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GrundschulEltern

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Ein Ratgeber für Familie und Schule<br />

Die Grundschule als Lern- und Lebensraum<br />

Die Lernbereiche der Grundschule<br />

Kinder, Eltern, Schule


Liebe Eltern,<br />

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.<br />

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens<br />

nach sich selber.<br />

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,<br />

Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.<br />

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,<br />

Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.<br />

Diese Sätze des Philosophen Khalil Gibran werden oft<br />

zitiert. Aber was bedeuten sie für das tägliche Miteinander<br />

von Eltern und Kindern – und deren LehrerInnen?<br />

In den letzten Jahren sind Bildung und Schule wieder in<br />

der öffentlichen Diskussion: Lernen unsere Kinder genug?<br />

Ist der Leistungsdruck zu groß? Kommen alle Kinder<br />

in der Schule zu ihrem Recht? Viel wird über eine angemessene<br />

Organisation der Schule nachgedacht. Auch der<br />

Nutzen unterschiedlicher Unterrichtsmethoden wird intensiv<br />

diskutiert. Dabei gerät oft aus dem Blick, wie wichtig<br />

die Personen sind, denen die Kinder begegnen: in der<br />

KiTa, in der Schule – und in der Familie und ihrem Umfeld.<br />

Pädagogik lebt von Haltung. Es sind die Menschen, die<br />

Kinder prägen. Die ihnen Selbstbewusstsein vermitteln<br />

– oder nehmen. Die ihre Interessen anregen und ihnen<br />

Fenster öffnen in fremde Welten. Die als Modelle hilfreich<br />

sind – oder hinderlich.<br />

»Allen Kindern gerecht werden« – diesen Anspruch hat<br />

der Grundschulverband zur Leitidee für seine pädagogische<br />

und bildungspolitische Arbeit erklärt. In den folgenden<br />

zwölf Kapiteln werben wir dafür, die Kinder als<br />

selbstständige Persönlichkeiten ernst zu nehmen: als<br />

Partner mit individuellen Vorstellungen und Interessen.<br />

Und als Denker, die sich ihr eigenes Bild von der Welt machen:<br />

wie technische Geräte funktionieren; was gerecht<br />

ist; aber auch, was es mit Schrift und Zahlen auf sich hat.<br />

Das hat Folgen für Unterricht. Er kann keine Einbahnstraße<br />

sein. Entsprechend tiefgreifend hat sich die Grundschule<br />

in den vergangenen mehr als 30 Jahren verändert.<br />

Der Grundschulverband hat deutlich gemacht,<br />

was »Fördern durch Teilhabe« heißt: »Kindern wird Mitsprache<br />

und Mitverantwortung für ihr Lernen zugestanden<br />

und abverlangt«. Davon schreiben wir auf den folgenden<br />

Seiten. Wir selbst haben diese Veränderungen<br />

in verschiedenen Rollen miterlebt: als SchülerInnen, als<br />

Eltern, als LehrerInnen, als bildungspolitisch engagierte<br />

BürgerInnen und über unsere Forschungsarbeit. Uns hat<br />

fasziniert, Kinder zu beobachten, wie sie sich die Welt erobern.<br />

Etwas von dieser Faszination wollen wir hier weitergeben.<br />

Und Sie anregen, sich ebenfalls für die Rechte<br />

der Kinder und bessere Lebens- und Lernbedingungen<br />

zu engagieren. In Schule und Familie.<br />

Ihre Redaktion<br />

Hans Brügelmann in Zusammenarbeit mit Axel Backhaus,<br />

Erika Brinkmann und Babette Danckwerts<br />

Inhalt<br />

Die Grundschule als Lern- und Lebensraum<br />

Schulanfang heute 1<br />

Sind altersgemischte Klassen erfolgreicher? 3<br />

Je früher, desto besser? 3<br />

Inklusion – Integration 5<br />

Gemeinsamer Unterricht: auch für unser Kind möglich? 6<br />

Untersuchungen zum gemeinsamen Unterricht 7<br />

Die Not mit den Noten 9<br />

Was leisten Noten – nicht? 10<br />

Tests oder Texte –welche Alternativen<br />

gibt es für Noten? 11<br />

Schulwechsel:<br />

Welche Schule ist gut für unser Kind? 13<br />

Entscheidung über die weiterführende Schule 15<br />

Die Lernbereiche der Grundschule<br />

Kinder erforschen die Welt – wie Wissenschaftler 17<br />

Die Welt zeigen und erklären –<br />

oder die Kinder selbst entdecken lassen? 18<br />

Lernen durch Anschauung und Selbsttätigkeit 19<br />

Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />

auch beim Lesen- und Schreibenlernen 21<br />

Freies Schreiben von Anfang an – oder :<br />

Lernen Kinder besser mit der Fibel? 23<br />

PISA und IGLU: Ist die deutsche Schule nur Mittelmaß? 23<br />

Rechnen – auf eigenen Wegen 25<br />

Jeder rechnet anders … Befunde aus der Forschung 26<br />

Ideen zur Anregung und Unter stützung<br />

mathematischen Lernens 27<br />

Was ist Dyskalkulie? 27<br />

Ästhetisches Lernen: Malen, Singen,<br />

Tanzen, Spielen, Bewegen … 29<br />

Lernen mit allen Sinnen – aber mit Sinn 30<br />

Macht Musik schlau? 31<br />

Kinder bestimmen mit –<br />

in Familie und Schule 33<br />

Offener Unterricht, Freiräume im Unterricht 35<br />

Kinder, Eltern, Schule<br />

Hausaufgaben: wozu und wie? 37<br />

Tipps für Hausaufgabenbetreuung im Alltag 38<br />

Was bringen Hausaufgaben? 39<br />

Hausaufgaben oder Schularbeiten?<br />

Alternativen aus der Praxis 39<br />

Kinder mit Problemen – Probleme mit Kindern? 41<br />

Fragen zu ADHS, Legasthenie,<br />

Medikamente ja oder nein 42<br />

Umgang mit Schwierigkeiten im Alltag 43<br />

Kinder und die »neuen Medien« 45<br />

Schaden oder nutzen die »neuen Medien«? 46<br />

Zum Umgang mit den Medien im Alltag 47


Schulanfang heute …<br />

… ist in vieler Hinsicht nicht mehr so<br />

wie vor 20 oder 30 Jahren. Wundern Sie<br />

sich deshalb nicht, wenn in der Klasse<br />

Ihres Kindes manches anders ist als<br />

zu Ihrer eigenen Schulzeit, vielleicht<br />

aber auch anders als in der Schule des<br />

Nachbarorts.<br />

Beispiele aus einigen Klassen:<br />

●●<br />

Die Kinder arbeiten miteinander an<br />

Gruppentischen. Dabei müssen sie nicht<br />

die ganze Zeit auf ihren Stühlen sitzen.<br />

Kinder haben nicht nur einen Kopf, sie<br />

haben einen Körper, der viel Bewegung<br />

braucht, und Sinne, mit denen sie vielfältig<br />

wahrnehmen und sich ausdrücken<br />

wollen – und dies jedes zu seiner Zeit.<br />

●●<br />

Es ertönt kein Klingelzeichen. Die<br />

Gruppen und auch einzelne Kinder arbeiten<br />

in ihrem eigenen Rhythmus<br />

von Anstrengung und Entspannung –<br />

und der folgt nun einmal nicht den früher<br />

üblichen 45-Minuten-Sprüngen der<br />

Schuluhr.<br />

●●<br />

Zur Lerngruppe gehören auch Kinder<br />

mit besonderem Förderbedarf und andere<br />

mit besonderen Begabungen. Der<br />

Unterricht ist für individuelle Lernwege<br />

geöffnet. Oft wird mit zusätzlicher Unterstützung<br />

jahrgangsübergreifend unterrichtet<br />

(s. S. 3). So kann gemein sames<br />

Lernen produktiv werden.<br />

●●<br />

Nebeneinander arbeiten Kinder an<br />

verschiedenen Aufgaben. Sie bringen<br />

sehr unterschiedliche Voraussetzungen<br />

mit (s. Abb. rechts) und arbeiten nicht<br />

gleich schnell. Wie sollten sie erfolgreich<br />

lernen können, wenn alle zur gleichen<br />

Zeit auf derselben Seite desselben Schulbuchs<br />

arbeiten? Allerdings stellen sie sich<br />

ihre Ergebnisse und Arbeiten gegenseitig<br />

vor.<br />

●●<br />

Im Zeugnis stehen keine Ziffernnoten.<br />

Denn diese sind weder objektiv noch<br />

vergleichbar, sie zeigen weder den individuellen<br />

Lernfortschritt noch geben sie<br />

Hinweise, wie das Kind am besten gefördert<br />

werden kann.<br />

●●<br />

Aussagekräftiger sind Berichte oder<br />

Beobachtungsbögen, die die Fortschritte<br />

der einzelnen Kinder genau beschreiben<br />

und zeigen, wie es weitergehen kann.<br />

Einige Schulen benennen auch die vorgegebenen<br />

Lernziele und markieren,<br />

wann diese vom einzelnen Kind erreicht<br />

sind. Oft werden sie durch eine Selbsteinschätzung<br />

des Kindes ergänzt (s. Abb.<br />

Entwicklungsunterschiede wichtiger Fähigkeiten<br />

zwischen 7-jährigen Kindern<br />

(nach: Largo 2009, S. 284; mit frdl. Gen. des Autors)<br />

S. 2) – und die Zeugnisübergabe durch<br />

ein gemeinsames Gespräch von Lehrerin,<br />

Kind und Eltern ersetzt.<br />

●●<br />

Fachstunden sind nicht fest im Stundenplan<br />

ausgewiesen. Der Unterricht<br />

orientiert sich an situativen Anlässen und<br />

Erfahrungen der Kinder, und die lassen<br />

sich nun einmal nicht in die Schubladen<br />

von Fächern zwingen.<br />

(Fortsetzung S. 2)<br />

Liebe Eltern,<br />

ohne Sie kann die Arbeit der Schule nicht<br />

erfolgreich sein. Vor allem die Grundschule<br />

ist auf die Zusammen arbeit mit<br />

Ihnen angewiesen:<br />

● ● beim gemeinsamen Nachdenken<br />

über die Erziehung und die Lernentwicklung<br />

Ihres Kindes;<br />

● ● durch Ihre Beiträge zum Unterricht,<br />

z. B. als »Leseeltern« oder als Experten<br />

in einem Projekt;<br />

● ● bei sozialen Aktivitäten wie Ausflügen<br />

und Festen;<br />

● ● durch ihre Anregungen für die<br />

weitere Entwicklung der Schule;<br />

● ● wenn es um Entscheidungen in den<br />

Gremien der Schule geht.<br />

Schule sollte ein Ort der Begegnung sein:<br />

zwischen Kindern mit unterschiedlicher<br />

Lerngeschichte, zwischen Kindern und<br />

ihren Lehrerinnen – und von Lehrerinnen<br />

und Eltern. Dass Ihre Kinder sich gut<br />

entwickeln, kann nur durch eine enge<br />

Zusammen arbeit erreicht werden. Und<br />

zwar auf Augenhöhe. So steht es auch in<br />

vielen Programmen, so hört man es bei<br />

offiziellen Reden. Der Alltag sieht leider<br />

oft anders aus. Der Grundschulverband<br />

hat mit seiner Beilage » «<br />

versucht, Brücken zu bauen. In diesem<br />

Heft haben wir Ihnen die Beiträge zu den<br />

zwölf Themen noch einmal kompakt zugänglich<br />

gemacht.<br />

Wir bieten Ihnen Anregungen für die<br />

Er ziehung Ihres Kindes und Hinweise, wo<br />

und wie Sie in der Schule aktiv werden<br />

können. Und auch, warum Sie es sollten.<br />

Wir sammeln Beispiele guter Praxis und<br />

wir kommentieren aktuelle Informationen<br />

aus der pädagogischen Forschung<br />

und aus der Bildungspolitik. Zu jedem<br />

Thema finden Sie ergänzende Hinweise<br />

und Materialien über www.grundschuleltern.info/<br />

➝ Weitere Informationen … ➝<br />

Grundschuleltern zur Ansicht.<br />

Hinweis<br />

Dank der UN-Konvention über die<br />

Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />

(Menschen, die Beeinträchtigungen<br />

aufweisen, wie Menschen, die<br />

durch Rahmenbedingungen behindert<br />

werden) haben Eltern in vielen<br />

Bundesländern die Möglichkeit, auch<br />

Kinder mit Förderbedarfen auf allgemeinbildenden<br />

Schulen anzumelden.<br />

Dies wird nach und nach zum<br />

Regel fall werden. Wir alle müssen helfen,<br />

dass Inklusion – ein Konzept mit<br />

dem Ziel, alle Menschen mit all ihren<br />

Unter schiedlichkeiten wertzuschätzen<br />

– gelingen kann. Sorgen um den<br />

Lern erfolg muss man sich nicht machen!<br />

Zahlreiche Studien bestätigen:<br />

Sowohl behinderte als auch nicht behinderte<br />

Kinder können von einem<br />

gemeinsamen Unterricht profitieren<br />

(s. S. 7).<br />

01 • Mai 2011<br />

1


(Schulanfang heute …; Forts. von S. 1)<br />

Stattdessen gibt es Tages- oder Wochenpläne<br />

(s. Abb. unten), evtl. mit besonderen<br />

Aufgaben für einzelne Kinder.<br />

Wochenplan<br />

2<br />

01 • Mai 2011<br />

●●<br />

Es gibt nur wenige oder gar keine<br />

Hausaufgaben. Vor allem Ganztagsschulen<br />

bieten oft betreute Arbeitszeiten.<br />

Im Übrigen sollen Hausaufgaben<br />

so bemessen sein, dass Schulanfänger<br />

nicht mehr als eine halbe Stunde brauchen.<br />

Und – wichtig! – sie sollen sie<br />

selbstständig erledigen können.<br />

●●<br />

Die Lehrperson arbeitet nicht (nur) mit<br />

Schulbuch und Übungsheften. Kinder<br />

lernen am besten, wenn sie selbst etwas<br />

herstellen, in die Hand nehmen, ausprobieren<br />

– mit Materialien aus der Alltagswelt<br />

oder indem sie aus der Schule<br />

herausgehen.<br />

●●<br />

Vielerorts lernen die Kinder Lesen und<br />

Schreiben ohne Fibel und ohne Arbeitsblätter.<br />

Die Lehrerin liest viel vor, um die<br />

Kinder anzuregen, eigene Geschichten<br />

mit Hilfe einer Anlaut tabelle zu schreiben.<br />

Diese werden dann mit einer Übersetzung<br />

in Erwachsenenschrift versehen<br />

oder in korrigierter »Buchschrift« in der<br />

Klasse als Lesestoff für andere »veröffentlicht«<br />

(s. Abb. rechts). Die Kinder »drucken«<br />

mit der Hand, mit Stempeln oder<br />

am PC und entwickeln erst später eine<br />

verbundene Schrift. In freien Lese zeiten<br />

wählen sie selbstständig aus, was sie<br />

lesen möchten.<br />

●●<br />

In Mathematik werden nicht mehr<br />

nur Päckchen »gerechnet«. Das mathematische<br />

Denken anzustoßen verlangt<br />

anspruchsvolle und offene Aufgaben.<br />

Manchmal erfinden die Kinder auch eigene<br />

Aufgaben für die anderen – jedes<br />

auf seinem Entwicklungsstand.<br />

●●<br />

Die Kinder arbeiten an verschiedenen<br />

Sachthemen, um im Anschluss daran ihre<br />

Ergebnisse der gesamten Gruppe vorzustellen.<br />

Das einzelne zeichnet, was ihm<br />

oder ihr wichtig ist und wie es sich etwas<br />

vorstellt. Jedes entscheidet sich für ein<br />

Gedicht oder Musikstück, um es für<br />

einen gemeinsam gestalteten Anlass zu<br />

üben. Im Sportunterricht testen sie ihre<br />

Möglichkeiten und Grenzen an selbst gewählten<br />

Geräten und in unterschiedlichen<br />

Aktivitäten aus. Insgesamt: Selten<br />

wird nur einfach nachgemacht, wird isoliert<br />

geübt. So wichtig Wiederholung ist<br />

– sie ist wirkungsvoller in für das Kind<br />

sinn vollen Zusammenhängen.<br />

●●<br />

Der Religionsunterricht wird nicht<br />

nach Konfessionen getrennt, und es werden<br />

nicht nur Geschichten aus der Bibel<br />

erzählt. Schulanfänger heute bringen<br />

ganz verschiedene Religionen mit (oder<br />

gar keine). Sie alle aber haben persönliche<br />

Vorstellungen über den Sinn des Lebens,<br />

haben Ängste und Hoffnungen –<br />

und die müssen wir ernst nehmen, um<br />

die Kinder auch als Personen zu stärken,<br />

unabhängig von ihrer fachlichen Förderung.<br />

●●<br />

Viel Zeit wird aufgewandt, um miteinander<br />

zu reden: vor Beginn des Unterrichts<br />

im Morgenkreis, um aufzunehmen,<br />

was die Kinder außerhalb der Schule<br />

bewegt, was sie in den Unterricht mit hineintragen;<br />

freitags im Klassenrat, um<br />

gemeinsam darüber nachzudenken, was<br />

in der Woche gut gelungen ist und was<br />

verändert werden soll. Die Kinder sollen<br />

allmählich zu einer Gruppe zusammenwachsen,<br />

sie können den Sinn von<br />

Regeln aber oft erst an Störungen des<br />

Selbsteinschätz<br />

ungsbogen der<br />

Grundschule<br />

Harmonie Eitorf<br />

Quelle: www.grund<br />

schule-harmonie.de<br />

Zusammen lebens begreifen und dann<br />

gemeinsam neue Lösungen finden.<br />

●●<br />

Im Unterricht und in den Heften tauchen<br />

Wörter in verschiedenen Sprachen<br />

auf. Unsere Kinder heute wachsen mit<br />

Freunden und Freundinnen aus verschiedenen<br />

Kulturen auf. Und sie werden in<br />

einem Europa leben, in dem Offenheit<br />

für andere Sprachen lebensnotwendig<br />

ist. Darum begegnen sie oft schon in der<br />

ersten Klasse einer fremden Sprache.<br />

Arbeit am Wochenplan: Notiz eines Kindes<br />

Schulanfang heute ist oft sehr anders –<br />

er stellt aber auch ähnliche Aufgaben<br />

wie vor 20 oder 30 Jahren. Er ist ein<br />

großer Schritt für alle Beteiligten:<br />

für Ihr Kind, für Sie selbst und auch für<br />

die Lehrerinnen. Uns Erwachsenen fällt<br />

es oft schwer<br />

● ● die Kinder loszulassen,<br />

● ● ihnen etwas zuzutrauen,<br />

● ● sie auf ihrem eigenen Weg<br />

zu unterstützen.<br />

Nicht nur Ihr Kind steht vor einem neuen<br />

Anfang – mit vielen Chancen, wenn<br />

Sie ihm Raum für seine Entwicklung<br />

gewähren.<br />

Fragen Sie die Lehrerin Ihres Kindes,<br />

wenn Sie etwas nicht verstehen.<br />

Lassen Sie sich auch beraten bei den<br />

ganz konkreten Fragen:<br />

Was für eine Tasche (oder Ranzen)<br />

ist geeignet? Was ist beim Kauf von<br />

Schreibmaterialien zu beachten? Wie<br />

können die Kinder auf den Schulweg<br />

vorbereitet werden? Was sollen sie<br />

zum Essen und Trinken mitnehmen?


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

In dieser Rubrik wollen wir Fragen aufgreifen, die Eltern bewegen:<br />

Nutzen von Hausaufgaben; Objektivität und Vergleichbarkeit von Ziffernnoten;<br />

Vor- und Nachteile von gemeinsamem Unterricht mit behinderten Kindern;<br />

die Wirkung häufigen Fernsehkonsums auf die Entwicklung des Lesens usw.<br />

Schon einmal vorweg: Forschung<br />

ist selten eindeutig. »Dasselbe«<br />

menschliche Verhalten hat je nach<br />

Kontext unterschiedliche Bedeutung.<br />

Dasselbe Programm oder dieselbe Methode<br />

entfaltet deshalb auch an<br />

verschiedenen Orten unterschiedliche<br />

Wirkungen. Pädagogik ist keine Technik.<br />

Anders als oft in den Naturwissenschaften<br />

gibt es keine stabilen Regeln, nach<br />

denen sich die Wirkung einer Methode,<br />

eines Programms für alle Fälle sicher<br />

vorhersagen lässt.<br />

Der Nutzen von Forschung liegt darin,<br />

gut begründete Annahmen zu erzeugen:<br />

Über viele Fälle hinweg folgt mit größerer<br />

Wahrscheinlichkeit (!) Wirkung X auf<br />

Maßnahme Y. Im Durchschnitt (!) schneidet<br />

Programm A besser ab als Programm<br />

B. Beispielsweise liegt die Leseleistung<br />

von Mädchen als Gesamtgruppe über<br />

der von Jungen. Aber viele Jungen lesen<br />

genauso gut wie viele Mädchen – einige<br />

sogar besser. Die Leistungsverteilungen<br />

beider Geschlechter überlappen sich<br />

eben stark! Und das gilt auch für alle<br />

anderen Merkmale.<br />

Manchmal findet man für eine Unterrichtsmethode<br />

oder ein Förderprogramm<br />

in einer Studie deutliche Vorteile.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass diese sich<br />

auch bei jeder Lehrerin oder bei jedem<br />

Kind zeigen müssen. Besonderheiten<br />

der Person und ihrer konkreten Umwelt<br />

spielen eine große Rolle.<br />

Das muss man bedenken, wenn man<br />

Befunde der Forschung richtig verstehen<br />

und sinnvoll nutzen will.<br />

Sind altersgemischte Klassen<br />

erfolgreicher?<br />

In vielen Bundesländern werden die ersten<br />

beiden Klassen jahrgangsübergreifend<br />

geführt (»flexible Schuleingangsphase«).<br />

Manche Schulen bilden auch Lerngruppen<br />

über die ganze Grundschulzeit hinweg,<br />

so dass pro Jahr nur ein Viertel der<br />

Kinder wechselt. Das Modell entspricht<br />

dem Lernen vor der Schule in Familie und<br />

Kindergarten wie auch im »wirklichen<br />

Leben« neben und nach der Schule.<br />

Kinder gleichen Alters liegen in jedem<br />

Entwicklungsbereich drei bis vier Jahre<br />

auseinander (s. Abb. S. 1). Im jahrgangsgemischten<br />

Unterricht werden diese Unterschiede<br />

sichtbarer. Er fordert deshalb<br />

besonders dazu heraus, die Lernangebote<br />

auf die individuellen Voraussetzungen<br />

und Möglichkeiten der Kinder abzustimmen.<br />

Weitere Vorteile: Langsamer lernende<br />

Kinder bekommen mehr Zeit, können<br />

aber anders als beim Sitzenbleiben in der<br />

vertrauten Lerngruppe bleiben. Schnelle<br />

Lerner können rascher fortschreiten –<br />

müssen aber ebenfalls nicht die vertraute<br />

Lerngruppe wechseln.<br />

Im Vergleich zu Jahrgangsklassen zeigt<br />

sich in der Regel (!) über verschiedene empirische<br />

Studien hinweg:<br />

● ● In den fachlichen Leistungen gibt es<br />

kaum Unterschiede.<br />

● ● In Arbeitsverhalten und Sozialkompetenz<br />

hat die Jahrgangsmischung<br />

Vorteile.<br />

Auffällig ist aber eine große Streuung in<br />

beiden Typen – je nach Unterrichtsform.<br />

So kann die Jahrgangsmischung ihre<br />

Stärken nur entfalten, wenn die Altersgruppen<br />

nicht als getrennte Abteilungen<br />

in demselben Raum nebeneinander<br />

unterrichtet und keine festen Leistungsgruppen<br />

gebildet werden.<br />

Videotipp: »Treibhäuser der Zukunft!«<br />

Lesetipp: Vgl. auch das Gutachten von<br />

Carle über den Link auf unserer Internetseite<br />

www.grundschulverband.de/<br />

grundschuleltern<br />

Drei Sechstklässler (aus Largo 1999;<br />

s. auch S. 4): Schon die Körpergröße<br />

unterscheidet sich dramatisch –<br />

ungleich bedeutsamer sind Unterschiede<br />

im IQ, in der Lesefähigkeit, in<br />

der Sozialkompetenz …<br />

Je früher, desto besser?<br />

Wann sollte ein Kind eingeschult werden?<br />

Auch auf diese Frage gibt es keine<br />

eindeutige Antwort. In Deutschland<br />

haben die Bundesländer das Einschulungsalter<br />

immer mal wieder herauf- bzw.<br />

heruntergesetzt. Derzeit gibt es einen<br />

deutlichen Trend zur früheren Einschulung.<br />

In den Nachbarländern schwankt<br />

das Einschulungsalter dagegen zwischen<br />

fünf und sieben Jahren. Zudem wird die<br />

Lernzeit in Kindergärten, Vorschulen und<br />

auch im Anfangsunterricht jeweils sehr<br />

unterschiedlich gestaltet.<br />

Auch wissenschaftliche Studien geben<br />

keine klare Antwort. Ob ein Kind in der<br />

Schule erfolgreich lernt, Beziehungen<br />

zu anderen Kindern und Erwachsenen<br />

aufbaut, hängt nicht allein vom Einschulungsalter<br />

ab. Andere Bedingungen<br />

spielen auch eine wichtige Rolle:<br />

● ● Wie sicher und selbstständig ist das<br />

Kind?<br />

● ● Interessiert es sich bereits für Zahlen,<br />

Buchstaben?<br />

● ● Geht es neugierig auf die Welt zu,<br />

will es wissen, wie unbekannte Dinge<br />

funktionieren, warum Regeln sind,<br />

wie sie sind?<br />

● ● Wird es gemeinsam mit Freunden die<br />

Schule besuchen können?<br />

● ● Wie groß sind die Eingangsklassen<br />

der Schule?<br />

● ● Geht der Unterricht auf individuelle<br />

Unterschiede im Können ein?<br />

● ● Was sind Ihre eigenen Erwartungen<br />

und Motive als Eltern für eine frühere<br />

oder spätere Einschulung?<br />

Bei der Entscheidung sind also mehrere<br />

Faktoren zu bedenken. Sie ist insofern<br />

von Fall zu Fall zu treffen.<br />

Dafür sind Gespräche hilfreich<br />

● ● mit den Pädagoginnen im Kindergarten,<br />

● ● mit der zukünftigen Lehrerin und vor<br />

allem:<br />

● ● mit dem Kind selbst!<br />

Denn nur, wenn es selbst schon in die<br />

Schule möchte, wird es seine fachbezogenen<br />

Stärken nutzen können.<br />

Lesetipps: Hilfreiche Hinweise gibt<br />

das »Familienhandbuch« unter<br />

www.familienhandbuch.de/cmain/f_<br />

Aktuelles/a_Schule/s_1374.html<br />

(Rechtsvorschriften allerdings<br />

Stand 2004/05)<br />

Die aktuell geltenden Regelungen<br />

der einzelnen Länder hat die KMK<br />

zusammengestellt unter<br />

http://ksdev.de/Schulpflicht.htm<br />

01 • Mai 2011<br />

3


Informationen<br />

zum Schulanfang<br />

Die Bundesländer, aber auch größere<br />

Städte oder Landkreise geben oft eigene<br />

Broschüren heraus. Diese sind vor allem<br />

hilfreich, um Ansprechpartner vor Ort<br />

zu finden.<br />

Als allgemeine Orientierung informativ:<br />

Wann komme ich in die Schule?<br />

Die Kindergartenzeitschrift<br />

Leseempfehlungen<br />

für die Eltern<br />

Anschaulich, mit konkreten Beispielen<br />

und Befunden (aus diesem Buch sind<br />

auch die Abb. auf S. 1 und S. 3), dazu<br />

inhaltlich sehr überzeugend und gut<br />

verständlich geschrieben:<br />

Schülerjahre<br />

R. Largo<br />

hervorgegangen ist: In ihren Beiträgen<br />

erklären Expertinnen und Experten verschiedener<br />

Disziplinen, was wir heute<br />

wissen über das Lernen von Kindern in<br />

den Fächern, aber auch über ihre persönliche<br />

und soziale Entwicklung: In der<br />

Auseinandersetzung mit den Anregungen<br />

ihrer Umwelt entwickeln Kinder individuelle<br />

Zugänge zu Sprache, Schrift<br />

und Mathematik, aber auch eigene Theorien<br />

über die natürliche, die technische<br />

und die soziale Umwelt. Fehler sind dabei<br />

unvermeidlich – und wichtige Zwischenstufen<br />

auf dem Weg zur Norm.<br />

Themenheft 8/2007<br />

Verlag: Friedrich<br />

Preis: 10,00 EUR<br />

Ebenfalls empfehlenswert und direkt im<br />

Inter net beziehbar ist der Elternratgeber<br />

2010/11:<br />

Willkommen in der Schule<br />

Pädagogisches Institut, Bozen<br />

Kostenloser Download unter<br />

www.provinz.bz.it/schulamt/<br />

aktuelles/417.asp<br />

Nachdenkliches zum<br />

Schulanfang<br />

»Seit ihr hier sitzt, gehört ihr zu einer<br />

bestimmten Klasse. Noch dazu zur<br />

untersten. Der Klassenkampf und die<br />

Jahre der Prüfungen stehen bevor.<br />

Früchtchen seid ihr, und Spalierobst<br />

müsst ihr werden! Aufgeweckt wart<br />

ihr bis heute, und einwecken wird man<br />

euch ab morgen! So, wie man’s mit<br />

uns getan hat. Vom Baum des Lebens<br />

in die Konservenfabrik der Zivilisation?<br />

Das ist der Weg, der vor euch liegt.<br />

Kein Wunder, dass eure Verlegenheit<br />

größer ist als eure Neugierde.«<br />

(Aus: Erich Kästner, »Ansprache zum Schulbeginn«)<br />

4<br />

01 • Mai 2011<br />

Taschenbuch: 336 Seiten<br />

Erschienen: 2010 (1. Aufl. 2009)<br />

Verlag: Piper<br />

Preis: 12,95 EUR<br />

Wie unterschiedlich sich Kinder entwickeln<br />

und dass dies ganz normal ist<br />

(gerade nicht eine gleiche Entwicklung<br />

aller Kinder), belegt der Kinderarzt<br />

und Entwicklungsforscher Remo<br />

Largo an Befunden aus einer großen<br />

Längsschnittstudie in der Schweiz.<br />

Er macht zugleich deutlich, warum<br />

es wichtig ist, Kindern Raum zu<br />

geben für ihre eigenen Interessen:<br />

damit sie aktiv werden und ihre individuellen<br />

Potenziale entfalten können.<br />

Kinder lernen anders:<br />

vor der Schule – in der Schule<br />

H. Brügelmann u. a.<br />

Kartoniert: 232 Seiten<br />

Erschienen: 2000 (1. Aufl. 1998)<br />

Verlag: Libelle<br />

Preis: 17,40 EUR<br />

Was Largos Thesen für das fachliche<br />

Lernen von Kindern und damit für den<br />

Unterricht in der Grundschule bedeuten,<br />

findet man im Band »Kinder lernen<br />

anders«, der aus den Beiträgen<br />

zur Siegener »ElternSchule an der Uni«<br />

Kinderbücher<br />

zum Schulanfang<br />

… die sich auch zum gemeinsamen<br />

Anschauen und Vorlesen eignen:<br />

Nur Mut, Willi Wiberg!<br />

G. Bergström<br />

Gebunden: 32 Seiten<br />

Erschienen: 2009 (1. Aufl. 1983)<br />

Verlag: Oetinger<br />

Preis: 9,90 EUR<br />

Weitere Buchvorschläge<br />

für Kinder und ihre Eltern<br />

Muss man Miezen siezen?<br />

Gerda Anger-Schmidt /<br />

Renate Habinger<br />

(Sprachspiele, Geschichten usw.<br />

für Schulanfänger)<br />

Nella-Propella<br />

Kirsten Boie<br />

Fischer Schatzinsel (Erfahrungen im<br />

letzten Kindergartenjahr)<br />

Trauriger Tiger toastet Tomaten<br />

Nadia Budde<br />

(ein wunderbares ABC-Buch<br />

für Kinder)<br />

Benni und die Wörter<br />

Carli Biessels/Wolf Erlbruch<br />

(ein Vergnügen vor allem für Eltern!)<br />

T wie Tukan<br />

Katharina Lausche<br />

(ein ästhetisch besonders schön<br />

gestaltetes ABC-Buch)


