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BLICKPUNKT.
NR. 5 / AUSGABE 2020/21
ALTSCHWABING
DAS PFARRVERBANDSMAGAZIN VON ST. SYLVESTER UND ST. URSULA
BLICKPUNKT.
Impressum
V.i.S.d.P:
Pfarrverband Altschwabing
Kath. Pfarramt St. Ursula
Kaiserplatz 1, 80803 München
Tel.: 089/3837703 / Fax 089/341252
E-Mail: st-ursula.muenchen@ebmuc.de
Internet: www.altschwabing-katholisch.de/sankt-ursula
Kath. Pfarramt St. Sylvester
Biedersteiner Str. 1, 80802 München
Tel.: 089/330074-3 / Fax 089/330074-55
E-Mail: st-sylvester.muenchen@ebmuc.de
Internet: www.altschwabing-katholisch.de/sankt-sylvester
Chefredaktion: Gerd Henghuber
Gestaltung: Martin Jarde
Redaktion: Benedikt Breil, Tobias Gebhard, Regina Holzer, Martin Jarde,
Annette Krauss, Klaus Lang, Bastienne Mues, Dr. Robert Mucha, Marcel Renneberg,
Svenja Ritzer, Miriam Schmucker, Michael Steinbacher, David Theil
Fotos: Lukas Barth, Peter Braun, Jimmy Dolle, Gerd Henghuber, Till Hofmann,
Martin Jarde, Klaus Lang, Bastienne Mues, Stephan Rumpf, Anja Wechsler
Photography, Deutsche Bischofskonferenz, Süddeutsche Zeitung, Katholische
Nachrichtenagentur
Kontakt: redaktion@altschwabing-katholisch.de
2
Editorial
IM ANFANG WAR
DAS WORT
Wir leben von den Ja-Worten des Lebens
und dem JA zum Leben
Liebe Leserin, lieber Leser,
Verunsichert, schockiert, voller
Fragen, sind wir – Ängste ums
Leben und die eigene Existenz
bewegen Menschen in der Corona-
Pandemie. Es gibt kein Rezept und
wir stehen in dieser Situation vor
der Herauforderung, Solidarität unter
völlig veränderten Bedingungen
zu üben. Und die anderen Themen
und Aufgaben sind ja nicht einfach
weg oder gar gelöst. Wir werden
durch diese weltweite Krise eine
neue Haltung lernen müssen und da
haben wir Christinnen und Christen
eine spezifische Rolle.
Gott wird Mensch – das ist die Mitte
der christlichen Botschaft und zugleich
das Alleinstellungsmerkmal
des Christentums. Das Johannesevangelium
beschreibt diesen schwer
zu fassenden Vorgang in einem Lied,
dem sogenannten Logos-Hymnus
„im Anfang war das Wort und das
Wort war bei Gott und Gott war das
Wort (Joh 1,1) ... und das Wort ist
Fleisch geworden und hat unter uns
gewohnt ...“ (Joh
1,14).
Wort wird
Fleisch, Worte
werden Fleisch,
das heißt für
mich, wir haben
Verantwortung
für unser Wort,
für unsere Worte.
Worte wollen
wahrhaftig und verlässlich sein und
ein gutes Leben ermöglichen. Wir
wollen Worten vertrauen können.
Wir leben von den Ja-Worten des Lebens
und dem „JA“ zum Leben.
Populismus vergiftet die Sprache
und macht Menschen verächtlich
Wenn Worte zu Lügen missbraucht
werden, wird menschliches Leben
zersetzt und ein freies, verantwortetes
Miteinander verunmöglicht.
Lüge, Wahrheit zu nennen ist der Zynismus,
der Vertrauen zerstört.
Und wenn Wort voller Hass Fleisch
wird, zerstört es andere Menschen,
3
BLICKPUNKT.
bringt sie ums Leben und frisst letztendlich
auch das eigene Leben auf.
Das erleben wir bedrückend in unserer
Zeit, auch durch die Fratze des
Populismus dieser Tage. Der Satz:
„Das wird man doch noch sagen
dürfen ....“ wird zum Einfallstor für
das Verächtlichmachen von Menschen
durch vergiftete Sprache. Es
ist zu wenig diesen Zustand nur zu
beklagen. Es ist gefährlich, sich einfach
ins Private zurück zu ziehen.
Gerade Christinnen und Christen ist
die Verantwortung für die Sprache
anvertraut zum Wohle unseres gesellschaftlichen
Miteinanders.
Benedicere heißt nicht nur segnen,
sondern zunächst „gut sprechen“
Wir wollen unsere Verantwortung für
Schöpfung und Klima, für eine soziale
Marktwirtschaft, für kluges politisches
Handeln für eine menschliche
Gesellschaft, für ein solidarisches
Miteinander in der einen Welt und
für den Dialog der Religionen und
Weltanschauungen annehmen, weil
wir uns eben von einem Mensch
gewordenen und menschenfreundlichen
Gott in diese Verantwortung
gesetzt wissen.
Unser Blickpunkt legt unter anderem
darüber Rechenschaft ab, wie wir
hier in Schwabing unser Christsein
leben und aus diesem Geist Stadtgesellschaft
gestalten. „Katholisch
– für alle offen, verstehen wir unser
Leben als dialogischen Weg des Miteinanders
in Verschiedenheit. Wir
begreifen Verschiedenheit nicht als
Bedrohung, sondern als Bereicherung.
Auch deshalb suchen wir auf
diesem Weg „Verbündete“ die mit
uns Verantwortung tragen und übernehmen
wollen für eine menschliche
Gesellschaft über die Grenzen von
Pfarrei und Pfarrverband hinaus.
Dies macht die aktuelle Krise noch
deutlicher – wir brauchen einander,
die Zeit der ICH-Menschen ist vorbei,
wir brauchen ein neues WIR, ein Miteinander
in dem wir exemplarisch
Verantwortung für unsere Freiheit
übernehmen und dies im Dialog
miteinander üben. Die Herausforderungen
der Zeit meistern wir nur
gemeinsam. So wollen wir in aller
Bedrohung das Gute zum Sprechen
bringen.
Wir wollen gut sprechen – das Gute
zur Sprache bringen und Fleisch werden
lassen – „benedicere – Gutes/
gut sprechen – segnen“. In diesem
Sinne wollen wir als Kirche Segen
sein im Heute der Welt mit Ihnen zusammen
für Welt und Menschen in
Miteinander, Respekt und Frieden.
Ihr David Theil
Rechts: Die neu renovierte Kuppel von
St. Ursula
4
BLICKPUNKT.
WER SICH LIEBT,
IST VON GOTT
GELIEBT
Der Valentinsgottesdienst erinnert am 14. Februar
an die religiösen Wurzeln des populären Tags
Von Regina Holzer
Der Valentinstag – für Floristen ein
anstrengender, aber auch wirtschaftlich
wichtiger Tag. Auch Pralinenhersteller
oder Herausgeber von rosa
Grußkarten mit Herzen darauf freuen
sich über die Bedeutung, die dieser
Tag in den letzten Jahren gewonnen
hat. Dabei ist den meisten gar nicht
wirklich bewusst, worauf dieser Tag
der Liebenden zurückgeht.
Ein katholischer Heiliger, bei dem
viele Fragen offen bleiben
Der 14. Februar ist der Namenstag
des hl. Valentinus, der Anknüpfungspunkt
liegt also im liturgischen Gedenken
an einen katholischen Heiligen.
Wer genau dieser allerdings
war, ist historisch nicht ganz geklärt.
So könnte er der Bischof von Terni in
Umbrien gewesen sein und als Märtyrer
im Jahr 268 den Tod gefunden
haben. Möglich ist
auch, dass er Priester
in Rom war, auch dieser
soll im Jahr 269
den Märtyrertod gestorben
sein. Auch ist
es möglich, dass diese beiden einund
dieselbe Person darstellten.
Der Grund für seinen Platz in der
Reihe der katholischen Heiligen und
vermutlich auch für seinen Märtyrertod
liegt wohl darin, dass er als
Priester Soldaten, denen das Heiraten
verboten war, christlich traute
und Gottesdienste für Christen
feierte, die vom Römischen Reich
verfolgt wurden. Eine andere Variante
dieser Legende besagt, dass
er Liebende gegen den Willen ihrer
Eltern traute. Die von ihm geschlossenen
Ehen sollen jedenfalls nach
der Überlieferung unter einem guten
6
Besondere Gottesdienste
Stern gestanden haben. So wurde
der hl. Valentinus zum Schutzpatron
der Liebenden ernannt.
Ein Priester, der Blumen bringt
Sein Namenstag am 14. Februar wird
einmal mit seinem angeblichen Todestag
am 14. Februar 269 erklärt.
Auch die Erklärung, dass an diesem
Tag nach römischer Tradition die
Göttin Iuno, die Hüterin der Familie
und der Ehe, verehrt wurde, zu
deren Ehre man Altäre verzierte und
auch Frauen und Mädchen mit Blumen
beschenkte, klingt historisch
einleuchtend.
Diese Auslegung erbringt zusätzlich
noch die Erklärung, wieso Blumen
so mit diesem Tag verknüpft sind.
Die Legende erzählt aber auch, dass
Valentinus den von ihm getrauten
Paaren Blumen aus seinem Garten
geschenkt haben soll. Es gibt also
durchaus eine historische Rechtfertigung
dafür, seiner Angebeteten an
diesem Tag einen Blumenstrauß mitzubringen.
Der Ursprung liegt also in der Kirchengeschichte.
Daher feiern viele
Gemeinden diesen 14. Februar und
den hl. Valentin mit einem Gottesdienst,
in dem es um die Liebe geht.
7
BLICKPUNKT.
Dabei ist das Thema grundsätzlich
allumfassend, es geht um die Liebe
zwischen zwei Menschen, um die
Beziehung zu seinen Mitmenschen
und zu Gott. Am Ende des Gottesdienstes
werden Paare oder auch
Einzelpersonen mit ihren jeweiligen
Anliegen hierzu gesegnet. Dieser Segen
knüpft damit mehr noch als die
verschenkten Blumensträuße und
kleinen Aufmerksamkeiten an die
historische Herkunft dieses Festes
an und gehört für viele genau aus
diesem Grund zu diesem Tag dazu.
Segen für alle Liebenden
So sei die Liebe „etwas Zerbrechliches,
an dem man immer wieder arbeiten
muss, das man immer wieder
erneuern muss, und an diesem Tag
erhält man Hilfe hierfür. Man spürt,
dass man bei alldem nicht alleine
ist“, wie ein Paar seine Begeisterung
für den jährlichen Segnungsgottesdienst
erklärt. Dieser Tag sei auch
als regelmäßiger Kirchenbesucher
etwas Besonderes, da man sich ganz
konkret in den Blick genommen fühle.
So nehmen sich viele Zelebranten
bei der Segnung für jedes Paar ganz
bewusst Zeit, um sich ganz konkret
auf dieses zu konzentrieren.
In unserem Pfarrverband wird jedes
Jahr am 14. Februar in St. Ursula ein
Valentinsgottesdienst mit Segnung
abgehalten. Dabei sind Paare und
Einzelpersonen jeden Alters und jeder
Orientierung herzlich willkommen.
Die Einladung unseres Pfarrverbandes
an alle und das Bekenntnis,
für jeden offen zu sein und keinen
auszuschließen, setzt sich dabei
auch in der Einladung zur Valentinssegnung
fort, so dass dieser Tag
für jeden Liebenden ein Besonderer
werden kann.
Buch-Tipp
Andreas Rode: Das Jahresbuch der
Heiligen. Große Gestalten für jeden
Tag. Leben und Legenden. Zuständigkeiten,
Attribute und Erkennungsmerkmale.
Mit einer Einführung von
Abt Odilo Lechner. Bildauswahl von
Günter Lange.
1.040 Seiten, mit über 80 Farbtafeln.
ISBN 978-3-466-36803-7
8
Denken und Beten
HERR PROF.
BORDT,
WIE
BETEN
SIE?
Interview mit dem Jesuitenpater
und Initiator der Reihe
„Denken & Beten“
in St. Sylvester
BLICKPUNKT.
Das Gottesdienstformat Denken &
Beten hat sich in den zehn Jahren
seines Bestehens zu einer erfolgreichen
Marke entwickelt. Die Messe
um 11:00 Uhr ist an fast jedem
Sonntag sehr gut besucht und hat
einen großen Einzugsbereich aus
ganz München und Umgebung, sogar
über Konfessionsgrenzen hinweg.
Sie richtet sich besonders an
Christinnen und Christen, die eine
anspruchsvolle Predigt, eine schlichte,
aber würdevolle Gottesdienstgestaltung
und einen besonderen musikalischen
Akzent suchen.
2019 eröffneten Kardinal Reinhard
Marx, und Pater Michael Bordt SJ,
Vorstand des Instituts für Philosophie
und Leadership an der Hochschule
für Philosophie München (HFPH) ein
neues Jahrzehnt der Reihe mit einem
Festgottesdienst. Zeit für ein Interview
mit dem Erfinder des Formats.
Sehr geehrter Herr Prof. Bordt.
„Denken & Beten“ ist Ihr Baby. Wie
kam es dazu?
Wir Jesuiten von der Hochschule für
Philosophie wollten wieder stärker
als Priester sichtbar werden. Als
Hochschuldozenten spielt die Tatsache,
dass wir Priester sind, keine
Rolle, da unsere Einrichtung sich ja
an Studierende mit oder ohne Glaubenshintergrund
richtet. Als ich 2005
Präsident der Hochschule wurde,
begann ich mit meinen Kollegen zu
überlegen, wie und wo wir als gläubige
Katholiken wirken und unseren
Glauben vermitteln können. Das
stellte sich zunächst als gar nicht so
leicht heraus. Zu unserem großen
Glück traf ich auf Pfarrer David Theil.
In St. Sylvester war der hiesige Pfarrer
Schlossnickel in den Ruhestand
gegangen und eine Vakanz für die
Sonntagsmesse entstanden. Pfarrer
Theil war auf der Suche nach einer
Lösung, wir Jesuiten waren auf der
Suche nach einer Gelegenheit, eine
Messe feiern zu können. Wir einigten
uns schnell und unkompliziert, wofür
ich dem Pfarrer bis heute dankbar
bin. Es begann die Erfolgsgeschichte
von Denken & Beten.
Was bedeutet die Kombination aus
den Worten „denken“ und „beten“
eigentlich genau? Kardinal Marx
sagte in seiner Predigt während des
Jubiläumsgottesdiensts: „Beten ist
Aufklärung, nicht Verdunklung, nicht
Verengung.“ Es solle den Menschen
nicht „klein machen, sondern ihn
frei machen zum eigenen Denken,
dazu, die eigenen Erfahrungen zu
reflektieren“.
Denken kann uns helfen, die Gewissheit
zu verstehen, dass wir
von Gott getragen sind. Oder zumindest
Hindernisse zum Glauben
aus dem Weg zu räumen. Mir fällt
auf, dass die Menschen heute vor
allem Räume der Spiritualität und
Geborgenheit suchen, wo sie sich
fallen lassen können, wo sie ihr
Vertrauen, aber auch ihre Enttäuschung
vor Gott bringen können.
Das hilft ihnen, sich mit Gott und
10
Denken und Beten
mit sich selbst zu versöhnen. Dabei
kann Denken wichtig sein, damit
das nicht nur auf der Ebene des
Gefühls stehenbleibt. Als ein Mittel
zum Frieden und zur Versöhnung ist
für mich aber das Beten noch wichtiger.
Beten bedeutet für mich Hingabe,
ganz nach Jesus‘ Lehre: „Dein
Wille geschehe.“
„Denken kann Hindernisse zum
Glauben aus dem Weg räumen.“
Herr Prof. Bordt, wie beten Sie?
Üblicherweise verbindet man Gebete
mit Worten, also eine diskursive Begegnung
mit Gott. Ich habe für mich
die Form des Meditierens gefunden,
eine Verbundenheit mit Gott in Stille
und Schweigen. Meine morgendliche
Meditation hilft mir, eine verdichtete,
auf Gott ausgerichtete Haltung für
den ganzen Tag zu finden, mit der
ich auch die Eucharistie feiere und
versuche, die Gemeinde mit in meine
Meditation hineinzunehmen.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie
still es während der Kommunion ist.
Mir hilft dabei ein Bild, das ich einmal
von einer Ordensschwester gehört
habe. Viele Menschen wünschten
sich von ihr, für sie zu beten. Sie
mache dann da keine Liste für alle,
vielmehr nehme sie während der Begegnungen
mit ihnen all die Sorgen
und das Leid in sich auf und halte
dann im Gebet Gott ihr verwundetes
Herz hin. Das trifft sehr gut, was Beten
sein kann.
Darf man Gott im Gebet schimpfen?
Unbedingt. Das Gebet ist der einzige
Ort, an dem man ganz ungeschützt
und bei sich ist. Da kann man auch
schon mal wutentbrannt vor Gott
treten.
Sie zelebrieren meist die Osterliturgie
in St. Sylvester. Welcher ist Ihr
Lieblingstag in dieser Woche?
Der Gründonnerstag. Er ist der Kulminationspunkt
des Geschehens.
Hier treffen sehr intensive und existentielle
Momente auf engem Raum
aufeinander: das letzte Abendmahl,
Jesus‘ Einsamkeit, sein Leiden. Die
absolute Hingabe an Gott.
Entdecken Sie noch etwas Neues
beim Zelebrieren der Osterliturgie?
Die Liturgie ist mir schon so in Fleisch
und Blut übergegangen, deshalb
während der Feier eher nicht. Aber
bei deren Vorbereitung befinde ich
mich immer in einem neuen geistlichen
Prozess. Während ich die Predigt
schreibe, frage ich mich jedes
Mal, wo stehe ich gerade selbst? Wie
war das in den vergangenen Jahren?
Was wünschen Sie sich für die
nächsten zehn Jahre?
Ich wünsche mir für meine Kollegen
und mich, dass wir weiterhin so viele
Menschen erreichen.
Interview: Bastienne Mues
11
BLICKPUNKT.
WAS EINEN
DAVID HALT
SO AUS-
ZEICHNET
Eine Laudatio auf unseren Pfarrer
zum 10-jährigen Jubiläum in
St. Sylvester von Marcel Renneberg
Lieber Pfarrer Theil,
als Vorsitzender des PGR darf ich
sagen, dass die Gemeinde außerordentlich
glücklich darüber ist, Sie
jetzt seit zehn Jahren als Seelsorger
und Priester zu haben. Sie möchte
sich deshalb auch mit einem Geschenk
bei Ihnen bedanken, welches
Ihnen hoffentlich Freude macht: Die
Lithographie aus dem 19. Jahrhundert
zeigt den Moment, in dem der
spätere König David auf den geharnischten
Philister Goliath trifft, der
ja dann bekanntermaßen kurze Zeit
später zu Tode kommt.
Es ist bekannt, dass unser Pfarrer
1. den Vornamen David trägt und 2.
– vielleicht weniger bekannt – den
auch noch gerne und stolz trägt, in
vollem Bewusstsein der Taten des
Königs David. Furchtlosigkeit, Beharrlichkeit,
Einfallsreichtum, Gottvertrauen
und vielleicht auch eine
gewisse Schlitzohrigkeit sind beiden
Davids zu eigen, wie wir jetzt hören
werden.
Skepsis gegenüber dem Mann von
„drüben“
Wenn wir die zehn Jahre Revue passieren
lassen, so war der Beginn weder
für Sie, Herr Pfarrer, noch für das
ein oder andere Gemeindemitglied
damals einfach. Als bereits etablierter
Pfarrer von „drüben“, jenseits
der Leopoldstrasse, von St. Ursula
nämlich, schlug Ihnen mancherorts
Skepsis entgegen, man kannte
Sie wenig bis gar nicht. Es bestand
hier die Furcht vor einer Übernahme
12
Gemeinden
durch „die da drüben“, man hatte
Sorge, zur Filialkirche des Schwabinger
Doms zu werden!
Kein Pfarrer von oben herab
Es galt also, rasch zueinander Vertrauen
zu fassen und sich peu à
peu aneinander zu gewöhnen! Und
es wurde sehr schnell deutlich, wie
Sie Ihr Amt, Ihren Dienst, verstehen
und versehen wollen und dass Ihnen
der besondere Charakter und die
Eigenständigkeit der Pfarrgemeinde
St. Sylvester von Anfang an sehr am
Herzen lag und bis heute liegt. Sie
sind kein Pfarrer, der von oben herab
Anweisungen gibt, sondern der
stets den Diskurs in aller Offenheit
mit den Menschen und den – durch
Sie selbst durchaus gestärkten Gremien
PGR/PVR und Kirchenverwaltung
– sucht.
Ich persönlich, lieber Herr Pfarrer,
kenne Sie nun seit fünf Jahren aus
der gemeinsamen Arbeit im PGR und
PVR und erlebe Sie dort als guten
und ermutigenden Zuhörer, klar,
wertschätzend, offen, lösungsorientiert
und humorig dann und wann,
auch wenn Ihnen der alljährlich
stattfindende Pfarrfasching – bislang
zumindest – fremdgeblieben ist und
Sie an dem Abend lieber verreisen.
Immer wieder neu gelingt es Ihnen,
Menschen für das Ehrenamt in der
Gemeinde zu gewinnen. Ich weiß,
das Wort Ehrenamt mögen Sie nicht
so besonders, denn, und da haben
Sie Recht, durch unsere Taufe sind
wir gleichsam dazu berufen, an den
Grundvollzügen unserer Kirche, jede
und jeder nach seinen Charismen,
mitzuarbeiten, aber Ehrenamt ist
da den meisten doch irgendwie verständlicher.
In den zehn Jahren Ihres „Wirkens“
– welch schönes Wort, aber ich glaube,
bei Pfarrern aufwärts darf man
das so sagen (so ein Pfarrer arbeitet
nicht, er wirkt) – ist viel passiert,
wurden viele Dinge neu und anders.
Einige Highlights: Die Sanierung unserer
Pfarrkirchen inkl. Orgeln sind
Sie sehr rasch angegangen, eine
Mammutaufgabe mit immer wieder
neuen Fragezeichen und Hürden, die
Sie und wir mit Ihnen in den Gremien
zuversichtlich und kraftvoll, hier und
da wagemutig, aber stets mit Augenmaß
begonnen und zu Ende geführt
haben. Da sind wir also viel weiter
als Kirche und Orgel in St. Ursula,
was für ein Glück!
