

den dürfe. „Gott hält das aus“ – so

ermutigte Herr Dekan Theil. Um ihre

Klage direkt an Gott zu adressieren,

helfe es manchen Trauernden, einen

eigenen Psalm zu schreiben, der mit

den Worten beginne: „Gott, mein

Herz ist so schwer…“

DRITTENS müssen Trauernde sich an

eine veränderte Umwelt anpassen, in

der die verstorbene Person fehlt. Es

gilt, neue Aufgaben zu übernehmen

und zumindest in Teilen zu „funktionieren“.

Hierbei kann praktische

Unterstützung von Außenstehenden

sehr wertvoll sein.

VIERTENS geht es für Trauernde

darum, die Beziehung zum Verstorbenen

neu zu gestalten. Diese Beziehung

braucht nicht aufgelöst zu

werden. Vielmehr geht es für Trauernde

darum, dem Verstorbenen

einen Platz im eigenen Leben zu

erhalten. Hinterbliebene bewahren

den Verstorbenen beispielsweise als

inneres Gegenüber, als Gesprächspartner

oder Ratgeber. Sie heiligen

diese Beziehung durch Rituale am

Grab, an besonderen Jahrestagen

oder einfach im stillen Gedenken. In

all diesen Facetten begleitet Trauer

den hinterbliebenen Menschen oft

über Jahre und dauert damit viel länger

an, als Außenstehende vermuten

mögen. Deshalb ist es wichtig,

Trauernden auch lange nach einem

Verlust noch mit Geduld zu begegnen

und Gefühle, Erinnerungen und

Ohnmachtsempfinden miteinander

zu teilen.

29


BLICKPUNKT.

TÖNE WI(E)DER,

HEILIGE HALLE ...

Über die Sanierung der

„Schwabinger Dom-Orgel“ in St. Ursula


Orgelsanierung

Von Tobias Gebhard

Fasziniert standen Gemeindemitglieder

und Gäste im Kirchenschiff, den

Blick nicht zum Altar, sondern zur

Orgelempore gerichtet, aufmerksam

zuhörend, staunend und vom Klang

beeindruckt. Beim letzten Pfarrbiergarten

wagte es unser Organist,

Martin Schwingshandl, schloss das

Gitter an der Treppe auf, startete das

Orgelgebläse und erfüllte den Kirchenraum

mit der Toccata aus der V.

Symphonie von Charles Marie Widor.

An sich nichts ungewöhnliches, wenn

an einer mächtigen Orgel wie der

unseren dieses Musikstück gespielt

wird – es sei denn, dieses Instrument

hat seit fast 40 Jahren geschwiegen!

Umso beeindruckender war dieses

Ereignis, weil nur noch ein Teil des

Instrumentes funktionierte.

Dom-Orgel im Dornröschenschlaf

Mit dem Bau der großen Chororgel

von Winfried Albiez – damals ganz

dem Zeitgeschmack entsprechend

mit traditioneller Technik bei der Ansteuerung

der einzelnen Pfeifen auf

mechanischem Weg – verstummte

ab 1984 die große Steinmeyer Orgel

auf der Empore. Chor und Orchester

musizieren seit dieser Zeit im Chorraum,

wo auch der neue Spieltisch,

die „Schaltzentrale“ der Orgel und

Arbeitsplatz des Organisten, seine

Aufstellung fand. Die Orgel auf der

Empore fiel derweil in einen Dornröschenschlaf

– man könnte fast sagen,

sie wurde vergessen.

Die neue Orgel, deren Einbau den

bisher größten baulichen Eingriff in

die Architektur von August Thiersch

darstellt, konnte den mächtigen

kuppelüberwölbten Raum allerdings

nur schwer füllen. Da halfen auch die

vielen gelungenen Register – also

Klangfarben – nicht. Der für die Steuerung

des Instrumentes nötige Einbau

des Holzpodestes im Chorraum

war von Anfang an schmerzlich, weil

er den wunderbaren Marmorboden

verdeckte.

Vor einigen Jahren begann unser

damaliger Kirchenmusiker Johannes

Tribus damit, auf die Defizite der

Albiez-Orgel bei der Gemeindebegleitung

und der Klangfülle im Raum

hinzuweisen. Es wurde leise und ab

und an lauter darüber nachgedacht,

die Hauptorgel durch ein zeitgemäßes

Instrument zu ersetzen. Erste

Entwürfe des Prospektes – also der

Schauseite der Orgel – entstanden

und auch eine Idee, wie groß und

mit welchen Klangfarben ausgestattet

die Orgel gebaut werden könnte.

Mit dem neuen Kirchenmusiker Martin

Schwingshandl sollte überlegt

werden, was bei einem Orgelneubau

von der alten Steinmeyer Orgel übernommen

werden kann. Ein Gutachten

wurde durch die damalige Kirchenverwaltung

beauftragt, der für

Orgeln zuständige Ansprechpartner

aus dem Landesamt für Denkmalpflege

und der Orgelsachverständige

der Erzdiözese eingeladen.

31


BLICKPUNKT.

Das Ergebnis dieser Begutachtung

überraschte ausnahmslos alle, denn

das seit Jahrzehnten schlummernde

Instrument, von Staub und Dreck bedeckt

und seit 1980 nicht mehr gewartet

und gestimmt ist nichts weniger

als eine „Schlafende Königin“!

Der Orgelbauer Steinmeyer aus Oettingen

war 1952 beim Bau der neuen

Orgel eine der führenden Firmen im

Orgelbau weltweit und hatte für den

Schwabinger Dom ein Meisterstück

geschaffen.

Bedeutendes Denkmal der Orgelbaukunst

in Sankt Ursula

Für Sankt Ursula schuf man ein Instrument

auf der Höhe der Zeit, mit

modernster Technik und dennoch

unter Verwendung vieler Pfeifen

der ersten Orgel aus der Werkstatt

Franz Borgias Maerz von 1897. Die

im Dornröschenschlaf schlummernde

Orgel ist also ein bedeutendes Denkmal

der Orgelbaukunst und verdient

es, aus diesem Schlaf erweckt zu

werden. Die Verpflichtung, Gebäude

und Inventar zu erhalten, ist der Kirchenverwaltung

anvertraut. So war

es selbstverständlich, dass bei all

den Projekten und Renovierungsarbeiten

die uns noch über Jahre

beschäftigen werden, auch dieses

wertvolle Instrument nicht vergessen

werden darf.

Doch was nützt uns eine sanierte

Hauptorgel, wenn Chor und Orchester

im Chorraum hinter dem Altar

ihren festen Platz gefunden haben?

Eine Orgel nur für Konzerte oder besondere

Gelegenheiten? Ein Kirchenmusiker,

welcher ständig zwischen

Orgel und Dirigentenpult hin und her

rennt? Schnell stand fest, dass das

nicht unseren heutigen Anforderungen

im Gottesdient entspricht. Ein

Blick in die Festschrift zur Weihe der

Steinmeyer Orgel 1952 gab dann bei

unseren Überlegungen den entscheidenden

Hinweis. Schon damals wurde,

um den mächtigen Kirchenraum

zu füllen, der Vorschlag des Orgelbauers

gemacht, im Chorraum ein weiteres

Orgelwerk zu errichten, dass vom

Spieltisch auf der Empore angesteuert

werden kann. Damals unerhört innovativ

und modern. Umgesetzt wurde

diese Idee indes nicht, sondern stattdessen

die neue Chorrorgel errichtet.

Heute haben wir im Rahmen der Sanierung

unserer Schlafenden Königin

die Chance, die Vision von Steinmeyer

umzusetzen. Dafür gründete sich

aus vier Mitgliedern der Kirchenverwaltung

ein Orgel-Projektteam, das

Projekt „Schwabinger Dom Orgel“

war geboren. Gemeinsam mit dem

Pfarrer und dem Kirchenmusiker arbeiten

wir nun daran, diese gewaltige

Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Denkmalgerechte Sanierung mit

zeitgemäßer Elektronik

Zunächst soll die Hauptorgel denkmalgerecht

saniert und mit zeitgemäßer

Elektronik ausgestattet werden.

Für fünf freie Schalter am Spieltisch

werden zusätzliche neue Register

32


Orgelsanierung

(Klangfarben) und ein Glockenspiel

eingebaut. In einem zweiten Schritt

soll die Chororgel renoviert und

klanglich überarbeitet werden. Dabei

wird auch das Holzpodest ausgebaut

und der wunderbare Marmorboden

von August Thiersch wieder freigelegt.

Ein Generalspieltisch – die

künftige Schaltzentrale der Schwabinger

Dom Orgel – wird errichtet.

Durch die neue Elektronik wird es

möglich, von diesem Platz aus und

über einen weiteren überall im Kirchenraum

aufstellbaren fahrbaren

Spieltisch, beide Orgeln gemeinsam

zu spielen.

Vier renommierte Orgelbaufirmen mit

langer Erfahrung und großer Expertise

wurden eingeladen, Angebote

für die Umsetzung unserer Ideen zur

Schwabinger Dom Orgel abzugeben

und eigene Vorschläge einzubringen.

Die Begeisterung der Orgelbauer bei

der Begutachtung der Instrumente

zeigt, dass das Projekt zukunftsweisend

sein wird.

Im Exsultet, dem großen Gesang der

Osternacht heißt es „Töne wider,

Heilige Halle, töne von des Volkes

mächtigem Jubel.“ In diesen Jubel

stimmt hoffentlich die singende Gemeinde

zum Klang der beiden wertvollen

Orgeln in Sankt Ursula mit

voller Stimme ein. Gemeinsam mit

vielen Musikbegeisterten hoffen wir,

dass die hohen Kosten von ca. 1,4

Millionen Euro aufzubringen sind,

damit dieses große und großartige

Projekt bald beauftragt und in die

Tat umgesetzt werden kann.

Werden Sie Orgelpate!

Helfen Sie uns, die Emporenorgel

von Sankt Ursula wieder

zum Klingen zu bringen. Informationen

zum Projekt sowie zu

einer Patenschaft finden Sie unter

www.Schwabinger-Dom-Orgel.de

Unten: Kirchenmusiker Martin Schwingshandl

auf der Orgel-Empore


BLICKPUNKT.

„SO WIE

BISHER

GEHT ES

NICHT

MEHR

WEITER.“

Der Journalist Matthias Drobinski über den Synodalen Weg, die

Angst der konservativen Bischöfe vor dem Argument und die

Ohrfeige des Papstes

Matthias Drobinski berichtet für die

Süddeutsche Zeitung seit vielen Jahren

über die christlichen Kirchen.

Seit den Missbrauchsfällen, sagt er,

sei in der katholischen Kirche nichts

mehr, wie es vorher gewesen sei.

Der synodale Weg treffe heute auf

eine ganz andere Gesellschaft, auch

innerkirchlich. Das mache echte Reformen

möglich, glaubt der regelmäßige

Gottesdienstbesucher von St.

Ursula.

Herr Drobinski, ist der synodale Weg

ein sinnvolles Werkzeug der Reform

– oder ergebnisloser Austausch altbekannter

Positionen?

Ich muss zugeben, dass ich zunächst

skeptischer war als nach dem ersten

Treffen. Ich hatte mich auch gefragt:

Was soll das bringen? Aber die ersten

Begegnungen waren sehr spannend,

da ist richtig Dampf drin: Eine junge

Frau mit unbestimmter Geschlechtsidentität

diskutiert mit Bischof Voderholzer,

beide sind katholisch, von

gleich zu gleich. Die einen sagen:

Uns reicht’s. Die anderen wollen im

Grunde außer dem Missbrauch keines

der Themen richtig anfassen.

Und trotzdem suchen sie nach der

gemeinsamen Grundlage. Ich sehe

da echtes Potenzial.

34


Kirchenreform

Wird das am Ende wirklich konkrete

Ergebnisse bringen?

Die offenen Fragen der katholischen

Kirche liegen seit 40 Jahren auf dem

Tisch, und natürlich besteht das Risiko,

dass sie auch dieses Mal nicht

beantwortet werden. Doch das Setting

ist inzwischen ein anderes: Die

Welt ist noch einmal viel säkularer

geworden, und die Verantwortlichen

in der Kirche sehen, dass sie in dieser

Welt sprechfähig bleiben müssen

– und auch begeisterungsfähig.

Das wird die Kirche nicht sein, wenn

sie sich von der Lebensrealität der

Menschen weiterhin abkoppelt. Und

auch von der ihrer eigenen Mitglieder.

Die Generation der Frauen, die

sagt: „ich ertrage das leidend“, die

geht zu Ende. Die nächste Generation

katholischer Frauen wird einfach

nicht mehr dabei sein. Das sorgt für

Handlungsdruck.

Hinzu kommt: durch die dramatischen

Missbrauchsfälle ist in der

katholischen Kirche vieles fraglich

geworden: Der Umgang mit Macht,

auch geistlicher Macht, die Lebensvollzüge

von Priestern, das Thema

Sexualität, auch der Zölibat. Insofern

hat der Missbrauch die Hohlheit

vieler überkommener Vorstellungen

dramatisch offenbart. Das ist die

Chance für echte Änderung!

Was genau könnte sich jetzt ändern?

Da muss man unterscheiden. Erstens:

was die Ortskirchen machen

können. Da hat Franziskus den

deutschen Reformern ja mit seinem

Schreiben zur Amazonas-Synode

eine ziemliche Ohrfeige verpasst:

keine Weihe von Frauen mit ihm,

und den Zölibat hat er nicht einmal

angesprochen. Franziskus ist, anders

als viele bisher dachten, nicht der

Türöffner der katholischen Kirche.

Das Schreiben vom Februar 2020 ist

ein hartes Nein zum Hoffen der Reformer

und ist eine echte Bürde für

den synodalen Weg.

Dennoch können selbstbewusste

Bischöfe die bestehenden oder die

sich auftuenden Lücken konsequent

nutzen – ohne gleich das komplette

Kirchenrecht auf den Kopf zu stellen.

Warum gibt es bisher keine weiblichen

Domkapitulare? Nichts spricht

dagegen. Man sollte Frauen ganz bewusst

überall dort platzieren, wo es

nur möglich ist, das wird die gesamte

Machtbalance der Kirche ändern.

Zweitens kann und sollte die deutsche

Kirche, ohne einen Sonderweg

zu gehen, selbstbewusst beitragen

zur weltweiten Diskussion, und sich

dabei auch nicht vom Papst entmutigen

lassen: eine Vision von Kirche

entwickeln und klare Voten abgeben,

auch wenn es in der Weltkirche

vielleicht noch Minderheitsvoten

sind: für die Weihe von Frauen zum

Beispiel. Auch die Kirche ist ein Diskussionsraum,

da muss nicht immer

Einmütigkeit herrschen, und je mehr

argumentiert wird, desto weniger

können sich die Konservativen hin-

35


BLICKPUNKT.

ter einer angeblich unantastbaren

Lehre verschanzen, sondern müssen

ihrerseits auch argumentieren.

Wie sehen Sie die Mehrheitsverhältnisse

in der Versammlung? Wird es

solche Visionen geben?

Es gibt eine reformorientierte Mehrheit,

und zwar nicht nur bei den

Laien, sondern auch innerhalb der

Bischofskonferenz, die sagt: So kann

es nicht weitergehen! Sie will herauskommen

aus der Defensive, aus

der Bewegungslosigkeit. Die Zeit

hat sich auch in der Kirche geändert:

Ein autoritäres Nein zu allem

reicht und geht heute nicht mehr.

Den Notschaltknopf Rom, mit dem

Diskussionen einfach für beendet

erklärt werden, gibt es nicht mehr.