Inklusion – Integration<br />

Zeichnung: Volker Fredrich<br />

Wer ist normal?<br />

Sams Bericht zufolge fehlte es ihm nie an Spielkameraden<br />

… Als er sich allmählich für die Umgebung außerhalb<br />

seiner Familie zu interessieren begann, wurde er<br />

auf ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft<br />

aufmerksam. Nach einigen zögerlichen Näherungsversuchen<br />

wurden sie Freunde. Sie war als Spielkameradin<br />

nicht übel, wäre da nicht das Problem gewesen, dass sie<br />

so ›komisch‹ war. Er konnte sich nicht so mit ihr unterhalten<br />

wie mit seinen Brüdern oder seinen Eltern. … Nach<br />

mehreren vergeblichen Versuchen, sich mit ihr zu unterhalten,<br />

gab er schließlich auf und machte ihr stattdessen<br />

durch Zeigen oder indem er sie mit sich zog, klar, was er<br />

wollte. Er wunderte sich zwar über das seltsame Leiden,<br />

mit dem sie behaftet war, da sie jedoch einen Weg gefunden<br />

hatten, sich miteinander zu verständigen, gab er<br />

Kommunaler Index für Inklusion<br />

(Fortsetzung S. 6)<br />

Schon länger gibt es einen »Index für Inklusion« für<br />

Schulen und Lehrer/innen (➝ ). Ergänzend hat die<br />

Montag Stiftung »Jugend und Gesellschaft« einen<br />

Krite rienkatalog entwickelt, der sich an alle Bürger/innen<br />

richtet. Er ist vor allem für Eltern interessant, die<br />

sich an der Schulentwicklung vor Ort beteiligen wollen:<br />

www.montag-stiftungen.de/jugend-und-gesellschaft/<br />

Liebe Eltern,<br />

für viele ist Inklusion ein neues Wort, für andere ein neuer<br />

Begriff für das, was vorher Integration hieß. Dabei besteht<br />

ein großer Unterschied zwischen beiden Ideen: Eine integrative<br />

Schule versucht eine besondere Gruppe (Jungen,<br />

MigrantInnen, Kinder mit Beeinträchtigungen) in die<br />

Gruppe von »Normalen« zu integrieren. Sie bleibt aber<br />

eine besondere Gruppe, für die spezielle Maßnahmen<br />

notwendig sind. Dabei sind alle Kinder unterschiedlich.<br />

Um jedem einzelnen Kind gerecht zu werden, ist es wichtig,<br />

auf diese Unterschiede einzugehen, sich auf jedes einzelne<br />

Kind einzulassen, sei es ein Junge, ein Migrant oder<br />

ein behindertes Kind – oder alles auf einmal (s. das Schaubild<br />

S. 7 oben und ergänzende Erläuterungen ➝ ).<br />

Es geht also nicht nur um Behinderungen. Allerdings: Durch<br />

die Behindertenrechtskonvention der UN hat die Forderung<br />

nach einem solchen »inklusiven Bildungs system«<br />

eine rechtliche Grundlage erhalten. Dies zeigt der Artikel<br />

24 dieser Konvention: »Die Vertragsstaaten anerkennen<br />

das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung.<br />

Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage<br />

der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten<br />

die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem<br />

auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (…).«<br />

Kinder verhalten sich anders als Erwachsene – und als<br />

sie erwarten. Wie schnell heute ein »abweichendes«<br />

Verhalten für »nicht normal« erklärt wird, erläutert und<br />

kritisiert fachkundig der Psychiater Allen Frances in seinem<br />

Buch »Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer<br />

Diagnosen«. DuMont Verlag: Köln 2013.<br />

Die Bezeichnung »integratives« Bildungssystem ist ein<br />

Übersetzungsfehler in der – alleinstehend nicht gültigen<br />

– deutschen Fassung. Die UN spricht von Inklusion<br />

➝ . Auch in vielen Schulen wird bereits heute oder in<br />

der nahen Zukunft von Inklusion die Rede sein. Deshalb<br />

widmen wir dieses Heft diesem Thema.<br />

Uns ist bewusst, wie schwierig die Umsetzung des Anspruchs<br />

einer inklusiven Schule ist. Aber das ist nicht<br />

anders als mit der Demokratie: Begründet ist sie durch<br />

grundlegende Werte. Schwierigkeiten im Alltag stellen<br />

diese Werte nicht in Frage. Sie können aber Anlass sein,<br />

über Formen und Bedingungen der Umsetzung nachzudenken<br />

– und sich für deren Verbesserung zu engagieren<br />

(s. dazu auch die Ergänzungen im Internet; diese gibt es<br />

immer, wenn dieses Zeichen auftaucht).<br />

04 • Februar 2012 5


Gemeinsamer Unterricht:<br />

auch für unser Kind möglich?<br />

Foto: Anne Höfer<br />

Zeichnung: Manfred von Papen<br />

(Wer ist normal …, Fortsetzung von S. 5)<br />

sich damit zufrieden und ging auf ihre besonderen Bedürfnisse<br />

ein.<br />

Sam erinnert sich noch lebhaft, wie er eines Tages endlich<br />

begriff, dass seine Freundin tatsächlich höchst seltsam<br />

war. Sie spielten bei ihr zu Hause, als plötzlich ihre<br />

Mutter hereinkam und lebhaft die Lippen bewegte. Wie<br />

durch einen Zauber nahm das Mädchen das Puppenhaus<br />

und stellte es an einen anderen Platz. Sam war völlig perplex<br />

und ging nach Hause, um sich bei seiner Mutter zu<br />

erkundigen, was für ein Leiden das Mädchen von drüben<br />

eigentlich genau habe. Seine Mutter erklärte, sie sei ›hörend‹<br />

und könne deswegen nicht ›gebärden‹; stattdessen<br />

würden sie und ihre Mutter ›sprechen‹, ihre Münder<br />

bewegen und so kommunizieren. Daraufhin fragte Sam,<br />

ob das Mädchen und seine Familie die einzigen seien, die<br />

›so‹ seien. Seine Mutter erklärte, dass im Gegenteil fast<br />

alle Menschen so seien wie die Nachbarn und seine Familie<br />

die Ausnahme. Er erinnert sich, wie er bei sich dachte,<br />

was für ein merkwürdiges Mädchen die Nachbarin<br />

sei, und wenn das ›hörend‹ bedeutete, wie seltsam doch<br />

Hörende waren.<br />

nach: Padden, C./ Humphries, T. (1991): Gehörlose. Eine Kultur<br />

bringt sich zur Sprache. Signum Verlag: Hamburg, 21 – 22)<br />

Eltern sein bedeutet Freude, aber immer auch eine<br />

enorme Herausforderung und Verantwortung. Eltern<br />

eines behinderten Kindes zu sein umfasst noch mehr.<br />

Oftmals sind besonderes Engagement, Eigeninitiative,<br />

Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen nötig,<br />

um für das Kind die gewünschte Unterstützung zu bekommen<br />

und damit es dabei so normal wie möglich<br />

aufwachsen kann. Eltern wollen das Beste für ihr Kind<br />

und sie möchten mitbestimmen: die Art der Therapien,<br />

den geeigneten Kindergarten oder die Wahl der<br />

Schule.<br />

Die Entscheidung »Welche Schule ist die beste für mein<br />

Kind?« ist für die Eltern häufig sehr schwierig, begleitet<br />

von zahlreichen Abwägungen und von Widerständen.<br />

Viele wünschen, das Kind möge trotz Beeinträchtigung<br />

so wie die Geschwister oder die Kinder aus der Nachbarschaft<br />

aufwachsen. Das spricht für den gemeinsamen<br />

Unterricht in der nahegelegenen Grundschule.<br />

Ganz selbstverständlich lernen und leben hier alle Kinder<br />

zusammen. Sie haben den gleichen Schulweg und<br />

Freundschaften können geknüpft werden, die über den<br />

Schulvormittag hinaus Bestand haben. Die Grundschullehrerin<br />

arbeitet hier mit einer Lehrerin der Förderschule<br />

zusammen, sodass eine individuelle Förderung aller<br />

Kinder möglich ist – egal, ob mit oder ohne Beeinträchtigung.<br />

Aber ist sie das wirklich? Manche Eltern haben Zweifel,<br />

wünschen sich Normalität und können sich einen solchen<br />

Unterricht nicht recht vorstellen. Sind die Klassen<br />

für den gemeinsamen Unterricht nicht viel zu groß?<br />

Werden die Bedürfnisse und Möglichkeiten meines Kindes<br />

wirklich wahrgenommen oder wird es untergehen?<br />

Und wie reagieren die nichtbehinderten Kinder? Ist die<br />

Gefahr nicht groß, dass mein Kind hier eher zum Außenseiter<br />

wird? Sind die Bedingungen einer spezifischen<br />

Förderschule – kleinere Lerngruppen, speziell ausgebildete<br />

Lehrer, Therapiemöglichkeiten vor Ort und niedrigere<br />

Lernanforderungen – nicht vorteilhafter?<br />

Eltern können eine größere Sicherheit bei der Entscheidung<br />

für eine geeignete Schule bzw. für den gemeinsamen<br />

Unterricht bekommen, wenn sie folgende Schritte<br />

bedenken:<br />

1.<br />

Frühzeitig (vor der Einschulung) Kontakte zu<br />

anderen betroffenen Eltern knüpfen, um gemeinsame<br />

Interessen auszuloten und Strategien zu planen.<br />

2.<br />

In unterschiedlichen Schulen (in Förderschulen<br />

und im GU) hospitieren und dort mit Lehrerinnen/Lehrern<br />

und betroffenen Eltern sprechen.<br />

6 04 • Februar 2012


3.<br />

Frühzeitig Kontakt mit dem zuständigen Schulamt<br />

aufnehmen, um Informationen über die rechtliche<br />

Lage und zum Verfahren einer Feststellung des sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfs zu erhalten.<br />

4.<br />

Örtliche Vereine oder Initiativen, die sich einsetzen<br />

für die Belange von behinderten Menschen<br />

und ihre selbstverständliche Teilhabe am alltäglichen<br />

Leben, auf Unterstützung ansprechen.<br />

Abb.: Von der vollständigen Ausgrenzung über die getrennte<br />

Förderung und die Einbeziehung der Behinderten als Sondergruppe<br />

zur Anerkennung aller Menschen als »besonders«<br />

Quelle des Bildes: www.inklusion-olpe.de/inklusion.php<br />

Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Untersuchungen zum<br />

gemeinsamen Unterricht<br />

Ist gemeinsamer Unterricht wirklich besser als<br />

eine Differenzierung nach Leistung?<br />

Also als erstes: Inklusion ist ein Menschenrecht – von der UN<br />

noch einmal ausdrücklich proklamiert und von Deutschland<br />

auch rechtlich akzeptiert. Insofern kann Forschung nur eine<br />

stützende oder relativierende Funktion bei der Umsetzung<br />

haben. Aber sie kann dieses Recht weder begründen noch<br />

in Frage stellen. Insofern ist klar: Die Beweislast liegt bei der<br />

Begründung getrennter Förderung, nicht bei der Rechtfertigung<br />

gemeinsamen Unterrichts .<br />

Wie sieht es denn für Kinder mit besonderen<br />

Schwierigkeiten aus?<br />

Sowohl nach deutschen wie auch internationalen Studien<br />

erbringen sie im Durchschnitt höhere fachliche Leistungen<br />

in Regelklassen. Sie machen auch eine positivere<br />

soziale Entwicklung bei gemeinsamem Unterricht. Diese<br />

Durchschnittswerte setzen sich allerdings aus vielen breit<br />

streuenden Einzelbefunden zusammen. Das verweist auf<br />

die Bedeutung der Rahmenbedingungen und bedeutet<br />

für Eltern, im Einzelfall genau hinzuschauen: Was braucht<br />

mein Kind, wie sieht es in der konkreten Einrichtung aus.<br />

Können Förderschulen Kinder mit gleichen Schwierigkeiten<br />

in den Kleingruppen nicht doch besser fördern?<br />

In der Regel nicht – trotz bester Bemühungen. Aber es<br />

fehlen die Anregungen durch leistungsstärkere Schüler/<br />

innen. Zudem senken viele Lehrer/innen in Förderschulen<br />

das Anspruchsniveau ihrer Aufgaben und haben geringere<br />

Leistungserwartungen.<br />

Leidet nicht das Selbstwertgefühl leistungsschwacher<br />

Schüler/innen im gemeinsamen Unterricht?<br />

Beim Wechsel auf die Sonder-/Förderschule atmen manche<br />

Kinder anfangs auf. Aber diese Wirkung lässt bald<br />

nach. In der neuen Lerngruppe bildet sich rasch eine<br />

neue Rangordnung heraus. Zum anderen verliert ein höherer<br />

interner Rang an Wert, wenn den Kindern das niedrige<br />

Ansehen der ganzen Einrichtung bewusster wird.<br />

Und wo bleiben die leistungsstarken Schüler/innen<br />

in einem gemeinsamen Unterricht?<br />

Sie werden dann unterfordert, wenn sich der Unterricht<br />

am niedrigeren Durchschnitt oder gar an den Leistungsschwächsten<br />

orientiert. Gemeinsamer Unterricht bedeutet<br />

aber nicht Gleichschritt. Er lebt von der Öffnung für individuelle<br />

Voraussetzungen und Möglichkeiten. Wenn im<br />

Unterricht versucht wird, jedem einzelnen Kind gerecht<br />

zu werden, profitieren alle Kinder.<br />

Aber werden die behinderten Kinder nicht leicht<br />

zu Außenseitern?<br />

In allen Gruppen gibt es mehr oder weniger beliebte<br />

Kinder. Anlass können auch äußere Auffälligkeiten sein.<br />

Entscheidend ist aber die Persönlichkeit – und wie die Besonderheiten<br />

eines jeden Kindes in einer Klasse bewertet<br />

werden. Dabei spielt die Lehrperson eine wichtige Rolle.<br />

Sie ist wesentlich an der Entwicklung gültiger Normen<br />

beteiligt. So hat gerade der gemeinsame Unterricht oft<br />

positive Wirkungen auf die Entwicklung sozialer Verhaltensweisen.<br />

Siehe ausführlicher das Video-Interview mit Hans Brügelmann<br />

und die Zusammenfassung der empirischen Befunde<br />

von Demmer-Dieckmann / Preuss-Lausitz (2008)<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

04 • Februar 2012 7


Informationen & Lesetipps<br />

Gemeinsamer Unterricht – Erfahrungen aus der Praxis<br />

Vielfältige Einblicke bieten Themenhefte<br />

von Zeitschriften z. B. mit dem<br />

Schwerpunkt Vorschule »Inklusion<br />

statt Integration!« (Theorie und Praxis<br />

der Sozialpädagogik 1/2011) und<br />

für die Grundschule »Integration,<br />

Inklu sion, gemeinsamer Unterricht«<br />

(Grundschulzeitschrift Nr. 230/2009).<br />

Zur Vertiefung eignen sich besonders<br />

die Bände<br />

Inklusive Schule<br />

P. Thoma / C. Rehle<br />

Erschienen: 2009<br />

Verlag: Klinkhardt<br />

Preis: 18,90 Euro<br />

Eine eindrucksvolle Dokumentation<br />

der besonderen Chancen gemeinsamen<br />

Unterrichtes, aber auch seiner<br />

hohen Anforderungen zeigt der Film<br />

»Klassenleben«<br />

H. Siegert<br />

DVD, 87 Min.<br />

Bezug über: www.klassenleben.de<br />

Preis: 16,00 Euro<br />

In einer integrativen fünften Klasse<br />

der Berliner Fläming-Schule lernen<br />

u. a. lernbehinderte Schüler, eine<br />

schwerst mehrfachbehinderte Schülerin<br />

sowie ein Schüler mit Hochbegabung<br />

gemeinsam.<br />

Kinderbücher zum Thema<br />

Ein Bilderbuch über Tiere, die nicht<br />

»vollständig« sind, macht Kindern die<br />

Bedeutung von »Anderssein« auf indirektem<br />

Wege zugänglich:<br />

Was soll ich da erst sagen?<br />

M. Baltscheit, A. Drescher<br />

Erschienen: 2011<br />

Verlag: Bajazzo<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Alle sind verschieden.<br />

Auf dem Weg zur Inklusion<br />

in der Schule<br />

J. Schöler<br />

Erschienen: 2009<br />

Verlag: Beltz<br />

Preis: 29,95 Euro<br />

Eine »Übersetzung« der UN-Behindertenrechtskonvention<br />

in einer einfach<br />

lesbaren Form findet sich unter:<br />

www.lebenshilfe.de/wDeutsch/<br />

in_leichter_sprache/downloads/<br />

Kurzfassung_UN_Konvention_in_<br />

Leichter_Sprache.pdf<br />

Ergänzende Materialien und Kommentare,<br />

siehe .<br />

Mit dem »Jakob-Muth-Preis« werden<br />

»inklusive Schulen« ausgezeichnet,<br />

die sich in besonderer Weise für den<br />

gemeinsamen Unter richt engagiert<br />

haben:<br />

www.bertelsmann-stiftung.de ➝<br />

Suchwort: Jakob Muth<br />

Beispielfilme zu den Preisträgern der<br />

Vorjahre finden Sie auf Youtube:<br />

➝ Eingabe: Gesamtschule Linden<br />

➝ Eingabe: Inklusive Schule 2010<br />

Sehr einfühlsam und fair in der Darstellung<br />

unterschiedlicher Sichtweisen<br />

schildert der Film »Ich bin Sam« den<br />

Kampf eines behinderten Vaters (Sean<br />

Penn) um das Sorgerecht für seine<br />

ihm geistig überlegene Tochter: http://<br />

de.wikipedia.org/wiki/Ich_bin_Sam<br />

Missverständnis<br />

Kürzlich erzählte ein Kollege engagiert<br />

von seinen »fünf Inklusionskindern«.<br />

Er war sehr irritiert, als er<br />

gefragt wurde, ob seine Klasse wirklich<br />

nur aus fünf Kindern bestünde<br />

… Sein Missverständnis: Anders als<br />

in der integrativen Schule reicht es<br />

für Inklusion nicht, »die anderen« in<br />

die Gruppe »der Normalen« aufzunehmen.<br />

So wichtig dieser Schritt<br />

war: Inklusion fordert mehr: jede<br />

und jeden Einzelnen als besonders<br />

wahrzunehmen. Damit verändert<br />

sie den Blick auf alle – und verlangt<br />

eine Öffnung des Unterrichts für individuelle<br />

Lernwege.<br />

Ein Geburtstag<br />

D. Meißner-Johannknecht,<br />

M. Kemmler<br />

Erschienen: 2007<br />

Verlag: Bajazzo<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Die Autorin schildert die Geburtstagsvorbereitungen<br />

eines Jungen für sich<br />

und seinen schwerbehinderten Zwillingsbruder.<br />

Eine Liste mit weiteren Empfehlungen<br />

haben wir auf unserer Homepage zusammengestellt<br />

➝ .<br />

Um sich in die Lage von Menschen mit<br />

besonderen Behinderungen hineinzuversetzen,<br />

sind autobiografische Berichte<br />

besonders hilfreich ➝ .<br />

8 04 • Februar 2012


Die Not mit den Noten<br />

Die Klasse hat einen Aufsatz geschrieben. Fünf Kinder<br />

haben dieselbe Note bekommen: eine 3. Mario entwickelt<br />

eine originelle Idee, zeigt aber einige Unklarheiten<br />

im Aufbau und die Zahl der Rechtschreibfehler liegt<br />

deutlich über dem Durchschnitt der übrigen Kinder.<br />

Sarahs Geschichte ist gut nachvollziehbar, aber etwas<br />

langweilig, zudem sind einige Schwächen im Ausdruck<br />

anzumerken. Die Arbeiten von Pedro, Larissa und Ria zeigen<br />

ähnliche Stärken und Schwächen. Ria schreibt sonst<br />

aber viel bessere Texte, schon die frühe Abgabe und das<br />

äußere Erscheinungsbild zeigen, dass sie sich dieses Mal<br />

nicht viel Mühe gegeben hat. Pedros Geschichte dagegen<br />

überrascht positiv, vor allem im Stil sind deutliche<br />

Fortschritte gegenüber früheren Texten erkennbar. Larissas<br />

Note entspricht den Erwartungen, allerdings macht<br />

sie mehr Ausdrucksfehler als sonst; demgegenüber ist es<br />

ihr besser gelungen, den Ablauf der Handlung nachvollziehbar<br />

darzustellen.<br />

Fünf Kinder – dieselbe Note – aber ganz unterschiedliche<br />

Leistungen. Ist das gerecht? Vor allem, wenn man<br />

überlegt, was eine »Leistung« eigentlich ausmacht: eine<br />

brillantere Geschichte zu schreiben als andere, wenn<br />

man besonders sprachbegabt ist und aus einer Familie<br />

kommt, in der viel gelesen wird – oder einen sprachlich<br />

weithin normgerechten Text zu verfassen, wenn zu Hause<br />

kaum Deutsch gesprochen wird?<br />

Hinzu kommt, dass sich die Benotung einer Leistung<br />

leicht ändern kann, wenn Kinder die Klasse wechseln<br />

oder eine neue Lehrerin bekommen. »Gerecht«, weil<br />

Zahlen so neutral aussehen? (s. ausführlicher ➝ Nr. 4).<br />

Tipp<br />

»Inklusion« war Thema<br />

des vorhergehenden Kapitels.<br />

Der Kinofilm »Berg<br />

Fidel – eine Schule für<br />

alle« dokumentiert lebendig<br />

Erfahrungen mit<br />

gemeinsamem Lernen in<br />

einer Münsteraner Grundschule.<br />

Im März erscheint<br />

er als DVD: www.bergfidel.<br />

wfilm.de/berg_fidel/DVD.<br />

html<br />

Liebe Eltern,<br />

Noten sind aus vielen Gründen problematisch (s. den<br />

Überblick über die Forschung S. 10). Andere Formen der<br />

Leistungsbeurteilung (s. S. 11) können diese Probleme<br />

aber nur teilweise lösen.<br />

Der Grund: In unserem Schulsystem geht es nicht nur um<br />

Förderung, sondern auch um Auslese. Zurückstellung<br />

am Schulanfang; Versetzung oder Klassenwiederholung;<br />

Überweisung auf separate Förderschulen; Verzweigung<br />

der Wege nach Klasse 4 auf unterschiedlichste weiterführende<br />

Schulen, insbesondere die Zulassung zu den<br />

begrenzten Plätzen im Gymnasium erzwingen einen<br />

Vergleich der Leistungen untereinander. Selbst wenn<br />

alle Kinder gesetzte Lernziele erreichen, werden Lehrer/<br />

innen gezwungen, Rangplätze zu vergeben – zum Beispiel<br />

indem sie Aufgaben in Klassenarbeiten schwerer<br />

machen, bis sich die Leistungen wieder nach der Glockenkurve<br />

verteilen (vgl. den »Fall Czerny« in Bayern ➝<br />

Nr. 1c).<br />

Das steht zwar im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben,<br />

wie sie die Kultusministerkonferenz bereits 1968<br />

vereinbart hat, als sie die Notenstufen auf das Erreichen<br />

inhaltlicher Anforderungen bezog. Aber die Praxis sieht<br />

meist anders aus. Und das liegt an den Auslesezwängen<br />

unseres Schulsystems. Wenn wir über Noten reden, geht<br />

es also nicht nur um Verfahren und Formen der Beurteilung<br />

– so wichtig deren Verbesserung ist (vgl. das Konzept<br />

der »Pädagogischen Leistungskultur« des Grundschulverbands<br />

➝ Nr. 1c). Wir müssen auch über die<br />

Strukturen unseres Schulsystems sprechen. Damit sind<br />

wir wieder beim Thema unseres Heftes 4: längeres gemeinsames<br />

Lernen und Inklusion. Hier sind klare bildungspolitische<br />

Entscheidungen nötig – und eine entsprechende<br />

Unterstützung derjenigen, die sie vor Ort<br />

umsetzen sollen. Richtlinien und Lehrpläne, die einerseits<br />

Individualisierung fordern und andererseits gleiche<br />

Leistungsanforderungen für alle zum selben Zeitpunkt<br />

(»Regelstandards«) vorgeben, bringen Lehrer/innen in<br />

ein unauflösbares Dilemma.<br />

08 • Februar 2013 9


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Was leisten Noten – nicht?<br />

Mit Noten werden besondere Ansprüche verbunden, die<br />

sie nicht besser einlösen als Alternativen wie Entwicklungsberichte<br />

(vgl. zusammenfassend ➝ Nr. 5 und<br />

ausführlich zur Forschung ➝ Nr. 3):<br />

●●<br />

Noten sind nicht eindeutig. Differenzierte Leistungsprofile<br />

in einem Fach schrumpfen auf eine Ziffer, die<br />

für sehr Unterschiedliches stehen kann (vgl. S. 9).<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Noten sind nicht objektiv. Verschiedene Lehrer/innen<br />

beurteilen dieselbe Leistung unterschiedlich – selbst<br />

in einem scheinbar objektiven Fach wie Mathematik.<br />

Noten sind nicht verlässlich. Selbst dieselbe Lehrperson<br />

beurteilt dieselbe Leistung unter anderen Bedingungen<br />

oft anders.<br />

Noten sind über Klassengrenzen hinweg nicht vergleichbar.<br />

Sie orientieren sich am Klassenmittelwert<br />

und sind deshalb nicht fair.<br />

Noten erlauben keine Vorhersage des weiteren Schuloder<br />

gar Berufserfolgs.<br />

Noten sind nicht informativ – insbesondere, was die<br />

notwendige Förderung betrifft. Sie bewerten den aktuellen<br />

Stand, geben aber keine Hinweise, wo genau<br />

was zu tun ist.<br />

Noten schaden der inhaltlichen Motivation – auch der<br />

der leistungsstarken Kinder, da diese sich für gute<br />

Noten nicht anstrengen müssen. Noten lenken den<br />

Blick vom Sachinteresse auf Fremdbelohnung – und<br />

sie gehören (wie die Angst vor Nichtversetzung) zu<br />

den häufigsten Ängsten von Kindern.<br />

Auch die Alternativen leiden unter einigen dieser Schwächen,<br />

dennoch haben sie ganz entscheidende Vorzüge.<br />

Zwar sind Entwicklungsberichte nicht objektiver und<br />

auch nicht verlässlicher, da sie wie Noten auch vom Lehrerurteil<br />

abhängen. Aber sie machen dessen Subjektivität<br />

sichtbar und damit diskutierbar – sofern die Ziffern<br />

nicht lediglich in Verbalformeln übersetzt werden. Dann<br />

können sie informativer sein und verdeutlichen, unter<br />

welchen Bedingungen Leistungen zustande gekommen<br />

sind. Vor allem können sie konkrete Hinweise für die<br />

nächsten Schritte geben.<br />

Ergebnisse einer Umfrage des<br />

Deutschen Kinderschutzbunds<br />

… zum Stress in der Grundschule sind hier<br />

zusammengefasst:<br />

www.focus.de/wissen/diverses/druck-in-dergrundschule-viele-kinder-spueren-schon-in-dergrundschule-stress_aid_865423.html<br />

(bzw. www.focus.de > bei Suchfunktion eingeben:<br />

Druck in der Grundschule Stress)<br />

Ganz fremd?<br />

Trifft der Pudel seinen Freund, den Dackel.<br />

„Was schaust du denn so traurig?“, fragt er ihn.<br />

Antwort: „Ich bekomme jetzt so lange eine Fünf, bis<br />

ich ein Schäferhund bin…“<br />

(Idee: Ernst Böse)<br />

Aber warum haben sich Noten dann so lange gehalten?<br />

Sie sind den Betroffenen seit Jahrzehnten vertraut. Sie<br />

lassen sich mit geringem Aufwand vergeben. Sie ermöglichen<br />

ein »Ranking«, wie es die problematischste Funktion<br />

der Schule, die Auslese, erfordert. Und sie erscheinen<br />

vielen schon in der Grundschule notwendig, weil es in<br />

den weiterführenden Schulen Noten gibt.<br />

Dabei könnte man überall dort ohne Probleme auf Ziffernnoten<br />

verzichten, wo der Elternwille bei der Schulwahl<br />

nach Klasse 4 entscheidet. Dann wäre für die Eltern,<br />

aber auch für die aufnehmende Schule eine verbale<br />

Rückmeldung zu den Leistungen und Lernentwicklungen<br />

der Kinder hilfreicher.<br />

Schulen ohne Noten<br />

in anderen Ländern<br />

Viele Länder geben in der Grundschule, oft sogar<br />

weit darüber hinaus, keine Noten. Sie sind nicht nötig,<br />

weil die Kinder in diesen Ländern länger gemeinsam<br />

lernen. Auch Sitzenbleiben und Aussonderung sind<br />

seltener. Unter diesen Ländern sind bei PISA bzw. IGLU<br />

erfolgreiche Schulsysteme wie die skandinavischen,<br />

vor allem Finnland, und Südtirol in Italien.<br />

Aber auch in einigen dieser Länder schwankt die<br />

Politik – je nachdem, welche Partei an die Regierung<br />

kommt (z. B. in England und in Schweden).<br />

Mehr dazu ➝ Nr. 8 »Internationale Vergleiche«.<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />

Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

10 08 • Februar 2013


Tests oder Texte –<br />

welche Alternativen gibt es für Noten?<br />

Viele sehen in Tests die Lösung für die Probleme des fehleranfälligen<br />

Lehrerurteils. Die Aufgaben, ihre Durchführung<br />

und ihre Auswertung sind standardisiert. Also sollten<br />

die Ergebnisse objektiv, eindeutig und vergleichbar<br />

sein. Leider ist dem nicht so.<br />

Aufgabentexte müssen gelesen werden, also wird z. B.<br />

in Mathematik auch die Lesefähigkeit mitgetestet. Schüler/innen<br />

können Aufgaben unterschiedlich verstehen.<br />

Oder sie kreuzen eine Antwort aus anderen Gründen<br />

an, als der Test unterstellt. Für »falsche« Lösungen kann<br />

es gute Gründe geben (vgl. die Beispiele in ➝ Nr. 6).<br />

Aber auch eine »richtige« Lösung kann auf verschiedene<br />

»Kompetenzen« verweisen: intelligente Problemlösung;<br />

Wissenstransfer aus ähnlichen, geübten Aufgaben; Abruf<br />

einer angelernten Lösung; geschicktes Raten.<br />

Um nicht in die Notenfalle zu geraten, haben sich einige<br />

Vorkehrungen als nützlich erwiesen:<br />

●●<br />

Wie beim Autoführerschein entscheiden die Kinder<br />

selbst, wann sie sich welchen Teilprüfungen stellen<br />

wollen.<br />

●●<br />

In einem Raster mit konkreten Lernzielen wird vermerkt,<br />

wann ein Kind welche (Teil-)Leistungen erbracht<br />

hat.<br />

Selbst- und Fremdeinschätzung im Dialog<br />

Lerngespräch statt Ziffernzeugnis<br />

Tests sind zudem punktuelle Leistungssituationen: Der<br />

eine kann mit dem Zeitdruck besser umgehen als andere.<br />

Ob jemand einen »guten« oder »schlechten« Tag<br />

hat, beeinflusst, ob er bzw. sie vorhandenes Wissen und<br />

Können abrufen kann. In größeren Gruppen gleichen<br />

sich solche Abweichungen ein Stück weit aus. Für Urteile<br />

über einzelne Personen sind Tests dagegen zu fehleranfällig.<br />

Sie bieten Lehrer/inne/n zusätzliche Daten, können<br />

deren Urteil aber nicht ersetzen, sondern lediglich die<br />

Basis für dieses Urteil erweitern.<br />

Bleiben ausformulierte Berichte. Verbale Beurteilungen<br />

sind nicht objektiver als Noten. Aber sie beanspruchen<br />

dies auch nicht – dafür machen sie die Subjektivität des<br />

Lehrerurteils durchsichtig und diskutierbar. Allerdings ist<br />

es nicht damit getan, Ziffern durch Wörter zu ersetzen.<br />

●●<br />

●●<br />

In solchen Rastern schätzen die Kinder sich gelegentlich<br />

selbst ein, ehe die Lehrperson ihre Beurteilung<br />

einträgt – Anlass für ein gemeinsames Bilanzgespräch,<br />

evtl. zusammen mit den Eltern.<br />

Leistungen werden nicht nur im Blick auf die allgemeinen<br />

Anforderungen, sondern auch mit Bezug auf die<br />

individuellen Voraussetzungen bewertet – mit Hinweisen<br />

auf sinnvolle »nächste Schritte« (sensibel geschriebene<br />

Entwicklungsberichte finden sich in dem<br />

Buch von Bambach, s. S. 12). Wie man mit dem bestehenden<br />

Notenzwang noch einigermaßen erträglich<br />

umgehen kann, zeigen die Beispiele ➝ Nr. 7).<br />

Ohne Noten keine Leistung?<br />

In einer Hamburger Studie von (LAU-Studie von Lehmann<br />

u. a. 1997) wurden die Leistungen am Ende der<br />

Grundschulzeit mit standardisierten Tests verglichen.<br />

In Klassen mit Noten waren sie nicht besser als in denen,<br />

die Kindern eine individuelle Rückmeldung gegeben<br />

hatten. Und selbst bei denselben Noten hatten Kinder<br />

aus bildungsnahen Familien eine höhere Chance auf<br />

das Gymnasium zu kommen als Unterschichtskinder.<br />

Ein weiteres Problem unseres selektiven auf Noten<br />

basierenden Schulsystems. Mehr dazu ➝ Nr. 3<br />

08 • Februar 2013 11


Informationen & Lesetipps<br />

Erziehung in Familie und Schule<br />

Ein sehr persönlich geschriebener,<br />

engagierter, zugleich aber auch differenzierter<br />

Elternratgeber, der auf zu<br />

simple Vereinfachungen verzichtet:<br />

Warum es nicht so schlimm ist, in<br />

der Schule schlecht zu sein: Schulschwierigkeiten<br />

gelassen meistern<br />

Heidemarie Brosche / Björn Maier<br />

Erschienen: 2008<br />

Verlag: Kösel<br />

Preis: 16,95 Euro<br />

Ermutigungen, Nicht Zensuren.<br />

Ein Plädoyer in Beispielen<br />

Heide Bambach<br />

pädagogische Diskussion zur Leistungsbeurteilung<br />

insgesamt gibt die<br />

Expertise<br />

Sind Noten nützlich und nötig?<br />

Arbeitsgruppe Primarstufe<br />

Erschienen: 2005<br />

Verlag: Grundschulverband<br />

Preis: 18,00 Euro<br />

Weitere Literaturempfehlungen für<br />

Eltern finden sich ➝ Nr. 1<br />

Geschichten für Kinder<br />

zum Thema<br />

Schokolade und<br />

andere Geheimnisse<br />

Heike Brandt / Susanne Göhlich<br />

Heißer Tipp:<br />

Hör-Geschichten für Kinder,<br />

gesprochen von Profis wie<br />

Anke Engelke, kostenlos herunter -<br />

zuladen unter www.ohrka.de<br />

(OHRA – Netzwerk Hörmedien<br />

für Kinder e. V.)<br />

wie sie sein kann, wenn Lehrer/innen<br />

Unterricht und Klassenleben gemeinsam<br />

mit den Kindern gestalten.<br />

Verkleidet in eine Geschichte ist dieser<br />

Lernhelfer für Kinder, die Schwierigkeiten<br />

damit haben, sich und ihre<br />

Arbeit für die Schule zu organisieren:<br />

Gute Noten mit Frau Ulkig – oder:<br />

Was hilft die Noten zu verbessern<br />

Anette Neubauer/ Mirella Fortunato<br />

Erschienen: 2008<br />

Verlag: Albarello<br />

Preis. 10,90 Euro<br />

Konkrete Alternativen<br />

zu Ziffernnoten<br />

Erschienen: 1994<br />

Verlag: Libelle<br />

Preis: 14,80 Euro<br />

Eindrucksvolles Plädoyer einer Lehrerin,<br />

die viele Jahre ohne Noten unterrichtet<br />

hat – mit überzeugenden Beispielen<br />

aus ihren Klassen.<br />

Einen systematischen Überblick über<br />

die Forschung zu Noten und über die<br />

Erschienen: 2011<br />

Verlag: Gerstenberg<br />

Preis: 2,95 Euro<br />

Eine spannende, einfühlsam erzählte<br />

Geschichte über Lügen, Geheimnisse<br />

und den Leistungsdruck, den manche<br />

Eltern auf ihre Kinder ausüben, vor allem<br />

beim Übergang auf das Gymnasium<br />

– aber auch über Grundschule,<br />

Mehr Informationen unter<br />

www.grundschulverband.de/veroef<br />

fentlichungen/mitgliederbaende/<br />

12 08 • Februar 2013


Schulwechsel:<br />

Welche Schule ist gut für unser Kind?<br />

Foto: Bert Butzke<br />

Pädagog/inn/en sind sich in dieser Frage nicht einig. Das<br />

zeigt schon die große Breite an Reformschulen: Es gibt<br />

Waldorfschulen, Montessori-Pädagogik, den Jena plan<br />

von Petersen, die Freinet-Kooperative und noch viele andere<br />

freie Schulen.<br />

Auch Eltern haben unterschiedliche Erwartungen.<br />

Schulen, die alle Wünsche erfüllen, gibt es nicht. Eltern<br />

können aber prüfen, ob sich eine Schule ernsthaft bemüht,<br />

ihren Ansprüchen gerecht zu werden. Lassen Sie<br />

sich also nicht durch Hochglanzbroschüren blenden,<br />

schauen Sie hinter die Fassade. Gleichzeitig gilt: Selbst in<br />

einer durchschnittlichen Schule kann es Ihrem Kind gut<br />

gehen. Denn letztlich kommt es auf die konkreten Personen<br />

an, mit denen es täglich zu tun hat: Lehrer, Mitschüler<br />

– und auch Sie als Eltern.<br />

Für den Alltag wichtig sind praktische Bedingungen:<br />

Wie weit ist der Schulweg? Kann Ihr Kind mit Freunden,<br />

mit Nachbarskindern auf diese Schule gehen? Gibt es Betreuungsmöglichkeiten?<br />

Prüfen Sie, welches pädagogische Konzept eine Schule<br />

hat – und was im Alltag hinter ihren Mauern passiert.<br />

Meldung<br />

Das Land Baden-Württemberg hat die bindende<br />

Empfehlung der Grundschule zugunsten einer Elternwahl<br />

der weiterführenden Schule gekippt. Obwohl<br />

es Hinweise gibt, dass die Lehrerempfehlungen<br />

– allerdings nur schwach – prognostisch sicherer sind<br />

(nachzu lesen zum Beispiel bei Hartmut Ditton) ist<br />

dies die richtige Entscheidung. Nutzen Sie aber die<br />

Möglichkeit, sich beraten zu lassen!<br />

Folgende Punkte sprechen für eine »gute Schule«:<br />

Die Kinder gehen gerne zur Schule<br />

1 Wecken die Lehrer/innen Lust aufs Lernen und die<br />

Bereitschaft, sich anzustrengen – statt unnötig Druck<br />

auszuüben? Fällt Unterricht aus, sollte dies nicht als Erlösung<br />

erlebt werden – und das Ende der Ferien nicht als<br />

Graus, der Bauchschmerzen und Schlaflosigkeit auslöst.<br />

2<br />

Foren<br />

… mit interessanten Beiträgen und Diskussionen<br />

zum Thema »gute Schule« gibt es viele.<br />

Neben www.guteschule.eu/ erscheinen uns die<br />

folgenden besonders interessant – vor allem wegen<br />

der konkreten Beispiele »guter Schulen«:<br />

www.adz-netzwerk.de<br />

www.BlickueberdenZaun.de<br />

www.starke-grundschulen.de/school_map.cgi<br />

www.schulen-der-zukunft.org/<br />

Die Schule fordert und fördert Leistung<br />

Allen Kindern werden anspruchsvolle Aufgaben gestellt<br />

– bezogen auf ihr jeweiliges Können. Die Anforderungen<br />

sind für Schüler/innen und Eltern durchsichtig.<br />

Die Schule rühmt sich nicht nur ihrer Preisträger und<br />

Stars – sie hat auch eine niedrige Quote an Wiederholern<br />

und nur wenige Abgänge in niedrigere Schulformen. Besondere<br />

Neigungen und Begabungen finden ihren Ort in<br />

Chor, Mathematik-AG, Orchester, Erfinder-, Theater- oder<br />

Sportgruppen, in Angeboten für Praktika und in internationalen<br />

Austauschprogrammen.<br />

Bei Problemen erhalten Schüler/innen Hilfe<br />

3 Der Unterricht nimmt Rücksicht auf unterschiedliche<br />

Voraussetzungen. Bei schwachen Leistungen werden<br />

Schüler/innen nicht bloßgestellt. Rückmeldungen beschränken<br />

sich nicht auf Noten. Unter Schülerarbeiten<br />

stehen hilfreiche Kommentare, statt Ziffernzeugnissen<br />

gibt es Informationen zur Lernentwicklung. An Sprechtagen<br />

(und möglichst öfter …) finden Beratungsgespräche<br />

mit Eltern und Schulkindern statt.<br />

(Fortsetzung S. 14)<br />

03 • November 2011 13


(Schulwechsel …, Fortsetzung von S. 13 )<br />

4<br />

Lehrer/innen respektieren ihre Schüler/innen<br />

Die UN-Kinderrechtskonvention gilt auch für und<br />

in Schulen. Darum sind Schüler/innen über Klassen räte,<br />

Schülerparlament und Streitschlichterprogramm an<br />

wichtigen Entscheidungen zu beteiligen. Auch im Unterricht<br />

können Kinder mitbestimmen. Innerhalb von Rahmenthemen<br />

sollten sie entscheiden können, was und wie<br />

sie lernen.<br />

Statt gleichschrittigem Arbeiten nach Vorgabe werden<br />

zwischen Lehrer/in und Schulkind gemeinsam die nächsten<br />

Lernschritte überlegt und in Vereinbarungen festgehalten.<br />

Für den Umgang gibt es klare Vereinbarungen<br />

5 Regeln werden nicht einfach vorgegeben, sondern<br />

gemeinsam entwickelt – bis hin zu »Verträgen« mit Einzelnen.<br />

Sie gelten auch für die Lehrer/innen (z. B. »Nicht<br />

dazwischen reden!«, »Pünktlich sein!«).<br />

6<br />

Die Schule ist auch als Lebensort gestaltet<br />

Im Gebäude fühlt man sich wohl: »Der Raum ist der<br />

dritte Pädagoge«. Nicht nur Schüler/innen, sondern auch<br />

Lehrer/innen können dort arbeiten. Lässt die Ausstattung<br />

(Bilder! Plakate!) ein Wir-Gefühl und einen Einblick in den<br />

Schulalltag erkennen oder dienen Ausstellungen eher der<br />

Selbstdarstellung? Besucher/innen werden in den Sprachen<br />

der Schüler/innen begrüßt, Hinweisschilder helfen<br />

zu einer raschen Orientierung, Informationen am Schwarzen<br />

Brett sind aktuell. Die Wände sind nicht verdreckt,<br />

sondern ästhetisch ansprechend gestaltet, Schaukästen<br />

nicht verstaubt. Auf den Fluren und dem Schulhof liegt<br />

Die Wartburg-Grundschule in Münster – eine pädagogisch<br />

wie architektonisch besondere Schule!<br />

kein Unrat herum, und die Toiletten schrecken nicht von<br />

ihrer Nutzung ab. Generell, vor allem in Ganztagsschulen:<br />

Gibt es auch Freizeit- und Rückzugsmöglichkeiten?<br />

7<br />

Die Schule ist keine pädagogische Insel<br />

Es gibt Kontakte in den Stadtteil, Kooperationen mit<br />

anderen Einrichtungen wie Sportvereinen, Bibliotheken,<br />

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die pädagogischen<br />

Aktivitäten hören nicht am Zaun des Schulhofs<br />

auf: Projekte ermöglichen Recherchen außerhalb; sachkundige<br />

Erwachsene werden eingeladen, um den Unterricht<br />

mit ihren persönlichen Erfahrungen, ihrem fachlichen<br />

Wissen und Können zu bereichern.<br />

8<br />

Lehrer/innen sind keine Einzelkämpfer<br />

Sie arbeiten in Teams zusammen und besuchen regelmäßig<br />

Fortbildungen. Gemeinsam mit Schulkindern,<br />

Eltern und weiteren Beteiligten haben sie ein Schulpro-<br />

Foto: Stadt Münster<br />

Klassenrat – eine Versammlung, um gemeinsame Anliegen zu besprechen und demokratisch zu entscheiden<br />

Foto: Simone Knorre<br />

14 03 • November 2011


gramm erarbeitet. Seine Umsetzung wird regelmäßig<br />

überprüft. Die ganze Schule versteht sich als lernende<br />

Einrichtung.<br />

9<br />

Eltern arbeiten aktiv in der Schule mit<br />

Eltern unterstützen die Arbeit der Schule über einen<br />

Förderverein. Sie sind nicht nur als Kuchenbäcker für<br />

Schulfeste oder beim Basteln für den Weihnachtsbasar<br />

gefragt. Ihr Engagement in Gremien und ihre Hospitation<br />

im Unterricht werden gefördert.<br />

10<br />

Fühlen Sie selbst sich in der Schule wohl?<br />

Bitten Sie die Schulleitung um ein Gespräch.<br />

Schon deren Bereitschaft ist ein wichtiges Zeichen für<br />

eine gute Schule.<br />

Zur Vorbereitung können Sie Unterlagen aus der<br />

Selbst- oder Fremdevaluation erfragen (Schülerbefragungen,<br />

Lernstandserhebungen, Schulinspektion). Besuchen<br />

Sie außerdem Informationsabende und »Tage der<br />

offenen Tür«. Lassen Sie sich dabei von einem Schulkind<br />

begleiten und die Räume aus dieser Sicht zeigen und erklären.<br />

Sprechen Sie mit anderen Eltern oder mit ehemaligen<br />

Schulkindern aus Ihrer Nachbarschaft.<br />

Eine gute Schule hat ein »Gesicht«. Sie hat gemeinsame<br />

Ziele, für die sich alle Beteiligten gemeinsam einsetzen.<br />

Auch gegen Widerstände.<br />

Aber denken Sie daran: Keine Schule kann alle<br />

Ansprüche erfüllen. Wenn es Schwierigkeiten gibt:<br />

Suchen Sie das Gespräch mit den Lehrpersonen. Ob es<br />

Ihrem Kind gut geht, hängt zum großen Teil auch von<br />

Ihnen ab …<br />

Was können Eltern für einen guten Übergang tun?<br />

●●<br />

Achten Sie auf die besonderen Stärken und Neigungen<br />

Ihres Kindes. Respektieren Sie aber auch seine Grenzen.<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Nutzen Sie die Flexibilität des Systems – soweit gegeben.<br />

Ihr Kind kann die Schule wechseln, aber auch die<br />

Schulform. Höhere Abschlüsse lassen sich auch nachholen.<br />

Bedenken Sie: Auch eine »gute Schule« besteht nicht<br />

nur aus »guten« Lehrpersonen.<br />

Stehen Sie hinter Ihrem Kind, wenn es Schwierigkeiten<br />

hat. Nehmen Sie aber auch die Überlegungen der Lehrer/innen<br />

ernst und bleiben Sie fair.<br />

»Eine Schule ist gut, wenn Schüler traurig sind,<br />

dass Unterricht ausfällt.«<br />

(Pädagogenweisheit)<br />

Foto: Bert Butzke<br />

Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Entscheidung über die weiterführende Schule<br />

Den Übergang am Ende der Grundschulzeit erleben alle<br />

Beteiligten als schwierige Phase. Denn alle Bundesländer<br />

verlangen nach der Grundschule die Aufteilung der Kinder<br />

auf verschiedene Schularten. Rechtlich stellt sich die Frage:<br />

●●<br />

Wer sollte und wer darf über den Zugang zu den Schularten<br />

entscheiden?<br />

Das Verfahren ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.<br />

Auch innerhalb der Länder ändern sich Regeln.<br />

Zurzeit ist der Trend, das Elternrecht zu stärken (siehe im<br />

Einzelnen zu den Regelungen ➝ ).<br />

Konkret sagt die Forschung:<br />

●●<br />

Die Übergangsempfehlungen von Lehrer/innen sind<br />

sehr unsicher. Vor allem bevorteilen sie bei gleichen<br />

Leistungen Kinder aus höheren sozialen Schichten.<br />

●●<br />

Die Prognosen von Tests sind ebenfalls nicht verlässlich<br />

genug. Schulerfolg lässt sich bei Zehnjährigen<br />

nicht vorhersagen.<br />

●●<br />

Selbst ein späterer Zeitpunkt des Übergangs – z. B.<br />

nach Klasse 6 (wie in Berlin und Brandenburg) – verbessert<br />

die Treffsicherheit der Vorhersagen nicht.<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Deshalb wäre es besser, wenn Schüler/innen länger<br />

gemeinsam lernen könnten. Lernen in leistungsgemischten<br />

Gruppen ist kein Nachteil.<br />

Solange das nicht möglich ist, sollten Eltern und Kinder<br />

entscheiden.<br />

Allerdings schlägt dann die soziale Herkunft noch stärker<br />

durch als beim Lehrervotum.<br />

Deshalb sollte die Beratung mit Lehrer/innen beider<br />

Schulstufen gesucht werden.<br />

(siehe ergänzend zu einzelnen Fragen das Video-Interview<br />

und die Nachweise unter )<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen,<br />

erfahren Sie Näheres auf<br />

www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

03 • November 2011 15


Informationen & Lesetipps<br />

Was ist eine gute Schule?<br />

Zu dieser Frage haben mehrere Zeitschriften<br />

eigene Themenhefte herausgebracht.<br />

Sie benennen eigene<br />

Kriterien, stellen aber auch interessante<br />

Beispiele vor, z. B.<br />

SPIEGEL-Wissen Mai 2011,<br />

GEO-Wissen November 2009,<br />

STERN Ratgeber Bildung 1/2010.<br />

Zwei kürzlich erschienene Bücher<br />

wählen einen ähnlichen Ansatz. Bei<br />

ihren Schulporträts gehen sie aber<br />

mehr in die Tiefe:<br />

Die gute Schule.<br />

Wo unsere Kinder gerne lernen<br />

C. Füller<br />

Erschienen: 2009<br />

Verlag: Pattloch<br />

Preis: 16,95 Euro<br />

Lernen geht auch anders.<br />

Reformschulen sind die bessere<br />

Alternative<br />

H. Papenfuss<br />

Erschienen: 2009<br />

Verlag: Patmos<br />

Preis: 16,90 Euro<br />

Konkrete »Standards« für eine gute<br />

Schule hat der Schulverbund »Blick<br />

über den Zaun« veröffentlicht (➝<br />

www.BlickueberdenZaun.de). Sie beziehen<br />

sich auf die drei Ebenen Unterricht,<br />

Schule und schulische Rahmenbedingungen.<br />

Schulqualität hängt<br />

danach von dem Zusammenwirken<br />

der einzelnen Lehrer/innen, der Schulgemeinschaft<br />

sowie Politik und Verwaltung<br />

ab.<br />

Die Jury für den Deutschen Schulpreis<br />

hat sechs Anforderungen an<br />

eine gute Schule formuliert (➝ http://<br />

schulpreis.bosch-stiftung.de).<br />

Und was macht den Alltag einer guten<br />

Schule aus? Deutlich wird das in<br />

Büchern, die von Lehrerinnen selbst<br />

geschrieben wurden:<br />

So dumm sind sie nicht.<br />

Von der Würde der Kinder in der<br />

Schule<br />

U. Andresen<br />

Erschienen: 2002<br />

Verlag: Beltz Taschenbuch<br />

Preis: 14,00 Euro<br />

Was wir unseren Kindern<br />

in der Schule antun<br />

… und wie wir das ändern können<br />

S. Czerny<br />

Erschienen: 2010<br />

Verlag: Südwest<br />

Preis: 17,99 Euro<br />

Kinder können mehr.<br />

Anders lernen in der Grundschule<br />

F. Czisch<br />

Erschienen: 2005<br />

Verlag: Antje Kunstmann<br />

Preis: 22,00 Euro<br />

Unermesslich.<br />

Jenseits von Pisa<br />

N. Simon<br />

Erschienen: 2011<br />

Arbeitsgruppe Primarstufe /<br />

Universität: Siegen<br />

Preis: 7,00 Euro<br />

Übergänge<br />

… werden im gestuften Bildungssystem<br />

mehrfach zum Thema: als Wechsel<br />

vom Kindergarten in die Grundschule<br />

(s. S. 1 ff.), von der Grundschule<br />

in die weiterführenden Schulen, von<br />

dort in den Beruf oder an die Hochschule.<br />

Speziell zum Wechsel von der<br />

Grundschule auf die Sekundarstufe:<br />

Den Übergang gestalten.<br />

Wege vom 4. ins 5. Schuljahr<br />

G. Beck<br />

Erschienen: 2002<br />

Verlag: Kallmeyer<br />

Preis: 7,95 Euro<br />

Ein Jugendbuch zum Thema:<br />

Echt Susi<br />

Chr. Nöstlinger<br />

Erschienen: 2002<br />

Verlag: Dachs<br />

(leider vergriffen;<br />

nur über Amazon,<br />

ca. 2,50 Euro, oder<br />

als Audio-Kassette<br />

[Jumbo 2000],<br />

9,99 Euro)<br />

Wie Schülerinnen und Schüler den<br />

Wechsel von der Grundschule zur weiterführenden<br />

Schule erleben, zeigen<br />

die Ergebnisse einer aktuellen Befragung<br />

von Stefanie van Ophuysen u. a.:<br />

➝<br />

Starke Grundschulen<br />

… nennt der Grundschulverband<br />

sein Netzwerk von Schulen, die<br />

»gemeinsam unterwegs« sind:<br />

nicht Leuchtturmschulen, keine<br />

»fertigen« Schulen, sondern Schulen<br />

in Entwicklung, die am Austausch<br />

mit anderen interessiert<br />

sind (vgl. »Grundschule aktuell«<br />

H. 118 / 2012). Nach 21 Kriterien erschließbar<br />

lassen sich Programme<br />

und Standorte dieser Schulen auf<br />

einer interaktiven Landkarte finden:<br />

www.starke-grundschulen.<br />

de/school_map.cgi<br />

16 03 • November 2011


Kinder erforschen die Welt –<br />

wie Wissenschaftler<br />

Der Schweizer Psychologe Jean Piaget hat sich viel mit<br />

Kindern darüber unterhalten, was sie über die Welt denken<br />

(➝ 1b). Ihre Theorien über die Umwelt und deren<br />

Rätsel sind spannend. Beispiel ist die Erfahrung, dass<br />

Sonne und Mond auch dann bei uns bleiben, wenn wir<br />

uns bewegen:<br />

Cam (6 Jahre) sagt von der Sonne: »Sie kommt mit uns,<br />

weil sie uns zuschaut.« – »Warum schaut sie uns zu?« – »Sie<br />

schaut, ob man brav ist.«<br />

Gespräch mit Jac (6;6 Jahre): »Was tut der Mond, wenn<br />

man spaziert?« – »Er rollt mit uns.« – »Warum?« – »Weil der<br />

Wind ihn antreibt.«<br />

Duc (7;6 Jahre): »Was macht die Sonne, wenn du spazieren<br />

gehst?« – »Sie leuchtet.« – »Folgt sie dir nach?« – »Nein, aber<br />

man sieht sie überall.« – »Warum?« – »Weil sie sehr groß ist.«<br />

(nach Piaget »Das Weltbild des Kindes«, S. 178, 180)<br />

Für Kinder ist es überraschend, dass Sonne und Mond<br />

immer »mit uns gehen« – anders als Häuser oder Bäume.<br />

Zur Erklärung greifen sie auf vertraute Vorstellungen<br />

zurück. Nach Piaget ist dies eine typische Entwicklung:<br />

Erst wird den Gestirnen ein eigener Wille unterstellt (wie<br />

bei anderen Lebewesen); danach vermuten die Kinder,<br />

dass eine äußere Kraft wirkt (der Wind). In früheren<br />

Zeiten haben auch Erwachsene so gedacht.<br />

hen oder gar »auszulöschen« – bis heute. Dabei wissen<br />

wir, dass Kinder neues Wissen nur aus dem entwickeln<br />

können, was sie schon mitbringen.<br />

Kinder erkunden die Welt wie Wissenschaftler. Sie bilden<br />

Vermutungen, sie probieren ihre Denkmodelle aus. Solange<br />

diese Vorstellungen funktionieren, behalten sie sie<br />

bei, z. B. dass es kalt ist, weil es geschneit hat (und nicht<br />

umgekehrt).<br />

Aber auch wenn die Erklärungen nicht mehr passen,<br />

braucht es Zeit, bis die Kinder ihre Vorstellungen an neue<br />

Erfahrungen anpassen. Wie auch wir Erwachsene Zeit<br />

brauchen, um unsere Vor-Urteile zu überwinden. Und<br />

selbst Wissenschaftler: Die Geschichte der Physik ist voll<br />

von solchen Weltbild-Kämpfen: die Erde als Scheibe oder<br />

Kugel; die Sonne, die um die Erde kreist – oder umgekehrt;<br />

der Streit zwischen Wellen- und Teilchen- Modellen<br />

in der modernen Atomphysik. Theorien werden immer<br />

weiter verfeinert – aber wir wissen nie, ob unser jetziges<br />

Weltbild nicht noch besser werden kann. Um im Alltag<br />

klar zu kommen, reichen uns Laien einfachere Theorien<br />

als Wissenschaftlern.<br />

Auch Kinder entwickeln ihre ganz eigenen Vorstellungen<br />

– passend auf ihre persönlichen Erfahrungen und<br />

auf ihren geistigen Entwicklungsstand. Wir sehen oft nur<br />

»Fehler«, wo Kinder die komplexe Wirklichkeit vereinfachen<br />

– passend für den aktuellen Stand ihres Denkens.<br />

Beobachten, wie Pflanzen wachsen<br />

Jeder Mensch sucht nach Sinn. Sinnvoll kann aber nur<br />

sein, was in die individuelle Denkwelt und die umgebende<br />

Kultur passt.<br />

Wir sollten diese Erklärungen ernst nehmen und respektieren.<br />

Denn nur aus diesen einfachen Vorstellungen<br />

kann sich Fachwissen entwickeln. Immer wieder<br />

hat Schule versucht, falsche Vorstellungen zu überge-<br />

Liebe Eltern,<br />

der Alltag ist die beste Lernsituation. Kinder untersuchen<br />

alles, was ihnen unter die Finger kommt. Sie probieren es<br />

aus, sie bauen etwas zusammen, sie tun »als ob« – und<br />

sie denken nach. Kinder sind Forscher.<br />

Das Kochgeschirr in der Küche, ein altes Radio, die Büsche<br />

im Park um die Ecke: Für Kinder ist die Welt voller<br />

Herausforderungen und Wunder. Im Alltag können sie<br />

so viel lernen – wenn wir ihnen Raum und Zeit geben<br />

und für ihre Fragen offen sind. Wie eine gute Schule. Statt<br />

sie ständig belehren zu wollen. Wie eine schlechte Schule.<br />

Piaget wusste, warum er so viel Zeit mit Kindern verbracht<br />

hat … Ihn hat interessiert, wie Kinder die Welt sehen.<br />

Er hat sie intensiv befragt, wie sie Naturphänomene<br />

und technische Probleme deuten, aber auch wie sie soziale<br />

Regeln erklären. Und auch ihnen damit geholfen, sich<br />

über ihr Denken klarer zu werden.<br />

09 • Mai 2013 17


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Die Welt zeigen und erklären – oder die Kinder selbst ent decken lassen?<br />

