07.05.2020 Aufrufe

Schlaflos - Das neue Normal: Eine Loseblattsammlung zum aktuellen Geschehen

Ein Stimmungsbild unserer Zeit. Wir führen die Loseblattsammlung 2021 weiter. Heute mit: Die theoretische Jugendweihe Info zur Sammlung: Viele Menschen sind schlaflos, die Gedanken rotieren. Nicht immer nur um sich selbst, sondern um ihre Freunde, Familien, um überhaupt alles. Die Loseblattsammlung enthält Gedanken, die diese Menschen mit uns teilen möchten. Die Texte sind bewusst unkommentiert, ungeschönt. Böse, kontrovers, traurig, lustig (ja, auch lustig) nachdenklich, vor allem jedoch authentisch. Normal ist nicht. Punkt.

Ein Stimmungsbild unserer Zeit. Wir führen die Loseblattsammlung 2021 weiter.
Heute mit: Die theoretische Jugendweihe

Info zur Sammlung:
Viele Menschen sind schlaflos, die Gedanken rotieren. Nicht immer nur um sich selbst, sondern um ihre Freunde, Familien, um überhaupt alles.
Die Loseblattsammlung enthält Gedanken, die diese Menschen mit uns teilen möchten. Die Texte sind bewusst unkommentiert, ungeschönt. Böse, kontrovers, traurig, lustig (ja, auch lustig) nachdenklich, vor allem jedoch authentisch.

Normal ist nicht. Punkt.

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Frauenportraits. Die Frauen haben eine<br />

positive Ausstrahlung, sie sind von<br />

Pflanzen umgeben, Blüten, Blättern,<br />

Zweigen. Hoffnungsbilder.<br />

<strong>Loseblattsammlung</strong> © ELVEA<br />

In den Trocknungspausen gehe ich<br />

raus, schaue über die Mauer aufs Meer<br />

oder lausche den Gesprächen der Wanderer,<br />

die jetzt nach und nach wieder<br />

mehr werden. Noch liegt der Tourismus<br />

am Boden, viele Restaurants sind<br />

geschlossen oder öffnen nur an wenigen<br />

Tagen in der Woche. Ferienhäuser<br />

stehen leer, Hotels sind noch nicht in<br />

Betrieb. Die Arbeitslosigkeit ist hoch,<br />

die Betroffenen erhalten wenig Entschädigung<br />

oder gar keine. Familien<br />

halten zusammen, helfen sich gegenseitig<br />

mit Lebensmitteln aus eigenem<br />

Anbau, nehmen erwachsene Söhne<br />

und Töchter auf, die ihre Miete nicht<br />

mehr bezahlen können. Der Fremde<br />

bemerkt das in der Regel nicht. Doch<br />

die Veränderungen im Umgang miteinander<br />

sind augenfällig: Die Maskenpflicht<br />

auf öffentlichen Straßen und<br />

Plätzen wird ernst genommen. Wo<br />

man sich in engen Straßen begegnet,<br />

weicht man einander aus. Die Palmeros,<br />

die gewohnt waren, einander bei<br />

jeder Gelegenheit um den Hals zu fallen<br />

und sich zu küssen, begrüßen sich<br />

jetzt auf Abstand. <strong>Das</strong> alles findet in<br />

der gewohnten freundlichen, ja herzlichen<br />

Art und Weise statt, die ich seit<br />

Jahren kenne und an diesem Menschenschlag<br />

liebe. Gestern bin ich bei<br />

meinen einheimischen Nachbarn ins<br />

Haus gestürmt, um ein paar Einkäufe<br />

abzugeben, die ich für sie gemacht hatte.<br />

Auf dem Sofa saßen die beiden,<br />

zwischen sich eine ältere Frau und eine<br />

alte Dame, beide mit Maske im Gesicht.<br />

Ich fühlte mich sofort schuldig,<br />

hatte ich ja keine Maske an. Coronaleugner,<br />

Coronamaßnahmengegner,<br />

Verschwörungstheroretiker scheint es<br />

13<br />

hier nicht zu geben. Die Menschen<br />

wünschen sich das alte <strong>Normal</strong> zurück,<br />

dass die Gäste wieder einfliegen,<br />

und haben doch gleichzeitig<br />

Angst, dass die Fallzahlen dann wieder<br />

steigen könnten, Testpflicht hin<br />

oder her. Zur Zeit sind neun aktive<br />

Fälle bekannt, alle werden im eigenen<br />

Haushalt betreut.<br />

Man gewöhnt sich, hier fällt es einer<br />

wie mir leicht. Gewöhnt man sich?<br />

März bis Juli 2020<br />

Der Lockdown traf mich ganz unerwartet,<br />

und er ging tiefer, als ich je zu<br />

befürchten gewagt hätte. Natürlich<br />

hatten wir die steigenden Infektionszahlen<br />

verfolgt, aber ein – von heute<br />

aus gesehen verrückter – Schleier vor<br />

der Realität ließ die Ereignisse nicht<br />

besonders an mich herankommen, obwohl<br />

mein Mann mich täglich mit<br />

<strong>neue</strong>n Horrormeldungen versorgte.<br />

Dann die Bekanntgabe des Notstands<br />

durch die spanische Regierung, einen<br />

Tag bevor meine Tochter mit Mann<br />

und dreijährigem Töchterchen für<br />

zwei Wochen auf Besuch kommen<br />

sollte. Telefonate hin und her, während<br />

ich die Gästebetten bezog, Rückversicherung<br />

bei einheimischen<br />

Nachbarn, dass die Maßnahmen tatsächlich<br />

auch für die Kanaren gelten<br />

würden, erneute Telefonate, schließlich<br />

einigten wir uns darauf, dass die<br />

Kinder die Reise stornierten. Tränen<br />

und Enttäuschung auf beiden Seiten,<br />

wie waren wir noch auf uns selbst fixiert.<br />

Ich zog die Betten wieder ab<br />

und räumte das Spielzeug meiner Enkelin<br />

weg. Heute wissen wir, dass es<br />

eine kluge Entscheidung war.<br />

Der Rest ist bekannt. Der spanische<br />

Lockdown war strenger als der deutsche,<br />

der kurz darauf folgte. Ich bin<br />

Künstlerin, ich kann Erlebnisse in<br />

Bildern ausdrücken, also verkroch ich

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