Das empört manche, die über die

eine oder andere Frage nicht einmal

nachdenken wollen. Das bringt sie

aber auch unter Zugzwang, und ich

finde es gut, dass auch sie sich jetzt

erklären müssen.

Wenn Kardinal Müller den synodalen

Weg mit dem Ermächtigungsgesetz

der Nationalsozialisten vergleicht, hört

sich das nicht nach Argumentieren an.

Der ist ja nicht Teilnehmer des synodalen

Wegs, und das ist auch

überhaupt nicht der Ton auf dieser

Versammlung. So ein Vergleich disqualifiziert

sich und seinen Urheber

selbst. Die Konservativen auf der

Versammlung erlebe ich auch als

konservativ im guten Sinn: Sie wollen

die Substanz bewahren, keine

Bewegung nur um der Bewegung

willen, diese Position ist auch sehr

wichtig. Aber es zeigt sich, dass sie

heute nicht länger verordnet werden

kann, dass deren Bewahrer sich

nicht länger hinter Formeln verstecken

können, sondern dass sie sich

erklären müssen. Das ist für diese

Kirchenmänner neu und auch sichtlich

schwierig, aber das ist einer

der ersten Erfolge dieses synodalen

Wegs: Es geht darum, zuzuhören, zu

argumentieren, Gründe zu nennen, zu

überzeugen, nicht beleidigt zu sein.

Denn der oder die Gegenüber ist genauso

katholisch wie man selbst.

Welche Rolle wird am Ende das Rom-

Veto spielen, unter dessen Vorbehalt

der ganze synodale Weg steht?

Das kann schon relevant werden, der

Papst hat mit seinem Schreiben auf

die Amazonas-Synode die Reformfenster,

die viele offen sahen, zugemacht,

und damit viele Katholiken in

Deutschland und in anderen westli-

36


Kirchenreform

chen Ländern schwer enttäuscht.

Offenbar gibt es auch in Rom Unsicherheit

und Unentschlossenheit

in dem, wohin die Kirche sich entwickeln

soll. Man fürchtet wohl den

Geist, den man aus der Flasche lassen

könnte. Die Botschaft des Papstes

an die Deutschen ist daher von

Anfang an doppelgesichtig. Einerseits

sagt er: Geht mutig voran, aber

macht bitte andererseits nichts gegen

die Weltkirche. Die Beharrungskräfte

haben immer wieder das Ohr

des Papstes.

Was wünschen Sie sich persönlich

als Katholik vom synodalen Weg?

Am wichtigsten ist, dass die Kirche

ihre Mechanismen so ändert, dass

sexueller Missbrauch nicht mehr systemimmanent

möglich ist, sondern

so schwer gemacht wird wie möglich.

Das betrifft das ganze Machtgefüge

ebenso wie das Verständnis

von und der Umgang mit Sexualität.

Dass Priester genauso sexuell empfindende

und lebende Menschen

sind wie jeder andere auch, muss

anerkannt werden. Der Zölibat an

sich hat einen Wert, aber die Kirche

muss realisieren, wozu diese Lebensform

tatsächlich führt, die ja nur ein

Teil der Kleriker gut leben kann. Und

dann vor allem: Männer und Frauen

müssen gleichrangig sein, darin sehe

ich eine ganz große Chance. So kann

die katholische Kirche wieder näher

an Jesus Christus heranrücken.

Interview: Gerd Henghuber

Unten: Auftaktveranstaltung des Synodalen

Wegs in Frankfurt


BLICKPUNKT.

KIRCHE IM UMBRUCH

Menschen - auch wir - hätten es gerne perfekt. Wir stecken

viel Kraft in Optimierungsprozesse und Selbstoptimierungsprogramme

boomen.

Von Pfarrer David Theil

Unsere Kirche kennt die Versuchung

sich als eine „societas perfecta“ zu

sehen. Wir Menschen tragen in uns

eine tiefe Sehnsucht nach dem Heil

und das zeigt sich auch in der Idee

des idealen Menschen, der idealen

Beziehungen, der Vorstellung von

einer idealen, heilen Welt und einer

idealen Kirche.

In der Wirklichkeit ist nichts perfekt,

in der Wahrheit des Lebens gibt

es bestenfalls die Annäherung an

ein Ideal. Dies lernen wir mühsam,

auch in unserer Kirche. Wir sind, wie

Papst Franziskus es sagt, eine „verbeulte

Kirche“, ein „Feldlazarett“.

Auch durch die Erkenntnisse der

Missbrauchsstudie sehen wir unser

Versagen deutlich vor Augen. Scham

und Entsetzen lähmen nicht nur, sie

ermöglichen auch, aus tiefer Betroffenheit,

hinzuschauen und umzukehren,

Schuld und Versagen zu bekennen,

Genugtuung zu leisten und in

Prävention glaubhaft zu investieren.

Geistlicher Prozess: mehr, als am Anfang

und Ende ein Gebet zu sprechen

Die Lernbereitschaft ist in großen

Teilen der Kirche da – nicht bei allen

und doch bei der großen Mehrheit.

Deshalb ist der synodale Weg, den

wir als Deutsche Kirche zwei Jahre

beschreiten wollen, der richtige Im-


Kirchenreform

puls, den wir nun mit Leben füllen

wollen. Es soll ja ein geistlicher Weg

sein, und dies meint mehr als am

Anfang und am Schluss ein Gebet zu

sprechen und dazwischen so etwas

wie Tarifverhandlungen zu führen.

Sich für Gottes Geist wirklich zu öffnen,

setzt die Bereitschaft voraus,

dass wir uns von vielem, was uns

vertraut und selbstverständlich ist,

verabschieden müssen, damit etwas

Neues entstehen kann.

Und bei aller Treue und allem Bemühen

ist auch unter uns in der Kirche

viel Frustration. Viele erinnern sich

an den Aufbruch des II. Vatikanischen

Konzils und die großen Hoffnungen,

die sich für die Kirche in Deutschland

mit der Würzburger Synode verbunden

haben. So viele richtige Ansätze,

so viel berechtigte Hoffnung und

dann im Pontifikat von Papst Paul VI.

ab dem Jahr 1968 und in den Pontifikaten

von Papst Johannes Paul II.

und Papst Benedikt XVI. schauen wir

auf eine lange Zeit, die viele Gläubige

in unserem Land als Rückschritt

empfanden und empfinden.

Viele wenden sich von unserer Kirche

ab - Ich kann das verstehen!

Die eigentlichen Themen, eine Kirchliche

Sexualmoral, die auch den

Erkenntnissen der Humanwissenschaften

Rechnung trägt und die die

konkreten Menschen in ihrer konkreten

Situation wertschätzt und ernst

nimmt, ein positives, weites Bild des

Katholischen in einer pluralen Welt,

ein Amtsverständnis, das in Treue

zur Sakramentalität der Kirche, das

„Recht des Volkes Gottes auf die Feier

der Sakramente“ höher stellt, als Zulassungsvorschriften

für den priesterlichen

Dienst, um nur drei drängende

Bereiche zu nennen, wurden nicht

hinreichend in den Blick genommen.

Viele wenden sich von unserer Kirche

ab und ich muss leider gestehen,

dass ich das oft auch verstehen

kann.


BLICKPUNKT.

Und dann mein Erleben vor Ort in

unseren beiden Pfarreien mit unterschiedlicher

Tradition in einem Pfarrverband,

den die Menschen sich

nicht gewünscht hatten. Ich treffe

Menschen, die treu und konstruktiv

zu ihrer Gemeinde und ihrer Kirche

stehen, die sich einbringen mit ihren

Gaben und Begabungen und vor Ort

Existenz und Evangelium berührend

leben. Für und mit diesen Menschen

bin ich nach wie vor gerne Priester

und setze ich auch gerne meine

Kraft, für einen konstruktiven Weg

mit dem Evangelium in der Welt von

heute in dieser Zeitstunde der Kirche

ein.

Wir brauchen Orte des Erzählens

mehr als Orte des Berichtens

So wie es aussieht, wird die Kirche

in ihren Strukturen, wie wir sie kennen

und lieben, zusammenbrechen

und das schmerzt sehr – auch mich.

Und dennoch werden wir nicht aufgeben,

weil wir eine Sendung vom

Herrn haben. Wir sind herausgefordert,

mit starkem und weitem Herzen

die Engstirnigkeiten in Kirche und

Welt, die aus Schwäche und Angst

entstehen, nicht zu bedienen, sondern

die Alternative der Erlösten und

Befreiten zu leben.

In diesen umbrüchigen Zeiten brauchen

wir Menschen, die mit uns

mehr leben als nur das eigene Kleine,

die eigene Idee retten zu wollen,

wir brauchen Orte des Erzählens

mehr als Orte des Berichtens, wir

brauchen Erzählgemeinschaften des

Glaubens. Wir sagen einander, was

uns Mut macht zu leben und das

könnte ein ganz neuer Begriff von

Kirche werden. Und wenn sich nichts

bewegt und es immer weniger Priester

gibt, beginnen vielleicht wieder

Frauen und Männer in den Häusern,

in den Erzählgemeinschaften des

Glaubens, das Brot zu brechen und

den Wein zu teilen und den Herrn zu

erinnern und aufzubrechen ...

Das ist nicht die mir vertraute Idee

von Kirche und deshalb wünsche ich

mir, dass wir als Kirche umkehren

und Sendung und Weihe verbinden

unter dem Primat, dass das Volk

Gottes ein Recht darauf hat, die Sakramente

zu feiern. Und ich bin mir sicher,

dass, wenn wir uns nicht bewegen,

der Geist Gottes andere Wege

finden wird und ich versuche mich

damit anzufreunden, dass es Wege

sein werden, die ich mir nicht vorstellen

kann und die mich befremden

werden.

Dennoch hoffe ich auf ein Zuhause

in dieser Kirche, wissend, dass es

hier keine bleibende Stadt gibt und

meine letzte Sehnsucht Geborgenheit

im Ewigen sucht. Unser Glaube

sagt, dass das Beste noch vor uns

liegt, in der Vollkommenheit Gottes,

eines Gottes, der immer neu aufbricht

im Zeichen des Kreuzes, um

uns in unserer Unvollkommenheit

heilsam zu berühren und mit uns

Wege geht zum Heil der Menschen

und der Welt.

40


Kirchenreform

IMMER WIEDER

DIESER ZÖLIBAT

Gleich zwei Autoren aus dem Pfarrverband haben Bücher zur

Reformdebatte in der Kirche geschrieben – Dr. Robert Mucha

und Gerd Henghuber stellen ihre Werke im Steckbrief vor.

Robert Mucha: Nicht schon wieder

Zölibat! 10 Fragen, die man als

Theologe am häufigsten hört und

Antwortversuche darauf, Paderborn,

Bonifatius, ISBN: 9783897108103

Worum geht es?

Nicht nur um den Zölibat! Auf Partys

wird man als Theologe ja oft

schief angeschaut und ausgefragt.

Die erste Frage dreht sich um den

Zölibat und dann, warum man Gott

nicht auch im Wald suchen könne

und man die Kirche überhaupt brauche.

Dann werden die Gespräche

meistens schnell persönlicher und

es geht zu den wichtigen Existenzund

Glaubensfragen. Mein Buch will

diese häufig gestellten Fragen beantworten.

Im Grunde ist es der verschriftlichte

Dialog aus sicher über

hundert Gesprächen.

Warum dieses Buch?

Weil viele Bücher einfach zu abgehoben

sind. Ich wollte ein Buch schreiben,

das man auch gern im Urlaub

am Strand liest: verständlich, mit

41


BLICKPUNKT.

vielen Infos – aber auch mit etwas

Augenzwinkern und Fun-Facts.

Wer soll es lesen?

Eigentlich ist es für alle, die sich für

das Christentum generell interessieren.

Es richtet sich also nicht an Experten,

sondern vor allem an Skeptiker

oder auch Gläubige, die dem

eigenen Glauben distanziert gegenüberstehen

oder über einen Kirchenaustritt

nachdenken.

Was bringt es?

Na ich hoffe doch zu allererst Lesefreude!

Und dann einen differenzierteren

Blick auf einige Themen rund

um den Glauben. Religion ist ja nicht

„ja oder nein“, „schwarz oder weiß“

– ich gebe darin keine Wahrheiten,

sondern Denkanreize und teils auch

sehr persönliche Sichtweisen weiter.

Was würde Papst Franziskus dazu

sagen?

Ich glaube, bei vielem, was ich da

schreibe, würde er mitgehen. Gerade

aber im unwürdigen Gerangel um

Deutungshoheiten zwischen Rom

und der Deutschen Bischofskonferenz

würde ich ihm einige Passagen

zur Lektüre am liebsten direkt auf

den Schoß werfen! Ich argumentiere

im Buch m.E. sehr „katholisch“

– doch weiß ich nicht, ob das Katholische

heute in der Kirche nicht

zu klein und ängstlich gedacht wird,

denn katholisch heißt im Gegenteil:

allumfassend – groß und weit. Das

stelle ich im Buch immer wieder dar,

aber anscheinend wissen momentan

weder Papst noch Bischöfe, wie man

einen wirklich katholischen Glauben

heute adäquat ausdrücken kann.

Reine Formtreue und Berufung auf

Traditionen sind jedenfalls nicht katholisch,

sondern eine plumpe Verkürzung.

Für Lesefaule: das Buch in einem

Satz?

Ob Zölibat, Leben nach dem Tod

oder Trinität – das Buch gibt in lockerer

Weise die wichtigsten Antworten

auf alle Fragen, die Gläubige wie

Nichtgläubige bezüglich Christentum

und Kirche unter den Nägeln brennen.

---------------------------------------------------

Anselm, Bilgri und Gerd Henghuber:

Bei aller Liebe – Warum die katholische

Kirche den Zölibat freigeben

muss, Piper-Verlag,

ISBN: 978-3-492-05874-2

Worum geht es?

Um den Zölibat, den ewigen Aufreger!

Während ihn Anselm Bilgri, der

frühere Cellerar von Kloster Andechs,

in seinen verschiedenen historischen,

theologischen und kulturellen Aspekten

beleuchtet, habe ich journalistisch

versucht, die Lebenswirklichkeiten

von Menschen zu zeigen,

die mit und unter diesem Konstrukt

leben müssen. Die Beispiele des oft

genug würdelosen Versteckspielens

sind erschreckend. Ich gehe davon

aus, dass es mehr Priester gibt, die

Partnerinnen oder Partner haben,

42


Kirchenreform

kurze Affären oder jahrzehntelange

Beziehungen, als solche, die ernsthaft

versuchen und es auch schaffen,

sich an den Zölibat zu halten. Das ist

kein Anlass für Schlagzeilen, sondern

schlicht die menschliche Normalität,

die jeder Katholik, der ein bisschen

genauer hinsieht, kennt. Wenn die

Kirche dennoch die sexuelle Enthaltsamkeit

als Norm und Zugangsvoraussetzung

postuliert, hat das

Folgen: für die Zahl und Zusammensetzung

des Priesternachwuchses

ebenso wie für die Glaubwürdigkeit

und Lebensnähe unserer Kirche. Der

Zölibat ist daher ein zentrales Symptom

der Krise unserer Kirche.

Warum dieses Buch?

Mein Co-Autor Anselm Bilgri und

ich wollten vor der Jugend- und der

Amazonas-Synode einen Beitrag

leisten zur Reformdiskussion in der

Kirche. Wir sind überzeugt davon,

dass der Zölibat freigegeben werden

muss, wenn die Kirche zukunftsfähig

sein will: zum einem, um den Zugang

zum Priesterberuf wieder zu

weiten, zum anderen, um dieses Amt

von der dem Zölibat innewohnenden

Falschheit zu befreien.