Mensa für arme Menschen
Das Verfassen eines Pastoralkonzepts,
in dem beide Gemeinden,
St. Ursula und St. Sylvester, ihr
gemeinsames aber auch jeweils
unterschiedliches Selbstverständnis
an den Grundpfeilern Offenheit,
Orientierung und Verlässlichkeit definieren,
haben Sie begleitet, ohne
irgendwelche harten Vorgaben zu
machen. Der Gemeinschaft Sant’Egidio,
die sich um arme Menschen
mitten unter uns sorgt, die gemeinsam
mit ihnen, und jeder von uns ist
13
BLICKPUNKT.
dazu eingeladen, an Samstagen zu
Mittag isst und Nähe schenkt, und
wöchentlich Gottesdienst feiert, haben
Sie in unserer Pfarrei eine feste
und verlässliche Heimat gegeben.
So viel Weihrauch …
In Ihrem priesterlichen Dienst und
gerade in der Liturgie, also in der
Art und Weise, wie wir miteinander
Gottesdienst und Eucharistie feiern,
kommt ganz deutlich auch Ihre benediktinische
Prägung und Spiritualität
zum Vorschein. Was für eine kraftvolle
Stimme!!! Und dann der viele
Weihrauch!!! Fast schon barock!!!
Und sagen Sie jetzt bitte nicht, da
seien ganz allein die Minis für verantwortlich
…!!!
Ermutigend im Glauben und nachhaltig
sich in Hirn und Herz verfestigend
sind Ihre Predigten. Nie moralisierend
deuten Sie klar die frohmachenden
aber mitunter auch ungemütlichen
Botschaften und Wahrheiten des
Evangeliums mutig und, wenn nötig,
ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen,
ins Hier und Heute. Stets frei
vorgetragen (sicherlich jedoch wohl
überlegt!) überschreiten Sie nie die
durchschnittlichen und empfohlenen
zehn Minuten, die sich übrigens rein
rechnerisch ergeben, wenn man, so
meine Recherche, im Predigtarchiv
auf der Website des Vatikans alle
Predigten bzw. die Anzahl der Wörter
am normalen Sprechtempo bemisst
und mittelt. In Sachen Homilie
verfahren Sie wohltuend ganz nach
Jesus Sirach ‚Dräng die Worte zusammen,
fasse dich kurz‘.
Nie frustriert, immer freundlich
Sie scheinen nicht nur, sondern sind
unermüdlich fleißig. Dabei wirken Sie
nie frustriert oder resigniert, manchmal
doch zu Recht erschöpft zwar,
aber stets wach und freundlich. In
allem, was Sie und wie Sie es tun,
lieber Herr Pfarrer, nimmt man Ihnen
Ihre Freude an Ihrem Dienst und Amt
ab, gleichwohl Sie sich, das haben
Sie mal geäußert, lieber mehr pastoral
und seelsorgerisch unterwegs sehen
würden und weniger befasst als
Manager der Kirche. Das wünschen
wir Ihnen, wie wir uns wünschen,
dass da noch viele Jahre gemeinsamen
Weges kommen mögen!
(Redetext gekürzt)
DAS SCHLÜSSELLOCH
VON SANKT URSULA
Von Annette Krauss
Der Blick durchs Schlüsselloch gehört
sich eigentlich nicht. Außer beim
Schwabinger Dom, hier wird er seit
kurzem sogar inszeniert. Denn wer
nachts die Treppen zum verschlossenen
Haupteingang am Kaiserplatz
hinaufsteigt und durch das ziemlich
große Schlüsselloch linst, der kann
etwas entdecken …
Den Stein ins Rollen brachten einige
Jugendliche, die in der Säulen-Vorhalle
gelangweilt auf das Ende einer
Hochzeit warteten. „Sind die immer
noch nicht fertig da drinnen?“ war
die Frage – die Antwort fand sich
beim Blick durchs Schlüsselloch,
durch das dann gleich noch frech
geknipst wurde: „Brautpaar durchs
Schlüsselloch“.
Das Vorkommnis fand Kirchenpfleger
Tobias Gebhard nicht anrüchig, sondern
tiefgründig: „Die Mitte, aus der
wir als Gemeinde leben, ist unser
Altar unter der Kuppel. Warum also
nicht diese Mitte Tag und Nacht ins
Licht setzen?“ Zusammen mit einem
Theater-Beleuchter und einem Elektroingenieur
schritt man zur Tat: Die
Ehrenamtlichen montierten unter der
jüngst restaurierten Kuppel zusätzliche
Leuchtkörper.
Seither spähen in St. Ursula nachts
zuweilen Menschen durchs Schlüsselloch,
ganz ungeniert auf den beleuchteten
Altar. Dunkel bleibt der
lediglich in der Zeit von Gründonnerstag
bis zur Osternacht. Um das
zu verstehen müsste man neugierig
sein, und einfach mal in den Gottesdienst
gehen.
15
BLICKPUNKT.
WENN EIN KÖLNER
HELAU SCHREIT …
… dann muss es sich um einen guten Fasching handeln:
Der Pfarrfasching von Altschwabing ist wahrscheinlich
der beste in München!
Von Marcel Renneberg
Als ich im September 1996 meine
linksrheinische Heimat kurz vor den
Toren Kölns verließ und nach München
zog, war recht schnell klar,
dass, bei allem Zugewinn an Neuem
in meinem neuen Zuhause mir doch
auch vieles dauerhaft fehlen würde,
nämlich Familie, Freunde, Gewohntes
und Liebgewonnenes. Wie bei
jedem, der seine Heimat verlässt.
Am schlimmsten aber war die Ferne
zum kölschen Fasteleer mit seinem
Straßen- und Kneipenkarneval. Der
Karneval ist in Köln tatsächlich die
fünfte Jahreszeit, die überall sichtbar
und erlebbar, in den Kindergärten,
den Schulen, den Pfarrgemeinden,
den Familien und den Karnevalsvereinen
am 11.11. beginnt und am
Rosenmontag seinen explosiven Höhepunkt
findet.
Kein Närrischer Lindwurm, sondern
nur Schwarz-Weiß-Bälle?
Weil der Karneval, hier Fasching genannt,
in München nicht so gefeiert
wird, wie ich ihn kannte und liebte
(und immer noch liebe), weil es hier
keinen Närrischen Lindwurm gibt (jedes
Dorf im Rheinland hat da einen
längeren Umzug), kein Prinzenpaar
(Prinz, Bauer und Jungfrau – quasi
die kölsche Dreifaltigkeit), sondern
irgendwelche Schwarz-Weiß-Bälle,
fuhr ich in den ersten Jahren zumindest
an den „tollen Tagen“ zuerst
alleine, später dann mit meiner
ebenfalls rheinischen, aber in Mün-
chen eroberten Ehefrau Birgit (nein,
nicht im Fasching, sondern an einem
„Kölner Abend“) und unseren beiden
Jungs zu Eltern/Schwiegereltern und
Freunden nach Bonn und Köln.
Vor ein paar Jahren wurde ich allerdings
während einer Sitzung des
Pfarrverbandsrates in das Planungsteam
eines mir bis dato unbekannten,
vielleicht auch geflissentlich
ignorierten, Pfarrverbands-Faschings
berufen. Was bitte sollte das sein,
frage ich mich!? Wat soll dä Quatsch?
Aber da ich für (fast) jeden Spaß zu
haben bin und ich mir insgeheim
erhoffte, so vielleicht ein bisschen
karnevalistische Heimat nach Schwabing
zu bringen, sagte ich ohne großes
Zögern zu. Freilich waren kölsche
Einflussmöglichkeiten gering
und, Gott sei Dank, auch nicht nötig!
„Uschi feiert“: Mottoparty, bunte
Kostüme und Tanzgruppe
Oben: Das berühmte
Männerbalett
des Pfarrverbads;
Links: Urgestein
von St. Sylvester,
das Ehepaar
Fürmeier.
Sicher, es fehlen beim Pfarrfasching,
der immer unter einem Motto steht
und einleitet etwa mit „Uschi feiert…“,
wesentliche karnevalistische
Bestandteile, wie beispielswiese.
das umfangreiche, teilweise hymnische,
Liedgut, bei dem sich wildfremde
Jecken nach ein paar Glas
Kölsch berauscht oder besinnlich,
je nach charakterlicher Beschaffenheit
oder weiteren Absichten, in den
Armen liegen und sich ewige Liebe,
Freundschaft und Treue schwören,
ihre Stadt Köln besingen, aber, wat
wellste maache, et is halt esu wie
et is!
17
BLICKPUNKT.
Seit Jahren gehe ich also, weil ich
es ja auch mit vorbereitet habe, und
es wäre Blödsinn, dann nicht hinzugehen,
mit meiner Frau und mittlerweile
auch mit Freunden, zum Pfarrfasching.
Ich mache sogar in der
Tanzgruppe mit, was meine Freunde
in Köln ganz sicher nicht glauben
würden, meine Frau aber gutheißt,
weil ihr sehr an einem beweglichen
Ehemann gelegen ist!
Es macht wirklich großen Spaß, der
Termin wird, wenn er feststeht, verbindlich
in unseren Kalendern eingetragen,
wir kostümieren uns, freuen
uns und feiern eben dann mit der
Gemeinde Fasching. Und es ist schön
so, wie es ist!
Pfarrfasching Altschwabing: Nicht
kölsch, aber dennoch großartig!
Und wenn da das ein oder andere
fehlen sollte, ja mei, dann denken
wir es uns dazu, man bekommt ja bekanntlich
den Kölner aus Köln, aber
Köln nicht aus dem Kölner, summen
die kölschen Liedchen im Kopf und
im Herzen mit, nehmen unsere Nachbarn
in den Arm und schunkeln so,
wie man halt schunkelt, ob in Bayern,
im Rheinland, in New York, Sao
Paolo oder Paris.
Kommen Sie doch einfach zum
nächsten Pfarrfasching, er ist großartig
wie er ist, wenn auch nicht
kölsch. In diesem Sinne: Alaaf und
Helau!
18
Kirchenmusik
„MUSIK
MUSS
RÜHREN“
Der Komponist Markus Höring
über sein Werk „Die Seligpreisungen“
für St. Sylvester,
zeitgenössische Musik, und die
Rolle des Glaubens beim Komponieren
von Kirchenmusik.
Zum Jubiläum 10 Jahre der Reihe
„Denken und Beten“ in St. Sylvester
hat der Münchner Komponist
Markus Höring die neun Seligpreisungen
aus der Bergpredigt vertont.
Den Impuls dazu gab Pater
Michael Bordt SJ, der Kontakt zum
Lehrbeauftragten an der Hochschule
für Musik kam durch den
Kirchenmusiker von St. Sylvester
Andreas Behrendt zustande, der bei
Höring studiert hatte. Dieser war
sofort begeistert, unterbrach eine
Oper über Hölderlin und machte
sich ans Werk.
Herr Höring, warum hören wir in der
Kirche wie auch im Konzertsaal so
gern Beethoven, Mozart oder Haydn
und so ungern zeitgenössische Musik?
Jeder Künstler baut einerseits auf
dem auf, was vor ihm war, und muss
doch gleichzeitig mit hergebrachten
Erwartungen brechen, sonst wäre
er kein Künstler. Auch die Klassiker
haben gebrochen: Haydn mit der höfischen
Musik der Barockzeit etwa.
Die Protagonisten der so genannten
„Neuen Musik“ – Stockhausen und
andere – haben diesen Bruch mit der
Tradition sehr drastisch vollzogen. In
dieser Ästhetik, die vielen schwer
zugänglich ist, hängt die zeitgenössische
Musik leider seither immer
noch fest. Interessant ist, dass eine
solche Debatte um den rechten Weg
nur in der Musik so dogmatisch geführt
wird, in keiner anderen Kunstform.
Aber das ändert sich gerade.
19
BLICKPUNKT.
Wie sind Sie als zeitgenössischer
Musiker an diese Neukomposition
von Kirchenmusik herangegangen?
Reinen Dogmatismus finde ich
schrecklich, die reine Lehre der Neuen
Musik langweilt mich. Mein Stil
war es immer, Traditionen zu vereinen.
Ich sitze da gewissermaßen
zwischen den Stühlen, und da fühle
ich mich ganz wohl.
Was für Stile können wir bei den Seligpreisungen
hören?
Angefangen vom direkten Zitat eines
gregorianischen Chorals finden Sie
Anlehnungen an die Kanonkünste
der Renaissance und an Bachs Fugentechnik.
Aber in den solistischen
Passagen durchaus auch Reminiszenzen
an die italienische Oper des
19. Jahrhunderts. Der gesamte tonale
Aufbau wurde aber von zwei
Komponisten des 20. Jahrhunderts
maßgeblich beeinflusst: Bartok und
Messiaen.
„Es gibt für einen zeitgenössischen
Komponisten keinen besseren Ort
als die Kirche.“
Was reizt Sie an der Kirchenmusik?
Es gibt für einen zeitgenössischen
Komponisten keinen besseren Ort
als die Kirche: Ein Raum voller Menschen,
die sich versammeln, um zuzuhören,
sich einzulassen auf die
Musik und sich zu versenken in die
Spiritualität, die diese transportiert.
Hinzu kommt, dass es gerade bei
der Kirchenmusik eine sehr große
Tradition gibt, auf der ich aufbauen,
derer ich mich auch bedienen konnte
bei den Seligpreisungen.
Die sind ja zuerst mal nur ein Text ...
Das war eine ganz große Herausforderung,
schließlich handelt es sich
um 2000 Jahre alte Texte, die ich
in ein musikalisches Gewand packen
sollte. Die Psalmen sind noch viel
älter. Das war eine sehr emotionale
Angelegenheit für mich – schwierig
und gleichermaßen reizvoll – wie ich
diese Texte Menschen heute näherbringen
könnte.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Mir war klar, dass nicht ein mächtiger
Chor die Hauptrolle haben dürfte,
sondern die Solisten, die eher
subjektiv wirken. Wir lieben heute in
der klassischen Kirchenmusik ja die
Chöre, dürfen aber nicht vergessen,
dass auch Bach höchstwahrscheinlich
ursprünglich nur für Solisten
geschrieben hat, und die Chöre erst
später hinzukamen. So hatte ich
beim Schreiben eine Sopranistin
schon direkt im Kopf: Katrin Arnold,
die ich seit vielen Jahren gut kenne.
Ich habe ihr vorab auch immer wieder
einzelne Passagen zum Probieren
geschickt, insofern ist die Sopranpartie
wirklich dieser Sängerin
auf den Leib geschrieben, und am
Ende ist sie genauso erklungen, wie
ich es mir vorgestellt hatte, das ist
20
Kirchenmusik
dann für den Komponisten das ganz
große Glück.
Ich war glückselig! Sowas hatte ich
in meinem Leben noch nicht gehört.
Wie haben Sie dieses Glück erlebt?
Ich saß bei der Uraufführung unten
im Publikum und war auch schon
bei den Proben dabei gewesen. Es
war die heißeste Woche des Jahres,
40 Grad, die Musiker hatten es nicht
leicht. Ich konnte bei der Aufführung
aber vollkommen abschalten und
die Musik erleben wie jeder andere
Konzertbesucher auch. Als der große
Jubel ausbrach, war ich natürlich
glückselig! Sowas hatte ich in meinem
Leben noch nicht erlebt. Dabei
war es für mich besonders schön,
diesen Erfolg in genau der Gemeinde
erleben zu dürfen, in der ich als
Vor- und Grundschulkind in den Orff-
Gruppen von St. Sylvester und St.
Ursula meine ersten musikalischen
Schritte tun durfte.
kennt. Aber man muss verstehen
und nachvollziehen können, worum
es geht, sonst brauche ich gar nicht
anzufangen zu komponieren. Da ist
eine solide Basis schon sehr wichtig.
Aber gerade konfessionell darf man
als Kirchenmusiker in seiner Tradition
nicht zu eng verhaftet sein. Alle
gute Kirchenmusik vermittelt meines
Erachtens eine universell-humanistische
Botschaft.
„Wir sind heute keine Genies mehr
wie Beethoven.“
Wie geht das heute eigentlich: komponieren?
Werfen Sie Ihre Noten auch
so wild aufs Blatt wie Beethoven?
(Lacht) Nein, solche Genies sind wir
heute nicht mehr. Natürlich braucht
man als Komponist zunächst eine
Idee für das Thema, und da hat
mir Pater Bordt mit den Texten und
Interpretationen, die er mir zur Verfügung
gestellt hat, sehr geholfen.
Daraus folgen dann ein Konzept für
Muss man als Komponist eigentlich
gläubig sein, um Kirchenmusik zu
schreiben?
Nicht unbedingt, Verdi und Brahms
z.B. haben großartige Kirchenmusik
geschrieben und standen dem
Glauben distanziert gegenüber, aber
es erleichtert die Sache sehr. Einerseits
ist es sogar gut, wenn man
ein wenig über die Konfession und
die Religion hinausblickt, auch spirituelle
Musik anderer Traditionen
Musiker nach der Uraufführung
21
BLICKPUNKT.
das Stück, Melodien, Takte, Rhythmen
und Instrumente. Das alles skizziere
ich am Klavier und probiere es
aus. Wenn es für mich passt, nehme
ich den Computer, es gibt heute sehr
gute Notensatz-Software. Da kann
man sich die Passagen in voller Besetzung
anhören, sie verändern, verschieben.
Das ist kein billiger Synthesizer
mehr, sondern ein richtig
guter Klang. Da sind wir heute viel
besser dran als frühere Komponisten
und vor bösen Überraschungen bei
der Aufführung gefeit.
Wie lange haben Sie an den Seligpreisungen
gearbeitet?
Ich kann beim Komponieren nur ganz
oder gar nicht. Nicht nebenbei. Deshalb
habe ich die vom Landestheater
Tübingen beauftragte Hölderlin-
Oper, an der ich schon arbeitete,
unterbrochen und ein halbes Jahr
nur die Seligpreisungen komponiert.
Es war wie bei Mozart: im Rausch.
Ist das Ergebnis eher U- oder E-Musik?
Unterhaltsam oder ernsthaft?
zeitgenössische Komponisten heute
gleichzeitig Filmmusik komponieren,
wenn auch meistens unter Pseudonym.
Ich habe immer schon beides
gemacht und sehe die Mauer nicht,
die manche aufbauen wollen.
Was ist dann für Sie gute Musik?
Mein Motto ist: Musik muss rühren.
Was meinen Sie damit? Berühren,
anrühren, bewegen?
Alles zusammen vielleicht.
Interview: Gerd Henghuber
Zum Nachhören
Die Seligpreisungen in der Uraufführung
in der Kirche St. Sylvester
gibt es zu hören auf
www.altschwabing-katholisch.de/
seligpreisungen
Das ist eine typisch deutsche Diskussion,
die es nirgendwo sonst auf
der Welt gibt. Und ich glaube sie hat
mit den Dogmatikern der „Neuen
Musik“ begonnen. Warum soll unterhaltende
Musik nicht ernsthaft sein
und anders herum genauso? Fast
alle großen Komponisten haben sowohl
E- wie U-Musik geschrieben,
Landler, Tänze, Polonaisen. Ich verrate
Ihnen kein Geheimnis, wenn ich
Ihnen sage, dass sehr prominente
22
BLICKPUNKT.
DER HEIMLICHE
KIRCHENVATER
Warum tun sich Katholiken mit dem
Apostel Paulus so schwer?
Von Dr. Robert Mucha
Nein, wir Katholiken sind irgendwie
nicht so ganz warm mit ihm
geworden! – Und das, obwohl wir
das Christentum in seiner „katholischen“,
also die ganze Welt umspannenden
Form, allein ihm zu
verdanken haben. Die Rede ist vom
Völkerapostel Paulus.
Paulus-Figur in St. Ursula
Ich wage einmal den Versuch einer
Erklärung, warum das so ist, und
möchte Ihnen diese wichtige Persönlichkeit
des jungen Christentums zunächst
etwas vorstellen. Paulus war
zwar schriftgelehrt – jüdisch gebildet
– stammte aber nicht aus Judäa
sondern aus Tarsus in der heutigen
südlichen Türkei. Das war eine stinknormale
griechisch-römisch geprägte
Stadt im Imperium Romanum. Paulus
hatte sogar einen ziemlich weltlichen
Beruf: Er war Zeltmacher, wie wir aus
seinen Briefen erfahren. Diese Herkunft
ist also in etwa so spektakulär,
wie wenn jemand aus Pfronten
im Allgäu kommt – schonmal gehört
vielleicht, etwas ab vom Schuss,
24
Theologie
stinknormal eben. Interessant ist
das aber aus dem Grund, weil in der
Antike die Herkunft immer viel über
die Person aussagte, ja ihren Weg
sogar ein Stück vorgab.
Ein Eiferer für den „Neuen Weg“ des
Judentums
Von Paulus erfahren wir, dass er zunächst
ein Feind des Christentums
war – bis zu dem Tag, an dem ihm
vor Damaskus der Auferstandene in
einer Vision erschien. Dieses Ereignis
muss für Paulus das Ende dieses
stinknormalen und der Beginn eines
völlig neuen Lebens bedeutet haben.
Die Apostelgeschichte beschreibt
dieses Ereignis mehrfach (Apg 9,3–
19; 22,6–16; 26,12–18) und Paulus
selbst in seinen Briefen ebenfalls (1
Kor 9,1; 15,8; 2 Kor 4,6; Gal 1,12–16;
Phil 3,4–11) – in euphorischer Weise.
Was auch immer genau passiert ist:
Er wurde zum Eiferer für den „Neuen
Weg“ des Judentums, wie sich das
Christentum nannte. Der „Neue Weg“
führte ihn zu den Aposteln und so
war Paulus maßgeblich daran beteiligt,
dass das Evangelium nicht nur
den Juden gepredigt wurde, sondern
an alle Menschen gerichtet war – ja,
auch an die götzenanbetenden und
(in den Augen des Judentums gänzlich
unzivilisierten) Heidenvölker.
Diesen Prozess der Missionierung der
Völker ging Paulus tatkräftig mit: Er
gründete Gemeinden – auch die erste
auf europäischem Boden in Philippi
im heutigen Nordgriechenland.
