M NEYMARKETS INTERVIEW „DIESER CRASH IST THE BIG ONE!“ THE DAY AFTER CORONA WAS KOMMT NACH DEM CRASH? Warum dieser Crash alles in den Schatten stellt, wie schlimm es noch wird und warum danach der ultimative Aufschwung möglich ist, erklärt „Mr. Dax“ Dirk Müller im exklusiven Interview 32 Foto: M. Ströter FOCUS-MONEY <strong>18</strong>/<strong>2020</strong>
SCHULDENORGIE SEITE 42 FOCUS-MONEY: Herr Müller, Sie haben ja schon lange vor dem Crash gewarnt, aber Corona konnte doch niemand voraussehen, oder? Dirk Müller: Ich bin kein Hellseher, aber ich versuche stets, soweit es realistisch möglich ist, vorauszuschauen. Und was jetzt passiert, habe ich schon 20<strong>18</strong> eins zu eins beschrieben. Ein großer Crash wäre auch ohne Corona gekommen. Das Virus kam jetzt nur als verschärfendes Element dazu. MONEY: Aber ohne diesen exogenen Schock wären die Kurse doch niemals so stark gefallen! Müller: Ein Crash war schon lange überfällig, es war nur eine Frage der Zeit, bis das Kartenhaus umkippt. Das System ächzt doch seit Jahren und das darf keinen Experten überraschen! Bei diesen Exzessen, man muss sich nur die enormen Schulden anschauen. MONEY: Was war für Sie der neuralgische Punkt, bei dem Sie gemerkt haben, dass die Stimmung endgültig kippen könnte? Müller: Diesmal war es tatsächlich zum ersten Mal sehr leicht absehbar. Vor der Finanzkrise war es auch abzusehen, dass uns diese Immobilienverbriefungen um die Ohren fliegen würden. FOCUS-MONEY <strong>18</strong>/<strong>2020</strong> Wir erleben gerade die größte Wirtschaftskrise in der Geschichte der Menschheit“ Aber es war nicht klar, wann es losgeht und wie heftig es dann wird. Bei Corona war die Situation in China für jeden in den Medien präsent – spätestens ab Mitte Januar. Wir wussten schon im Dezember, dass amerikanische Konzerne ihre Mitarbeiter mit Flugzeugen aus China rausgeholt haben. Trotzdem haben sich die Politiker hier noch hingestellt und verharmlost. MONEY: Aber ließ sich die Tragweite tatsächlich abschätzen? Müller: China ist das industrielle Herz der Welt, die Region um Wuhan im Südosten Chinas ist komplett zusammengebrochen. Das hat jeder gesehen, das ist keine Raketenwissenschaft! Dass das dramatisch wird wegen der Lieferketten für die weltweite Wirtschaft, war offensichtlich. Ich glaube, man kann jetzt sagen: Das ist „The Big One“. Das ist der große Crash, auf den ich gewartet habe. Wenn dieser Crash durch ist, dann haben wir wieder über viele Jahre Ruhe. MONEY: Wie schlimm kann es denn jetzt noch werden? Müller: So etwas hat es in der Weltgeschichte noch nicht gegeben. In meinem Buch „Machtbeben“ hatte ich geschrieben: Die nächste Krise liegt irgendwo in der Mitte zwischen der Finanzkrise 2008 und der Weltwirtschaftskrise 1929. 2008 ging es um 50 Prozent nach unten und 1929 sogar um 90 Prozent. Was wir jetzt erleben, ist eine Situation, die zum ersten Mal gefährlicher und kritischer ist als 1929. Damals ging es zwar um 90 Prozent nach unten, aber eben über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Und jetzt haben wir einen Kursverfall in wenigen Wochen gesehen. MONEY: Warum reagieren die Börsianer so extrem? Müller: Weil wir nicht nur eine Wirtschaftskrise erleben. Heute haben wir zum einen Angebotsschock. Das heißt: Es wird weder produziert noch ausgeliefert. Und zum anderen einen Nachfrageschock: Die Läden sind zu und die Leute könnten gar nichts kaufen, weil sie zu Hause sitzen. Und zu dem Ganzen kommt noch ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems durch die Pandemie. Diese Kombination hat es nicht mal 1929 gegeben Das bedeutet: Wir erleben jetzt die größte Wirtschaftskrise der Menschheitsgeschichte. Und das wird uns noch teuer zu stehen kommen. MONEY: Aber zuletzt sah es doch schon nach deutlicher Erholung aus. Die Corona-Zahlen ließen sich einbremsen und der Dax stieg zwischenzeitlich wieder deutlich über 10 500 Punkte. Ist das nur eine Bullenfalle? Müller: Es kann schnell hin- und hergehen. Wenn nur ein paar Käufer an den Markt kommen, geht es sofort steil nach oben. Wir erleben extrem dünne Märkte. Die Privatanleger merken das plötzlich daran, dass ihr Online-Broker nicht verfügbar ist. Dass die Internet-Leitungen zusammenbrechen oder der Broker per Telefon nicht zu erreichen ist. Das kann Sie Ihr ganzes Geld kosten. Vor allem können Anleger Gewinne nicht mitnehmen. Auch wenn Sie beispielsweise mit einem Optionsschein abgesichert sind und auf fallende Kurse gewettet haben und damit dick im Plus sind. Im Ernstfall kriegen Sie ihn einfach nicht los. MONEY: Aber bei einer so hohen Vola wie zuletzt muss doch genug gehandelt werden, oder? Müller: Wie leicht sich die Kurse bewegen lassen, habe ich mit meinem Fonds erlebt. Vor einigen Tagen haben wir eine kleine Position geändert, es ging um eine Absicherung. Damit haben wir den Euro-Stoxx-Future innerhalb von wenigen Minuten um drei Prozent bewegt. Das zeigt, wie ausgedünnt dieser Markt ist, wie wenig Käufer und Verkäufer momentan hier unterwegs sind. MONEY: Hand aufs Herz: Wie tief kann es noch nach unten gehen? Müller: Wenn in einem nächsten großen Schub noch mal Druck auf die Märkte kommt, können wir neue Tiefs sehen. Es könnte sogar noch schlimmer kommen: Es werden viele Aktien und Wertpapiere und Anlagen abverkauft – und es sind auf einmal keine Käufer mehr da. MONEY: Können dann auch die Börsen selbst kollabieren oder schließen sie vorher? Müller: Diese Gefahr halte ich diesmal für relativ hoch. Ich hätte mir das in den letzten Jahren nicht vorstellen können. Aber wenn es sich um einen dysfunktionalen Markt handeln sollte, dann wird eine Börse im Zweifel sagen: Die Börse funktioniert nicht mehr. Wir können keine Preise mehr stellen. Wir machen lieber zu. MONEY: Was passiert dann mit unserem Geld und unseren Aktien? Müller: Dann sieht es ganz gefährlich aus für die Anleger. Denn momentan hoffen viele noch, sie können mit dem Geld auf dem Konto einfach mal abwarten, bis es tief genug ist, um dann einzusteigen. Aber es könnte sein, dass die Market-Maker plötzlich keine Kurse mehr stellen. Das heißt, Sie haben vielleicht theoretisch dicke Gewinne, LASTENAUSGLEICH SEITE 40 33