Eines vorweg: Kinder können viel lernen von Erwachsenen,<br />

die sachkundig sind, die verständlich erklären und<br />

die dies auch noch auf anregende Weise tun. Diese Fähigkeit<br />

zu entwickeln, ist also eine wichtige Aufgabe für<br />

Lehrer / -innen. Noch wichtiger ist aber die Frage, wie<br />

eine Lehrperson diese Fähigkeit einsetzt. Angesichts der<br />

großen Unterschiede zwischen Kindern gleichen Alters<br />

(s. S. 3 und 22) verbietet es sich, eine Lerngruppe über<br />

längere Zeit im Gleichschritt zu belehren. Da alle Lerner<br />

ihre individuelle Sichtweise von Welt immer auf Basis<br />

ihrer Erfahrungen »konstruieren«, müssen Kinder möglichst<br />

oft selbst aktiv werden können.<br />

Gemeinsam forschen – mit erweiterten Sinnen<br />

In der Forschung finden sich viele Befunde, die die Vorzüge<br />

des aktiven Tuns bestätigen (vgl. Hartinger / Lohrmann<br />

➝ 3). Uneins sind die ForscherInnen aber über<br />

die Frage, wie stark das entdeckende Lernen von Erwachsenen<br />

vorstrukturiert werden sollte.<br />

Denn »entdeckendes Lernen« kann sehr unterschiedlich<br />

aussehen.<br />

●●<br />

Ist bei Aufgaben oder Experimenten genau vorgegeben,<br />

was am Ende herauskommt, sprechen manche<br />

von »Ostereier-Didaktik«. In dieser Art sind auch sog.<br />

»Experimentierkästen«, z. B. von Kosmos, oft gestaltet.<br />

●●<br />

●●<br />

Anders, wenn offene Fragen oder Probleme gestellt<br />

werden, die sich auf verschiedene Weise bearbeiten<br />

lassen. Dabei bringen die einzelnen Kinder unterschiedliche<br />

Fähigkeiten ein – und sie lernen auch Unterschiedliches.<br />

Wieder anders ist die Situation, wenn Kinder ihren eigenen<br />

Themen und Fragen nachgehen können, an<br />

denen sie – allein oder in kleinen Gruppen – arbeiten;<br />

am Ende stellen sie ihre Ergebnisse den anderen vor,<br />

werden also selbst zur »Lehrperson«. Unterstützt wird<br />

ein solches offenes Experimentieren durch Baukästen<br />

wie von Anker, Lego oder Fischer-Technik angeboten.<br />

Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Ergebnisse<br />

von Untersuchungen zu verschiedenen Unterrichtsformen<br />

aus. Insbesondere die neuerdings viel zitierte<br />

»Metaanalyse« von Hattie (➝ 3) macht deutlich, wie<br />

sehr die Wirkung einer Methode durch die Art ihrer Umsetzung<br />

und von den konkreten Randbedingungen bestimmt<br />

wird (s. S. 3 und 35).<br />

Tipp: Zeitschriften statt Bücher<br />

Viele Verlage, die Bücher oder Zeitungen für Erwachsene<br />

herausgeben, bieten inzwischen sehr unterschiedliche<br />

Zeitschriften für Kinder an: Flohkiste, GEOlino,<br />

National Geographic World, ZEIT Leo, usw. Sie versuchen,<br />

Wissen aus ganz verschiedenen Bereichen auf unterhaltsame<br />

Weise zu vermitteln. Aber jedes Kind hat<br />

da andere Vorlieben. Probieren Sie also Einzelhefte aus.<br />

Oder bestellen Sie erst ein Probeabo. Gute Überblicke<br />

finden Sie bei der Stiftung Lesen oder beim Institut für<br />

angewandte Kindermedienforschung (z. B. in einer Suchmaschine<br />

»IFAK« & »Kinderzeitschriften« eingeben).<br />

Die Einschätzung des Erfolgs einer Methode hängt aber<br />

auch davon ab, was erreicht werden soll: Je enger die<br />

Lernziele, desto eher kann ein vorgegebener Lehrgang<br />

dazu beitragen, dass die Kinder bestimmte Fakten und<br />

Begriffe lernen und wiedergeben können. Unsere Gesellschaft<br />

entwickelt sich aber so schnell, dass man vor<br />

allem lernen muss, sich Fragen zu stellen, Strategien zur<br />

Lösung von Problemen zu entwickeln, Informationen<br />

selbstständig ausfindig zu machen. All das lernt man nur,<br />

indem man es tut – in Kindergarten und Schule, aber<br />

auch zu Hause (vgl. ➝ 1a und 2).<br />

Kinder haben es gut, wenn auch ihre Eltern neugierig,<br />

handwerklich geschickt – und geduldig sind: mit ihnen<br />

basteln, Bücher lesen, in den Wald gehen, ein Technikmuseum<br />

besuchen, ein Baumhaus bauen. Dabei kommt<br />

es nicht auf die Perfektion des Produkts, sondern auf die<br />

Erfahrungen in der (Zusammen-)Arbeit an.<br />

Hüttenbauen auf einem Bauspielplatz<br />

Foto: RaBauKi e. V. Siegen<br />

18 09 • Mai 2013


Lernen durch Anschauung und Selbsttätigkeit<br />

Aus Büchern und anderen Medien können Kinder viel<br />

über die Welt lernen. Vor allem über die Welten, die der<br />

eigenen Erfahrung nicht zugänglich sind: über vergangene<br />

Zeiten, über andere Länder und auch über Bereiche,<br />

die dem Laien oft verschlossen sind – wie das Innenleben<br />

von Maschinen oder die Abläufe in einem Krankenhaus.<br />

Dennoch: Die persönliche Erfahrung ist meist intensiver,<br />

das eigene Probieren nachhaltiger.<br />

Gilt also: Je mehr Kinder sehen, je mehr sie selber tun –<br />

desto besser lernen sie? So einfach ist es nicht (s. auch<br />

S. 31). Ein Alltagsexperiment macht es klar: Bitten Sie jemanden,<br />

das Ziffernblatt seiner Armbanduhr aus dem<br />

Kopf möglichst genau aufzuzeichnen. Nicht wenige<br />

werden Schwierigkeiten haben, obwohl sie doch täglich<br />

mehrmals auf die Uhr schauen. Aber dabei gilt ihr Interesse<br />

der Zeitangabe, nicht der Form des Ziffernblatts.<br />

Insofern macht es wenig Sinn, Kinder mit einer Vielfalt<br />

von Sinneseindrücken zu überschütten. Ein berechtigter<br />

Vorwurf gegen viele (Lern-)Programme auf PCs oder im<br />

Fernsehen: Nur bunte Bilder, durch Bewegung animiert<br />

und mit Musikteppichen unterlegt, dienen dem Lernen<br />

nicht.<br />

Und Anschauung alleine reicht nicht: Wer keine Frage,<br />

wer kein gezieltes Interesse hat, läuft blind durch die<br />

Welt. Das gilt ebenso für den Gang durch den Wald wie<br />

für einen Besuch im Museum.<br />

Darum sind Eltern wichtig (und Kindergärten und Schulen).<br />

Es reicht eben nicht, im Kinderzimmer oder in der<br />

Schulklasse eine Alphabet-Leiste aufzuhängen. Erst<br />

wenn man gezielt einzelne Buchstaben abdeckt und die<br />

Kinder auffordert, die Leerstelle zu füllen, bilden sie eine<br />

»Anschauung im Kopf«. Ein solches »inneres Alphabet«<br />

hilft dann beim Suchen im Lexikon oder im Telefonbuch.<br />

Auf ähnliche Weise kann man Kinder unterstützen, eine<br />

Vorstellung vom Zahlensystem zu entwickeln: Erst deckt<br />

man auf einer Hunderter-Tafel eine Zahl durch eine Marke<br />

ab und lässt das Kind diese Leerstelle benennen. Später<br />

bittet man es: »Stell dir vor, du bist bei der 24 und gehst<br />

eine Reihe tiefer (nächste Stufe: …und dann noch drei<br />

nach rechts). Welche Zahl steht da?«<br />

Eine innere Anschauung entsteht also aus der Selbsttätigkeit.<br />

Indem Kinder ein Fahrrad oder eine Blume zeichnen,<br />

machen sie sich bewusst, wie die Dinge in ihrer Umwelt<br />

genau aussehen. Eine besonders ergiebige Aufgabe<br />

ist das Ausfüllen einer »black box«. Bitten Sie Ihr Kind<br />

zu bauen oder zu zeichnen, wie es sich das Innere eines<br />

Bohrers, einer Brotschneidemaschine oder einer Kaffeemühle<br />

vorstellt.<br />

Saschas, Katrins und Olivers Entwürfe für eine Stampfmühle<br />

(Abb. aus: Möller 2000, 99 ➝ 1b)<br />

Dafür können Baukästen hilfreich sein. »Rezeption durch<br />

Produktion«, Verstehen durch Bauen. So gehen auch Forscher<br />

vor. Um zu verstehen, wie wir sehen, laufen, sprechen,<br />

denken, bauen sie Roboter, die genau diese Leistungen<br />

erbringen sollen. Auch auf diesem Niveau gibt es<br />

hoch spezialisierte Experimentierkästen für Kinder. Aber<br />

man sollte Vor- und Grundschulkinder nicht mit komplizierter<br />

Technik überfordern. Einfache Bausteine lassen<br />

mehr Raum für die eigene Phantasie. Und sie helfen<br />

Kindern, ihre Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen,<br />

Probleme auf ihrem Entwicklungsstand zu bearbeiten.<br />

Konstruieren – Probieren – Nach-Denken<br />

Noch vielfältiger sind die Möglichkeiten, die die natürliche<br />

Umwelt bietet: Zweige, Blätter, Steine, Moose. »Waldkindergärten«<br />

oder »Draußentage« in der Grundschule<br />

nutzen diese Chance. Aber am schönsten für Kinder sind<br />

Ausflüge mit den eigenen Eltern: in den Park um die Ecke,<br />

an den Fluss, auf den Bauernhof. Wer dann noch ein (einfaches<br />

und robustes!) Mikroskop oder auch nur eine Lupe<br />

mitnimmt, kann auch unter die Oberfläche schauen.<br />

Foto: Grundschule Buschhütten<br />

09 • Mai 2013 19


Informationen & Lesetipps<br />

Kinder müssen viel wissen und viel<br />

können, um in unserer Welt selbstständig<br />

zurechtzukommen. Nur wenig<br />

davon lernen sie in der Schule,<br />

zeigt das beeindruckende Buch:<br />

Weltwissen der Siebenjährigen. Wie<br />

Kinder die Welt entdecken können<br />

Donata Elschenbroich<br />

Fantasiemaschinen<br />

konstruieren<br />

virtuell über Apps für Smartphone<br />

und Tablets / Pads:<br />

Sven Nordquist (2012):<br />

Petterssons Erfindungen 1 & 2.<br />

Filimundus AB, jeweils rund<br />

1,50 bis 2,00 €<br />

Ähnlich vielseitig ist der Band:<br />

Neue spannende Experimente<br />

Hermann Krekeler<br />

Wie man im Alltag unaufwändig interessante<br />

Versuche durchführen kann,<br />

zeigt die anregende Sammlung:<br />

Was blubbert da im Wasserglas<br />

Gisela Lück<br />

Erschienen: 2011<br />

Verlag: Ravensburger<br />

Preis: 16,80 Euro<br />

Erschienen: 2002<br />

Verlag: Goldmann<br />

Preis: 9,90 Euro<br />

Kinderbuch-Tipp<br />

»Inklusion«<br />

Ein besonderes Buch über ein<br />

besonderes Kind:<br />

Müller, Birte (2012): Planet Willi.<br />

Klett-Kinderbuch: Leipzig. 13,90 €<br />

Erschienen: 2008 (3. Auflage)<br />

Verlag: Herder<br />

Preis: 13,90 Euro<br />

Versuch macht klug: Bei echten Experimenten<br />

weiß man nie genau wie das<br />

Ergebnis ausfallen wird.<br />

»Was passiert, wenn ich …« ist die<br />

wichtigste Frage, damit Kinder Zusammenhänge<br />

erkennen und Verknüpfungen<br />

erstellen – mit ihrem bereits<br />

vorhandenen Wissen. Ein spannendes<br />

Buch für kleine und große Forscher!<br />

Unter www.hkrekeler.de finden sich<br />

weitere Hinweise, z. B. auf Experimentier-Kisten<br />

für Versuche mit Alltagsmaterialien.<br />

Ein besonderes Bilder- und Lesebuch<br />

für Kinder vor der Schule:<br />

Alle Zeit der Welt<br />

Antje Damm<br />

Heißer Tipp »Fremdsprachen«<br />

Auf Seite 36 stellen wir den TING-Lesestift vor. Ergänzend dazu gibt es bei<br />

Cornelsen in der lex:tra JUNIOR-Reihe zu vielen Sprachen (neben Englisch<br />

und Französisch auch Migrantensprachen wie Russisch und Türkisch)<br />

zweisprachige Bände unter dem Titel »Unser erstes Bildwörter buch«.<br />

Der Grundwortschatz ist alphabetisch (in beiden Richtungen) und nach<br />

Themenseiten erschlossen und kann über den Stift auf Deutsch und in<br />

der Fremd sprache »vorgelesen« werden.<br />

Erschienen: 2010<br />

Verlag: Moritz Verlag<br />

Preis: 13,80 Euro<br />

Viele verschiedene Augenblicke hält<br />

Antje Damm in diesem anregenden<br />

Büchlein fest – zum Anschauen,<br />

Diskutieren und Nachdenken … Zeit<br />

wird fassbar, spürbar und sichtbar.<br />

Naturwissenschaften in der Grundschule?<br />

Im Verlag Krüger erschien 2013 das Plädoyer »Rettet die Neugier! Gegen<br />

die Akademisierung der Kindheit« von Salman Ansari. Für die Grundschule<br />

heißt das: »Ausgangspunkt und Ziel sind nicht in erster Linie die Naturwissenschaften,<br />

sondern es sind die Natur, das Naturerleben, die Naturerfahrungen,<br />

die Naturerforschung der Kinder.« So steht es im Editorial<br />

von Grundschule aktuell, H. 119/2012. Dort finden sich auch viele anregende<br />

Beispiele, wie ein solcher Unterricht konkret aussehen kann.<br />

20 09 • Mai 2013


Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />

auch beim Lesen- und Schreibenlernen<br />

Die Fibel führt Kinder in die Schriftsprache<br />

ein. So hat die Schule fast 500 Jahre lang<br />

gedacht. Heute wissen wir: Der Schulanfang<br />

ist keine Stunde Null. Schulanfänger<br />

kennen im Durchschnitt etwa 10 Buchstaben.<br />

Die meisten können zumindest ihren<br />

Namen schreiben. Und viele bringen bereits<br />

Vorstellungen mit, wozu Lesen und<br />

Schreiben gut ist. Aber auch, wie Schrift<br />

funktioniert. Diese Vorstellungen mögen<br />

noch unvollständig oder falsch sein (➝<br />

Abb. 1). Dennoch beeinflussen sie, wie<br />

Kinder das aufnehmen, was der Unterricht<br />

ihnen anbietet und abverlangt. Wir<br />

müssen ihre Vorstellungen verstehen und<br />

ernst nehmen, wenn wir sie dort abholen<br />

wollen, wo sie jeweils stehen.<br />

(aus: Ferreiro / Teberosky 1979/1982)<br />

Abb. 1: Ein Vorschulkind<br />

schreibt<br />

vier Buchstaben für<br />

»vier Katzen« und<br />

zwei Buchstaben<br />

für »zwei Katzen«<br />

Denn Fehler sind Versuche. Beim Lernen<br />

vereinfachen auch wir Erwachsenen die<br />

erwartete Leistung, z. B. wenn wir eine<br />

Fremdsprache lernen. Solche Vorformen<br />

sind für uns selbstverständlich, wenn<br />

Kinder vor der Schule laufen, denken<br />

und sprechen lernen. Sie sagen HEIZ-<br />

SCHRANK zum Herd und erzählen uns,<br />

dass die VOGELS GESINGT haben.<br />

Auch beim Lesen zeigen sich in den<br />

Fehlern wichtige Vorformen. Wenn ein<br />

Kind POLIZEI liest, wo POST steht, hat es<br />

schon viel von der Schrift verstanden.<br />

Es beachtet die Gleichheit der Anfangsbuchstaben<br />

und nicht mehr unwesentliche<br />

Merkmale des Wortes, z. B. seine<br />

Länge oder Farbe.<br />

Nun kann es den nächsten Schritt<br />

tun. Es erliest dann alle Buchstaben<br />

nacheinander. Dabei entstehen aber oft<br />

Kunstwörter wie P-OOO-SS-T. Die Kinder<br />

müssen also eine weitere Strategie erwerben:<br />

die aktive Sinnerwartung. Nach<br />

dem Lautieren müssen sie also bewusst<br />

überlegen: »Was für ein Wort kann das<br />

werden?«<br />

Der Rechtschreibung nähern sich Kinder<br />

ebenfalls über Vor- und Zwischenformen,<br />

wie Abb. 2 zeigt. Zunächst wird<br />

der Anlaut erkennbar aufgeschrieben. Im<br />

zweiten Beispiel sind alle Mitlaute wiedergegeben.<br />

Die vollständige Lautschrift<br />

BLETA ermöglicht dem Leser, das Wort<br />

genauso auszusprechen wie die Schreiberin<br />

und es auf diesem Weg zu verstehen.<br />

Beim vierten und fünften Versuch<br />

werden schon Rechtschreibmuster genutzt.<br />

Diese können nicht mehr allein aus<br />

dem Abhören abgeleitet werden.<br />

Abb. 2: Ein Kind<br />

schreibt alle paar<br />

Monate das Wort<br />

BLÄTTER – immer<br />

falsch, aber immer<br />

»besser falsch«<br />

Diese Abfolge ist typisch für viele Kinder.<br />

Zwar gibt es individuelle Abweichungen<br />

wie PLETA oder BLETR. Aber die Fehler<br />

folgen einer Logik: Die Kinder bewältigen<br />

eine Schwierigkeit nach der anderen. Wie<br />

die Schreibversuche in Abb. 3 zeigen, ist<br />

diese Entwicklung normal: Leistungsstarke<br />

Kinder machen dieselben Fehler wie<br />

leistungsschwache – nur viel früher und<br />

teilweise schon vor Schulbeginn.<br />

Abb. 3: Kinder schreiben über die Grundschulzeit<br />

hinweg alle sechs Monate<br />

»Blätter«: linke Spalte ein besonders<br />

leistungsstarkes Kind, rechts ein langsamer<br />

Lerner (nach: May, P. (1991, S. 95): Kinder lernen<br />

rechtschreiben)<br />

(Fortsetzung S. 22)<br />

Ermutigung<br />

Ein neues Schuljahr beginnt – lassen<br />

Sie sich als Elternvertreter in die entsprechenden<br />

Gremien der Schule<br />

Ihres Kindes wählen! So bekommen<br />

Sie einen unmittelbaren Einblick in<br />

die Grundschularbeit. Und Sie haben<br />

die Möglichkeit, gemeinsam mit dem<br />

Lehrerkollegium Schule zu gestalten.<br />

Gute Schule kann ohne Eltern nicht<br />

gelingen!<br />

Liebe Eltern,<br />

kann das wirklich sein, dass Kinder Schrift<br />

und Zahlen nicht nur entdecken, sondern<br />

sogar selbst erfinden? Ja, viele Untersuchungen<br />

belegen, was die Beispiele auf<br />

diesen Seiten anschaulich zeigen: Kinder<br />

sind kreativ, sie machen sich eigene Gedanken,<br />

wenn sie lernen zu lesen und zu<br />

schreiben (und ebenso zu rechnen usw.).<br />

Kinder (und Erwachsene …) ahmen beim<br />

Lernen nicht einfach nach, was ihnen<br />

vorgemacht wird. Sie machen sich ihren<br />

eigenen Reim auf die Welt, auch auf die<br />

Welt der Schrift. Üben kann diese eigenen<br />

Versuche nicht ersetzen. Es kann helfen<br />

Verstandenes zu festigen. Aber Üben<br />

gegen das aktuelle Denken verspricht<br />

keinen Erfolg.<br />

Und woher weiß man, was Kinder über<br />

Schrift, Zahlen und Schule denken? Indem<br />

man sie fragt! Oder ihnen passende<br />

Geschichten vorliest, um mit ihnen ins<br />

Gespräch zu kommen, z. B. »Neues vom<br />

Franz« von Christine Nöstlinger, »Ich will<br />

auch in die Schule« von Astrid Lindgren<br />

oder »Das Olchi-ABC« von Erhard Dietl.<br />

Auf www.grundschuleltern.info haben<br />

wir Ihnen eine Liste von Titeln zusammengestellt,<br />

die sich auch als Grundstock<br />

für eine kleine Klassenbibliothek eignen.<br />

3x FALSCH und 2x RICHTIG?<br />

(2) KINO<br />

(5) KINO<br />

(1) KINO<br />

(3) KINNO<br />

(4) KIENO<br />

(Auflösung s. S. 24)<br />

02 • September 2011 21


(… Kinder sind Erfinder; Forts. von S. 21)<br />

Drei bis vier Jahre liegen die Kinder in<br />

ihren Voraussetzungen auseinander – in<br />

der Schrifterfahrung, aber auch in allen<br />

anderen Bereichen, wie Remo Largo festgestellt<br />

hat (s. S. 3).<br />

Jedes Kind macht Fortschritte von<br />

seinem jeweiligen Ausgangspunkt aus.<br />

So kann man aus Abb. 3 nicht erschließen,<br />

wann die Stammschreibung (»ä«<br />

und nicht »e«) oder die Konsonantenverdopplung<br />

nach Kurzvokal Thema im Unterricht<br />

waren.<br />

Abb. 4: Beim morgendlichen Kämmen<br />

ihrer langen Haare sagt die sechsjährige<br />

Eveline: »jetzt weiß i endlich, warum ich<br />

drei Kämm‘ in mein’m Namen hab‘.«<br />

Christian schreibt sogar seinen schon oft<br />

richtig geschriebenen Namen plötzlich<br />

als GRISDIJAN. Hat er im Kindergarten<br />

noch das Schriftbild kopiert, versteht er<br />

jetzt, dass die Buchstaben sich an den<br />

Sprechlauten orientieren. Dies ist eine<br />

ganz zentrale Einsicht. Kinder gewinnen<br />

sie am leichtesten, wenn sie früh anfangen,<br />

eigene Wörter zu schreiben. Zum<br />

Beispiel mit Hilfe einer Anlauttabelle<br />

(s. Kasten rechts). Dabei entstehen Fehler.<br />

Wie Untersuchungen zeigen, behindern<br />

diese das Lernen nicht (s. S. 23). Die<br />

Kinder erfahren ja im Unterricht, dass die<br />

Erwachsenen Wörter auf eine bestimmte<br />

Weise schreiben. So schreiben viele<br />

Lehrer/-innen unter oder neben die Texte<br />

der Kinder eine Übersetzung in »Buchschrift«<br />

oder »Erwachsenenschrift«. Nicht<br />

als Korrektur, sondern als Anregung und<br />

Herausforderung.<br />

Grundsätzlich ist es wichtig, die<br />

Lese- und Schreibversuche der Kinder<br />

zu respektieren und die Fortschritte zu<br />

würdigen. Auch dann, wenn sie noch<br />

fehlerhaft sind. Die Kinder schaffen in<br />

zwei, drei Jahren, wofür die Menschheit<br />

mehrere tausend Jahre gebraucht hat:<br />

von der Bilderschrift über die Lautschrift<br />

zur Rechtschreibung zu kommen.<br />

Lesen- und Schreibenlernen<br />

mit einer Anlauttabelle<br />

In vielen Eingangsklassen lernen die Kinder<br />

heute Lesen und Schreiben mit Hilfe<br />

einer Anlauttabelle. Mit ihr können sie<br />

von Anfang an selbstständig schreiben,<br />

indem sie sich die Wörter vorsprechen<br />

und Laut für Laut verschriften. Anfangs<br />

noch langsam, mit zunehmender Übung<br />

immer schneller sind Schulanfänger in<br />

der Lage, den Lautstrom der gesprochenen<br />

Wörter zu erfassen, zu gliedern und<br />

in Schriftzeichen zu übersetzen. Die Anlauttabelle<br />

hilft ihnen mit ihren Bildern<br />

dabei, die Buchstaben zu finden und aufzuschreiben.<br />

Um die Verbindung von Laut und<br />

Buchstabe deutlich zu machen, gibt es zu<br />

jedem Schriftzeichen (Groß- und Kleinbuchstabe<br />

immer zusammen) eine entsprechende<br />

Abbildung, die mit dem Laut<br />

beginnt. So gehört die Sonne zum »S«,<br />

der Ball zum »B« (vgl. Abb. 5).<br />

-Schreibtabelle<br />

Abb. 5: Anlauttabelle in Grundschrift<br />

Manche Buchstaben können lang oder<br />

kurz ausgesprochen werden. Das »E«<br />

klingt in »Esel« lang, in »Ente« dagegen<br />

kurz. Die unterschiedliche Lautung wird<br />

beim Schreiben jedoch mit demselben<br />

Buchstaben, dem »E« abgebildet. In einigen<br />

Anlauttabellen werden die Kinder<br />

daher mit zwei Bildern auf solche Zusammenhänge<br />

aufmerksam gemacht. Wichtige<br />

Voraussetzung ist, dass die Abbildungen<br />

erklärt werden, so dass das Kind<br />

mit ihnen wirklich das Gemeinte verbindet.<br />

Eine Alternative ist die »wachsende<br />

Anlauttabelle«: Die Felder für die Bilder<br />

sind leer und werden von jedem Kind<br />

nach und nach mit selbst gezeichneten<br />

oder eingeklebten Bildern gefüllt. Inzwischen<br />

gibt es Lernsoftware, mit denen<br />

solche individuellen Tabellen sehr einfach<br />

hergestellt werden können (s. z. B.<br />

die »Buchstabenwerkstatt« ➝ S. 24).<br />

Bis alle Kinder mit einer Anlauttabelle<br />

vertraut sind und sie völlig selbstständig<br />

als Hilfsmittel nutzen können, braucht es<br />

aber immer Zeit und vor allem regelmäßige<br />

Übung.<br />

Verbundene Ausgangsschriften:<br />

Hilfe oder Umweg?<br />

Schulanfänger lernen das Lesen und<br />

Schrei ben heute fast überall mit der<br />

Druckschrift. Unterschiedlich sind dann<br />

die Wege zur eigenen Handschrift. Ziel<br />

ist also nicht mehr eine genormte Schrift<br />

für alle, sondern die Entwicklung individueller<br />

– gut lesbarer und flüssiger –<br />

Handschriften. In mehreren Bundesländern<br />

werden aber verbundene Schriften<br />

wie die Lateinische Ausgangsschrift den<br />

Kindern als Zwischenschritt vorgegeben,<br />

bevor sie ihre persönliche Handschrift<br />

entwickeln dürfen. Zunächst muss dann<br />

jede Buchstabenform möglichst genau<br />

der Vorlage entsprechen.<br />

Aber alle vorgegebenen verbundenen<br />

Schriften bereiten den Kindern beim Lernen<br />

Probleme. Und von ihren mühsam<br />

erlernten Besonderheiten bleibt in den<br />

ausgeschriebenen Erwachsenenschriften<br />

kaum etwas übrig. Der Erfolg ist also<br />

zweifelhaft – und die Klagen der weiterführenden<br />

Schulen sind laut. Diese Klagen<br />

gibt es zwar schon lange. Zum Teil sind<br />

sie aber berechtigt, da nach dem Erwerb<br />

der verbundenen Ausgangsschrift dem<br />

Schreiben der Kinder oft nicht mehr die<br />

notwendige Aufmerksamkeit geschenkt<br />

wird. Für die Entwicklung ihrer persönlichen<br />

Handschrift brauchen die Kinder<br />

sinnvolle Anregungen und individuelle<br />

Unterstützung, damit diese zunehmend<br />

flüssig wird und dabei gut lesbar bleibt.<br />

Um die Lehrer/-innen dabei zu unterstützen,<br />

hat der Grundschulverband die<br />

»Grundschrift« entwickelt – eine Druckschrift<br />

mit Verbindungshilfen (➝ Abb. 5<br />

und www.die-grundschrift.de). Mit ihr<br />

kann den Kindern der Umweg über eine<br />

vorgegebene verbundene Schrift erspart<br />

werden. Die Aufmerksamkeit wird<br />

im Unterricht von Anfang an darauf gelenkt,<br />

gemeinsam aus der Druckschrift<br />

individuelle Handschriften zu entwickeln<br />

und diese mit immer mehr Schwung zu<br />

schreiben.<br />

Einen ausführlicheren Beitrag<br />

zu diesem Thema finden Sie unter<br />

www.grundschuleltern.info – dort<br />

auch eine Liste mit Tipps zu sinn vollen<br />

Aktivitäten mit Kindern vor<br />

der Schule und am Schulanfang.<br />

Besonders hilfreich für Eltern ist das<br />

Buch von Mechthild Dehn: »Kinder<br />

lernen lesen und schreiben« (s. S. 24).<br />

Im Buch »Kinder lernen anders«<br />

(»Tipp«, S. 4) werden Kinder als »Entdecker<br />

und Erfinder« auch in anderen<br />

Lernbereichen vorgestellt.<br />

22 02 • September 2011


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Freies Schreiben von Anfang an –<br />

oder: Lernen Kinder<br />

besser mit der Fibel?<br />

BTRETN VABOTN schreibt der 6-jährige<br />

Mario an seine Zimmertür. Selbstständig<br />

schreiben zu können macht stark. Aber<br />

führen solche Falschschreibungen nicht<br />

in eine Sackgasse, weil sich Fehler einschleichen?<br />

Leselehrmethoden waren schon früher<br />

umstritten: Manche Fibeln fingen mit<br />

ganzen Wörtern oder Sätzen an (Ganzheitsmethode),<br />

andere Lehrgänge mit<br />

einzelnen Buchstaben und Lauten (synthetische<br />

Methode). Der Vergleich in den<br />

1960er Jahren endete in einem Patt.<br />

Heute wird darüber gestritten, ob Kinder<br />

»Lesen durch Schreiben« lernen sollen<br />

– oder dürfen. Dieser Ansatz ist seit<br />

den 1980er Jahren mit dem Namen des<br />

Schweizer Lehrers Jürgen Reichen verbunden.<br />

Wörter selbstständig zu »konstruieren«<br />

hilft Kindern, die Beziehung zwischen<br />

Sprachlauten und Buchstaben zu<br />

verstehen und zunehmend zu meistern.<br />

Dabei schulen sie beiläufig auch ihre<br />

»phonologische Bewusstheit«: die Fähigkeit,<br />

neben der Bedeutung eines Wortes<br />

seine Lautform zu beachten. Schon Maria<br />

Montessori hat Kinder Wörter nach den<br />

abgehörten Lauten aufschreiben lassen.<br />

Andere Reformpädagog/inn/en haben<br />

in den 1920er Jahren die Kinder erfolgreich<br />

von Anfang an Geschichten schreiben<br />

und in der Klasse vortragen lassen.<br />

Mit Hilfe einer Druckerei konnten Kinder<br />

diese Texte vervielfältigen und als Plakat,<br />

Buch oder Zeitung an Dritte weitergeben.<br />

Diese Praxis findet sich heute vor allem<br />

in Klassen, die sich an der Päda gogik<br />

Célestin Freinets oder am »Spracherfahrungsansatz«<br />

orientieren (➝ ). Der<br />

Bezug auf die inhaltlichen Erfahrungen<br />

und die Sprache der Lernenden erzeugt<br />

eine hohe Motivation für das Lesen- und<br />

Schreibenlernen. Dies hat sich als besonders<br />

wichtig erwiesen bei Kindern, die zu<br />

Hause kaum Erfahrung mit der Schriftsprache<br />

machen (können).<br />

Trotzdem gibt es Vorbehalte gegen<br />

eine solche Öffnung des Unterrichts:<br />

Falschschreibungen könnten sich »einprägen«;<br />

Kinder hätten keinen Anlass,<br />

sich auf die Mühen der Rechtschreibung<br />

einzulassen, wenn andere ihre Texte<br />

doch auch so lesen können; Kinder aus<br />

schriftfernen Milieus fehle die Motivation,<br />

selbst Texte zu verfassen, und die für<br />

einen nur kleinen Erfolg aufzuwendende<br />

Kraft sei so groß, dass die Motivation<br />

schnell verloren gehe.<br />

Inzwischen gibt es eine Reihe von Untersuchungen<br />

zu diesen Fragen. Manche<br />

machen mit dramatisierenden Aussagen<br />

auch die Runde durch die Tagespresse<br />

und verunsichern Eltern wie Lehrer/-<br />

innen. Dabei sind die Ergebnisse keineswegs<br />

auf einen Nenner zu bringen.<br />

Ein Gutachten für den Grundschulverband<br />

fasst sie übersichtlich zusammen<br />

(➝ ).<br />

Die Erklärung für unterschiedliche<br />

Befunde und für Widersprüche in den<br />

Deutungen ist im Grunde einfach. Auch<br />

beim »freien Schreiben« spielt die Art der<br />

Umsetzung eine große Rolle: Wird den<br />

Kindern ernsthaft Raum für ihre Schreibversuche<br />

gewährt – daneben aber auch<br />

die Bedeutung der Rechtschreibung vermittelt?<br />

Erhalten sie Hilfen, um persönlich<br />

wichtige Wörter zu sammeln und zu<br />

üben? Werden an Besonderheiten dieser<br />

»eigenen« Wörter gemeinsam typische<br />

Rechtschreibmuster besprochen?<br />

Unter den Lehrgängen gibt es ebenfalls<br />

große Unterschiede: Starrer Gleichschritt<br />

steht neben flexibleren Ansätzen.<br />

Einige Lehrwerke orientieren sich an Silben,<br />

während andere ganze Wörter oder<br />

einzelne Buchstaben / Laute in den Vordergrund<br />

rücken.<br />

Kein Wunder also, dass die Lernerfolge<br />

verschiedener Klassen, die nach »demselben«<br />

Ansatz arbeiten, breit streuen.<br />

Dagegen unterscheiden sich die Erfolge<br />

verschiedener Methoden Ende Klasse<br />

4 im Durchschnitt nur wenig. Zudem<br />

schneidet mal die eine, mal die andere<br />

Methode besser ab.<br />

Müssen sich Eltern also Sorgen machen<br />

oder nicht, wenn ihr Kind in der<br />

Schule lautorientiert schreibt? Wie sonst<br />

auch kommt es auf die Erfahrung und<br />

das methodische Können der Lehrer/-<br />

innen an. Noch unsichere Kolleg/inn/en<br />

finden Stützen in neuen Lehrwerken, die<br />

offener angelegt sind als früher. Wenn<br />

Kinder neben dem freien Schreiben dann<br />

auch noch viel und »frei lesen«, besteht<br />

kein Anlass zur Besorgnis – aber große<br />

Hoffnung, dass die Kinder auch außerhalb<br />

der Schule Lust aufs Lesen und<br />

Schreiben bekommen.<br />

PISA und IGLU:<br />

Ist die deutsche Schule<br />

nur Mittelmaß?<br />

Kaum waren die PISA-Ergebnisse 2000<br />

verkündet, wurde von vielen mit dem<br />

Finger auf die Grundschule gezeigt. Viele<br />

führten die schwachen Ergebnisse der<br />

deutschen 15-Jährigen auf die schlechte<br />

Frühförderung und eine erfolglose<br />

Grundschularbeit zurück. Denn für Probleme<br />

z. B. beim Lesen konnten Sekundarschulen<br />

nicht verantwortlich sein – schien<br />

es. So wurden hektisch Maßnahmen wie<br />

Sprachstandstests (»DELFIN 4«) im Kindergarten<br />

und Vergleichsarbeiten (»VerA«) in<br />

der Grundschule eingeführt. So bedenkenswert<br />

sie auch sind – Mängel in der<br />

Förderung des weiterführenden Lesens<br />

kamen so gar nicht in den Blick.<br />

Umso überraschender war es deshalb<br />

für viele, als die IGLU-Studie – »PISA für<br />

Grundschulkinder« – ganz andere Ergebnisse<br />

erbrachte. Im Gegensatz zu den<br />

Erwartungen vieler und zu den Ergebnissen<br />

der 15-Jährigen war die Grundschule<br />

im internationalen Vergleich erfolgreich.<br />

So fanden sich die deutschen<br />

Grundschüler mit ihren Leseleistungen<br />

im oberen Drittel und nicht im unteren<br />

Mittelfeld. Die Leistungsunterschiede<br />

zwischen den Kindern streuten zudem<br />

nicht so breit und die Abhängigkeit<br />

der Leistungen von der sozialen Herkunft<br />

der Eltern war nicht so stark wie in<br />

den weiterführenden Schulen. Auch der<br />

Rück stand der Migrantenkinder und der<br />

Jungen war nicht so groß (beide Befunde<br />

wurden später bestätigt ➝ ).<br />

Zwar dürfen sich die Lehrer/-innen von<br />

Grundschulkindern deshalb nicht zufrieden<br />

zurücklehnen. Aber: Trotz (oder<br />

gerade wegen?) der neuen und oft ungewohnten<br />

Arbeitsweisen in der Grundschule<br />

lernen die Kinder in der Regel<br />

erfolgreich. Und trotz aller noch offenen<br />

Baustellen: Die Grundschule arbeitet erfolgreicher<br />

als das anschließende gegliederte<br />

System der Sekundarschulen. Dieser<br />

Befund ist besonders bedenkenswert<br />

in der aktuellen Diskussion über ein längeres<br />

gemeinsames Lernen.<br />

Zur aktuellen Diskussion<br />

über freies Schreiben mit der<br />

Anlauttabelle siehe die Beiträge<br />

unter<br />

www.grundschulverband.de/<br />

extraseiten/aktuelles/<br />

02 • September 2011 23


Informationen & Tipps<br />

»Was Erwachsene wissen sollten« heißt<br />

eine Reihe des Kallmeyer-Verlags zu<br />

den verschiedenen Lernbereichen der<br />

Grundschule. Die Bücher sind gut verständlich<br />

geschrieben und enthalten<br />

viele anschauliche Beispiele. Zu unserem<br />

Thema ist zu empfehlen:<br />

Kinder & Lesen und Schreiben<br />

M. Dehn<br />

Was Erwachsene<br />

wissen sollten<br />

139 Seiten<br />

Erschienen: 2007<br />

Verlag:<br />

Kallmeyer<br />

Preis: 17,95 Euro<br />

Viele Anregungen zur Leseförderung<br />

mit konkreten Buchvorschlägen finden<br />

sich in dem ebenfalls gut lesbaren Buch:<br />

Leselust.<br />

H. Niemann<br />

Kinder und<br />

Bücher – ein<br />

Ratgeber<br />

96 Seiten<br />

Erschienen: 2004<br />

Verl.: Kallmeyer<br />

Preis: 8,95 Euro<br />

Vorlesen ist die beste Vorbereitung auf<br />

das Lesen. Auch noch in der Schule,<br />

denn Kinder begegnen so der Schriftsprache<br />

in gesprochener Form. In vielen<br />

ersten Klassen wirken deshalb Erwachsene<br />

als »Lesepaten« (➝ www.lese<br />

paten.net/) mit.<br />

Besonders ertragreich wird das Vorlesen,<br />

wenn man mit den Kindern über<br />

Unter der Oberfläche …<br />

Kommentar zu den Schreib proben S. 21:<br />

Kind 1 schreibt KINO, weil es jeden Tag<br />

an dem Schild in seiner Straße vorbeiläuft<br />

und sich die Buchstaben gemerkt<br />

hat. Kind 2 lautiert das Wort und setzt<br />

für jeden Laut einen passenden Buchstaben.<br />

Kind 3 erinnert sich, dass beim<br />

langen /i:/ etwas besonders war, weiß<br />

aber nicht mehr, was. Kind 4 dagegen<br />

nutzt die Regel: langes /i:/ wird fast<br />

immer geschrieben. Kind 5 weiß<br />

das auch, aber es kennt auch schon<br />

einige Ausnahmen.<br />

das Gelesene spricht: »Erinnerst du dich<br />

noch, was Mira am Strand erlebt hat?«;<br />

»Was, denkst du, wird der Löwe jetzt<br />

machen?« Zu diesem dialogischen Vorlesen<br />

gibt es ein Video mit vielen hilfreichen<br />

Szenen aus Kindergärten:<br />

Lesen im Dialog.<br />

Jugendamt der Stadt Nürnberg (Hrsg.)<br />

DVD-Box mit Begleitheft<br />

(in deutscher und<br />

türkischer Sprache)<br />

Dauer: 21 Min.<br />

Erschienen: 2006<br />

Verlag: Finken<br />

Preis: 19,80 Euro<br />

Der Film illustriert auch diesen Vorlesetipp<br />

für mehrsprachige Familien: Selbst<br />

Eltern, die im Deutschen nicht so sicher<br />

sind, können ihren Kindern aus deutschen<br />

Büchern vorlesen. Anschließend<br />

sprechen sie mit ihnen in der Muttersprache<br />

über den Inhalt. So werden die<br />

Kinder in beiden Sprachen gestärkt.<br />

Sprachen sind Fenster zur Welt. Diese<br />

Grundidee steckt schon hinter dem<br />

mehrsprachigen Bild-Wörter-Buch » Orbis<br />

sensualium pictus«, das der berühmte<br />

tschechische Pädagoge Comenius vor<br />

350 Jahren für den Schulunterricht entwickelt<br />

hat (➝ http://de.wikipedia.org/<br />

wiki/Orbis_sensualium_pictus). Aktuell<br />

findet sich die Idee in dem schön gestalteten<br />

Lese-Schatz-Buch »ABC und alles<br />

auf der Welt« (1984/2002):<br />

ABC und alles auf der Welt.<br />

U. Andresen und M. Popp<br />

Ein Lese-Schatz-<br />

Buch, 160 Seiten<br />

Erschienen: 2002<br />

(1. Aufl. 1984)<br />

Verlag: Beltz und<br />

Gelberg<br />

Preis: 9,90 Euro<br />

(auch als Hörbuch<br />

für 8,90 Euro zum<br />

Download: http://hoerstern.de/index_<br />

product_info.php/kinder-hoerbuchdownload/ute-andresen/abc-und-allesauf-der-welt/978-3-935036-63-4/)<br />

