200602_GSE-Broschuere-f-Yumpu
GrundschulEltern
GrundschulEltern
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Ein Ratgeber für Familie und Schule<br />
Die Grundschule als Lern- und Lebensraum<br />
Die Lernbereiche der Grundschule<br />
Kinder, Eltern, Schule
Liebe Eltern,<br />
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.<br />
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens<br />
nach sich selber.<br />
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,<br />
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.<br />
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,<br />
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.<br />
Diese Sätze des Philosophen Khalil Gibran werden oft<br />
zitiert. Aber was bedeuten sie für das tägliche Miteinander<br />
von Eltern und Kindern – und deren LehrerInnen?<br />
In den letzten Jahren sind Bildung und Schule wieder in<br />
der öffentlichen Diskussion: Lernen unsere Kinder genug?<br />
Ist der Leistungsdruck zu groß? Kommen alle Kinder<br />
in der Schule zu ihrem Recht? Viel wird über eine angemessene<br />
Organisation der Schule nachgedacht. Auch der<br />
Nutzen unterschiedlicher Unterrichtsmethoden wird intensiv<br />
diskutiert. Dabei gerät oft aus dem Blick, wie wichtig<br />
die Personen sind, denen die Kinder begegnen: in der<br />
KiTa, in der Schule – und in der Familie und ihrem Umfeld.<br />
Pädagogik lebt von Haltung. Es sind die Menschen, die<br />
Kinder prägen. Die ihnen Selbstbewusstsein vermitteln<br />
– oder nehmen. Die ihre Interessen anregen und ihnen<br />
Fenster öffnen in fremde Welten. Die als Modelle hilfreich<br />
sind – oder hinderlich.<br />
»Allen Kindern gerecht werden« – diesen Anspruch hat<br />
der Grundschulverband zur Leitidee für seine pädagogische<br />
und bildungspolitische Arbeit erklärt. In den folgenden<br />
zwölf Kapiteln werben wir dafür, die Kinder als<br />
selbstständige Persönlichkeiten ernst zu nehmen: als<br />
Partner mit individuellen Vorstellungen und Interessen.<br />
Und als Denker, die sich ihr eigenes Bild von der Welt machen:<br />
wie technische Geräte funktionieren; was gerecht<br />
ist; aber auch, was es mit Schrift und Zahlen auf sich hat.<br />
Das hat Folgen für Unterricht. Er kann keine Einbahnstraße<br />
sein. Entsprechend tiefgreifend hat sich die Grundschule<br />
in den vergangenen mehr als 30 Jahren verändert.<br />
Der Grundschulverband hat deutlich gemacht,<br />
was »Fördern durch Teilhabe« heißt: »Kindern wird Mitsprache<br />
und Mitverantwortung für ihr Lernen zugestanden<br />
und abverlangt«. Davon schreiben wir auf den folgenden<br />
Seiten. Wir selbst haben diese Veränderungen<br />
in verschiedenen Rollen miterlebt: als SchülerInnen, als<br />
Eltern, als LehrerInnen, als bildungspolitisch engagierte<br />
BürgerInnen und über unsere Forschungsarbeit. Uns hat<br />
fasziniert, Kinder zu beobachten, wie sie sich die Welt erobern.<br />
Etwas von dieser Faszination wollen wir hier weitergeben.<br />
Und Sie anregen, sich ebenfalls für die Rechte<br />
der Kinder und bessere Lebens- und Lernbedingungen<br />
zu engagieren. In Schule und Familie.<br />
Ihre Redaktion<br />
Hans Brügelmann in Zusammenarbeit mit Axel Backhaus,<br />
Erika Brinkmann und Babette Danckwerts<br />
Inhalt<br />
Die Grundschule als Lern- und Lebensraum<br />
Schulanfang heute 1<br />
Sind altersgemischte Klassen erfolgreicher? 3<br />
Je früher, desto besser? 3<br />
Inklusion – Integration 5<br />
Gemeinsamer Unterricht: auch für unser Kind möglich? 6<br />
Untersuchungen zum gemeinsamen Unterricht 7<br />
Die Not mit den Noten 9<br />
Was leisten Noten – nicht? 10<br />
Tests oder Texte –welche Alternativen<br />
gibt es für Noten? 11<br />
Schulwechsel:<br />
Welche Schule ist gut für unser Kind? 13<br />
Entscheidung über die weiterführende Schule 15<br />
Die Lernbereiche der Grundschule<br />
Kinder erforschen die Welt – wie Wissenschaftler 17<br />
Die Welt zeigen und erklären –<br />
oder die Kinder selbst entdecken lassen? 18<br />
Lernen durch Anschauung und Selbsttätigkeit 19<br />
Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />
auch beim Lesen- und Schreibenlernen 21<br />
Freies Schreiben von Anfang an – oder :<br />
Lernen Kinder besser mit der Fibel? 23<br />
PISA und IGLU: Ist die deutsche Schule nur Mittelmaß? 23<br />
Rechnen – auf eigenen Wegen 25<br />
Jeder rechnet anders … Befunde aus der Forschung 26<br />
Ideen zur Anregung und Unter stützung<br />
mathematischen Lernens 27<br />
Was ist Dyskalkulie? 27<br />
Ästhetisches Lernen: Malen, Singen,<br />
Tanzen, Spielen, Bewegen … 29<br />
Lernen mit allen Sinnen – aber mit Sinn 30<br />
Macht Musik schlau? 31<br />
Kinder bestimmen mit –<br />
in Familie und Schule 33<br />
Offener Unterricht, Freiräume im Unterricht 35<br />
Kinder, Eltern, Schule<br />
Hausaufgaben: wozu und wie? 37<br />
Tipps für Hausaufgabenbetreuung im Alltag 38<br />
Was bringen Hausaufgaben? 39<br />
Hausaufgaben oder Schularbeiten?<br />
Alternativen aus der Praxis 39<br />
Kinder mit Problemen – Probleme mit Kindern? 41<br />
Fragen zu ADHS, Legasthenie,<br />
Medikamente ja oder nein 42<br />
Umgang mit Schwierigkeiten im Alltag 43<br />
Kinder und die »neuen Medien« 45<br />
Schaden oder nutzen die »neuen Medien«? 46<br />
Zum Umgang mit den Medien im Alltag 47
Schulanfang heute …<br />
… ist in vieler Hinsicht nicht mehr so<br />
wie vor 20 oder 30 Jahren. Wundern Sie<br />
sich deshalb nicht, wenn in der Klasse<br />
Ihres Kindes manches anders ist als<br />
zu Ihrer eigenen Schulzeit, vielleicht<br />
aber auch anders als in der Schule des<br />
Nachbarorts.<br />
Beispiele aus einigen Klassen:<br />
●●<br />
Die Kinder arbeiten miteinander an<br />
Gruppentischen. Dabei müssen sie nicht<br />
die ganze Zeit auf ihren Stühlen sitzen.<br />
Kinder haben nicht nur einen Kopf, sie<br />
haben einen Körper, der viel Bewegung<br />
braucht, und Sinne, mit denen sie vielfältig<br />
wahrnehmen und sich ausdrücken<br />
wollen – und dies jedes zu seiner Zeit.<br />
●●<br />
Es ertönt kein Klingelzeichen. Die<br />
Gruppen und auch einzelne Kinder arbeiten<br />
in ihrem eigenen Rhythmus<br />
von Anstrengung und Entspannung –<br />
und der folgt nun einmal nicht den früher<br />
üblichen 45-Minuten-Sprüngen der<br />
Schuluhr.<br />
●●<br />
Zur Lerngruppe gehören auch Kinder<br />
mit besonderem Förderbedarf und andere<br />
mit besonderen Begabungen. Der<br />
Unterricht ist für individuelle Lernwege<br />
geöffnet. Oft wird mit zusätzlicher Unterstützung<br />
jahrgangsübergreifend unterrichtet<br />
(s. S. 3). So kann gemein sames<br />
Lernen produktiv werden.<br />
●●<br />
Nebeneinander arbeiten Kinder an<br />
verschiedenen Aufgaben. Sie bringen<br />
sehr unterschiedliche Voraussetzungen<br />
mit (s. Abb. rechts) und arbeiten nicht<br />
gleich schnell. Wie sollten sie erfolgreich<br />
lernen können, wenn alle zur gleichen<br />
Zeit auf derselben Seite desselben Schulbuchs<br />
arbeiten? Allerdings stellen sie sich<br />
ihre Ergebnisse und Arbeiten gegenseitig<br />
vor.<br />
●●<br />
Im Zeugnis stehen keine Ziffernnoten.<br />
Denn diese sind weder objektiv noch<br />
vergleichbar, sie zeigen weder den individuellen<br />
Lernfortschritt noch geben sie<br />
Hinweise, wie das Kind am besten gefördert<br />
werden kann.<br />
●●<br />
Aussagekräftiger sind Berichte oder<br />
Beobachtungsbögen, die die Fortschritte<br />
der einzelnen Kinder genau beschreiben<br />
und zeigen, wie es weitergehen kann.<br />
Einige Schulen benennen auch die vorgegebenen<br />
Lernziele und markieren,<br />
wann diese vom einzelnen Kind erreicht<br />
sind. Oft werden sie durch eine Selbsteinschätzung<br />
des Kindes ergänzt (s. Abb.<br />
Entwicklungsunterschiede wichtiger Fähigkeiten<br />
zwischen 7-jährigen Kindern<br />
(nach: Largo 2009, S. 284; mit frdl. Gen. des Autors)<br />
S. 2) – und die Zeugnisübergabe durch<br />
ein gemeinsames Gespräch von Lehrerin,<br />
Kind und Eltern ersetzt.<br />
●●<br />
Fachstunden sind nicht fest im Stundenplan<br />
ausgewiesen. Der Unterricht<br />
orientiert sich an situativen Anlässen und<br />
Erfahrungen der Kinder, und die lassen<br />
sich nun einmal nicht in die Schubladen<br />
von Fächern zwingen.<br />
(Fortsetzung S. 2)<br />
Liebe Eltern,<br />
ohne Sie kann die Arbeit der Schule nicht<br />
erfolgreich sein. Vor allem die Grundschule<br />
ist auf die Zusammen arbeit mit<br />
Ihnen angewiesen:<br />
● ● beim gemeinsamen Nachdenken<br />
über die Erziehung und die Lernentwicklung<br />
Ihres Kindes;<br />
● ● durch Ihre Beiträge zum Unterricht,<br />
z. B. als »Leseeltern« oder als Experten<br />
in einem Projekt;<br />
● ● bei sozialen Aktivitäten wie Ausflügen<br />
und Festen;<br />
● ● durch ihre Anregungen für die<br />
weitere Entwicklung der Schule;<br />
● ● wenn es um Entscheidungen in den<br />
Gremien der Schule geht.<br />
Schule sollte ein Ort der Begegnung sein:<br />
zwischen Kindern mit unterschiedlicher<br />
Lerngeschichte, zwischen Kindern und<br />
ihren Lehrerinnen – und von Lehrerinnen<br />
und Eltern. Dass Ihre Kinder sich gut<br />
entwickeln, kann nur durch eine enge<br />
Zusammen arbeit erreicht werden. Und<br />
zwar auf Augenhöhe. So steht es auch in<br />
vielen Programmen, so hört man es bei<br />
offiziellen Reden. Der Alltag sieht leider<br />
oft anders aus. Der Grundschulverband<br />
hat mit seiner Beilage » «<br />
versucht, Brücken zu bauen. In diesem<br />
Heft haben wir Ihnen die Beiträge zu den<br />
zwölf Themen noch einmal kompakt zugänglich<br />
gemacht.<br />
Wir bieten Ihnen Anregungen für die<br />
Er ziehung Ihres Kindes und Hinweise, wo<br />
und wie Sie in der Schule aktiv werden<br />
können. Und auch, warum Sie es sollten.<br />
Wir sammeln Beispiele guter Praxis und<br />
wir kommentieren aktuelle Informationen<br />
aus der pädagogischen Forschung<br />
und aus der Bildungspolitik. Zu jedem<br />
Thema finden Sie ergänzende Hinweise<br />
und Materialien über www.grundschuleltern.info/<br />
➝ Weitere Informationen … ➝<br />
Grundschuleltern zur Ansicht.<br />
Hinweis<br />
Dank der UN-Konvention über die<br />
Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />
(Menschen, die Beeinträchtigungen<br />
aufweisen, wie Menschen, die<br />
durch Rahmenbedingungen behindert<br />
werden) haben Eltern in vielen<br />
Bundesländern die Möglichkeit, auch<br />
Kinder mit Förderbedarfen auf allgemeinbildenden<br />
Schulen anzumelden.<br />
Dies wird nach und nach zum<br />
Regel fall werden. Wir alle müssen helfen,<br />
dass Inklusion – ein Konzept mit<br />
dem Ziel, alle Menschen mit all ihren<br />
Unter schiedlichkeiten wertzuschätzen<br />
– gelingen kann. Sorgen um den<br />
Lern erfolg muss man sich nicht machen!<br />
Zahlreiche Studien bestätigen:<br />
Sowohl behinderte als auch nicht behinderte<br />
Kinder können von einem<br />
gemeinsamen Unterricht profitieren<br />
(s. S. 7).<br />
01 • Mai 2011<br />
1
(Schulanfang heute …; Forts. von S. 1)<br />
Stattdessen gibt es Tages- oder Wochenpläne<br />
(s. Abb. unten), evtl. mit besonderen<br />
Aufgaben für einzelne Kinder.<br />
Wochenplan<br />
2<br />
01 • Mai 2011<br />
●●<br />
Es gibt nur wenige oder gar keine<br />
Hausaufgaben. Vor allem Ganztagsschulen<br />
bieten oft betreute Arbeitszeiten.<br />
Im Übrigen sollen Hausaufgaben<br />
so bemessen sein, dass Schulanfänger<br />
nicht mehr als eine halbe Stunde brauchen.<br />
Und – wichtig! – sie sollen sie<br />
selbstständig erledigen können.<br />
●●<br />
Die Lehrperson arbeitet nicht (nur) mit<br />
Schulbuch und Übungsheften. Kinder<br />
lernen am besten, wenn sie selbst etwas<br />
herstellen, in die Hand nehmen, ausprobieren<br />
– mit Materialien aus der Alltagswelt<br />
oder indem sie aus der Schule<br />
herausgehen.<br />
●●<br />
Vielerorts lernen die Kinder Lesen und<br />
Schreiben ohne Fibel und ohne Arbeitsblätter.<br />
Die Lehrerin liest viel vor, um die<br />
Kinder anzuregen, eigene Geschichten<br />
mit Hilfe einer Anlaut tabelle zu schreiben.<br />
Diese werden dann mit einer Übersetzung<br />
in Erwachsenenschrift versehen<br />
oder in korrigierter »Buchschrift« in der<br />
Klasse als Lesestoff für andere »veröffentlicht«<br />
(s. Abb. rechts). Die Kinder »drucken«<br />
mit der Hand, mit Stempeln oder<br />
am PC und entwickeln erst später eine<br />
verbundene Schrift. In freien Lese zeiten<br />
wählen sie selbstständig aus, was sie<br />
lesen möchten.<br />
●●<br />
In Mathematik werden nicht mehr<br />
nur Päckchen »gerechnet«. Das mathematische<br />
Denken anzustoßen verlangt<br />
anspruchsvolle und offene Aufgaben.<br />
Manchmal erfinden die Kinder auch eigene<br />
Aufgaben für die anderen – jedes<br />
auf seinem Entwicklungsstand.<br />
●●<br />
Die Kinder arbeiten an verschiedenen<br />
Sachthemen, um im Anschluss daran ihre<br />
Ergebnisse der gesamten Gruppe vorzustellen.<br />
Das einzelne zeichnet, was ihm<br />
oder ihr wichtig ist und wie es sich etwas<br />
vorstellt. Jedes entscheidet sich für ein<br />
Gedicht oder Musikstück, um es für<br />
einen gemeinsam gestalteten Anlass zu<br />
üben. Im Sportunterricht testen sie ihre<br />
Möglichkeiten und Grenzen an selbst gewählten<br />
Geräten und in unterschiedlichen<br />
Aktivitäten aus. Insgesamt: Selten<br />
wird nur einfach nachgemacht, wird isoliert<br />
geübt. So wichtig Wiederholung ist<br />
– sie ist wirkungsvoller in für das Kind<br />
sinn vollen Zusammenhängen.<br />
●●<br />
Der Religionsunterricht wird nicht<br />
nach Konfessionen getrennt, und es werden<br />
nicht nur Geschichten aus der Bibel<br />
erzählt. Schulanfänger heute bringen<br />
ganz verschiedene Religionen mit (oder<br />
gar keine). Sie alle aber haben persönliche<br />
Vorstellungen über den Sinn des Lebens,<br />
haben Ängste und Hoffnungen –<br />
und die müssen wir ernst nehmen, um<br />
die Kinder auch als Personen zu stärken,<br />
unabhängig von ihrer fachlichen Förderung.<br />
●●<br />
Viel Zeit wird aufgewandt, um miteinander<br />
zu reden: vor Beginn des Unterrichts<br />
im Morgenkreis, um aufzunehmen,<br />
was die Kinder außerhalb der Schule<br />
bewegt, was sie in den Unterricht mit hineintragen;<br />
freitags im Klassenrat, um<br />
gemeinsam darüber nachzudenken, was<br />
in der Woche gut gelungen ist und was<br />
verändert werden soll. Die Kinder sollen<br />
allmählich zu einer Gruppe zusammenwachsen,<br />
sie können den Sinn von<br />
Regeln aber oft erst an Störungen des<br />
Selbsteinschätz<br />
ungsbogen der<br />
Grundschule<br />
Harmonie Eitorf<br />
Quelle: www.grund<br />
schule-harmonie.de<br />
Zusammen lebens begreifen und dann<br />
gemeinsam neue Lösungen finden.<br />
●●<br />
Im Unterricht und in den Heften tauchen<br />
Wörter in verschiedenen Sprachen<br />
auf. Unsere Kinder heute wachsen mit<br />
Freunden und Freundinnen aus verschiedenen<br />
Kulturen auf. Und sie werden in<br />
einem Europa leben, in dem Offenheit<br />
für andere Sprachen lebensnotwendig<br />
ist. Darum begegnen sie oft schon in der<br />
ersten Klasse einer fremden Sprache.<br />
Arbeit am Wochenplan: Notiz eines Kindes<br />
Schulanfang heute ist oft sehr anders –<br />
er stellt aber auch ähnliche Aufgaben<br />
wie vor 20 oder 30 Jahren. Er ist ein<br />
großer Schritt für alle Beteiligten:<br />
für Ihr Kind, für Sie selbst und auch für<br />
die Lehrerinnen. Uns Erwachsenen fällt<br />
es oft schwer<br />
● ● die Kinder loszulassen,<br />
● ● ihnen etwas zuzutrauen,<br />
● ● sie auf ihrem eigenen Weg<br />
zu unterstützen.<br />
Nicht nur Ihr Kind steht vor einem neuen<br />
Anfang – mit vielen Chancen, wenn<br />
Sie ihm Raum für seine Entwicklung<br />
gewähren.<br />
Fragen Sie die Lehrerin Ihres Kindes,<br />
wenn Sie etwas nicht verstehen.<br />
Lassen Sie sich auch beraten bei den<br />
ganz konkreten Fragen:<br />
Was für eine Tasche (oder Ranzen)<br />
ist geeignet? Was ist beim Kauf von<br />
Schreibmaterialien zu beachten? Wie<br />
können die Kinder auf den Schulweg<br />
vorbereitet werden? Was sollen sie<br />
zum Essen und Trinken mitnehmen?
