Seniorenzeitung Weserbergland Nr. 40
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Seniorenzeitung Weserbergland Nr. 40 9. Mai 2020 Seite 8
Alltag im KB-Heim in schwierige Zeiten und kleine Lichtblicke
„Menschen werden ihrer Sozialkontakte beraubt“
In der Corona-Krise droht
vielen Seniorinnen und Senioren
in unseren Altenheimen
die Einsamkeit. Seit etwa
anderthalb Monaten besteht
ein Besuchsverbot in den
Pflegeeinrichtungen in ganz
Nordrhein-Westfalen. Das
bedeutet, es dürfen weder
Angehörige noch andere
Personen die Bewohner
besuchen oder mit ihnen
„nach draußen“ gehen. Auch
Menschen von außen, die
Aktivitäten ins Heimleben
eingebracht haben, mussten
ihre Aktivitäten stark einschränken.
„Damit reißt nicht
nur die Interaktionskette
zwischen Eltern und Kindern,
oder Großeltern und Enkeln
ab, sondern auch jegliche
anderen sozialen Kontakte
aus der Vergangenheit sind
plötzlich beendet worden,
wie beispielsweise zu Nachbarn
und Freunden aus dem
bisherigen Wohnumfeld der
älteren Menschen“, erklärt
Heimleiter Berno Schlanstedt
vom Konrad-Beckhaus-Heim
in Höxter.
Die allerwenigsten Bewohner
seien auch hier in der
Lage, diese Kommunikation
zu abstrahieren und in virtuelle
Kanäle zu verlagern
wie jüngere Menschen, mal
abgesehen von der oft fehlenden
Infrastruktur oder
Kenntnis darüber. Diese
Transformation überfordere
viele Pflegebedürftige auch
intellektuell, so der Heimleiter.
Die Kommunikation
erfolgt in den Pflegeeinrichtungen
in NRW nun seit dem
17. März 2020 ausschließlich
von Bewohner zu Bewohner
oder von Mitarbeiter zu
Bewohner. Eine Ausnahme
wird bei Palliativpatienten
gemacht, also sterbenden
Menschen. Bei Sterbenden
dürfen die Angehörigen
den Pflegebedürftigen unter
strengen hygienischen Auflagen
besuchen.
Zwischen den Bewohnern
führe dies jedoch zu deutlich
höheren Spannungen, da
insbesondere die kognitiven
Niveaus innerhalb eines
Wohnbereiches erheblich
auseinanderdriften und dadurch
Kommunikation oft
sehr schnell in Konfrontation
endet, weiß Berno Schlanstedt
zu berichten. Das nun
deutlich reduzierte Angebot
an Aktivitäten und Freizeitgestaltungen
inklusive der
gesamten ehrenamtlichen
Hilfen und Angebote entfallen,
da nur noch sehr wenige
Personen die Einrichtungen
betreten dürfen. Darunter
fallen auch Honorarkräfte
und Musiker. Doch manchmal
können auch Ausnahmen
gemacht werden. Es sei mühsam,
die bisherigen Angebote
von den eigenen Mitarbeitern
aufrecht zu erhalten, da
diese in erheblichen Maße
nun auch zur individuellen
Krisenintervention benötigt
würden, ergänzt Schlanstedt.
„Zunehmend fällt den Bewohnern
sprichwörtlich die
´Decke auf den Kopf´ und
Einzelne müssen wenigstens
für ein paar Augenblicke an
die frische Luft, um nicht
vollends in die Depression
zu verfallen.
Viele Bewohner verstehen
auch aufgrund ihrer
Demenz nicht, warum nun
beispielsweise ihre Kinder
„nichts mehr von ihnen
wissen wollen“, sagt der
Heimleiter. Versuche seitens
des Personals, die Situation
aufzuklären, gelängen ausschließlich
im Kurzzeitbereich.
Bei Demenzerkrankten
stellt wenige Minuten später
der gleiche Bewohner die
erneute zermürbende Frage.
Einige wenige Gruppenangebote
wurden zumindest
in den Vormittagsstunden
möglichst lang versucht
aufrechtzuerhalten, da diese
von eigenen Mitarbeitern
angeboten werden konnten.
So finde nach wie vor
zweimal in der Woche die
Seniorengymnastik statt,
oder die tägliche Morgenandacht
sowie Diavorträge,
Das Unterhaltungsangebot ist ausgebaut worden – jeden Abend findet nun etwas statt.
Spielrunden oder vereinzelte
kreative Angebote in kleineren
Gruppen. Das seien alles
nur Versuche den Alltag der
Bewohner ein klein wenig
unterhaltsamer zu gestalten.