Die Gemeinde von Rom gründete er
zwar nicht, stellte sich ihr aber mit
einem langen Brief vor, der quasi seine
ganze Theologie enthält. Der Brief
an die Römer ist auch Zeugnis dafür,
dass er gerne bis ans Ende der bekannten
Welt, also nach Spanien, gereist
wäre, um auch dort Gemeinden
zu gründen (Röm 15,22–24). Die in
der Apostelgeschichte beschriebene
Gefangennahme, der Appell an den
Kaiser und sein Martyrium in Rom
standen diesen Plänen aber im Weg.
Wir haben Paulus so viel zu verdanken,
dass man überhaupt nicht
weiß, wo man anfangen soll: Von
ihm stammen die ältesten Schriften
des Neuen Testaments, seine Briefe,
die ein Zeugnis für die früheste Mission
des Christentums waren. Aus
ihnen erfahren wir zum ersten Mal
überhaupt von der Feier der Eucharistie
(vgl. 1 Kor 11), dem, was an
Ostern passierte (vgl. 1 Kor 15) und
von vielen Nöten und Fragen der
Christen in der Antike.
Paulus: Jeder Gläubige ist individuell
Von Paulus kann man einen ganz einfachen
pastoralen Grundsatz lernen:
Jeder Gläubige ist individuell und
kann und sollte sogar den Glauben
individuell leben, um ihn dann wieder
in die Gemeinschaft zurückzutragen.
Ein schönes Beispiel für diese
Denkart des Paulus ist das Problem
des Götzenopferfleischs: In der Antike
konnte man, wenn man Fleisch essen
wollte, nicht einfach zum Metzger
25
BLICKPUNKT.
gehen. Fleisch gab es nur zu hohen
Festtagen der heidnischen Götter.
Die Tiere wurden z.B. der Göttin Artemis
als Opfer dargebracht und geschlachtet.
Die Göttin, so die antike
Vorstellung, begnügte sich dann mit
Blut und Knochen, die zu ihrer Freude
verbrannt wurden und als Dampf emporstiegen.
Das gute Fleisch konnte
gerne verteilt werden. Und das wurde
es: Bei großen Gelagen, bei denen
sich auch Zünfte trafen und wo Kontakte
und Handelsvereinbarungen
geschlossen wurden. Das waren gesellschaftliche
Großereignisse.
Keine starren Regeln – immer mit
Rücksicht auf die Schwachen
Wie sollten sich die Christen nun
dazu verhalten? Antwort gibt Paulus
im ersten Korinther-Brief: Er meint,
diejenigen, die verstehen, dass die
Götter der Heiden gar nicht existieren,
können ruhig hingehen und vom
Fleisch essen. Sie sind schon stark
im Glauben. Diejenigen, die sich
noch nicht so sicher sind, sollten sich
enthalten. So bleibt es jedem selbst
überlassen, gemessen am Glauben
zu entscheiden. Und die Starken sollen
nicht vor den Schwachen hervorposaunen,
wo sie hingehen, sondern
aus Rücksicht ggf. auch auf die Teilnahme
am Mahl verzichten. Ich halte
das für weise, weil die Freiheit in der
Erkenntnis Christi – der Erkenntnis
Gottes – liegt. Keine starren Regeln,
sondern jeder je nachdem „wie weit“
er oder sie ist und immer in Rücksicht
auf die Schwachen der Gemeinschaft.
Vielleicht mögen die Katholiken Paulus
ja deswegen nicht ganz so gerne:
Wir haben gerne Klarheit und eine
verbindliche Richtschnur. Ich erkenne
im neuen Stil von Papst Franziskus
etwas von dem paulinischen Gedanken
wieder … Die Kardinäle, die
Anfragen zur Glaubenslehre hinsichtlich
der Kommunion von wiederverheirateten
Geschiedenen formuliert
haben, denken auch so linear wie einige
aus der Gemeinde von Korinth.
Der Pontifex nimmt sich in dieser
Frage vermutlich Paulus als Vorbild:
Nicht alles muss bis ins letzte Detail
reglementiert sein. Das macht Paulus
doch ganz sympathisch, oder?
Zudem wird Paulus katholischerseits
immer etwas schief angeguckt, da
Luthers Vorstellung des „sola gratia“
(allein durch Gottes Gnade sind wir
26
Theologie
gerettet) aus der Lektüre der paulinischen
Briefe geboren wurde. Es
stimmt, Paulus lenkt den Blick ganz
auf die Tatsache, dass wir von Gottes
Gnade angesprochene Wesen sind.
Wenn wir uns Gott öffnen, auf sein
Wort hören und ihm Raum in uns
schenken, dann bewirkt seine Gnade
in uns Glaube und Werke der Liebe.
Die Werke machen keinen Glauben,
sie sind das Resultat göttlicher Gnade.
Ich glaube, Paulus ist in dieser
Hinsicht moderner als wir meinen
und hätte auch die Ökumenische Erklärung
von 1999 dazu unterstützt,
die diese Streitfrage zwischen beiden
Konfessionen klärte.
Wenn Sie einmal die Gelegenheit
haben, in der Staatsgalerie in Stuttgart
zu sein, schauen Sie sich das
Bild „Paulus im Gefängnis“ von Rembrandt
an. Es zeigt Paulus – Briefe
schreibend, mit dem Schwert des
Martyriums schon am Bett, ein Schuh
angezogen zum sofortigen Aufbruch,
ein Schuh ausgezogen zur Rast. Das
unglaublich Schöne an diesem Bild
ist der Blick des Paulus: nachdenklich
und müde, ausgelaugt und doch auch
bestimmt, verwirrt und doch klar. Ein
Blick ins Leere – und ein Blick auf die
nächste Aufgabe. Das Bild zeigt ihn als
aufopfernden Kämpfer für das, woran
er glaubt. Auch wenn der Aposteltitel
noch viel mehr Wert ist, weil er denjenigen
vorbehalten ist, die Christus
als Auferstandenen erfahren haben,
so finde ich, hätte Paulus unter den
Aposteln auch den Titel des Kirchenvaters
verdient: Seine Schriften, sein
Eifer und seine Liebe zu Gott haben
das Christentum geweitet. Dafür muss
man ihn einfach lieben!
Paulus-Figur, zweite von rechts
BLICKPUNKT.
TRAUER –
WAS TRÖSTET?
Wie man mit dem Tod eines nahen Menschen umgeht
Von Klaus Lang, Svenja Ritzer und
David Theil
„Es gibt nichts, was die Abwesenheit
eines lebenden Menschen ersetzen
kann, und man sollte es auch gar
nicht versuchen, man muss es einfach
aushalten und durchhalten. Das
klingt zunächst sehr hart, aber es ist
doch zugleich ein großer Trost, denn,
indem die Lücke unausgefüllt bleibt,
bleibt man durch sie miteinander verbunden.
Es ist verkehrt, wenn man
sagt, Gott füllt die Lücke aus. Er füllt
sie gar nicht aus, sondern er hält sie
vielmehr gerade unausgefüllt und
hilft uns dadurch, unsere alte Gemeinschaft
miteinander – wenn auch
unter Schmerzen – zu bewahren“
(Dietrich Bonhoeffer).
Der Geist Bonhoeffers zog sich durch
einen Vortrags- und Diskussionsabend
zum Thema Trauer und Trost, zu dem
Dekan David Theil und der Psychotherapeut
Dr. Klaus Lang im Trauermonat
November in den Pfarrsaal St. Ursula
eingeladen hatten. Moderiert wurde
die Veranstaltung von Svenja Ritzer.
Vor mehr als zwanzig Zuhörern betonten
beide Redner, dass Trauer
nicht einfach weggetröstet werden
könne. Im Gegenteil: Für Trauernde
liege oft der einzige Trost darin, dass
ihre Untröstlichkeit anerkannt werde.
Biblisch sei dies im Buch Hiob bezeugt,
wo es heiße: „Sieben Tage
und sieben Nächte saßen sie neben
ihm auf der Erde, und keiner sprach
ein Wort zu ihm. Denn sie sahen,
dass sein Schmerz übergroß war“
(Hiob 1,12).
Keine Sorgen um den Verstorbenen
Erst als die Freunde Hiobs sich später
in klugen Erklärungen des Leids
versuchen, werden sie zu „leidigen
Tröstern“. Heutzutage erlebten viele
Trauernde ähnliches: Allerdings
machten Tröstungsversuche wie „Sie
ist doch jetzt erlöst!“, „Für irgendetwas
wird es gut sein!“ oder „Das
Leben geht weiter!“ das Leid nicht
kleiner – aber den Trauernden einsamer.
Deshalb wirkte die Botschaft,
dass Trauer völlig normal ist und
auch Jahre nach einem Verlust noch
28
Lebensläufe
gespürt werden darf, wie Balsam auf
die Seelen vieler Anwesenden.
Dekan Theil stellte klar, dass wir uns
um einen Verstorbenen keine Sorgen
zu machen brauchten: „Er ist bei Gott.
Aber um den Verlust und um das Nie
wieder“ einer Begegnung in irdischen
Maßstäben dürfen wir trauern.“
Anhaltspunkte für Trauernde
Aus psychologischer Sicht ist Trauer
eine ganz natürliche Reaktion auf
einen bedeutsamen Verlust. Solch
ein Verlust stellt Trauernde vor mehrere
Aufgaben: Sie müssen ERSTENS
den Verlust begreifen, was beispielsweise
durch das Anschauen des Verstorbenen
und das Bestattungsritual
erleichtert wird.
ZWEITENS durchleben Trauernde
eine Vielfalt intensiver Gefühle (z.B.
Schmerz, Traurigkeit, Verzweiflung,
Wut, Zukunftsangst, Schuldgefühle),
die viel Energie absorbieren
und gemeinsam mit Unlust und Antriebsschwäche
zu einem teilweisen
sozialen Rückzug führen können. In
dieser Zeit helfen Außenstehende
Trauernden am ehesten dadurch,
dass sie sich die Klagen des trauernden
Menschen wiederholt und
geduldig anhören.
Dekan Theil wies darauf hin, dass
die Klage auch vor Gott gebracht
werden könne, dass gegenüber ihm
auch gehadert, geschimpft und eine
zeitweise Abwendung vollzogen wer-
den dürfe. „Gott hält das aus“ – so
ermutigte Herr Dekan Theil. Um ihre
Klage direkt an Gott zu adressieren,
helfe es manchen Trauernden, einen
eigenen Psalm zu schreiben, der mit
den Worten beginne: „Gott, mein
Herz ist so schwer…“
DRITTENS müssen Trauernde sich an
eine veränderte Umwelt anpassen, in
der die verstorbene Person fehlt. Es
gilt, neue Aufgaben zu übernehmen
und zumindest in Teilen zu „funktionieren“.
Hierbei kann praktische
Unterstützung von Außenstehenden
sehr wertvoll sein.
VIERTENS geht es für Trauernde
darum, die Beziehung zum Verstorbenen
neu zu gestalten. Diese Beziehung
braucht nicht aufgelöst zu
werden. Vielmehr geht es für Trauernde
darum, dem Verstorbenen
einen Platz im eigenen Leben zu
erhalten. Hinterbliebene bewahren
den Verstorbenen beispielsweise als
inneres Gegenüber, als Gesprächspartner
oder Ratgeber. Sie heiligen
diese Beziehung durch Rituale am
Grab, an besonderen Jahrestagen
oder einfach im stillen Gedenken. In
all diesen Facetten begleitet Trauer
den hinterbliebenen Menschen oft
über Jahre und dauert damit viel länger
an, als Außenstehende vermuten
mögen. Deshalb ist es wichtig,
Trauernden auch lange nach einem
Verlust noch mit Geduld zu begegnen
und Gefühle, Erinnerungen und
Ohnmachtsempfinden miteinander
zu teilen.
29
BLICKPUNKT.
TÖNE WI(E)DER,
HEILIGE HALLE ...
Über die Sanierung der
„Schwabinger Dom-Orgel“ in St. Ursula
Orgelsanierung
Von Tobias Gebhard
Fasziniert standen Gemeindemitglieder
und Gäste im Kirchenschiff, den
Blick nicht zum Altar, sondern zur
Orgelempore gerichtet, aufmerksam
zuhörend, staunend und vom Klang
beeindruckt. Beim letzten Pfarrbiergarten
wagte es unser Organist,
Martin Schwingshandl, schloss das
Gitter an der Treppe auf, startete das
Orgelgebläse und erfüllte den Kirchenraum
mit der Toccata aus der V.
Symphonie von Charles Marie Widor.
An sich nichts ungewöhnliches, wenn
an einer mächtigen Orgel wie der
unseren dieses Musikstück gespielt
wird – es sei denn, dieses Instrument
hat seit fast 40 Jahren geschwiegen!
Umso beeindruckender war dieses
Ereignis, weil nur noch ein Teil des
Instrumentes funktionierte.
Dom-Orgel im Dornröschenschlaf
Mit dem Bau der großen Chororgel
von Winfried Albiez – damals ganz
dem Zeitgeschmack entsprechend
mit traditioneller Technik bei der Ansteuerung
der einzelnen Pfeifen auf
mechanischem Weg – verstummte
ab 1984 die große Steinmeyer Orgel
auf der Empore. Chor und Orchester
musizieren seit dieser Zeit im Chorraum,
wo auch der neue Spieltisch,
die „Schaltzentrale“ der Orgel und
Arbeitsplatz des Organisten, seine
Aufstellung fand. Die Orgel auf der
Empore fiel derweil in einen Dornröschenschlaf
– man könnte fast sagen,
sie wurde vergessen.
Die neue Orgel, deren Einbau den
bisher größten baulichen Eingriff in
die Architektur von August Thiersch
darstellt, konnte den mächtigen
kuppelüberwölbten Raum allerdings
nur schwer füllen. Da halfen auch die
vielen gelungenen Register – also
Klangfarben – nicht. Der für die Steuerung
des Instrumentes nötige Einbau
des Holzpodestes im Chorraum
war von Anfang an schmerzlich, weil
er den wunderbaren Marmorboden
verdeckte.
Vor einigen Jahren begann unser
damaliger Kirchenmusiker Johannes
Tribus damit, auf die Defizite der
Albiez-Orgel bei der Gemeindebegleitung
und der Klangfülle im Raum
hinzuweisen. Es wurde leise und ab
und an lauter darüber nachgedacht,
die Hauptorgel durch ein zeitgemäßes
Instrument zu ersetzen. Erste
Entwürfe des Prospektes – also der
Schauseite der Orgel – entstanden
und auch eine Idee, wie groß und
mit welchen Klangfarben ausgestattet
die Orgel gebaut werden könnte.
Mit dem neuen Kirchenmusiker Martin
Schwingshandl sollte überlegt
werden, was bei einem Orgelneubau
von der alten Steinmeyer Orgel übernommen
werden kann. Ein Gutachten
wurde durch die damalige Kirchenverwaltung
beauftragt, der für
Orgeln zuständige Ansprechpartner
aus dem Landesamt für Denkmalpflege
und der Orgelsachverständige
der Erzdiözese eingeladen.
31
BLICKPUNKT.
Das Ergebnis dieser Begutachtung
überraschte ausnahmslos alle, denn
das seit Jahrzehnten schlummernde
Instrument, von Staub und Dreck bedeckt
und seit 1980 nicht mehr gewartet
und gestimmt ist nichts weniger
als eine „Schlafende Königin“!
Der Orgelbauer Steinmeyer aus Oettingen
war 1952 beim Bau der neuen
Orgel eine der führenden Firmen im
Orgelbau weltweit und hatte für den
Schwabinger Dom ein Meisterstück
geschaffen.
Bedeutendes Denkmal der Orgelbaukunst
in Sankt Ursula
Für Sankt Ursula schuf man ein Instrument
auf der Höhe der Zeit, mit
modernster Technik und dennoch
unter Verwendung vieler Pfeifen
der ersten Orgel aus der Werkstatt
Franz Borgias Maerz von 1897. Die
im Dornröschenschlaf schlummernde
Orgel ist also ein bedeutendes Denkmal
der Orgelbaukunst und verdient
es, aus diesem Schlaf erweckt zu
werden. Die Verpflichtung, Gebäude
und Inventar zu erhalten, ist der Kirchenverwaltung
anvertraut. So war
es selbstverständlich, dass bei all
den Projekten und Renovierungsarbeiten
die uns noch über Jahre
beschäftigen werden, auch dieses
wertvolle Instrument nicht vergessen
werden darf.
Doch was nützt uns eine sanierte
Hauptorgel, wenn Chor und Orchester
im Chorraum hinter dem Altar
ihren festen Platz gefunden haben?
Eine Orgel nur für Konzerte oder besondere
Gelegenheiten? Ein Kirchenmusiker,
welcher ständig zwischen
Orgel und Dirigentenpult hin und her
rennt? Schnell stand fest, dass das
nicht unseren heutigen Anforderungen
im Gottesdient entspricht. Ein
Blick in die Festschrift zur Weihe der
Steinmeyer Orgel 1952 gab dann bei
unseren Überlegungen den entscheidenden
Hinweis. Schon damals wurde,
um den mächtigen Kirchenraum
zu füllen, der Vorschlag des Orgelbauers
gemacht, im Chorraum ein weiteres
Orgelwerk zu errichten, dass vom
Spieltisch auf der Empore angesteuert
werden kann. Damals unerhört innovativ
und modern. Umgesetzt wurde
diese Idee indes nicht, sondern stattdessen
die neue Chorrorgel errichtet.
Heute haben wir im Rahmen der Sanierung
unserer Schlafenden Königin
die Chance, die Vision von Steinmeyer
umzusetzen. Dafür gründete sich
aus vier Mitgliedern der Kirchenverwaltung
ein Orgel-Projektteam, das
Projekt „Schwabinger Dom Orgel“
war geboren. Gemeinsam mit dem
Pfarrer und dem Kirchenmusiker arbeiten
wir nun daran, diese gewaltige
Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Denkmalgerechte Sanierung mit
zeitgemäßer Elektronik
Zunächst soll die Hauptorgel denkmalgerecht
saniert und mit zeitgemäßer
Elektronik ausgestattet werden.
Für fünf freie Schalter am Spieltisch
werden zusätzliche neue Register
32
Orgelsanierung
(Klangfarben) und ein Glockenspiel
eingebaut. In einem zweiten Schritt
soll die Chororgel renoviert und
klanglich überarbeitet werden. Dabei
wird auch das Holzpodest ausgebaut
und der wunderbare Marmorboden
von August Thiersch wieder freigelegt.
Ein Generalspieltisch – die
künftige Schaltzentrale der Schwabinger
Dom Orgel – wird errichtet.
Durch die neue Elektronik wird es
möglich, von diesem Platz aus und
über einen weiteren überall im Kirchenraum
aufstellbaren fahrbaren
Spieltisch, beide Orgeln gemeinsam
zu spielen.
Vier renommierte Orgelbaufirmen mit
langer Erfahrung und großer Expertise
wurden eingeladen, Angebote
für die Umsetzung unserer Ideen zur
Schwabinger Dom Orgel abzugeben
und eigene Vorschläge einzubringen.
Die Begeisterung der Orgelbauer bei
der Begutachtung der Instrumente
zeigt, dass das Projekt zukunftsweisend
sein wird.
Im Exsultet, dem großen Gesang der
Osternacht heißt es „Töne wider,
Heilige Halle, töne von des Volkes
mächtigem Jubel.“ In diesen Jubel
stimmt hoffentlich die singende Gemeinde
zum Klang der beiden wertvollen
Orgeln in Sankt Ursula mit
voller Stimme ein. Gemeinsam mit
vielen Musikbegeisterten hoffen wir,
dass die hohen Kosten von ca. 1,4
Millionen Euro aufzubringen sind,
damit dieses große und großartige
Projekt bald beauftragt und in die
Tat umgesetzt werden kann.
Werden Sie Orgelpate!
Helfen Sie uns, die Emporenorgel
von Sankt Ursula wieder
zum Klingen zu bringen. Informationen
zum Projekt sowie zu
einer Patenschaft finden Sie unter
www.Schwabinger-Dom-Orgel.de
Unten: Kirchenmusiker Martin Schwingshandl
auf der Orgel-Empore
BLICKPUNKT.
„SO WIE
BISHER
GEHT ES
NICHT
MEHR
WEITER.“
Der Journalist Matthias Drobinski über den Synodalen Weg, die
Angst der konservativen Bischöfe vor dem Argument und die
Ohrfeige des Papstes
Matthias Drobinski berichtet für die
Süddeutsche Zeitung seit vielen Jahren
über die christlichen Kirchen.
Seit den Missbrauchsfällen, sagt er,
sei in der katholischen Kirche nichts
mehr, wie es vorher gewesen sei.
Der synodale Weg treffe heute auf
eine ganz andere Gesellschaft, auch
innerkirchlich. Das mache echte Reformen
möglich, glaubt der regelmäßige
Gottesdienstbesucher von St.
Ursula.
Herr Drobinski, ist der synodale Weg
ein sinnvolles Werkzeug der Reform
– oder ergebnisloser Austausch altbekannter
Positionen?
Ich muss zugeben, dass ich zunächst
skeptischer war als nach dem ersten
Treffen. Ich hatte mich auch gefragt:
Was soll das bringen? Aber die ersten
Begegnungen waren sehr spannend,
da ist richtig Dampf drin: Eine junge
Frau mit unbestimmter Geschlechtsidentität
diskutiert mit Bischof Voderholzer,
beide sind katholisch, von
gleich zu gleich. Die einen sagen:
Uns reicht’s. Die anderen wollen im
Grunde außer dem Missbrauch keines
der Themen richtig anfassen.
Und trotzdem suchen sie nach der
gemeinsamen Grundlage. Ich sehe
da echtes Potenzial.
34
Kirchenreform
Wird das am Ende wirklich konkrete
Ergebnisse bringen?
Die offenen Fragen der katholischen
Kirche liegen seit 40 Jahren auf dem
Tisch, und natürlich besteht das Risiko,
dass sie auch dieses Mal nicht
beantwortet werden. Doch das Setting
ist inzwischen ein anderes: Die
Welt ist noch einmal viel säkularer
geworden, und die Verantwortlichen
in der Kirche sehen, dass sie in dieser
Welt sprechfähig bleiben müssen
– und auch begeisterungsfähig.
Das wird die Kirche nicht sein, wenn
sie sich von der Lebensrealität der
Menschen weiterhin abkoppelt. Und
auch von der ihrer eigenen Mitglieder.