Wer soll es lesen?

Alle, die sich für die Zukunft der

katholischen Kirche interessieren.

Es enthält einen eher theoretischen

Teil und eingestreut darin die Interviews

mit den betroffenen Priestern

und Lebenspartnern. Dadurch ist das

Buch spannend und gut lesbar.

Was bringt es?

Wir hatten eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit,

als wir es vorstellten,

waren damit in vielen Zeitungen, im

Radio und im Fernsehen. Wenn ich

mir die Ergebnisse der beiden Synoden

und das Gezerre um den synodalen

Weg anschaue, dann habe

ich Zweifel, ob die Diskussion etwas

bringt. Anselm Bilgri und ich sind

beide engagierte Katholiken. Wir

wollen nicht länger in Jahrhunderten

denken, sondern erwarten von unserer

Kirche jetzt Reformen.

Was würde Papst Franziskus dazu

sagen?

Vor ein, zwei Jahren hatte ich gedacht,

es müsste nur eine Gruppe

von Ortsbischöfen den Mut aufbringen

und verheiratete Männer zu

Priestern weihen, Franziskus würde

es mit Freude erlauben. Heute bin

ich mir da nicht mehr so sicher. Er ist

halt auch Politiker, und wahrscheinlich

muss er das auch sein. Dennoch

halte ich das Reformfenster unter

seinem Pontifikat grundsätzlich für

offen, auch was den Zölibat betrifft.

Für Lesefaule: das Buch in einem

Satz?

Der Zölibat stellt einen Wert dar, wenn

er gelebt werden kann. Mit Falschheit

aber, Heimlichtuerei, Wegschauen

und einer verqueren Sicht auf eine

zentrale menschliche Lebensrealität

entfernt sich die Kirche von den Menschen.

Da der Zölibat nicht zur Grundessenz

katholischen Glaubens zählt,

muss er frei gegeben werden.

43


BLICKPUNKT.

„CHRISTEN SOLLEN

SICH POLITISCH

EINMISCHEN!“

Doppelinterview mit dem früheren Oberbürgermeister Christian

Ude und Dekan David Theil

Die Reibereien zwischen Don Camillo

und Pepone unterhalten uns bis

heute, aber wie ist es tatsächlich bestellt

um das Verhältnis von Kirche

und Politik? Wir haben die beiden

Nachbarn am Kaiserplatz zum Interview

gebeten.

Herr Ude, waren Sie als Oberbürgermeister

über Einmischungen der Kirchen

dankbar, oder haben die eher

genervt?

Ude: Auch wenn ich das als junger

Mann noch anders sah: in meiner

Amtszeit war ich völlig zufrieden mit

dem intensiven Dialog, den wir nicht

nur mit der katholischen und der

evangelischen Kirche und der Orthodoxie

führten, sondern auch mit Juden

und Muslimen. Ich erinnere nur

an die Diskussion um die Moschee

in Sendling, da waren wir uns mit

den Vertretern aller Religionen immer

einig. Und auch wenn ich weiter

zurückblicke: die Kirchen waren bei

den großen Fragen immer da, und

manchmal haben Stellungnahmen

der Kirchen sogar SPD-Parteitagen

gezeigt, wo es langgeht, etwa bei

der Anerkennung der Oder-Neiße-

Grenze.

Sie klingen ja wie ein Fan der Kirchen,

war das immer schon so?

Ude: Jetzt sprechen Sie mich doch

auf die dunkle Vergangenheit an. Ich

war auf dem Gymnasium, als Hochhuths

„Stellvertreter“ rauskam, und

die Frage, wie sich hier beide christliche

Kirchen zum Steigbügelhalter

der Nationalsozialisten machen

konnten, beschäftigte mich lange,

und ich überlegte immer wieder, aus

der evangelischen Kirche auszutreten.

Was mich an der katholischen

damals aufregte war, dass sich viele

ihrer Vertreter nicht zu blöd waren,

sich zum Reklameträger einer poli-

44


tischen Partei zu machen, die das

C im Namen führt, und gleichzeitig

viele ganz und gar nicht christliche

Positionen vertrat. Wenn es in Hirtenbriefen

zum quasi göttlichen Gebot

erklärt wurde, eine christliche

Partei zu wählen, dann habe ich als

Schüler in den 60er Jahren die katholische

Kirche durchaus als fünfte

Kolonne des politischen Gegners

wahrgenommen.

Pfarrer Theil, wie konnte es dazu

kommen, dass die Kirche als parteipolitisches

Instrument gesehen wurde?

Theil: Wirklich verstehen kann ich

das auch nicht. Christliche Themen

sind sicher nicht einfach parteipolitisch

zu formulieren. Aber das ist ja

heute zum Glück nicht mehr der Fall,

wir haben da eine viel größere politische

Bandbreite. Bei den Kommunalwahlen

haben Mitglieder unserer

Gemeinden für die CSU, die SPD und

die Grünen kandidiert – niemand, soweit

ich weiß, für eine populistische

Partei. Ich finde es sehr wichtig, dass

wir uns als Christen vehement gegen

jeden Fundamentalismus zur Wehr

setzen, ich mache das auch oft in

Predigten deutlich. Wir dürfen nicht

vergessen, dass Hitler die Macht

nicht ergriffen hat, sondern dass er

demokratisch gewählt wurde.

Wie sehen Ihre Gemeinden diese

Haltung?

Theil: Es gibt einzelne, die sich damit

schwertun, manche haben eine eigene

Migrationsgeschichte. Die Mehrheit

der Menschen, auch in unseren

Gremien, ziehen am selben Strang.

Herr Ude, gibt es einen Punkt, an

dem Sie ihren Frieden gemacht haben

mit den Kirchen?

45


BLICKPUNKT.

Ude: Nicht einen bestimmten Moment,

aber ich hatte immer intensive

Beziehungen mit Repräsentanten der

Kirchen, schon als Jugendlicher durch

die Familie. Ich war auch viele Jahre

in einem Bibelkreis des Christlichen

Vereins Junger Männer. Am Ende war

es wohl das soziale Engagement der

Kirchen, das mich bis heute hält. Das

befriedigt einen gläubigen Menschen

wahrscheinlich nicht, aber ich konnte

mit dogmatischen Positionen nie etwas

anfangen. Aber die katholische

Soziallehre zum Beispiel hat mich

sogar als protestantischen Skeptiker

stets fasziniert. Mein Argument

für die Kirchen ist, dass ich mir den

sozialen Frieden in der Stadt nicht

vorstellen kann ohne das enorme

Engagement der Christen. Das hat

man bei der Flüchtlingswelle ganz

deutlich gesehen.

Pfarrer Theil, zu welchen Themen

darf / soll / muss sich Kirche politisch

äußern?

Theil: Es gibt unterschiedliche Kirchenbilder:

das eine, dass sich die

Kirche eher abschotten will von der

Welt. Danach sollte sie sich am besten

gar nicht einmischen. Das andere,

das auch das meine ist, sieht Kirche

als Teil der Welt. Und in der darf

sie sich nicht nur, sondern muss sich

äußern. Ich sehe auch nicht, dass es

dafür eine bestimmte Schwelle gibt.

Christen sollen sich so konkret wie

möglich einmischen, zu großen Themen

ebenso wie zu kleinen – aber

auch das Bewusstsein haben, dass

sie das als eine Stimme neben anderen

in einer Demokratie tun. Auch

wir als Kirche kennen die Wahrheit

oft nicht, sondern müssen sie im

Dialog mit anderen suchen.

Wie bitte? Die Kirche kennt die Wahrheit

nicht?

Theil: Nicht in der konkreten politischen

Ausprägung. Ein Beispiel:

natürlich schützen Christen Leben!

Aber schützen wir ungeborenes Leben

besser, indem wir Frauen, die in

schwierigen Situationen eine Abtreibung

wünschen, beraten – oder dadurch,

dass wir aus dieser Beratung

ausgestiegen sind? Ich habe das für

einen schweren Fehler gehalten, andere

sahen es anders.

Was sind speziell christliche Themen

in der Politik?

Theil: Christen überlassen die

Schöpfung nicht einfach sich selbst,

sondern bewahren sie. Das gilt zuallererst

für den Schutz des Lebens,

etwa aktuell in der Diskussion um

die Sterbehilfe. Menschen sind

mehr als Leistungsträger, sie dürfen

auch zur Last fallen. Dann ist unser

christlicher Auftrag immer ein sozialpolitischer:

Christen engagieren sich

aus ihrem Selbstverständnis für die

Schwächsten, die Ausgegrenzten, die

Armen und zwar nicht nur karitativ,

sondern auch indem wir nach den

Strukturen fragen: Wie kommt es

dazu? Welche Form von Gesellschaft

und Wirtschaft brauchen wir? Papst

46


Auf ein Wort am Kaiserplatz

Franziskus gibt hierzu wichtige Impulse.

Es wird von Politikern ja nicht immer

gern gesehen, wenn Kirchenvertreter

sich konkret einmischen, Herr Ude?

Ude: Ja, das kommt zuweilen vor.

Erstaunlich finde ich zum Beispiel,

dass die Partei, die sich das C zum

Markenkern gemacht hat, extrem

gereizt reagiert hat, als sich die

Kirchen in der Flüchtlingsfrage auf

der Grundlage des Evangeliums einmischten.

Anders herum finde ich es

aber auch höchst befremdlich, wenn

Pfarrer mit einer christlichen Begründung

als prinzipielle Flughafengegner

auftreten, obwohl sie selber

reichlich oft fliegen - oder wenn sie

Widerstand gegen eine Umgehungsstraße

segnen, als würde die Straße

in der Nachbargemeinde niemanden

beeinträchtigen. Das ist Populismus

schlichtester Art, wenn sich Kirchen

so instrumentalisieren lassen, verlieren

sie ihre Glaubwürdigkeit.

Würden Sie Flughafengegner segnen,

Pfarrer Theil?

So etwas ist eine Gratwanderung,

aber ich schließe auch eine solche

Positionierung nicht aus. Man muss

sich die Haltung dahinter ansehen.

Das Sankt-Florians-Prinzip ist sicher

nicht christlich zu begründen. Verantwortung

für die Schöpfung aber

sehr wohl. Instrumentalisierung

meint ja das Motiv, weshalb etwas

getan wird, wenn also etwas nicht

aus christlicher Überzeugung sondern

aus parteitaktischer Sicht getan

wird.


BLICKPUNKT.

Genau darum geht es, das klar zu erkennen

und zu unterscheiden, wenn

wir uns äußern.

In Krisen wie der Corona-Pandemie

sind auch die Kirchen gefragt, zum

Beispiel wenn es darum geht abzuwägen,

was schwerer zählt: den

Zugang zum Gesundheitssystem

für Erkrankte offen zu halten oder

die dramatischen Folgen für alle. Es

kann zu einem Entscheidungsdilemma

kommen.

Theil: Ich finde es schwierig, dass

wir in guten Zeiten nicht stärker eine

weltweite Solidartität geübt haben

und ich möchte nicht in der Haut

derer stecken, die Entscheidungen

treffen müssen, die in letzter Konsequenz

Leben kosten.

Erstens: Gutes tun, Böses lassen.

Zweitens: Wenn das Gute nicht klar

ist, dann das geringere Übel wählen.

Drittens: Es kann geboten sein, bewusst

ein Übel zu setzen, um ein viel

größeres zu verhindern. So haben

die Christen des 20. Juli auch den

Tyrannenmord gerechtfertigt.

Und wenn man nicht weiß, was das

größere, was das kleinere Übel ist?

Theil: Dann hilft mir das Gebet und

der Dialog mit Menschen, um klarer

zu erkennen und dass daraus hoffentlich

ein geisterfülltest Handeln

wird, das nicht aus Angst, sondern

aus Vertrauen gespeist ist.

Interview: Gerd Henghuber

Ude: Ich sehe das sehr ähnlich. Natürlich

lässt sich das Ja zum Leben

nicht abwägen, kein materieller Vorteil

rechtfertigt eine Alternative. Was

aber ist, wenn wir über wirtschaftliche

Zustände reden, die auch Leben

kosten? Welcher Weg der richtige ist,

ist eigentlich keine religiöse Frage,

sondern rationale Abwägung der viel

gescholtenen Politiker, die, wie wir

jetzt sehen, gar nicht so schlecht

sind.

Theil: Ich meine schon, dass das

eine religiöse Frage ist, auch wenn

uns reine Gesinnungsethik sicher

nicht weiterhilft. Aber es gibt aus

der christlichen Ethik folgenden Dreischritt

für richtige Entscheidungen:

48




Gemeinde

GEMEINDE IN ZEITEN

VON CORONA

Was bedeutet ein Videostream, wenn man die Gemeinsamkeit

vermisst?

Von Gerd Henghuber

Am 13. März 2020 hatte das Erzbistum

sämtliche Gottesdienste abgesagt.

Zwei Tage später war ein

Gottesdienst aus Sankt Ursula als Live-Stream

im Internet verfügbar, und

der Bayerische Rundfunk berichtete.

Eine Whats-App-Gruppe hatte sich sofort

gebildet, um Lösungen zu finden,

wie man Gottesdienst feiern könnte

in Zeiten von Gottesdienstverbot. Ein

Sonntag ohne Messe? No go!

So feierten am 15. März viele Gemeindemitglieder

zuhause mit, wie

zahlreiche Zuschriften belegen: „Vielen

vielen Dank dafür, dass wir den

Gottesdienst in unserer Kirche mit

unserem Pfarrer erleben durften in

dieser schweren Zeit, das hat uns

unglaublich viel gegeben.“

Auch in den Wochen danach feierte

Pfarrer David Theil mit einer sehr

kleinen Gemeinde aus Mesner, Kirchenmusikern,

Lektor und Aufnahmeleiter

eine Messe in der leeren

Kirche, die ins Internet übertragen

wurde. Im Gotteshaus war das etwas

gespenstisch, zumal die Tonanlage

einen gehörigen Hall erzeugt, an den

Computern der Gemeindemitglieder

wurde das Angebot aber als extrem

wohltuend wahrgenommen. Die Gemeinde

zeigte auch virtuell, dass sie

eine ist und in einer schwierigen Zeit

beieinander ist und zueinander steht.

Nach dem Weihrauchopfer, das den

Kirchenraum wohlschmeckend einnahm,

wurde das Portal geöffnet,

und überraschend viele Gemeindemitglieder

strömten zum Beten in

die Kirche. „Wir haben Sie gerade im

Internet gehört, Herr Pfarrer, danke

für diese Predigt!“

Wobei sie es selbst waren, denen

zu danken war: dafür dass sie dabei

sind und bleiben. Dass sie völlig

anstandslos auf neue Formate wechselten.

Und andere fühlten sich auch

angezogen vom offenen Portal: „Darf

man da reingehen?“, fragte einer.

Selbstverständlich. Dafür sind wir

da. Virtuell genauso wie im realen

Leben.

51


BLICKPUNKT.

PFARRVERBAND

IN ZAHLEN 2019

ST. URSULA

ST. SYLVESTER

Katholiken

5.146

Katholiken

2.952

Taufen

63

Taufen

32

Erstkommunion

(Pfarrverband

gesamt)

84

Erstkommunion

(Pfarrverband

gesamt)

84

Firmung (gesamt)

54

Firmung (gesamt)

54

Eintritte/

Eintritte/

Wiederaufnahmen

2

Wiederaufnahmen

0

Austritte

172

Austritte

104

Bestattungen

20

Bestattungen

20


Zahlen


BLICKPUNKT.