Über das Angebot handlicher Karten<br />

öffnet Rotraut Susanne Berner diese<br />

»Welt in Wort und Bild« zum Staunen,<br />

Erzählen, Ordnen, Spielen und Lernen.<br />

Sie bezieht wie Comenius weitere Sprachen<br />

ein. Sie gibt den Kindern Raum für<br />

eigene Erfahrungen – und für die Ergänzung<br />

des »Wort-Schatzes« durch eigene<br />

Begriffe. Schon kleine Kinder können<br />

mit diesen Karten die Welt erkunden<br />

– und man kann ganz unterschiedlich<br />

mit diesen Karten spielen (vgl. den ergänzenden<br />

didaktischen Kommentar<br />

➝ ):<br />

Einfach alles. Die Welt in Bildern.<br />

R. S. Berner<br />

150 Bilderkarten<br />

Erschienen:<br />

2009<br />

Verlag: Klett<br />

Kinderbuch<br />

Preis:<br />

24,90 Euro<br />

Lesen und Schreiben lernen Kinder in<br />

der Schule. Zu Hause brauchen sie nicht<br />

zusätzlich unterrichtet zu werden. Sie<br />

sollten aber an beiden Orten Gelegenheit<br />

zum selbstständigen Schmökern in<br />

Büchern und Zeitschriften erhalten (➝<br />

siehe die Empfehlungsliste unter ).<br />

Und sie können Briefe oder eigene kleine<br />

Geschichten schreiben.<br />

Käufliche Materialien für das Üben zuhause<br />

sind meist wenig hilfreich. Vor<br />

allem Lern-Software ist nur selten didaktisch<br />

durchdacht. Zu den wenigen<br />

empfehlenswerten Programmen gehören<br />

die CDs aus der ABC-Lernlandschaft:<br />

ABC-Lernlandschaft.<br />

Brinkmann, E. u. a. (2008 ff.)<br />

Verlag für pädagogische Medien (vpm) /<br />

Klett: Stuttgart (jede CD 24,95 Euro).<br />

Die Programme konzentrieren sich jeweils<br />

auf einen typischen Stolperstein<br />

beim Lesen- und Schreibenlernen:<br />

Die Aufgaben der »Lauschwerkstatt«<br />

(ISBN 978-3-12-011116-0) zum Erkennen<br />

und Vergleichen von Einzellauten in<br />

Wörtern bereiten auf das selbstständige<br />

Schreiben und Erlesen von Wörtern vor.<br />

In der »Buchstabenwerkstatt« (ISBN<br />

978-3-12-010520-6) hilft den Kindern<br />

eine »sprechende Anlauttabelle« bei den<br />

ersten Versuchen lautorientierten Schreibens<br />

– und sie können sich ihre Schreibversuche<br />

vom Computer vorlesen lassen.<br />

Anschließend lernen die Kinder in<br />

der »Wörterwerkstatt« (ISBN 978-3-12-<br />

011118-4) Rechtschreibmuster kennen<br />

und ausgewählte Wörter richtig zu<br />

schreiben.<br />

24 02 • September 2011


Rechnen – auf eigenen Wegen<br />

Liebe Eltern,<br />

was sagt Ihnen das nebenstehende Bild?<br />

Abb. aus: Keller / Brandenburg (1999)<br />

Obststand auf dem Marktplatz. Marco, 9 Jahre alt, hilft<br />

seiner Großmutter beim Verkauf von Äpfeln, das Stück<br />

für 35 Cent.<br />

Käuferin: Ich möchte gerne vier Äpfel. Was macht das?<br />

Marco: Drei wären hundertfünf; plus dreißig, das sind<br />

hundertfünfunddreißig … ein Apfel ist fünfunddreißig<br />

… das macht … eins vierzig.<br />

Einige Tage später. Marco, der die dritte Klasse besucht,<br />

soll in der Schule die Aufgabe 35 × 4 rechnen.<br />

Er denkt laut: »Vier mal fünf ist zwanzig. Zwei übertragen.<br />

Zwei plus [3…] ist fünf, mal vier ist zwanzig. Geschriebene<br />

Lösung: 200«.<br />

Schule und Leben: zwei Welten nebeneinander – auch in<br />

der Mathematik. Die Schule sieht dabei nicht immer gut<br />

aus neben der sog. »Straßenmathematik«. Viele Kinder<br />

kämpfen mit dem Fach. Andererseits wurde festgestellt,<br />

dass Kinder und Erwachsene auch in Kulturen ohne Schule<br />

anspruchsvolle Rechenaufgaben bewältigen können.<br />

(Fortsetzung S. 26)<br />

Heißer Tipp:<br />

»Mathematik zum Anfassen«<br />

Wer im Raum Gießen wohnt oder dort unterwegs ist,<br />

hat die große Chance, das »Mathematikum« zu besuchen,<br />

um »eine neue Tür zur Mathematik« zu öffnen<br />

(www.mathematikum.de/). Vielen ist dies aber wegen<br />

zu weiter Anfahrt nicht möglich. Für sie gibt es<br />

die Wanderausstellung »Mathematik zum Anfassen«<br />

(www.mathematikum-unterwegs.de/). Die Buchung<br />

ist nicht ganz billig, aber es lohnt sich. Vielleicht ist<br />

ein Förderer vor Ort zu finden, oder sonst können sich<br />

auch verschiedene Einrichtungen zusammentun.<br />

Erwachsenen fällt spontan ein:<br />

»Wir sitzen alle in einem Boot« oder<br />

»Das Boot ist voll« oder<br />

»Gleich und gleich gesellt sich gern«<br />

Kindern wurde zu dem Bild die Frage gestellt: »Wie alt ist<br />

der Kapitän?« – offensichtlich eine Aufgabe, die sich so<br />

nicht lösen lässt. Viele versuchen sie trotzdem. Sie rechnen,<br />

indem sie irgendwie die Anzahl der Tiere nutzen.<br />

Sind sie dumm? Keller / Brandenburg (1999 ➝ ) haben<br />

Kinder gefragt, wie sie zu ihrem Ergebnis gekommen<br />

sind und erhielten interessante Antworten:<br />

»Der Kapiten ist 28 Jahre alt. Ich habe die Kühe gezählt,<br />

weil sonst käme man nie auf das Ergebnis.«<br />

»28. Weil wenn man Geburtstag hat, schenkt man<br />

30 Rosen oder eben halt 12 Ziegen und 16 Schafe. Dann<br />

habe ich es zusammengezählt …«<br />

»20 Jahre alt. Weil ein Schaf nich viel elter werden kann.«<br />

Kluge Begründungen. Vor allem, wenn man die Kommentare<br />

der Kinder liest, wie sie die Aufgabe fanden:<br />

»Ich finde die Aufgabe lustig und einbische komisch.«<br />

»… ich fürchte dass dass eine Scherzfrage ist aber vielleich<br />

auch nicht so zu sagen wie auch alle anderen Aufgaben<br />

die wir in der Schule machen.«<br />

Der letzte Satz sollte uns nachdenklich stimmen. Zumal<br />

Untersuchungen zeigen, dass von Klasse 1 an die Zahl<br />

der Kinder zunimmt, die solche unlösbaren Aufgaben<br />

»rechnen« ➝ . Anlass für eine kritische Frage: Behindert<br />

unser Unterricht Kinder beim Denken?<br />

»Auf eigenen Wegen« lernen Kinder vor und neben der<br />

Schule – warum dann nicht auch in der Schule?<br />

Im vorhergehenden Kapitel haben wir gezeigt, wie Kinder<br />

sich die Schriftsprache selbstständig erobern. Jedes<br />

startet von seinen ganz persönlichen Voraussetzungen<br />

aus. Deshalb ist für jedes Kind der nächste Schritt auch<br />

ein anderer. Und manche gehen dabei unerwartete<br />

Wege. Aber erfolgreich. Nicht anders ist das in Mathematik.<br />

Das heißt nicht: Kinder lernen von selbst. Sie<br />

brauchen Herausforderungen, Modelle, Hilfen – bei der<br />

Lösung von Problemen, die sie interessieren. Gerade in<br />

Mathematik kommt es auf Verstehen an. Und das gelingt<br />

am ehesten an Aufgaben oder Fragen aus dem eigenen<br />

Erfahrungsbereich (TIPP: Timo Leuders / Juliane Leuders<br />

(2012): Mathe können. Ein Ratgeber für Eltern. Kallmeyer /<br />

Klett: Seelze).<br />

05 • Mai 2012 25


(Rechnen – auf eigenen Wegen, Fortsetzung von S. 25)<br />

Jeder rechnet anders …<br />

Befunde aus der Forschung<br />

Die Beispiele auf den ersten Seiten stammen aus größeren<br />

Untersuchungen ➝ . Die wichtigsten Ergebnisse<br />

von Nunes u. a. (1993) zur sog. »Straßenmathematik«:<br />

aus: Selter, C. u. a. (2011): Kinder rechnen anders. Beiheft zur<br />

DVD. TU: Dortmund / Deutsche Telekom Stiftung: Bonn. S. 8<br />

Bei uns wiederum können viele Kinder vor der Schule<br />

weit über den Stoff des ersten Schuljahres hinaus rechnen.<br />

Diese Überraschung können Lehrer/innen auch bei<br />

jeder neuen Unterrichtseinheit erleben, wenn sie den<br />

Kindern sog. »Überforderungsaufgaben« stellen (Aufgaben,<br />

die die Kinder nach den Lehrplanvorgaben noch<br />

gar nicht können »dürften«). Obwohl der Stoff noch nicht<br />

»dran war«, kommen viele Kinder zu sinnvollen Ergebnissen<br />

– wenn man sie auf eigenen Wegen rechnen lässt.<br />

aus: Selter, C. u. a. (2011), S. 6<br />

Ein weiteres Problem des Mathematikunterrichts: Die in<br />

der Schule vermittelten Standardverfahren werden nur<br />

wenig genutzt. Wenn Erwachsene im Alltag 327 und 446<br />

addieren sollen, dann geht das meist so: 300 plus 400<br />

sind 700; 20 plus 40 sind 60, also 760; 7 plus 6 sind 13,<br />

760 plus 13 macht 773. Obwohl sie in der Schule gelernt<br />

haben, erst die Einer zu addieren, dann die Zehner, dann<br />

die Hunderter – und das alles auch noch schriftlich.<br />

Hinweis für Eltern<br />

●●<br />

Machen Sie Ihr Kind auf Mathematik im Alltag<br />

aufmerksam und nutzen Sie Spiele, in denen es um<br />

Mengen und Zahlen geht (s. S. 27), aber lassen Sie Ihr<br />

Kind selbst wählen – auch wie lange sie spielen!<br />

●●<br />

Akzeptieren Sie fehlerhafte Zähl- und Rechenversuche<br />

als eigenständige Annäherungs versuche<br />

der Kinder.<br />

● ● Unterrichten Sie nicht »gegen die Schule« –<br />

und falls es Schwierigkeiten gibt: reden Sie mit der<br />

Lehrerin und klären Sie Ihr Vorgehen mit ihr ab …<br />

●●<br />

Selbst in Kulturen ohne (verpflichtende) Schule entwickeln<br />

Erwachsene für ihre Aufgabenbereiche effektive<br />

Verfahren des Rechnens, Messens usw.<br />

●●<br />

Schreiner, Fischer und andere Fachleute, die dort keine<br />

Schule besucht haben, schneiden bei Sachaufgaben<br />

meist besser ab als Schüler/innen, die den entsprechenden<br />

Stoff im Unterricht bearbeitet haben.<br />

Nach der Schule nutzen Erwachsene auch in unserer<br />

Kultur lieber Alltags- statt Schulverfahren.<br />

●●<br />

●●<br />

Sogar im Unterricht wenden Schüler/innen gelernte<br />

schulische Verfahren oft nicht an, sondern greifen auf<br />

Alltagsverfahren zurück.<br />

●●<br />

Wenn sie ihre eigenen Methoden anwenden, machen<br />

sie zudem weniger Fehler, als wenn sie schulische<br />

Vorgaben einhalten. Die Begründung dafür ist einfach:<br />

Nicht verstandene Algorithmen sind störanfällig.<br />

Diese Befunde machen deutlich: Rechnen nach Normalverfahren<br />

steht am Ende eines Lernprozesses. Sie<br />

dürfen den kindlichen Rechenwegen nicht vorzeitig<br />

aufgezwungen werden.<br />

Gestützt wird diese Forderung durch Untersuchungen<br />

der deutschen Mathematikdidaktiker Christoph<br />

Selter und Hartmut Spiegel. Ihre Ergebnisse lassen sich<br />

in vier Thesen zusammenfassen:<br />

●●<br />

Kinder rechnen oft anders als Erwachsene. Auch deshalb<br />

fällt es vielen Kindern schwer, das zu übernehmen,<br />

was sie ihnen beizubringen versuchen.<br />

●●<br />

Kinder rechnen oft anders, als Erwachsene vermuten.<br />

Diesen fällt es schwer, hinter den Fehlern der Kinder die<br />

meist durchaus logischen Ansätze zu erkennen. Dann<br />

nutzen ihre »Hilfen« aber auch nur wenig.<br />

●●<br />

Kinder rechnen oft anders als andere Kinder. Eine<br />

Normierung des Vorgehens wird diesen Unterschieden<br />

nicht gerecht und darf nicht zu früh gefordert werden.<br />

●●<br />

Kinder rechnen anders als sie selbst – bei anderen<br />

Aufgaben. In der Geldwelt kann ein Kind weiter sein als<br />

beim Uhren-Lesen und Zeitvergleich. Beim Messen von<br />

Längen geht es vielleicht anders vor als beim Wiegen<br />

von Gewichten. Mathematisch mag es sich um gleiche<br />

Anforderungen handeln und doch: Für Kinder gibt es<br />

nicht die eine »Zahlenwelt«.<br />

26 05 • Mai 2012


Ideen zur Anregung und Unter stützung<br />

mathematischen Lernens<br />

Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die Zahlen, Mengen,<br />

Formen für Kinder interessant machen ( ➝ ). Auf<br />

der Autobahn: »Du zählst die VWs, ich die Opel«. Beim<br />

Kochen, Backen und Werken das Messen, Wiegen und<br />

Zählen. Preisvergleiche und der Umgang mit Geld beim<br />

Einkaufen – ein wichtiger Grund für ein eigenes kleines<br />

Taschengeld schon vor Schulbeginn. Beim »Mensch ärgere<br />

dich nicht« und ähnlichen Spielen erfassen die Kinder<br />

Würfelpunkte, aber auch die Schritte auf dem Spielplan<br />

zunehmend auf einen Blick, das Zusammenzählen<br />

der beiden Würfel trainiert das Rechnen im Zahlenraum<br />

bis zwölf, also ganz selbstverständlich auch über den<br />

Zehner hinaus.<br />

Oft unterschätzt werden geometrische Erfahrungen:<br />

das Nachlegen oder Zusammensetzen von Formen; der<br />

Bau von Gegenständen nach<br />

zweidimensionalen Bildern –<br />

z. B. mit LEGO oder anderen<br />

Baukästen.<br />

Weitere anschauliche Vorschläge<br />

finden sich in<br />

(Bezugsquelle siehe<br />

»Hintergrundliteratur« ➝<br />

zu: »Hilfen für Eltern« )<br />

Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Was ist Dyskalkulie?<br />

Der Begriff wird leider sehr unterschiedlich verwendet –<br />

manchmal nur als Fremdwort für »Schwierigkeiten beim<br />

Rechnen«. Für andere geht es um Kinder, die zwar mindestens<br />

durchschnittlich intelligent sind, aber trotzdem<br />

in Mathematik Probleme haben. Ähnlich wird der Begriff<br />

»Legasthenie« verwendet für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten<br />

»wider Erwarten«. Umstritten ist aber, ob<br />

die Abgrenzung einer solchen Gruppe sinnvoll ist. Dazu<br />

sind vier Fragen zu klären:<br />

Gibt es zumindest andere Ursachen für die<br />

Schwierigkeiten »wider Erwarten«?<br />

Manche behaupten, die Schwierigkeiten seien über eine<br />

gestörte Hirnentwicklung erklärbar oder sogar erblich<br />

bedingt. Beide Deutungen sind umstritten – und zudem<br />

nicht sehr hilfreich: Beispielsweise gibt es Kinder mit ähnlichen<br />

Besonderheiten im Gehirn oder ähnlicher familiärer<br />

Belastung, die trotzdem erfolgreich lesen / schreiben<br />

bzw. rechnen lernen. Die Umwelt behält also auch dann<br />

ihren Einfluss und Entwicklungschancen bestehen auch<br />

bei der sog. „Dyskalkulie“ – so dass die vierte Frage bleibt:<br />

Lässt sich die Gruppe eindeutig von allgemein<br />

schulschwachen Kindern abgrenzen?<br />

Das ist nicht der Fall: je nach eingesetztem Intelligenztest,<br />

je nach ausgewähltem Mathematik- oder Lesetest<br />

ergeben sich andere Zuordnungen. Und außerdem<br />

kommt es darauf an, wo genau man bei den Testwerten<br />

die Grenze zieht und damit Kinder zu »Dyskalkulikern«<br />

erklärt. Verschärft wird diese Unklarheit noch dadurch,<br />

dass Testleistungen schwanken: Je nach Tagesform fällt<br />

ein Kind dann unter die Schwelle oder nicht.<br />

Machen Kinder mit einer Rechen- oder Lese-/Rechtschreibschwäche<br />

»wider Erwarten« andere Fehler, haben sie<br />

besondere Probleme?<br />

Nein. Zum einen gibt es innerhalb der Gruppe sehr unterschiedliche<br />

Schwierigkeiten. Zum anderen finden<br />

sich alle Fehler auch in der jeweils anderen Gruppe. Man<br />

muss also individuell überprüfen, wo ein Kind konkret<br />

Schwierigkeiten hat. Das Dyskalkulie-Etikett hilft diagnostisch<br />

nicht weiter.<br />

Brauchen diese Kinder eine andere Förderung?<br />

Nach dem bisher Gesagten verwundert das Fazit der Forschung<br />

nicht: Es gibt keine speziellen Methoden oder<br />

Programme, die nur bei Kindern mit Rechenproblemen<br />

»wider Erwarten« oder bei ihnen besonders wirksam<br />

sind. Bei jedem Kind muss man sich die konkreten Fehler<br />

und Schwierigkeiten jeweils genau anschauen und ihm<br />

dann individuell helfen. Kinder brauchen zu derselben<br />

Zeit Verschiedenes. Und selbst bei demselben Problem<br />

hilft nicht allen dieselbe Methode.<br />

Weiterführend siehe auch »Hintergrundliteratur« ➝<br />

zum Stichwort »Förderung«.<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />

Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

05 • Mai 2012 27


Informationen & Lesetipps<br />

Anregungen für Eltern<br />

Minis entdecken<br />

Mathematik<br />

Christiane Benz,<br />

Johanna Zöllner<br />

Erschienen: 2010<br />

Verlag: Westermann<br />

Preis: 14,95 Euro<br />

Eine Sammlung<br />

von »Lernchancenkarten«, die zeigen,<br />

welche mathematischen Entdeckungen<br />

man mit Alltagsmaterialien<br />

machen kann. Hier wird anregend<br />

vorgestellt, wie Kinder Mathematik<br />

entdecken: selbstständig, auf unterschiedlichen<br />

Wegen und miteinander.<br />

Die Welt durch die mathematische<br />

Brille sehen: »Wie viele Haare wachsen<br />

auf deinem Kopf?«, »Wie viel Geld<br />

passt in eine Schultasche?« Eine Aufgabenkartei<br />

zum Mathematisieren<br />

des Alltags:<br />

Die Fermi-Box<br />

Andreas Büchter u. a.<br />

Erschienen: 2007<br />

Verlag: vpm / Klett<br />

Preis: 27,50 Euro<br />

Hintergrundliteratur<br />

In der Reihe »Was Erwachsene wissen<br />

sollten« gibt es auch eine empfehlenswerte<br />

Einführung in das mathematische<br />

Denken von Kindern:<br />

Kinder und Mathematik.<br />

Was Erwachsene wissen sollten<br />

Hartmut Spiegel, Christoph Selter<br />

Erschienen: 2003<br />

Verlag: Kallmeyer<br />

Preis: 18,95 Euro<br />

Üben macht wenig Sinn, wenn man<br />

nicht verstanden hat, was man übt.<br />

Unterrichtsbeispiele, die zeigen, wie<br />

man von den individuellen Vorstellungen<br />

der Kinder ausgehen und über<br />

den Austausch zwischen ihnen zu<br />

Standardverfahren kommen kann, haben<br />

die Dortmunder Arbeitsgruppen<br />

KIRA und PIK AS entwickelt, die auch<br />

hilfreiche Informationen für Eltern anbieten:<br />

www.kira.tu-dortmund.de/beispiele<br />

www.pikas.tu-dortmund.de/eltern<br />

Bücher für Kinder zum Thema<br />

Es fährt ein Boot nach Schangrila.<br />

Ein Zähl- und Reimbuch.<br />

Lene März, Barbara Scholz<br />

Erschienen: 2006<br />

Verlag: Thienemann<br />

Preis: 12,90 Euro<br />

Ein Bilderbuch voller Wimmelbilder<br />

und mit Zähl-Reimen von 1 bis 10 und<br />

wieder von 10 bis 1 rückwärts.<br />

Wollen wir Mathe spielen?<br />

Witzige Spiele und kniffelige Rätsel.<br />

Kristin Dahl, Mati Lepp<br />

Erschienen: 2000<br />

Verlag: Oetinger (5. Aufl.)<br />

Preis: 12,90 Euro<br />

»Fast alles in unserer Umgebung<br />

hängt mit Mathematik zusammen.<br />

Mathematik ist nämlich viel mehr als<br />

Rechnen in der Schule. Mathematik ist<br />

auch, wenn du am Kiosk Süßigkeiten<br />

kaufst und dein Geld zählst. Wenn du<br />

einen Apfel in der Mitte durchschneidest<br />

und zwei gleich große Hälften<br />

bekommst. Wenn du den Tisch<br />

deckst …«<br />

Eine Liste mit weiteren Empfehlungen<br />

haben wir auf unserer Homepage<br />

zusammengestellt zum Stichwort<br />

»Kinderbücher« ➝<br />

Viele Gesellschaftsspiele fördern<br />

beiläufig den Umgang mit geometrischen<br />

Formen (z. B. »Set«, »Ubongo«,<br />

»Tangram«). Andere fordern das Erfassen<br />

von Mengen und das Rechnen mit<br />

kleinen Zahlen (z. B. »Mensch ärgere<br />

dich nicht« mit zwei Würfeln) bis hin<br />

zu großen Summen (z. B. »Mono poly«).<br />

Weitere Tipps:<br />

»Ligretto«: Zahlen und Farben<br />

simultan erfassen;<br />

»Trio«: aus drei Zahlen eine vorgegebene<br />

zusammensetzen;<br />

»TicTacToe« (auch: »3 gewinnt«).<br />

Hilfe bei Schwierigkeiten<br />

Neues zu lernen ist immer schwierig. Dabei brauchen manche Kinder<br />

besondere Unterstützung. Der Grundschulverband hat unter dem Titel<br />

»Kompetenzen stärken – individuell fördern« Ideen für Mathematik und<br />

für die anderen Lernbereiche in zwei Bänden seiner »Beiträge zur Reform<br />

der Grundschule« zusammengestellt: Nr. 134 für die Eingangsstufe (Klasse<br />

1/2) und Nr. 135 (ab Klasse 3). Die Aufgaben richten die Aufmerksamkeit auf<br />

»kritische Stellen«, typische Hürden, an denen Kinder immer wieder scheitern.<br />

28 05 • Mai 2012


Ästhetisches Lernen<br />

Malen, Singen, Tanzen, Spielen, Bewegen …<br />

Kinder sind voller Phantasie und Kreativität. Sie malen,<br />

was sie denken, fühlen und erleben – nicht nur, was sie<br />

sehen oder hören.<br />

Kinder bauen eigene Welten aus Alltagsgegenständen<br />

und mit Sand am Strand, sie machen Musik mit Töpfen<br />

und Löffeln. Ihre Rollenspiele<br />

nehmen<br />

Mit langen Beinen weglaufen –<br />

mit langen Armen fangen …;<br />

aus: Seitz, R. (1985): Die Bildsprache<br />

unserer Kinder. In: spielen<br />

und lernen, H. 9 / 85, S. 16 – 19<br />

Umwelterfahrungen<br />

auf, passen sie aber<br />

auch eigenen Bedürfnissen<br />

an (»du hättest<br />

mir gegeben …«).<br />

Das leichtfertige Urteil:<br />

»Die spielen ja<br />

nur!« verkennt, was<br />

für eine Bedeutung<br />

die Entfaltung der<br />

kindlichen Eigenwelt<br />

für die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten hat. So<br />

setzen sich Kinder auch mit technischen Fragen auseinander,<br />

wenn sie ein Fahrrad zeichnen, z. B. mit der Übersetzung<br />

von Tret kurbel zu Hinterrad.<br />

Über diesen indirekten Nutzen darf aber der Eigenwert<br />

von Musik, Bewegung, Kunst nicht aus dem Blick geraten.<br />

Das bedeutet vor allem, die Formen anzuerkennen, die<br />

Kinder selbst wählen, sich die Welt zu erklären und sie zu<br />

gestalten: nicht Geigenunterricht<br />

mit<br />

vier Jahren, sondern<br />

ein Glockenspiel zum<br />

Ausprobieren von<br />

Tönen und Melodien,<br />

Tanzen zu einer<br />

CD im Wohnzimmer;<br />

kein Leistungsdrill im<br />

Sportverein, sondern<br />

Aus: Möller (1998), in: Brügelmann,<br />

Kinder lernen anders. Libelle, S. 92<br />

gemeinsame (Ball-)Spiele im Garten oder einer Parkanlage;<br />

und statt die Tulpe nach Vorlage auszumalen das freie<br />

Zeichnen und Malen.<br />

Pablo Picasso<br />

»Als Achtzehnjähriger war ich<br />

technisch so gut wie Raffael.<br />

Den Rest meines Lebens habe ich gebraucht,<br />

um wie ein Kind malen zu lernen.«<br />

Tipp<br />

»Inklusion« war Thema unseres zweiten Kapitels. 2012<br />

startete der Film »Berg Fidel – eine Schule für alle« in den<br />

Kinos. Er dokumentiert lebendig Erfahrungen mit gemeinsamem<br />

Lernen in einer Münsteraner Grundschule:<br />

www.bergfidel.wfilm.de/berg_fidel/Start.html l<br />

Liebe Eltern,<br />

nach PISA hat sich Schule zunehmend auf die vermeintlichen<br />

Kernfächer konzentriert: auf Deutsch und Mathematik,<br />

auf Fremdsprachen und Naturwissenschaften. Innerhalb<br />

dieser Fächer wiederum stehen meist abprüfbare<br />

Leistungen im Vordergrund. Die Aufgabe von Schule ist<br />

jedoch mehr als die Vermittlung abprüfbarer Kenntnisse.<br />

Schule ist auch ein Raum der Persönlichkeitsentwicklung,<br />

in dem Kinder gefördert und gefordert werden. Im letzten<br />

Heft haben wir die Mitbestimmungsrechte der Kinder<br />

und ihre Entwicklung zu aktiven Bürgern betont. Nicht<br />

minder wichtig ist es, ihnen Möglichkeiten zu eröffnen,<br />

wie sie die Welt musisch-ästhetisch erfahren und gestalten<br />

können: durch Musik und Bewegung, über Sprache<br />

und Bilder. Tanz, Theater, Dichten – es gibt viele Möglichkeiten<br />

sich auszudrücken.<br />

Dabei ist nicht die Hinführung zur »Hochkultur« gemeint,<br />

zu Bach, Dürer, Goethe, Wagner. Vielmehr geht es darum,<br />

die sinnliche Wahrnehmung zu entwickeln, eigene Vorstellungen<br />

darzustellen und anderen mitzuteilen – mit der<br />

Hilfe von Musik, Bewegung, bildender Kunst, Theater und<br />

Literatur. Diese Sichtweise hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