Die Generation der Frauen, die
sagt: „ich ertrage das leidend“, die
geht zu Ende. Die nächste Generation
katholischer Frauen wird einfach
nicht mehr dabei sein. Das sorgt für
Handlungsdruck.
Hinzu kommt: durch die dramatischen
Missbrauchsfälle ist in der
katholischen Kirche vieles fraglich
geworden: Der Umgang mit Macht,
auch geistlicher Macht, die Lebensvollzüge
von Priestern, das Thema
Sexualität, auch der Zölibat. Insofern
hat der Missbrauch die Hohlheit
vieler überkommener Vorstellungen
dramatisch offenbart. Das ist die
Chance für echte Änderung!
Was genau könnte sich jetzt ändern?
Da muss man unterscheiden. Erstens:
was die Ortskirchen machen
können. Da hat Franziskus den
deutschen Reformern ja mit seinem
Schreiben zur Amazonas-Synode
eine ziemliche Ohrfeige verpasst:
keine Weihe von Frauen mit ihm,
und den Zölibat hat er nicht einmal
angesprochen. Franziskus ist, anders
als viele bisher dachten, nicht der
Türöffner der katholischen Kirche.
Das Schreiben vom Februar 2020 ist
ein hartes Nein zum Hoffen der Reformer
und ist eine echte Bürde für
den synodalen Weg.
Dennoch können selbstbewusste
Bischöfe die bestehenden oder die
sich auftuenden Lücken konsequent
nutzen – ohne gleich das komplette
Kirchenrecht auf den Kopf zu stellen.
Warum gibt es bisher keine weiblichen
Domkapitulare? Nichts spricht
dagegen. Man sollte Frauen ganz bewusst
überall dort platzieren, wo es
nur möglich ist, das wird die gesamte
Machtbalance der Kirche ändern.
Zweitens kann und sollte die deutsche
Kirche, ohne einen Sonderweg
zu gehen, selbstbewusst beitragen
zur weltweiten Diskussion, und sich
dabei auch nicht vom Papst entmutigen
lassen: eine Vision von Kirche
entwickeln und klare Voten abgeben,
auch wenn es in der Weltkirche
vielleicht noch Minderheitsvoten
sind: für die Weihe von Frauen zum
Beispiel. Auch die Kirche ist ein Diskussionsraum,
da muss nicht immer
Einmütigkeit herrschen, und je mehr
argumentiert wird, desto weniger
können sich die Konservativen hin-
35
BLICKPUNKT.
ter einer angeblich unantastbaren
Lehre verschanzen, sondern müssen
ihrerseits auch argumentieren.
Wie sehen Sie die Mehrheitsverhältnisse
in der Versammlung? Wird es
solche Visionen geben?
Es gibt eine reformorientierte Mehrheit,
und zwar nicht nur bei den
Laien, sondern auch innerhalb der
Bischofskonferenz, die sagt: So kann
es nicht weitergehen! Sie will herauskommen
aus der Defensive, aus
der Bewegungslosigkeit. Die Zeit
hat sich auch in der Kirche geändert:
Ein autoritäres Nein zu allem
reicht und geht heute nicht mehr.
Den Notschaltknopf Rom, mit dem
Diskussionen einfach für beendet
erklärt werden, gibt es nicht mehr.
Das empört manche, die über die
eine oder andere Frage nicht einmal
nachdenken wollen. Das bringt sie
aber auch unter Zugzwang, und ich
finde es gut, dass auch sie sich jetzt
erklären müssen.
Wenn Kardinal Müller den synodalen
Weg mit dem Ermächtigungsgesetz
der Nationalsozialisten vergleicht, hört
sich das nicht nach Argumentieren an.
Der ist ja nicht Teilnehmer des synodalen
Wegs, und das ist auch
überhaupt nicht der Ton auf dieser
Versammlung. So ein Vergleich disqualifiziert
sich und seinen Urheber
selbst. Die Konservativen auf der
Versammlung erlebe ich auch als
konservativ im guten Sinn: Sie wollen
die Substanz bewahren, keine
Bewegung nur um der Bewegung
willen, diese Position ist auch sehr
wichtig. Aber es zeigt sich, dass sie
heute nicht länger verordnet werden
kann, dass deren Bewahrer sich
nicht länger hinter Formeln verstecken
können, sondern dass sie sich
erklären müssen. Das ist für diese
Kirchenmänner neu und auch sichtlich
schwierig, aber das ist einer
der ersten Erfolge dieses synodalen
Wegs: Es geht darum, zuzuhören, zu
argumentieren, Gründe zu nennen, zu
überzeugen, nicht beleidigt zu sein.
Denn der oder die Gegenüber ist genauso
katholisch wie man selbst.
Welche Rolle wird am Ende das Rom-
Veto spielen, unter dessen Vorbehalt
der ganze synodale Weg steht?
Das kann schon relevant werden, der
Papst hat mit seinem Schreiben auf
die Amazonas-Synode die Reformfenster,
die viele offen sahen, zugemacht,
und damit viele Katholiken in
Deutschland und in anderen westli-
36
Kirchenreform
chen Ländern schwer enttäuscht.
Offenbar gibt es auch in Rom Unsicherheit
und Unentschlossenheit
in dem, wohin die Kirche sich entwickeln
soll. Man fürchtet wohl den
Geist, den man aus der Flasche lassen
könnte. Die Botschaft des Papstes
an die Deutschen ist daher von
Anfang an doppelgesichtig. Einerseits
sagt er: Geht mutig voran, aber
macht bitte andererseits nichts gegen
die Weltkirche. Die Beharrungskräfte
haben immer wieder das Ohr
des Papstes.
Was wünschen Sie sich persönlich
als Katholik vom synodalen Weg?
Am wichtigsten ist, dass die Kirche
ihre Mechanismen so ändert, dass
sexueller Missbrauch nicht mehr systemimmanent
möglich ist, sondern
so schwer gemacht wird wie möglich.
Das betrifft das ganze Machtgefüge
ebenso wie das Verständnis
von und der Umgang mit Sexualität.
Dass Priester genauso sexuell empfindende
und lebende Menschen
sind wie jeder andere auch, muss
anerkannt werden. Der Zölibat an
sich hat einen Wert, aber die Kirche
muss realisieren, wozu diese Lebensform
tatsächlich führt, die ja nur ein
Teil der Kleriker gut leben kann. Und
dann vor allem: Männer und Frauen
müssen gleichrangig sein, darin sehe
ich eine ganz große Chance. So kann
die katholische Kirche wieder näher
an Jesus Christus heranrücken.
Interview: Gerd Henghuber
Unten: Auftaktveranstaltung des Synodalen
Wegs in Frankfurt
BLICKPUNKT.
KIRCHE IM UMBRUCH
Menschen - auch wir - hätten es gerne perfekt. Wir stecken
viel Kraft in Optimierungsprozesse und Selbstoptimierungsprogramme
boomen.
Von Pfarrer David Theil
Unsere Kirche kennt die Versuchung
sich als eine „societas perfecta“ zu
sehen. Wir Menschen tragen in uns
eine tiefe Sehnsucht nach dem Heil
und das zeigt sich auch in der Idee
des idealen Menschen, der idealen
Beziehungen, der Vorstellung von
einer idealen, heilen Welt und einer
idealen Kirche.
In der Wirklichkeit ist nichts perfekt,
in der Wahrheit des Lebens gibt
es bestenfalls die Annäherung an
ein Ideal. Dies lernen wir mühsam,
auch in unserer Kirche. Wir sind, wie
Papst Franziskus es sagt, eine „verbeulte
Kirche“, ein „Feldlazarett“.
Auch durch die Erkenntnisse der
Missbrauchsstudie sehen wir unser
Versagen deutlich vor Augen. Scham
und Entsetzen lähmen nicht nur, sie
ermöglichen auch, aus tiefer Betroffenheit,
hinzuschauen und umzukehren,
Schuld und Versagen zu bekennen,
Genugtuung zu leisten und in
Prävention glaubhaft zu investieren.
Geistlicher Prozess: mehr, als am Anfang
und Ende ein Gebet zu sprechen
Die Lernbereitschaft ist in großen
Teilen der Kirche da – nicht bei allen
und doch bei der großen Mehrheit.
Deshalb ist der synodale Weg, den
wir als Deutsche Kirche zwei Jahre
beschreiten wollen, der richtige Im-
Kirchenreform
puls, den wir nun mit Leben füllen
wollen. Es soll ja ein geistlicher Weg
sein, und dies meint mehr als am
Anfang und am Schluss ein Gebet zu
sprechen und dazwischen so etwas
wie Tarifverhandlungen zu führen.
Sich für Gottes Geist wirklich zu öffnen,
setzt die Bereitschaft voraus,
dass wir uns von vielem, was uns
vertraut und selbstverständlich ist,
verabschieden müssen, damit etwas
Neues entstehen kann.
Und bei aller Treue und allem Bemühen
ist auch unter uns in der Kirche
viel Frustration. Viele erinnern sich
an den Aufbruch des II. Vatikanischen
Konzils und die großen Hoffnungen,
die sich für die Kirche in Deutschland
mit der Würzburger Synode verbunden
haben. So viele richtige Ansätze,
so viel berechtigte Hoffnung und
dann im Pontifikat von Papst Paul VI.
ab dem Jahr 1968 und in den Pontifikaten
von Papst Johannes Paul II.
und Papst Benedikt XVI. schauen wir
auf eine lange Zeit, die viele Gläubige
in unserem Land als Rückschritt
empfanden und empfinden.
Viele wenden sich von unserer Kirche
ab - Ich kann das verstehen!
Die eigentlichen Themen, eine Kirchliche
Sexualmoral, die auch den
Erkenntnissen der Humanwissenschaften
Rechnung trägt und die die
konkreten Menschen in ihrer konkreten
Situation wertschätzt und ernst
nimmt, ein positives, weites Bild des
Katholischen in einer pluralen Welt,
ein Amtsverständnis, das in Treue
zur Sakramentalität der Kirche, das
„Recht des Volkes Gottes auf die Feier
der Sakramente“ höher stellt, als Zulassungsvorschriften
für den priesterlichen
Dienst, um nur drei drängende
Bereiche zu nennen, wurden nicht
hinreichend in den Blick genommen.
Viele wenden sich von unserer Kirche
ab und ich muss leider gestehen,
dass ich das oft auch verstehen
kann.
BLICKPUNKT.
Und dann mein Erleben vor Ort in
unseren beiden Pfarreien mit unterschiedlicher
Tradition in einem Pfarrverband,
den die Menschen sich
nicht gewünscht hatten. Ich treffe
Menschen, die treu und konstruktiv
zu ihrer Gemeinde und ihrer Kirche
stehen, die sich einbringen mit ihren
Gaben und Begabungen und vor Ort
Existenz und Evangelium berührend
leben. Für und mit diesen Menschen
bin ich nach wie vor gerne Priester
und setze ich auch gerne meine
Kraft, für einen konstruktiven Weg
mit dem Evangelium in der Welt von
heute in dieser Zeitstunde der Kirche
ein.
Wir brauchen Orte des Erzählens
mehr als Orte des Berichtens
So wie es aussieht, wird die Kirche
in ihren Strukturen, wie wir sie kennen
und lieben, zusammenbrechen
und das schmerzt sehr – auch mich.
Und dennoch werden wir nicht aufgeben,
weil wir eine Sendung vom
Herrn haben. Wir sind herausgefordert,
mit starkem und weitem Herzen
die Engstirnigkeiten in Kirche und
Welt, die aus Schwäche und Angst
entstehen, nicht zu bedienen, sondern
die Alternative der Erlösten und
Befreiten zu leben.
In diesen umbrüchigen Zeiten brauchen
wir Menschen, die mit uns
mehr leben als nur das eigene Kleine,
die eigene Idee retten zu wollen,
wir brauchen Orte des Erzählens
mehr als Orte des Berichtens, wir
brauchen Erzählgemeinschaften des
Glaubens. Wir sagen einander, was
uns Mut macht zu leben und das
könnte ein ganz neuer Begriff von
Kirche werden. Und wenn sich nichts
bewegt und es immer weniger Priester
gibt, beginnen vielleicht wieder
Frauen und Männer in den Häusern,
in den Erzählgemeinschaften des
Glaubens, das Brot zu brechen und
den Wein zu teilen und den Herrn zu
erinnern und aufzubrechen ...
Das ist nicht die mir vertraute Idee
von Kirche und deshalb wünsche ich
mir, dass wir als Kirche umkehren
und Sendung und Weihe verbinden
unter dem Primat, dass das Volk
Gottes ein Recht darauf hat, die Sakramente
zu feiern. Und ich bin mir sicher,
dass, wenn wir uns nicht bewegen,
der Geist Gottes andere Wege
finden wird und ich versuche mich
damit anzufreunden, dass es Wege
sein werden, die ich mir nicht vorstellen
kann und die mich befremden
werden.
Dennoch hoffe ich auf ein Zuhause
in dieser Kirche, wissend, dass es
hier keine bleibende Stadt gibt und
meine letzte Sehnsucht Geborgenheit
im Ewigen sucht. Unser Glaube
sagt, dass das Beste noch vor uns
liegt, in der Vollkommenheit Gottes,
eines Gottes, der immer neu aufbricht
im Zeichen des Kreuzes, um
uns in unserer Unvollkommenheit
heilsam zu berühren und mit uns
Wege geht zum Heil der Menschen
und der Welt.
40
Kirchenreform
IMMER WIEDER
DIESER ZÖLIBAT
Gleich zwei Autoren aus dem Pfarrverband haben Bücher zur
Reformdebatte in der Kirche geschrieben – Dr. Robert Mucha
und Gerd Henghuber stellen ihre Werke im Steckbrief vor.
Robert Mucha: Nicht schon wieder
Zölibat! 10 Fragen, die man als
Theologe am häufigsten hört und
Antwortversuche darauf, Paderborn,
Bonifatius, ISBN: 9783897108103
Worum geht es?
Nicht nur um den Zölibat! Auf Partys
wird man als Theologe ja oft
schief angeschaut und ausgefragt.
Die erste Frage dreht sich um den
Zölibat und dann, warum man Gott
nicht auch im Wald suchen könne
und man die Kirche überhaupt brauche.
Dann werden die Gespräche
meistens schnell persönlicher und
es geht zu den wichtigen Existenzund
Glaubensfragen. Mein Buch will
diese häufig gestellten Fragen beantworten.
Im Grunde ist es der verschriftlichte
Dialog aus sicher über
hundert Gesprächen.
Warum dieses Buch?
Weil viele Bücher einfach zu abgehoben
sind. Ich wollte ein Buch schreiben,
das man auch gern im Urlaub
am Strand liest: verständlich, mit
41
BLICKPUNKT.
vielen Infos – aber auch mit etwas
Augenzwinkern und Fun-Facts.
Wer soll es lesen?
Eigentlich ist es für alle, die sich für
das Christentum generell interessieren.
Es richtet sich also nicht an Experten,
sondern vor allem an Skeptiker
oder auch Gläubige, die dem
eigenen Glauben distanziert gegenüberstehen
oder über einen Kirchenaustritt
nachdenken.
Was bringt es?
Na ich hoffe doch zu allererst Lesefreude!
Und dann einen differenzierteren
Blick auf einige Themen rund
um den Glauben. Religion ist ja nicht
„ja oder nein“, „schwarz oder weiß“
– ich gebe darin keine Wahrheiten,
sondern Denkanreize und teils auch
sehr persönliche Sichtweisen weiter.
Was würde Papst Franziskus dazu
sagen?
Ich glaube, bei vielem, was ich da
schreibe, würde er mitgehen. Gerade
aber im unwürdigen Gerangel um
Deutungshoheiten zwischen Rom
und der Deutschen Bischofskonferenz
würde ich ihm einige Passagen
zur Lektüre am liebsten direkt auf
den Schoß werfen! Ich argumentiere
im Buch m.E. sehr „katholisch“
– doch weiß ich nicht, ob das Katholische
heute in der Kirche nicht
zu klein und ängstlich gedacht wird,
denn katholisch heißt im Gegenteil:
allumfassend – groß und weit. Das
stelle ich im Buch immer wieder dar,
aber anscheinend wissen momentan
weder Papst noch Bischöfe, wie man
einen wirklich katholischen Glauben
heute adäquat ausdrücken kann.
Reine Formtreue und Berufung auf
Traditionen sind jedenfalls nicht katholisch,
sondern eine plumpe Verkürzung.
Für Lesefaule: das Buch in einem
Satz?
Ob Zölibat, Leben nach dem Tod
oder Trinität – das Buch gibt in lockerer
Weise die wichtigsten Antworten
auf alle Fragen, die Gläubige wie
Nichtgläubige bezüglich Christentum
und Kirche unter den Nägeln brennen.
---------------------------------------------------
Anselm, Bilgri und Gerd Henghuber:
Bei aller Liebe – Warum die katholische
Kirche den Zölibat freigeben
muss, Piper-Verlag,
ISBN: 978-3-492-05874-2
Worum geht es?
Um den Zölibat, den ewigen Aufreger!
Während ihn Anselm Bilgri, der
frühere Cellerar von Kloster Andechs,
in seinen verschiedenen historischen,
theologischen und kulturellen Aspekten
beleuchtet, habe ich journalistisch
versucht, die Lebenswirklichkeiten
von Menschen zu zeigen,
die mit und unter diesem Konstrukt
leben müssen. Die Beispiele des oft
genug würdelosen Versteckspielens
sind erschreckend. Ich gehe davon
aus, dass es mehr Priester gibt, die
Partnerinnen oder Partner haben,
42
Kirchenreform
kurze Affären oder jahrzehntelange
Beziehungen, als solche, die ernsthaft
versuchen und es auch schaffen,
sich an den Zölibat zu halten. Das ist
kein Anlass für Schlagzeilen, sondern
schlicht die menschliche Normalität,
die jeder Katholik, der ein bisschen
genauer hinsieht, kennt. Wenn die
Kirche dennoch die sexuelle Enthaltsamkeit
als Norm und Zugangsvoraussetzung
postuliert, hat das
Folgen: für die Zahl und Zusammensetzung
des Priesternachwuchses
ebenso wie für die Glaubwürdigkeit
und Lebensnähe unserer Kirche. Der
Zölibat ist daher ein zentrales Symptom
der Krise unserer Kirche.
Warum dieses Buch?
Mein Co-Autor Anselm Bilgri und
ich wollten vor der Jugend- und der
Amazonas-Synode einen Beitrag
leisten zur Reformdiskussion in der
Kirche. Wir sind überzeugt davon,
dass der Zölibat freigegeben werden
muss, wenn die Kirche zukunftsfähig
sein will: zum einem, um den Zugang
zum Priesterberuf wieder zu
weiten, zum anderen, um dieses Amt
von der dem Zölibat innewohnenden
Falschheit zu befreien.
Wer soll es lesen?
Alle, die sich für die Zukunft der
katholischen Kirche interessieren.
Es enthält einen eher theoretischen
Teil und eingestreut darin die Interviews
mit den betroffenen Priestern
und Lebenspartnern. Dadurch ist das
Buch spannend und gut lesbar.
Was bringt es?
Wir hatten eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit,
als wir es vorstellten,
waren damit in vielen Zeitungen, im
Radio und im Fernsehen. Wenn ich
mir die Ergebnisse der beiden Synoden
und das Gezerre um den synodalen
Weg anschaue, dann habe
ich Zweifel, ob die Diskussion etwas
bringt. Anselm Bilgri und ich sind
beide engagierte Katholiken. Wir
wollen nicht länger in Jahrhunderten
denken, sondern erwarten von unserer
Kirche jetzt Reformen.
Was würde Papst Franziskus dazu
sagen?
Vor ein, zwei Jahren hatte ich gedacht,
es müsste nur eine Gruppe
von Ortsbischöfen den Mut aufbringen
und verheiratete Männer zu
Priestern weihen, Franziskus würde
es mit Freude erlauben. Heute bin
ich mir da nicht mehr so sicher. Er ist
halt auch Politiker, und wahrscheinlich
muss er das auch sein. Dennoch
halte ich das Reformfenster unter
seinem Pontifikat grundsätzlich für
offen, auch was den Zölibat betrifft.
Für Lesefaule: das Buch in einem
Satz?
Der Zölibat stellt einen Wert dar, wenn
er gelebt werden kann. Mit Falschheit
aber, Heimlichtuerei, Wegschauen
und einer verqueren Sicht auf eine
zentrale menschliche Lebensrealität
entfernt sich die Kirche von den Menschen.
Da der Zölibat nicht zur Grundessenz
katholischen Glaubens zählt,
muss er frei gegeben werden.
43
BLICKPUNKT.
„CHRISTEN SOLLEN
SICH POLITISCH
EINMISCHEN!“
Doppelinterview mit dem früheren Oberbürgermeister Christian
Ude und Dekan David Theil
Die Reibereien zwischen Don Camillo
und Pepone unterhalten uns bis
heute, aber wie ist es tatsächlich bestellt
um das Verhältnis von Kirche
und Politik? Wir haben die beiden
Nachbarn am Kaiserplatz zum Interview
gebeten.
Herr Ude, waren Sie als Oberbürgermeister
über Einmischungen der Kirchen
dankbar, oder haben die eher
genervt?
Ude: Auch wenn ich das als junger
Mann noch anders sah: in meiner
Amtszeit war ich völlig zufrieden mit
dem intensiven Dialog, den wir nicht
nur mit der katholischen und der
evangelischen Kirche und der Orthodoxie
führten, sondern auch mit Juden
und Muslimen. Ich erinnere nur
an die Diskussion um die Moschee
in Sendling, da waren wir uns mit
den Vertretern aller Religionen immer
einig. Und auch wenn ich weiter
zurückblicke: die Kirchen waren bei
den großen Fragen immer da, und
manchmal haben Stellungnahmen
der Kirchen sogar SPD-Parteitagen
gezeigt, wo es langgeht, etwa bei
der Anerkennung der Oder-Neiße-
Grenze.
Sie klingen ja wie ein Fan der Kirchen,
war das immer schon so?
Ude: Jetzt sprechen Sie mich doch
auf die dunkle Vergangenheit an. Ich
war auf dem Gymnasium, als Hochhuths
„Stellvertreter“ rauskam, und
die Frage, wie sich hier beide christliche
Kirchen zum Steigbügelhalter
der Nationalsozialisten machen
konnten, beschäftigte mich lange,
und ich überlegte immer wieder, aus
der evangelischen Kirche auszutreten.