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
In dieser Rubrik wollen wir Fragen aufgreifen, die Eltern bewegen:<br />
Nutzen von Hausaufgaben; Objektivität und Vergleichbarkeit von Ziffernnoten;<br />
Vor- und Nachteile von gemeinsamem Unterricht mit behinderten Kindern;<br />
die Wirkung häufigen Fernsehkonsums auf die Entwicklung des Lesens usw.<br />
Schon einmal vorweg: Forschung<br />
ist selten eindeutig. »Dasselbe«<br />
menschliche Verhalten hat je nach<br />
Kontext unterschiedliche Bedeutung.<br />
Dasselbe Programm oder dieselbe Methode<br />
entfaltet deshalb auch an<br />
verschiedenen Orten unterschiedliche<br />
Wirkungen. Pädagogik ist keine Technik.<br />
Anders als oft in den Naturwissenschaften<br />
gibt es keine stabilen Regeln, nach<br />
denen sich die Wirkung einer Methode,<br />
eines Programms für alle Fälle sicher<br />
vorhersagen lässt.<br />
Der Nutzen von Forschung liegt darin,<br />
gut begründete Annahmen zu erzeugen:<br />
Über viele Fälle hinweg folgt mit größerer<br />
Wahrscheinlichkeit (!) Wirkung X auf<br />
Maßnahme Y. Im Durchschnitt (!) schneidet<br />
Programm A besser ab als Programm<br />
B. Beispielsweise liegt die Leseleistung<br />
von Mädchen als Gesamtgruppe über<br />
der von Jungen. Aber viele Jungen lesen<br />
genauso gut wie viele Mädchen – einige<br />
sogar besser. Die Leistungsverteilungen<br />
beider Geschlechter überlappen sich<br />
eben stark! Und das gilt auch für alle<br />
anderen Merkmale.<br />
Manchmal findet man für eine Unterrichtsmethode<br />
oder ein Förderprogramm<br />
in einer Studie deutliche Vorteile.<br />
Das bedeutet aber nicht, dass diese sich<br />
auch bei jeder Lehrerin oder bei jedem<br />
Kind zeigen müssen. Besonderheiten<br />
der Person und ihrer konkreten Umwelt<br />
spielen eine große Rolle.<br />
Das muss man bedenken, wenn man<br />
Befunde der Forschung richtig verstehen<br />
und sinnvoll nutzen will.<br />
Sind altersgemischte Klassen<br />
erfolgreicher?<br />
In vielen Bundesländern werden die ersten<br />
beiden Klassen jahrgangsübergreifend<br />
geführt (»flexible Schuleingangsphase«).<br />
Manche Schulen bilden auch Lerngruppen<br />
über die ganze Grundschulzeit hinweg,<br />
so dass pro Jahr nur ein Viertel der<br />
Kinder wechselt. Das Modell entspricht<br />
dem Lernen vor der Schule in Familie und<br />
Kindergarten wie auch im »wirklichen<br />
Leben« neben und nach der Schule.<br />
Kinder gleichen Alters liegen in jedem<br />
Entwicklungsbereich drei bis vier Jahre<br />
auseinander (s. Abb. S. 1). Im jahrgangsgemischten<br />
Unterricht werden diese Unterschiede<br />
sichtbarer. Er fordert deshalb<br />
besonders dazu heraus, die Lernangebote<br />
auf die individuellen Voraussetzungen<br />
und Möglichkeiten der Kinder abzustimmen.<br />
Weitere Vorteile: Langsamer lernende<br />
Kinder bekommen mehr Zeit, können<br />
aber anders als beim Sitzenbleiben in der<br />
vertrauten Lerngruppe bleiben. Schnelle<br />
Lerner können rascher fortschreiten –<br />
müssen aber ebenfalls nicht die vertraute<br />
Lerngruppe wechseln.<br />
Im Vergleich zu Jahrgangsklassen zeigt<br />
sich in der Regel (!) über verschiedene empirische<br />
Studien hinweg:<br />
● ● In den fachlichen Leistungen gibt es<br />
kaum Unterschiede.<br />
● ● In Arbeitsverhalten und Sozialkompetenz<br />
hat die Jahrgangsmischung<br />
Vorteile.<br />
Auffällig ist aber eine große Streuung in<br />
beiden Typen – je nach Unterrichtsform.<br />
So kann die Jahrgangsmischung ihre<br />
Stärken nur entfalten, wenn die Altersgruppen<br />
nicht als getrennte Abteilungen<br />
in demselben Raum nebeneinander<br />
unterrichtet und keine festen Leistungsgruppen<br />
gebildet werden.<br />
Videotipp: »Treibhäuser der Zukunft!«<br />
Lesetipp: Vgl. auch das Gutachten von<br />
Carle über den Link auf unserer Internetseite<br />
www.grundschulverband.de/<br />
grundschuleltern<br />
Drei Sechstklässler (aus Largo 1999;<br />
s. auch S. 4): Schon die Körpergröße<br />
unterscheidet sich dramatisch –<br />
ungleich bedeutsamer sind Unterschiede<br />
im IQ, in der Lesefähigkeit, in<br />
der Sozialkompetenz …<br />
Je früher, desto besser?<br />
Wann sollte ein Kind eingeschult werden?<br />
Auch auf diese Frage gibt es keine<br />
eindeutige Antwort. In Deutschland<br />
haben die Bundesländer das Einschulungsalter<br />
immer mal wieder herauf- bzw.<br />
heruntergesetzt. Derzeit gibt es einen<br />
deutlichen Trend zur früheren Einschulung.<br />
In den Nachbarländern schwankt<br />
das Einschulungsalter dagegen zwischen<br />
fünf und sieben Jahren. Zudem wird die<br />
Lernzeit in Kindergärten, Vorschulen und<br />
auch im Anfangsunterricht jeweils sehr<br />
unterschiedlich gestaltet.<br />
Auch wissenschaftliche Studien geben<br />
keine klare Antwort. Ob ein Kind in der<br />
Schule erfolgreich lernt, Beziehungen<br />
zu anderen Kindern und Erwachsenen<br />
aufbaut, hängt nicht allein vom Einschulungsalter<br />
ab. Andere Bedingungen<br />
spielen auch eine wichtige Rolle:<br />
● ● Wie sicher und selbstständig ist das<br />
Kind?<br />
● ● Interessiert es sich bereits für Zahlen,<br />
Buchstaben?<br />
● ● Geht es neugierig auf die Welt zu,<br />
will es wissen, wie unbekannte Dinge<br />
funktionieren, warum Regeln sind,<br />
wie sie sind?<br />
● ● Wird es gemeinsam mit Freunden die<br />
Schule besuchen können?<br />
● ● Wie groß sind die Eingangsklassen<br />
der Schule?<br />
● ● Geht der Unterricht auf individuelle<br />
Unterschiede im Können ein?<br />
● ● Was sind Ihre eigenen Erwartungen<br />
und Motive als Eltern für eine frühere<br />
oder spätere Einschulung?<br />
Bei der Entscheidung sind also mehrere<br />
Faktoren zu bedenken. Sie ist insofern<br />
von Fall zu Fall zu treffen.<br />
Dafür sind Gespräche hilfreich<br />
● ● mit den Pädagoginnen im Kindergarten,<br />
● ● mit der zukünftigen Lehrerin und vor<br />
allem:<br />
● ● mit dem Kind selbst!<br />
Denn nur, wenn es selbst schon in die<br />
Schule möchte, wird es seine fachbezogenen<br />
Stärken nutzen können.<br />
Lesetipps: Hilfreiche Hinweise gibt<br />
das »Familienhandbuch« unter<br />
www.familienhandbuch.de/cmain/f_<br />
Aktuelles/a_Schule/s_1374.html<br />
(Rechtsvorschriften allerdings<br />
Stand 2004/05)<br />
Die aktuell geltenden Regelungen<br />
der einzelnen Länder hat die KMK<br />
zusammengestellt unter<br />
http://ksdev.de/Schulpflicht.htm<br />
01 • Mai 2011<br />
3
Informationen<br />
zum Schulanfang<br />
Die Bundesländer, aber auch größere<br />
Städte oder Landkreise geben oft eigene<br />
Broschüren heraus. Diese sind vor allem<br />
hilfreich, um Ansprechpartner vor Ort<br />
zu finden.<br />
Als allgemeine Orientierung informativ:<br />
Wann komme ich in die Schule?<br />
Die Kindergartenzeitschrift<br />
Leseempfehlungen<br />
für die Eltern<br />
Anschaulich, mit konkreten Beispielen<br />
und Befunden (aus diesem Buch sind<br />
auch die Abb. auf S. 1 und S. 3), dazu<br />
inhaltlich sehr überzeugend und gut<br />
verständlich geschrieben:<br />
Schülerjahre<br />
R. Largo<br />
hervorgegangen ist: In ihren Beiträgen<br />
erklären Expertinnen und Experten verschiedener<br />
Disziplinen, was wir heute<br />
wissen über das Lernen von Kindern in<br />
den Fächern, aber auch über ihre persönliche<br />
und soziale Entwicklung: In der<br />
Auseinandersetzung mit den Anregungen<br />
ihrer Umwelt entwickeln Kinder individuelle<br />
Zugänge zu Sprache, Schrift<br />
und Mathematik, aber auch eigene Theorien<br />
über die natürliche, die technische<br />
und die soziale Umwelt. Fehler sind dabei<br />
unvermeidlich – und wichtige Zwischenstufen<br />
auf dem Weg zur Norm.<br />
Themenheft 8/2007<br />
Verlag: Friedrich<br />
Preis: 10,00 EUR<br />
Ebenfalls empfehlenswert und direkt im<br />
Inter net beziehbar ist der Elternratgeber<br />
2010/11:<br />
Willkommen in der Schule<br />
Pädagogisches Institut, Bozen<br />
Kostenloser Download unter<br />
www.provinz.bz.it/schulamt/<br />
aktuelles/417.asp<br />
Nachdenkliches zum<br />
Schulanfang<br />
»Seit ihr hier sitzt, gehört ihr zu einer<br />
bestimmten Klasse. Noch dazu zur<br />
untersten. Der Klassenkampf und die<br />
Jahre der Prüfungen stehen bevor.<br />
Früchtchen seid ihr, und Spalierobst<br />
müsst ihr werden! Aufgeweckt wart<br />
ihr bis heute, und einwecken wird man<br />
euch ab morgen! So, wie man’s mit<br />
uns getan hat. Vom Baum des Lebens<br />
in die Konservenfabrik der Zivilisation?<br />
Das ist der Weg, der vor euch liegt.<br />
Kein Wunder, dass eure Verlegenheit<br />
größer ist als eure Neugierde.«<br />
(Aus: Erich Kästner, »Ansprache zum Schulbeginn«)<br />
4<br />
01 • Mai 2011<br />
Taschenbuch: 336 Seiten<br />
Erschienen: 2010 (1. Aufl. 2009)<br />
Verlag: Piper<br />
Preis: 12,95 EUR<br />
Wie unterschiedlich sich Kinder entwickeln<br />
und dass dies ganz normal ist<br />
(gerade nicht eine gleiche Entwicklung<br />
aller Kinder), belegt der Kinderarzt<br />
und Entwicklungsforscher Remo<br />
Largo an Befunden aus einer großen<br />
Längsschnittstudie in der Schweiz.<br />
Er macht zugleich deutlich, warum<br />
es wichtig ist, Kindern Raum zu<br />
geben für ihre eigenen Interessen:<br />
damit sie aktiv werden und ihre individuellen<br />
Potenziale entfalten können.<br />
Kinder lernen anders:<br />
vor der Schule – in der Schule<br />
H. Brügelmann u. a.<br />
Kartoniert: 232 Seiten<br />
Erschienen: 2000 (1. Aufl. 1998)<br />
Verlag: Libelle<br />
Preis: 17,40 EUR<br />
Was Largos Thesen für das fachliche<br />
Lernen von Kindern und damit für den<br />
Unterricht in der Grundschule bedeuten,<br />
findet man im Band »Kinder lernen<br />
anders«, der aus den Beiträgen<br />
zur Siegener »ElternSchule an der Uni«<br />
Kinderbücher<br />
zum Schulanfang<br />
… die sich auch zum gemeinsamen<br />
Anschauen und Vorlesen eignen:<br />
Nur Mut, Willi Wiberg!<br />
G. Bergström<br />
Gebunden: 32 Seiten<br />
Erschienen: 2009 (1. Aufl. 1983)<br />
Verlag: Oetinger<br />
Preis: 9,90 EUR<br />
Weitere Buchvorschläge<br />
für Kinder und ihre Eltern<br />
Muss man Miezen siezen?<br />
Gerda Anger-Schmidt /<br />
Renate Habinger<br />
(Sprachspiele, Geschichten usw.<br />
für Schulanfänger)<br />
Nella-Propella<br />
Kirsten Boie<br />
Fischer Schatzinsel (Erfahrungen im<br />
letzten Kindergartenjahr)<br />
Trauriger Tiger toastet Tomaten<br />
Nadia Budde<br />
(ein wunderbares ABC-Buch<br />
für Kinder)<br />
Benni und die Wörter<br />
Carli Biessels/Wolf Erlbruch<br />
(ein Vergnügen vor allem für Eltern!)<br />
T wie Tukan<br />
Katharina Lausche<br />
(ein ästhetisch besonders schön<br />
gestaltetes ABC-Buch)
Inklusion – Integration<br />
Zeichnung: Volker Fredrich<br />
Wer ist normal?<br />
Sams Bericht zufolge fehlte es ihm nie an Spielkameraden<br />
… Als er sich allmählich für die Umgebung außerhalb<br />
seiner Familie zu interessieren begann, wurde er<br />
auf ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft<br />
aufmerksam. Nach einigen zögerlichen Näherungsversuchen<br />
wurden sie Freunde. Sie war als Spielkameradin<br />
nicht übel, wäre da nicht das Problem gewesen, dass sie<br />
so ›komisch‹ war. Er konnte sich nicht so mit ihr unterhalten<br />
wie mit seinen Brüdern oder seinen Eltern. … Nach<br />
mehreren vergeblichen Versuchen, sich mit ihr zu unterhalten,<br />
gab er schließlich auf und machte ihr stattdessen<br />
durch Zeigen oder indem er sie mit sich zog, klar, was er<br />
wollte. Er wunderte sich zwar über das seltsame Leiden,<br />
mit dem sie behaftet war, da sie jedoch einen Weg gefunden<br />
hatten, sich miteinander zu verständigen, gab er<br />
Kommunaler Index für Inklusion<br />
(Fortsetzung S. 6)<br />
Schon länger gibt es einen »Index für Inklusion« für<br />
Schulen und Lehrer/innen (➝ ). Ergänzend hat die<br />
Montag Stiftung »Jugend und Gesellschaft« einen<br />
Krite rienkatalog entwickelt, der sich an alle Bürger/innen<br />
richtet. Er ist vor allem für Eltern interessant, die<br />
sich an der Schulentwicklung vor Ort beteiligen wollen:<br />
www.montag-stiftungen.de/jugend-und-gesellschaft/<br />
Liebe Eltern,<br />
für viele ist Inklusion ein neues Wort, für andere ein neuer<br />
Begriff für das, was vorher Integration hieß. Dabei besteht<br />
ein großer Unterschied zwischen beiden Ideen: Eine integrative<br />
Schule versucht eine besondere Gruppe (Jungen,<br />
MigrantInnen, Kinder mit Beeinträchtigungen) in die<br />
Gruppe von »Normalen« zu integrieren. Sie bleibt aber<br />
eine besondere Gruppe, für die spezielle Maßnahmen<br />
notwendig sind. Dabei sind alle Kinder unterschiedlich.<br />
Um jedem einzelnen Kind gerecht zu werden, ist es wichtig,<br />
auf diese Unterschiede einzugehen, sich auf jedes einzelne<br />
Kind einzulassen, sei es ein Junge, ein Migrant oder<br />
ein behindertes Kind – oder alles auf einmal (s. das Schaubild<br />
S. 7 oben und ergänzende Erläuterungen ➝ ).<br />
Es geht also nicht nur um Behinderungen. Allerdings: Durch<br />
die Behindertenrechtskonvention der UN hat die Forderung<br />
nach einem solchen »inklusiven Bildungs system«<br />
eine rechtliche Grundlage erhalten. Dies zeigt der Artikel<br />
24 dieser Konvention: »Die Vertragsstaaten anerkennen<br />
das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung.<br />
Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage<br />