über die Reformpädagogik an Gewicht gewonnen.<br />

Leider werden aber auch heute Musik, Bewegung,<br />

Kunst oft nur als Mittel gesehen, um fachliches Lernen zu<br />

fördern. So soll Fußballspielen mathematisches Lernen<br />

fördern (s. analog Musik zur Intelligenzsteigerung, S. 31).<br />

Ästhetische Wahrnehmungs- und Ausdrucksformen haben<br />

einen Eigenwert für Kinder und ihre Entwicklung:<br />

beim Theaterspielen, beim Vortrag eines selbst gewählten<br />

Gedichts, beim Drehen eines Films – und vor allem<br />

beim Spielen im Alltag. Dafür Räume zu schaffen und<br />

Anregungen zu bieten, ist eine besondere Aufgabe auch<br />

der Familie – zum Beispiel als Ausgleich zu der in vielen<br />

Schulen dominanten (Kern-)Fachorientierung.<br />

07 • November 2012 29


Lernen mit allen Sinnen – aber mit Sinn<br />

Wenn Kinder die Welt erkunden, sind alle Sinne beteiligt.<br />

Kinder lernen, wenn sie an Pflanzen riechen und auf Bäume<br />

klettern, wenn sie ihren Körper ertasten oder einfach<br />

»matschen«. Sie sammeln dabei gleichzeitig Erfahrungen,<br />

die für ihr mathematisches und sprachliches Lernen<br />

wichtig sind, z. B. wenn sie Reime singen oder mit Klötzen<br />

einen Turm bauen.<br />

Ästhetik der Mathematik<br />

Die Eleganz von Formeln verstehen Kinder noch nicht.<br />

Aber die Schönheit geometrischer Formen nehmen sie<br />

wahr – und gestalten sie selbst. Beispielsweise mit Alltagsmaterialien.<br />

»Gleiches Material in großer Menge«<br />

ist das einfache Prinzip. »Kinder erfinden Mathematik«<br />

nennt Kerensa Lee diesen Ansatz ( Nr. 1 ➝ »Praktische<br />

Tipps«). Indem die Kinder Cent-Stücke, Eislöffel, Kronkorken<br />

ordnen und zu »schönen« Formen zusammenfügen,<br />

lernen sie auch viel über Mengen und Zahlen.<br />

Foto: Fabian Bojé<br />

Aber Schule wird nicht dadurch besser, dass sie bloß bunter<br />

und lauter wird. Lernprogramme für den PC nutzen<br />

Farbe, Ton und Bewegung, um Kinder »zu motivieren« –<br />

und lenken sie damit oft von dem ab, was inhaltlich gelernt<br />

werden soll. Kinder verstehen nichts vom Aufbau<br />

der Schrift, wenn sie mit nackten Füßen über Buchstaben<br />

aus Seilen balancieren. Im Gegenteil: dabei wird das »W«<br />

Theater statt – oder fürs<br />

Mathematik lernen?<br />

»Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden hat ein Drittel<br />

des klassischen Fachunterrichts abgeschafft. Die<br />

Schüler spielen stattdessen Theater – und sind gleichzeitig<br />

besser in Mathematik. Die Schule ist Preisträgerin<br />

des Deutschen Schulpreises 2007.«<br />

www.adz-netzwerk.de/Helene-Lange-Schule-Wiesbaden.php<br />

(dort auch ein Kurzfilm, ein Interview und<br />

weitere Informationen zum Konzept und zu den praktischen<br />

Erfahrungen der Schule mit diesem Ansatz)<br />

plötzlich zum »M« oder das »n« zum »u«. Und wenn sie<br />

Buchstaben als Russisch Brot essen, nutzt das ebenfalls<br />

der Schriftkenntnis wenig.<br />

»Lernen mit allen Sinnen« ist eine werbewirksame Formel,<br />

die Verlage gerne nutzen, um ihre Materialien attraktiv<br />

zu machen. Räucherkerzen und das Schwingen<br />

mit farbenfrohen Tüchern mögen zum allgemeinen<br />

Wohlbefinden beitragen – das Lernen fachlicher Inhalte<br />

erfordert spezifischere Hilfen.<br />

Sinnvoll ist es beispielsweise, wenn Kinder sich unbekannte<br />

Wörter in einem Buch mit Hilfe eines Vorlesestifts<br />

anhören können – oder Geräusche von Tieren, von Maschinen<br />

(s. »Heißer Tipp«, S. 36 unten). Ihnen hilft, geometrische<br />

Formen aus Puzzleteilen nachzulegen oder<br />

Wörter Laut für Laut aus einzelnen Buchstaben zu stempeln.<br />

Dann stützen Anschauung und äußere Handlung<br />

den Aufbau innerer Vorstellungen.<br />

In Zeichnungen wie in anderen Ausdrucksformen gelingt<br />

es Kindern aber auch, reale und Wunschwelt bruchlos<br />

zu verbinden – wie die siebenjährige kurzhaarige Lisa<br />

ihre (tatsächlichen) Zahnlücken<br />

mit den (erträumten) langen<br />

Haaren.<br />

Auch hier gilt: Maßstab für Kinder<br />

ist nicht die naturgetreue<br />

Kopie, sondern die Stimmigkeit<br />

zu ihren Vorstellungen. Abweichungen<br />

von unserer Erwachsenensicht<br />

sind kein Fehler,<br />

sondern Annäherungen auf der<br />

jeweiligen Entwicklungsstufe.<br />

Uns eröffnen sie Fenster für Einsichten in ihre individuelle<br />

Denk- und Gefühlswelt.<br />

Kindern wiederum fällt der Weg in die Erwachsenenkunst<br />

leichter, wenn sie selbst aktiv werden können: ein<br />

zerschnittenes Gedicht wieder zusammenbauen, in einer<br />

»Fälscherwerkstatt« bewusst die Bildsprache von Picasso<br />

oder Monet nachempfinden, ein Musikstück in farbige<br />

Bilder übersetzen (zu weiteren Ideen s. Nr. 1 ➝ »Praktische<br />

Tipps …«).<br />

»Rhythm is it«<br />

Ein Film über Schüler/innen, denen kaum jemand etwas<br />

zutraut – außer dem Tanzlehrer Royston Maldoom<br />

und dem Stardirigenten Sir Simon Rattle. Sie bereiten<br />

die Jugendlichen aus Berliner »Problemschulen« in<br />

wenigen Wochen auf eine Aufführung in der Arena<br />

Berlin mit den Berliner Philharmonikern vor … Einige<br />

eindrucksvolle Einblicke in den Film finden sich hier:<br />

www.rhythmisit.com/de/<br />

30 07 • November 2012


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Macht Musik schlau?<br />

Immer wieder geistern Meldungen durch die Presse, das<br />

Hören von Musik (sog. »Mozart-Effekt«) oder das Spielen<br />

eines Instruments steigere die Intelligenz bzw. bestimmte<br />

fachliche Leistungen. Das Problem mit den zitierten<br />

Studien: Effekte der untersuchten Förderprogramme<br />

oder -einrichtungen lassen sich nicht eindeutig der Musik<br />

zuordnen. So können sich die Angebote auch in weiteren<br />

Merkmalen unterscheiden. Das Personal könnte<br />

engagierter oder kompetenter gewesen sein. Oder es<br />

könnten bestimmte Kinder bzw. Eltern sein, die solche<br />

Aktivitäten wählen.<br />

Positive Effekte gemeinsamen Musizierens lassen sich<br />

jedenfalls auch indirekt erklären, zum Beispiel über eine<br />

Verbesserung der individuellen Lernmotivation bzw.<br />

der sozialen Beziehungen in der Gruppe. Insofern ist gemeinsames<br />

Musizieren – ganz unabhängig von beiläufigen<br />

fachlichen Lerneffekten – eine Aktivität, die nicht<br />

nur Freude macht, sondern sich auch lohnt. Kunst, Musik,<br />

Bewegung gehören zu einer ganzheitlichen Entwicklung<br />

dazu und bieten besondere Möglichkeiten sich auszudrücken<br />

– gerade für Kinder, die in der Schule nicht so<br />

erfolgreich sind.<br />

Besser lernen durch eigenes Tun<br />

Von Konfuzius wird die Mahnung überliefert:<br />

Erkläre mir, und ich vergesse.<br />

Zeige mir, und ich erinnere.<br />

Lass es mich tun, und ich verstehe.<br />

In heutigen Fachbüchern findet sich diese Einsicht<br />

übersetzt in scheinpräzise Prozentwerte:<br />

Soweit sich Wirkungen feststellen ließen ( Nr. 1 ➝<br />

»Untersuchungen«),<br />

●●<br />

beziehen sie sich jedenfalls nur auf aktives Musizieren,<br />

nicht bloßes Musikhören,<br />

●●<br />

waren sie vergleichsweise gering (wenige IQ-Punkte<br />

über viele Jahre hinweg),<br />

●●<br />

sind sie überwiegend an Berufsmusikern gewonnen<br />

und lassen sich deshalb nicht ohne Weiteres auf andere<br />

Berufs- bzw. Altersgruppen übertragen,<br />

●●<br />

ist die Nachhaltigkeit früher Fördereffekte für die weitere<br />

Entwicklung noch nicht gesichert,<br />

●●<br />

konnten die unterstellten Wirkungszusammenhänge<br />

noch nicht befriedigend erklärt werden,<br />

●●<br />

ließen sie sich nicht spezifischen Bereichen zuordnen<br />

(z. B. Mathematik oder Sprache).<br />

Zudem sind selbst die geringen Fördereffekte nur bei einem<br />

erheblichen Aufwand (Regelmäßigkeit und Dauer<br />

des Übens) zu beobachten. Insofern wäre zu prüfen, ob<br />

nicht auch andere Hobbys oder Förderprogramme vergleichbare<br />

Wirkungen haben können.<br />

Vor allem ist zu bedenken: Breit und vielfältig angeregt<br />

wird auch ein Kind, dass mit seinem Metallkasten baut,<br />

mit Freunden spielt, Bilder malt, am Gameboy (!) spielt,<br />

Fahrrad fährt – und die (hoffentlich …) vielfältigen Angebote<br />

seiner Schule nutzt.<br />

aus: Hüholdt, J. (1997): Wunderland des Lernens,<br />

S. 248<br />

Aber so plausibel das nach der Alltagserfahrung<br />

scheint: Es gibt keine Untersuchungen, die solche<br />

Allgemeinaussagen erlauben. Man muss genauer hinschauen,<br />

wenn das Lernen »mit allen Sinnen« Sinn machen<br />

soll (s. die Hinweise S. 30).<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />

Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

07 • November 2012 31


Informationen & Lesetipps<br />

Materialien für die Eltern<br />

Warum das Huhn vier Beine hat.<br />

Knut Philipps<br />

Erschienen: 2011 (3. Aufl.)<br />

Verlag: Toeche-Mittler<br />

Preis: 24,00 Euro<br />

Heißer Tipp:<br />

Inzwischen ist der 10. Band der<br />

Musicalreihe Ritter Rost mit Phantasiegeschichten<br />

und mitreißender<br />

Musik (inkl. Noten) von Jörg Hilbert<br />

und Felix Janosa im Terzio-Verlag<br />

erschienen. Für alle Altersstufen.<br />

Geschichten zum Thema<br />

Schon für jüngere Kinder:<br />

Die Königin der Farben.<br />

Jutta Bauer<br />

Erschienen: 2012 (15. Aufl.)<br />

Verlag: Beltz & Gelberg<br />

Preis: 12,95 Euro<br />

Zur kindlichen Entwicklung der Bildsprache<br />

und ihrer Eigengesetzlichkeit,<br />

die Erwachsene kennen sollten, um<br />

auf die individuellen Fähigkeiten der<br />

Kinder reagieren (und auf Schablonen<br />

verzichten …) zu können.<br />

Anregungen für Kinder und Hilfen zur<br />

Vorbereitung der interessanten Aktivitäten<br />

für Erwachsene bieten<br />

So seh ich das!<br />

Bildnerisches Gestalten mit Kindern<br />

Diemut Schilling<br />

Erschienen: 2005<br />

Verlag an der Ruhr<br />

Preis: 21,00 Euro<br />

Hundert einfache und anspruchsvollere<br />

Spiele zu Musik und Bewegung<br />

mit hilfreichen Kommentaren finden<br />

sich in übersichtlicher Form in<br />

Klangdörfer<br />

Klaus Holthaus<br />

Erschienen: 1994 (2. verb. Aufl.)<br />

Verlag: Fidula<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Anregungen zum Selbertun<br />

KINDER KÜNSTLER MITMACHBUCH<br />

Ohne die Unterstützung von Erwachsenen<br />

für Kinder direkt nutzbar:<br />

Aufschlagen – Loslegen –<br />

Spaß haben<br />

Labor Ateliergemeinschaft<br />

Erschienen: 2012 (4. Aufl.)<br />

Verlag: Beltz & Gelberg<br />

Preis: 9,95 Euro<br />

Die schwarz-weiße Königin Malwida<br />

entdeckt die Bedeutung und das Zusammenspiel<br />

der Farben. Ein Buch zum<br />

Anschauen und für eigene Versuche.<br />

Ottokar der Elefant aus Sansibar.<br />

Hückstädt, C., Anita Andrzejewska &<br />

Andrzej Pilichowski-Ragno<br />

Erschienen: 2010<br />

Verlag: Bibliographisches Institut<br />

Preis: 12,95 Euro<br />

Skurrile Geschöpfe aus Alltagsgegenständen,<br />

kommentiert in originellen<br />

Gedichten, regen zum Selberbasteln<br />

an.<br />

Weitere Empfehlungen ➝ Nr. 2<br />

und ein zweiter Band von derselben<br />

Autorin (ebenfalls in dieser Reihe):<br />

Das bin ich!<br />

Bildnerisches Gestalten mit Kindern<br />

Weitere Empfehlungen ➝ Nr. 1 ➝<br />

»Hilfen zum Verständnis« und »Prak-<br />

tische Tipps«<br />

Immer wenn Sie dies Symbol<br />

sehen, erfahren Sie Näheres<br />

auf www.grundschuleltern.<br />

info unter »Weitere Informationen«.<br />

Ebenso vielseitig, aber auf Hilfe von<br />

Erwachsenen angewiesen:<br />

Kunst. Ein Mitmachbuch für Kinder<br />

Rosie Dickins<br />

Erschienen: 2008<br />

Arena : Würzburg<br />

Preis: 12,95 Euro<br />

Kunst von Kindern für Kinder<br />

– und für Erwachsene<br />

In Berlin gibt es ein Kinder-Kunst-<br />

Museum. Seine Idee (s. www.kkmberlin.de):<br />

Wir sind ein "Museum im Koffer",<br />

auf Wanderschaft mit interaktiven<br />

Projekten.<br />

Unsere Philosophie: Kindern Mut zu<br />

machen, etwas Eigenes zu erschaffen,<br />

worauf sie stolz sein können.<br />

Wir wollen gemeinsam malen, musizieren,<br />

Theater spielen, filmen, unsere<br />

Ausstellungen gestalten und<br />

Bücher publizieren.<br />

32 07 • November 2012


Kinder bestimmen mit –<br />

in Familie und Schule<br />

Alexander S. Neill, Gründer und Leiter der freien Schule<br />

»Summerhill« in England, erinnert sich, wie eine Mutter<br />

ihre Tochter zur Anmeldung mitbrachte:<br />

»Ich warf einen Blick auf Daphne, die mit ihren schweren<br />

Schuhen auf meinem Konzertflügel stand. Sie machte<br />

einen Satz auf das Sofa und stieß beinahe die Sprungfedern<br />

durch. ›Sehen Sie, wie natürlich sie ist‹, sagte die<br />

Mutter. ›Das Neill‘sche Kind!‹ Ich fürchte, ich bin rot geworden.«<br />

Neill kommentiert:<br />

»Diesen Unterschied zwischen Freiheit und Zügellosigkeit<br />

können viele Eltern nicht begreifen. In einem Heim,<br />

in dem Disziplin herrscht, haben Kinder keine Rechte. In<br />

einem Heim, in dem sie verwöhnt werden, haben sie alle<br />

Rechte. In einem guten Heim haben Kinder und Erwachsene<br />

jedoch gleiche Rechte. Und dasselbe trifft auf die<br />

Schule zu« (Neill 1969, S. 116 – 117).<br />

Auch in anderen reformpädagogischen Konzepten wurde<br />

schon vor hundert Jahren gefordert, dass Kinder über<br />

ihr Lernen und das Zusammenleben in der Schule (mit)<br />

bestimmen sollen. Das bedeutet nicht: Jedes Kind kann<br />

tun und lassen, was ihm gefällt oder gerade in den Sinn<br />

kommt. Auch eine demokratische Schule braucht Regeln.<br />

Der wesentliche Unterschied zur herkömmlichen Schule<br />

ist aber: Die Regeln fallen nicht vom Erwachsenen-<br />

Himmel: sie werden von Lehrer/inne/n und Kindern gemeinsam<br />

entwickelt und kontrolliert.<br />

(Fortsetzung S. 34)<br />

Liebe Eltern,<br />

wozu ist die Schule eigentlich da?<br />

Damit die Kinder »etwas lernen«. So oder ähnlich antworten<br />

viele Menschen, wenn man sie im Alltagsgespräch<br />

fragt. Vor allem Lesen, Schreiben und Rechnen sollen die<br />

Kinder lernen. Das war so in der alten Volksschule und ist es<br />

auch heute noch in der Grundschule. Fachliches Lernen sehen<br />

viele als das Zentrum der Schule. Unter anderem deshalb<br />

konzentrieren sich PISA, IGLU und die anderen großen<br />

Untersuchungen auf den Vergleich von »Leistungen«.<br />

Gemeint sind damit Fachleistungen. Aber ist das alles?<br />

»Die Schule der Nation ist die Schule«, hat Bundeskanzler<br />

Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969<br />

betont. Und in der Tat: Die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen,<br />

die gemeinsame Lösung von Konflikten, der<br />

Umgang zwischen Stärkeren und Schwächeren – solche<br />

Erfahrungen von Kindern bestimmen mit, ob sie sich als<br />

Erwachsene demokratisch verhalten.<br />

Aber es geht nicht nur darum, »Demokratie zu lernen« – für<br />

die Zukunft. Sondern auch darum, sie jetzt schon leben zu<br />

dürfen. Dieses Recht räumt nämlich die bereits 1989 verabschiedete<br />

UN-Konvention schon Kindern ein (s. S. 36). Einerseits<br />

stärkt sie die Schutzrechte der Kinder, z. B. tabuisiert<br />

sie Gewalt. Darüber hinaus aber formuliert sie Beteiligungsrechte.<br />

Kinder sollen über ihr Leben selbst entscheiden, zumindest<br />

aber mit-bestimmen. Partizipation, d. h. Mitwirkung<br />

der Kinder ist ein hoher Anspruch an Familie und Schule, in<br />

der bisher meist die Erwachsenen das Sagen hatten. Schule<br />

hat also nicht nur die Aufgabe, auf das zukünftige Leben<br />

vorzubereiten. Als öffentliche Einrichtung hat sie auch ihren<br />

Alltag demokratisch zu gestalten (s. ➝ Nr. 5).<br />

Und das fachliche Lernen? Kommt es dabei nicht zu kurz?<br />

Nein. Man lernt auch besser, wenn man sich selbst Ziele<br />

setzen kann, wenn man an der Auswahl der Inhalte beteiligt<br />

ist, wenn man die Arbeitsformen (mit)bestimmen<br />

darf. Das zeigen psychologische Untersuchungen – und<br />

wir wissen das alle ja auch aus eigener Erfahrung. Trauen<br />

wir es auch unseren Kindern zu!<br />

© Grundschule Harmonie, Eitorf<br />

Die eigenen Angelegenheiten gemeinsam regeln<br />

Kinderrechte ins Grundgesetz<br />

Seit über hundert Jahren kämpfen Frauen für ihre Gleichberechtigung<br />

mit Männern, die erst 1949 im Grundgesetz<br />

verankert wurde. Mit der UN-Konvention von 1989 stehen<br />

wir nun vor der gleichen Aufgabe für die Selbst- und<br />

Mitbestimmungsrechte der Kinder: www.kinderrechteins-grundgesetz.de/<br />

06 • September 2012 33


(Kinder bestimmen mit – in Familie und Schule, Fortsetzung von S. 33)<br />

Selbst- und Mitbestimmung in der Schule<br />

In der Schule gibt es unterschiedliche Bereiche, in denen<br />

Kinder selbst oder mit-bestimmen können:<br />

●●<br />

im Unterricht (»Freiarbeit«),<br />

●●<br />

bei Verständigungen in der Lerngruppe (»Klassenrat«),<br />

●●<br />

bei klassenübergreifenden Entscheidungen (»Schülerparlament«).<br />

Freiarbeit gibt es in sehr verschiedenen Formen, die sich<br />

vor allem im Grad der Öffnung unterscheiden. Das lässt<br />

sich gut an zwei Beispielen für Wochenpläne illustrieren<br />

(vgl. Brügelmann / Brinkmann (1998, S. 57 ff.).<br />

Der erste Wochenplan zielt auf die unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen der Kinder. Die Lehrerin differenziert<br />

die Aufgaben immerhin nach drei Leistungsstufen. Je<br />

nachdem, zu welcher Gruppe ein Kind gehört, bekommt<br />

es genau vorgeschrieben, woran und wie es zu arbeiten<br />

hat. Aber anders als im üblichen Klassenunterricht kann<br />

jedes Kind individuell bestimmen, in welcher Reihenfolge<br />

es sich die Aufgaben vornimmt und es kann sie in seinem<br />

eigenen Tempo bearbeiten.<br />

Der zweite Wochenplan ist sehr viel offener. Jedes Kind<br />

macht eigene Vorschläge, woran es arbeiten möchte. Die<br />

Lehrerin kommentiert diese Vorschläge, sie gibt Hinweise,<br />

stellt Rückfragen, erinnert an noch nicht eingelöste<br />

Absprachen. Weder verordnet sie die Aufgaben noch<br />

sind deren Lösungen immer schon absehbar und einfach<br />

abzuhaken.<br />

Die Arbeit mit solchen individuellen Plänen, deren Inhalte<br />

zwischen Lehrer/in und Kind ausgehandelt werden,<br />

bildet den Kern eines offenen Unterrichts. Der Austausch<br />

über die Ergebnisse in der Lerngruppe fordert heraus,<br />

regt an, erweitert die Perspektiven.<br />

Diese soziale Dimension wird noch deutlicher in der Institution<br />

des Klassenrats. In ihm werden Angelegenheiten<br />

behandelt, die alle betreffen: Konflikte zwischen<br />

Kindern; die Planung einer Klassenfahrt; Absprachen<br />

über ein gemeinsames Projekt im Unterricht. Die Kinder<br />

wechseln sich in der Leitung und beim Protokollieren ab.<br />

So übernehmen sie Verantwortung nicht nur für die eigene<br />

Arbeit, sondern auch für ein gedeihliches Zusammenleben<br />

in der Gruppe – wie bei der Familienkonferenz<br />

zu Hause (s. S. 36 und ➝ Nr. 1). Im Schülerparlament<br />

geht es um noch grundsätzlichere Fragen. Gewählte Vertreter/innen<br />

aller Klassen beraten über Entscheidungen,<br />

die alle betreffen: Schulordnung, Gestaltung des Schulhofs,<br />

Konflikte (z. B. zwischen den »Großen« und den<br />

»Kleinen«). An manchen Schulen treffen sich alle Kinder<br />

und alle Erwachsenen regelmäßig, zum Beispiel in einer<br />

wöchentlichen Vollversammlung, um gemeinsame Angelegenheiten<br />

zu beraten. Dort können auch inhaltliche<br />

Ergebnisse den anderen Klassen vorgestellt werden.<br />

Gemeinsam ist allen Formen: die Kinder lernen für die<br />

Zukunft, indem sie schon jetzt ihre Rechte wahrnehmen.<br />

34 06 • September 2012


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Es gibt Unterrichtsformen, die dem demokratischen Anspruch<br />