MEHR VOM GLAUBEN

ERFAHREN

Wieso ein berufstätiger und auch ansonsten stark engagierter

Familienvater plötzlich Theologie im Fernkurs studiert, schildert

Marcel Renneberg

Als praktizierende Christen im Laienstand,

wie es offiziell so schön heißt,

sind wir in der Regel keine ausgebildeten

Theologen. Dennoch stellen

wir, die wir die sonntägliche Eucharistie

besuchen, Weihnachten und

Ostern feiern, unsere Kinder taufen

lassen oder daheim Verse der Heiligen

Schrift lesen und zu verstehen

versuchen, uns vielleicht hin und

wieder Fragen dahingehend, wie das

denn so ist mit unserem Glauben:

was Trinität, Sakramente, Reich Gottes

und Liturgie bedeuten, wie wir

uns ein Leben nach dem Tod hoffend

und glaubend vorstellen dürfen, wie

wir über Gott sprechen und was wir

über Ihn aussagen können – wenn

überhaupt – welche die Urwurzeln

unseres Glauben sind, welche die

bis ins Jetzt wirkenden wichtigen Ereignisse

einer 2000 Jahre alten Kirchen-

und Glaubensgeschichte unserer

Kirche(n), wie Muslime und Juden

ihren Glauben verstehen und leben.

Wir möchten also mehr von unserem

Glauben erfahren, den wir als Gnadengeschenk

Gottes erhoffen, (er-)

leben und bezeugen dürfen. Wir versprechen

uns davon einen Erkenntnisgewinn,

möglicherweise sogar

eine Vergewisserung, auf jeden Fall

aber ein tieferes Eintauchen in unsere

ganz persönlichen Glaubensfragen,

um gegenüber uns selbst, aber

auch vielleicht anderen gegenüber,

sprechfähiger und glaubhafter zu

werden. Diese Sprechfähigkeit und

die damit verbundene Zeugnisfähigkeit

war sicherlich zu allen Zeiten

wichtig, sie scheint aber gerade heute

immer wichtiger zu werden.

Systematisch vorgehen

Mit einem immer größer und intensiver

werdenden Engagement im

Pfarrverband Altschwabing, als Vater

von zwei Kindern und Ehemann, als

mitten im Leben und im Beruf stehender

Mann, begann es bei mir vor

gut fünf Jahren, dass ich anfing, mir

solche Fragen verstärkt zu stellen.

Die allererste Frage aber war: Wie

kann es mir möglicherweise gelingen,

mehr und Genaueres zu erfahren?

Recht schnell war mir bewusst,

54


Theologie

dass ich hier systematisch vorgehen

musste, um mehr und im Kontext,

aber auch im Austausch mit anderen

zu erfahren, was das denn nun ist,

Glaube, Kirche, Gott und die Welt.

Fernkurs ThiF

Und so stieß ich nach einiger Suche

auf den Studiengang „Theologie

im Fernkurs“ (ThiF) der Domschule

Würzburg. Auf der Startseite von

https://fernkurs-wuerzburg.de/ wirbt

Thif wie folgt:

„Theologie im Fernkurs bietet im

Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz

Kurse im Fernstudium für

alle Interessierten an, die mehr vom

christlichen Glauben wissen, sich

argumentativ mit Glaubensfragen

auseinandersetzen und seine Bedeutung

für das eigene Leben erschließen

wollen. Grundlage dafür ist die

gegenwärtige katholische Theologie

im deutschsprachigen Raum. Grundsätzlich

stehen die Kurse allen Glaubenden,

Suchenden und Zweifelnden

offen. Darüber hinaus ermöglichen

die Kurse eine Ausbildung für kirchliche

Berufe in Schule und Gemeinde.“

Ich war sehr schnell angetan von

diesem Angebot und meldete mich

im Frühjahr 2016 an. Das Studium

richtet sich an Männer und Frauen

jeden Alters und jedweder Konfession;

es gliedert sich in einen Grundund

Aufbaukurs (sowie zusätzlichen

religionspädagogischen und pastoraltheologischen

Kursen für eine

55


BLICKPUNKT.

spätere kirchliche Verwendung) in

denen jeweils 24, von Hochschullehrern

verfasste, Lehrbriefe zu erarbeiten

sind.

Kurse, Hausarbeiten, Studientage

Glücklicherweise bietet das Erzbischöfliche

Ordinariat abendliche Begleitkurse

an (ca. alle 14 Tage), in

denen der jeweils anstehende (und

gelesene/bearbeitete) Lehrbrief besprochen

wird und die Studierenden

darüber ins Gespräch kommen. Der

Lernaufwand pro Lehrbrief ist von

jedem Studierenden selbst zu planen

aber von der aufzubringenden

Zeit her keinesfalls zu unterschätzen.

Grund- und Aufbaukurs schließen,

sofern man das möchte, mit Hausarbeiten

und mündlichen/schriftlichen

Prüfungen ab. Studientage und

-wochenenden zu Kirchengeschichte,

dogmatischen Themenfeldern

wie Trinitätslehre oder Christologie,

interreligiösem Dialog oder den

Wundergeschichten bei den synoptischen

(!) Evangelisten u.a., ergänzen

und vertiefen das Gelernte.

Nach dreieinhalb Jahren des Studiums

bei ThiF kann ich sagen, dass

mich das Studium mit seinen vielfältigen

Themen und den entstehenden

Diskussionen sehr bereichert. Viele

Fragen finden Antworten, viele neue

Fragen kommen hinzu und lassen

mich nicht mehr los. Zusammenhänge

und Abhängigkeiten werden klarer.

Die Beschäftigung mit meinem

Glauben gewinnt angesichts gar nicht

so trockener Theologie noch einmal

an Tiefe und macht im praktischen

Glauben einiges verständlicher. Ich

kann also dieses Studienangebot all

denjenigen sehr empfehlen, die sich

ernsthaft und fundiert mit Theologie

befassen möchten.

Rechts: Die beiden Ministranten Maximilian

Dittmann und Nelly Meyer

56


Jugend

ZWISCHEN STUCK

UND KÜCHENZEILE

Neuer Raum für den Nachwuchs in St. Sylvester

Von Bastienne Mues

Die Aussage „etwas Raum zu geben“

ist im übertragenen Sinne zu verstehen.

Es geht um Gedanken und

Ideen, für die man den Geist öffnet,

denen man Bedenkzeit einräumt und

Anerkennung zollt. Diese Form der

Wertschätzung kann man aber auch

ganz konkret so verstehen, dass

man einer Idee einen echten Raum

gibt, wo sie sich verwirklichen kann.

Im Falle von St. Sylvester ist es die

Idee, dass der eigene Nachwuchs der

Gemeinde wichtig genommen wird.

Die Kirchenverwaltung hat Gelder bewilligt,

damit die Kinder und Jugendlichen

ihre Glaubenserfahrungen in

schönen Räumen machen können.

Bis jetzt tagten die Kommunionkinder,

der Kinderbibelgarten und die

Ministranten im Christopherus-Stüberl,

das zwar immerhin da war, aber

mit seinem ergrauten Siebzigerjahre-

Flair wenig Charme hatte. Nun wurde

das Stüberl, dessen Eingang sich

– steht man vor dem Altar der alten

Kirche – links befindet – von Grund

auf renoviert und modernisiert.

Oberministrant Maximilian Dittmann

hatte hier die Federführung inne,

Pfarrer David Theil und Architekt

Thomas Rauch unterstützten ihn.

Wichtig sei ihm, so Pfarrer Theil,

dass das Engagement für die Jugend

von der Jugend selbst komme. Maximilian

hat die Aufgabe begeistert

übernommen, und bis Anfang 2020

war die Renovierung abgeschlossen.

Dabei hielt sich der Oberministrant

ganz an die Devise des Kirchenpflegers

Dr. Paul Siebertz: „Macht es

so, dass es schön wird und ihr euch

wohl fühlt.“ Die Holzverkleidung der

Wände wurde entfernt, auch die der

Decke, worunter sich erfreulicherweise

Stuck befand. „Insgesamt

wird alles höher und lichter“, erklärt

57


BLICKPUNKT.

Maximilian. „Die Einrichtung soll

modern werden“. Besonders freut

er sich über die neue Küchenzeile,

so können die Kinder und Jugendlichen

künftig zusammen kochen

und backen. Ein Holzschnitt des Heiligen

Christopherus soll den Raum

schmücken. „Ich finde es toll, dass

ich so viel entscheiden kann“, sagt

Maximilian.

Ein weiteres Highlight: Pfarrer Theil

hat der Jugend zum Christopherus-

Stüberl einen zusätzlichen Raum

zur Verfügung gestellt: das über

dem Stüberl befindliche Oratorium,

ein ehemaliger Gebetsraum.

Dieser bleibt

den Ministranten vorbehalten.

Hier können

sie unter sich sein,

an einem langen

Tisch tagen, eine

Sitzecke lädt zum

Entspannen ein,

und möglicherweise

wird noch

ein Beamer für

Filmabende angeschafft.

Lange

Zeit diente der

Raum als Lager

für allerlei Heiligendarstellungen,

die weichen

mussten. Aber die

Verkündigungsgruppe

im Treppenhaus

darf bleiben,

denn natürlich soll

auch dieser Ort zukünftig

Raum für den Glauben geben,

der von den Jugendlichen vielleicht

anderswo nicht so explizit gelebt

werden kann. Maximilian wünscht

sich, dass die Ministranten ein Gemeinschaftsgefühl

auch außerhalb

der Familie entwickeln können.

Denn Glauben ist für ihn „eine gute

Gemeinschaft, die durch Gott bekräftigt

wird.“

58


Jugend

JUGENDTHEMEN GIBT

ES NICHT MEHR

Zum zweiten Mal schon soll Benedikt Breil im Blickpunkt über

die Sicht von Jugendlichen schreiben. Was aber, wenn Jugendliche

inzwischen – Stichwort Greta Thunberg – nicht nur den

Ton vorgeben, sondern auch den Marsch?

Wieder darf ich also über ein so genanntes

Jugendthema schreiben.

Inzwischen wage ich jedoch zu behaupten,

dass es so etwas gar

nicht mehr gibt. Die Jugendthemen

sind Erwachsenenthemen geworden.

Denn alle großen Fragen und

Themen, ausgenommen vielleicht

der Mode- und Musikgeschmack,

sind doch inzwischen politisch. Und

selbst letztere transportieren inzwischen

viele politische Einstellungen.

Und das auch noch von einer Generation,

gegenüber der das Vorurteil

des Unpolitisch-Seins größer war als

je zuvor.

Manche Erwachsene toben

Oder etwa doch nicht? Wohnen,

Klima, Werte und Digitalisierung –

längst diktiert die drängende Zukunft

die Themenfelder, und während viele

Politiker nur noch reagieren, haben

schon lange junge Menschen,

größtenteils aus Verzweiflung, das

59


BLICKPUNKT.

Schulheft liegen gelassen und angefangen,

das Heft der Geschichte

der Welt selber in die Hand zu nehmen.

Das zeigen „Fridays for Future“,

die große Welle an Start-Up-

Unternehmen sowie die Innovation

und Ideenvielfalt junger Menschen

in all diesen Feldern. „Zum Glück“,

behaupteten unlängst gewisse Erwachsene,

allerdings hinter vorgehaltener

Hand. Bei der Klimafrage

ist das schon fast gesellschaftlicher

Konsens. Und doch gibt es auch die

in den älteren Generationen, die

toben und wüten, die von einem

Generationenkonflikt sprechen,

während andere die Jugend „unterstützen“,

indem sie die Podestplätze

besetzen und sich ins Rampenlicht

stellen, weil sie sich ja auch so

für das Thema engagieren.

und Jugendlichen die Frage: Was

willst du mal werden? Sondern fragen

Sie ernsthaft nach deren Meinung,

auch zu politischen Themen,

ohne Ihre eigenen politischen und

gesellschaftlichen Interessen sofort

auf diese „armen jungen“ Menschen

zu projizieren.

Und in der Kirche?

Aber was hat das Ganze denn nun

mit Kirche zu tun? Wo Missbrauch,

Zölibat sowie der Umgang mit Homosexualität

oder Sexualität überhaupt

und noch vieles mehr von der

Jugend angeprangert werden könnten.

Sie machen es nicht, weil es sie

nicht mehr interessiert, weil sie sich

gar nicht mehr aufregen, weil ihnen

ja eh nie zugehört wurde, geschwei-

Andere benutzen die Jugendlichen

Manchmal möchte man dabei fragen:

„Seit wann?“ Und doch sagen

alle Generationen: „Aber Hauptsache,

es gibt bald Urlaub!“ Und wo

geht’s hin? Ach ja Toskana, Berlin,

New York und vielleicht noch ein

Zwischenstopp in Paris? Oder greifen

wir dann doch lieber kollektiv auf

eine Onlinebestellung zurück.

Nein, es gibt keinen Generationenkonflikt,

eher einen Konflikt des

gegenseitigen Respekts. Die Meinung

der jungen Menschen müsste

akzeptiert und respektiert werden.

Vermeiden Sie doch mal in den

nächsten Gesprächen mit Kindern

60


Jugend

ge denn, dass sie etwas hätten ändern

können.

„Gemeinsam Kirche gestalten“ ist jetzt

unser aller Auftrag. Zu zeigen, warum

es wichtig ist, Glauben zu organisieren

und zusammen als Gemeinschaft

zu leben – so wie wir es in diesem

Pfarrverband und Teilen der Erzdiözese

bereits gestalten. Denn entgegen

der meisten Vorurteile glauben viele

junge Menschen wieder vermehrt, jedoch

fühlen sie sich von der Kirche

nicht angesprochen und haben das

Gefühl, dass ihr persönlicher Weg zu

ihrem Glauben nicht mit deren fertiger

Lehrmeinung zusammenpasst. Deswegen

müssen wir alle wieder mehr

zuhören und lernen zu zeigen: Wir

wissen es auch nicht endgültig, wir

suchen mit dir! Wir glauben mit dir!

Wieder mehr suchen, zuhören,

glauben

In meiner Funktion als Vorstand der

katholischen Jugend in München

und als Vorstand des Katholikenrates

komme ich viel herum und immer

wieder werde ich von jungen

Menschen gefragt: „Wieso? Wieso

machst du das? Dich in diesem Laden

einbringen, wobei du selbst mit

vielen Themen immer wieder Schwierigkeiten

hast?“ Ich entgegne darauf:

„Weil ich sie auch anders erleben

darf, diese eine Kirche, mit Leben erfüllt

von vielen Menschen, die nach

dem Guten streben, die auf alle, egal

wie oder wer sie sind, zugehen und

ihnen sagen: ‚Du bist schön, so wie

Du bist. Du besitzt Deine ureigene

Würde. Du bist hier willkommen!‘.“


BLICKPUNKT.


Jugend

JUGEND MIT GOTT:

WAS DIE FIRMLINGE

UMTREIBT

Gefirmt werden junge Menschen an der Schwelle zum

Erwachsenenalter. Was die Firmlinge in ihrer Gottesbezie-

hung umtreibt, haben sie auf ein Flipchart geschrieben.

Wir haben es abfotografiert.


OH TANNEN-

BAUM!

OH TANNEN-

BAUM!

Was für ein Aufwand

hinter dem Christbaum

von St. Ursula steckt,

weiß aus eigener Erfahrung

Martin Jarde.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum!

Was für ein schöner Tannenbaum!