Was mich an der katholischen
damals aufregte war, dass sich viele
ihrer Vertreter nicht zu blöd waren,
sich zum Reklameträger einer poli-
44
tischen Partei zu machen, die das
C im Namen führt, und gleichzeitig
viele ganz und gar nicht christliche
Positionen vertrat. Wenn es in Hirtenbriefen
zum quasi göttlichen Gebot
erklärt wurde, eine christliche
Partei zu wählen, dann habe ich als
Schüler in den 60er Jahren die katholische
Kirche durchaus als fünfte
Kolonne des politischen Gegners
wahrgenommen.
Pfarrer Theil, wie konnte es dazu
kommen, dass die Kirche als parteipolitisches
Instrument gesehen wurde?
Theil: Wirklich verstehen kann ich
das auch nicht. Christliche Themen
sind sicher nicht einfach parteipolitisch
zu formulieren. Aber das ist ja
heute zum Glück nicht mehr der Fall,
wir haben da eine viel größere politische
Bandbreite. Bei den Kommunalwahlen
haben Mitglieder unserer
Gemeinden für die CSU, die SPD und
die Grünen kandidiert – niemand, soweit
ich weiß, für eine populistische
Partei. Ich finde es sehr wichtig, dass
wir uns als Christen vehement gegen
jeden Fundamentalismus zur Wehr
setzen, ich mache das auch oft in
Predigten deutlich. Wir dürfen nicht
vergessen, dass Hitler die Macht
nicht ergriffen hat, sondern dass er
demokratisch gewählt wurde.
Wie sehen Ihre Gemeinden diese
Haltung?
Theil: Es gibt einzelne, die sich damit
schwertun, manche haben eine eigene
Migrationsgeschichte. Die Mehrheit
der Menschen, auch in unseren
Gremien, ziehen am selben Strang.
Herr Ude, gibt es einen Punkt, an
dem Sie ihren Frieden gemacht haben
mit den Kirchen?
45
BLICKPUNKT.
Ude: Nicht einen bestimmten Moment,
aber ich hatte immer intensive
Beziehungen mit Repräsentanten der
Kirchen, schon als Jugendlicher durch
die Familie. Ich war auch viele Jahre
in einem Bibelkreis des Christlichen
Vereins Junger Männer. Am Ende war
es wohl das soziale Engagement der
Kirchen, das mich bis heute hält. Das
befriedigt einen gläubigen Menschen
wahrscheinlich nicht, aber ich konnte
mit dogmatischen Positionen nie etwas
anfangen. Aber die katholische
Soziallehre zum Beispiel hat mich
sogar als protestantischen Skeptiker
stets fasziniert. Mein Argument
für die Kirchen ist, dass ich mir den
sozialen Frieden in der Stadt nicht
vorstellen kann ohne das enorme
Engagement der Christen. Das hat
man bei der Flüchtlingswelle ganz
deutlich gesehen.
Pfarrer Theil, zu welchen Themen
darf / soll / muss sich Kirche politisch
äußern?
Theil: Es gibt unterschiedliche Kirchenbilder:
das eine, dass sich die
Kirche eher abschotten will von der
Welt. Danach sollte sie sich am besten
gar nicht einmischen. Das andere,
das auch das meine ist, sieht Kirche
als Teil der Welt. Und in der darf
sie sich nicht nur, sondern muss sich
äußern. Ich sehe auch nicht, dass es
dafür eine bestimmte Schwelle gibt.
Christen sollen sich so konkret wie
möglich einmischen, zu großen Themen
ebenso wie zu kleinen – aber
auch das Bewusstsein haben, dass
sie das als eine Stimme neben anderen
in einer Demokratie tun. Auch
wir als Kirche kennen die Wahrheit
oft nicht, sondern müssen sie im
Dialog mit anderen suchen.
Wie bitte? Die Kirche kennt die Wahrheit
nicht?
Theil: Nicht in der konkreten politischen
Ausprägung. Ein Beispiel:
natürlich schützen Christen Leben!
Aber schützen wir ungeborenes Leben
besser, indem wir Frauen, die in
schwierigen Situationen eine Abtreibung
wünschen, beraten – oder dadurch,
dass wir aus dieser Beratung
ausgestiegen sind? Ich habe das für
einen schweren Fehler gehalten, andere
sahen es anders.
Was sind speziell christliche Themen
in der Politik?
Theil: Christen überlassen die
Schöpfung nicht einfach sich selbst,
sondern bewahren sie. Das gilt zuallererst
für den Schutz des Lebens,
etwa aktuell in der Diskussion um
die Sterbehilfe. Menschen sind
mehr als Leistungsträger, sie dürfen
auch zur Last fallen. Dann ist unser
christlicher Auftrag immer ein sozialpolitischer:
Christen engagieren sich
aus ihrem Selbstverständnis für die
Schwächsten, die Ausgegrenzten, die
Armen und zwar nicht nur karitativ,
sondern auch indem wir nach den
Strukturen fragen: Wie kommt es
dazu? Welche Form von Gesellschaft
und Wirtschaft brauchen wir? Papst
46
Auf ein Wort am Kaiserplatz
Franziskus gibt hierzu wichtige Impulse.
Es wird von Politikern ja nicht immer
gern gesehen, wenn Kirchenvertreter
sich konkret einmischen, Herr Ude?
Ude: Ja, das kommt zuweilen vor.
Erstaunlich finde ich zum Beispiel,
dass die Partei, die sich das C zum
Markenkern gemacht hat, extrem
gereizt reagiert hat, als sich die
Kirchen in der Flüchtlingsfrage auf
der Grundlage des Evangeliums einmischten.
Anders herum finde ich es
aber auch höchst befremdlich, wenn
Pfarrer mit einer christlichen Begründung
als prinzipielle Flughafengegner
auftreten, obwohl sie selber
reichlich oft fliegen - oder wenn sie
Widerstand gegen eine Umgehungsstraße
segnen, als würde die Straße
in der Nachbargemeinde niemanden
beeinträchtigen. Das ist Populismus
schlichtester Art, wenn sich Kirchen
so instrumentalisieren lassen, verlieren
sie ihre Glaubwürdigkeit.
Würden Sie Flughafengegner segnen,
Pfarrer Theil?
So etwas ist eine Gratwanderung,
aber ich schließe auch eine solche
Positionierung nicht aus. Man muss
sich die Haltung dahinter ansehen.
Das Sankt-Florians-Prinzip ist sicher
nicht christlich zu begründen. Verantwortung
für die Schöpfung aber
sehr wohl. Instrumentalisierung
meint ja das Motiv, weshalb etwas
getan wird, wenn also etwas nicht
aus christlicher Überzeugung sondern
aus parteitaktischer Sicht getan
wird.
BLICKPUNKT.
Genau darum geht es, das klar zu erkennen
und zu unterscheiden, wenn
wir uns äußern.
In Krisen wie der Corona-Pandemie
sind auch die Kirchen gefragt, zum
Beispiel wenn es darum geht abzuwägen,
was schwerer zählt: den
Zugang zum Gesundheitssystem
für Erkrankte offen zu halten oder
die dramatischen Folgen für alle. Es
kann zu einem Entscheidungsdilemma
kommen.
Theil: Ich finde es schwierig, dass
wir in guten Zeiten nicht stärker eine
weltweite Solidartität geübt haben
und ich möchte nicht in der Haut
derer stecken, die Entscheidungen
treffen müssen, die in letzter Konsequenz
Leben kosten.
Erstens: Gutes tun, Böses lassen.
Zweitens: Wenn das Gute nicht klar
ist, dann das geringere Übel wählen.
Drittens: Es kann geboten sein, bewusst
ein Übel zu setzen, um ein viel
größeres zu verhindern. So haben
die Christen des 20. Juli auch den
Tyrannenmord gerechtfertigt.
Und wenn man nicht weiß, was das
größere, was das kleinere Übel ist?
Theil: Dann hilft mir das Gebet und
der Dialog mit Menschen, um klarer
zu erkennen und dass daraus hoffentlich
ein geisterfülltest Handeln
wird, das nicht aus Angst, sondern
aus Vertrauen gespeist ist.
Interview: Gerd Henghuber
Ude: Ich sehe das sehr ähnlich. Natürlich
lässt sich das Ja zum Leben
nicht abwägen, kein materieller Vorteil
rechtfertigt eine Alternative. Was
aber ist, wenn wir über wirtschaftliche
Zustände reden, die auch Leben
kosten? Welcher Weg der richtige ist,
ist eigentlich keine religiöse Frage,
sondern rationale Abwägung der viel
gescholtenen Politiker, die, wie wir
jetzt sehen, gar nicht so schlecht
sind.
Theil: Ich meine schon, dass das
eine religiöse Frage ist, auch wenn
uns reine Gesinnungsethik sicher
nicht weiterhilft. Aber es gibt aus
der christlichen Ethik folgenden Dreischritt
für richtige Entscheidungen:
48
Gemeinde
GEMEINDE IN ZEITEN
VON CORONA
Was bedeutet ein Videostream, wenn man die Gemeinsamkeit
vermisst?
Von Gerd Henghuber
Am 13. März 2020 hatte das Erzbistum
sämtliche Gottesdienste abgesagt.
Zwei Tage später war ein
Gottesdienst aus Sankt Ursula als Live-Stream
im Internet verfügbar, und
der Bayerische Rundfunk berichtete.
Eine Whats-App-Gruppe hatte sich sofort
gebildet, um Lösungen zu finden,
wie man Gottesdienst feiern könnte
in Zeiten von Gottesdienstverbot. Ein
Sonntag ohne Messe? No go!
So feierten am 15. März viele Gemeindemitglieder
zuhause mit, wie
zahlreiche Zuschriften belegen: „Vielen
vielen Dank dafür, dass wir den
Gottesdienst in unserer Kirche mit
unserem Pfarrer erleben durften in
dieser schweren Zeit, das hat uns
unglaublich viel gegeben.“
Auch in den Wochen danach feierte
Pfarrer David Theil mit einer sehr
kleinen Gemeinde aus Mesner, Kirchenmusikern,
Lektor und Aufnahmeleiter
eine Messe in der leeren
Kirche, die ins Internet übertragen
wurde. Im Gotteshaus war das etwas
gespenstisch, zumal die Tonanlage
einen gehörigen Hall erzeugt, an den
Computern der Gemeindemitglieder
wurde das Angebot aber als extrem
wohltuend wahrgenommen. Die Gemeinde
zeigte auch virtuell, dass sie
eine ist und in einer schwierigen Zeit
beieinander ist und zueinander steht.
Nach dem Weihrauchopfer, das den
Kirchenraum wohlschmeckend einnahm,
wurde das Portal geöffnet,
und überraschend viele Gemeindemitglieder
strömten zum Beten in
die Kirche. „Wir haben Sie gerade im
Internet gehört, Herr Pfarrer, danke
für diese Predigt!“
Wobei sie es selbst waren, denen
zu danken war: dafür dass sie dabei
sind und bleiben. Dass sie völlig
anstandslos auf neue Formate wechselten.
Und andere fühlten sich auch
angezogen vom offenen Portal: „Darf
man da reingehen?“, fragte einer.
Selbstverständlich. Dafür sind wir
da. Virtuell genauso wie im realen
Leben.
51
BLICKPUNKT.
PFARRVERBAND
IN ZAHLEN 2019
ST. URSULA
ST. SYLVESTER
Katholiken
5.146
Katholiken
2.952
Taufen
63
Taufen
32
Erstkommunion
(Pfarrverband
gesamt)
84
Erstkommunion
(Pfarrverband
gesamt)
84
Firmung (gesamt)
54
Firmung (gesamt)
54
Eintritte/
Eintritte/
Wiederaufnahmen
2
Wiederaufnahmen
0
Austritte
172
Austritte
104
Bestattungen
20
Bestattungen
20
Zahlen
BLICKPUNKT.
MEHR VOM GLAUBEN
ERFAHREN
Wieso ein berufstätiger und auch ansonsten stark engagierter
Familienvater plötzlich Theologie im Fernkurs studiert, schildert
Marcel Renneberg
Als praktizierende Christen im Laienstand,
wie es offiziell so schön heißt,
sind wir in der Regel keine ausgebildeten
Theologen. Dennoch stellen
wir, die wir die sonntägliche Eucharistie
besuchen, Weihnachten und
Ostern feiern, unsere Kinder taufen
lassen oder daheim Verse der Heiligen
Schrift lesen und zu verstehen
versuchen, uns vielleicht hin und
wieder Fragen dahingehend, wie das
denn so ist mit unserem Glauben:
was Trinität, Sakramente, Reich Gottes
und Liturgie bedeuten, wie wir
uns ein Leben nach dem Tod hoffend
und glaubend vorstellen dürfen, wie
wir über Gott sprechen und was wir
über Ihn aussagen können – wenn
überhaupt – welche die Urwurzeln
unseres Glauben sind, welche die
bis ins Jetzt wirkenden wichtigen Ereignisse
einer 2000 Jahre alten Kirchen-
und Glaubensgeschichte unserer
Kirche(n), wie Muslime und Juden
ihren Glauben verstehen und leben.
Wir möchten also mehr von unserem
Glauben erfahren, den wir als Gnadengeschenk
Gottes erhoffen, (er-)
leben und bezeugen dürfen. Wir versprechen
uns davon einen Erkenntnisgewinn,
möglicherweise sogar
eine Vergewisserung, auf jeden Fall
aber ein tieferes Eintauchen in unsere
ganz persönlichen Glaubensfragen,
um gegenüber uns selbst, aber
auch vielleicht anderen gegenüber,
sprechfähiger und glaubhafter zu
werden. Diese Sprechfähigkeit und
die damit verbundene Zeugnisfähigkeit
war sicherlich zu allen Zeiten
wichtig, sie scheint aber gerade heute
immer wichtiger zu werden.
Systematisch vorgehen
Mit einem immer größer und intensiver
werdenden Engagement im
Pfarrverband Altschwabing, als Vater
von zwei Kindern und Ehemann, als
mitten im Leben und im Beruf stehender
Mann, begann es bei mir vor
gut fünf Jahren, dass ich anfing, mir
solche Fragen verstärkt zu stellen.
Die allererste Frage aber war: Wie
kann es mir möglicherweise gelingen,
mehr und Genaueres zu erfahren?
Recht schnell war mir bewusst,
54
Theologie
dass ich hier systematisch vorgehen
musste, um mehr und im Kontext,
aber auch im Austausch mit anderen
zu erfahren, was das denn nun ist,
Glaube, Kirche, Gott und die Welt.
Fernkurs ThiF
Und so stieß ich nach einiger Suche
auf den Studiengang „Theologie
im Fernkurs“ (ThiF) der Domschule
Würzburg. Auf der Startseite von
https://fernkurs-wuerzburg.de/ wirbt
Thif wie folgt:
„Theologie im Fernkurs bietet im
Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz
Kurse im Fernstudium für
alle Interessierten an, die mehr vom
christlichen Glauben wissen, sich
argumentativ mit Glaubensfragen
auseinandersetzen und seine Bedeutung
für das eigene Leben erschließen
wollen. Grundlage dafür ist die
gegenwärtige katholische Theologie
im deutschsprachigen Raum. Grundsätzlich
stehen die Kurse allen Glaubenden,
Suchenden und Zweifelnden
offen. Darüber hinaus ermöglichen
die Kurse eine Ausbildung für kirchliche
Berufe in Schule und Gemeinde.“
Ich war sehr schnell angetan von
diesem Angebot und meldete mich
im Frühjahr 2016 an. Das Studium
richtet sich an Männer und Frauen
jeden Alters und jedweder Konfession;
es gliedert sich in einen Grundund
Aufbaukurs (sowie zusätzlichen
religionspädagogischen und pastoraltheologischen
Kursen für eine
55
BLICKPUNKT.
spätere kirchliche Verwendung) in
denen jeweils 24, von Hochschullehrern
verfasste, Lehrbriefe zu erarbeiten
sind.
Kurse, Hausarbeiten, Studientage
Glücklicherweise bietet das Erzbischöfliche
Ordinariat abendliche Begleitkurse
an (ca. alle 14 Tage), in
denen der jeweils anstehende (und
gelesene/bearbeitete) Lehrbrief besprochen
wird und die Studierenden
darüber ins Gespräch kommen. Der
Lernaufwand pro Lehrbrief ist von
jedem Studierenden selbst zu planen
aber von der aufzubringenden
Zeit her keinesfalls zu unterschätzen.
Grund- und Aufbaukurs schließen,
sofern man das möchte, mit Hausarbeiten
und mündlichen/schriftlichen
Prüfungen ab. Studientage und
-wochenenden zu Kirchengeschichte,
dogmatischen Themenfeldern
wie Trinitätslehre oder Christologie,
interreligiösem Dialog oder den
Wundergeschichten bei den synoptischen
(!) Evangelisten u.a., ergänzen
und vertiefen das Gelernte.
Nach dreieinhalb Jahren des Studiums
bei ThiF kann ich sagen, dass
mich das Studium mit seinen vielfältigen
Themen und den entstehenden
Diskussionen sehr bereichert. Viele
Fragen finden Antworten, viele neue
Fragen kommen hinzu und lassen
mich nicht mehr los. Zusammenhänge
und Abhängigkeiten werden klarer.
Die Beschäftigung mit meinem
Glauben gewinnt angesichts gar nicht
so trockener Theologie noch einmal
an Tiefe und macht im praktischen
Glauben einiges verständlicher. Ich
kann also dieses Studienangebot all
denjenigen sehr empfehlen, die sich
ernsthaft und fundiert mit Theologie
befassen möchten.
Rechts: Die beiden Ministranten Maximilian
Dittmann und Nelly Meyer
56
Jugend
ZWISCHEN STUCK
UND KÜCHENZEILE
Neuer Raum für den Nachwuchs in St. Sylvester
Von Bastienne Mues
Die Aussage „etwas Raum zu geben“
ist im übertragenen Sinne zu verstehen.
Es geht um Gedanken und
Ideen, für die man den Geist öffnet,
denen man Bedenkzeit einräumt und
Anerkennung zollt. Diese Form der
Wertschätzung kann man aber auch
ganz konkret so verstehen, dass
man einer Idee einen echten Raum
gibt, wo sie sich verwirklichen kann.
Im Falle von St. Sylvester ist es die
Idee, dass der eigene Nachwuchs der
Gemeinde wichtig genommen wird.
Die Kirchenverwaltung hat Gelder bewilligt,
damit die Kinder und Jugendlichen
ihre Glaubenserfahrungen in
schönen Räumen machen können.
Bis jetzt tagten die Kommunionkinder,
der Kinderbibelgarten und die
Ministranten im Christopherus-Stüberl,
das zwar immerhin da war, aber
mit seinem ergrauten Siebzigerjahre-
Flair wenig Charme hatte. Nun wurde
das Stüberl, dessen Eingang sich
– steht man vor dem Altar der alten
Kirche – links befindet – von Grund
auf renoviert und modernisiert.
Oberministrant Maximilian Dittmann
hatte hier die Federführung inne,
Pfarrer David Theil und Architekt
Thomas Rauch unterstützten ihn.
Wichtig sei ihm, so Pfarrer Theil,
dass das Engagement für die Jugend
von der Jugend selbst komme. Maximilian
hat die Aufgabe begeistert
übernommen, und bis Anfang 2020
war die Renovierung abgeschlossen.
Dabei hielt sich der Oberministrant
ganz an die Devise des Kirchenpflegers
Dr. Paul Siebertz: „Macht es
so, dass es schön wird und ihr euch
wohl fühlt.“ Die Holzverkleidung der
Wände wurde entfernt, auch die der
Decke, worunter sich erfreulicherweise
Stuck befand. „Insgesamt
wird alles höher und lichter“, erklärt
57
BLICKPUNKT.
Maximilian. „Die Einrichtung soll
modern werden“. Besonders freut
er sich über die neue Küchenzeile,
so können die Kinder und Jugendlichen
künftig zusammen kochen
und backen. Ein Holzschnitt des Heiligen
Christopherus soll den Raum
schmücken. „Ich finde es toll, dass
ich so viel entscheiden kann“, sagt
Maximilian.
Ein weiteres Highlight: Pfarrer Theil
hat der Jugend zum Christopherus-
Stüberl einen zusätzlichen Raum
zur Verfügung gestellt: das über
dem Stüberl befindliche Oratorium,
ein ehemaliger Gebetsraum.
Dieser bleibt
den Ministranten vorbehalten.
Hier können
sie unter sich sein,
an einem langen
Tisch tagen, eine
Sitzecke lädt zum
Entspannen ein,
und möglicherweise
wird noch
ein Beamer für
Filmabende angeschafft.
Lange
Zeit diente der
Raum als Lager
für allerlei Heiligendarstellungen,
die weichen
mussten. Aber die
Verkündigungsgruppe
im Treppenhaus
darf bleiben,
denn natürlich soll
auch dieser Ort zukünftig
Raum für den Glauben geben,
der von den Jugendlichen vielleicht
anderswo nicht so explizit gelebt
werden kann. Maximilian wünscht
sich, dass die Ministranten ein Gemeinschaftsgefühl
auch außerhalb
der Familie entwickeln können.
Denn Glauben ist für ihn „eine gute
Gemeinschaft, die durch Gott bekräftigt
wird.“
58
Jugend
JUGENDTHEMEN GIBT
ES NICHT MEHR
Zum zweiten Mal schon soll Benedikt Breil im Blickpunkt über
die Sicht von Jugendlichen schreiben. Was aber, wenn Jugendliche
inzwischen – Stichwort Greta Thunberg – nicht nur den
Ton vorgeben, sondern auch den Marsch?
Wieder darf ich also über ein so genanntes
Jugendthema schreiben.
Inzwischen wage ich jedoch zu behaupten,
dass es so etwas gar
nicht mehr gibt. Die Jugendthemen
sind Erwachsenenthemen geworden.
Denn alle großen Fragen und
Themen, ausgenommen vielleicht
der Mode- und Musikgeschmack,
sind doch inzwischen politisch. Und
selbst letztere transportieren inzwischen
viele politische Einstellungen.
Und das auch noch von einer Generation,
gegenüber der das Vorurteil
des Unpolitisch-Seins größer war als
je zuvor.