der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten<br />
die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem<br />
auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (…).«<br />
Kinder verhalten sich anders als Erwachsene – und als<br />
sie erwarten. Wie schnell heute ein »abweichendes«<br />
Verhalten für »nicht normal« erklärt wird, erläutert und<br />
kritisiert fachkundig der Psychiater Allen Frances in seinem<br />
Buch »Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer<br />
Diagnosen«. DuMont Verlag: Köln 2013.<br />
Die Bezeichnung »integratives« Bildungssystem ist ein<br />
Übersetzungsfehler in der – alleinstehend nicht gültigen<br />
– deutschen Fassung. Die UN spricht von Inklusion<br />
➝ . Auch in vielen Schulen wird bereits heute oder in<br />
der nahen Zukunft von Inklusion die Rede sein. Deshalb<br />
widmen wir dieses Heft diesem Thema.<br />
Uns ist bewusst, wie schwierig die Umsetzung des Anspruchs<br />
einer inklusiven Schule ist. Aber das ist nicht<br />
anders als mit der Demokratie: Begründet ist sie durch<br />
grundlegende Werte. Schwierigkeiten im Alltag stellen<br />
diese Werte nicht in Frage. Sie können aber Anlass sein,<br />
über Formen und Bedingungen der Umsetzung nachzudenken<br />
– und sich für deren Verbesserung zu engagieren<br />
(s. dazu auch die Ergänzungen im Internet; diese gibt es<br />
immer, wenn dieses Zeichen auftaucht).<br />
04 • Februar 2012 5
Gemeinsamer Unterricht:<br />
auch für unser Kind möglich?<br />
Foto: Anne Höfer<br />
Zeichnung: Manfred von Papen<br />
(Wer ist normal …, Fortsetzung von S. 5)<br />
sich damit zufrieden und ging auf ihre besonderen Bedürfnisse<br />
ein.<br />
Sam erinnert sich noch lebhaft, wie er eines Tages endlich<br />
begriff, dass seine Freundin tatsächlich höchst seltsam<br />
war. Sie spielten bei ihr zu Hause, als plötzlich ihre<br />
Mutter hereinkam und lebhaft die Lippen bewegte. Wie<br />
durch einen Zauber nahm das Mädchen das Puppenhaus<br />
und stellte es an einen anderen Platz. Sam war völlig perplex<br />
und ging nach Hause, um sich bei seiner Mutter zu<br />
erkundigen, was für ein Leiden das Mädchen von drüben<br />
eigentlich genau habe. Seine Mutter erklärte, sie sei ›hörend‹<br />
und könne deswegen nicht ›gebärden‹; stattdessen<br />
würden sie und ihre Mutter ›sprechen‹, ihre Münder<br />
bewegen und so kommunizieren. Daraufhin fragte Sam,<br />
ob das Mädchen und seine Familie die einzigen seien, die<br />
›so‹ seien. Seine Mutter erklärte, dass im Gegenteil fast<br />
alle Menschen so seien wie die Nachbarn und seine Familie<br />
die Ausnahme. Er erinnert sich, wie er bei sich dachte,<br />
was für ein merkwürdiges Mädchen die Nachbarin<br />
sei, und wenn das ›hörend‹ bedeutete, wie seltsam doch<br />
Hörende waren.<br />
nach: Padden, C./ Humphries, T. (1991): Gehörlose. Eine Kultur<br />
bringt sich zur Sprache. Signum Verlag: Hamburg, 21 – 22)<br />
Eltern sein bedeutet Freude, aber immer auch eine<br />
enorme Herausforderung und Verantwortung. Eltern<br />
eines behinderten Kindes zu sein umfasst noch mehr.<br />
Oftmals sind besonderes Engagement, Eigeninitiative,<br />
Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen nötig,<br />
um für das Kind die gewünschte Unterstützung zu bekommen<br />
und damit es dabei so normal wie möglich<br />
aufwachsen kann. Eltern wollen das Beste für ihr Kind<br />
und sie möchten mitbestimmen: die Art der Therapien,<br />
den geeigneten Kindergarten oder die Wahl der<br />
Schule.<br />
Die Entscheidung »Welche Schule ist die beste für mein<br />
Kind?« ist für die Eltern häufig sehr schwierig, begleitet<br />
von zahlreichen Abwägungen und von Widerständen.<br />
Viele wünschen, das Kind möge trotz Beeinträchtigung<br />
so wie die Geschwister oder die Kinder aus der Nachbarschaft<br />
aufwachsen. Das spricht für den gemeinsamen<br />
Unterricht in der nahegelegenen Grundschule.<br />
Ganz selbstverständlich lernen und leben hier alle Kinder<br />
zusammen. Sie haben den gleichen Schulweg und<br />
Freundschaften können geknüpft werden, die über den<br />
Schulvormittag hinaus Bestand haben. Die Grundschullehrerin<br />
arbeitet hier mit einer Lehrerin der Förderschule<br />
zusammen, sodass eine individuelle Förderung aller<br />
Kinder möglich ist – egal, ob mit oder ohne Beeinträchtigung.<br />
Aber ist sie das wirklich? Manche Eltern haben Zweifel,<br />
wünschen sich Normalität und können sich einen solchen<br />
Unterricht nicht recht vorstellen. Sind die Klassen<br />
für den gemeinsamen Unterricht nicht viel zu groß?<br />
Werden die Bedürfnisse und Möglichkeiten meines Kindes<br />
wirklich wahrgenommen oder wird es untergehen?<br />
Und wie reagieren die nichtbehinderten Kinder? Ist die<br />
Gefahr nicht groß, dass mein Kind hier eher zum Außenseiter<br />
wird? Sind die Bedingungen einer spezifischen<br />
Förderschule – kleinere Lerngruppen, speziell ausgebildete<br />
Lehrer, Therapiemöglichkeiten vor Ort und niedrigere<br />
Lernanforderungen – nicht vorteilhafter?<br />
Eltern können eine größere Sicherheit bei der Entscheidung<br />
für eine geeignete Schule bzw. für den gemeinsamen<br />
Unterricht bekommen, wenn sie folgende Schritte<br />
bedenken:<br />
1.<br />
Frühzeitig (vor der Einschulung) Kontakte zu<br />
anderen betroffenen Eltern knüpfen, um gemeinsame<br />
Interessen auszuloten und Strategien zu planen.<br />
2.<br />
In unterschiedlichen Schulen (in Förderschulen<br />
und im GU) hospitieren und dort mit Lehrerinnen/Lehrern<br />
und betroffenen Eltern sprechen.<br />
6 04 • Februar 2012
3.<br />
Frühzeitig Kontakt mit dem zuständigen Schulamt<br />
aufnehmen, um Informationen über die rechtliche<br />
Lage und zum Verfahren einer Feststellung des sonderpädagogischen<br />
Förderbedarfs zu erhalten.<br />
4.<br />
Örtliche Vereine oder Initiativen, die sich einsetzen<br />
für die Belange von behinderten Menschen<br />
und ihre selbstverständliche Teilhabe am alltäglichen<br />
Leben, auf Unterstützung ansprechen.<br />
Abb.: Von der vollständigen Ausgrenzung über die getrennte<br />
Förderung und die Einbeziehung der Behinderten als Sondergruppe<br />
zur Anerkennung aller Menschen als »besonders«<br />
Quelle des Bildes: www.inklusion-olpe.de/inklusion.php<br />
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Untersuchungen zum<br />
gemeinsamen Unterricht<br />
Ist gemeinsamer Unterricht wirklich besser als<br />
eine Differenzierung nach Leistung?<br />
Also als erstes: Inklusion ist ein Menschenrecht – von der UN<br />
noch einmal ausdrücklich proklamiert und von Deutschland<br />
auch rechtlich akzeptiert. Insofern kann Forschung nur eine<br />
stützende oder relativierende Funktion bei der Umsetzung<br />
haben. Aber sie kann dieses Recht weder begründen noch<br />
in Frage stellen. Insofern ist klar: Die Beweislast liegt bei der<br />
Begründung getrennter Förderung, nicht bei der Rechtfertigung<br />
gemeinsamen Unterrichts .<br />
Wie sieht es denn für Kinder mit besonderen<br />
Schwierigkeiten aus?<br />
Sowohl nach deutschen wie auch internationalen Studien<br />
erbringen sie im Durchschnitt höhere fachliche Leistungen<br />
in Regelklassen. Sie machen auch eine positivere<br />
soziale Entwicklung bei gemeinsamem Unterricht. Diese<br />
Durchschnittswerte setzen sich allerdings aus vielen breit<br />
streuenden Einzelbefunden zusammen. Das verweist auf<br />
die Bedeutung der Rahmenbedingungen und bedeutet<br />
für Eltern, im Einzelfall genau hinzuschauen: Was braucht<br />
mein Kind, wie sieht es in der konkreten Einrichtung aus.<br />
Können Förderschulen Kinder mit gleichen Schwierigkeiten<br />
in den Kleingruppen nicht doch besser fördern?<br />
In der Regel nicht – trotz bester Bemühungen. Aber es<br />
fehlen die Anregungen durch leistungsstärkere Schüler/<br />
innen. Zudem senken viele Lehrer/innen in Förderschulen<br />
das Anspruchsniveau ihrer Aufgaben und haben geringere<br />
Leistungserwartungen.<br />
Leidet nicht das Selbstwertgefühl leistungsschwacher<br />
Schüler/innen im gemeinsamen Unterricht?<br />
Beim Wechsel auf die Sonder-/Förderschule atmen manche<br />
Kinder anfangs auf. Aber diese Wirkung lässt bald<br />
nach. In der neuen Lerngruppe bildet sich rasch eine<br />
neue Rangordnung heraus. Zum anderen verliert ein höherer<br />
interner Rang an Wert, wenn den Kindern das niedrige<br />
Ansehen der ganzen Einrichtung bewusster wird.<br />
Und wo bleiben die leistungsstarken Schüler/innen<br />
in einem gemeinsamen Unterricht?<br />
Sie werden dann unterfordert, wenn sich der Unterricht<br />
am niedrigeren Durchschnitt oder gar an den Leistungsschwächsten<br />
orientiert. Gemeinsamer Unterricht bedeutet<br />
aber nicht Gleichschritt. Er lebt von der Öffnung für individuelle<br />
Voraussetzungen und Möglichkeiten. Wenn im<br />
Unterricht versucht wird, jedem einzelnen Kind gerecht<br />
zu werden, profitieren alle Kinder.<br />
Aber werden die behinderten Kinder nicht leicht<br />
zu Außenseitern?<br />
In allen Gruppen gibt es mehr oder weniger beliebte<br />
Kinder. Anlass können auch äußere Auffälligkeiten sein.<br />
Entscheidend ist aber die Persönlichkeit – und wie die Besonderheiten<br />
eines jeden Kindes in einer Klasse bewertet<br />
werden. Dabei spielt die Lehrperson eine wichtige Rolle.<br />
Sie ist wesentlich an der Entwicklung gültiger Normen<br />
beteiligt. So hat gerade der gemeinsame Unterricht oft<br />
positive Wirkungen auf die Entwicklung sozialer Verhaltensweisen.<br />
Siehe ausführlicher das Video-Interview mit Hans Brügelmann<br />
und die Zusammenfassung der empirischen Befunde<br />
von Demmer-Dieckmann / Preuss-Lausitz (2008)<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
04 • Februar 2012 7
Informationen & Lesetipps<br />
Gemeinsamer Unterricht – Erfahrungen aus der Praxis<br />
Vielfältige Einblicke bieten Themenhefte<br />
von Zeitschriften z. B. mit dem<br />
Schwerpunkt Vorschule »Inklusion<br />
statt Integration!« (Theorie und Praxis<br />
der Sozialpädagogik 1/2011) und<br />
für die Grundschule »Integration,<br />
Inklu sion, gemeinsamer Unterricht«<br />
(Grundschulzeitschrift Nr. 230/2009).<br />
Zur Vertiefung eignen sich besonders<br />
die Bände<br />
Inklusive Schule<br />
P. Thoma / C. Rehle<br />
Erschienen: 2009<br />
Verlag: Klinkhardt<br />
Preis: 18,90 Euro<br />
Eine eindrucksvolle Dokumentation<br />
der besonderen Chancen gemeinsamen<br />
Unterrichtes, aber auch seiner<br />
hohen Anforderungen zeigt der Film<br />
»Klassenleben«<br />
H. Siegert<br />
DVD, 87 Min.<br />
Bezug über: www.klassenleben.de<br />
Preis: 16,00 Euro<br />
In einer integrativen fünften Klasse<br />
der Berliner Fläming-Schule lernen<br />
u. a. lernbehinderte Schüler, eine<br />
schwerst mehrfachbehinderte Schülerin<br />
sowie ein Schüler mit Hochbegabung<br />
gemeinsam.<br />
Kinderbücher zum Thema<br />
Ein Bilderbuch über Tiere, die nicht<br />
»vollständig« sind, macht Kindern die<br />
Bedeutung von »Anderssein« auf indirektem<br />
Wege zugänglich:<br />
Was soll ich da erst sagen?<br />
M. Baltscheit, A. Drescher<br />
Erschienen: 2011<br />
Verlag: Bajazzo<br />
Preis: 14,90 Euro<br />
Alle sind verschieden.<br />
Auf dem Weg zur Inklusion<br />
in der Schule<br />
J. Schöler<br />
Erschienen: 2009<br />
Verlag: Beltz<br />
Preis: 29,95 Euro<br />
Eine »Übersetzung« der UN-Behindertenrechtskonvention<br />
in einer einfach<br />
lesbaren Form findet sich unter:<br />
www.lebenshilfe.de/wDeutsch/<br />
in_leichter_sprache/downloads/<br />
Kurzfassung_UN_Konvention_in_<br />
Leichter_Sprache.pdf<br />
Ergänzende Materialien und Kommentare,<br />
siehe .<br />
Mit dem »Jakob-Muth-Preis« werden<br />
»inklusive Schulen« ausgezeichnet,<br />
die sich in besonderer Weise für den<br />
gemeinsamen Unter richt engagiert<br />
haben:<br />
www.bertelsmann-stiftung.de ➝<br />
Suchwort: Jakob Muth<br />
Beispielfilme zu den Preisträgern der<br />
Vorjahre finden Sie auf Youtube:<br />
➝ Eingabe: Gesamtschule Linden<br />
➝ Eingabe: Inklusive Schule 2010<br />
Sehr einfühlsam und fair in der Darstellung<br />
unterschiedlicher Sichtweisen<br />
schildert der Film »Ich bin Sam« den<br />
Kampf eines behinderten Vaters (Sean<br />
Penn) um das Sorgerecht für seine<br />
ihm geistig überlegene Tochter: http://<br />
de.wikipedia.org/wiki/Ich_bin_Sam<br />
Missverständnis<br />
Kürzlich erzählte ein Kollege engagiert<br />
von seinen »fünf Inklusionskindern«.<br />
Er war sehr irritiert, als er<br />
gefragt wurde, ob seine Klasse wirklich<br />
nur aus fünf Kindern bestünde<br />
… Sein Missverständnis: Anders als<br />
in der integrativen Schule reicht es<br />
für Inklusion nicht, »die anderen« in<br />
die Gruppe »der Normalen« aufzunehmen.<br />
So wichtig dieser Schritt<br />
war: Inklusion fordert mehr: jede<br />
und jeden Einzelnen als besonders<br />
wahrzunehmen. Damit verändert<br />
sie den Blick auf alle – und verlangt<br />
eine Öffnung des Unterrichts für individuelle<br />
Lernwege.<br />
Ein Geburtstag<br />
D. Meißner-Johannknecht,<br />
M. Kemmler<br />
Erschienen: 2007<br />
Verlag: Bajazzo<br />
Preis: 14,90 Euro<br />
Die Autorin schildert die Geburtstagsvorbereitungen<br />
eines Jungen für sich<br />
und seinen schwerbehinderten Zwillingsbruder.<br />
Eine Liste mit weiteren Empfehlungen<br />
haben wir auf unserer Homepage zusammengestellt<br />
➝ .<br />