So hört man es in der Weihnachtszeit

des Öfteren durch die heiligen

Hallen von St. Ursula schallen, wenn

Gottesdienstbesucher oder Touristen

den Christbaum im Schwabinger

Dom bewundern.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum! Was

ist das nur wieder für ein Tannenbaum!

So hört es sich in den Tagen vor

Heilig Abend an, wenn Mesner Luka

Vukorep mit einem ganzen Team an

Helfern den rund 7-8 Meter hohen

Baum von der Christbaumbauer-Familie

Fischer aus Högertshausen in

Empfang nimmt. Denn damit der

Baum zum Geburtsfest Christi funkeln

und strahlen kann und bei den

Gottesdienstbesuchern für ein heimeliges

Gefühl und eine wohlige

Atmosphäre sorgt, ist zuerst einmal

viel Fleiß gefragt: Rund 20 Stunden

Arbeit sind dazu nötig.

Zuerst wird die Tanne mit einem Gewicht

von circa 350-400 Kilogramm

zum Hochaltar geschoben und getragen.

Mit Axt und Säge sorgt Gusti

Prufer dafür, dass der Stamm so

zugespitzt ist, dass er in die Halterung

passt. Noch vor dem Aufstellen

bringt Tobias Gebhard die ersten

Lichterketten an der Spitze an, denn

dies ließe sich im Nachhinein nur

noch sehr schwer bewerkstelligen.

Dann wird die Tanne mit vereinten

Kräften von der Waagrechten in eine

senkrechte Position gebracht.

64


Unsere Kirchen

Nun beginnt nicht selten das große

Stöhnen beim Mesner und seinen

Helfern … denn erst jetzt wird

sichtbar, wie der Baum gewachsen

ist und an wie vielen Stellen Löcher

aufgrund fehlender Zweige klaffen.

Diese gilt es durch eine gekonnte

Dekoration geschickt zu verbergen.

Hier schlägt die Stunde von Mesner

Luka Vukorep und Kirchenpfleger

Tobias Gebhard: Die beiden kennen

alle Tricks und wissen, wie man zusätzliche

Äste in den Stamm einsetzen

oder durch unsichtbare Schnüre

Sterne an Stellen ohne Befestigungsmöglichkeit

„zaubern“ kann.

fließt. Natürlich haben es sich Pfarrer

Saffer und die Damen des Bastelkreises

nicht nehmen lassen, uns in

der Weihnachtszeit zu besuchen und

unseren Christbaum mit den neuen

Sternen in Augenschein zu nehmen.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum!

Was für ein schöner Tannenbaum!

Ein großes Weihnachtsgeschenk bekam

St. Ursula im Jahr 2018 aus der

Kirchengemeinde im mittelfränkischen

Hannberg. In vielen Stunden

Arbeit erschufen die Damen des dortigen

Bastelkreises 300 Strohsterne,

die zusammen mit den bisherigen

150 Sternen und 25 Lichterketten

mit 2920 Lichtern nun dem Christbaum

zur Zierde gereichen.

Warum der Bastelkreis aus dem Mittelfränkischen

Hannberg? Den dortigen

Pfarrer Johannes Saffer und

Tobias Gebhard verbindet eine langjährige

Freundschaft und bei einem

Besuch des dortigen Pfarrfestes

entstand die Idee, durch die Arbeit

des dortigen Bastelkreises die nötigen

neuen Sterne für St. Ursula zu

erhalten. Gleichzeitig tun wir Gutes,

da das dafür bezahlte Geld direkt in

die Projekte der Pfarrei Hannberg

in deren Partnerpfarrei in Uganda

65


BLICKPUNKT.

BERGSTEIGEN,

TANZEN UND REDEN

Das Familienwochenende im Pfarrverband hat sich zu einer

festen Tradition entwickelt.

Von Miriam Schmucker

Bereits zum fünften Mal kamen Familien

aus dem Pfarrverband im Oktober

2019 zu einem Familienwochenende

zusammen. Ort der Begegnung

war dieses Jahr die Jugendherberge

in Oberammergau, und was hatten

wir für ein Glück mit dem Wetter!

Gespräche mit und ohne Kinder

Thema war in diesem Jahr „Der Berg

ruft“. Und so war es auch. Im Laufe

des Freitagabends fanden sich alle

Familien zum Abendessen ein. Danach

war Zeit für Gespräche, mit und

ohne Kinder. Am Samstagmorgen

ging es dann zur Sache. Angeleitet

von unserem Pastoralreferenten Michael

Steinbacher begingen wir den

Morgen und Vormittag mit intensiven

Gesprächen, innerfamiliär, aber

auch in der Gruppe.

Und dann kam natürlich auch der

Fun-Faktor ins Spiel! Bergwanderung

zum Kolbensattel - für manch einen

intensiver als erwartet – Mittagessen

auf der Hütte mit Tanzlmusi durch

die Boarische Roas. Die ein oder andere

wurde trotz Wanderschuhwerks

von Michael Steinbacher umeinander

gewirbelt.

Krönung des Nachmittages war trotz

langen Anstehens die Abfahrt ins

Tal mit dem Alpine Coaster. Von der

Kolbensattelhütte ging es auf einer

Länge von 2.600 Metern mit atemberaubenden

Ausblicken und abenteuerlichen

Kurven ins Tal. Sicher unten

eingetroffen folgten das Abendessen

und vergnügliche Gespräche. Den

Abschluss bildete am Sonntag unser

Wortgottesdienst, bei dem wie immer

alle mitwirkten, durch Auswahl

der Texte, Musik, Deko und Fürbitten.


„OHNE KIRCHE

WÜRDEN WIR

ETWAS

WICHTIGES

VERLIEREN.“

Der Kulturmanager Till Hofmann liebt

die Stille leerer Kirchenräume.

So sehen uns die Anderen

Von Gerd Henghuber

Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn

„Münchens Großunternehmer in Sachen

Kleinkunst“: Till Hofmann ist

Betreiber u. a. des Lustspielhauses,

des Vereinsheims und der Lach- und

Schießgesellschaft.

Viele Jahre wohnte er im Haus, in

dem sich das Vereinsheim befindet,

und bis heute liebt Hofmann das alte

Schwabing, dessen frühere Strukturen

gerade um die alte Schwabinger

Dorfkirche noch gut erkennbar sind.

Gern geht er bei Spaziergängen hinein

und genießt in der Hektik des

Alltags die Ruhe des leeren Kirchenraums.

Er zündet dann eine Kerze an

und sitzt einfach nur da.

Hofmann ist in Passau aufgewachsen,

und Passauer Blut hat die

Münchner Kabarettistenszene ja seit

jeher bereichert. Bei vielen dieser

Exilanten war die Auseinandersetzung

mit der in der Dreiflüssestadt

lange so dominierend auftretenden

Kirche eine ihrer künstlerischen

Triebfedern. Nicht so bei Hofmann.

Passives Kirchenmitglied – aber

doch aus Überzeugung

„Eigentlich hat sie mir nichts getan“,

sagt er mit einem Lächeln, „wir hatten

in Passau in meiner Zeit immer

charismatische Bischöfe“. Mit dem

heutigen Münchner Weihbischof Rupert

Graf Stolberg ist er aufs Gymnasium

gegangen. Hofmann ist heute

67


BLICKPUNKT.

zwar ein eher passiveres Kirchenmitglied,

aber doch eines aus Überzeugung:

„Die Kirche leistet in vielen

Bereichen wichtige Arbeit. Sie steht

für unsere Kultur, auch ein bisschen

für Folklore, ohne sie würden wir etwas

Wichtiges verlieren.“

Großunternehmer innovativer sozialer

Projekte.

Was nicht heißt, dass sich Hofmann

nicht auch an der Kirche gerieben

hätte: zuletzt 2015 am Passauer Bischof,

den er öffentlich aufforderte,

ein seit vielen Jahren leerstehendes

Haus des Bistums für ein Flüchtlingsprojekt

frei zu geben. „Der

Papst hatte gefordert, dass jede

Pfarrei eine Familie aufnehmen solle,

warum nicht auch der Passauer

Bischof?“ Obdach geben, Schutz bieten,

Menschen in Not aufnehmen,

das sei doch eine Grundpflicht von

Christen, appellierte Hofmann an Bischof

Oster. „Leider ohne Erfolg, der

Generalvikar tat zuerst so, als wisse

er gar nicht, welches Gebäude gemeint

sei – und ließ es dann lieber

leer stehen.“

In München hatte Hofmann damals

bereits mit dem Projekt „Bellevue

di Monaco“ in der Müllerstraße für

erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt

und gezeigt, wie Integration in einer

Stadt funktionieren kann. Dem

ging allerdings jahrelange mühevolle

Überzeugungsarbeit voraus. Das

neueste Vorhaben: ein Sportplatz

auf dem Dach des Gebäudes. So ist

Till Hofmann längst auch Großunternehmer

innovativer sozialer Projekte.

Mehr Informationen:

www.bellevue-di-monaco.de

68


„DURCH DICH

HABEN WIR

ETWAS ÜBER

UNS SELBST

ERFAHREN!“

Interview mit der Künstlerin

Sonya Schönberger über ihr

Kunstprojekt im Pfarrverband,

ihre Gottesbeziehung und ihren

ethnologischen Ansatz


BLICKPUNKT.

Die Berliner Künstlerin Sonya Schönberger

war zwei Monate lang zu Gast

in den beiden Pfarreien St. Ursula

und St. Sylvester. Sie hat in die Gemeinden

hineingespürt auf der Suche

nach gelebter Gottesbeziehung.

Ihre Eindrücke hat sie in Form einer

performativen Lesung wiedergegeben.

Viele in der Gemeinde waren

verblüfft von den Ergebnissen.

Frau Schönberger, einige Besucher

der Lesung waren verblüfft davon,

wie gut Sie die Gemeinden wiedergaben,

Sie auch?

Um ehrlich zu sein habe ich das erwartet.

Es ist ja auch genau so wiedergegeben,

wie es gesagt wurde,

ganz ehrlich. Im Lauf meiner künstlerischen

Praxis habe ich einige Erfahrung

mit dieser Art der Reflexion

von Lebensgeschichten machen können.

Aber natürlich zielt die Arbeit

auch über die Interviewten hinaus:

Ich möchte vor allem bei einem breiten

Publikum erreichen, dass die erzählten

Geschichten ein Anstoß sind,

über die eigene Geschichte und individuellen

Erfahrungen nachzudenken.

Inwiefern erkenne ich mich im

Erzählten, empfinde ich ähnlich oder

genau gegenteilig? Natürlich funktionieren

gewisse Themen besonders

gut, denn viele Menschen teilen

Erlebnisse, wenn sie in einer Generation

und räumlicher Nähe ähnlich

sozialisiert wurden. Und dann gibt

es immer wieder auch die Geschichten

dazwischen, die so ganz anders

sind, aber auch diese sind wichtig

für das Gesamtbild. Denn das ist immer

divers, egal zu welchen Themen

man sich in bestimmten Gruppen

unterhält.

Was waren für Sie die interessantesten

Erkenntnisse?

Mein Ziel war es zu erfahren, wie das

funktioniert: glauben. Was bedeutet

das ganz konkret im Alltag? Wie

funktioniert Glaube ganz individuell?

Was verbindet uns und prägt daher

das Land, in dem wir leben, die Gesellschaft,

die uns umgibt? Wo liegen

die Wurzeln von moralischen Vorstellungen,

Toleranz und Abgrenzungen?

Interessant waren für mich die

Geschichten, die durch einen Bruch

gekennzeichnet waren oder eben

auch durch starke Zweifel. Erzählungen,

die anderes als den einen

Weg zulassen. Solche sind mir innerhalb

der Altschwabinger Gemeinden

doch sehr oft begegnet, was ich

sehr schön und hoffnungsvoll fand.

70


Kunst

Es kann eben vieles nebeneinander

existieren und ist in diesem Nebeneinander

akzeptiert.

„Interessant sind für mich die Geschichten

mit Brüchen.“

War es eigentlich schwierig, Ihre

Interviewpartner dazu zu bringen,

dass Sie sich öffnen? Über den persönlichen

Glauben sprechen ja auch

religiöse Menschen nicht gerade

häufig?

Grundsätzlich habe ich die Erfahrung

gemacht, dass wir uns viel zu wenig

zuhören, es aber auf der anderen

Seite starke Mitteilungsbedürfnisse

gibt. Wir räumen diesen vielleicht

nicht mehr so viel Zeit ein oder können

uns das nicht mehr leisten. In

meinen Begegnungen geht es um

das Gegenüber und ich lasse sehr

viel Raum, in dem man sich bewegen

kann, wie man möchte. Ich mache zu

Beginn deutlich, was mein Interesse

an dem Gegenüber ist und warum

ich das Gespräch führe. Das leuchtet

dann sofort ein und man kann

sich dann frei bewegen in der Erinnerung,

der eigenen Geschichte und

Empfindung. Es kann hilfreich sein,

dass man sich noch nicht kennt, sich

hier zum ersten und vielleicht auch

letzten Mal begegnet. Das ist nicht

immer so, aus vielen meiner Gespräche

entstehen echte Freundschaften.

Gerade weil man sich so nahe gekommen

ist. Bei den Leuten, die ich

aus der Gemeinde treffen konnte,

macht der Glaube sowieso schon

einen großen Teil der Biografie aus,

hat einen Platz in der Erzählung vom

Ich. Daher war es einfach, sich auch

diesem Thema zu widmen.

Gibt es eine Gemeinsamkeit in all den

Interviews, die Sie geführt haben?

Nein, da fällt mir eigentlich nichts ein.

Jedes Gespräch ist so unterschiedlich

wie jeder Mensch es eben ist.

Wie würden Sie die beiden Pfarreien,

in denen Sie zu Besuch waren,

beschreiben?

Die beiden Pfarreien waren für mich

ja die ersten Kirchengemeinden, mit

denen ich mich nach meiner aktiven

Zeit als Kind und Jugendliche näher

beschäftigt habe. Damals war das

vorbestimmt, in diesem Fall habe ich

selber gewählt und mich darauf eingelassen.

Was mir in Altschwabing

begegnete, hat mir gut gefallen. Ich

war erfreut, wie positiv sich die Menschen,

mit denen ich gesprochen

71


habe, über diese Gemeinden geäußert

haben und was sie für sie bedeuten.

Das hat mich berührt.

„In den Gemeinden gibt es einige

sehr kritische Geister.“

In meinem Umfeld in Berlin rede ich

so gut wie nie über Glauben und Kirche.

Daher war es wirklich spannend

für mich, so viel Zeit in der Gemeinde

und mit den Mitgliedern zu verbringen.

Man kann schnell merken,

dass dort einige sehr kritische Geister

zugegen sind, die keineswegs

alles ungefragt annehmen, was man

ihnen vorlegt. Das war schon sehr

toll zu sehen und zu erfahren. Man

versteht sich dort wirklich als eine

privilegierte Gemeinschaft, und das

ist ja etwas sehr Besonderes.

Mit welcher Haltung kamen Sie nach

München?

Ich war sehr neugierig auf diese Residency

und fand es spannend an

einem neuen Ort zu sein, der aber in

Deutschland ist. Ich kannte München

nicht besonders gut und hatte sofort

gesehen, dass die Stadt ganz anders

funktioniert als Berlin, wo ich schon

sehr lange lebe.

Wie meinen Sie das?

München ist geschlossener und vielleicht

bodenständiger als Berlin. Tradition

spielt hier eine große Rolle.

Dirndl und Lederhose trägt man mit

Stolz, in Berlin wäre so was eher befremdlich.

Ich war auch erstaunt, wie

voll die Aufführung vom Brandner

Kasper im Volkstheater war, in die

ich gleich am Anfang meines Aufenthalts

ging. Das Stück läuft ja seit vielen

Jahren.