Manche Erwachsene toben
Oder etwa doch nicht? Wohnen,
Klima, Werte und Digitalisierung –
längst diktiert die drängende Zukunft
die Themenfelder, und während viele
Politiker nur noch reagieren, haben
schon lange junge Menschen,
größtenteils aus Verzweiflung, das
59
BLICKPUNKT.
Schulheft liegen gelassen und angefangen,
das Heft der Geschichte
der Welt selber in die Hand zu nehmen.
Das zeigen „Fridays for Future“,
die große Welle an Start-Up-
Unternehmen sowie die Innovation
und Ideenvielfalt junger Menschen
in all diesen Feldern. „Zum Glück“,
behaupteten unlängst gewisse Erwachsene,
allerdings hinter vorgehaltener
Hand. Bei der Klimafrage
ist das schon fast gesellschaftlicher
Konsens. Und doch gibt es auch die
in den älteren Generationen, die
toben und wüten, die von einem
Generationenkonflikt sprechen,
während andere die Jugend „unterstützen“,
indem sie die Podestplätze
besetzen und sich ins Rampenlicht
stellen, weil sie sich ja auch so
für das Thema engagieren.
und Jugendlichen die Frage: Was
willst du mal werden? Sondern fragen
Sie ernsthaft nach deren Meinung,
auch zu politischen Themen,
ohne Ihre eigenen politischen und
gesellschaftlichen Interessen sofort
auf diese „armen jungen“ Menschen
zu projizieren.
Und in der Kirche?
Aber was hat das Ganze denn nun
mit Kirche zu tun? Wo Missbrauch,
Zölibat sowie der Umgang mit Homosexualität
oder Sexualität überhaupt
und noch vieles mehr von der
Jugend angeprangert werden könnten.
Sie machen es nicht, weil es sie
nicht mehr interessiert, weil sie sich
gar nicht mehr aufregen, weil ihnen
ja eh nie zugehört wurde, geschwei-
Andere benutzen die Jugendlichen
Manchmal möchte man dabei fragen:
„Seit wann?“ Und doch sagen
alle Generationen: „Aber Hauptsache,
es gibt bald Urlaub!“ Und wo
geht’s hin? Ach ja Toskana, Berlin,
New York und vielleicht noch ein
Zwischenstopp in Paris? Oder greifen
wir dann doch lieber kollektiv auf
eine Onlinebestellung zurück.
Nein, es gibt keinen Generationenkonflikt,
eher einen Konflikt des
gegenseitigen Respekts. Die Meinung
der jungen Menschen müsste
akzeptiert und respektiert werden.
Vermeiden Sie doch mal in den
nächsten Gesprächen mit Kindern
60
Jugend
ge denn, dass sie etwas hätten ändern
können.
„Gemeinsam Kirche gestalten“ ist jetzt
unser aller Auftrag. Zu zeigen, warum
es wichtig ist, Glauben zu organisieren
und zusammen als Gemeinschaft
zu leben – so wie wir es in diesem
Pfarrverband und Teilen der Erzdiözese
bereits gestalten. Denn entgegen
der meisten Vorurteile glauben viele
junge Menschen wieder vermehrt, jedoch
fühlen sie sich von der Kirche
nicht angesprochen und haben das
Gefühl, dass ihr persönlicher Weg zu
ihrem Glauben nicht mit deren fertiger
Lehrmeinung zusammenpasst. Deswegen
müssen wir alle wieder mehr
zuhören und lernen zu zeigen: Wir
wissen es auch nicht endgültig, wir
suchen mit dir! Wir glauben mit dir!
Wieder mehr suchen, zuhören,
glauben
In meiner Funktion als Vorstand der
katholischen Jugend in München
und als Vorstand des Katholikenrates
komme ich viel herum und immer
wieder werde ich von jungen
Menschen gefragt: „Wieso? Wieso
machst du das? Dich in diesem Laden
einbringen, wobei du selbst mit
vielen Themen immer wieder Schwierigkeiten
hast?“ Ich entgegne darauf:
„Weil ich sie auch anders erleben
darf, diese eine Kirche, mit Leben erfüllt
von vielen Menschen, die nach
dem Guten streben, die auf alle, egal
wie oder wer sie sind, zugehen und
ihnen sagen: ‚Du bist schön, so wie
Du bist. Du besitzt Deine ureigene
Würde. Du bist hier willkommen!‘.“
BLICKPUNKT.
Jugend
JUGEND MIT GOTT:
WAS DIE FIRMLINGE
UMTREIBT
Gefirmt werden junge Menschen an der Schwelle zum
Erwachsenenalter. Was die Firmlinge in ihrer Gottesbezie-
hung umtreibt, haben sie auf ein Flipchart geschrieben.
Wir haben es abfotografiert.
OH TANNEN-
BAUM!
OH TANNEN-
BAUM!
Was für ein Aufwand
hinter dem Christbaum
von St. Ursula steckt,
weiß aus eigener Erfahrung
Martin Jarde.
Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum!
Was für ein schöner Tannenbaum!
So hört man es in der Weihnachtszeit
des Öfteren durch die heiligen
Hallen von St. Ursula schallen, wenn
Gottesdienstbesucher oder Touristen
den Christbaum im Schwabinger
Dom bewundern.
Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum! Was
ist das nur wieder für ein Tannenbaum!
So hört es sich in den Tagen vor
Heilig Abend an, wenn Mesner Luka
Vukorep mit einem ganzen Team an
Helfern den rund 7-8 Meter hohen
Baum von der Christbaumbauer-Familie
Fischer aus Högertshausen in
Empfang nimmt. Denn damit der
Baum zum Geburtsfest Christi funkeln
und strahlen kann und bei den
Gottesdienstbesuchern für ein heimeliges
Gefühl und eine wohlige
Atmosphäre sorgt, ist zuerst einmal
viel Fleiß gefragt: Rund 20 Stunden
Arbeit sind dazu nötig.
Zuerst wird die Tanne mit einem Gewicht
von circa 350-400 Kilogramm
zum Hochaltar geschoben und getragen.
Mit Axt und Säge sorgt Gusti
Prufer dafür, dass der Stamm so
zugespitzt ist, dass er in die Halterung
passt. Noch vor dem Aufstellen
bringt Tobias Gebhard die ersten
Lichterketten an der Spitze an, denn
dies ließe sich im Nachhinein nur
noch sehr schwer bewerkstelligen.
Dann wird die Tanne mit vereinten
Kräften von der Waagrechten in eine
senkrechte Position gebracht.
64
Unsere Kirchen
Nun beginnt nicht selten das große
Stöhnen beim Mesner und seinen
Helfern … denn erst jetzt wird
sichtbar, wie der Baum gewachsen
ist und an wie vielen Stellen Löcher
aufgrund fehlender Zweige klaffen.
Diese gilt es durch eine gekonnte
Dekoration geschickt zu verbergen.
Hier schlägt die Stunde von Mesner
Luka Vukorep und Kirchenpfleger
Tobias Gebhard: Die beiden kennen
alle Tricks und wissen, wie man zusätzliche
Äste in den Stamm einsetzen
oder durch unsichtbare Schnüre
Sterne an Stellen ohne Befestigungsmöglichkeit
„zaubern“ kann.
fließt. Natürlich haben es sich Pfarrer
Saffer und die Damen des Bastelkreises
nicht nehmen lassen, uns in
der Weihnachtszeit zu besuchen und
unseren Christbaum mit den neuen
Sternen in Augenschein zu nehmen.
Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum!
Was für ein schöner Tannenbaum!
Ein großes Weihnachtsgeschenk bekam
St. Ursula im Jahr 2018 aus der
Kirchengemeinde im mittelfränkischen
Hannberg. In vielen Stunden
Arbeit erschufen die Damen des dortigen
Bastelkreises 300 Strohsterne,
die zusammen mit den bisherigen
150 Sternen und 25 Lichterketten
mit 2920 Lichtern nun dem Christbaum
zur Zierde gereichen.
Warum der Bastelkreis aus dem Mittelfränkischen
Hannberg? Den dortigen
Pfarrer Johannes Saffer und
Tobias Gebhard verbindet eine langjährige
Freundschaft und bei einem
Besuch des dortigen Pfarrfestes
entstand die Idee, durch die Arbeit
des dortigen Bastelkreises die nötigen
neuen Sterne für St. Ursula zu
erhalten. Gleichzeitig tun wir Gutes,
da das dafür bezahlte Geld direkt in
die Projekte der Pfarrei Hannberg
in deren Partnerpfarrei in Uganda
65
BLICKPUNKT.
BERGSTEIGEN,
TANZEN UND REDEN
Das Familienwochenende im Pfarrverband hat sich zu einer
festen Tradition entwickelt.
Von Miriam Schmucker
Bereits zum fünften Mal kamen Familien
aus dem Pfarrverband im Oktober
2019 zu einem Familienwochenende
zusammen. Ort der Begegnung
war dieses Jahr die Jugendherberge
in Oberammergau, und was hatten
wir für ein Glück mit dem Wetter!
Gespräche mit und ohne Kinder
Thema war in diesem Jahr „Der Berg
ruft“. Und so war es auch. Im Laufe
des Freitagabends fanden sich alle
Familien zum Abendessen ein. Danach
war Zeit für Gespräche, mit und
ohne Kinder. Am Samstagmorgen
ging es dann zur Sache. Angeleitet
von unserem Pastoralreferenten Michael
Steinbacher begingen wir den
Morgen und Vormittag mit intensiven
Gesprächen, innerfamiliär, aber
auch in der Gruppe.
Und dann kam natürlich auch der
Fun-Faktor ins Spiel! Bergwanderung
zum Kolbensattel - für manch einen
intensiver als erwartet – Mittagessen
auf der Hütte mit Tanzlmusi durch
die Boarische Roas. Die ein oder andere
wurde trotz Wanderschuhwerks
von Michael Steinbacher umeinander
gewirbelt.
Krönung des Nachmittages war trotz
langen Anstehens die Abfahrt ins
Tal mit dem Alpine Coaster. Von der
Kolbensattelhütte ging es auf einer
Länge von 2.600 Metern mit atemberaubenden
Ausblicken und abenteuerlichen
Kurven ins Tal. Sicher unten
eingetroffen folgten das Abendessen
und vergnügliche Gespräche. Den
Abschluss bildete am Sonntag unser
Wortgottesdienst, bei dem wie immer
alle mitwirkten, durch Auswahl
der Texte, Musik, Deko und Fürbitten.
„OHNE KIRCHE
WÜRDEN WIR
ETWAS
WICHTIGES
VERLIEREN.“
Der Kulturmanager Till Hofmann liebt
die Stille leerer Kirchenräume.
So sehen uns die Anderen
Von Gerd Henghuber
Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn
„Münchens Großunternehmer in Sachen
Kleinkunst“: Till Hofmann ist
Betreiber u. a. des Lustspielhauses,
des Vereinsheims und der Lach- und
Schießgesellschaft.
Viele Jahre wohnte er im Haus, in
dem sich das Vereinsheim befindet,
und bis heute liebt Hofmann das alte
Schwabing, dessen frühere Strukturen
gerade um die alte Schwabinger
Dorfkirche noch gut erkennbar sind.
Gern geht er bei Spaziergängen hinein
und genießt in der Hektik des
Alltags die Ruhe des leeren Kirchenraums.
Er zündet dann eine Kerze an
und sitzt einfach nur da.
Hofmann ist in Passau aufgewachsen,
und Passauer Blut hat die
Münchner Kabarettistenszene ja seit
jeher bereichert. Bei vielen dieser
Exilanten war die Auseinandersetzung
mit der in der Dreiflüssestadt
lange so dominierend auftretenden
Kirche eine ihrer künstlerischen
Triebfedern. Nicht so bei Hofmann.
Passives Kirchenmitglied – aber
doch aus Überzeugung
„Eigentlich hat sie mir nichts getan“,
sagt er mit einem Lächeln, „wir hatten
in Passau in meiner Zeit immer
charismatische Bischöfe“. Mit dem
heutigen Münchner Weihbischof Rupert
Graf Stolberg ist er aufs Gymnasium
gegangen. Hofmann ist heute
67
BLICKPUNKT.
zwar ein eher passiveres Kirchenmitglied,
aber doch eines aus Überzeugung:
„Die Kirche leistet in vielen
Bereichen wichtige Arbeit. Sie steht
für unsere Kultur, auch ein bisschen
für Folklore, ohne sie würden wir etwas
Wichtiges verlieren.“
Großunternehmer innovativer sozialer
Projekte.
Was nicht heißt, dass sich Hofmann
nicht auch an der Kirche gerieben
hätte: zuletzt 2015 am Passauer Bischof,
den er öffentlich aufforderte,
ein seit vielen Jahren leerstehendes
Haus des Bistums für ein Flüchtlingsprojekt
frei zu geben. „Der
Papst hatte gefordert, dass jede
Pfarrei eine Familie aufnehmen solle,
warum nicht auch der Passauer
Bischof?“ Obdach geben, Schutz bieten,
Menschen in Not aufnehmen,
das sei doch eine Grundpflicht von
Christen, appellierte Hofmann an Bischof
Oster. „Leider ohne Erfolg, der
Generalvikar tat zuerst so, als wisse
er gar nicht, welches Gebäude gemeint
sei – und ließ es dann lieber
leer stehen.“
In München hatte Hofmann damals
bereits mit dem Projekt „Bellevue
di Monaco“ in der Müllerstraße für
erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt
und gezeigt, wie Integration in einer
Stadt funktionieren kann. Dem
ging allerdings jahrelange mühevolle
Überzeugungsarbeit voraus. Das
neueste Vorhaben: ein Sportplatz
auf dem Dach des Gebäudes. So ist
Till Hofmann längst auch Großunternehmer
innovativer sozialer Projekte.
Mehr Informationen:
www.bellevue-di-monaco.de
68
„DURCH DICH
HABEN WIR
ETWAS ÜBER
UNS SELBST
ERFAHREN!“
Interview mit der Künstlerin
Sonya Schönberger über ihr
Kunstprojekt im Pfarrverband,
ihre Gottesbeziehung und ihren
ethnologischen Ansatz
BLICKPUNKT.
Die Berliner Künstlerin Sonya Schönberger
war zwei Monate lang zu Gast
in den beiden Pfarreien St. Ursula
und St. Sylvester. Sie hat in die Gemeinden
hineingespürt auf der Suche
nach gelebter Gottesbeziehung.
Ihre Eindrücke hat sie in Form einer
performativen Lesung wiedergegeben.
Viele in der Gemeinde waren
verblüfft von den Ergebnissen.
Frau Schönberger, einige Besucher
der Lesung waren verblüfft davon,
wie gut Sie die Gemeinden wiedergaben,
Sie auch?
Um ehrlich zu sein habe ich das erwartet.
Es ist ja auch genau so wiedergegeben,
wie es gesagt wurde,
ganz ehrlich. Im Lauf meiner künstlerischen
Praxis habe ich einige Erfahrung
mit dieser Art der Reflexion
von Lebensgeschichten machen können.
Aber natürlich zielt die Arbeit
auch über die Interviewten hinaus:
Ich möchte vor allem bei einem breiten
Publikum erreichen, dass die erzählten
Geschichten ein Anstoß sind,
über die eigene Geschichte und individuellen
Erfahrungen nachzudenken.
Inwiefern erkenne ich mich im
Erzählten, empfinde ich ähnlich oder
genau gegenteilig? Natürlich funktionieren
gewisse Themen besonders
gut, denn viele Menschen teilen
Erlebnisse, wenn sie in einer Generation
und räumlicher Nähe ähnlich
sozialisiert wurden. Und dann gibt
es immer wieder auch die Geschichten
dazwischen, die so ganz anders
sind, aber auch diese sind wichtig
für das Gesamtbild. Denn das ist immer
divers, egal zu welchen Themen
man sich in bestimmten Gruppen
unterhält.
Was waren für Sie die interessantesten
Erkenntnisse?
Mein Ziel war es zu erfahren, wie das
funktioniert: glauben. Was bedeutet
das ganz konkret im Alltag? Wie
funktioniert Glaube ganz individuell?
Was verbindet uns und prägt daher
das Land, in dem wir leben, die Gesellschaft,
die uns umgibt? Wo liegen
die Wurzeln von moralischen Vorstellungen,
Toleranz und Abgrenzungen?
Interessant waren für mich die
Geschichten, die durch einen Bruch
gekennzeichnet waren oder eben
auch durch starke Zweifel. Erzählungen,
die anderes als den einen
Weg zulassen. Solche sind mir innerhalb
der Altschwabinger Gemeinden
doch sehr oft begegnet, was ich
sehr schön und hoffnungsvoll fand.
70
Kunst
Es kann eben vieles nebeneinander
existieren und ist in diesem Nebeneinander
akzeptiert.
„Interessant sind für mich die Geschichten
mit Brüchen.“
War es eigentlich schwierig, Ihre
Interviewpartner dazu zu bringen,
dass Sie sich öffnen? Über den persönlichen
Glauben sprechen ja auch
religiöse Menschen nicht gerade
häufig?
Grundsätzlich habe ich die Erfahrung
gemacht, dass wir uns viel zu wenig
zuhören, es aber auf der anderen
Seite starke Mitteilungsbedürfnisse
gibt. Wir räumen diesen vielleicht
nicht mehr so viel Zeit ein oder können
uns das nicht mehr leisten. In
meinen Begegnungen geht es um
das Gegenüber und ich lasse sehr
viel Raum, in dem man sich bewegen
kann, wie man möchte. Ich mache zu
Beginn deutlich, was mein Interesse
an dem Gegenüber ist und warum
ich das Gespräch führe. Das leuchtet
dann sofort ein und man kann
sich dann frei bewegen in der Erinnerung,
der eigenen Geschichte und
Empfindung. Es kann hilfreich sein,
dass man sich noch nicht kennt, sich
hier zum ersten und vielleicht auch
letzten Mal begegnet. Das ist nicht
immer so, aus vielen meiner Gespräche
entstehen echte Freundschaften.
Gerade weil man sich so nahe gekommen
ist. Bei den Leuten, die ich
aus der Gemeinde treffen konnte,
macht der Glaube sowieso schon
einen großen Teil der Biografie aus,
hat einen Platz in der Erzählung vom
Ich. Daher war es einfach, sich auch
diesem Thema zu widmen.
Gibt es eine Gemeinsamkeit in all den
Interviews, die Sie geführt haben?
Nein, da fällt mir eigentlich nichts ein.
Jedes Gespräch ist so unterschiedlich
wie jeder Mensch es eben ist.
Wie würden Sie die beiden Pfarreien,
in denen Sie zu Besuch waren,
beschreiben?
Die beiden Pfarreien waren für mich
ja die ersten Kirchengemeinden, mit
denen ich mich nach meiner aktiven
Zeit als Kind und Jugendliche näher
beschäftigt habe. Damals war das
vorbestimmt, in diesem Fall habe ich
selber gewählt und mich darauf eingelassen.
Was mir in Altschwabing
begegnete, hat mir gut gefallen. Ich
war erfreut, wie positiv sich die Menschen,
mit denen ich gesprochen
71
habe, über diese Gemeinden geäußert
haben und was sie für sie bedeuten.
Das hat mich berührt.
„In den Gemeinden gibt es einige
sehr kritische Geister.“
In meinem Umfeld in Berlin rede ich
so gut wie nie über Glauben und Kirche.
Daher war es wirklich spannend
für mich, so viel Zeit in der Gemeinde
und mit den Mitgliedern zu verbringen.
Man kann schnell merken,
dass dort einige sehr kritische Geister
zugegen sind, die keineswegs
alles ungefragt annehmen, was man
ihnen vorlegt. Das war schon sehr
toll zu sehen und zu erfahren. Man
versteht sich dort wirklich als eine
privilegierte Gemeinschaft, und das
ist ja etwas sehr Besonderes.
Mit welcher Haltung kamen Sie nach
München?
Ich war sehr neugierig auf diese Residency
und fand es spannend an
einem neuen Ort zu sein, der aber in
Deutschland ist. Ich kannte München
nicht besonders gut und hatte sofort
gesehen, dass die Stadt ganz anders
funktioniert als Berlin, wo ich schon
sehr lange lebe.
Wie meinen Sie das?
München ist geschlossener und vielleicht
bodenständiger als Berlin. Tradition
spielt hier eine große Rolle.
Dirndl und Lederhose trägt man mit
Stolz, in Berlin wäre so was eher befremdlich.
Ich war auch erstaunt, wie
voll die Aufführung vom Brandner
Kasper im Volkstheater war, in die
ich gleich am Anfang meines Aufenthalts
ging. Das Stück läuft ja seit vielen
Jahren.
Da haben Sie ja an einem einzigen
Abend schon eine Menge über Glauben
und das Weltbild der Bayern gelernt
…
Es ist ja auch großartig gespielt und
für mich war das eine gute Einführung
ins Bayerische – nicht nur die
Sprache, sondern auch in diese ganze
Haltung zu Gott und der Welt, das
war schon beeindruckend.
72
Kunst
Wie sind Sie bei diesem Projekt vorgegangen?
Hatten Sie eine bestimmte
Methode?
Vor der Kunst habe ich Ethnologie
studiert, wo ich viele Blick- und Herangehensweisen
gelernt habe, die ich
nun immer wieder in meiner Kunst anwende:
beobachten, fragen, zuhören.
Die Kunst lässt mir eine große Freiheit.
Die Neugierde als Grundkonstante
beim ethnologischen Forschen entspricht
mir sehr und eröffnet mir einen
schnellen Zugang bei Residencies wie
dieser. Der Mensch, also mein Gegenüber,
steht bei dieser künstlerischen
Auseinandersetzung im Vordergrund.
Wer sind wir, wie sind wir geprägt und
welche Moralvorstellungen leiten uns.
„Viele Menschen würden gerne ein
Buch mit Glaubensgesprächen lesen“
Wie kamen Sie darauf, dass das Ergebnis
eine Lesung sein wird – und
nicht eine andere Form?
Vielleicht, weil ich wusste, dass das
als Methode sehr gut funktioniert. Ich
hatte auch zu wenig Zeit, noch weiter
daran zu feilen und ein komplexeres
Theaterstück oder einen Film zu entwickeln.
Ich habe ja über 20 Gespräche
geführt. In der kurzen Zeit war
das extrem aufwändig, die Gespräche
mussten transkribiert und in eine dramaturgische
Form gebracht werden.