besser gerecht werden, und andere, die dies weniger<br />

tun. Eine stark ausgeprägte Selbst- und Mitbestimmung<br />

ist Kennzeichen des sog. »offenen Unterrichts«.<br />

Diese Alternative zu einem vom Lehrer gesteuerten Unterricht<br />

wird seit vielen Jahren auch wissenschaftlich untersucht.<br />

Die Ergebnisse sind nicht leicht einzuschätzen,<br />

weil Lehrer/innen in verschiedenen Schulen, aber auch<br />

verschiedene Forscher/innen unter diesem Begriff sehr<br />

Unterschiedliches verstehen.<br />

Wie verbreitet ist offener Unterricht?<br />

Je höher der Anspruch an Mitwirkungsrechte von Kindern<br />

ist, desto seltener finden wir diese im Unterricht und<br />

im Schulleben umgesetzt. In der Regel können Kinder<br />

eher über die Reihenfolge ihrer Arbeiten bestimmen als<br />

zwischen verschiedenen Aufgaben zu wählen. Sie können<br />

eher eigene Lösungswege ausprobieren als selbst<br />

über Inhalte oder Ziele ihrer Arbeit zu entscheiden. Bei<br />

manchen Lehrer/inne/n gibt es Freiarbeit nur in festgelegten<br />

Stunden, bei anderen bestimmt sie den Unterricht<br />

insgesamt ➝ Nr. 3.<br />

Gleiche Freiräume für alle Kinder?<br />

Grundsätzlich: JA. In der Demokratie werden Rechte nicht<br />

nach Kompetenz gewährt. Aber manche Kinder sind von<br />

zu Hause weniger Selbstständigkeit gewöhnt als andere.<br />

Insofern ist es sinnvoll, mit ihnen zusammen über Hilfen<br />

nachzudenken. Zum Beispiel kann am Anfang ein Tagesplan<br />

statt eines Wochenplans helfen, die eigene Arbeit<br />

fristgemäß zu erledigen. Anderen hilft vielleicht die Zusammenarbeit<br />

im Team, sich besser zu organisieren.<br />

Wie (oft) erleben Kinder Freiräume im Unterricht?<br />

Selten. Weniger als 20 % der Dritt- und Viertklässler/innen<br />

sagen, dass sie zumindest »häufig« bestimmen dürfen,<br />

was in den Schulstunden gemacht wird. Und auch<br />

Lehrer/innen schätzen die Häufigkeit von Wahlmöglichkeiten<br />

für die Kinder in ihrem Unterricht geringer ein, als<br />

es ihrem eigenen Anspruch entspricht ➝ Nr. 3.<br />

Lernen Kinder im offenen Unterricht besser?<br />

Das kommt darauf an – wie bei allen pädagogischen Konzepten<br />

… Im Durchschnitt der verschiedenen Studien ergibt<br />

sich folgendes Bild: In den fachlichen Leistungen finden<br />

sich kaum nennenswerte Unterschiede, allenfalls mit<br />

leichten Vorteilen für traditionellen Unterricht. Aber die<br />

Streuung innerhalb der Konzepte ist größer. In den sogenannten<br />

Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit<br />

und Fähigkeit zur Zusammenarbeit ist offener Unterricht<br />

deutlich überlegen ➝ Nr. 4.<br />

© Bert Butzke, Mülheim<br />

Ein Grundschulkind leitet den Klassenrat<br />

Werden Kinder heute freier erzogen als früher?<br />

Ja. In den Familien gibt es einen Wandel »vom Befehlshaushalt<br />

zum Verhandlungshaushalt«. So sagen 43 % der<br />

Unter-30-Jährigen »Ich durfte schon als Kind vieles selbst<br />

entscheiden« – aber nur 15 % der Über-60-Jährigen. Von<br />

denen wiederum sagen fast zwei Drittel, sie seien »streng<br />

erzogen worden« ➝ Nr. 6.<br />

Welcher Erziehungsstil ist denn nun besser?<br />

Es ist leichter zu sagen, welche Erziehungsformen<br />

schlecht sind. Auf der Gefühlsebene: wenig persönliche<br />

Zuwendung, aber auch eine zu starke Bindung, also die<br />

Unfähigkeit, die eigenen Kinder loslassen zu können,<br />

sind nicht förderlich. Deren Entwicklung wird ebenfalls<br />

behindert, wenn Eltern alles für sie entscheiden, ihnen<br />

zum Beispiel vorgeben, wann und wie sie Hausaufgaben<br />

zu machen haben. Aber auch wenn die Eltern sozusagen<br />

»verschwinden«, nicht mehr als Gegenüber erkennbar<br />

sind, ihre eigenen Bedürfnisse denen des Kindes unterordnen,<br />

tut dies den Kindern nicht gut. Die optimale Balance<br />

zwischen diesen Extremen lässt sich allgemein nur<br />

schwer bestimmen.<br />

Grundbedürfnisse des Menschen G<br />

Eine »Selbstbestimmungstheorie der Motivation« haben<br />

die US-amerikanischen Psychologen Deci und Ryan entwickelt.<br />

In ihren vielfältigen Untersuchungen haben sie<br />

drei Grundbedürfnisse herausgearbeitet. Die Motivation<br />

zu lernen hänge davon ab, dass eine Person sich erlebt<br />

als …<br />

●●<br />

autonom: »Ich darf selbst entscheiden«<br />

●●<br />

zugehörig: »Andere mögen mich, ich bin<br />

anerkannt«<br />

●●<br />

kompetent: »Ich kann etwas gut«<br />

Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />

Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />

unter »Weitere Informationen«.<br />

06 • September 2012 35


Informationen & Lesetipps<br />

Erziehung in Familie und Schule<br />

Immer noch aktuell (inzwischen in der<br />

49. Auflage!) und trotz des irrführenden<br />

Titels ein eindrucksvolles Plädoyer<br />

für einen respektvollen Umgang<br />

mit Kindern: Neills lebendig geschriebener<br />

Erfahrungsbericht aus einer der<br />

ersten demokratischen Schulen:<br />

Theorie und Praxis der<br />

anti autoritären Erziehung.<br />

Das Beispiel Summerhill<br />

Alexander S. Neill<br />

Erschienen: 1969<br />

Verlag: Rororo 200446<br />

Preis: 9,99 Euro<br />

Heißer Tipp:<br />

Vorlesestifte zum selbstständigen Lesen<br />

Vorlesen ist für viele Kinder eine der schönsten Situationen.<br />

Und sie lernen dabei viel über die Schrift. Leider haben Erwachsene<br />

oft zu wenig Zeit. Vorlesekassetten oder CDs laufen wiederum<br />

einfach ab. Die Kinder können nicht selbst bestimmen, was genau sie<br />

anhören wollen.<br />

Da helfen »Lese-Stifte«, mit denen Kinder sich in bestimmten Büchern<br />

Texte, einzelne Wörter oder auch ergänzende Kommentare und<br />

Hörspiel szenen gezielt auswählen können ➝ Nr. 7<br />

Demokratie – erklärt für Kinder<br />

Geschichten zum Thema<br />

Willibald schwingt sich zum tyrannischen<br />

Boss eines Mäuserudels auf. Nur<br />

das viellesende Mäusemädchen Lilli<br />

widersetzt sich und wird verbannt.<br />

Doch eines Tages kommt ihre Chance.<br />

Familienkonferenz: Die Lösung von<br />

Konflikten zwischen Eltern und Kind<br />

Thomas Gordon<br />

Erschienen: 1989<br />

Verlag: Heyne Sachbuch Nr. 15<br />

Preis: 9,95 Euro<br />

Das Buch »Familienkonferenz« entfaltet<br />

(ebenfalls schon in der 29. Auflage)<br />

praktische Konsequenzen für eine Erziehung,<br />

die Kinder als eigenständige<br />

Persönlichkeiten auch in der Familie<br />

wahr- und ernstnimmt,<br />

– ergänzt vom Verfasser um zwei<br />

Nachfolgebände:<br />

Die Neue Familienkonferenz:<br />

Kinder erziehen ohne zu strafen<br />

und<br />

Familienkonferenz in der Praxis: Wie<br />

Konflikte mit Kindern gelöst werden<br />

Nachgefragt:<br />

Menschenrechte und Demokratie.<br />

Basiswissen zum Mitreden<br />

Christine Schulz-Reiss<br />

Erschienen: 2008<br />

Verlag: Loewe Verlag<br />

Preis: 12,90 Euro<br />

Und speziell zu den 1989 von den UN<br />

proklamierten Rechten der Kinder – in<br />

Kindersprache:<br />

Die Rechte der Kinder –<br />

von logo! einfach erklärt<br />

Benno Schick / Andrea Kwasniok<br />

Erschienen: 2008 (8. Auflage)<br />

Hrsgg. vom Bundesministerium für<br />

Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

Kostenloser Download ➝ Nr. 1<br />

Kinderwille<br />

Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene<br />

Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden<br />

Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung<br />

des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.<br />

(UN-Kinderrechtskonvention Art. 12 I)<br />

Der überaus starke Willibald<br />

Willi Fährmann<br />

Erschienen: 1999<br />

Verlag: Arena<br />

Preis: 5,99 Euro<br />

Ausdrücklich angesprochen werden<br />

die Kinderrechte in der Geschichte:<br />

Justine und die Kinderrechte<br />

Antje Szillat<br />

Erschienen: 2009<br />

Verlag: Edition Zweihorn<br />

Preis: 7,95 Euro<br />

Justine und ihr Kater Joschi tauchen<br />

immer dort auf, wo die Rechte eines<br />

Kindes in Gefahr sind. Aber nur mit<br />

Hilfe vieler Kinder können sie die Kinderrechte<br />

bekannt machen und ihnen<br />

helfen, sie umzusetzen.<br />

Für weitere Buchempfehlungen siehe<br />

➝ Nr. 2<br />

36 06 • September 2012


Hausaufgaben: wozu und wie?<br />

Hausaufgaben gehören für viele zu den Selbstverständlichkeiten<br />

von Schule – wie die Noten, das Sitzenbleiben und<br />

der 45-Minuten-Takt des Unterrichts. Gleichzeitig sagt die<br />

Hälfte der Eltern, dass es zu Hause täglich oder mehrmals<br />

pro Woche Streit wegen der Hausaufgaben gebe (ELTERN/<br />

family 2011 ➝ 2c). Häufig liegt das an unterschiedlichen<br />

Vorstellungen darüber, was Hausaufgaben leisten sollen:<br />

●●<br />

durch Übungsaufgaben die Inhalte des Unterrichts<br />

festigen;<br />

●●<br />

durch angemessene Aufgaben (Eigenverantwortung)<br />

zum selbstständigen Arbeiten hinführen;<br />

●●<br />

durch Sammel- oder Forscheraufträge neue Themen<br />

vorbereiten;<br />

●●<br />

den Lehrpersonen eine Rückmeldung zum Erfolg<br />

ihres Unterrichts geben;<br />

●●<br />

Eltern über den Lernstand, die Fortschritte und<br />

Schwie rig keiten ihrer Kinder informieren.<br />

Um unnötige Konflikte zwischen Schule, Eltern und Kindern<br />

zu vermeiden, ist es Aufgabe der LehrerInnen, Klarheit<br />

zu schaffen über ihre konkreten Ziele.<br />

Vor allem dürfen sie Eltern nicht als HilfslehrerInnen in<br />

die Pflicht nehmen. Gerade in der Halbtagsschule besteht<br />

die Gefahr, dass die öffentliche Schule über Hausaufgaben<br />

heimlich »privatisiert« wird. In Deutschland<br />

boomt der Nachhilfesektor: Über eine Million SchülerInnen<br />

bekommen regelmäßig bezahlten Zusatzunterricht.<br />

Über eine Mrd. Euro geben die Familien pro Jahr dafür<br />

aus – seit 2002 mit wachsender Tendenz.<br />

Hausaufgaben dürfen den Kindern nicht die Luft nehmen<br />

für selbstbestimmte Aktivitäten, für ein informelles<br />

Lernen außerhalb der Schulfächer, für soziale Beziehungen.<br />

Insofern sind die Vorgaben der Erlasse ( ➝ 2c) für<br />

zeitliche Grenzen sehr ernst zu nehmen: 30 Minuten in<br />

Klasse 1 und 2, 60 Minuten in Klasse 3 und 4; Eltern müssen<br />

sich den Kindern gegenüber auf »Hilfe zur Selbsthilfe«<br />

beschränken (s. S. 38); man muss nach Alternativen zu<br />

den traditionellen Formen suchen (s. S. 39).<br />

Lernerfolg durch Unterricht –<br />

oder durch Nachhilfe?<br />

Deutschland hat sich von PISA 2001 bis 2010 verbessert.<br />

Politiker sollten aber vorsichtig sein mit vorschnellen<br />

Erfolgsmeldungen. Die Fortschritte sind nicht zwangsläufig<br />

auf einen besseren Unterricht zurückzuführen.<br />

Seit 2002 bekommen nämlich immer mehr SchülerInnen<br />

Nachhilfe – vor allem diejenigen an Hauptschulen, wie<br />

die SHELL-Studie von Albert u. a. zeigt. (2010 ➝ 2c)<br />

Liebe Eltern,<br />

Schule und Familie – eine schwierige Beziehung. Lehrer<br />

fühlen sich bedrängt von Eltern, die meinen, alles besser<br />

zu wissen. Und die häufiger als früher vor Gericht klagen.<br />

Familien leiden vor allem unter der Hausaufgabenlast.<br />

Gewachsen ist diese Belastung noch durch G8 und durch<br />

Ganztagsschule mit anschließenden Hausaufgaben.<br />

Viele nehmen dann – für die Kinder auch noch zusätzlich<br />

– bezahlte Nachhilfe in Anspruch. Und schon in der<br />

Grundschule gibt es in vielen Familien Konflikte wegen<br />

der Hausaufgaben. Je näher der Übergang in die Sekundarstufe<br />

rückt, umso mehr.<br />

Wie so oft gäbe es viele Probleme nicht, wenn alle Seiten<br />

mehr und offener miteinander redeten. Wenn die LehrerInnen<br />

deutlich machten, worum es ihnen bei den Hausaufgaben<br />

geht. Und die Kinder nachfragten, wenn sie<br />

etwas nicht verstanden haben. Eltern wiederum sollten<br />

Schwierigkeiten nicht verdecken, indem sie schwierige<br />

Aufgaben für ihre Kinder erledigen. Sondern der Schule<br />

mitteilen, wo es gehakt hat.<br />

Aber das setzt Vertrauen voraus. Hier sind Eltern wie<br />

LehrerInnen gefragt. Nehmen Sie dieses Heft doch zum<br />

Anlass, einen Elternabend zum Thema »Hausaufgaben«<br />

zu vereinbaren! Es kann hilfreich sein, erst einmal zu sammeln,<br />

wie verschiedene Beteiligte die Situation erleben<br />

– vor allem auch die Kinder …<br />

© Schule CH-3662 Seftigen<br />

10 • September 2013 37


Tipps für Hausaufgabenbetreuung im Alltag<br />

Es gibt nicht »die beste« Art Hausaufgaben zu machen.<br />

Jedenfalls nicht für alle Kinder gleichermaßen. Das ist<br />

nicht anders als bei uns Erwachsenen. Auch jeder von<br />

uns hat seine eigene Art, wie er am besten arbeitet. Aber<br />

das bekommt man nur heraus, wenn man Verschiedenes<br />

ausprobiert – und dann bewusst entscheidet.<br />

Wie und wo kannst DU deine<br />

Hausaufgaben am besten machen?<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Vielleicht hilft dir, vorweg eine Liste der Aufgaben<br />

zu machen. Dann kannst du durchstreichen, was<br />

schon erledigt ist. Und du siehst, was noch zu machen<br />

ist.<br />

Willst du nach dem Essen lieber erst eine Pause<br />

machen? Oder geht es dir besser, wenn du die Aufgaben<br />

gleich hinter dich bringst?<br />

Nimmst du als erstes lieber eine Aufgabe, die du<br />

gerne machst – weil dann das Anfangen leichter<br />

fällt? Oder fängst du lieber mit einer schwierigen<br />

Aufgabe an – damit du dann das Unangenehmste<br />

schnell hinter dir hast?<br />

Hilft es dir, vorweg darüber zu sprechen, wie du<br />

eine Aufgabe bearbeiten willst? Oder möchtest du<br />

erst einmal versuchen, die Aufgabe allein zu lösen,<br />

und wir reden dann über das, was schwierig war?<br />

Probiere verschiedene Orte aus! Wo kannst du am<br />

besten arbeiten: in deinem Zimmer, am Wohnzimmertisch,<br />

in der Küche, wenn eine Person dabei<br />

bist oder wenn du allein bist?<br />

Eltern sollten mit ihrem Kind gemeinsam darüber nachdenken,<br />

was ihm die Hausaufgaben erleichtert und was<br />

stört. »Gleich nach dem Essen anfangen« ist nicht grundsätzlich<br />

besser als »erst mal eine Pause machen«. Manche<br />

fangen lieber mit einer leichten Aufgabe an, um schnell<br />

etwas erledigt zu haben. Andere wollen lieber loswerden,<br />

was sie besonders drückt.<br />

Ob Hausaufgaben nutzen, hängt aber auch vom Lehrer<br />

ab. Sie sind förderlicher<br />

−−<br />

wenn sie aus dem Unterricht erwachsen (und nicht<br />

einfach als ein »Mehr« drangeklebt werden),<br />

Der besondere Tipp: »Kindertausch«<br />

Hausaufgaben können den Familienfrieden nachhaltig<br />

stören. Oft tragen Eltern und Kinder dabei Kämpfe<br />

aus, die gar nichts mit den Aufgaben selbst oder mit<br />

ihrem Inhalt zu tun haben. Da kann es entspannen,<br />

wenn man zwischen befreundeten Familien die Kinder<br />

tauscht. Oder wenn das Kind eine Freundin, einen<br />

Freund zum Hausaufgabemachen mitbringen darf.<br />

Mario, 9 Jahre: »Wenn meine Mutter Staub saugt, kann ich nicht<br />

denken.«<br />

Aus: Kohler 2003, S. 47 ( ➝ Nr. 2a)<br />

−−<br />

wenn die Ergebnisse in der nächsten Stunde aufgegriffen<br />

werden,<br />

−−<br />

wenn es Musterlösungen zur Selbstkontrolle gibt oder<br />

wenn der Lehrer die Aufgaben des Vortages (zumindest<br />

stichprobenweise) kontrolliert.<br />

Es muss auch klar sein, welche Funktion die Hausaufgaben<br />

haben: Dienen sie zur Vertiefung eines Inhalts – oder<br />

sollen sie ein neues Thema vorbereiten? Geht es um das<br />

Einüben von Fertigkeiten (1 x 1 automatisieren, Vokabeln<br />

lernen, Textlesen) oder soll das Verständnis vertieft werden<br />

(Regeln finden, ein Experiment machen, Übertragung<br />

auf neue Inhalte).<br />

Ziel der Hausaufgaben sollte es sein, dass die Kinder lernen,<br />

ihre Arbeit selbst zu organisieren. Sie sind sinnlos,<br />

wenn zwar das Ergebnis stimmt – aber nur weil die Eltern<br />

geholfen haben.<br />

Die allerdings sollten aufpassen, dass der Zeitaufwand<br />

sich im Rahmen hält. In den Schulvorschriften der meisten<br />

Bundesländer steht: 1. und 2. Klasse höchstens 30 Minuten,<br />

3. und 4. Klasse eine Stunde.<br />

Hilfe bei Hausaufgaben:<br />

Nach-Fragen statt Vor-Sagen<br />

Was können Eltern tun bei konkreten Schwierigkeiten?<br />

Grundtipp: Nehmen Sie Ihrem Kind seine<br />

Arbeit nicht ab. Helfen Sie ihm durch Rückfragen,<br />

selbst weiterzukommen:<br />

●●<br />

Ich kann gerade nicht, versuch es erst noch mal<br />

allein.<br />

●●<br />

Ist dir klar, worum es bei der Aufgabe eigentlich<br />

geht?<br />

●●<br />

Wo genau hast du Schwierigkeiten?<br />

●●<br />

Wie könntest du anfangen? Wenn du den Einstieg<br />

hast: Wie könnte es weitergehen?<br />

●●<br />

Ist das nicht ähnlich wie …?<br />

●●<br />

Schau dieses Stück noch einmal durch.<br />

38 10 • September 2013


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Was bringen Hausaufgaben?<br />

Empirisch untersucht wurden vor allem zwei Fragen<br />

(➝ Nr. 2b):<br />

−−<br />

Lernen SchülerInnen, die regelmäßig Hausaufgaben<br />

aufbekommen, besser als diejenigen ohne Hausaufgaben?<br />

−−<br />

Welche Form der Begleitung von Hausaufgaben durch<br />

Eltern wirkt sich förderlich aus – welche nicht?<br />

Zur ersten Frage ist die Forschungslage unübersichtlich.<br />

Je nach Fach bzw. Leistungsbereich, Alter der SchülerInnen,<br />

Art der Aufgabe spricht mal mehr, mal weniger für<br />

Hausaufgaben. Einerseits profitieren SchülerInnen aus<br />

höheren sozialen Schichten stärker, andererseits auch<br />

besonders leistungsschwache Kinder.<br />

Eine Faustformel für die Praxis: Wenn Hausaufgaben gestellt<br />

werden, versprechen eher kürzere Aufgaben, regelmäßig<br />

gestellt und vom Lehrer kontrolliert, Erfolg.<br />

Kindermund<br />

»Hausaufgaben sind blöd,<br />

weil ich zu Hause Überstunden machen muss!«<br />

Deutlicher sind die Befunde zur zweiten Frage: Wenn Eltern<br />

die Erledigung der Aufgaben eng überwachen, hat<br />

das negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen.<br />

Vertrauen in das Kind, Ermutigung und Unterstützung<br />

durch die Eltern wirken sich dagegen positiv aus.<br />

Man muss allerdings auch die Randbedingungen beachten.<br />

Die meisten Studien sind in Ländern mit Ganztagsschulen<br />

durchgeführt worden. Diese Situation ist neu in<br />

Deutschland – denn hier liegt der Anteil der Ganztagsschulen<br />

erst bei 10 bis 15 %.<br />

Schulerfolg hängt in hohem Maße von Anregungen und<br />

Unterstützung zu Hause ab. In Deutschland noch mehr<br />

als in anderen Ländern. Das ist einer der pädagogischen<br />

Gründe für die Einführung der Ganztagsschule (neben<br />

den Betreuungsnotwendigkeiten). Denn bei den Hausaufgaben<br />

wirken sich Unterschiede in den familiären Bedingungen<br />

besonders stark aus: weil die »Hilfslehrerinnen<br />

der Nation« unterschiedlich viel Zeit erbringen, und<br />

weil sie auch unterschiedlich gut helfen können. Oder<br />

Nachhilfe organisieren und bezahlen …<br />

Ein Blick in andere Länder zeigt aber: Hausaufgaben verschwinden<br />

nicht einfach, wenn es Ganztagsschulen gibt.<br />

Zumal der Druck bei den Eltern bleibt, das Beste aus Ihrem<br />

»Juwel« machen zu wollen. In Ländern wie Japan<br />

schicken Eltern die Kinder sogar am späten Nachmittag<br />

noch in private Nachhilfeschulen.<br />

Umgekehrt zeigt ein Blick in deutsche Schulen: Auch in<br />

Halbtagsschulen kann man Hausaufgaben anders stellen<br />

– und betreuen:<br />

Hausaufgaben oder Schularbeiten?<br />

Alternativen aus der Praxis<br />

Zentrale Aufgabe der Schule ist es, Kindern zu helfen, ihr<br />

Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Dieses Ziel kann<br />

in einer Ganztagsschule grundsätzlich leichter erreicht<br />

werden, weil sie mehr Zeit für freies Arbeiten bietet. Die<br />

Betreuung durch die LehrerInnen sichert gleichzeitig Unterstützung,<br />

wenn Kinder Fragen oder Schwierigkeiten<br />

haben. Es gibt aber auch Halbtagsschulen, die mit Freiarbeitsphasen<br />

oder flexiblen Wochenplänen Räume für<br />

selbstständiges Arbeiten eröffnen – und die Kinder stärker<br />

in die Verantwortung für ihr Lernen nehmen.<br />

Ein Beispiel: In der Libellen-Grundschule in Dortmund<br />

haben Eltern und LehrerInnen in der Schulkonferenz beschlossen,<br />

Hausaufgaben probeweise ganz abzuschaffen.<br />

Stattdessen bietet die Schule sogenannte »Lernzeiten«,<br />

in denen Kinder individuell an Aufgaben arbeiten,<br />

die auf ihren Lernstand abgestimmt sind (siehe zu dem<br />

Konzept: www.libellen-grundschule.de ➝ Wichtiges für<br />

Eltern ➝ Hausaufgaben).<br />

Parallel dazu gibt die Schule Elternseminare zum Thema<br />

»Lernzeit statt Hausaufgaben«. Dort erhalten die Eltern<br />

auch Anregungen für Aktivitäten zu Hause, bei denen<br />

Kinder wichtige und für schulisches Lernen förderliche<br />

Erfahrungen machen können (Beispiel s. Kasten und zur<br />

Sprachförderung die Homepage).<br />

Mathematik kann auch in den<br />

Alltag integriert werden,<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

indem Sie Ihrem Kind ein kleines Taschengeld<br />

geben (50 Cent / Woche),<br />

indem Sie es beim Einkaufen beteiligen<br />

(z. B. suche die billigste Milch),<br />

indem Sie mit ihm kochen und backen<br />

(Mengen angaben wie: 3 Eier, 500 g Mehl)<br />

indem Sie mit Ihrem Kind bauen und basteln<br />

(Geometrie)<br />

indem Sie mit Ihrem Kind Mathematik<br />

in der Umwelt entdecken<br />

(Zahlen, Zeiten, Fahrpläne, Entfernungen …)<br />

indem Sie mit Ihrem Kind spielen,<br />

indem Sie gegenseitig Ihre Körpergröße messen,<br />

indem Sie Ihr Kind in die Terminplanung einbeziehen,<br />

indem Sie die Uhr für Absprachen mit Ihrem Kind<br />

benutzen …<br />

10 • September 2013 39


Informationen & Lesetipps: Erziehung in Familie und Schule<br />

Ein informativer Überblick über den<br />

(Un-)Wert von Hausaufgaben mit Beispielen<br />

für sinnvolle Formen und mit<br />

handfesten Ratschlägen für ihre Begleitung<br />

zu Hause, auch bei den üblichen<br />

Schwierigkeiten:<br />

Auf Selbstständigkeit zielt<br />

»Mein Aufgabenheft Deutsch 1/2«<br />

… zum individuellen Arbeiten mit vielfältigen Übungsmöglichkeiten aus<br />

dem Klett-Verlag (ISBN 978-3-12-011415-4). Zu Hause oder in freien Arbeitszeiten<br />

in der Schule kann sich jedes Kind passende Aufgaben heraussuchen.<br />

Im dem Heft mischen sich Aufgaben (steigender Schwierigkeit) aus allen<br />

Lernbereichen des Sprachunterrichts: Sprechen und Zuhören, Schreiben,<br />

Lesen sowie Sprache und Sprachgebrauch untersuchen.<br />

Hausaufgaben: Helfen – aber wie?<br />

Britta Kohler<br />

Erschienen: 2003 (7. Aufl.)<br />

Beltz Verlag<br />

Preis: 14,90 Euro<br />

Als Impuls für Diskussionen auf einem<br />

Elternabend eignen sich Ausschnitte<br />

aus dem Video eines Vortrags von<br />

Detlef Träbert (2012) in Koopera-<br />

Hausaufgaben<br />

als Vorwand …<br />

Mangels einer öffentlichen Bibliothek<br />

und weil die privaten Leihbüchereien<br />

hohe Gebühren verlangten,<br />

lieh sich der Kinderbuchautor<br />

Paul Maar kostenlos Erwachsenenbücher<br />

in der Bibliothek des<br />

Amerika-Hauses Schweinfurt aus,<br />

auch wenn er sie nicht immer verstand.<br />

Weil er daheim nicht lesen<br />

durfte, deponierte er die Bücher<br />

bei einem Freund, den er unter<br />

dem Vorwand, dort Hausaufgaben<br />

zu machen, besuchte. Er las<br />

dann in dessen Zimmer, während<br />

der Freund mit seinem Bruder<br />

draußen Fußball spielte.<br />

(aus: Wikipedia, 12. 6. 2013)<br />

tion mit dem Landeselternbüro des<br />

Landes elternverbandes Vorarlberg:<br />

»Hausaufgaben =<br />

Hausfriedensbruch?«<br />

Themen: »Sollen Eltern überhaupt bei<br />

den Hausaufgaben helfen, und wenn<br />

ja, wie? Oder können SchülerInnen<br />

ihre Hausaufgaben selbstständig und<br />

effektiv erledigen?«<br />

Download: www.youtube.com/<br />

watch?v=yGViBYcRs5U<br />

Hilfreich sind auch die Vorschläge von<br />

Träbert in seinem Buch »Disziplin, Respekt<br />

und gute Noten« ( ➝ 2a).<br />

Dieses Buch verknüpft geschickt eine<br />

amüsante Geschichte rund um ›Hausaufgaben‹<br />

mit Tipps für den alltäglichen<br />

Umgang mit ihnen:<br />

Frau Ulkig – oder: Wie man<br />

Hausaufgaben richtig macht<br />

Annette Neubauer /<br />

Mirella Fortunato<br />

Erschienen: 2005<br />

Albarello Verlag<br />

Preis: 10,90 Euro<br />

In manchen Bereichen reicht es nicht,<br />

die Grundlagen zu verstehen. Oft gebrauchte<br />

Fertigkeiten müssen automatisiert<br />

werden. Dass man die dafür erforderlichen<br />

Übungen auch reizvoller<br />

als über Arbeitsblätter gestalten kann,<br />

zeigen die Audiobücher aus der Reihe<br />

»Junge Dichter und Denker«, z. B.<br />

Das kleine 1 × 1 als Rap,<br />

2 Audio-CDs<br />

Inkl. Karaoke-Version<br />

Erschienen: 2006<br />

Schroedel Verlag<br />

Preis: 21,00 Euro<br />

Raus-Aufgaben<br />

statt Hausaufgaben<br />

Viele Anregungen, was Eltern mit<br />

ihren Kindern als Ausgleich zur<br />

Schule machen und wie sie ihr<br />

Lernen breiter und vielfältiger anregen<br />

können, findet sich in dem<br />

reich bebilderten Buch<br />

Komm, wir gehen raus:<br />

Mit Kindern aktiv sein: forschen,<br />

entdecken, basteln, spielen<br />

von Sabine Lohf u.a.,<br />

erschienen bei Kösel:<br />

München 2010 (14,95 Euro).<br />

40 10 • September 2013


Kinder mit Problemen –<br />

Probleme mit Kindern?<br />

aus: Heinrich Hoffmann »Der Struwwelpeter«, 1854<br />

Wie gehen wir mit<br />

Verhaltens»störungen« und<br />

Lern»schwächen« um?<br />

Liebe Eltern,<br />

das Thema dieses Hefts ist besonders schwierig. Es geht<br />

um Situationen, die mit hohen Belastungen für die Beteiligten<br />

verbunden sind. Aber auch für uns war es nicht<br />

einfach, dieses Thema zu bearbeiten. Die Probleme fingen<br />

schon bei der Suche des Titels an. Was trifft es besser:<br />

»Problemschüler« oder »Risikokinder« oder »Verhaltensstörungen<br />

und Lernschwächen« oder »Kinder mit Auffälligkeiten«<br />

oder …? Jeder Titel signalisiert eine besondere<br />

Sicht: Sind die Kinder das Problem? Rühren die Probleme<br />

aus persönlichen Eigenschaften des Kindes? Oder haben<br />

die Kinder Probleme – mit sich und mit ihrer Umwelt?<br />

Haben vielleicht gar nur bestimmte Erwachsene Probleme<br />

mit dem Kind?<br />

Wir haben uns entschieden für einen Titel mit Fragezeichen.<br />

Damit wollen wir deutlich machen: Auch sog.<br />

»Problemkinder« haben viele Seiten, und ihre sichtbaren<br />

Schwierigkeiten sind nur eine davon. Wir lassen zudem<br />

bewusst offen, wo die Ursache für diese Schwierigkeiten<br />

liegt. Denn das ist eine der wichtigsten Botschaften der<br />

Forschung zu »Lernschwächen« und »Verhaltensstörungen«:<br />

Diese sind keine festen Eigenschaften – und<br />

darum setzen wir diese Begriffe auch in Anführungszeichen.<br />

Je nach den Umständen, unter denen ein Kind aufwächst,<br />

können sich seine Anlagen sehr unterschiedlich<br />

entwickeln. Und auch ein »schwieriges Kind« kann sich<br />

plötzlich ganz anders verhalten, wenn sich die Situation<br />

verändert, in der es lebt und lernt. Nicht beliebig, aber oft<br />

doch erstaunlich anders: Einige haben Schwierigkeiten<br />

zu Hause, sind aber »problemfrei« in der Schule; andere<br />

haben Probleme in der Schule, aber keine in der Freizeit.<br />

Verhalten ist nicht fest vorprogrammiert.<br />

Genau darin liegt unsere große Chance als Eltern und<br />

PädagogInnen: Die Bedingungen so zu gestalten, dass<br />

es dem Kind leichter fällt, zurechtzukommen. Und ihm<br />

gleichzeitig Aufgaben zu stellen, an denen es wachsen<br />

kann. Die es herausfordern, aber nicht überfordern.<br />

Wir wissen wohl: Das ist leichter gesagt als getan – zumal<br />

schon der Alltag vielfältige Anforderungen bereithält. Da<br />

wird jede/r von uns immer mal wieder an diesem hohen<br />

Anspruch scheitern. Aber wichtig ist die Grundhaltung:<br />

Dass das Kind spürt: Selbst wenn das Leben schwierig ist<br />

– das Problem bin nicht ich.<br />

Wir wünschen Ihnen die Kraft, diese Haltung auch unter<br />

Stress bewahren zu können – möglichst oft …<br />

Und noch eins: Medikamente sind Nothelfer. Sie auf<br />

Dauer zu nehmen, schließt meist ungewollte Nebenwirkungen<br />

ein. Wenn ein Kind weniger unruhig wird, verliert<br />

es auch seine Lebendigkeit. Der Preis für eine stärkere<br />

Konzentration auf »Aufgaben«: weniger Offenheit für Interessantes<br />

in der Welt »drumrum«.<br />

Kinder und ihre Eltern haben oft schwierige Entscheidungen<br />

zu fällen. Die Grundfrage: Wie möchte ich selber<br />

sein? Und wer darf ich sein – in der Gesellschaft, in der<br />

ich lebe und leben werde? Bei solchen Überlegungen<br />

können andere, auch Fachleute, hilfreiche Berater sein.<br />

Abnehmen können sie die Entscheidung nicht.<br />

Helfen Sie Ihrem Kind,<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Räume zu finden, um seine Stärken zu entfalten<br />

und an Selbstwert zu gewinnen;<br />

an seinen Schwächen zu arbeiten, damit diese es<br />

selbst und seine Umwelt möglichst wenig belasten;<br />

wenn der Aufwand dafür zu groß wird:<br />

die Schwäche zu akzeptieren und im Alltag Hilfsstrategien<br />

zu nutzen;<br />

sich selbst mit seinen Stärken UND Schwächen als<br />

einen besonderen Menschen anzunehmen.<br />

12 • Februar 2014 41


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Was bedeuten Etiketten wie »ADHS«<br />

