07.05.2020 Aufrufe

Schlaflos - Das neue Normal: Eine Loseblattsammlung zum aktuellen Geschehen

Ein Stimmungsbild unserer Zeit. Wir führen die Loseblattsammlung 2021 weiter. Heute mit: Die theoretische Jugendweihe Info zur Sammlung: Viele Menschen sind schlaflos, die Gedanken rotieren. Nicht immer nur um sich selbst, sondern um ihre Freunde, Familien, um überhaupt alles. Die Loseblattsammlung enthält Gedanken, die diese Menschen mit uns teilen möchten. Die Texte sind bewusst unkommentiert, ungeschönt. Böse, kontrovers, traurig, lustig (ja, auch lustig) nachdenklich, vor allem jedoch authentisch. Normal ist nicht. Punkt.

Ein Stimmungsbild unserer Zeit. Wir führen die Loseblattsammlung 2021 weiter.
Heute mit: Die theoretische Jugendweihe

Info zur Sammlung:
Viele Menschen sind schlaflos, die Gedanken rotieren. Nicht immer nur um sich selbst, sondern um ihre Freunde, Familien, um überhaupt alles.
Die Loseblattsammlung enthält Gedanken, die diese Menschen mit uns teilen möchten. Die Texte sind bewusst unkommentiert, ungeschönt. Böse, kontrovers, traurig, lustig (ja, auch lustig) nachdenklich, vor allem jedoch authentisch.

Normal ist nicht. Punkt.

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starke Einschränkungen ihres Lebens<br />

hingenommen haben.<br />

Mich treibt um, dass wir uns bei Corona<br />

vorbildlich umeinander gekümmert<br />

und den verschollenen Nachbarn<br />

wieder entdeckt haben. Mein Eindruck:<br />

Vor Corona waren uns jedes<br />

Jahr aufs Neue die 656.000 Verkehrs-,<br />

Alkohol-, Raucher- und Herzkreislauftoten<br />

ziemlich egal. Wir waren nicht<br />

betroffen. Und nach Corona werden<br />

sie uns auch wieder egal sein – bis auf<br />

die paar Alibibroschüren, die vor Bewegungsmangel,<br />

Übergewicht, Alkohol<br />

und Rauchen warnen.<br />

Wer sich beim Autofahren, Rauchen,<br />

Alkohol wie bei Corona an die Regeln<br />

hält, lebt länger. Was haben wir vor<br />

Jahrzehnten gewettert, als die allgemeine<br />

Gurtpflicht eingeführt wurde.<br />

Wie viele Verkehrstote hätten wir weniger,<br />

wenn wir endlich wie der Rest<br />

von Europa eine Geschwindigkeitsbeschränkung<br />

auf Autobahnen einführen<br />

würden? Auch der Zusammenbruch<br />

des Abendlandes, den viele prognostiziert<br />

hatten, als die Restaurants und<br />

Gaststätten rauchfrei wurden, ist ausgeblieben.<br />

Warum verlasse ich immer<br />

noch nicht den Raum, wenn sich ein<br />

befreundeter Mediziner eine Malboro<br />

nach der anderen ansteckt und dabei<br />

über die Gefährlichkeit des Rauchens<br />

schwadroniert?<br />

Fällt es uns so schwer, Abstand zu<br />

halten und Maske zu ertragen, weil es<br />

neu und ungewohnt ist?<br />

Die Welt ist nicht gerecht, auch nicht<br />

in Coronazeiten. Um die Ecke lebt eine<br />

alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern.<br />

Sie arbeitet in keinem systemrelevanten<br />

Beruf, darf nicht zu Hause arbeiten<br />

und ihre Kinder (7 und 13 Jahre)<br />

müssen allein zu Hause bleiben. Bei<br />

einem befreundeten Beamtenehepaar<br />

<strong>Loseblattsammlung</strong> © ELVEA<br />

41<br />

ist immer mindestens ein Elternteil zu<br />

Hause, um die 6 und 8jährigen Söhne<br />

zu betreuen.<br />

Am Nachmittag werde ich Jochen in<br />

seinem Altenheim besuchen. <strong>Das</strong> teuerste<br />

in der Stadt. Fast drei Monate<br />

hatten wir uns nicht gesehen. Seit<br />

zwei Wochen gibt es nach telefonischer<br />

Anmeldung Besuchstermine an<br />

zwei Tagen in der Woche. Zwanzig<br />

Minuten dürfen wir miteinander reden.<br />

Ich werde nachher <strong>zum</strong> dritten<br />

Mal in dieser lochfreien Plexiglaseinhausung<br />

sitzen und warten, dass Jochen<br />

in seinem Rollstuhl auf die andere<br />

Seite der Scheibe geschoben wird.<br />

Vor ihm und vor mir steht jeweils ein<br />

Tisch. Dazwischen die Plexiglasscheibe.<br />

Wir sitzen fünf Meter voneinander<br />

entfernt. So ähnlich könnte<br />

ein Besuchstermin im Knast sein.<br />

Wenn die Sonne scheint, kann mich<br />

Jochen kaum erkennen. Die Sonne<br />

blendet. Die Stadt hat das Konzept<br />

freigegeben. An Jochen hat dabei niemand<br />

gedacht.<br />

Wir haben bei Corona die Alten und<br />

Kinder vergessen, aber nicht die Fußballmillionäre.<br />

Als die Spielplätze<br />

noch mit Flatterband abgesperrt waren<br />

und die Altenheime vor Besuchern<br />

wie eine Festung geschützt<br />

wurden, durften sich die Kicker gegen<br />

die Regeln vor Millionen von Fernsehzuschauern<br />

um den Hals fallen.<br />

Wir sind nicht alle gleich – auch nicht<br />

bei Corona.<br />

Corona wird vorbeigehen. Dann<br />

liegt sie wieder auf dem Tisch: Die<br />

Klimafrage. Werden wir uns für den<br />

Stopp des Klimawandels genauso<br />

oder besser noch mehr engagieren als<br />

für Corona? Was nützt es, wenn wir,<br />

unsere Kinder und Enkel Corona<br />

überleben, um durch die Folgen des

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