Um sich in die Lage von Menschen mit<br />
besonderen Behinderungen hineinzuversetzen,<br />
sind autobiografische Berichte<br />
besonders hilfreich ➝ .<br />
8 04 • Februar 2012
Die Not mit den Noten<br />
Die Klasse hat einen Aufsatz geschrieben. Fünf Kinder<br />
haben dieselbe Note bekommen: eine 3. Mario entwickelt<br />
eine originelle Idee, zeigt aber einige Unklarheiten<br />
im Aufbau und die Zahl der Rechtschreibfehler liegt<br />
deutlich über dem Durchschnitt der übrigen Kinder.<br />
Sarahs Geschichte ist gut nachvollziehbar, aber etwas<br />
langweilig, zudem sind einige Schwächen im Ausdruck<br />
anzumerken. Die Arbeiten von Pedro, Larissa und Ria zeigen<br />
ähnliche Stärken und Schwächen. Ria schreibt sonst<br />
aber viel bessere Texte, schon die frühe Abgabe und das<br />
äußere Erscheinungsbild zeigen, dass sie sich dieses Mal<br />
nicht viel Mühe gegeben hat. Pedros Geschichte dagegen<br />
überrascht positiv, vor allem im Stil sind deutliche<br />
Fortschritte gegenüber früheren Texten erkennbar. Larissas<br />
Note entspricht den Erwartungen, allerdings macht<br />
sie mehr Ausdrucksfehler als sonst; demgegenüber ist es<br />
ihr besser gelungen, den Ablauf der Handlung nachvollziehbar<br />
darzustellen.<br />
Fünf Kinder – dieselbe Note – aber ganz unterschiedliche<br />
Leistungen. Ist das gerecht? Vor allem, wenn man<br />
überlegt, was eine »Leistung« eigentlich ausmacht: eine<br />
brillantere Geschichte zu schreiben als andere, wenn<br />
man besonders sprachbegabt ist und aus einer Familie<br />
kommt, in der viel gelesen wird – oder einen sprachlich<br />
weithin normgerechten Text zu verfassen, wenn zu Hause<br />
kaum Deutsch gesprochen wird?<br />
Hinzu kommt, dass sich die Benotung einer Leistung<br />
leicht ändern kann, wenn Kinder die Klasse wechseln<br />
oder eine neue Lehrerin bekommen. »Gerecht«, weil<br />
Zahlen so neutral aussehen? (s. ausführlicher ➝ Nr. 4).<br />
Tipp<br />
»Inklusion« war Thema<br />
des vorhergehenden Kapitels.<br />
Der Kinofilm »Berg<br />
Fidel – eine Schule für<br />
alle« dokumentiert lebendig<br />
Erfahrungen mit<br />
gemeinsamem Lernen in<br />
einer Münsteraner Grundschule.<br />
Im März erscheint<br />
er als DVD: www.bergfidel.<br />
wfilm.de/berg_fidel/DVD.<br />
html<br />
Liebe Eltern,<br />
Noten sind aus vielen Gründen problematisch (s. den<br />
Überblick über die Forschung S. 10). Andere Formen der<br />
Leistungsbeurteilung (s. S. 11) können diese Probleme<br />
aber nur teilweise lösen.<br />
Der Grund: In unserem Schulsystem geht es nicht nur um<br />
Förderung, sondern auch um Auslese. Zurückstellung<br />
am Schulanfang; Versetzung oder Klassenwiederholung;<br />
Überweisung auf separate Förderschulen; Verzweigung<br />
der Wege nach Klasse 4 auf unterschiedlichste weiterführende<br />
Schulen, insbesondere die Zulassung zu den<br />
begrenzten Plätzen im Gymnasium erzwingen einen<br />
Vergleich der Leistungen untereinander. Selbst wenn<br />
alle Kinder gesetzte Lernziele erreichen, werden Lehrer/<br />
innen gezwungen, Rangplätze zu vergeben – zum Beispiel<br />
indem sie Aufgaben in Klassenarbeiten schwerer<br />
machen, bis sich die Leistungen wieder nach der Glockenkurve<br />
verteilen (vgl. den »Fall Czerny« in Bayern ➝<br />
Nr. 1c).<br />
Das steht zwar im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben,<br />
wie sie die Kultusministerkonferenz bereits 1968<br />
vereinbart hat, als sie die Notenstufen auf das Erreichen<br />
inhaltlicher Anforderungen bezog. Aber die Praxis sieht<br />
meist anders aus. Und das liegt an den Auslesezwängen<br />
unseres Schulsystems. Wenn wir über Noten reden, geht<br />
es also nicht nur um Verfahren und Formen der Beurteilung<br />
– so wichtig deren Verbesserung ist (vgl. das Konzept<br />
der »Pädagogischen Leistungskultur« des Grundschulverbands<br />
➝ Nr. 1c). Wir müssen auch über die<br />
Strukturen unseres Schulsystems sprechen. Damit sind<br />
wir wieder beim Thema unseres Heftes 4: längeres gemeinsames<br />
Lernen und Inklusion. Hier sind klare bildungspolitische<br />
Entscheidungen nötig – und eine entsprechende<br />
Unterstützung derjenigen, die sie vor Ort<br />
umsetzen sollen. Richtlinien und Lehrpläne, die einerseits<br />
Individualisierung fordern und andererseits gleiche<br />
Leistungsanforderungen für alle zum selben Zeitpunkt<br />
(»Regelstandards«) vorgeben, bringen Lehrer/innen in<br />
ein unauflösbares Dilemma.<br />
08 • Februar 2013 9
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Was leisten Noten – nicht?<br />
Mit Noten werden besondere Ansprüche verbunden, die<br />
sie nicht besser einlösen als Alternativen wie Entwicklungsberichte<br />
(vgl. zusammenfassend ➝ Nr. 5 und<br />
ausführlich zur Forschung ➝ Nr. 3):<br />
●●<br />
Noten sind nicht eindeutig. Differenzierte Leistungsprofile<br />
in einem Fach schrumpfen auf eine Ziffer, die<br />
für sehr Unterschiedliches stehen kann (vgl. S. 9).<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Noten sind nicht objektiv. Verschiedene Lehrer/innen<br />
beurteilen dieselbe Leistung unterschiedlich – selbst<br />
in einem scheinbar objektiven Fach wie Mathematik.<br />
Noten sind nicht verlässlich. Selbst dieselbe Lehrperson<br />
beurteilt dieselbe Leistung unter anderen Bedingungen<br />
oft anders.<br />
Noten sind über Klassengrenzen hinweg nicht vergleichbar.<br />
Sie orientieren sich am Klassenmittelwert<br />
und sind deshalb nicht fair.<br />
Noten erlauben keine Vorhersage des weiteren Schuloder<br />
gar Berufserfolgs.<br />
Noten sind nicht informativ – insbesondere, was die<br />
notwendige Förderung betrifft. Sie bewerten den aktuellen<br />
Stand, geben aber keine Hinweise, wo genau<br />
was zu tun ist.<br />
Noten schaden der inhaltlichen Motivation – auch der<br />
der leistungsstarken Kinder, da diese sich für gute<br />
Noten nicht anstrengen müssen. Noten lenken den<br />
Blick vom Sachinteresse auf Fremdbelohnung – und<br />
sie gehören (wie die Angst vor Nichtversetzung) zu<br />
den häufigsten Ängsten von Kindern.<br />
Auch die Alternativen leiden unter einigen dieser Schwächen,<br />
dennoch haben sie ganz entscheidende Vorzüge.<br />
Zwar sind Entwicklungsberichte nicht objektiver und<br />
auch nicht verlässlicher, da sie wie Noten auch vom Lehrerurteil<br />
abhängen. Aber sie machen dessen Subjektivität<br />
sichtbar und damit diskutierbar – sofern die Ziffern<br />
nicht lediglich in Verbalformeln übersetzt werden. Dann<br />
können sie informativer sein und verdeutlichen, unter<br />
welchen Bedingungen Leistungen zustande gekommen<br />
sind. Vor allem können sie konkrete Hinweise für die<br />
nächsten Schritte geben.<br />
Ergebnisse einer Umfrage des<br />
Deutschen Kinderschutzbunds<br />
… zum Stress in der Grundschule sind hier<br />
zusammengefasst:<br />
www.focus.de/wissen/diverses/druck-in-dergrundschule-viele-kinder-spueren-schon-in-dergrundschule-stress_aid_865423.html<br />
(bzw. www.focus.de > bei Suchfunktion eingeben:<br />
Druck in der Grundschule Stress)<br />
Ganz fremd?<br />
Trifft der Pudel seinen Freund, den Dackel.<br />
„Was schaust du denn so traurig?“, fragt er ihn.<br />
Antwort: „Ich bekomme jetzt so lange eine Fünf, bis<br />
ich ein Schäferhund bin…“<br />
(Idee: Ernst Böse)<br />
Aber warum haben sich Noten dann so lange gehalten?<br />
Sie sind den Betroffenen seit Jahrzehnten vertraut. Sie<br />
lassen sich mit geringem Aufwand vergeben. Sie ermöglichen<br />
ein »Ranking«, wie es die problematischste Funktion<br />
der Schule, die Auslese, erfordert. Und sie erscheinen<br />
vielen schon in der Grundschule notwendig, weil es in<br />
den weiterführenden Schulen Noten gibt.<br />
Dabei könnte man überall dort ohne Probleme auf Ziffernnoten<br />
verzichten, wo der Elternwille bei der Schulwahl<br />
nach Klasse 4 entscheidet. Dann wäre für die Eltern,<br />
aber auch für die aufnehmende Schule eine verbale<br />
Rückmeldung zu den Leistungen und Lernentwicklungen<br />
der Kinder hilfreicher.<br />
Schulen ohne Noten<br />
in anderen Ländern<br />
Viele Länder geben in der Grundschule, oft sogar<br />
weit darüber hinaus, keine Noten. Sie sind nicht nötig,<br />
weil die Kinder in diesen Ländern länger gemeinsam<br />
lernen. Auch Sitzenbleiben und Aussonderung sind<br />
seltener. Unter diesen Ländern sind bei PISA bzw. IGLU<br />
erfolgreiche Schulsysteme wie die skandinavischen,<br />
vor allem Finnland, und Südtirol in Italien.<br />
Aber auch in einigen dieser Länder schwankt die<br />
Politik – je nachdem, welche Partei an die Regierung<br />
kommt (z. B. in England und in Schweden).<br />
Mehr dazu ➝ Nr. 8 »Internationale Vergleiche«.<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />
Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
10 08 • Februar 2013
Tests oder Texte –<br />
welche Alternativen gibt es für Noten?<br />
Viele sehen in Tests die Lösung für die Probleme des fehleranfälligen<br />
Lehrerurteils. Die Aufgaben, ihre Durchführung<br />
und ihre Auswertung sind standardisiert. Also sollten<br />
die Ergebnisse objektiv, eindeutig und vergleichbar<br />
sein. Leider ist dem nicht so.<br />
Aufgabentexte müssen gelesen werden, also wird z. B.<br />
in Mathematik auch die Lesefähigkeit mitgetestet. Schüler/innen<br />
können Aufgaben unterschiedlich verstehen.<br />
Oder sie kreuzen eine Antwort aus anderen Gründen<br />
an, als der Test unterstellt. Für »falsche« Lösungen kann<br />
es gute Gründe geben (vgl. die Beispiele in ➝ Nr. 6).<br />
Aber auch eine »richtige« Lösung kann auf verschiedene<br />
»Kompetenzen« verweisen: intelligente Problemlösung;<br />
Wissenstransfer aus ähnlichen, geübten Aufgaben; Abruf<br />
einer angelernten Lösung; geschicktes Raten.<br />
Um nicht in die Notenfalle zu geraten, haben sich einige<br />
Vorkehrungen als nützlich erwiesen:<br />
●●<br />
Wie beim Autoführerschein entscheiden die Kinder<br />
selbst, wann sie sich welchen Teilprüfungen stellen<br />
wollen.<br />
●●<br />
In einem Raster mit konkreten Lernzielen wird vermerkt,<br />
wann ein Kind welche (Teil-)Leistungen erbracht<br />
hat.<br />
Selbst- und Fremdeinschätzung im Dialog<br />
Lerngespräch statt Ziffernzeugnis<br />
Tests sind zudem punktuelle Leistungssituationen: Der<br />
eine kann mit dem Zeitdruck besser umgehen als andere.<br />
Ob jemand einen »guten« oder »schlechten« Tag<br />
hat, beeinflusst, ob er bzw. sie vorhandenes Wissen und<br />
Können abrufen kann. In größeren Gruppen gleichen<br />
sich solche Abweichungen ein Stück weit aus. Für Urteile<br />
über einzelne Personen sind Tests dagegen zu fehleranfällig.<br />
Sie bieten Lehrer/inne/n zusätzliche Daten, können<br />
deren Urteil aber nicht ersetzen, sondern lediglich die<br />
Basis für dieses Urteil erweitern.<br />
Bleiben ausformulierte Berichte. Verbale Beurteilungen<br />
sind nicht objektiver als Noten. Aber sie beanspruchen<br />
dies auch nicht – dafür machen sie die Subjektivität des<br />
Lehrerurteils durchsichtig und diskutierbar. Allerdings ist<br />
es nicht damit getan, Ziffern durch Wörter zu ersetzen.<br />
●●<br />
●●<br />
In solchen Rastern schätzen die Kinder sich gelegentlich<br />
selbst ein, ehe die Lehrperson ihre Beurteilung<br />
einträgt – Anlass für ein gemeinsames Bilanzgespräch,<br />
evtl. zusammen mit den Eltern.<br />
Leistungen werden nicht nur im Blick auf die allgemeinen<br />
Anforderungen, sondern auch mit Bezug auf die<br />
individuellen Voraussetzungen bewertet – mit Hinweisen<br />
auf sinnvolle »nächste Schritte« (sensibel geschriebene<br />
Entwicklungsberichte finden sich in dem<br />
Buch von Bambach, s. S. 12). Wie man mit dem bestehenden<br />
Notenzwang noch einigermaßen erträglich<br />
umgehen kann, zeigen die Beispiele ➝ Nr. 7).<br />
Ohne Noten keine Leistung?<br />
In einer Hamburger Studie von (LAU-Studie von Lehmann<br />
u. a. 1997) wurden die Leistungen am Ende der<br />
Grundschulzeit mit standardisierten Tests verglichen.<br />
In Klassen mit Noten waren sie nicht besser als in denen,<br />
die Kindern eine individuelle Rückmeldung gegeben<br />
hatten. Und selbst bei denselben Noten hatten Kinder<br />
aus bildungsnahen Familien eine höhere Chance auf<br />
das Gymnasium zu kommen als Unterschichtskinder.<br />
Ein weiteres Problem unseres selektiven auf Noten<br />
basierenden Schulsystems. Mehr dazu ➝ Nr. 3<br />
08 • Februar 2013 11
Informationen & Lesetipps<br />
Erziehung in Familie und Schule<br />
Ein sehr persönlich geschriebener,<br />
engagierter, zugleich aber auch differenzierter<br />
Elternratgeber, der auf zu<br />
simple Vereinfachungen verzichtet:<br />
Warum es nicht so schlimm ist, in<br />
der Schule schlecht zu sein: Schulschwierigkeiten<br />
gelassen meistern<br />
Heidemarie Brosche / Björn Maier<br />
Erschienen: 2008<br />
Verlag: Kösel<br />
Preis: 16,95 Euro<br />
Ermutigungen, Nicht Zensuren.<br />
Ein Plädoyer in Beispielen<br />
Heide Bambach<br />
pädagogische Diskussion zur Leistungsbeurteilung<br />
insgesamt gibt die<br />
Expertise<br />
Sind Noten nützlich und nötig?<br />
Arbeitsgruppe Primarstufe<br />
Erschienen: 2005<br />
Verlag: Grundschulverband<br />
Preis: 18,00 Euro<br />
Weitere Literaturempfehlungen für<br />
Eltern finden sich ➝ Nr. 1<br />
Geschichten für Kinder<br />
zum Thema<br />
Schokolade und<br />
andere Geheimnisse<br />
Heike Brandt / Susanne Göhlich<br />