Da haben Sie ja an einem einzigen

Abend schon eine Menge über Glauben

und das Weltbild der Bayern gelernt

Es ist ja auch großartig gespielt und

für mich war das eine gute Einführung

ins Bayerische – nicht nur die

Sprache, sondern auch in diese ganze

Haltung zu Gott und der Welt, das

war schon beeindruckend.

72


Kunst

Wie sind Sie bei diesem Projekt vorgegangen?

Hatten Sie eine bestimmte

Methode?

Vor der Kunst habe ich Ethnologie

studiert, wo ich viele Blick- und Herangehensweisen

gelernt habe, die ich

nun immer wieder in meiner Kunst anwende:

beobachten, fragen, zuhören.

Die Kunst lässt mir eine große Freiheit.

Die Neugierde als Grundkonstante

beim ethnologischen Forschen entspricht

mir sehr und eröffnet mir einen

schnellen Zugang bei Residencies wie

dieser. Der Mensch, also mein Gegenüber,

steht bei dieser künstlerischen

Auseinandersetzung im Vordergrund.

Wer sind wir, wie sind wir geprägt und

welche Moralvorstellungen leiten uns.

„Viele Menschen würden gerne ein

Buch mit Glaubensgesprächen lesen“

Wie kamen Sie darauf, dass das Ergebnis

eine Lesung sein wird – und

nicht eine andere Form?

Vielleicht, weil ich wusste, dass das

als Methode sehr gut funktioniert. Ich

hatte auch zu wenig Zeit, noch weiter

daran zu feilen und ein komplexeres

Theaterstück oder einen Film zu entwickeln.

Ich habe ja über 20 Gespräche

geführt. In der kurzen Zeit war

das extrem aufwändig, die Gespräche

mussten transkribiert und in eine dramaturgische

Form gebracht werden.

Das habe ich hier im Galopp gemacht.

Mein Ziel wäre es nun, über die Residency

hinaus, ein Buch zu publizieren,

in dem viel mehr Platz hat als in

der Lesung. So könnte die Recherche

über den Schwabinger Kontext und

über München hinaus wachsen. Ich

bin davon überzeugt, dass sehr viele

Menschen im deutschsprachigen

Raum gerne ein Buch mit Gesprächen

zum Glauben lesen würden. Es ist

wichtig für unser Selbstverständnis

zu erfahren, wie andere denken, wofür

sie stehen, was ihnen wichtig ist.

Muss man für so ein Projekt eigentlich

selbst katholisch sein? Oder zumindest

gläubig?

Es war keine Bedingung für die Residency.

Aber es hat mir geholfen,

dass ich katholisch aufgewachsen

bin. Als Kind ist das eine wirklich

prägende Erfahrung. Ich konnte

mich also extrem gut orientieren.

Die Liturgie, die Rituale, die Hierarchien

waren mir sehr vertraut und

niemals fremd. Daher denke ich, für

meine Gespräche war dieses Wissen

vielleicht von Vorteil. Manchmal ist

es allerdings auch toll, wenn man

ganz naiv und ohne eigene Haltung

in eine Situation hineingeht.

Interview: Gerd Henghuber

Tipp

Die performative Lesung mit Auszügen

aus den Gesprächen in den

beiden Gemeinden finden Sie auf

www.altschwabing-katholisch.de/

residency

73


W WIE WANDLUNG –

IT‘S A KIND OF MAGIC!

Was bedeuten unsere

Formen und Inhalte

wirklich?

Katholisch-sein ist ein

weiters Feld, das viele

verschiedene Ausdrucksweisen

und Zugänge zum

Glauben zulässt. In diesem

Heft haben wir uns

in unserer Rubrik „Katholisch

für (Wieder-)Anfänger

etwas besonders

Magisches vorgenommen.

Von Martin Jarde

Ist es Zauberei? Da hebt der Priester

während der Messe eine Oblate in die

Höhe und wenn er die Hände sinken

lässt, ist aus dem Stück Brot Christus

geworden. Der Priester also ein Magier,

der durch eine Initiation (=Priesterweihe)

und die richtige Formel (=eucharistisches

Hochgebet) Brot und Wein in

Leib und Blut Christi verwandelt?

Die Magie der Liebe Gottes

Nein, mit Zauberei hat das Geschehen

am Altar nichts zu tun – und

doch ist es eine Art Magie. Es ist die

Magie der Liebe Gottes.

74


Katholisch für (Wieder-)Anfänger

Denn neben der Wandlung von Brot

und Wein geht es auch um die Verwandlung

meines eigenen Lebens.

Wenn ich eine Hostie in die Schale

lege, dann lege ich all das hinein,

mit dem ich in die Kirche gekommen

bin: die Gedanken, die mich umtreiben,

meine Ängste, meine Schuld,

meine Trauer, aber auch meine Freude

und meine Dankbarkeit. All dies

wird während der Gabenbereitung

aus der Mitte – und in St. Ursula von

– der Gemeinde nach vorne auf den

Altar gebracht.

„Wenn wir unsre Gaben bringen,

bringen wir uns selber dar.“

Die Wandlung beginnt nicht erst,

wenn der Priester unter Glockengeläut

Brot und Wein in die Höhe hält.

Die Wandlung beginnt tatsächlich

schon vor der Heiligen Messe. Die

meisten Gottesdienstbesucher werden

ihn kennen: den flachen hölzernen

Teller mit den Hostien, der neben

den goldenen Schalen auf dem

Tisch im Mittelgang von St. Ursula

steht. Viele sind der Meinung, dass

sie da eine Hostie in die Schale legen,

damit später bei der Kommunion

auch genügend vorhanden sind.

Sozusagen eine Sparmaßnahme der

Kirche, um nicht zu viele Hostien zu

weihen. Doch weit gefehlt!

Sehr schön kommt dies im Lied 732

aus dem Gotteslob von Kathi Stimmer-Salzeder

zum Ausdruck: „Wenn

wir unsre Gaben bringen, bringen wir

uns selber dar. Was wir sind und mit

uns tragen, legen wir auf den Altar.“

Der Priester bittet dann in unser aller

Namen um den Geist Gottes, dass

er auf die Gaben auf dem Altar herabkommen

und sie heiligen möge

– denn nicht Menschen können die

Wandlung „machen“, sondern nur

die Kraft Gottes. Das Leben jedes

einzelnen Menschen sowie die ganze

Gemeinde wird durch die Liebe Gottes

auf dem Altar gewandelt.

Ganz wichtig ist, dass wir nicht gezwungen

werden uns zu ändern. Verwandlung

bedeutet eben nicht eine

von außen erzwungene Verände-

75


BLICKPUNKT.

rung. Verwandlung geschieht von innen

her. Gott bietet uns seine Liebe,

seine Unterstützung an. Er streckt

uns seine Hand entgegen. Ob wir sie

ergreifen und uns von seiner Liebe

ergreifen lassen, liegt ganz bei uns.

Wenn man bei Gott rumhängt, färbt

der Typ auch irgendwie ab

Kehren wir gedanklich nochmals zum

Geschehen am Altar während des eucharistischen

Hochgebets

zurück. Wann

kommt Christus

denn nun genau

in die

H o s t i e n

hinein? Zu

welchem

Zeitpunkt

wird aus

Brot und

Wein Leib

und Blut

Christi? Das

Lexikon für

Theologie und

Kirche (LThK) sagt

dazu, dass dies passiert,

wenn der Priester die sogenannten

Herrenworte spricht, also

„Nehmet und esset alle davon: das

ist mein Leib; der für euch hingegeben

wird.“ Das LThK sagt aber auch,

dass die Wandlung nicht im Zentrum

der Eucharistie steht. Es geht nicht

in erster Linie darum, wie aus Brot

und Wein Leib und Blut Christi wird

(dies wird immer ein Mysterium bleiben),

sondern es geht darum, dass

Christus wirklich und wahrhaftig bei

uns ist.

It‘s a kind of magic: Von dem amerikanischen

Franziskanerpater Richard

Rohr stammt sinngemäß der

Satz: „Wenn man lange genug bei

Gott rumhängt, färbt der Typ auch irgendwie

ab.“ Menschen, die sich gut

kennen, „färben aufeinander ab“,

man übernimmt Dinge vom anderen.

Wenn man bei einem „rumhängt“,

der von sich sagt: „Ich bin der

Weg, die Wahrheit und das

Leben“, dann färbt das

ab – verwandelt einen

mit der Zeit.

Die Wandlung

beginnt schon

vor dem Gottesdienst.

Man

könnte auch sagen,

die Wandlung

zieht sich

durch das ganze

Leben eines Christen

– von der Taufe

an. Immer dann, wenn

wir uns von Christus berühren

lassen, ihn auf unser Leben

abfärben lassen. Immer dann,

wenn wir – theologisch gesprochen

– „christusähnlicher“ werden, verwandelt

sich unser Leben.

Die Wandlung ist keine Zauberei.

Sie ist eine Art Magie, die im Leben

einer jeden Christin und eines jedes

Christen passiert. Jeden Tag, an jedem

Ort. Wir müssen es nur zulassen.

76


Katholisch für (Wieder-)Anfänger

Z WIE ZIBORIUM –

MEHR ALS NUR KELCH

Von Miriam Schmucker

Dieser Kelch gehört zur Wandlung,

kommt irgendwann herbei und verschwindet

dann wieder. Manchmal

schaut der Pfarrer hinterher und verneigt

sich, wenn sich der Vorhang

wieder schließt und der Schlüssel

sich im Tabernakel dreht. Wie das

Ding heißt?

Ich hatte keine Ahnung, und das

rächte sich, als ich eines Sonntags

den Lektorendienst in der 11-Uhr-

Messe in St. Sylvester übernahm.

Zelebrant war Prof. Dr. Michael Bordt

SJ, der mich bat, nebst der Lesung

ein paar weitere Aufgaben zu übernehmen.

Zum Beispiel das Ziborium

holen. Das was? Peinlich berührt erwiderte

ich, dass

mir jetzt nicht

so recht klar sei,

wovon denn die

Rede sei? Eben

katholisch für Anfänger

Glücklicherweise nahm mich der

Mesner sofort unter seine Fittiche

und zeigte mir, wann und wie ich

meines neuen Amtes walten musste.

Stolz und vermutlich mit aufgeregten

roten Wangen trug ich den Hostienkelch

zum Altar.

Mit einem Mäntelchen aus Seide

Inzwischen weiß ich, dass der Name

vom lateinischen cibus kommt – Speise

– obwohl es meistens die Form eines

Kelchs hat. Das Ziborium soll mit

einem Mäntelchen aus weißer Seide

(velum) umhüllt sein, um anzuzeigen,

dass darin die bereits konsekrierten

(in einer anderen Messe bereits geweihten)

Hostien aufbewahrt werden.

Jetzt weiß auch ich Bescheid!

Ziborium im Tabernakel

von St. Ursula


GUTES LICHT MERKT

MAN NICHT SOFORT

Wie die Beleuchtung der Kuppel von St. Ursula entstand

Wieland Müller-Haslinger arbeitet

als Lichtdesigner für Schauspiel,

Oper, Ballett und Tanztheater sowie

für Museen und Ausstellungen. Seit

1998 ist er Beleuchtungsmeister am

Staatstheater am Gärtnerplatz. Eine

Kirche allerdings hatte er noch nie

beleuchtet. Und dann ist St. Ursula

auch noch seine Kirche.

Kein einfaches Unterfangen …


Foto mit freundlicher Genehmigung

von Stephan Rumpf


BLICKPUNKT.

Wie kamen Sie zum Licht? Sind Sie

zu Hause der große Dimmer und

Spot-Setzer?

Eigentlich überhaupt nicht! Ich habe

Theaterwissenschaft und Germanistik

studiert und dann während meines

Studiums als Beleuchter im Theater

gejobbt. Irgendwie bin ich dann

vom Beleuchten nicht mehr weggekommen.

Mich hat immer schon der

Zauber einer Lichtsituation, die Stimmung

des „Augen“-Blicks fasziniert.

Später habe ich die Ausbildung zum

Beleuchtungsmeister nachgeholt.

Was ist gutes Licht im Theater?

Wenn es nicht sofort auffällt. Man

kann schon auch starke Effekte setzen,

aber dann ist es entweder richtig

gut oder sehr schlecht. Die wahre

Kunst beim Licht liegt darin, dass es

selbst in den Hintergrund tritt und

dafür anderes zum Vorschein bringt.

Gilt das auch für Ihre Lichtinstallation

an der Kuppel von St. Ursula?

Definitiv ja. Ich habe hier bewusst

versucht, die Architektur in den Vordergrund

zu stellen und nicht den

Lichteffekt.

Wie haben Sie das gemacht?

Die Idee dafür war mir relativ schnell

klar, nachdem ich mir die Kuppel genau

angesehen hatte: die entscheidenden

Teile sind die Rundbögen

und das Sims, alles in Sandstein, der

sich von den Ziegeln des Gebäudes

deutlich abhebt. Mit den acht mal

drei Rundbögen in vollkommener

Symmetrie hat der Architekt August

Thiersch Ende des 19. Jahrhunderts

etwas Wunderbares geschaffen. Ich

wollte genau das betonen – und

nichts anderes.

Was also nicht?

Nicht die dahinterliegende Backsteinwand,

denn wieso sollte man

die anleuchten, das ganze Gebäude

besteht aus Backstein. Auch nicht

die Fensterflächen, denn Fensterflä-


Kuppel

chen von außen zu beleuchten hat

überhaupt keinen Effekt, sie verschlucken

oder spiegeln das Licht,

das ist nur hässlich.

Etwas nicht zu beleuchten - das ist

eine eher ungewöhnliche Herangehensweise

für einen Beleuchter,

oder?

Eigentlich gar nicht, denn genau das

machen wir am Theater. Andererseits

haben Sie Recht, Sie brauchen ja nur

durch die Stadt zu gehen und Sie

sehen nachts die absonderlichsten

Lichteffekte: der Turm der TU innen

blau beleuchtet, die Markuskirche in

Rot. Bei der Allianzarena leuchtet mir

die Farbe ja ein, aber ich frage mich:

nur weil heute mit LED-Leuchten fast

alles ganz unkompliziert geht, wieso

muss man das alles auch machen?

Ihre Antwort?

Wenn Licht keine Bedeutung hat,

keine eigene Aussage, keinen Grund,

warum es so ist, wie es ist, und nicht

anders, dann finde ich es wertlos.

Was bedeutet das für die Kuppel

von St. Ursula, wie sind Sie da vorgegangen?

Ich hatte mir nach der Turmsanierung

Gedanken über die Glockenstube

auf dem Turm gemacht. Da sah

man nachts ein furchtbares Durcheinander,

Taubennetze, Holzbalken,

Metallstreben, Einbauten, erleuchtet

von vier einfachen Baustrahlern.

Nicht einmal die Glocken waren richtig

zu erkennen. Dabei ist der Turm

von sehr vielen Perspektiven aus zu

sehen, man kann sagen, er ist die

Krone Schwabings. Und der schönste

Teil daran ist die Glockenstube mit

den Sandsteinbögen in dem ansonsten

recht schmucklosen Turm. Die

müsste man betonen, dachte ich mir.

Wie kamen Sie dann vom Turm zur

Kuppel?

Weil wir während der Umbau-Bauarbeiten

das Gerüst stehen hatten und

dadurch eine einmalige Gelegenheit,

in den äußeren Umgang zu gelangen.