oder »Legasthenie«?<br />

Zunächst einmal sind solche Fachbegriffe nur Namen für<br />

für bestimmte Auffälligkeiten und noch keine Diagnosen<br />

(ausführlicher ➝ Nr. 1a). Immerhin sind sie genauer<br />

definiert als Alltagsbegriffe wie »Unaufmerksamkeit«<br />

und »ständige Unruhe« oder als die Beschreibung »Probleme<br />

beim Lesen und Schreiben«. Damit liefern sie aber<br />

noch keine Erklärung. Für den Umgang mit betroffenen<br />

Kindern heißt das erst einmal nicht mehr als: Achtung –<br />

in diesem Bereich müssen wir besonders aufmerksam<br />

sein und genauer hinschauen. Erklärungen und Lösungen<br />

bieten diese Etiketten aber nicht. Denn festzuhalten ist:<br />

●●<br />

In jeder dieser Schubladen finden sich Kinder mit ganz<br />

unterschiedlichen Schwierigkeiten.<br />

●●<br />

Selbst für oberflächlich ähnliche Schwierigkeiten innerhalb<br />

einer Schublade kann es sehr verschiedene<br />

Gründe geben.<br />

●●<br />

Deshalb hilft den Kindern einer Gruppe auch keine<br />

einheitliche Förderung; Unterstützung muss vielmehr für<br />

jedes Kind individuell abgestimmt werden.<br />

Mit Sammelbegriffen kann man die Vielfalt von Auffälligkeiten<br />

zwar grob sortieren. Ja, Menschen brauchen sogar<br />

Schub laden, um die Fülle der Welt zu ordnen – und in ihr<br />

handeln zu können. Aber Schubladen sind nicht »gegeben«,<br />

sie sind von Menschen erfundene Hilfskonstruktionen.<br />

Und diese verändern sich rasch. Noch vor wenigen<br />

Jahren gab es die Diagnose MCD. Heute weiß kaum<br />

jemand mehr, was man damals unter einer »minimalen<br />

cerebralen Dysfunktion« verstand.<br />

Sind Besonderheiten wie »ADHS«,<br />

»Legasthenie« usw. angeboren?<br />

Jede Leistung, jedes Verhalten ergibt sich aus dem Zusammenspiel<br />

von Begabung, Erfahrung und konkreten<br />

Lebensbedingungen. Auch die Gene wirken auf das Können<br />

und Verhalten ein, aber sie bestimmen es nicht. Unbestreitbar<br />

ist: Manche Menschen erwerben bestimmte<br />

Fähigkeiten leichter, z. B. ein Instrument zu spielen, weil<br />

sie besonders musikalisch sind. Andere wiederum haben<br />

es in bestimmten Situationen schwerer, z. B. weil<br />

sie besonders impulsiv sind. Aber festgelegt ist ihre<br />

Entwicklung damit nicht. Insofern lassen sich besondere<br />

Verhaltensweisen auch nicht allein aus persönlichen<br />

»Eigenschaften« erklären: Ob sich jemand »konzentrieren<br />

kann« hängt auch von der Aufgabe und den Umständen<br />

ab. Zum Beispiel davon, ob sich das Kind für das konkrete<br />

Thema interessiert. Also muss man schauen, günstige<br />

Bedingungen zu schaffen – am besten in Absprache mit<br />

dem Kind.<br />

Darf oder soll man sogar<br />

Medikamente geben?<br />

Menschen sind auch chemische Wesen. Manche verzichten<br />

tagelang auf Kohlenhydrate, damit sie dünner werden.<br />

Anstieg der Verkäufe von Methylphenidat (Ritalin usw.)<br />

Quelle: Paul-Ehrlich-Institut (BfArM), 2010<br />

Viele trinken Wein und Bier, um sich in Stimmung zu<br />

bringen. Andere nehmen Medikamente: Antidepressiva,<br />

Beta-Blocker – und eben auch Methylphenidat, bekannt<br />

etwa unter dem Markennamen »Ritalin«. Chemie wirkt.<br />

Und sie bewirkt viel Gutes. Deshalb sollte man auch bei<br />

Kindern den Einsatz von Medikamenten nicht grundsätzlich<br />

verteufeln. Aber sie allein bieten noch keine Lösung.<br />

Allenfalls verschaffen sie den Beteiligten Luft, um nach<br />

Wegen zu suchen, wie die Bedürfnisse und Möglichkei ten<br />

des Kindes besser mit den Anforderungen seiner Umwelt<br />

in Einklang zu bringen sind – und umgekehrt. Die zunehmende<br />

Verschreibung von Ritalin in den letzten Jahren<br />

(s. Abb.) ist auffällig. Sie kann positiv zwar damit erklärt<br />

werden, dass bestimmte Probleme heute mehr Aufmerksamkeit<br />

finden. Umgekehrt muss die Zunahme auch als<br />

Modeerscheinung gedeutet werden. Viele Kinder erhalten<br />

heute ein Medikament, ohne dass es indiziert ist.<br />

Es sollte deshalb nur in Absprache mit allen Beteiligten<br />

– und befristet verordnet werden (ausführlicher ➝<br />

Nr. 1b). Und dann beginnt erst die eigentliche Arbeit …<br />

Kinder mit einer besonders reizempfindlichen Wahrnehmung<br />

erleben ihre Welt so intensiv, dass ihr »anderes«<br />

Verhalten ein oft lebensnotwendiges Ventil für den<br />

kaum aushaltbaren inneren Überdruck ist. Nachvollziehbar<br />

wird dies aus der Innensicht in: Fleischmann, A. /<br />

Fleischmann, C. (2013): »In mir ist es laut und bunt.« Eine<br />

Autistin findet ihre Stimme – ein Vater entdeckt seine Tochter.<br />

Wilhelm Heyne 64049: München (engl. 2012).<br />

Literatur zu den Verweisen ➝ findet sich unter<br />

www.grundschuleltern.info ➝ »Weitere Informationen«<br />

➝ »GrundschulEltern zur Ansicht«<br />

42 12 • Februar 2014


Umgang mit Schwierigkeiten im Alltag<br />

ADHS, Legasthenie usw. werden oft als »Krankheit« bezeichnet.<br />

Damit wird unterstellt, dass Abweichungen<br />

vom Durchschnitt immer als Defizit zu betrachten sind.<br />

Aber was den einen stört, ist für einen anderen noch<br />

normal – oder sogar interessant. Und: Jede »Schwäche«<br />

kann auch eine Stärke sein. Es kommt jeweils auf die<br />

Umstände an. So suchen Softwarefirmen wie SAP und<br />

ORACLE für die Entwicklung von Computerprogrammen<br />

gezielt Autisten wegen ihrer besonderen Fähigkeiten.<br />

Und mancher Popstar ist erfolgreich gerade durch<br />

seine Hyperaktivität. Unsere Gesellschaft braucht keine<br />

»Standard«-Menschen, sondern – in jede Richtung – besondere<br />

Menschen.<br />

Ab wann werden solche Besonderheiten aber zu Problemen?<br />

Leistungen wie auch Verhaltensweisen verschiedener<br />

Menschen unterscheiden sich in allen Bereichen<br />

sehr stark. Das ist normal. Dabei handelt es sich zudem<br />

um graduelle Unterschiede. Es ist also willkürlich und<br />

letztlich eine Vereinbarung, an welchem Punkt man die<br />

Grenze zum »Unnormalen« und damit zur »Krankheit«<br />

setzt. Dennoch ist klar: Je mehr wir in die Extrembereiche<br />

kommen, desto stärker kann eine Minderleistung,<br />

eine Verhaltensauffälligkeit, aber auch eine besondere<br />

Begabung belasten: das Kind selbst und seine Umwelt.<br />

Darum brauchen manche Kinder mehr Aufmerksamkeit<br />

und mehr Hilfe als andere. Daraus folgt aber noch nicht,<br />

dass sie etwas anderes brauchen, ein »Training« oder eine<br />

»Therapie« oder ein »Medikament«. So lange die Beteiligten<br />

es können, sollten sie es mit mehr Zuwendung, mehr<br />

Übrigens …<br />

Auffälliges Verhalten kann ein Warnsignal sein. Es ist<br />

oft ein Anzeichen für Probleme, die das Kind in anderen<br />

Bereichen hat. Das gilt besonders, wenn ein Kind<br />

sich (plötzlich) anders verhält als zuvor: sich stärker zurückzieht,<br />

ständig stört, »den Kasper spielt« …<br />

Dann hat das Verhalten gar nichts mit der aktuellen<br />

Situation in der Schule zu tun, sondern mit Schwierigkeiten<br />

zu Hause. Oder umgekehrt. Darum ist es wichtig,<br />

dass Eltern und LehrerInnen miteinander sprechen.<br />

Wenn ein entsprechendes Vertrauensverhältnis besteht,<br />

sollten Eltern die LehrerInnen unbedingt über<br />

familiäre Probleme informieren – wenigstens in allgemeiner<br />

Form. Auch wenn es schwer fällt, z. B. bei einer<br />

bevorstehenden Trennung. Doch möglicherweise hilft<br />

erst das dem Lehrer, das Kind zu verstehen, ihm die<br />

Spielräume zu eröffnen, die es braucht, um auch in<br />

dieser Situation leben und lernen zu können.<br />

Unterstützung, mehr Anerkennung versuchen. Wann das<br />

nicht mehr reicht, lässt sich nur fall- und situationsbezogen<br />

entscheiden – nicht durch eine auf die Person beschränkte<br />

»Diagnose« allein (s. »ADHS- na und?«, S. 44).<br />

Hilfen bei auffälligem Verhalten<br />

Menschen »stören«, wenn ihre persönlichen Bedürfnisse<br />

nicht verträglich sind mit den äußeren Umständen. Sie<br />

kommen eher zurecht, wenn sie Raum für eigene Entscheidungen<br />

und ein Gefühl der Sicherheit haben – und<br />

wenn sie sich sozial anerkannt fühlen.<br />

Manche brauchen festere Strukturen, andere mehr Freiraum.<br />

Das muss man gemeinsam erspüren, am besten<br />

konkret ausprobieren. Gerade in unsicheren Beziehungen<br />

sind Regeln unverzichtbar. Allerdings heißt das nicht:<br />

Vorgabe von außen oder gar von oben. Absprachen sind<br />

wichtig, damit die Lösung individuell »passt«. Aber auch<br />

damit sich die Kinder als aktiv erleben – und damit sie<br />

Mitverantwortung für die Regelung von Konflikten übernehmen.<br />

Das ist oft schwierig. Manchmal hilft eine äußere Veränderung<br />

der festgefahrenen Situation: Einzelarbeit statt<br />

Lerngruppe oder ein Wechsel der Bezugsperson für bestimmte<br />

Aufgaben (z. B. älterer Schüler statt Eltern). Manche<br />

Kinder fühlen sich einfach überwältigt von Gefühlen,<br />

die sie nicht unter Kontrolle bringen können. Hilfreich<br />

können in diesen Fällen Tipps sein, wie sie im Programm<br />

»Faustlos« vorgestellt werden ( ➝ www.faustlos.de ).<br />

Schwierigkeiten beim<br />

fachlichen Lernen<br />

Etwas Neues zu lernen kostet alle Menschen Anstrengung.<br />

Je nach ihren persönlichen Voraussetzungen und<br />

je nach den äußeren Umständen unterschiedlich viel.<br />

Je anspruchsvoller der Gegenstand und je schlechter<br />

die Voraussetzungen, desto wichtiger wird die Motivation.<br />

Am stärksten wirkt ein persönliches Interesse (s.<br />

»Der Lesemuffel« ➝ S. IV). Lesen und Schreiben kann<br />

man über Texte zu ganz verschiedenen Themen lernen,<br />

Rechnen mit Mengen und Maßen in verschiedenen Bereichen.<br />

Lassen sich keine Brücken zu persönlichen Interessen<br />

schlagen, können externe Verstärker helfen:<br />

Fehlerkurven, um auch kleine Fortschritte sichtbar zu<br />

machen; Belohnungen, wenn bestimmte Absprachen<br />

eingehalten oder vereinbarte Ziele erreicht sind (s. »Wie<br />

aus dem kleinen Kater Leo ein Löwe wurde« ➝ S. IV und<br />

zum methodischen Vorgehen im Einzelnen die Empfehlungen<br />

in <strong>GSE</strong> Nr. 2 [Lesen und Schreiben] und Nr. 5<br />

[Mathematik] sowie die Literatur zu diesem Beihefter<br />

unter ➝ Nr. 1c).<br />

12 • Februar 2014 43


Informationen & Lesetipps (Zu weiterer Literatur siehe ➝ Nr. 1 und 2)<br />

Auffälliges Verhalten<br />

Einen differenzierteren Blick auf die<br />

Ursachen der sog. ADHS und den Umgang<br />

mit besonders sensiblen und aktiven<br />

Kindern vermittelt:<br />

ADHS –<br />

na und?<br />

Helmut Bonney<br />

Erschienen: 2012<br />

Verlag:<br />

Carl Auer<br />

Preis: 16,95 €<br />

Nur selten in den Blick genommen wird<br />

die Sicht von Kindern – hier sehr persönlich<br />

dargestellt und ergänzt um die<br />

Perspektiven ihrer Bezugspersonen:<br />

Moritz« von Wilhelm Busch. Ihnen<br />

sind auch manche neuere Bücher<br />

nachempfunden wie »Lola rast« von<br />

Wilfried von Bredow.<br />

Für ältere Kinder – und spezifischer<br />

auf ADHS bezogen – empfehlen wir<br />

Kopfüber –<br />

Kopfunter<br />

Anja Tuckermann<br />

Erschienen:<br />

2013<br />

Verlag: KLAK<br />

Preis: 6,90 €<br />

Dieses Buch ist auch auf eindrucksvolle<br />

Weise verfilmt worden.<br />

Für manche Jüngere hilfreich: die<br />

»Selbstwert stärkende Geschichte für<br />

Kinder mit ADHS. Inklusive einer fachlichen<br />

Information für Eltern« in dem<br />

(Vor-)Lesebuch<br />

Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten<br />

Aus langjähriger praktischer Erfahrung<br />

in der Förderung von Kindern<br />

erwachsen ist der übersichtlich gestaltete<br />

und verständlich geschriebene<br />

Ratgeber für Eltern mit vielen konkreten<br />

Aufgaben und Hilfen<br />

Jedes Kind kann<br />

lesen und schreiben lernen<br />

Ingrid Naegele<br />

Erschienen: 2011<br />

Verlag: Beltz<br />

Preis: 12,95 €<br />

Die große Bedeutung der Motivation<br />

für die Überwindung von Lernschwierigkeiten<br />

zeigt das Buch für Kinder<br />

(und Eltern …)<br />

ADHS?<br />

Ein Buch von Kindern für Kinder<br />

Katja Heinrich / Jörg Letzel<br />

Erschienen: 2011 (2. Aufl.)<br />

Verlag: Militzke<br />

Preis: 10,00 €<br />

Unter den Kinderbüchern gibt es immer<br />

noch gerne (vor-)gelesene Klassiker<br />

wie »Der Struwwelpeter« von<br />

Heinrich Hoffmann oder »Max und<br />

Standards für die Zusammenarbeit<br />

von Familie und Schule<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

●●<br />

Alle Familien in der Schul gemeinschaft willkommen heißen<br />

Sich regelmäßig und offen miteinander austauschen<br />

Gemeinsam den Lernerfolg der Kinder unterstützen<br />

Eltern als Fürsprecher ihrer Kinder anerkennen und ermutigen<br />

In gleichberechtigter Partnerschaft zusammenarbeiten<br />

Andere Einrichtungen zur Unterstützung einbeziehen<br />

nach Peters, in: Grundschulzeitschrift 271 (2014), S. 7<br />

Wie aus dem kleinen Kater Leo<br />

ein Löwe wurde<br />

Monika Kreyenbühl-Blaser /<br />

Margret Baumann<br />

Erschienen: 2012<br />

Verlag: Books on Demand<br />

Preis: 18,80 €<br />

Der Lesemuffel<br />

Saskia Hula / Ute Krause<br />

Erschienen: 2007<br />

Verlag: Patmos/ Sauerländer<br />

Preis: 9,90 €<br />

Muffel kann so viel – nur lesen mag<br />

er nicht. Bis ihm Sofie ein Buch über<br />

Fische schenkt: Da der Inhalt ihn interessiert,<br />

bekommt auch die Anstrengung<br />

des Lesens einen Sinn.<br />

44 12 • Februar 2014


Gewaltvideos<br />

machen aggressiv bis hin<br />

zum Amoklauf<br />

Computerspiele<br />

trainieren Konzentration<br />

und Reaktionsfähigkeit<br />

Das Fernsehen<br />

verdrängt das Lesen<br />

Erfahrung aus<br />

zweiter Hand trübt<br />

den Realitätssinn<br />

Fernsehen und Internet<br />

öffnen Fenster<br />

in unbekannte Welten<br />

Kinder und die<br />

»neuen Medien«<br />

Lernsoftware<br />

motiviert mehr<br />

als Übungshefte<br />

Die neuen Medien treiben<br />

Kinder in die soziale Isolation<br />

Liebe Eltern,<br />

»ein richtiger Junge verkriecht sich nicht hinter Büchern!«,<br />

musste man sich in den 1950er Jahren sagen lassen.<br />

»Neue« Medien gibt es nicht erst seit heute:<br />

Schriftrollen, Bücher, Zeitungen, Telefon, Film, Fernsehen,<br />

PC, Internet – für die ältere Generation war es schon<br />

immer schwierig sich umzustellen. Und sie hatte Angst<br />

um die Entwicklung ihrer Kinder, wenn diese unbefangen<br />

nutzten, was den Alten fremd war. Kinder wachsen<br />

oft selbstverständlich mit dem jeweils neuen Medium<br />

auf (heute als »digital natives«), um sich dann nur zehn,<br />

zwanzig Jahre später Sorgen über die Veränderungen in<br />

der Lebenswelt ihrer eigenen Kinder zu machen: Anlass<br />

zu etwas mehr Gelassenheit.<br />

Das heißt nicht, die Kinder sich selbst zu überlassen. Aber<br />

statt »die neuen Medien« pauschal zu verteufeln, sollten<br />

wir die Kinder begleiten, ihnen helfen, verantwortungsvoll<br />

mit mit dem vielfältigen Angebot an Medien umzugehen<br />

– und sie gemeinsam mit ihnen nutzen, wo sie<br />

hilfreich sein können. Auch wenn das zunächst anstrengender<br />

erscheint als ein schnell ausgesprochenes Fernseh-<br />

oder Computer-Verbot und umgekehrt ihr Einsatz<br />

als Babysitter …<br />

11 • November 2013 45


Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />

Schaden oder nutzen die »neuen Medien«?<br />

So fragen nicht nur Eltern. Auch die Forschung hat Medienwirkungen<br />

lange Zeit als Einbahn-Straße betrachtet.<br />

Das Medium ist die Botschaft – schrieb 1968 Marshall<br />

McLuhan: Jedes Medium präge die Menschen in einer<br />

bestimmten Weise. Unabhängig vom Inhalt und von der<br />

Situation, in der der Fernseher, der PC, das Buch genutzt<br />

wird. Und es wirke auf alle Menschen in gleicher Weise.<br />

Die heutige Medienforschung fragt anders: Wer nutzt<br />

das Medium? Mit welchen Inhalten? Und vor allem: in<br />

welcher Form und unter welchen Bedingungen?<br />

Oft wird behauptet, dass Kinder schlechter lesen, wenn<br />

sie mehr fernsehen als andere. Untersuchungen zeigen<br />

allenfalls, dass Kinder, die drei und mehr Stunden am Tag,<br />

also außerordentlich lange vor dem Fernseher sitzen, in<br />

Lesetests schlechter abschneiden. Und da stellt sich die<br />

Frage: Was ist die Ursache? Ist es vielleicht umgekehrt,<br />

und sie sehen so viel fern, weil sie schlecht lesen?<br />

Oder gibt es einen dritten Faktor, z. B. die Vernachlässigung<br />

zu Hause, die die beiden anderen Verhaltensweisen,<br />

den hohen Fernsehkonsum und die<br />

Probleme beim Lesen, hervorruft? Viel spricht dafür,<br />

dass übermäßiger Medienkonsum nur ein Symptom<br />

ist, Hinweis auf tiefer liegende Probleme:<br />

●●<br />

dass es Kindern langweilig ist,<br />

●●<br />

dass sie keine sozialen Kontakte haben,<br />

●●<br />

dass ihnen Spielmöglichkeiten im Freien fehlen.<br />

Durch ein schnell erteiltes Fernsehverbot für Kleinkinder<br />

lassen sich diese Ursachen nicht aus der Welt<br />

schaffen.<br />

In ihrem Buch »Die Wunschmaschine« (1985) beschreibt<br />

die Psychologin Sherry Turkle, wie unterschiedlich<br />

verschiedene Kinder mit dem damals<br />

noch ganz neuen PC umgingen. Sie untersuchte<br />

Formen des Programmierens und fand sehr unterschiedliche<br />

Stile, z. B. einen eher »weichen« (häufiger bei<br />

Mädchen) und einen eher »harten« – bei vielen Jungen.<br />

Ihre faszinierende Untersuchung zeigte, wie alte Bedürfnisse<br />

auf neue Medien projiziert werden. Die Nutzer bestimmen<br />

also den Umgang mit dem Medium maßgeblich<br />

mit. Wie bei anderen Werkzeugen. Ein Messer kann<br />

man zum Schnitzen eines Kunstwerks nutzen – oder zum<br />

Töten. Jedes Medium birgt Chancen und Gefahren. Ein<br />

PC beispielsweise erlaubt mehr Eigenaktivität, gibt mehr<br />

Gestaltungsfreiheit als ein Fernseher, der wiederum erlaubt<br />

es, komplexere Vorgänge genauer zu betrachten<br />

als eine Zeichnung.<br />

Ähnlich ist es mit der Gewalt. In den Jahren, in<br />

denen in den USA der Konsum von Gewalt -<br />

vi deos zugenommen hat, hat die Gewaltkriminalität<br />

unter Jugendlichen z. B. abgenommen!<br />

(➝ Nr. 3). Und auch für Einzelne gilt nicht: je<br />

mehr Gewaltspiele, desto aggressiver. Mit diesen<br />

Hinweisen sollen die Probleme nicht verharmlost<br />

werden. Aber sie zeigen, dass das Wirkungsverhältnis<br />

komplizierter ist als ein einfaches »je<br />

mehr – desto …«.<br />

Generell kommt es darauf an, welche Programme<br />

ein Kind am Computer spielt, ob es allein oder<br />

mit seinen Eltern fernsieht, ob es eher ängstlich<br />

oder selbstbewusst ist – und auch, ob die neuen<br />

Medien nur ein Element seines Alltags sind oder diesen<br />

dominieren. Viele Studien zeigen, dass die meisten<br />

Kinder einen Medien-Mix nutzen – sehr individuell und<br />

ohne andere Aktivitäten zu vernachlässigen. (➝ Nr. 3<br />

Wagener 2012 und Kai Schubert 2013). Es kommt darauf<br />

an, welche Aktivitäten wir unseren Kindern ermöglichen.<br />

46 11 • November 2013


Zum Umgang mit den Medien im Alltag<br />

Fast 80 Prozent der 6- bis 13-Jährigen sehen (beinahe) jeden<br />

Tag fern (KIM-Studie 2012 ➝ Nr. 3). Eine andere<br />

Befragung von 9- bis 14-jährigen Kindern zeigt: nur 5 %<br />

haben zu Hause keinen Zugang zu einem Computer,<br />

knapp 10 % keinen Zugang zum Internet (LBS-Kinderbarometer<br />

2011 ➝ Nr. 3). Aber: Sitzen unsere Kinder<br />

nur noch alleine vor dem Bildschirm? Nein, in der Regel<br />

ist die Mediennutzung eingebunden in soziale Aktivitäten:<br />

mit Freunden, mit Geschwistern und Eltern.<br />

Alleine vor und mit dem Bildschirm …<br />

Und auch das Lesen wird nicht verdrängt. Die IGLU-Studien<br />

haben für die letzten 10 Jahre sogar eine Zunahme<br />

der Leselust festgestellt (Bos u. a. 2012, 58➝ Nr. 3).<br />

Historische Vergleiche sind sowieso nur schwer durchführbar.<br />

Soweit einigermaßen verlässliche Zahlen vorliegen,<br />

zeigen sie aber: Kinder heute lesen eher mehr als<br />

Kinder früher – und vor allem lesen sie mehr als Erwachsene<br />

heute (die übrigens weit mehr fernsehen als die<br />

Vor- und Grundschulkinder!).<br />

Im Vor- und Grundschulalter ist der Fernsehkonsum dagegen<br />

seit den 1990er Jahren konstant geblieben – während<br />

er bei den älteren Menschen stark zugenommen<br />

hat …<br />

Das Problem sind also nicht die Kinder und auch nicht<br />

Medien allein, sondern wir Erwachsenen: als (schlechte)<br />

Modelle – und indem wir die Medien gerne als bequeme<br />

Babysitter nutzen.<br />

Das Fazit aus der Forschung ist jedenfalls einfach:<br />

Eltern sollten ihre Kinder weder vor »neuen Medien bewahren«<br />

noch sie mit den Medien allein lassen. Sie sollten<br />

vielmehr ihre Reaktionen genau beobachten. Das<br />

eine Kind lacht über Prügelszenen in einem Zeichentrickfilm<br />

– und weint, wenn die kleine Ente im Bilderbuch seine<br />

Mutter verliert. Manche Kinder bekommen Albträume,<br />

weil ihnen Märchenfiguren Angst machen. Andere<br />

können nicht schlafen, weil sie die Kriegsbilder in den<br />

Nachrichten nicht aus dem Kopf bekommen.<br />

Erste Regel also: Eltern sollten möglichst oft gemeinsam<br />

mit den Kindern (vor)lesen, fernsehen, am Computer<br />

spielen – und mit ihnen über das Gesehene und Gehörte<br />

reden. So können sie ihnen helfen, dass sie das Erlebte<br />

besser verstehen und einordnen. Zugleich bekommen<br />

sie Hinweise, was ihr Kind überfordert oder belastet –<br />

aber auch, was es interessiert, was es besonders gut<br />

kann.<br />

Zweiter Tipp: den Kindern Gelegenheiten anbieten, die<br />

Medienerfahrung aktiv zu verarbeiten – über das Erzählen,<br />

durch Zeichnungen und Malen, im Rollenspiel, mit<br />

Puppen.<br />

Drittens bekommen Kinder ein anderes Verhältnis zu<br />

den Medienangeboten, wenn sie selber etwas produzieren<br />

– wenn sie Geschichten erfinden und einem Erwachsenen<br />

diktieren oder sie (später) selbst aufschreiben<br />

oder wenn gemeinsam ein Hörspiel oder ein Video mit<br />

besonderen Effekten erstellt wird oder wenn die Kinder<br />

mit »Scratch« programmieren (s. S. 48).<br />

Viertens: Der Zugang zu Medien sollte nach sachlichen<br />

Gesichtspunkten geregelt – und nicht als Belohnung<br />

oder als Strafe eingesetzt werden. Sonst wird aus dem<br />

Sach- ein Beziehungsproblem. Am besten sind gemeinsame<br />

Vereinbarungen, in die Erwachsene und Kinder<br />

ihre Vorstellungen und Wünsche einbringen können.<br />

Ratgeber (wie »Kinder&Medien«, S. 128 ff. ➝ S. 48) können<br />

hilfreiche Hinweise geben. Aber allgemein gültige<br />

Regeln gibt es nicht. Dazu sind die Bedürfnisse, die<br />

Normvorstellungen und die Rahmenbedingungen in<br />

verschiedenen Familien zu unterschiedlich. Wichtig aber<br />

ist: Überzeugend sind Regeln für Kinder nur, wenn sich<br />

auch die Erwachsenen an sie halten. Und ganz generell:<br />

Die Vorbildwirkung der Eltern ist mit am wichtigsten.<br />

… oder gemeinsam mit anderen<br />

11 • November 2013 47


Informationen & Lesetipps<br />

Leseempfehlungen für Eltern<br />

Fachlich fundiert, durch viele praktische<br />

Beispiele anschaulich gestaltet<br />

und vor allem unaufgeregt in seinen<br />

Folgerungen ist der Eltern-Ratgeber:<br />

Kinder & Medien<br />

Was Erwachsene wissen sollten<br />

Norbert Neuss<br />

Erschienen: 2013<br />

Verlag: Friedrich<br />

Preis: 24,95 Euro<br />

Auch wenn es den Medien, ihrem Gebrauch<br />

und ihren Wirkungen nur ein<br />

Kapitel widmet, ist das Buch<br />

Wie Kinder heute wachsen<br />

Herbert Renz-Polster / Gerald Hüther<br />

Erschienen: 2013<br />

Verlag: Beltz<br />

Preis: 17,95 Euro<br />

besonders empfehlenswert. Denn es<br />

verzichtet auf Pauschalurteile und stellt<br />

– über das Medien-Kapitel hin aus – das<br />

Thema in einen weiteren Kontext. Vor<br />

allem machen die Autoren deutlich,<br />

dass Kinder mehr brauchen als ein Kurieren<br />

an den (Medien-)Symptomen:<br />

sie brauchen tragfähige und anregungsreiche<br />

Beziehungen zu Erwachsenen<br />

und zu Gleichaltrigen und sie<br />

brauchen Räume, in denen sie die Welt<br />

selbstständig erkunden können.<br />

Praktische Tipps und Hintergrundinformationen<br />

für Eltern, die Facebook<br />

nicht verbieten, sondern ihre Kinder<br />

beim richtigen Umgang mit Facebook<br />

unterstützen wollen:<br />

Mein Kind ist bei Facebook<br />

Thomas Pfeiffer /<br />

Jöran Muuß-Merholz<br />

Erschienen: 2012<br />

Verlag: Addison-Wesley<br />

Preis: 19,80 Euro<br />

Auch erwachsene Einsteiger finden<br />

außerdem Erklärungen, wie Facebook<br />

funktioniert und was eine Milliarde<br />

Menschen dort eigentlich machen.<br />

Es gibt auch einen Elternbrief mit Informationen<br />

»für mehr Sicherheit von<br />

Kindern im Netz«:<br />

www.bmfsfj.de/BMFSFJ/kinder-undjugend,did=200174.html<br />

Empfehlenswerte Kindermedien<br />

Als Fernsehsendung für Grundschulkinder<br />

sticht »Logo« mit Nachrichten<br />

und Informationen in verständlicher<br />

Sprache heraus:<br />

www.tivi.de/fernsehen/logo/start<br />

im Radio der tägliche »Kakadu« bei<br />

Deutschlandradio Kultur:<br />

www.kakadu.de<br />

dessen Sendungen auch über die Website<br />

(nach-)gehört werden können.<br />

Auf dem PC können Kinder selbst aktiv<br />

werden und mit »Scratch«:<br />

http://scratch.mit.edu<br />

etwas Eigenes, Neues erschaffen, z. B.,<br />

um dadurch andere Medienerfahrungen<br />

zu verarbeiten (sehr beliebt sind<br />

eigene Geschichten zu bekannten<br />

Trickfilmserien o. Ä.).<br />

Immer noch empfehlenswert sind Klassiker<br />

wie die »Unglaubliche Maschine«:<br />

www.techspot.com/downloads/5852-<br />

the-incredible-machine-2.html<br />

Für die Förderung schulisch relevanter<br />

Fähigkeiten gibt es nur wenig geeignete<br />

Software. Darum noch einmal<br />

der Hinweis auf den TING-Stift, der<br />

Bücher zum Sprechen bringt (s. <strong>GSE</strong> 6<br />

und 9).<br />

Link-Tipps, die im Internet zu besonders<br />

interessanten Suchmaschinen für<br />

Kinder führen:<br />

www.blinde-kuh.de<br />

www.fragfinn.de<br />

und zu Kinderforen, in denen die Kinder<br />

selber zu Wort kommen können –<br />

Internet von und für Kinder:<br />

www.klickerkids.de oder<br />

www.labbe.de/mellvil<br />

Ein Hinweis zum Schluss: Für die Entwicklung<br />

von Kindern sind Geschichten<br />

unentbehrlich: erzählte, (vor-)gelesene,<br />

(vor-)gespielte, auf CD gehörte,<br />

von DVD gesehene Geschichten über<br />

Erlebnisse anderer Menschen und wie<br />

sie daran gewachsen sind. Für manche<br />

sicher überraschend: Die Forschung<br />

zeigt, dass es oft die »neuen« Medien<br />

sind, die Kinder (und Erwachsene …)<br />

zum Genuss derselben Geschichte in<br />

den »alten« Medien führen …<br />

Dieser Elternratgeber ist ein überarbeiteter<br />

Sammelband der Serie »GrundschulEltern«<br />

aus den Heften der Zeitschrift<br />

»Grundschule aktuell« (Mai 2011<br />

bis Februar 2014). Zu einigen Themen<br />

sind auch noch 25er-Pakete für Elternabende<br />

erhältlich.<br />

Herausgeber: Grundschulverband e. V.<br />

in Zusammenarbeit mit Hans Brügelmann.<br />

Redaktion: Axel Backhaus, Erika Brinkmann,<br />

Hans Brügelmann und Babette<br />

Danckwerts.<br />

Fotos Titel und Rücktitel: Bert Butzke,<br />

Mülheim<br />

Hinweise auf ergänzende Informationen<br />

im Internet – meist mit dem Zeichen<br />

– lassen sich verfolgen über<br />

www.grundschuleltern.info/ ➝ »Weitere<br />

Informationen …« ➝ »Grundschuleltern<br />

zur Ansicht«.<br />

Bestell-Nr. 6064, 7,50 Euro<br />

(für Mitglieder 5,50 Euro)<br />

48 11 • November 2013


Der Grundschulverband e. V.<br />

setzt sich für die Weiterentwicklung der Grundschule<br />

ein. Er will bundesweit und in den einzelnen<br />

Bundesländern<br />

bildungspolitisch<br />

die Stellung der Grundschule als grundlegende<br />

Bildungseinrichtung verbessern und die notwendigen<br />

Investitionen für ihren Ausbau zur zeitgemäßen<br />

und kindgerechten Schule von den politisch<br />

Verantwortlichen einfordern,<br />

schulpädagogisch<br />

die Reform der Schulpraxis und der Lehrerbildung<br />

entsprechend den Erkenntnissen aus Wissenschaft<br />

und Praxis unterstützen und<br />

wissenschaftlich<br />

neue Erkenntnisse über die Bildungsmöglichkeiten<br />

und Ansprüche von Kindern fördern und verbreiten.<br />

Wirksam wird der Grundschulverband über regionale<br />

Aktionen, bundesweite Initiativen und<br />

seine Veröffentlichungen: Buchreihe »Beiträge<br />

zur Reform der Grundschule«, wissenschaftliche<br />

Expertisen, die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift<br />

Grundschule aktuell, die interessante<br />

Expertenbeiträge, jeweils zu einem Schwerpunktthema,<br />

ein Praxisdossier und passend dazu<br />

Berichte aus der Grundschulforschung enthält,<br />

Nachrichtenseiten in verschiedenen Grundschulzeitschriften.<br />

Der Grundschulverband bietet Ihnen vielfältige<br />

Anregungen, Ideen und Hilfen für die praktische<br />

Arbeit und einen Rahmen für Ihr Engagement für<br />

eine kindgerechte Grundschule. Wir brauchen Ihre<br />

Erfahrungen und Ihr Engagement. Nutzen und<br />

multiplizieren Sie die Erkenntnisse einer Gemeinschaft<br />

reformorientierter Pädagoginnen und Pädagogen<br />

und werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />

Sitz und Geschäftsstelle des Grundschulverbandes<br />

ist Frankfurt am Main.<br />

www.<br />

www.grundschulverband.de<br />

Buchpublikationen<br />

der letzten Jahre in der Reihe<br />

»Beiträge zur Reform der Grundschule«<br />

138 Inklusive Schule (2014)<br />

137 Lernwerkstätten – Potenziale<br />

für Schulen von morgen (2014)<br />

136 Sachunterricht in der Grundschule:<br />

entwickeln – gestalten – reflektieren<br />

135 Kompetenzen stärken – individuell fördern,<br />

Schuber II (ab Kl. 3)<br />

134 Kompetenzen stärken – individuell fördern,<br />

Schuber I in der Eingangsstufe (Kl. 1 und 2)<br />

133 Schreibkompetenz und Schriftkultur<br />

131 Grundschule entwickeln –<br />

Gestaltungsspielräume nutzen<br />

130 Aktuelle Kindheiten<br />

129 Allen Kindern gerecht werden.<br />

Aufgabe und Wege<br />

126 Fremdsprachen in der Grundschule.<br />

Auf dem Weg zu einer neuen<br />

Lern- und Leistungskultur<br />

125 Schule außerhalb der Schule.<br />

Lehren und Lernen an außerschulischen Orten<br />

124 Pädagogische Leistungskultur: Ästhetik, Sport,<br />

Englisch, Arbeits-/Sozialverhalten<br />

123 Leben und Lernen in jahrgangs -<br />

gemischten Klassen<br />

122 Auf dem Weg zur Ganztagsgrundschule<br />

121 Pädagogische Leistungskultur:<br />

Materialien für Klasse 3 und 4<br />

120 Deutsch als Zweitsprache lernen<br />

119 Pädagogische Leistungskultur:<br />

Materialien für Klasse 1 und 2<br />

118 Leistungen von Kindern<br />

wahrnehmen – würdigen – fördern<br />

117 Mathematik für Kinder –<br />

Mathematik von Kindern<br />

116 Kinder beteiligen – Demokratie lernen?<br />

115 Länger gemeinsam lernen.<br />

Positionen, Forschungsergebnisse, Beispiele<br />

114 Freiarbeit in der Grundschule –<br />

offener Unterricht in Theorie und Praxis<br />

113 Schatzkiste Sprache 2<br />

111 Schulanfang ohne Umwege<br />

104 Schatzkiste Sprache 1<br />

92/93 Religion in der Grundschule<br />

87 Leistung der Schule – Leistung der Kinder


Schulanfang<br />

Die Not mit den Noten<br />

Kinder erforschen die Welt –<br />

wie Wissenschaftler<br />

Hausaufgaben: wozu und wie?<br />

Schulwechsel: Welche Schule ist gut<br />

für unsere Kinder?<br />

Kinder und die »neuen Medien«<br />

Ästhetisches Lernen: Malen, Singen,<br />

Tanzen, Spielen, Bewegen …<br />

Inklusion – Integration<br />

Rechnen –<br />

auf eigenen Wegen<br />

Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />

auch beim Lesen- und Schreibenlernen<br />

Kinder bestimmen mit –<br />

in Familie und Schule<br />

Kinder mit Problemen –<br />

Probleme mit Kindern

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