Heißer Tipp:<br />
Hör-Geschichten für Kinder,<br />
gesprochen von Profis wie<br />
Anke Engelke, kostenlos herunter -<br />
zuladen unter www.ohrka.de<br />
(OHRA – Netzwerk Hörmedien<br />
für Kinder e. V.)<br />
wie sie sein kann, wenn Lehrer/innen<br />
Unterricht und Klassenleben gemeinsam<br />
mit den Kindern gestalten.<br />
Verkleidet in eine Geschichte ist dieser<br />
Lernhelfer für Kinder, die Schwierigkeiten<br />
damit haben, sich und ihre<br />
Arbeit für die Schule zu organisieren:<br />
Gute Noten mit Frau Ulkig – oder:<br />
Was hilft die Noten zu verbessern<br />
Anette Neubauer/ Mirella Fortunato<br />
Erschienen: 2008<br />
Verlag: Albarello<br />
Preis. 10,90 Euro<br />
Konkrete Alternativen<br />
zu Ziffernnoten<br />
Erschienen: 1994<br />
Verlag: Libelle<br />
Preis: 14,80 Euro<br />
Eindrucksvolles Plädoyer einer Lehrerin,<br />
die viele Jahre ohne Noten unterrichtet<br />
hat – mit überzeugenden Beispielen<br />
aus ihren Klassen.<br />
Einen systematischen Überblick über<br />
die Forschung zu Noten und über die<br />
Erschienen: 2011<br />
Verlag: Gerstenberg<br />
Preis: 2,95 Euro<br />
Eine spannende, einfühlsam erzählte<br />
Geschichte über Lügen, Geheimnisse<br />
und den Leistungsdruck, den manche<br />
Eltern auf ihre Kinder ausüben, vor allem<br />
beim Übergang auf das Gymnasium<br />
– aber auch über Grundschule,<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.grundschulverband.de/veroef<br />
fentlichungen/mitgliederbaende/<br />
12 08 • Februar 2013
Schulwechsel:<br />
Welche Schule ist gut für unser Kind?<br />
Foto: Bert Butzke<br />
Pädagog/inn/en sind sich in dieser Frage nicht einig. Das<br />
zeigt schon die große Breite an Reformschulen: Es gibt<br />
Waldorfschulen, Montessori-Pädagogik, den Jena plan<br />
von Petersen, die Freinet-Kooperative und noch viele andere<br />
freie Schulen.<br />
Auch Eltern haben unterschiedliche Erwartungen.<br />
Schulen, die alle Wünsche erfüllen, gibt es nicht. Eltern<br />
können aber prüfen, ob sich eine Schule ernsthaft bemüht,<br />
ihren Ansprüchen gerecht zu werden. Lassen Sie<br />
sich also nicht durch Hochglanzbroschüren blenden,<br />
schauen Sie hinter die Fassade. Gleichzeitig gilt: Selbst in<br />
einer durchschnittlichen Schule kann es Ihrem Kind gut<br />
gehen. Denn letztlich kommt es auf die konkreten Personen<br />
an, mit denen es täglich zu tun hat: Lehrer, Mitschüler<br />
– und auch Sie als Eltern.<br />
Für den Alltag wichtig sind praktische Bedingungen:<br />
Wie weit ist der Schulweg? Kann Ihr Kind mit Freunden,<br />
mit Nachbarskindern auf diese Schule gehen? Gibt es Betreuungsmöglichkeiten?<br />
Prüfen Sie, welches pädagogische Konzept eine Schule<br />
hat – und was im Alltag hinter ihren Mauern passiert.<br />
Meldung<br />
Das Land Baden-Württemberg hat die bindende<br />
Empfehlung der Grundschule zugunsten einer Elternwahl<br />
der weiterführenden Schule gekippt. Obwohl<br />
es Hinweise gibt, dass die Lehrerempfehlungen<br />
– allerdings nur schwach – prognostisch sicherer sind<br />
(nachzu lesen zum Beispiel bei Hartmut Ditton) ist<br />
dies die richtige Entscheidung. Nutzen Sie aber die<br />
Möglichkeit, sich beraten zu lassen!<br />
Folgende Punkte sprechen für eine »gute Schule«:<br />
Die Kinder gehen gerne zur Schule<br />
1 Wecken die Lehrer/innen Lust aufs Lernen und die<br />
Bereitschaft, sich anzustrengen – statt unnötig Druck<br />
auszuüben? Fällt Unterricht aus, sollte dies nicht als Erlösung<br />
erlebt werden – und das Ende der Ferien nicht als<br />
Graus, der Bauchschmerzen und Schlaflosigkeit auslöst.<br />
2<br />
Foren<br />
… mit interessanten Beiträgen und Diskussionen<br />
zum Thema »gute Schule« gibt es viele.<br />
Neben www.guteschule.eu/ erscheinen uns die<br />
folgenden besonders interessant – vor allem wegen<br />
der konkreten Beispiele »guter Schulen«:<br />
www.adz-netzwerk.de<br />
www.BlickueberdenZaun.de<br />
www.starke-grundschulen.de/school_map.cgi<br />
www.schulen-der-zukunft.org/<br />
Die Schule fordert und fördert Leistung<br />
Allen Kindern werden anspruchsvolle Aufgaben gestellt<br />
– bezogen auf ihr jeweiliges Können. Die Anforderungen<br />
sind für Schüler/innen und Eltern durchsichtig.<br />
Die Schule rühmt sich nicht nur ihrer Preisträger und<br />
Stars – sie hat auch eine niedrige Quote an Wiederholern<br />
und nur wenige Abgänge in niedrigere Schulformen. Besondere<br />
Neigungen und Begabungen finden ihren Ort in<br />
Chor, Mathematik-AG, Orchester, Erfinder-, Theater- oder<br />
Sportgruppen, in Angeboten für Praktika und in internationalen<br />
Austauschprogrammen.<br />
Bei Problemen erhalten Schüler/innen Hilfe<br />
3 Der Unterricht nimmt Rücksicht auf unterschiedliche<br />
Voraussetzungen. Bei schwachen Leistungen werden<br />
Schüler/innen nicht bloßgestellt. Rückmeldungen beschränken<br />
sich nicht auf Noten. Unter Schülerarbeiten<br />
stehen hilfreiche Kommentare, statt Ziffernzeugnissen<br />
gibt es Informationen zur Lernentwicklung. An Sprechtagen<br />
(und möglichst öfter …) finden Beratungsgespräche<br />
mit Eltern und Schulkindern statt.<br />
(Fortsetzung S. 14)<br />
03 • November 2011 13
(Schulwechsel …, Fortsetzung von S. 13 )<br />
4<br />
Lehrer/innen respektieren ihre Schüler/innen<br />
Die UN-Kinderrechtskonvention gilt auch für und<br />
in Schulen. Darum sind Schüler/innen über Klassen räte,<br />
Schülerparlament und Streitschlichterprogramm an<br />
wichtigen Entscheidungen zu beteiligen. Auch im Unterricht<br />
können Kinder mitbestimmen. Innerhalb von Rahmenthemen<br />
sollten sie entscheiden können, was und wie<br />
sie lernen.<br />
Statt gleichschrittigem Arbeiten nach Vorgabe werden<br />
zwischen Lehrer/in und Schulkind gemeinsam die nächsten<br />
Lernschritte überlegt und in Vereinbarungen festgehalten.<br />
Für den Umgang gibt es klare Vereinbarungen<br />
5 Regeln werden nicht einfach vorgegeben, sondern<br />
gemeinsam entwickelt – bis hin zu »Verträgen« mit Einzelnen.<br />
Sie gelten auch für die Lehrer/innen (z. B. »Nicht<br />
dazwischen reden!«, »Pünktlich sein!«).<br />
6<br />
Die Schule ist auch als Lebensort gestaltet<br />
Im Gebäude fühlt man sich wohl: »Der Raum ist der<br />
dritte Pädagoge«. Nicht nur Schüler/innen, sondern auch<br />
Lehrer/innen können dort arbeiten. Lässt die Ausstattung<br />
(Bilder! Plakate!) ein Wir-Gefühl und einen Einblick in den<br />
Schulalltag erkennen oder dienen Ausstellungen eher der<br />
Selbstdarstellung? Besucher/innen werden in den Sprachen<br />
der Schüler/innen begrüßt, Hinweisschilder helfen<br />
zu einer raschen Orientierung, Informationen am Schwarzen<br />
Brett sind aktuell. Die Wände sind nicht verdreckt,<br />
sondern ästhetisch ansprechend gestaltet, Schaukästen<br />
nicht verstaubt. Auf den Fluren und dem Schulhof liegt<br />
Die Wartburg-Grundschule in Münster – eine pädagogisch<br />
wie architektonisch besondere Schule!<br />
kein Unrat herum, und die Toiletten schrecken nicht von<br />
ihrer Nutzung ab. Generell, vor allem in Ganztagsschulen:<br />
Gibt es auch Freizeit- und Rückzugsmöglichkeiten?<br />
7<br />
Die Schule ist keine pädagogische Insel<br />
Es gibt Kontakte in den Stadtteil, Kooperationen mit<br />
anderen Einrichtungen wie Sportvereinen, Bibliotheken,<br />
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die pädagogischen<br />
Aktivitäten hören nicht am Zaun des Schulhofs<br />
auf: Projekte ermöglichen Recherchen außerhalb; sachkundige<br />
Erwachsene werden eingeladen, um den Unterricht<br />
mit ihren persönlichen Erfahrungen, ihrem fachlichen<br />
Wissen und Können zu bereichern.<br />
8<br />
Lehrer/innen sind keine Einzelkämpfer<br />
Sie arbeiten in Teams zusammen und besuchen regelmäßig<br />
Fortbildungen. Gemeinsam mit Schulkindern,<br />
Eltern und weiteren Beteiligten haben sie ein Schulpro-<br />
Foto: Stadt Münster<br />
Klassenrat – eine Versammlung, um gemeinsame Anliegen zu besprechen und demokratisch zu entscheiden<br />
Foto: Simone Knorre<br />
14 03 • November 2011
gramm erarbeitet. Seine Umsetzung wird regelmäßig<br />
überprüft. Die ganze Schule versteht sich als lernende<br />
Einrichtung.<br />
9<br />
Eltern arbeiten aktiv in der Schule mit<br />
Eltern unterstützen die Arbeit der Schule über einen<br />
Förderverein. Sie sind nicht nur als Kuchenbäcker für<br />
Schulfeste oder beim Basteln für den Weihnachtsbasar<br />
gefragt. Ihr Engagement in Gremien und ihre Hospitation<br />
im Unterricht werden gefördert.<br />
10<br />
Fühlen Sie selbst sich in der Schule wohl?<br />
Bitten Sie die Schulleitung um ein Gespräch.<br />
Schon deren Bereitschaft ist ein wichtiges Zeichen für<br />
eine gute Schule.<br />
Zur Vorbereitung können Sie Unterlagen aus der<br />
Selbst- oder Fremdevaluation erfragen (Schülerbefragungen,<br />
Lernstandserhebungen, Schulinspektion). Besuchen<br />
Sie außerdem Informationsabende und »Tage der<br />
offenen Tür«. Lassen Sie sich dabei von einem Schulkind<br />
begleiten und die Räume aus dieser Sicht zeigen und erklären.<br />
Sprechen Sie mit anderen Eltern oder mit ehemaligen<br />
Schulkindern aus Ihrer Nachbarschaft.<br />
Eine gute Schule hat ein »Gesicht«. Sie hat gemeinsame<br />
Ziele, für die sich alle Beteiligten gemeinsam einsetzen.<br />
Auch gegen Widerstände.<br />
Aber denken Sie daran: Keine Schule kann alle<br />
Ansprüche erfüllen. Wenn es Schwierigkeiten gibt:<br />
Suchen Sie das Gespräch mit den Lehrpersonen. Ob es<br />
Ihrem Kind gut geht, hängt zum großen Teil auch von<br />
Ihnen ab …<br />
Was können Eltern für einen guten Übergang tun?<br />
●●<br />
Achten Sie auf die besonderen Stärken und Neigungen<br />
Ihres Kindes. Respektieren Sie aber auch seine Grenzen.<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Nutzen Sie die Flexibilität des Systems – soweit gegeben.<br />
Ihr Kind kann die Schule wechseln, aber auch die<br />
Schulform. Höhere Abschlüsse lassen sich auch nachholen.<br />
Bedenken Sie: Auch eine »gute Schule« besteht nicht<br />
nur aus »guten« Lehrpersonen.<br />
Stehen Sie hinter Ihrem Kind, wenn es Schwierigkeiten<br />
hat. Nehmen Sie aber auch die Überlegungen der Lehrer/innen<br />
ernst und bleiben Sie fair.<br />
»Eine Schule ist gut, wenn Schüler traurig sind,<br />
dass Unterricht ausfällt.«<br />
(Pädagogenweisheit)<br />
Foto: Bert Butzke<br />
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Entscheidung über die weiterführende Schule<br />
Den Übergang am Ende der Grundschulzeit erleben alle<br />
Beteiligten als schwierige Phase. Denn alle Bundesländer<br />
verlangen nach der Grundschule die Aufteilung der Kinder<br />
auf verschiedene Schularten. Rechtlich stellt sich die Frage:<br />
●●<br />
Wer sollte und wer darf über den Zugang zu den Schularten<br />
entscheiden?<br />
Das Verfahren ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.<br />
Auch innerhalb der Länder ändern sich Regeln.<br />
Zurzeit ist der Trend, das Elternrecht zu stärken (siehe im<br />
Einzelnen zu den Regelungen ➝ ).<br />
Konkret sagt die Forschung:<br />
●●<br />
Die Übergangsempfehlungen von Lehrer/innen sind<br />
sehr unsicher. Vor allem bevorteilen sie bei gleichen<br />
Leistungen Kinder aus höheren sozialen Schichten.<br />
●●<br />
Die Prognosen von Tests sind ebenfalls nicht verlässlich<br />
genug. Schulerfolg lässt sich bei Zehnjährigen<br />
nicht vorhersagen.<br />
●●<br />
Selbst ein späterer Zeitpunkt des Übergangs – z. B.<br />
nach Klasse 6 (wie in Berlin und Brandenburg) – verbessert<br />
die Treffsicherheit der Vorhersagen nicht.<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Deshalb wäre es besser, wenn Schüler/innen länger<br />
gemeinsam lernen könnten. Lernen in leistungsgemischten<br />
Gruppen ist kein Nachteil.<br />
Solange das nicht möglich ist, sollten Eltern und Kinder<br />
entscheiden.<br />
Allerdings schlägt dann die soziale Herkunft noch stärker<br />
durch als beim Lehrervotum.<br />
Deshalb sollte die Beratung mit Lehrer/innen beider<br />
Schulstufen gesucht werden.<br />
(siehe ergänzend zu einzelnen Fragen das Video-Interview<br />
und die Nachweise unter )<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen,<br />
erfahren Sie Näheres auf<br />
www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
03 • November 2011 15
Informationen & Lesetipps<br />
Was ist eine gute Schule?<br />
Zu dieser Frage haben mehrere Zeitschriften<br />
eigene Themenhefte herausgebracht.<br />
Sie benennen eigene<br />
Kriterien, stellen aber auch interessante<br />
Beispiele vor, z. B.<br />
SPIEGEL-Wissen Mai 2011,<br />
GEO-Wissen November 2009,<br />
STERN Ratgeber Bildung 1/2010.<br />
Zwei kürzlich erschienene Bücher<br />
wählen einen ähnlichen Ansatz. Bei<br />
ihren Schulporträts gehen sie aber<br />
mehr in die Tiefe:<br />
Die gute Schule.<br />
Wo unsere Kinder gerne lernen<br />
C. Füller<br />
Erschienen: 2009<br />
Verlag: Pattloch<br />
Preis: 16,95 Euro<br />
Lernen geht auch anders.<br />
Reformschulen sind die bessere<br />
Alternative<br />
H. Papenfuss<br />
Erschienen: 2009<br />
Verlag: Patmos<br />
Preis: 16,90 Euro<br />
Konkrete »Standards« für eine gute<br />
Schule hat der Schulverbund »Blick<br />
über den Zaun« veröffentlicht (➝<br />
www.BlickueberdenZaun.de). Sie beziehen<br />
sich auf die drei Ebenen Unterricht,<br />
Schule und schulische Rahmenbedingungen.<br />
Schulqualität hängt<br />