Pfarrer Theil sprach mich an

und schlug eine Außenbeleuchtung

vor. Deswegen bin ich hochgestiegen

und machte einige Abende lang

Beleuchtungsversuche.

Was genau?

Mir war klar, wir müssen den Sandstein

bestrahlen und die Symmetrie

des Oktogons betonen. Das war in

der Umsetzung nicht einfach: die

Leuchten mussten der Architektur

folgend symmetrisch angeordnet

werden, das Kernlicht von innen

nach außen Säulen und Rundbögen

treffen, Streulicht sollte möglichst

vermieden werden. Die passende

Lichtfarbe war zu wählen, die den

Sandstein natürlich erscheinen lässt

und die ohnehin roten Ziegelwände

dahinter nicht zu rötlich verstärkt.

Aber das war alles erst die halbe

Miete.

81


BLICKPUNKT.

Wie meinen Sie das?

Licht macht man nicht theoretisch,

sondern nur durch Ausprobieren.

Und dazu gehört das Handwerkliche:

wie und wo befestigen wir die

Leuchten da oben so, dass sie genau

den Effekt erzielen, den wir wollen?

Und wie halten wir sie so lange so

flexibel wie möglich, können sie also

immer wieder verschieben – bis das

endgültig passt. Das ist ein Grundsatz

im Theater, den ich auch auf der

Kuppel umsetzen musste, nur wusste

ich nicht wie.

Wie ist es Ihnen gelungen?

Nicht mir. Gusti Prufer hatte die entscheidende

Idee. Er entwickelte eine

Halterung für die Leuchten, die sich

auf schwere Gehwegplatten montieren

ließ. Diese haben wir in den

äußeren Umgang gebracht und so

lange hin und hergeschoben, bis der

Effekt gepasst hat.

Klar, bis vor wenigen Jahren hätte

man den gesamten Umgang mit

Leuchtstoffröhren ausgelegt oder

heutzutage mit einer LED-Leiste.

Aber das hätte in seiner Flächigkeit

mit einem Riesen-Streuanteil alles

Mögliche beleuchtet und nicht nur

das, was ich beleuchtet haben wollte,

worauf ich das Licht konzentrieren

wollte. Wir sind hier ja nicht auf

einer Messe, in einem funktionalen

Zweckbau oder in einem Showroom,

sondern wir wollen einem historischen

Bauwerk nachts zu seiner

eigenen Schönheit verhelfen.

Ist das gelungen?

Gehen Sie bitte nachts doch mal die

Friedrichstraße von der Georgenstraße

in Richtung St. Ursula. Am Ende

der Straße war bis vor kurzem ein

schwarzes Loch. Plötzlich ist hier ein

strahlender Abschluss.

Was für eine Botschaft teilt die von

Ihnen beleuchtete Kirche dem Stadtviertel,

den Menschen mit?

Seht her, das ist unsere Kirche. Wir

sind mitten in der Stadt. Selbstbewusst

ja, aber vor allem wie von innen

heraus leuchtend, anstatt angestrahlt

zu werden. Offen, einladend.

Das hört sich ganz schön aufwändig

an, hätte es dafür heutzutage nicht

einfachere lichttechnische Lösungen

gegeben?

82


Wenn das der Eindruck ist, den die

Beleuchtung macht, dann ist sie gelungen.

A propos, um wieviel Uhr wird das

Licht angemacht?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Jeden

Tag ist das anders. Wir haben

eine astronomische Uhr aufgeschaltet,

die schaltet eine halbe Stunde

vor Sonnenuntergang ein und eine

halbe Stunde nach Sonnenaufgang

wieder aus.

Wieso das?

Weil wir den Anknips-Effekt nicht wollen.

Das wäre ein Effekt ohne Sinn.

Licht anmachen wie ein Zauberer,

was wollten wir damit ausdrücken?

Stattdessen soll der Übergang vom

Tag zur Nacht an der Kuppel unmerklich,

gleichmäßig vor sich gehen. Den

Effekt benutze ich auch im Theater:

Die unmerklichen Lichtwechsel sind

die stärksten, und zwar dann, wenn

man sie hinterher bemerkt.

Ist so eine Beleuchtung in Zeiten

von Klimaschutz und Friday for Future

noch zeitgemäß?

Ich denke schon, wir haben da oben

24 Leuchten von je 12 Watt installiert,

das sind in Summe weniger als

300 Watt für die ganze Kuppel. Damit

haben Sie früher ein Wohnzimmer

beleuchtet.

Ganz schön viel Leistung in den modernen

Lampen?

Ja, und damit muss man als Licht-Designer

sehr verantwortlich umgehen.

Osram hat ja die Sixtinische Kapelle

neu beleuchtet, sie ist für meine Begriffe

ziemlich grell geworden. Das

kann man auf der einen Seite gut finden,

aber ich frage mich: konnte sich

Michelangelo das so vorstellen? Er

hat damals unter Kerzenlicht gemalt

und hat seine Kunst wahrscheinlich

genau auf die ihm bekannten Lichtverhältnisse

ausgerichtet und nicht

auf zukünftige Möglichkeiten.

Interview: Gerd Henghuber

83


BLICKPUNKT.

KIRCHE MIT KINDER-

AUGEN GESEHEN

Im Pfarrverband gibt es viele Aktivitäten für Kinder, zahlreiche

Haupt- und Ehrenamtliche machen sich Gedanken darüber, wie

man Kirche und Religion adäquat vermittelt. Doch wie sehen

die Kinder ihrer Kirche? Wir haben drei Mädchen und einen

Jungen aus Sankt Sylvester um ihren Blick gebeten. Es lohnt

sich, genauer hinzusehen …

84

Katharina Schmid


Kinderkirche

Johanna Köllnberger

Lukas Köllnberger

Emilia Mitschke-Collande


BLICKPUNKT.

„ATTRAKTIVES

ANGEBOT“

Heimar Tombergs zählt seit Jahren

den Kirchenbesuch in St. Ursula. Der

ist seit den 70er-Jahren – wie überall

– deutlich zurückgegangen. In den

letzten zehn Jahren aber sogar wieder

gestiegen, trotz Missbrauchsdiskussion

und Austritten. Woran liegt das?

Immer weniger Menschen gehen

sonntags in die Kirche, stimmt das?

Bei uns eigentlich nicht. Ich zähle

ja schon viele Jahren, immer im November,

und wir haben seit langem

konstant 300 bis 350 Besucher zusammen

im Samstagabend- und im

Sonntagsgottesdienst. Unsere Kirchgänger

sind vom Alter her ziemlich

gemischt. Es kommen sehr viele Familien

mit Kindern und auch Leute

mittleren Alters.

Woran liegt das? Ihre Einschätzung?

Es hört sich blöd an, aber wir haben

ein attraktives Angebot: die Gemeinde

ist sehr engagiert, es herrscht ein offenes

Klima, und wir haben einen sehr

guten Pfarrer. Deshalb kommen auch

viele von anderen Pfarreien zu uns.

Was heißt das für Sie: ein guter

Pfarrer?

Ich finde, unser Pfarrer zelebriert

sehr schön und würdevoll, er predigt

gut, immer frei, und er ist ein geborener

Seelsorger. Ich mag es, dass er

immer wieder auch die Kirche mahnt,

vor der eigenen Haustür zu kehren.

Galt das auch für die früheren

Pfarrer?

Ja, unsere Pfarrei galt immer schon

als liberal, offen, auch mit einem

gewissen Anspruch an den Gottesdienst.

Die beiden früheren Pfarrer

Apfelbacher und Lippold waren zwar

sehr unterschiedliche Typen, sie waren

aber beide sehr gute Pfarrer, die

die Gemeinde und den Ruf von St.

Ursula in der Stadt geprägt haben.

Manches, was wir über Jahrzehnte

eingeübt hatten, musste auch unser

jetziger Pfarrer akzeptieren, weil es

die Gemeinde so haben will.

86


Gemeinde

Zählt dazu auch, dass die Kirchgänger

sehr spät zum Gottesdienst

kommen?

(Lacht.) Vielleicht. Es stimmt aber:

zum Einzug ist höchstens die Hälfte

rechtzeitig da, die anderen trudeln

nach und nach ein. Wir hatten früher

die Messe um 10:00 Uhr und haben

sie damals wegen der Langschläfer

extra auf 10:15 gelegt. Das hat gar

nichts gebracht, die Leute schlafen

einfach länger.

Gehen viele früher?

Nein, fast gar keine. Bis zur Kommunion

bleiben alle da und nur

ganz wenige verschwinden vor dem

Schlusssegen. Schon gar nicht am

Samstagabend. Da kommen viele

wegen des Weihrauchrituals am

Ende, das der Pfarrer von St. Bonifaz

mitgebracht hat. Das gefällt vielen

sehr, die Weihrauchsäule in der Kirche,

das schöne Lied, ein festlicher

Einstieg in den Sonntag.

Interview: Gerd Henghuber

Gottesdienstbesucher St. Sylvester

Jahr

Katholiken

Besucher

absolut

Besucher

relativ

2019

2009

1989

1980

1970

2.952

3.340

5.700

6.500

8.700

325

287

493

643

1.319

11%

8,6%

8,6%

9,9%

15,2%

Gottesdienstbesucher St. Ursula

Jahr

Katholiken

Besucher

absolut

Besucher

relativ

2019

2009

1989

1980

1970

5.175

5.866

7.830

15.000

17.000

420

378

650

1.309

2.655

8,1%

6,4%

8,3%

8,7%

15,6%

87


BLICKPUNKT.

DAMIT GOTT NICHT

SO OFT VERGEBLICH

KLINGELN MUSS

Exerzitien im Selbsttest

Letzte Ausgabe war Blickpunkt-Redakteurin

Bastienne Mues das erste Mal

im Leben beichten. Diesmal hat sie

sich ins Kloster gewagt und Exerzitien

gemacht. Sie ist vor einigen

Jahren erst katholisch geworden und

will nun endlich wissen, was sich

hinter diesem umwobenen Begriff

verbirgt.

Unter geistlichen Exerzitien habe ich

mir bisher das Bild einer Gruppe von

Menschen vorgestellt, die vor einem

Kloster Kniebeugen macht. Beim genaueren

Nachdenken war mir klar,

dass es nicht um Gymnastik geht,

sondern um etwas anderes, mindestens

ebenso Anstrengendes. Aber um

was genau? Um das herauszufinden,

mache ich drei Tage Exerzitien in einem

bayerischen Benediktinerinnen-

Kloster, um meine Unbedarftheit als

katholischer Neuling zu tilgen.

Drinnen und draußen

Den ersten maßgeblichen Eindruck

hinterlässt die Klosterpforte: massives

Holz, breit und schwer, mit

Eisenbeschlägen, mittelalterlich (obwohl

das Kloster nur rund 100 Jahre

alt ist). Um Gehör zu finden, ziehe

ich den Glockenstrang – der Griff hat

die Form eines Kreuzes. Es ertönt ein

nachhallendes Läuten. Hier wird ein

Unterschied zwischen drinnen und

draußen gemacht. Wer vor der Pforte

steht, muss nachhaltig um Einlass

bitten.


Spiritualität

Drinnen werde ich von einer Schwester

in Empfang genommen, die in

den nächsten Tagen meine geistliche

Begleiterin sein wird und mich in die

Abläufe des Klosters einweist. Alles

ist klar strukturiert: Stundengebete

drei Mal am Tag: Laudes, Mittagshore,

Vesper, dazu jeweils davor oder

danach die Mahlzeiten. Jeden Tag ein

geistliches Gespräch. Ich bin froh,

dieses Gerüst wird mich tragen.

Sitzen, schauen, schweifen

Mein Zimmer nimmt mich warmherzig

auf, es ist schlicht und trotzdem

gemütlich, die großen Fenster geben

den Blick frei in den Hof auf einen

kahlen Baum. Erstaunlicherweise

reicht diese Kulisse, um mich zwei

Stunden bis zum Mittagessen ruhig

zu stellen. Sitzen, schauen, schweifend.

Da ich schweigen soll, gehe ich

für die Mahlzeiten in einen eigenen

kleinen Raum. Hat was, man muss

sich zu niemanden verhalten. Ich

werde bedient, das Essen wird appetitlich

in schönem Geschirr serviert,

großmütterlich Suppe, Salat, Hauptspeise

und Nachspeise.

Im Anschluss die Mittagshore. Jeder

Gottesdienst hat sein eigenes Buch

mit den jeweiligen Texten, die laut

gelesen und gesungen werden. Ich

werde in diesen drei Tagen viele

Psalmen hören und ganz von deren

Sinnlichkeit und Wortmächtigkeit

berührt. Großer Trost umfängt mich:

„Ich harrte des Herrn, und er neigte

sich zu mir und hörte mein Schreien.

Er zog mich aus der grausigen

Grube, und aus lauter Schmutz und

Schlamm, und stellte meine Füße

auf einen Fels, dass ich sicher treten

kann.“

Meine Lieblingsregel: nicht murren!

Langsam tauche ich in das klösterliche

Leben ein, studiere die Regel

des Heiligen Benedikts (am liebsten

mag ich „Nicht murren!“) und gehe

spazieren.

Die eigentliche Offenbarung kommt

am zweiten Tag: Die Schwester gibt

mir den Auftrag drei Mal am Tag zu

beten: je 30 Minuten. Als Inspiration

bekomme ich ein Gebet von Romano

Guardini. Ich solle bloß nicht diesen

Text nur nachbeten, sondern mich

vielmehr von einzelnen Zeilen, ja

Wörtern berühren lassen und diesen

Impulsen dann nachgehen.

Es wirkt! Ich kann ihn hören!

Was soll ich sagen, es hat gewirkt.

Es war die Zeile: „Immerfort blickt

dein Auge mich an, und ich lebe aus

diesem Blick.“ Ich bin mir selbst begegnet

und habe in mein Herz gesehen.

Dabei habe ich vieles begriffen:

Gott ist vielleicht auch im Himmel,

aber eigentlich ist er in mir. Er will

mit mir sprechen. Doch ich höre ihn

oft nicht. Im Gebet fange ich an, seine

Stimme zu vernehmen. Das war

schon immer sein Wunsch an uns:

Höre Israel, damit leitet Gott seine

zehn Gebote ein. „Schma Jisrael,

höre Israel, der HERR ist unser

89


BLICKPUNKT.

Gott, der HERR allein.“ Beim Heiligen

Benedikt heißt es: „Höre! Und neige

das Ohr deines Herzens. Der Herr

steht davor und bittet um Einlass.“

Gott klingelt oft vergeblich

Und ich verstehe noch mehr. Ich

sehe die massive Klosterpforte, davor

ein karger Warteraum. Nicht wir

Menschen sitzen da etwa und warten,

dass Gott uns endlich erhört,

nein, dort sitzt Gott und wartet auf

uns. Er klingelt, aber wir haben oft

keinen Pförtner beauftragt, ihm zu

öffnen, wir haben es vergessen. Er

wartet da geduldig auf seine Gelegenheit

und bittet uns um Einlass.

Wenn wir beten, dann hören wir, wie

er läutet und bittet. Dann machen

wir ihm auf, lassen ihn herein und

hören ihm zu. Und dann heilen wir.

Aber da wir gefallene Engeln sind,

schweifen wir bald wieder ab. Das

Paradies entfleucht uns. Und aufs

Neue setzt man sich hin zum Gebet

und HÖREN.

Ich bin meinen Gastgeberinnen zu

größtem Dank verpflichtet, mir diese

Erkenntnis ermöglicht zu haben.