Das habe ich hier im Galopp gemacht.
Mein Ziel wäre es nun, über die Residency
hinaus, ein Buch zu publizieren,
in dem viel mehr Platz hat als in
der Lesung. So könnte die Recherche
über den Schwabinger Kontext und
über München hinaus wachsen. Ich
bin davon überzeugt, dass sehr viele
Menschen im deutschsprachigen
Raum gerne ein Buch mit Gesprächen
zum Glauben lesen würden. Es ist
wichtig für unser Selbstverständnis
zu erfahren, wie andere denken, wofür
sie stehen, was ihnen wichtig ist.
Muss man für so ein Projekt eigentlich
selbst katholisch sein? Oder zumindest
gläubig?
Es war keine Bedingung für die Residency.
Aber es hat mir geholfen,
dass ich katholisch aufgewachsen
bin. Als Kind ist das eine wirklich
prägende Erfahrung. Ich konnte
mich also extrem gut orientieren.
Die Liturgie, die Rituale, die Hierarchien
waren mir sehr vertraut und
niemals fremd. Daher denke ich, für
meine Gespräche war dieses Wissen
vielleicht von Vorteil. Manchmal ist
es allerdings auch toll, wenn man
ganz naiv und ohne eigene Haltung
in eine Situation hineingeht.
Interview: Gerd Henghuber
Tipp
Die performative Lesung mit Auszügen
aus den Gesprächen in den
beiden Gemeinden finden Sie auf
www.altschwabing-katholisch.de/
residency
73
W WIE WANDLUNG –
IT‘S A KIND OF MAGIC!
Was bedeuten unsere
Formen und Inhalte
wirklich?
Katholisch-sein ist ein
weiters Feld, das viele
verschiedene Ausdrucksweisen
und Zugänge zum
Glauben zulässt. In diesem
Heft haben wir uns
in unserer Rubrik „Katholisch
für (Wieder-)Anfänger
etwas besonders
Magisches vorgenommen.
Von Martin Jarde
Ist es Zauberei? Da hebt der Priester
während der Messe eine Oblate in die
Höhe und wenn er die Hände sinken
lässt, ist aus dem Stück Brot Christus
geworden. Der Priester also ein Magier,
der durch eine Initiation (=Priesterweihe)
und die richtige Formel (=eucharistisches
Hochgebet) Brot und Wein in
Leib und Blut Christi verwandelt?
Die Magie der Liebe Gottes
Nein, mit Zauberei hat das Geschehen
am Altar nichts zu tun – und
doch ist es eine Art Magie. Es ist die
Magie der Liebe Gottes.
74
Katholisch für (Wieder-)Anfänger
Denn neben der Wandlung von Brot
und Wein geht es auch um die Verwandlung
meines eigenen Lebens.
Wenn ich eine Hostie in die Schale
lege, dann lege ich all das hinein,
mit dem ich in die Kirche gekommen
bin: die Gedanken, die mich umtreiben,
meine Ängste, meine Schuld,
meine Trauer, aber auch meine Freude
und meine Dankbarkeit. All dies
wird während der Gabenbereitung
aus der Mitte – und in St. Ursula von
– der Gemeinde nach vorne auf den
Altar gebracht.
„Wenn wir unsre Gaben bringen,
bringen wir uns selber dar.“
Die Wandlung beginnt nicht erst,
wenn der Priester unter Glockengeläut
Brot und Wein in die Höhe hält.
Die Wandlung beginnt tatsächlich
schon vor der Heiligen Messe. Die
meisten Gottesdienstbesucher werden
ihn kennen: den flachen hölzernen
Teller mit den Hostien, der neben
den goldenen Schalen auf dem
Tisch im Mittelgang von St. Ursula
steht. Viele sind der Meinung, dass
sie da eine Hostie in die Schale legen,
damit später bei der Kommunion
auch genügend vorhanden sind.
Sozusagen eine Sparmaßnahme der
Kirche, um nicht zu viele Hostien zu
weihen. Doch weit gefehlt!
Sehr schön kommt dies im Lied 732
aus dem Gotteslob von Kathi Stimmer-Salzeder
zum Ausdruck: „Wenn
wir unsre Gaben bringen, bringen wir
uns selber dar. Was wir sind und mit
uns tragen, legen wir auf den Altar.“
Der Priester bittet dann in unser aller
Namen um den Geist Gottes, dass
er auf die Gaben auf dem Altar herabkommen
und sie heiligen möge
– denn nicht Menschen können die
Wandlung „machen“, sondern nur
die Kraft Gottes. Das Leben jedes
einzelnen Menschen sowie die ganze
Gemeinde wird durch die Liebe Gottes
auf dem Altar gewandelt.
Ganz wichtig ist, dass wir nicht gezwungen
werden uns zu ändern. Verwandlung
bedeutet eben nicht eine
von außen erzwungene Verände-
75
BLICKPUNKT.
rung. Verwandlung geschieht von innen
her. Gott bietet uns seine Liebe,
seine Unterstützung an. Er streckt
uns seine Hand entgegen. Ob wir sie
ergreifen und uns von seiner Liebe
ergreifen lassen, liegt ganz bei uns.
Wenn man bei Gott rumhängt, färbt
der Typ auch irgendwie ab
Kehren wir gedanklich nochmals zum
Geschehen am Altar während des eucharistischen
Hochgebets
zurück. Wann
kommt Christus
denn nun genau
in die
H o s t i e n
hinein? Zu
welchem
Zeitpunkt
wird aus
Brot und
Wein Leib
und Blut
Christi? Das
Lexikon für
Theologie und
Kirche (LThK) sagt
dazu, dass dies passiert,
wenn der Priester die sogenannten
Herrenworte spricht, also
„Nehmet und esset alle davon: das
ist mein Leib; der für euch hingegeben
wird.“ Das LThK sagt aber auch,
dass die Wandlung nicht im Zentrum
der Eucharistie steht. Es geht nicht
in erster Linie darum, wie aus Brot
und Wein Leib und Blut Christi wird
(dies wird immer ein Mysterium bleiben),
sondern es geht darum, dass
Christus wirklich und wahrhaftig bei
uns ist.
It‘s a kind of magic: Von dem amerikanischen
Franziskanerpater Richard
Rohr stammt sinngemäß der
Satz: „Wenn man lange genug bei
Gott rumhängt, färbt der Typ auch irgendwie
ab.“ Menschen, die sich gut
kennen, „färben aufeinander ab“,
man übernimmt Dinge vom anderen.
Wenn man bei einem „rumhängt“,
der von sich sagt: „Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das
Leben“, dann färbt das
ab – verwandelt einen
mit der Zeit.
Die Wandlung
beginnt schon
vor dem Gottesdienst.
Man
könnte auch sagen,
die Wandlung
zieht sich
durch das ganze
Leben eines Christen
– von der Taufe
an. Immer dann, wenn
wir uns von Christus berühren
lassen, ihn auf unser Leben
abfärben lassen. Immer dann,
wenn wir – theologisch gesprochen
– „christusähnlicher“ werden, verwandelt
sich unser Leben.
Die Wandlung ist keine Zauberei.
Sie ist eine Art Magie, die im Leben
einer jeden Christin und eines jedes
Christen passiert. Jeden Tag, an jedem
Ort. Wir müssen es nur zulassen.
76
Katholisch für (Wieder-)Anfänger
Z WIE ZIBORIUM –
MEHR ALS NUR KELCH
Von Miriam Schmucker
Dieser Kelch gehört zur Wandlung,
kommt irgendwann herbei und verschwindet
dann wieder. Manchmal
schaut der Pfarrer hinterher und verneigt
sich, wenn sich der Vorhang
wieder schließt und der Schlüssel
sich im Tabernakel dreht. Wie das
Ding heißt?
Ich hatte keine Ahnung, und das
rächte sich, als ich eines Sonntags
den Lektorendienst in der 11-Uhr-
Messe in St. Sylvester übernahm.
Zelebrant war Prof. Dr. Michael Bordt
SJ, der mich bat, nebst der Lesung
ein paar weitere Aufgaben zu übernehmen.
Zum Beispiel das Ziborium
holen. Das was? Peinlich berührt erwiderte
ich, dass
mir jetzt nicht
so recht klar sei,
wovon denn die
Rede sei? Eben
katholisch für Anfänger
…
Glücklicherweise nahm mich der
Mesner sofort unter seine Fittiche
und zeigte mir, wann und wie ich
meines neuen Amtes walten musste.
Stolz und vermutlich mit aufgeregten
roten Wangen trug ich den Hostienkelch
zum Altar.
Mit einem Mäntelchen aus Seide
Inzwischen weiß ich, dass der Name
vom lateinischen cibus kommt – Speise
– obwohl es meistens die Form eines
Kelchs hat. Das Ziborium soll mit
einem Mäntelchen aus weißer Seide
(velum) umhüllt sein, um anzuzeigen,
dass darin die bereits konsekrierten
(in einer anderen Messe bereits geweihten)
Hostien aufbewahrt werden.
Jetzt weiß auch ich Bescheid!
Ziborium im Tabernakel
von St. Ursula
GUTES LICHT MERKT
MAN NICHT SOFORT
Wie die Beleuchtung der Kuppel von St. Ursula entstand
Wieland Müller-Haslinger arbeitet
als Lichtdesigner für Schauspiel,
Oper, Ballett und Tanztheater sowie
für Museen und Ausstellungen. Seit
1998 ist er Beleuchtungsmeister am
Staatstheater am Gärtnerplatz. Eine
Kirche allerdings hatte er noch nie
beleuchtet. Und dann ist St. Ursula
auch noch seine Kirche.
Kein einfaches Unterfangen …
Foto mit freundlicher Genehmigung
von Stephan Rumpf
BLICKPUNKT.
Wie kamen Sie zum Licht? Sind Sie
zu Hause der große Dimmer und
Spot-Setzer?
Eigentlich überhaupt nicht! Ich habe
Theaterwissenschaft und Germanistik
studiert und dann während meines
Studiums als Beleuchter im Theater
gejobbt. Irgendwie bin ich dann
vom Beleuchten nicht mehr weggekommen.
Mich hat immer schon der
Zauber einer Lichtsituation, die Stimmung
des „Augen“-Blicks fasziniert.
Später habe ich die Ausbildung zum
Beleuchtungsmeister nachgeholt.
Was ist gutes Licht im Theater?
Wenn es nicht sofort auffällt. Man
kann schon auch starke Effekte setzen,
aber dann ist es entweder richtig
gut oder sehr schlecht. Die wahre
Kunst beim Licht liegt darin, dass es
selbst in den Hintergrund tritt und
dafür anderes zum Vorschein bringt.
Gilt das auch für Ihre Lichtinstallation
an der Kuppel von St. Ursula?
Definitiv ja. Ich habe hier bewusst
versucht, die Architektur in den Vordergrund
zu stellen und nicht den
Lichteffekt.
Wie haben Sie das gemacht?
Die Idee dafür war mir relativ schnell
klar, nachdem ich mir die Kuppel genau
angesehen hatte: die entscheidenden
Teile sind die Rundbögen
und das Sims, alles in Sandstein, der
sich von den Ziegeln des Gebäudes
deutlich abhebt. Mit den acht mal
drei Rundbögen in vollkommener
Symmetrie hat der Architekt August
Thiersch Ende des 19. Jahrhunderts
etwas Wunderbares geschaffen. Ich
wollte genau das betonen – und
nichts anderes.
Was also nicht?
Nicht die dahinterliegende Backsteinwand,
denn wieso sollte man
die anleuchten, das ganze Gebäude
besteht aus Backstein. Auch nicht
die Fensterflächen, denn Fensterflä-
Kuppel
chen von außen zu beleuchten hat
überhaupt keinen Effekt, sie verschlucken
oder spiegeln das Licht,
das ist nur hässlich.
Etwas nicht zu beleuchten - das ist
eine eher ungewöhnliche Herangehensweise
für einen Beleuchter,
oder?
Eigentlich gar nicht, denn genau das
machen wir am Theater. Andererseits
haben Sie Recht, Sie brauchen ja nur
durch die Stadt zu gehen und Sie
sehen nachts die absonderlichsten
Lichteffekte: der Turm der TU innen
blau beleuchtet, die Markuskirche in
Rot. Bei der Allianzarena leuchtet mir
die Farbe ja ein, aber ich frage mich:
nur weil heute mit LED-Leuchten fast
alles ganz unkompliziert geht, wieso
muss man das alles auch machen?
Ihre Antwort?
Wenn Licht keine Bedeutung hat,
keine eigene Aussage, keinen Grund,
warum es so ist, wie es ist, und nicht
anders, dann finde ich es wertlos.
Was bedeutet das für die Kuppel
von St. Ursula, wie sind Sie da vorgegangen?
Ich hatte mir nach der Turmsanierung
Gedanken über die Glockenstube
auf dem Turm gemacht. Da sah
man nachts ein furchtbares Durcheinander,
Taubennetze, Holzbalken,
Metallstreben, Einbauten, erleuchtet
von vier einfachen Baustrahlern.
Nicht einmal die Glocken waren richtig
zu erkennen. Dabei ist der Turm
von sehr vielen Perspektiven aus zu
sehen, man kann sagen, er ist die
Krone Schwabings. Und der schönste
Teil daran ist die Glockenstube mit
den Sandsteinbögen in dem ansonsten
recht schmucklosen Turm. Die
müsste man betonen, dachte ich mir.
Wie kamen Sie dann vom Turm zur
Kuppel?
Weil wir während der Umbau-Bauarbeiten
das Gerüst stehen hatten und
dadurch eine einmalige Gelegenheit,
in den äußeren Umgang zu gelangen.
Pfarrer Theil sprach mich an
und schlug eine Außenbeleuchtung
vor. Deswegen bin ich hochgestiegen
und machte einige Abende lang
Beleuchtungsversuche.
Was genau?
Mir war klar, wir müssen den Sandstein
bestrahlen und die Symmetrie
des Oktogons betonen. Das war in
der Umsetzung nicht einfach: die
Leuchten mussten der Architektur
folgend symmetrisch angeordnet
werden, das Kernlicht von innen
nach außen Säulen und Rundbögen
treffen, Streulicht sollte möglichst
vermieden werden. Die passende
Lichtfarbe war zu wählen, die den
Sandstein natürlich erscheinen lässt
und die ohnehin roten Ziegelwände
dahinter nicht zu rötlich verstärkt.
Aber das war alles erst die halbe
Miete.
81
BLICKPUNKT.
Wie meinen Sie das?
Licht macht man nicht theoretisch,
sondern nur durch Ausprobieren.
Und dazu gehört das Handwerkliche:
wie und wo befestigen wir die
Leuchten da oben so, dass sie genau
den Effekt erzielen, den wir wollen?
Und wie halten wir sie so lange so
flexibel wie möglich, können sie also
immer wieder verschieben – bis das
endgültig passt. Das ist ein Grundsatz
im Theater, den ich auch auf der
Kuppel umsetzen musste, nur wusste
ich nicht wie.
Wie ist es Ihnen gelungen?
Nicht mir. Gusti Prufer hatte die entscheidende
Idee. Er entwickelte eine
Halterung für die Leuchten, die sich
auf schwere Gehwegplatten montieren
ließ. Diese haben wir in den
äußeren Umgang gebracht und so
lange hin und hergeschoben, bis der
Effekt gepasst hat.
Klar, bis vor wenigen Jahren hätte
man den gesamten Umgang mit
Leuchtstoffröhren ausgelegt oder
heutzutage mit einer LED-Leiste.
Aber das hätte in seiner Flächigkeit
mit einem Riesen-Streuanteil alles
Mögliche beleuchtet und nicht nur
das, was ich beleuchtet haben wollte,
worauf ich das Licht konzentrieren
wollte. Wir sind hier ja nicht auf
einer Messe, in einem funktionalen
Zweckbau oder in einem Showroom,
sondern wir wollen einem historischen
Bauwerk nachts zu seiner
eigenen Schönheit verhelfen.
Ist das gelungen?
Gehen Sie bitte nachts doch mal die
Friedrichstraße von der Georgenstraße
in Richtung St. Ursula. Am Ende
der Straße war bis vor kurzem ein
schwarzes Loch. Plötzlich ist hier ein
strahlender Abschluss.
Was für eine Botschaft teilt die von
Ihnen beleuchtete Kirche dem Stadtviertel,
den Menschen mit?
Seht her, das ist unsere Kirche. Wir
sind mitten in der Stadt. Selbstbewusst
ja, aber vor allem wie von innen
heraus leuchtend, anstatt angestrahlt
zu werden. Offen, einladend.
Das hört sich ganz schön aufwändig
an, hätte es dafür heutzutage nicht
einfachere lichttechnische Lösungen
gegeben?
82
Wenn das der Eindruck ist, den die
Beleuchtung macht, dann ist sie gelungen.
A propos, um wieviel Uhr wird das
Licht angemacht?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Jeden
Tag ist das anders. Wir haben
eine astronomische Uhr aufgeschaltet,
die schaltet eine halbe Stunde
vor Sonnenuntergang ein und eine
halbe Stunde nach Sonnenaufgang
wieder aus.
Wieso das?
Weil wir den Anknips-Effekt nicht wollen.
Das wäre ein Effekt ohne Sinn.
Licht anmachen wie ein Zauberer,
was wollten wir damit ausdrücken?
Stattdessen soll der Übergang vom
Tag zur Nacht an der Kuppel unmerklich,
gleichmäßig vor sich gehen. Den
Effekt benutze ich auch im Theater:
Die unmerklichen Lichtwechsel sind
die stärksten, und zwar dann, wenn
man sie hinterher bemerkt.
Ist so eine Beleuchtung in Zeiten
von Klimaschutz und Friday for Future
noch zeitgemäß?
Ich denke schon, wir haben da oben
24 Leuchten von je 12 Watt installiert,
das sind in Summe weniger als
300 Watt für die ganze Kuppel. Damit
haben Sie früher ein Wohnzimmer
beleuchtet.
Ganz schön viel Leistung in den modernen
Lampen?
Ja, und damit muss man als Licht-Designer
sehr verantwortlich umgehen.
Osram hat ja die Sixtinische Kapelle
neu beleuchtet, sie ist für meine Begriffe
ziemlich grell geworden. Das
kann man auf der einen Seite gut finden,
aber ich frage mich: konnte sich
Michelangelo das so vorstellen? Er
hat damals unter Kerzenlicht gemalt
und hat seine Kunst wahrscheinlich
genau auf die ihm bekannten Lichtverhältnisse
ausgerichtet und nicht
auf zukünftige Möglichkeiten.
Interview: Gerd Henghuber
83
BLICKPUNKT.
KIRCHE MIT KINDER-
AUGEN GESEHEN
Im Pfarrverband gibt es viele Aktivitäten für Kinder, zahlreiche
Haupt- und Ehrenamtliche machen sich Gedanken darüber, wie
man Kirche und Religion adäquat vermittelt. Doch wie sehen
die Kinder ihrer Kirche? Wir haben drei Mädchen und einen
Jungen aus Sankt Sylvester um ihren Blick gebeten. Es lohnt
sich, genauer hinzusehen …
84
Katharina Schmid
Kinderkirche
Johanna Köllnberger
Lukas Köllnberger
Emilia Mitschke-Collande
BLICKPUNKT.
„ATTRAKTIVES
ANGEBOT“
Heimar Tombergs zählt seit Jahren
den Kirchenbesuch in St. Ursula. Der
ist seit den 70er-Jahren – wie überall
– deutlich zurückgegangen. In den
letzten zehn Jahren aber sogar wieder
gestiegen, trotz Missbrauchsdiskussion
und Austritten. Woran liegt das?
Immer weniger Menschen gehen
sonntags in die Kirche, stimmt das?
Bei uns eigentlich nicht. Ich zähle
ja schon viele Jahren, immer im November,
und wir haben seit langem
konstant 300 bis 350 Besucher zusammen
im Samstagabend- und im
Sonntagsgottesdienst. Unsere Kirchgänger
sind vom Alter her ziemlich
gemischt. Es kommen sehr viele Familien
mit Kindern und auch Leute
mittleren Alters.
Woran liegt das? Ihre Einschätzung?
Es hört sich blöd an, aber wir haben
ein attraktives Angebot: die Gemeinde
ist sehr engagiert, es herrscht ein offenes
Klima, und wir haben einen sehr
guten Pfarrer. Deshalb kommen auch
viele von anderen Pfarreien zu uns.
Was heißt das für Sie: ein guter
Pfarrer?
Ich finde, unser Pfarrer zelebriert
sehr schön und würdevoll, er predigt
gut, immer frei, und er ist ein geborener
Seelsorger. Ich mag es, dass er
immer wieder auch die Kirche mahnt,
vor der eigenen Haustür zu kehren.
Galt das auch für die früheren
Pfarrer?
Ja, unsere Pfarrei galt immer schon
als liberal, offen, auch mit einem
gewissen Anspruch an den Gottesdienst.
Die beiden früheren Pfarrer
Apfelbacher und Lippold waren zwar
sehr unterschiedliche Typen, sie waren
aber beide sehr gute Pfarrer, die
die Gemeinde und den Ruf von St.
Ursula in der Stadt geprägt haben.
Manches, was wir über Jahrzehnte
eingeübt hatten, musste auch unser
jetziger Pfarrer akzeptieren, weil es
die Gemeinde so haben will.
86
Gemeinde
Zählt dazu auch, dass die Kirchgänger
sehr spät zum Gottesdienst
kommen?
(Lacht.) Vielleicht. Es stimmt aber:
zum Einzug ist höchstens die Hälfte
rechtzeitig da, die anderen trudeln
nach und nach ein. Wir hatten früher
die Messe um 10:00 Uhr und haben
sie damals wegen der Langschläfer
extra auf 10:15 gelegt. Das hat gar
nichts gebracht, die Leute schlafen
einfach länger.
Gehen viele früher?
Nein, fast gar keine. Bis zur Kommunion
bleiben alle da und nur
ganz wenige verschwinden vor dem
Schlusssegen. Schon gar nicht am
Samstagabend. Da kommen viele
wegen des Weihrauchrituals am
Ende, das der Pfarrer von St. Bonifaz
mitgebracht hat. Das gefällt vielen
sehr, die Weihrauchsäule in der Kirche,
das schöne Lied, ein festlicher
Einstieg in den Sonntag.