danach von dem Zusammenwirken<br />
der einzelnen Lehrer/innen, der Schulgemeinschaft<br />
sowie Politik und Verwaltung<br />
ab.<br />
Die Jury für den Deutschen Schulpreis<br />
hat sechs Anforderungen an<br />
eine gute Schule formuliert (➝ http://<br />
schulpreis.bosch-stiftung.de).<br />
Und was macht den Alltag einer guten<br />
Schule aus? Deutlich wird das in<br />
Büchern, die von Lehrerinnen selbst<br />
geschrieben wurden:<br />
So dumm sind sie nicht.<br />
Von der Würde der Kinder in der<br />
Schule<br />
U. Andresen<br />
Erschienen: 2002<br />
Verlag: Beltz Taschenbuch<br />
Preis: 14,00 Euro<br />
Was wir unseren Kindern<br />
in der Schule antun<br />
… und wie wir das ändern können<br />
S. Czerny<br />
Erschienen: 2010<br />
Verlag: Südwest<br />
Preis: 17,99 Euro<br />
Kinder können mehr.<br />
Anders lernen in der Grundschule<br />
F. Czisch<br />
Erschienen: 2005<br />
Verlag: Antje Kunstmann<br />
Preis: 22,00 Euro<br />
Unermesslich.<br />
Jenseits von Pisa<br />
N. Simon<br />
Erschienen: 2011<br />
Arbeitsgruppe Primarstufe /<br />
Universität: Siegen<br />
Preis: 7,00 Euro<br />
Übergänge<br />
… werden im gestuften Bildungssystem<br />
mehrfach zum Thema: als Wechsel<br />
vom Kindergarten in die Grundschule<br />
(s. S. 1 ff.), von der Grundschule<br />
in die weiterführenden Schulen, von<br />
dort in den Beruf oder an die Hochschule.<br />
Speziell zum Wechsel von der<br />
Grundschule auf die Sekundarstufe:<br />
Den Übergang gestalten.<br />
Wege vom 4. ins 5. Schuljahr<br />
G. Beck<br />
Erschienen: 2002<br />
Verlag: Kallmeyer<br />
Preis: 7,95 Euro<br />
Ein Jugendbuch zum Thema:<br />
Echt Susi<br />
Chr. Nöstlinger<br />
Erschienen: 2002<br />
Verlag: Dachs<br />
(leider vergriffen;<br />
nur über Amazon,<br />
ca. 2,50 Euro, oder<br />
als Audio-Kassette<br />
[Jumbo 2000],<br />
9,99 Euro)<br />
Wie Schülerinnen und Schüler den<br />
Wechsel von der Grundschule zur weiterführenden<br />
Schule erleben, zeigen<br />
die Ergebnisse einer aktuellen Befragung<br />
von Stefanie van Ophuysen u. a.:<br />
➝<br />
Starke Grundschulen<br />
… nennt der Grundschulverband<br />
sein Netzwerk von Schulen, die<br />
»gemeinsam unterwegs« sind:<br />
nicht Leuchtturmschulen, keine<br />
»fertigen« Schulen, sondern Schulen<br />
in Entwicklung, die am Austausch<br />
mit anderen interessiert<br />
sind (vgl. »Grundschule aktuell«<br />
H. 118 / 2012). Nach 21 Kriterien erschließbar<br />
lassen sich Programme<br />
und Standorte dieser Schulen auf<br />
einer interaktiven Landkarte finden:<br />
www.starke-grundschulen.<br />
de/school_map.cgi<br />
16 03 • November 2011
Kinder erforschen die Welt –<br />
wie Wissenschaftler<br />
Der Schweizer Psychologe Jean Piaget hat sich viel mit<br />
Kindern darüber unterhalten, was sie über die Welt denken<br />
(➝ 1b). Ihre Theorien über die Umwelt und deren<br />
Rätsel sind spannend. Beispiel ist die Erfahrung, dass<br />
Sonne und Mond auch dann bei uns bleiben, wenn wir<br />
uns bewegen:<br />
Cam (6 Jahre) sagt von der Sonne: »Sie kommt mit uns,<br />
weil sie uns zuschaut.« – »Warum schaut sie uns zu?« – »Sie<br />
schaut, ob man brav ist.«<br />
Gespräch mit Jac (6;6 Jahre): »Was tut der Mond, wenn<br />
man spaziert?« – »Er rollt mit uns.« – »Warum?« – »Weil der<br />
Wind ihn antreibt.«<br />
Duc (7;6 Jahre): »Was macht die Sonne, wenn du spazieren<br />
gehst?« – »Sie leuchtet.« – »Folgt sie dir nach?« – »Nein, aber<br />
man sieht sie überall.« – »Warum?« – »Weil sie sehr groß ist.«<br />
(nach Piaget »Das Weltbild des Kindes«, S. 178, 180)<br />
Für Kinder ist es überraschend, dass Sonne und Mond<br />
immer »mit uns gehen« – anders als Häuser oder Bäume.<br />
Zur Erklärung greifen sie auf vertraute Vorstellungen<br />
zurück. Nach Piaget ist dies eine typische Entwicklung:<br />
Erst wird den Gestirnen ein eigener Wille unterstellt (wie<br />
bei anderen Lebewesen); danach vermuten die Kinder,<br />
dass eine äußere Kraft wirkt (der Wind). In früheren<br />
Zeiten haben auch Erwachsene so gedacht.<br />
hen oder gar »auszulöschen« – bis heute. Dabei wissen<br />
wir, dass Kinder neues Wissen nur aus dem entwickeln<br />
können, was sie schon mitbringen.<br />
Kinder erkunden die Welt wie Wissenschaftler. Sie bilden<br />
Vermutungen, sie probieren ihre Denkmodelle aus. Solange<br />
diese Vorstellungen funktionieren, behalten sie sie<br />
bei, z. B. dass es kalt ist, weil es geschneit hat (und nicht<br />
umgekehrt).<br />
Aber auch wenn die Erklärungen nicht mehr passen,<br />
braucht es Zeit, bis die Kinder ihre Vorstellungen an neue<br />
Erfahrungen anpassen. Wie auch wir Erwachsene Zeit<br />
brauchen, um unsere Vor-Urteile zu überwinden. Und<br />
selbst Wissenschaftler: Die Geschichte der Physik ist voll<br />
von solchen Weltbild-Kämpfen: die Erde als Scheibe oder<br />
Kugel; die Sonne, die um die Erde kreist – oder umgekehrt;<br />
der Streit zwischen Wellen- und Teilchen- Modellen<br />
in der modernen Atomphysik. Theorien werden immer<br />
weiter verfeinert – aber wir wissen nie, ob unser jetziges<br />
Weltbild nicht noch besser werden kann. Um im Alltag<br />
klar zu kommen, reichen uns Laien einfachere Theorien<br />
als Wissenschaftlern.<br />
Auch Kinder entwickeln ihre ganz eigenen Vorstellungen<br />
– passend auf ihre persönlichen Erfahrungen und<br />
auf ihren geistigen Entwicklungsstand. Wir sehen oft nur<br />
»Fehler«, wo Kinder die komplexe Wirklichkeit vereinfachen<br />
– passend für den aktuellen Stand ihres Denkens.<br />
Beobachten, wie Pflanzen wachsen<br />
Jeder Mensch sucht nach Sinn. Sinnvoll kann aber nur<br />
sein, was in die individuelle Denkwelt und die umgebende<br />
Kultur passt.<br />
Wir sollten diese Erklärungen ernst nehmen und respektieren.<br />
Denn nur aus diesen einfachen Vorstellungen<br />
kann sich Fachwissen entwickeln. Immer wieder<br />
hat Schule versucht, falsche Vorstellungen zu überge-<br />
Liebe Eltern,<br />
der Alltag ist die beste Lernsituation. Kinder untersuchen<br />
alles, was ihnen unter die Finger kommt. Sie probieren es<br />
aus, sie bauen etwas zusammen, sie tun »als ob« – und<br />
sie denken nach. Kinder sind Forscher.<br />
Das Kochgeschirr in der Küche, ein altes Radio, die Büsche<br />
im Park um die Ecke: Für Kinder ist die Welt voller<br />
Herausforderungen und Wunder. Im Alltag können sie<br />
so viel lernen – wenn wir ihnen Raum und Zeit geben<br />
und für ihre Fragen offen sind. Wie eine gute Schule. Statt<br />
sie ständig belehren zu wollen. Wie eine schlechte Schule.<br />
Piaget wusste, warum er so viel Zeit mit Kindern verbracht<br />
hat … Ihn hat interessiert, wie Kinder die Welt sehen.<br />
Er hat sie intensiv befragt, wie sie Naturphänomene<br />
und technische Probleme deuten, aber auch wie sie soziale<br />
Regeln erklären. Und auch ihnen damit geholfen, sich<br />
über ihr Denken klarer zu werden.<br />
09 • Mai 2013 17
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Die Welt zeigen und erklären – oder die Kinder selbst ent decken lassen?<br />
Eines vorweg: Kinder können viel lernen von Erwachsenen,<br />
die sachkundig sind, die verständlich erklären und<br />
die dies auch noch auf anregende Weise tun. Diese Fähigkeit<br />
zu entwickeln, ist also eine wichtige Aufgabe für<br />
Lehrer / -innen. Noch wichtiger ist aber die Frage, wie<br />
eine Lehrperson diese Fähigkeit einsetzt. Angesichts der<br />
großen Unterschiede zwischen Kindern gleichen Alters<br />
(s. S. 3 und 22) verbietet es sich, eine Lerngruppe über<br />
längere Zeit im Gleichschritt zu belehren. Da alle Lerner<br />
ihre individuelle Sichtweise von Welt immer auf Basis<br />
ihrer Erfahrungen »konstruieren«, müssen Kinder möglichst<br />
oft selbst aktiv werden können.<br />
Gemeinsam forschen – mit erweiterten Sinnen<br />
In der Forschung finden sich viele Befunde, die die Vorzüge<br />
des aktiven Tuns bestätigen (vgl. Hartinger / Lohrmann<br />
➝ 3). Uneins sind die ForscherInnen aber über<br />
die Frage, wie stark das entdeckende Lernen von Erwachsenen<br />
vorstrukturiert werden sollte.<br />
Denn »entdeckendes Lernen« kann sehr unterschiedlich<br />
aussehen.<br />
●●<br />
Ist bei Aufgaben oder Experimenten genau vorgegeben,<br />
was am Ende herauskommt, sprechen manche<br />
von »Ostereier-Didaktik«. In dieser Art sind auch sog.<br />
»Experimentierkästen«, z. B. von Kosmos, oft gestaltet.<br />
●●<br />
●●<br />
Anders, wenn offene Fragen oder Probleme gestellt<br />
werden, die sich auf verschiedene Weise bearbeiten<br />
lassen. Dabei bringen die einzelnen Kinder unterschiedliche<br />
Fähigkeiten ein – und sie lernen auch Unterschiedliches.<br />
Wieder anders ist die Situation, wenn Kinder ihren eigenen<br />
Themen und Fragen nachgehen können, an<br />
denen sie – allein oder in kleinen Gruppen – arbeiten;<br />
am Ende stellen sie ihre Ergebnisse den anderen vor,<br />
werden also selbst zur »Lehrperson«. Unterstützt wird<br />
ein solches offenes Experimentieren durch Baukästen<br />
wie von Anker, Lego oder Fischer-Technik angeboten.<br />
Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Ergebnisse<br />
von Untersuchungen zu verschiedenen Unterrichtsformen<br />
aus. Insbesondere die neuerdings viel zitierte<br />
»Metaanalyse« von Hattie (➝ 3) macht deutlich, wie<br />
sehr die Wirkung einer Methode durch die Art ihrer Umsetzung<br />
und von den konkreten Randbedingungen bestimmt<br />
wird (s. S. 3 und 35).<br />
Tipp: Zeitschriften statt Bücher<br />
Viele Verlage, die Bücher oder Zeitungen für Erwachsene<br />
herausgeben, bieten inzwischen sehr unterschiedliche<br />
Zeitschriften für Kinder an: Flohkiste, GEOlino,<br />
National Geographic World, ZEIT Leo, usw. Sie versuchen,<br />
Wissen aus ganz verschiedenen Bereichen auf unterhaltsame<br />
Weise zu vermitteln. Aber jedes Kind hat<br />
da andere Vorlieben. Probieren Sie also Einzelhefte aus.<br />
Oder bestellen Sie erst ein Probeabo. Gute Überblicke<br />
finden Sie bei der Stiftung Lesen oder beim Institut für<br />
angewandte Kindermedienforschung (z. B. in einer Suchmaschine<br />
»IFAK« & »Kinderzeitschriften« eingeben).<br />
Die Einschätzung des Erfolgs einer Methode hängt aber<br />
auch davon ab, was erreicht werden soll: Je enger die<br />
Lernziele, desto eher kann ein vorgegebener Lehrgang<br />
dazu beitragen, dass die Kinder bestimmte Fakten und<br />
Begriffe lernen und wiedergeben können. Unsere Gesellschaft<br />
entwickelt sich aber so schnell, dass man vor<br />
allem lernen muss, sich Fragen zu stellen, Strategien zur<br />
Lösung von Problemen zu entwickeln, Informationen<br />
selbstständig ausfindig zu machen. All das lernt man nur,<br />
indem man es tut – in Kindergarten und Schule, aber<br />
auch zu Hause (vgl. ➝ 1a und 2).<br />
Kinder haben es gut, wenn auch ihre Eltern neugierig,<br />
handwerklich geschickt – und geduldig sind: mit ihnen<br />
basteln, Bücher lesen, in den Wald gehen, ein Technikmuseum<br />
besuchen, ein Baumhaus bauen. Dabei kommt<br />
es nicht auf die Perfektion des Produkts, sondern auf die<br />
Erfahrungen in der (Zusammen-)Arbeit an.<br />
Hüttenbauen auf einem Bauspielplatz<br />
Foto: RaBauKi e. V. Siegen<br />
18 09 • Mai 2013
Lernen durch Anschauung und Selbsttätigkeit<br />
Aus Büchern und anderen Medien können Kinder viel<br />
über die Welt lernen. Vor allem über die Welten, die der<br />
eigenen Erfahrung nicht zugänglich sind: über vergangene<br />
Zeiten, über andere Länder und auch über Bereiche,<br />
die dem Laien oft verschlossen sind – wie das Innenleben<br />
von Maschinen oder die Abläufe in einem Krankenhaus.<br />
Dennoch: Die persönliche Erfahrung ist meist intensiver,<br />
das eigene Probieren nachhaltiger.<br />
Gilt also: Je mehr Kinder sehen, je mehr sie selber tun –<br />
desto besser lernen sie? So einfach ist es nicht (s. auch<br />
S. 31). Ein Alltagsexperiment macht es klar: Bitten Sie jemanden,<br />
das Ziffernblatt seiner Armbanduhr aus dem<br />
Kopf möglichst genau aufzuzeichnen. Nicht wenige<br />
werden Schwierigkeiten haben, obwohl sie doch täglich<br />
mehrmals auf die Uhr schauen. Aber dabei gilt ihr Interesse<br />
der Zeitangabe, nicht der Form des Ziffernblatts.<br />
Insofern macht es wenig Sinn, Kinder mit einer Vielfalt<br />
von Sinneseindrücken zu überschütten. Ein berechtigter<br />
Vorwurf gegen viele (Lern-)Programme auf PCs oder im<br />
Fernsehen: Nur bunte Bilder, durch Bewegung animiert<br />
und mit Musikteppichen unterlegt, dienen dem Lernen<br />
nicht.<br />
Und Anschauung alleine reicht nicht: Wer keine Frage,<br />
wer kein gezieltes Interesse hat, läuft blind durch die<br />
Welt. Das gilt ebenso für den Gang durch den Wald wie<br />
für einen Besuch im Museum.<br />
Darum sind Eltern wichtig (und Kindergärten und Schulen).<br />
Es reicht eben nicht, im Kinderzimmer oder in der<br />
Schulklasse eine Alphabet-Leiste aufzuhängen. Erst<br />
wenn man gezielt einzelne Buchstaben abdeckt und die<br />
Kinder auffordert, die Leerstelle zu füllen, bilden sie eine<br />
»Anschauung im Kopf«. Ein solches »inneres Alphabet«<br />
hilft dann beim Suchen im Lexikon oder im Telefonbuch.<br />
Auf ähnliche Weise kann man Kinder unterstützen, eine<br />
Vorstellung vom Zahlensystem zu entwickeln: Erst deckt<br />
man auf einer Hunderter-Tafel eine Zahl durch eine Marke<br />
ab und lässt das Kind diese Leerstelle benennen. Später<br />