Aber: Wie lange wird es diese Orte

noch geben? Machen wir uns nichts

vor, Klöster sterben aus. Ist den

Menschen klar, welchen einzigartigen

Schatz sie verlieren? Es gibt nichts

Entsprechendes, keine anderen Orte,

wo sich Spiritualität, Kunst und Kultur,

Demut, Ruhe, Metaphysik, Geist

und Intellekt, Liturgie, Mystik, Gastfreundlichkeit

so sehr verdichten.

Herzzerreißend waren die Gottesdienste

für mich, traten die meisten

Schwestern auf wackligen Beinen

oder am Stock vor ihren Herrn. Enden

möchte ich daher mit den letzten

wehmütigen Worten des großen

Apokalyptikers unserer Zeit – Michel

Houellebecq – aus seinem Buch Serotonin:

„Und heute verstehe ich den

Standpunkt Christi, seinen wiederkehrenden

Ärger über die Verhärtung

der Herzen: da sind all die Zeichen,

und sie erkennen sie nicht. Muss ich

wirklich zusätzlich noch mein Leben

für diese Erbärmlichen geben? Muss

man wirklich so deutlich werden? –

Offenbar ja.“

Wie lange wird es solche Orte noch

geben?

90


91


BLICKPUNKT.

„ALLE MÜSSEN

SENSIBLER WERDEN“

Missbrauchs-Prävention steht ganz oben auf der

Agenda des Erzbistums – aber wie geht

das konkret in der Praxis?

Von Gerd Henghuber

Seit 2010 war öffentlich bekannt geworden,

dass sexueller Missbrauch

von Kindern und Jugendlichen

auch in Einrichtungen der Kirche in

Deutschland stattgefunden hat.

Den Anfang nahm die mediale Berichterstattung

durch den Jesuiten

Klaus Mertes, den damaligen Leiter

des Canisius-Kollegs in Berlin. Nachdem

sich ihm mehrere Altschüler

vertraulich als Missbrauchsopfer offenbart

hatten, machte er die Sache

öffentlich und richtete einen Brief an

die rund 600 Angehörigen der betroffenen

Jahrgänge aus den 1970er

und 1980er Jahren, der mit den Worten

endete: „Seitens des Kollegs

möchte ich (…) dazu beitragen, dass

das Schweigen gebrochen wird (…).

In tiefer Erschütterung und Scham

wiederhole ich zugleich meine Entschuldigung

gegenüber allen Opfern

von Missbräuchen durch Jesuiten am

Canisius-Kolleg.

92


Missbrauch

Mertes Vorgehen erforderte Mut und

rief auch innerkirchlich Kritik hervor.

Doch damit war der Damm gebrochen,

und auch im Erzbistum München

und Freising wurden zahlreiche

Fälle von Missbrauch bekannt,

etwa im Kloster Ettal. In der Diözese

identifizierte allein ein 2010 vom Erzbistum

beauftragtes unabhängiges

Gutachten für die Zeit von 1945 bis

2009 159 Priester, die wegen sexuellen

Missbrauchs von Minderjährigen

und anderen körperlichen Übergriffen

auffällig geworden waren, sowie

117 weitere kirchliche Mitarbeiter.

159 auffällige Priester im Erzbistum

bis 2009

Die Aufarbeitung wird seitdem kontinuierlich

weitergeführt. Erst kürzlich

hat das Erzbistum angekündigt,

einen neuen unabhängigen Bericht

in Auftrag zu geben, der benennen

soll, ob die Verantwortlichen rechtliche

Vorgaben sowie die Leitlinien

der Deutschen Bischofskonferenz

erfüllten und angemessen im Umgang

mit Verdachtsfällen und möglichen

Tätern handelten. Der Auftrag

umfasst den Zeitraum von 1945 bis

2019. Auf Anweisung von Kardinal

Reinhard Marx richtete das Ordinariat

bereits 2011 eine Koordinationsstelle

zur Prävention von sexuellem

Missbrauch ein, mit inzwischen fünf

Mitarbeitern.

Gabriele Seidnader ist eine von ihnen.

Die 48jährige Pastoralreferentin

arbeitet dort seit September 2019

Gabriele Seidnader, Koordinationsstelle

zur Prävention von sexuellem Missbrauch

der Erzdiözese München-Freising

mit einer halben Stelle. Ihre Hauptaufgabe

als Präventionsbeauftragte

sieht sie darin, Seelsorgerinnen und

Seelsorger, Angestellte sowie Ehrenamtliche

zu schulen. Im nächsten

Jahr wird die laufende Schulung aller

aktuellen Seelsorger abgeschlossen

sein, die aus einem E-Learning-Curriculum

mit 15-20 Stunden und zwei

Präsenzveranstaltungen besteht. Zugleich

werden in den Pfarreien Angestellte

und Ehrenamtliche geschult,

die Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen

haben. Bereits seit 2014

sind von allen Seelsorgern, Angestellten

und Ehrenamtlichen, die mit

Schutzbefohlenen arbeiten, erweiterte

Führungszeugnisse vorzulegen.

Kirchliche Einrichtungen der Kinder-,

93


BLICKPUNKT.

Jugendlichen-, Senioren- oder Behindertenarbeit

müssen ein Präventionskonzept

erstellen und entsprechende

Beauftragte benennen.

Schutz der Kinder höchstes Gut

„Ein erheblicher Aufwand, aber der

ist unabdingbar“, sagt Gabriele

Seidnader: „Es gibt kein wichtigeres

Gut als den Schutz der Kinder und

Jugendlichen.“ Rückblickend habe

man feststellen müssen, dass früher

manchen Verdachtsmomenten nicht

nachgegangen oder Taten bewusst

verdeckt worden seien, weil man

die Institution Kirche schützen habe

wollen. „Genau das hat Missbrauch

begünstigt.“ Und das habe es für

die Betroffenen auch so schwer gemacht,

denn die Täter seien in den

meisten Fällen in den Gemeinden

geachtete Personen gewesen.

Dinge sehen und ansprechen wollen

Aus der Aufarbeitung der Fälle habe

man, so Seidnader, gelernt, wie

wichtig ein Klima der Offenheit sei

für die Prävention von Missbrauch.

Wenn in den Pfarreien, Schulen, Verbänden

allgemein Kritik nicht offen

geübt werden könne, dann dürfe

man nicht erwarten, dass das gerade

bei dem sensiblen Thema Missbrauch

anders sei. „Wir müssen also

generell eine offene Gesprächskultur

pflegen und speziell für das Thema

Missbrauch sensibler werden, hinschauen,

Dinge auch sehen wollen

und sie ansprechen, auch wenn das

Mut erfordert“, sagt sie. Allerdings

brauche es für erfolgreiche Prävention

auch eine Gesellschaft, die das

Thema Missbrauch hören wolle und

darüber sprechen könne. „Dass wir

heute damit viel offener umgehen

können als früher, ist ja nicht nur in

der Kirche der Fall, sondern in der

gesamten Gesellschaft.“

Was aber tun bei einem konkreten

Verdacht gegen einen kirchlichen ehren-

oder hauptamtlichen Mitarbeiter?

Wenn sich ein Kind oder ein Jugendlicher

diesbezüglich jemandem

anvertraut, dann gelte es, so Seidnader,

Ruhe zu bewahren, zuzuhören,

und die externen Missbrauchsbeauftragten

im Erzbistum zu informieren

(Kontakt am Ende des Artikels).

Darüber hinaus könnten die Beauftragten

für Prävention in der Pfarrei

zu Rate gezogen werden und unterstützen.

Wesentlich schwerer sei es,

Missbrauch zu erkennen, wenn er

nicht angezeigt oder angesprochen

werde. Schließlich könne es viele

Ursachen haben, wenn sich Kinder

plötzlich stark zurückzögen, aggressiv

würden, manchmal gegen sich

selbst, sagt Seidnader.

Prävention beginnt bei kleinen

Grenzverletzungen

Deshalb legen sie und ihre Kollegen

in den Schulungen einen wichtigen

Fokus auf Übergriffigkeiten und

Grenzüberschreitungen vor einem

sich möglicherweise anbahnenden

Missbrauch. „Das geschieht ja meist

nicht aus heiterem Himmel, sondern

94


Missbrauch

immer in einem Beziehungsgeschehen.“

Sie nennt als Beispiel ein Zeltlager

der Ministranten. „Ein Kind hat

sich verletzt und kommt weinend auf

den Leiter zu. Darf man das Kind in

den Arm nehmen? „Für mich ist immer

die Frage, wer braucht es gerade,

dass das Kind in den Arm genommen

wird: das Kind oder der Leiter,

um es zu trösten?“. Das heiße also

konkret: „Kommt das Kind auf den

Leiter zu und sucht aus seiner Bewegung

heraus die Nähe, braucht man

es nicht abzuweisen, aber die Initiative

dazu muss klar von dem Kind

ausgehen.“ Solche Themen müssten

alle relevanten Gruppen ansprechen

und für sich einen Verhaltenskodex

aufstellen – unter Einbeziehung der

Kinder. „Ziel muss es sein, dass die

Kinder bei der Aufstellung der Regeln

miteinbezogen sind.“

Hinzu komme eine weitere Erkenntnis

aus der Arbeit mit den Opfern:

„Wir müssen Übergriffigkeiten benennen,

auch die sexuellen.“ In der

Vergangenheit sei manch Betroffener

daran gescheitert, dass er für das

Geschehene einfach keine Worte gefunden

habe. „Daher ist es ein wichtiger

Punkt, dass definiert ist, wie

wir miteinander umgehen und dass

Grenzüberschreitungen benannt

werden können“, betont Seidnader,

„denn nur das, was man benennen

und ansprechen könne, mit dem

könne man auch umgehen.“

Ansprechpartner Prävention

Koordinationsstelle zur Prävention

von sexuellem Missbrauch

E-Mail: koordinationsstelle-praevention@eomuc.de

Website: www.erzbistum-muenchen.

de/im-blick/Missbrauch-und-Praevention

Pfarrverband Altschwabing

Monika Roth

Pastoralreferentin

Telefon: 089-3837703

E-Mail: praevention@altschwabing-katholisch.de

Bischöfliche Beauftragte für die Prüfung

von Verdachtsfällen (extern)

Dipl. Psychologin Kirstin Dawin

St. Emmeramweg 39

85774 Unterföhring

Tel.: 089 / 20 04 17 63

E-Mail: KDawin@missbrauchsbeauftragte-muc.de

Dr. jur. Martin Miebach

Pacellistraße 4

80333 München

Tel.: 0174 / 3 00 26 47

E-Mail: Miebach@missbrauchsbeauftragte-muc.de

95


WICHTIGE KONTAKTE

IM PFARRVERBAND

Organisation | Ansprechpartner | Kontakt

Pfarrverband Altschwabing

Kaiserplatz 1, 80803 München

www.altschwabing-katholisch.de

Seelsorgeteam:

G.R. David W. Theil

Pfarrer von St. Ursula und St. Sylvester,

Leiter des Pfarrverbandes

Altschwabing, Dekan des Dekanats

München-Innenstadt

Pastoralreferentin Monika Roth

Pastoralreferent Michael Steinbacher

Seelsorgsmithilfe: Pfarrer i.R. G.R.

Thomas Schwaiger, Prof. Pater Dr.

Michael Bordt SJ

Pfarrbüros:

St. Ursula, Kaiserplatz 1,

80803 München

Tel. 089 / 38 37 70-3

st-ursula.muenchen@ebmuc.de

Pfarrsekretärin und Dekanatssekretariat

Maria Fellner

Buchhalterin

Elisabeth Funk

St. Sylvester, Biedersteiner Straße 1,

80802 München

Tel. 089 / 33 00 74-3

st-sylvester.muenchen@ebmuc.de

Pfarrsekretärin

Martina Kurz

Kirchenmusiker

St. Ursula: Martin Schwingshandl

schwingshandl@altschwabing-katholisch.de

St. Sylvester: Andreas Behrendt

behrendt@altschwabing-katholisch.de

Gremien

Kirchenverwaltungen

Kirchenpfleger in St. Ursula: Tobias

Gebhard

Kirchenpfleger in St. Sylvester und

Verbundspfleger für den Pfarrverband:

Dr. Paul Siebertz

Pfarrgemeinderäte

Vorsitzender St. S.: Marcel Renneberg

Vorsitzende St. U.: Stefanie Kelly

Weitere Kontakte

Caritas-Haus St. Nikolaus

Osterwaldstr. 25, 80805 München

Tel. 089 / 18 95 09-0

st-nikolaus@caritasmuenchen.de

Seelsorge: Diakon Werner Schmidt

/ PR Sigrid Albrecht

Heimleiter: Friedrich Schwarz

Caritas München Mitte

Gemeindeorientierte Arbeit, soziale

Beratung

Hiltenspergerstr. 80, 80796 München

Tel. 089 / 30 00 76 53

Monatliche Außensprechstunde in

den Pfarrämtern ohne Voranmeldung

für Menschen in sozialen

Schwierigkeiten: Dipl. Soz.-päd.

(FH) Monika Jörg-Müller

Denken & Beten

Eucharistiefeier in St. Sylvester von

einem Team der Jesuiten der Hochschule

für Philosophie

Pater Prof. Dr. Michael Bordt SJ

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www.hfph.de/impulse/denken-beten

Förderverein Mittags- und Hausaufgabenbetreuung

Wilhelmschule Sankt Ursula

Wilhelmstr. 29, 80801 München

Christian Kehl, Vorstand

Tel. 0160 / 94 63 19 85

Gemeinschaft Sant’Egidio München:

Biedersteiner Str. 1, 80802 München

Ansprechpartnerin: Ursula Kalb

Tel. 089 / 386 67 68-11

info@santegidio-muenchen.de

Katholische Frauengemeinschaft

Deutschlands (kfd) in St. Ursula

Ansprechpartnerinnen: Elisabeth

Prufer / Helga Seeberger

kfd-st-ursula@mnet-online.de

Kinderbibelgarten St. Ursula

Dr. Maria Grienberger-Zingerle /

Svenja Ritzer / PR Michael Steinbacher

Ministranten St. Sylvester

Oberministrant: Maximilian Dittmann

Ministrantinnen St. Ursula

Leiterrunde: Benedikt Breil,

Emma Brüggemann, Julia Quarg,

Moritz Quarg, Carlotta v. Sperber,

Nachmittag der Begegnung

(Spielenachmittag)

in St. Ursula

Leitung: Hilde Fischer/Hannes Rose

Kontakt über Pfarrbüro St. Ursula

Pfadfinder St. Sylvester

DPSG Stamm Swapingo

post@swapingo.de

Pfadfinder St. Ursula

DPSG Stamm Pater-Rupert-Mayer

info@stamm-prm.de

Seniorengemeinschaft St. Sylvester

Leitung: N.N.

Kontakt über Pfarrbüro St. Sylvester

Senioren- /Folkloretanz in St. Ursula

Leitung: Irena Brózda

Tel. 089 / 41 15 58 61

irena.brózda@googlemail.com

Tanzgruppe Ursoaica

Leitung: Gertrud Prem

Tel. 089 / 47 49 26

gertrud.prem@t-online.de

Verein für ambulante Krankenpflege

in der Pfarrei St. Sylvester

in München-Schwabing e.V.

Biedersteiner Str. 1, 80802 München

Kontakt über Pfarrbüro St. Sylvester

Verein für ambulante Krankenpflege

in der Pfarrei St. Ursula e.V.

Kaiserplatz 1, 80803 München

Vorsitzender: Gerd Henghuber

www.krankenpflege-schwabing.de

Service: Ambulanzstation

Bismarckstr. 30, Erdgeschoss

Tel. 089 / 45 21 70 40

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Foto: Martin Jarde


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