Als gravierenden Einschnitt,
der zumindest einen der
sechs Wohnbereiche ganz
existenziell getroffen habe,
bezeichnete Schlanstedt den
Fall eines Corona-Patienten
im Konrad-Beckhaus-Heim:
Bei einem Bewohner wurde
im Krankenhaus „Corona“
nachgewiesen. Dies hatte
nunmehr zur Folge, dass
der gesamte betroffene
Wohnbereich mit all seinen
Bewohnern behördlicherseits
unter Quarantäne gesetzt
wurde, was bedeutet, dass
die Bewohner 14 Tage ihr
Zimmer möglichst nicht
mehr verlassen dürfen. Das
Personal darf nur noch in
vollständiger Schutzkleidung
die Bewohnerversorgung
durchführen und die Teilnahme
an den wenigen im Hause
stattfindenden Aktivitäten
ist untersagt. „Diese neuerliche
Verschärfung ist dem
älteren Menschen nicht mehr
verständlich zu machen“,
sagt Berno Schlanstedt.
Die vollständige Unterbrechung
ihres gesamten Lebensrhythmusses,
der strukturierte
Alltag der Halt gibt,
die Sozialkontakte, die einen
intellektuell fordern, all dies
sei mit einem Schlag weg.
„Von der Politik wird argumentiert,
dass dies geschehe,
um den älteren Menschen
vor einer Infektion zu schützen.
Doch niemand hat den
älteren Menschen gefragt,
ob er diesen Schutz, bei der
Abwägung der ihn dadurch
ereilenden Lebensqualitätseinbußen,
überhaupt haben
möchte“, meint der Heimleiter
des KBH. Schlanstedt
ergänzt: „Im Ergebnis ist
bei vielen der Bewohner des
Quarantäne-Wohnbereiches
zu beobachten, dass mehr
und mehr der Lebensmut
schwindet und das eh schon
schwere Schicksal der Pflegebedürftigkeit
nun durch
die Isolation extrem verschärft
wird.“ Depressionen
machen die Runde und eine
allgemeine Lethargie ist zu
spüren. Es gib Bewohner,
die mir glaubhaft versichern,
dass es für sie nicht wirklich
von Bedeutung ist, ob sie in
diesem Frühjahr an Corona
oder erst im Herbst an „allgemeinem
Herzversagen“
versterben. „Dass sie aber in
dieser letzten Lebensphase
auf den Kontakt zu ihren
Kindern oder Ehepartnern
verzichten müssen, bricht
ihnen dagegen fast ihr Herz“,
sagt Berno Schlanstedt. Er
bemängelt aus ethischer
Sicht, dass die Menschen
ihrer Sozialkontakte beraubt
werden. Das stehe in keinem
Verhältnis. Hier ergebe sich
die Frage, wie viel Lebensrisiko
jeder Einzelne bereit
sei, für sich zu übernehmen.
Die Toleranzschwellen fielen
wohl unterschiedlich
aus. „Mit den derzeitigen
Maßnahmen werden wir der
Bedürfnislage der Pflegebedürftigen
älteren Menschen
jedenfalls nicht gerecht“,
meint Berno Schlanstedt.
Unterschiedliche musikalische
Angebote werden in
Foto: Berno Schlanstedt
den Abendstunden auf dem
Innenhof der Einrichtung angeboten.
Dies sei die Leistung
Vieler, die sich Gedanken
gemacht haben, wie man
die Bewohner unterhalten
kann. Mit von der Partie war
bislang unter anderem der
Posaunenchor der evangelischen
Kirche, ein Flötenkreis,
eine Jazzcombo oder auch
Solisten bis zu Duettmusikern.
Mittlerweile werde
sogar jeden Abend etwas
geboten mit Abstand für ca.
20 bis 30 Minuten. Und die
künstlerische Hilfe kommt
bei den älteren Menschen
an: Ihnen wird für ein paar
Minuten Freude in das ein
oder andere einsame und
traurige Herz gezaubert.
Großen Dank spricht Heimleiter
Berno Schlanstedt den
Künstlern daher im Namen
aller Heimbewohner aus. An
diesem Sonntag endet das
Besuchsverbot in Alten- und
Pflegeheimen. NRW lässt ab
10. Mai Besuche in Pflegeheimen
wieder zu, das seit
Ende März geltende Verbot
ist dann aufgehoben. TKu
Dem Eingangsbereich vom KB-Heim fehlt momentan das Leben.
Foto: Thomas Kube