bittet man es: »Stell dir vor, du bist bei der 24 und gehst<br />
eine Reihe tiefer (nächste Stufe: …und dann noch drei<br />
nach rechts). Welche Zahl steht da?«<br />
Eine innere Anschauung entsteht also aus der Selbsttätigkeit.<br />
Indem Kinder ein Fahrrad oder eine Blume zeichnen,<br />
machen sie sich bewusst, wie die Dinge in ihrer Umwelt<br />
genau aussehen. Eine besonders ergiebige Aufgabe<br />
ist das Ausfüllen einer »black box«. Bitten Sie Ihr Kind<br />
zu bauen oder zu zeichnen, wie es sich das Innere eines<br />
Bohrers, einer Brotschneidemaschine oder einer Kaffeemühle<br />
vorstellt.<br />
Saschas, Katrins und Olivers Entwürfe für eine Stampfmühle<br />
(Abb. aus: Möller 2000, 99 ➝ 1b)<br />
Dafür können Baukästen hilfreich sein. »Rezeption durch<br />
Produktion«, Verstehen durch Bauen. So gehen auch Forscher<br />
vor. Um zu verstehen, wie wir sehen, laufen, sprechen,<br />
denken, bauen sie Roboter, die genau diese Leistungen<br />
erbringen sollen. Auch auf diesem Niveau gibt es<br />
hoch spezialisierte Experimentierkästen für Kinder. Aber<br />
man sollte Vor- und Grundschulkinder nicht mit komplizierter<br />
Technik überfordern. Einfache Bausteine lassen<br />
mehr Raum für die eigene Phantasie. Und sie helfen<br />
Kindern, ihre Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen,<br />
Probleme auf ihrem Entwicklungsstand zu bearbeiten.<br />
Konstruieren – Probieren – Nach-Denken<br />
Noch vielfältiger sind die Möglichkeiten, die die natürliche<br />
Umwelt bietet: Zweige, Blätter, Steine, Moose. »Waldkindergärten«<br />
oder »Draußentage« in der Grundschule<br />
nutzen diese Chance. Aber am schönsten für Kinder sind<br />
Ausflüge mit den eigenen Eltern: in den Park um die Ecke,<br />
an den Fluss, auf den Bauernhof. Wer dann noch ein (einfaches<br />
und robustes!) Mikroskop oder auch nur eine Lupe<br />
mitnimmt, kann auch unter die Oberfläche schauen.<br />
Foto: Grundschule Buschhütten<br />
09 • Mai 2013 19
Informationen & Lesetipps<br />
Kinder müssen viel wissen und viel<br />
können, um in unserer Welt selbstständig<br />
zurechtzukommen. Nur wenig<br />
davon lernen sie in der Schule,<br />
zeigt das beeindruckende Buch:<br />
Weltwissen der Siebenjährigen. Wie<br />
Kinder die Welt entdecken können<br />
Donata Elschenbroich<br />
Fantasiemaschinen<br />
konstruieren<br />
virtuell über Apps für Smartphone<br />
und Tablets / Pads:<br />
Sven Nordquist (2012):<br />
Petterssons Erfindungen 1 & 2.<br />
Filimundus AB, jeweils rund<br />
1,50 bis 2,00 €<br />
Ähnlich vielseitig ist der Band:<br />
Neue spannende Experimente<br />
Hermann Krekeler<br />
Wie man im Alltag unaufwändig interessante<br />
Versuche durchführen kann,<br />
zeigt die anregende Sammlung:<br />
Was blubbert da im Wasserglas<br />
Gisela Lück<br />
Erschienen: 2011<br />
Verlag: Ravensburger<br />
Preis: 16,80 Euro<br />
Erschienen: 2002<br />
Verlag: Goldmann<br />
Preis: 9,90 Euro<br />
Kinderbuch-Tipp<br />
»Inklusion«<br />
Ein besonderes Buch über ein<br />
besonderes Kind:<br />
Müller, Birte (2012): Planet Willi.<br />
Klett-Kinderbuch: Leipzig. 13,90 €<br />
Erschienen: 2008 (3. Auflage)<br />
Verlag: Herder<br />
Preis: 13,90 Euro<br />
Versuch macht klug: Bei echten Experimenten<br />
weiß man nie genau wie das<br />
Ergebnis ausfallen wird.<br />
»Was passiert, wenn ich …« ist die<br />
wichtigste Frage, damit Kinder Zusammenhänge<br />
erkennen und Verknüpfungen<br />
erstellen – mit ihrem bereits<br />
vorhandenen Wissen. Ein spannendes<br />
Buch für kleine und große Forscher!<br />
Unter www.hkrekeler.de finden sich<br />
weitere Hinweise, z. B. auf Experimentier-Kisten<br />
für Versuche mit Alltagsmaterialien.<br />
Ein besonderes Bilder- und Lesebuch<br />
für Kinder vor der Schule:<br />
Alle Zeit der Welt<br />
Antje Damm<br />
Heißer Tipp »Fremdsprachen«<br />
Auf Seite 36 stellen wir den TING-Lesestift vor. Ergänzend dazu gibt es bei<br />
Cornelsen in der lex:tra JUNIOR-Reihe zu vielen Sprachen (neben Englisch<br />
und Französisch auch Migrantensprachen wie Russisch und Türkisch)<br />
zweisprachige Bände unter dem Titel »Unser erstes Bildwörter buch«.<br />
Der Grundwortschatz ist alphabetisch (in beiden Richtungen) und nach<br />
Themenseiten erschlossen und kann über den Stift auf Deutsch und in<br />
der Fremd sprache »vorgelesen« werden.<br />
Erschienen: 2010<br />
Verlag: Moritz Verlag<br />
Preis: 13,80 Euro<br />
Viele verschiedene Augenblicke hält<br />
Antje Damm in diesem anregenden<br />
Büchlein fest – zum Anschauen,<br />
Diskutieren und Nachdenken … Zeit<br />
wird fassbar, spürbar und sichtbar.<br />
Naturwissenschaften in der Grundschule?<br />
Im Verlag Krüger erschien 2013 das Plädoyer »Rettet die Neugier! Gegen<br />
die Akademisierung der Kindheit« von Salman Ansari. Für die Grundschule<br />
heißt das: »Ausgangspunkt und Ziel sind nicht in erster Linie die Naturwissenschaften,<br />
sondern es sind die Natur, das Naturerleben, die Naturerfahrungen,<br />
die Naturerforschung der Kinder.« So steht es im Editorial<br />
von Grundschule aktuell, H. 119/2012. Dort finden sich auch viele anregende<br />
Beispiele, wie ein solcher Unterricht konkret aussehen kann.<br />
20 09 • Mai 2013
Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />
auch beim Lesen- und Schreibenlernen<br />
Die Fibel führt Kinder in die Schriftsprache<br />
ein. So hat die Schule fast 500 Jahre lang<br />
gedacht. Heute wissen wir: Der Schulanfang<br />
ist keine Stunde Null. Schulanfänger<br />
kennen im Durchschnitt etwa 10 Buchstaben.<br />
Die meisten können zumindest ihren<br />
Namen schreiben. Und viele bringen bereits<br />
Vorstellungen mit, wozu Lesen und<br />
Schreiben gut ist. Aber auch, wie Schrift<br />
funktioniert. Diese Vorstellungen mögen<br />
noch unvollständig oder falsch sein (➝<br />
Abb. 1). Dennoch beeinflussen sie, wie<br />
Kinder das aufnehmen, was der Unterricht<br />
ihnen anbietet und abverlangt. Wir<br />
müssen ihre Vorstellungen verstehen und<br />
ernst nehmen, wenn wir sie dort abholen<br />
wollen, wo sie jeweils stehen.<br />
(aus: Ferreiro / Teberosky 1979/1982)<br />
Abb. 1: Ein Vorschulkind<br />
schreibt<br />
vier Buchstaben für<br />
»vier Katzen« und<br />
zwei Buchstaben<br />
für »zwei Katzen«<br />
Denn Fehler sind Versuche. Beim Lernen<br />
vereinfachen auch wir Erwachsenen die<br />
erwartete Leistung, z. B. wenn wir eine<br />
Fremdsprache lernen. Solche Vorformen<br />
sind für uns selbstverständlich, wenn<br />
Kinder vor der Schule laufen, denken<br />
und sprechen lernen. Sie sagen HEIZ-<br />
SCHRANK zum Herd und erzählen uns,<br />
dass die VOGELS GESINGT haben.<br />
Auch beim Lesen zeigen sich in den<br />
Fehlern wichtige Vorformen. Wenn ein<br />
Kind POLIZEI liest, wo POST steht, hat es<br />
schon viel von der Schrift verstanden.<br />
Es beachtet die Gleichheit der Anfangsbuchstaben<br />
und nicht mehr unwesentliche<br />
Merkmale des Wortes, z. B. seine<br />
Länge oder Farbe.<br />
Nun kann es den nächsten Schritt<br />
tun. Es erliest dann alle Buchstaben<br />
nacheinander. Dabei entstehen aber oft<br />
Kunstwörter wie P-OOO-SS-T. Die Kinder<br />
müssen also eine weitere Strategie erwerben:<br />
die aktive Sinnerwartung. Nach<br />
dem Lautieren müssen sie also bewusst<br />
überlegen: »Was für ein Wort kann das<br />
werden?«<br />
Der Rechtschreibung nähern sich Kinder<br />
ebenfalls über Vor- und Zwischenformen,<br />
wie Abb. 2 zeigt. Zunächst wird<br />
der Anlaut erkennbar aufgeschrieben. Im<br />
zweiten Beispiel sind alle Mitlaute wiedergegeben.<br />
Die vollständige Lautschrift<br />
BLETA ermöglicht dem Leser, das Wort<br />
genauso auszusprechen wie die Schreiberin<br />
und es auf diesem Weg zu verstehen.<br />
Beim vierten und fünften Versuch<br />
werden schon Rechtschreibmuster genutzt.<br />
Diese können nicht mehr allein aus<br />
dem Abhören abgeleitet werden.<br />
Abb. 2: Ein Kind<br />
schreibt alle paar<br />
Monate das Wort<br />
BLÄTTER – immer<br />
falsch, aber immer<br />
»besser falsch«<br />
Diese Abfolge ist typisch für viele Kinder.<br />
Zwar gibt es individuelle Abweichungen<br />
wie PLETA oder BLETR. Aber die Fehler<br />
folgen einer Logik: Die Kinder bewältigen<br />
eine Schwierigkeit nach der anderen. Wie<br />
die Schreibversuche in Abb. 3 zeigen, ist<br />
diese Entwicklung normal: Leistungsstarke<br />
Kinder machen dieselben Fehler wie<br />
leistungsschwache – nur viel früher und<br />
teilweise schon vor Schulbeginn.<br />
Abb. 3: Kinder schreiben über die Grundschulzeit<br />
hinweg alle sechs Monate<br />
»Blätter«: linke Spalte ein besonders<br />
leistungsstarkes Kind, rechts ein langsamer<br />
Lerner (nach: May, P. (1991, S. 95): Kinder lernen<br />
rechtschreiben)<br />
(Fortsetzung S. 22)<br />
Ermutigung<br />
Ein neues Schuljahr beginnt – lassen<br />
Sie sich als Elternvertreter in die entsprechenden<br />
Gremien der Schule<br />
Ihres Kindes wählen! So bekommen<br />
Sie einen unmittelbaren Einblick in<br />
die Grundschularbeit. Und Sie haben<br />
die Möglichkeit, gemeinsam mit dem<br />
Lehrerkollegium Schule zu gestalten.<br />
Gute Schule kann ohne Eltern nicht<br />
gelingen!<br />
Liebe Eltern,<br />
kann das wirklich sein, dass Kinder Schrift<br />
und Zahlen nicht nur entdecken, sondern<br />
sogar selbst erfinden? Ja, viele Untersuchungen<br />
belegen, was die Beispiele auf<br />
diesen Seiten anschaulich zeigen: Kinder<br />
sind kreativ, sie machen sich eigene Gedanken,<br />
wenn sie lernen zu lesen und zu<br />
schreiben (und ebenso zu rechnen usw.).<br />
Kinder (und Erwachsene …) ahmen beim<br />
Lernen nicht einfach nach, was ihnen<br />
vorgemacht wird. Sie machen sich ihren<br />
eigenen Reim auf die Welt, auch auf die<br />
Welt der Schrift. Üben kann diese eigenen<br />
Versuche nicht ersetzen. Es kann helfen<br />
Verstandenes zu festigen. Aber Üben<br />
gegen das aktuelle Denken verspricht<br />
keinen Erfolg.<br />
Und woher weiß man, was Kinder über<br />
Schrift, Zahlen und Schule denken? Indem<br />
man sie fragt! Oder ihnen passende<br />
Geschichten vorliest, um mit ihnen ins<br />
Gespräch zu kommen, z. B. »Neues vom<br />
Franz« von Christine Nöstlinger, »Ich will<br />
auch in die Schule« von Astrid Lindgren<br />
oder »Das Olchi-ABC« von Erhard Dietl.<br />
Auf www.grundschuleltern.info haben<br />
wir Ihnen eine Liste von Titeln zusammengestellt,<br />
die sich auch als Grundstock<br />
für eine kleine Klassenbibliothek eignen.<br />
3x FALSCH und 2x RICHTIG?<br />
(2) KINO<br />
(5) KINO<br />
(1) KINO<br />
(3) KINNO<br />
(4) KIENO<br />
(Auflösung s. S. 24)<br />
02 • September 2011 21
(… Kinder sind Erfinder; Forts. von S. 21)<br />
Drei bis vier Jahre liegen die Kinder in<br />
ihren Voraussetzungen auseinander – in<br />
der Schrifterfahrung, aber auch in allen<br />
anderen Bereichen, wie Remo Largo festgestellt<br />
hat (s. S. 3).<br />
Jedes Kind macht Fortschritte von<br />
seinem jeweiligen Ausgangspunkt aus.<br />
So kann man aus Abb. 3 nicht erschließen,<br />
wann die Stammschreibung (»ä«<br />
und nicht »e«) oder die Konsonantenverdopplung<br />
nach Kurzvokal Thema im Unterricht<br />
waren.<br />
Abb. 4: Beim morgendlichen Kämmen<br />
ihrer langen Haare sagt die sechsjährige<br />
Eveline: »jetzt weiß i endlich, warum ich<br />
drei Kämm‘ in mein’m Namen hab‘.«<br />
Christian schreibt sogar seinen schon oft<br />
richtig geschriebenen Namen plötzlich<br />
als GRISDIJAN. Hat er im Kindergarten<br />
noch das Schriftbild kopiert, versteht er<br />
jetzt, dass die Buchstaben sich an den<br />
Sprechlauten orientieren. Dies ist eine<br />
ganz zentrale Einsicht. Kinder gewinnen<br />
sie am leichtesten, wenn sie früh anfangen,<br />
eigene Wörter zu schreiben. Zum<br />
Beispiel mit Hilfe einer Anlauttabelle<br />
(s. Kasten rechts). Dabei entstehen Fehler.<br />
Wie Untersuchungen zeigen, behindern<br />
diese das Lernen nicht (s. S. 23). Die<br />
Kinder erfahren ja im Unterricht, dass die<br />
Erwachsenen Wörter auf eine bestimmte<br />
Weise schreiben. So schreiben viele<br />
Lehrer/-innen unter oder neben die Texte<br />
der Kinder eine Übersetzung in »Buchschrift«<br />
oder »Erwachsenenschrift«. Nicht<br />
als Korrektur, sondern als Anregung und<br />
Herausforderung.<br />
Grundsätzlich ist es wichtig, die<br />
Lese- und Schreibversuche der Kinder<br />
zu respektieren und die Fortschritte zu<br />
würdigen. Auch dann, wenn sie noch<br />
fehlerhaft sind. Die Kinder schaffen in<br />
zwei, drei Jahren, wofür die Menschheit<br />
mehrere tausend Jahre gebraucht hat:<br />
von der Bilderschrift über die Lautschrift<br />
zur Rechtschreibung zu kommen.<br />
Lesen- und Schreibenlernen<br />
mit einer Anlauttabelle<br />
In vielen Eingangsklassen lernen die Kinder<br />
heute Lesen und Schreiben mit Hilfe<br />
einer Anlauttabelle. Mit ihr können sie<br />
von Anfang an selbstständig schreiben,<br />
indem sie sich die Wörter vorsprechen<br />
und Laut für Laut verschriften. Anfangs<br />
noch langsam, mit zunehmender Übung<br />
immer schneller sind Schulanfänger in<br />
der Lage, den Lautstrom der gesprochenen<br />
Wörter zu erfassen, zu gliedern und<br />
in Schriftzeichen zu übersetzen. Die Anlauttabelle<br />
hilft ihnen mit ihren Bildern<br />
dabei, die Buchstaben zu finden und aufzuschreiben.<br />
Um die Verbindung von Laut und<br />