Interview: Gerd Henghuber
Gottesdienstbesucher St. Sylvester
Jahr
Katholiken
Besucher
absolut
Besucher
relativ
2019
2009
1989
1980
1970
2.952
3.340
5.700
6.500
8.700
325
287
493
643
1.319
11%
8,6%
8,6%
9,9%
15,2%
Gottesdienstbesucher St. Ursula
Jahr
Katholiken
Besucher
absolut
Besucher
relativ
2019
2009
1989
1980
1970
5.175
5.866
7.830
15.000
17.000
420
378
650
1.309
2.655
8,1%
6,4%
8,3%
8,7%
15,6%
87
BLICKPUNKT.
DAMIT GOTT NICHT
SO OFT VERGEBLICH
KLINGELN MUSS
Exerzitien im Selbsttest
Letzte Ausgabe war Blickpunkt-Redakteurin
Bastienne Mues das erste Mal
im Leben beichten. Diesmal hat sie
sich ins Kloster gewagt und Exerzitien
gemacht. Sie ist vor einigen
Jahren erst katholisch geworden und
will nun endlich wissen, was sich
hinter diesem umwobenen Begriff
verbirgt.
Unter geistlichen Exerzitien habe ich
mir bisher das Bild einer Gruppe von
Menschen vorgestellt, die vor einem
Kloster Kniebeugen macht. Beim genaueren
Nachdenken war mir klar,
dass es nicht um Gymnastik geht,
sondern um etwas anderes, mindestens
ebenso Anstrengendes. Aber um
was genau? Um das herauszufinden,
mache ich drei Tage Exerzitien in einem
bayerischen Benediktinerinnen-
Kloster, um meine Unbedarftheit als
katholischer Neuling zu tilgen.
Drinnen und draußen
Den ersten maßgeblichen Eindruck
hinterlässt die Klosterpforte: massives
Holz, breit und schwer, mit
Eisenbeschlägen, mittelalterlich (obwohl
das Kloster nur rund 100 Jahre
alt ist). Um Gehör zu finden, ziehe
ich den Glockenstrang – der Griff hat
die Form eines Kreuzes. Es ertönt ein
nachhallendes Läuten. Hier wird ein
Unterschied zwischen drinnen und
draußen gemacht. Wer vor der Pforte
steht, muss nachhaltig um Einlass
bitten.
Spiritualität
Drinnen werde ich von einer Schwester
in Empfang genommen, die in
den nächsten Tagen meine geistliche
Begleiterin sein wird und mich in die
Abläufe des Klosters einweist. Alles
ist klar strukturiert: Stundengebete
drei Mal am Tag: Laudes, Mittagshore,
Vesper, dazu jeweils davor oder
danach die Mahlzeiten. Jeden Tag ein
geistliches Gespräch. Ich bin froh,
dieses Gerüst wird mich tragen.
Sitzen, schauen, schweifen
Mein Zimmer nimmt mich warmherzig
auf, es ist schlicht und trotzdem
gemütlich, die großen Fenster geben
den Blick frei in den Hof auf einen
kahlen Baum. Erstaunlicherweise
reicht diese Kulisse, um mich zwei
Stunden bis zum Mittagessen ruhig
zu stellen. Sitzen, schauen, schweifend.
Da ich schweigen soll, gehe ich
für die Mahlzeiten in einen eigenen
kleinen Raum. Hat was, man muss
sich zu niemanden verhalten. Ich
werde bedient, das Essen wird appetitlich
in schönem Geschirr serviert,
großmütterlich Suppe, Salat, Hauptspeise
und Nachspeise.
Im Anschluss die Mittagshore. Jeder
Gottesdienst hat sein eigenes Buch
mit den jeweiligen Texten, die laut
gelesen und gesungen werden. Ich
werde in diesen drei Tagen viele
Psalmen hören und ganz von deren
Sinnlichkeit und Wortmächtigkeit
berührt. Großer Trost umfängt mich:
„Ich harrte des Herrn, und er neigte
sich zu mir und hörte mein Schreien.
Er zog mich aus der grausigen
Grube, und aus lauter Schmutz und
Schlamm, und stellte meine Füße
auf einen Fels, dass ich sicher treten
kann.“
Meine Lieblingsregel: nicht murren!
Langsam tauche ich in das klösterliche
Leben ein, studiere die Regel
des Heiligen Benedikts (am liebsten
mag ich „Nicht murren!“) und gehe
spazieren.
Die eigentliche Offenbarung kommt
am zweiten Tag: Die Schwester gibt
mir den Auftrag drei Mal am Tag zu
beten: je 30 Minuten. Als Inspiration
bekomme ich ein Gebet von Romano
Guardini. Ich solle bloß nicht diesen
Text nur nachbeten, sondern mich
vielmehr von einzelnen Zeilen, ja
Wörtern berühren lassen und diesen
Impulsen dann nachgehen.
Es wirkt! Ich kann ihn hören!
Was soll ich sagen, es hat gewirkt.
Es war die Zeile: „Immerfort blickt
dein Auge mich an, und ich lebe aus
diesem Blick.“ Ich bin mir selbst begegnet
und habe in mein Herz gesehen.
Dabei habe ich vieles begriffen:
Gott ist vielleicht auch im Himmel,
aber eigentlich ist er in mir. Er will
mit mir sprechen. Doch ich höre ihn
oft nicht. Im Gebet fange ich an, seine
Stimme zu vernehmen. Das war
schon immer sein Wunsch an uns:
Höre Israel, damit leitet Gott seine
zehn Gebote ein. „Schma Jisrael,
höre Israel, der HERR ist unser
89
BLICKPUNKT.
Gott, der HERR allein.“ Beim Heiligen
Benedikt heißt es: „Höre! Und neige
das Ohr deines Herzens. Der Herr
steht davor und bittet um Einlass.“
Gott klingelt oft vergeblich
Und ich verstehe noch mehr. Ich
sehe die massive Klosterpforte, davor
ein karger Warteraum. Nicht wir
Menschen sitzen da etwa und warten,
dass Gott uns endlich erhört,
nein, dort sitzt Gott und wartet auf
uns. Er klingelt, aber wir haben oft
keinen Pförtner beauftragt, ihm zu
öffnen, wir haben es vergessen. Er
wartet da geduldig auf seine Gelegenheit
und bittet uns um Einlass.
Wenn wir beten, dann hören wir, wie
er läutet und bittet. Dann machen
wir ihm auf, lassen ihn herein und
hören ihm zu. Und dann heilen wir.
Aber da wir gefallene Engeln sind,
schweifen wir bald wieder ab. Das
Paradies entfleucht uns. Und aufs
Neue setzt man sich hin zum Gebet
und HÖREN.
Ich bin meinen Gastgeberinnen zu
größtem Dank verpflichtet, mir diese
Erkenntnis ermöglicht zu haben.
Aber: Wie lange wird es diese Orte
noch geben? Machen wir uns nichts
vor, Klöster sterben aus. Ist den
Menschen klar, welchen einzigartigen
Schatz sie verlieren? Es gibt nichts
Entsprechendes, keine anderen Orte,
wo sich Spiritualität, Kunst und Kultur,
Demut, Ruhe, Metaphysik, Geist
und Intellekt, Liturgie, Mystik, Gastfreundlichkeit
so sehr verdichten.
Herzzerreißend waren die Gottesdienste
für mich, traten die meisten
Schwestern auf wackligen Beinen
oder am Stock vor ihren Herrn. Enden
möchte ich daher mit den letzten
wehmütigen Worten des großen
Apokalyptikers unserer Zeit – Michel
Houellebecq – aus seinem Buch Serotonin:
„Und heute verstehe ich den
Standpunkt Christi, seinen wiederkehrenden
Ärger über die Verhärtung
der Herzen: da sind all die Zeichen,
und sie erkennen sie nicht. Muss ich
wirklich zusätzlich noch mein Leben
für diese Erbärmlichen geben? Muss
man wirklich so deutlich werden? –
Offenbar ja.“
Wie lange wird es solche Orte noch
geben?
90
91
BLICKPUNKT.
„ALLE MÜSSEN
SENSIBLER WERDEN“
Missbrauchs-Prävention steht ganz oben auf der
Agenda des Erzbistums – aber wie geht
das konkret in der Praxis?
Von Gerd Henghuber
Seit 2010 war öffentlich bekannt geworden,
dass sexueller Missbrauch
von Kindern und Jugendlichen
auch in Einrichtungen der Kirche in
Deutschland stattgefunden hat.
Den Anfang nahm die mediale Berichterstattung
durch den Jesuiten
Klaus Mertes, den damaligen Leiter
des Canisius-Kollegs in Berlin. Nachdem
sich ihm mehrere Altschüler
vertraulich als Missbrauchsopfer offenbart
hatten, machte er die Sache
öffentlich und richtete einen Brief an
die rund 600 Angehörigen der betroffenen
Jahrgänge aus den 1970er
und 1980er Jahren, der mit den Worten
endete: „Seitens des Kollegs
möchte ich (…) dazu beitragen, dass
das Schweigen gebrochen wird (…).
In tiefer Erschütterung und Scham
wiederhole ich zugleich meine Entschuldigung
gegenüber allen Opfern
von Missbräuchen durch Jesuiten am
Canisius-Kolleg.
92
Missbrauch
Mertes Vorgehen erforderte Mut und
rief auch innerkirchlich Kritik hervor.
Doch damit war der Damm gebrochen,
und auch im Erzbistum München
und Freising wurden zahlreiche
Fälle von Missbrauch bekannt,
etwa im Kloster Ettal. In der Diözese
identifizierte allein ein 2010 vom Erzbistum
beauftragtes unabhängiges
Gutachten für die Zeit von 1945 bis
2009 159 Priester, die wegen sexuellen
Missbrauchs von Minderjährigen
und anderen körperlichen Übergriffen
auffällig geworden waren, sowie
117 weitere kirchliche Mitarbeiter.
159 auffällige Priester im Erzbistum
bis 2009
Die Aufarbeitung wird seitdem kontinuierlich
weitergeführt. Erst kürzlich
hat das Erzbistum angekündigt,
einen neuen unabhängigen Bericht
in Auftrag zu geben, der benennen
soll, ob die Verantwortlichen rechtliche
Vorgaben sowie die Leitlinien
der Deutschen Bischofskonferenz
erfüllten und angemessen im Umgang
mit Verdachtsfällen und möglichen
Tätern handelten. Der Auftrag
umfasst den Zeitraum von 1945 bis
2019. Auf Anweisung von Kardinal
Reinhard Marx richtete das Ordinariat
bereits 2011 eine Koordinationsstelle
zur Prävention von sexuellem
Missbrauch ein, mit inzwischen fünf
Mitarbeitern.
Gabriele Seidnader ist eine von ihnen.
Die 48jährige Pastoralreferentin
arbeitet dort seit September 2019
Gabriele Seidnader, Koordinationsstelle
zur Prävention von sexuellem Missbrauch
der Erzdiözese München-Freising
mit einer halben Stelle. Ihre Hauptaufgabe
als Präventionsbeauftragte
sieht sie darin, Seelsorgerinnen und
Seelsorger, Angestellte sowie Ehrenamtliche
zu schulen. Im nächsten
Jahr wird die laufende Schulung aller
aktuellen Seelsorger abgeschlossen
sein, die aus einem E-Learning-Curriculum
mit 15-20 Stunden und zwei
Präsenzveranstaltungen besteht. Zugleich
werden in den Pfarreien Angestellte
und Ehrenamtliche geschult,
die Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen
haben. Bereits seit 2014
sind von allen Seelsorgern, Angestellten
und Ehrenamtlichen, die mit
Schutzbefohlenen arbeiten, erweiterte
Führungszeugnisse vorzulegen.
Kirchliche Einrichtungen der Kinder-,
93
BLICKPUNKT.
Jugendlichen-, Senioren- oder Behindertenarbeit
müssen ein Präventionskonzept
erstellen und entsprechende
Beauftragte benennen.
Schutz der Kinder höchstes Gut
„Ein erheblicher Aufwand, aber der
ist unabdingbar“, sagt Gabriele
Seidnader: „Es gibt kein wichtigeres
Gut als den Schutz der Kinder und
Jugendlichen.“ Rückblickend habe
man feststellen müssen, dass früher
manchen Verdachtsmomenten nicht
nachgegangen oder Taten bewusst
verdeckt worden seien, weil man
die Institution Kirche schützen habe
wollen. „Genau das hat Missbrauch
begünstigt.“ Und das habe es für
die Betroffenen auch so schwer gemacht,
denn die Täter seien in den
meisten Fällen in den Gemeinden
geachtete Personen gewesen.
Dinge sehen und ansprechen wollen
Aus der Aufarbeitung der Fälle habe
man, so Seidnader, gelernt, wie
wichtig ein Klima der Offenheit sei
für die Prävention von Missbrauch.
Wenn in den Pfarreien, Schulen, Verbänden
allgemein Kritik nicht offen
geübt werden könne, dann dürfe
man nicht erwarten, dass das gerade
bei dem sensiblen Thema Missbrauch
anders sei. „Wir müssen also
generell eine offene Gesprächskultur
pflegen und speziell für das Thema
Missbrauch sensibler werden, hinschauen,
Dinge auch sehen wollen
und sie ansprechen, auch wenn das
Mut erfordert“, sagt sie. Allerdings
brauche es für erfolgreiche Prävention
auch eine Gesellschaft, die das
Thema Missbrauch hören wolle und
darüber sprechen könne. „Dass wir
heute damit viel offener umgehen
können als früher, ist ja nicht nur in
der Kirche der Fall, sondern in der
gesamten Gesellschaft.“
Was aber tun bei einem konkreten
Verdacht gegen einen kirchlichen ehren-
oder hauptamtlichen Mitarbeiter?
Wenn sich ein Kind oder ein Jugendlicher
diesbezüglich jemandem
anvertraut, dann gelte es, so Seidnader,
Ruhe zu bewahren, zuzuhören,
und die externen Missbrauchsbeauftragten
im Erzbistum zu informieren
(Kontakt am Ende des Artikels).
Darüber hinaus könnten die Beauftragten
für Prävention in der Pfarrei
zu Rate gezogen werden und unterstützen.
Wesentlich schwerer sei es,
Missbrauch zu erkennen, wenn er
nicht angezeigt oder angesprochen
werde. Schließlich könne es viele
Ursachen haben, wenn sich Kinder
plötzlich stark zurückzögen, aggressiv
würden, manchmal gegen sich
selbst, sagt Seidnader.
Prävention beginnt bei kleinen
Grenzverletzungen
Deshalb legen sie und ihre Kollegen
in den Schulungen einen wichtigen
Fokus auf Übergriffigkeiten und
Grenzüberschreitungen vor einem
sich möglicherweise anbahnenden
Missbrauch. „Das geschieht ja meist
nicht aus heiterem Himmel, sondern
94
Missbrauch
immer in einem Beziehungsgeschehen.“
Sie nennt als Beispiel ein Zeltlager
der Ministranten. „Ein Kind hat
sich verletzt und kommt weinend auf
den Leiter zu. Darf man das Kind in
den Arm nehmen? „Für mich ist immer
die Frage, wer braucht es gerade,
dass das Kind in den Arm genommen
wird: das Kind oder der Leiter,
um es zu trösten?“. Das heiße also
konkret: „Kommt das Kind auf den
Leiter zu und sucht aus seiner Bewegung
heraus die Nähe, braucht man
es nicht abzuweisen, aber die Initiative
dazu muss klar von dem Kind
ausgehen.“ Solche Themen müssten
alle relevanten Gruppen ansprechen
und für sich einen Verhaltenskodex
aufstellen – unter Einbeziehung der
Kinder. „Ziel muss es sein, dass die
Kinder bei der Aufstellung der Regeln
miteinbezogen sind.“
Hinzu komme eine weitere Erkenntnis
aus der Arbeit mit den Opfern:
„Wir müssen Übergriffigkeiten benennen,
auch die sexuellen.“ In der
Vergangenheit sei manch Betroffener
daran gescheitert, dass er für das
Geschehene einfach keine Worte gefunden
habe. „Daher ist es ein wichtiger
Punkt, dass definiert ist, wie
wir miteinander umgehen und dass
Grenzüberschreitungen benannt
werden können“, betont Seidnader,
„denn nur das, was man benennen
und ansprechen könne, mit dem
könne man auch umgehen.“
Ansprechpartner Prävention
Koordinationsstelle zur Prävention
von sexuellem Missbrauch
E-Mail: koordinationsstelle-praevention@eomuc.de
Website: www.erzbistum-muenchen.
de/im-blick/Missbrauch-und-Praevention
Pfarrverband Altschwabing
Monika Roth
Pastoralreferentin
Telefon: 089-3837703
E-Mail: praevention@altschwabing-katholisch.de
Bischöfliche Beauftragte für die Prüfung
von Verdachtsfällen (extern)
Dipl. Psychologin Kirstin Dawin
St. Emmeramweg 39
85774 Unterföhring
Tel.: 089 / 20 04 17 63
E-Mail: KDawin@missbrauchsbeauftragte-muc.de
Dr. jur. Martin Miebach
Pacellistraße 4
80333 München
Tel.: 0174 / 3 00 26 47
E-Mail: Miebach@missbrauchsbeauftragte-muc.de
95
WICHTIGE KONTAKTE
IM PFARRVERBAND
Organisation | Ansprechpartner | Kontakt
Pfarrverband Altschwabing
Kaiserplatz 1, 80803 München
www.altschwabing-katholisch.de
Seelsorgeteam:
G.R. David W. Theil
Pfarrer von St. Ursula und St. Sylvester,
Leiter des Pfarrverbandes
Altschwabing, Dekan des Dekanats
München-Innenstadt
Pastoralreferentin Monika Roth
Pastoralreferent Michael Steinbacher
Seelsorgsmithilfe: Pfarrer i.R. G.R.
Thomas Schwaiger, Prof. Pater Dr.
Michael Bordt SJ
Pfarrbüros:
St. Ursula, Kaiserplatz 1,
80803 München
Tel. 089 / 38 37 70-3
st-ursula.muenchen@ebmuc.de
Pfarrsekretärin und Dekanatssekretariat
Maria Fellner
Buchhalterin
Elisabeth Funk
St. Sylvester, Biedersteiner Straße 1,
80802 München
Tel. 089 / 33 00 74-3
st-sylvester.muenchen@ebmuc.de
Pfarrsekretärin
Martina Kurz
Kirchenmusiker
St. Ursula: Martin Schwingshandl
schwingshandl@altschwabing-katholisch.de
St. Sylvester: Andreas Behrendt
behrendt@altschwabing-katholisch.de
Gremien
Kirchenverwaltungen
Kirchenpfleger in St. Ursula: Tobias
Gebhard
Kirchenpfleger in St. Sylvester und
Verbundspfleger für den Pfarrverband:
Dr. Paul Siebertz
Pfarrgemeinderäte
Vorsitzender St. S.: Marcel Renneberg
Vorsitzende St. U.: Stefanie Kelly
Weitere Kontakte
Caritas-Haus St. Nikolaus
Osterwaldstr. 25, 80805 München
Tel. 089 / 18 95 09-0
st-nikolaus@caritasmuenchen.de
Seelsorge: Diakon Werner Schmidt
/ PR Sigrid Albrecht
Heimleiter: Friedrich Schwarz
Caritas München Mitte
Gemeindeorientierte Arbeit, soziale
Beratung
Hiltenspergerstr. 80, 80796 München
Tel. 089 / 30 00 76 53
Monatliche Außensprechstunde in
den Pfarrämtern ohne Voranmeldung
für Menschen in sozialen
Schwierigkeiten: Dipl. Soz.-päd.
(FH) Monika Jörg-Müller
Denken & Beten
Eucharistiefeier in St. Sylvester von
einem Team der Jesuiten der Hochschule
für Philosophie
Pater Prof. Dr. Michael Bordt SJ
96
www.hfph.de/impulse/denken-beten
Förderverein Mittags- und Hausaufgabenbetreuung
Wilhelmschule Sankt Ursula
Wilhelmstr. 29, 80801 München
Christian Kehl, Vorstand
Tel. 0160 / 94 63 19 85
Gemeinschaft Sant’Egidio München:
Biedersteiner Str. 1, 80802 München
Ansprechpartnerin: Ursula Kalb
Tel. 089 / 386 67 68-11
info@santegidio-muenchen.de
Katholische Frauengemeinschaft
Deutschlands (kfd) in St. Ursula
Ansprechpartnerinnen: Elisabeth
Prufer / Helga Seeberger
kfd-st-ursula@mnet-online.de
Kinderbibelgarten St. Ursula
Dr. Maria Grienberger-Zingerle /
Svenja Ritzer / PR Michael Steinbacher
Ministranten St. Sylvester
Oberministrant: Maximilian Dittmann
Ministrantinnen St. Ursula
Leiterrunde: Benedikt Breil,
Emma Brüggemann, Julia Quarg,
Moritz Quarg, Carlotta v. Sperber,
Nachmittag der Begegnung
(Spielenachmittag)
in St. Ursula
Leitung: Hilde Fischer/Hannes Rose
Kontakt über Pfarrbüro St. Ursula
Pfadfinder St. Sylvester
DPSG Stamm Swapingo
post@swapingo.de
Pfadfinder St. Ursula
DPSG Stamm Pater-Rupert-Mayer
info@stamm-prm.de
Seniorengemeinschaft St. Sylvester
Leitung: N.N.
Kontakt über Pfarrbüro St. Sylvester
Senioren- /Folkloretanz in St. Ursula
Leitung: Irena Brózda
Tel. 089 / 41 15 58 61
irena.brózda@googlemail.com
Tanzgruppe Ursoaica
Leitung: Gertrud Prem
Tel. 089 / 47 49 26
gertrud.prem@t-online.de
Verein für ambulante Krankenpflege
in der Pfarrei St. Sylvester
in München-Schwabing e.V.
Biedersteiner Str. 1, 80802 München
Kontakt über Pfarrbüro St. Sylvester
Verein für ambulante Krankenpflege
in der Pfarrei St. Ursula e.V.
Kaiserplatz 1, 80803 München
Vorsitzender: Gerd Henghuber
www.krankenpflege-schwabing.de
Service: Ambulanzstation
Bismarckstr. 30, Erdgeschoss
Tel. 089 / 45 21 70 40
97
Foto: Martin Jarde