Buchstabe deutlich zu machen, gibt es zu<br />
jedem Schriftzeichen (Groß- und Kleinbuchstabe<br />
immer zusammen) eine entsprechende<br />
Abbildung, die mit dem Laut<br />
beginnt. So gehört die Sonne zum »S«,<br />
der Ball zum »B« (vgl. Abb. 5).<br />
-Schreibtabelle<br />
Abb. 5: Anlauttabelle in Grundschrift<br />
Manche Buchstaben können lang oder<br />
kurz ausgesprochen werden. Das »E«<br />
klingt in »Esel« lang, in »Ente« dagegen<br />
kurz. Die unterschiedliche Lautung wird<br />
beim Schreiben jedoch mit demselben<br />
Buchstaben, dem »E« abgebildet. In einigen<br />
Anlauttabellen werden die Kinder<br />
daher mit zwei Bildern auf solche Zusammenhänge<br />
aufmerksam gemacht. Wichtige<br />
Voraussetzung ist, dass die Abbildungen<br />
erklärt werden, so dass das Kind<br />
mit ihnen wirklich das Gemeinte verbindet.<br />
Eine Alternative ist die »wachsende<br />
Anlauttabelle«: Die Felder für die Bilder<br />
sind leer und werden von jedem Kind<br />
nach und nach mit selbst gezeichneten<br />
oder eingeklebten Bildern gefüllt. Inzwischen<br />
gibt es Lernsoftware, mit denen<br />
solche individuellen Tabellen sehr einfach<br />
hergestellt werden können (s. z. B.<br />
die »Buchstabenwerkstatt« ➝ S. 24).<br />
Bis alle Kinder mit einer Anlauttabelle<br />
vertraut sind und sie völlig selbstständig<br />
als Hilfsmittel nutzen können, braucht es<br />
aber immer Zeit und vor allem regelmäßige<br />
Übung.<br />
Verbundene Ausgangsschriften:<br />
Hilfe oder Umweg?<br />
Schulanfänger lernen das Lesen und<br />
Schrei ben heute fast überall mit der<br />
Druckschrift. Unterschiedlich sind dann<br />
die Wege zur eigenen Handschrift. Ziel<br />
ist also nicht mehr eine genormte Schrift<br />
für alle, sondern die Entwicklung individueller<br />
– gut lesbarer und flüssiger –<br />
Handschriften. In mehreren Bundesländern<br />
werden aber verbundene Schriften<br />
wie die Lateinische Ausgangsschrift den<br />
Kindern als Zwischenschritt vorgegeben,<br />
bevor sie ihre persönliche Handschrift<br />
entwickeln dürfen. Zunächst muss dann<br />
jede Buchstabenform möglichst genau<br />
der Vorlage entsprechen.<br />
Aber alle vorgegebenen verbundenen<br />
Schriften bereiten den Kindern beim Lernen<br />
Probleme. Und von ihren mühsam<br />
erlernten Besonderheiten bleibt in den<br />
ausgeschriebenen Erwachsenenschriften<br />
kaum etwas übrig. Der Erfolg ist also<br />
zweifelhaft – und die Klagen der weiterführenden<br />
Schulen sind laut. Diese Klagen<br />
gibt es zwar schon lange. Zum Teil sind<br />
sie aber berechtigt, da nach dem Erwerb<br />
der verbundenen Ausgangsschrift dem<br />
Schreiben der Kinder oft nicht mehr die<br />
notwendige Aufmerksamkeit geschenkt<br />
wird. Für die Entwicklung ihrer persönlichen<br />
Handschrift brauchen die Kinder<br />
sinnvolle Anregungen und individuelle<br />
Unterstützung, damit diese zunehmend<br />
flüssig wird und dabei gut lesbar bleibt.<br />
Um die Lehrer/-innen dabei zu unterstützen,<br />
hat der Grundschulverband die<br />
»Grundschrift« entwickelt – eine Druckschrift<br />
mit Verbindungshilfen (➝ Abb. 5<br />
und www.die-grundschrift.de). Mit ihr<br />
kann den Kindern der Umweg über eine<br />
vorgegebene verbundene Schrift erspart<br />
werden. Die Aufmerksamkeit wird<br />
im Unterricht von Anfang an darauf gelenkt,<br />
gemeinsam aus der Druckschrift<br />
individuelle Handschriften zu entwickeln<br />
und diese mit immer mehr Schwung zu<br />
schreiben.<br />
Einen ausführlicheren Beitrag<br />
zu diesem Thema finden Sie unter<br />
www.grundschuleltern.info – dort<br />
auch eine Liste mit Tipps zu sinn vollen<br />
Aktivitäten mit Kindern vor<br />
der Schule und am Schulanfang.<br />
Besonders hilfreich für Eltern ist das<br />
Buch von Mechthild Dehn: »Kinder<br />
lernen lesen und schreiben« (s. S. 24).<br />
Im Buch »Kinder lernen anders«<br />
(»Tipp«, S. 4) werden Kinder als »Entdecker<br />
und Erfinder« auch in anderen<br />
Lernbereichen vorgestellt.<br />
22 02 • September 2011
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Freies Schreiben von Anfang an –<br />
oder: Lernen Kinder<br />
besser mit der Fibel?<br />
BTRETN VABOTN schreibt der 6-jährige<br />
Mario an seine Zimmertür. Selbstständig<br />
schreiben zu können macht stark. Aber<br />
führen solche Falschschreibungen nicht<br />
in eine Sackgasse, weil sich Fehler einschleichen?<br />
Leselehrmethoden waren schon früher<br />
umstritten: Manche Fibeln fingen mit<br />
ganzen Wörtern oder Sätzen an (Ganzheitsmethode),<br />
andere Lehrgänge mit<br />
einzelnen Buchstaben und Lauten (synthetische<br />
Methode). Der Vergleich in den<br />
1960er Jahren endete in einem Patt.<br />
Heute wird darüber gestritten, ob Kinder<br />
»Lesen durch Schreiben« lernen sollen<br />
– oder dürfen. Dieser Ansatz ist seit<br />
den 1980er Jahren mit dem Namen des<br />
Schweizer Lehrers Jürgen Reichen verbunden.<br />
Wörter selbstständig zu »konstruieren«<br />
hilft Kindern, die Beziehung zwischen<br />
Sprachlauten und Buchstaben zu<br />
verstehen und zunehmend zu meistern.<br />
Dabei schulen sie beiläufig auch ihre<br />
»phonologische Bewusstheit«: die Fähigkeit,<br />
neben der Bedeutung eines Wortes<br />
seine Lautform zu beachten. Schon Maria<br />
Montessori hat Kinder Wörter nach den<br />
abgehörten Lauten aufschreiben lassen.<br />
Andere Reformpädagog/inn/en haben<br />
in den 1920er Jahren die Kinder erfolgreich<br />
von Anfang an Geschichten schreiben<br />
und in der Klasse vortragen lassen.<br />
Mit Hilfe einer Druckerei konnten Kinder<br />
diese Texte vervielfältigen und als Plakat,<br />
Buch oder Zeitung an Dritte weitergeben.<br />
Diese Praxis findet sich heute vor allem<br />
in Klassen, die sich an der Päda gogik<br />
Célestin Freinets oder am »Spracherfahrungsansatz«<br />
orientieren (➝ ). Der<br />
Bezug auf die inhaltlichen Erfahrungen<br />
und die Sprache der Lernenden erzeugt<br />
eine hohe Motivation für das Lesen- und<br />
Schreibenlernen. Dies hat sich als besonders<br />
wichtig erwiesen bei Kindern, die zu<br />
Hause kaum Erfahrung mit der Schriftsprache<br />
machen (können).<br />
Trotzdem gibt es Vorbehalte gegen<br />
eine solche Öffnung des Unterrichts:<br />
Falschschreibungen könnten sich »einprägen«;<br />
Kinder hätten keinen Anlass,<br />
sich auf die Mühen der Rechtschreibung<br />
einzulassen, wenn andere ihre Texte<br />
doch auch so lesen können; Kinder aus<br />
schriftfernen Milieus fehle die Motivation,<br />
selbst Texte zu verfassen, und die für<br />
einen nur kleinen Erfolg aufzuwendende<br />
Kraft sei so groß, dass die Motivation<br />
schnell verloren gehe.<br />
Inzwischen gibt es eine Reihe von Untersuchungen<br />
zu diesen Fragen. Manche<br />
machen mit dramatisierenden Aussagen<br />
auch die Runde durch die Tagespresse<br />
und verunsichern Eltern wie Lehrer/-<br />
innen. Dabei sind die Ergebnisse keineswegs<br />
auf einen Nenner zu bringen.<br />
Ein Gutachten für den Grundschulverband<br />
fasst sie übersichtlich zusammen<br />
(➝ ).<br />
Die Erklärung für unterschiedliche<br />
Befunde und für Widersprüche in den<br />
Deutungen ist im Grunde einfach. Auch<br />
beim »freien Schreiben« spielt die Art der<br />
Umsetzung eine große Rolle: Wird den<br />
Kindern ernsthaft Raum für ihre Schreibversuche<br />
gewährt – daneben aber auch<br />
die Bedeutung der Rechtschreibung vermittelt?<br />
Erhalten sie Hilfen, um persönlich<br />
wichtige Wörter zu sammeln und zu<br />
üben? Werden an Besonderheiten dieser<br />
»eigenen« Wörter gemeinsam typische<br />
Rechtschreibmuster besprochen?<br />
Unter den Lehrgängen gibt es ebenfalls<br />
große Unterschiede: Starrer Gleichschritt<br />
steht neben flexibleren Ansätzen.<br />
Einige Lehrwerke orientieren sich an Silben,<br />
während andere ganze Wörter oder<br />
einzelne Buchstaben / Laute in den Vordergrund<br />
rücken.<br />
Kein Wunder also, dass die Lernerfolge<br />
verschiedener Klassen, die nach »demselben«<br />
Ansatz arbeiten, breit streuen.<br />
Dagegen unterscheiden sich die Erfolge<br />
verschiedener Methoden Ende Klasse<br />
4 im Durchschnitt nur wenig. Zudem<br />
schneidet mal die eine, mal die andere<br />
Methode besser ab.<br />
Müssen sich Eltern also Sorgen machen<br />
oder nicht, wenn ihr Kind in der<br />
Schule lautorientiert schreibt? Wie sonst<br />
auch kommt es auf die Erfahrung und<br />
das methodische Können der Lehrer/-<br />
innen an. Noch unsichere Kolleg/inn/en<br />
finden Stützen in neuen Lehrwerken, die<br />
offener angelegt sind als früher. Wenn<br />
Kinder neben dem freien Schreiben dann<br />
auch noch viel und »frei lesen«, besteht<br />
kein Anlass zur Besorgnis – aber große<br />
Hoffnung, dass die Kinder auch außerhalb<br />
der Schule Lust aufs Lesen und<br />
Schreiben bekommen.<br />
PISA und IGLU:<br />
Ist die deutsche Schule<br />
nur Mittelmaß?<br />
Kaum waren die PISA-Ergebnisse 2000<br />
verkündet, wurde von vielen mit dem<br />
Finger auf die Grundschule gezeigt. Viele<br />
führten die schwachen Ergebnisse der<br />
deutschen 15-Jährigen auf die schlechte<br />
Frühförderung und eine erfolglose<br />
Grundschularbeit zurück. Denn für Probleme<br />
z. B. beim Lesen konnten Sekundarschulen<br />
nicht verantwortlich sein – schien<br />
es. So wurden hektisch Maßnahmen wie<br />
Sprachstandstests (»DELFIN 4«) im Kindergarten<br />
und Vergleichsarbeiten (»VerA«) in<br />
der Grundschule eingeführt. So bedenkenswert<br />
sie auch sind – Mängel in der<br />
Förderung des weiterführenden Lesens<br />
kamen so gar nicht in den Blick.<br />
Umso überraschender war es deshalb<br />
für viele, als die IGLU-Studie – »PISA für<br />
Grundschulkinder« – ganz andere Ergebnisse<br />
erbrachte. Im Gegensatz zu den<br />
Erwartungen vieler und zu den Ergebnissen<br />
der 15-Jährigen war die Grundschule<br />
im internationalen Vergleich erfolgreich.<br />
So fanden sich die deutschen<br />
Grundschüler mit ihren Leseleistungen<br />
im oberen Drittel und nicht im unteren<br />
Mittelfeld. Die Leistungsunterschiede<br />
zwischen den Kindern streuten zudem<br />
nicht so breit und die Abhängigkeit<br />
der Leistungen von der sozialen Herkunft<br />
der Eltern war nicht so stark wie in<br />
den weiterführenden Schulen. Auch der<br />
Rück stand der Migrantenkinder und der<br />
Jungen war nicht so groß (beide Befunde<br />
wurden später bestätigt ➝ ).<br />
Zwar dürfen sich die Lehrer/-innen von<br />
Grundschulkindern deshalb nicht zufrieden<br />
zurücklehnen. Aber: Trotz (oder<br />
gerade wegen?) der neuen und oft ungewohnten<br />
Arbeitsweisen in der Grundschule<br />
lernen die Kinder in der Regel<br />
erfolgreich. Und trotz aller noch offenen<br />
Baustellen: Die Grundschule arbeitet erfolgreicher<br />
als das anschließende gegliederte<br />
System der Sekundarschulen. Dieser<br />
Befund ist besonders bedenkenswert<br />
in der aktuellen Diskussion über ein längeres<br />
gemeinsames Lernen.<br />
Zur aktuellen Diskussion<br />
über freies Schreiben mit der<br />
Anlauttabelle siehe die Beiträge<br />
unter<br />
www.grundschulverband.de/<br />
extraseiten/aktuelles/<br />
02 • September 2011 23
Informationen & Tipps<br />
»Was Erwachsene wissen sollten« heißt<br />
eine Reihe des Kallmeyer-Verlags zu<br />
den verschiedenen Lernbereichen der<br />
Grundschule. Die Bücher sind gut verständlich<br />
geschrieben und enthalten<br />
viele anschauliche Beispiele. Zu unserem<br />
Thema ist zu empfehlen:<br />
Kinder & Lesen und Schreiben<br />
M. Dehn<br />
Was Erwachsene<br />
wissen sollten<br />
139 Seiten<br />
Erschienen: 2007<br />
Verlag:<br />
Kallmeyer<br />
Preis: 17,95 Euro<br />
Viele Anregungen zur Leseförderung<br />
mit konkreten Buchvorschlägen finden<br />
sich in dem ebenfalls gut lesbaren Buch:<br />
Leselust.<br />
H. Niemann<br />
Kinder und<br />
Bücher – ein<br />
Ratgeber<br />
96 Seiten<br />
Erschienen: 2004<br />
Verl.: Kallmeyer<br />
Preis: 8,95 Euro<br />
Vorlesen ist die beste Vorbereitung auf<br />
das Lesen. Auch noch in der Schule,<br />
denn Kinder begegnen so der Schriftsprache<br />
in gesprochener Form. In vielen<br />
ersten Klassen wirken deshalb Erwachsene<br />
als »Lesepaten« (➝ www.lese<br />
paten.net/) mit.<br />
Besonders ertragreich wird das Vorlesen,<br />
wenn man mit den Kindern über<br />
Unter der Oberfläche …<br />
Kommentar zu den Schreib proben S. 21:<br />
Kind 1 schreibt KINO, weil es jeden Tag<br />
an dem Schild in seiner Straße vorbeiläuft<br />
und sich die Buchstaben gemerkt<br />
hat. Kind 2 lautiert das Wort und setzt<br />
für jeden Laut einen passenden Buchstaben.<br />
Kind 3 erinnert sich, dass beim<br />
langen /i:/ etwas besonders war, weiß<br />
aber nicht mehr, was. Kind 4 dagegen<br />
nutzt die Regel: langes /i:/ wird fast<br />
immer geschrieben. Kind 5 weiß<br />
das auch, aber es kennt auch schon<br />
einige Ausnahmen.<br />
das Gelesene spricht: »Erinnerst du dich<br />
noch, was Mira am Strand erlebt hat?«;<br />
»Was, denkst du, wird der Löwe jetzt<br />
machen?« Zu diesem dialogischen Vorlesen<br />
gibt es ein Video mit vielen hilfreichen<br />
Szenen aus Kindergärten:<br />
Lesen im Dialog.<br />
Jugendamt der Stadt Nürnberg (Hrsg.)<br />
DVD-Box mit Begleitheft<br />
(in deutscher und<br />
türkischer Sprache)<br />
Dauer: 21 Min.<br />
Erschienen: 2006<br />
Verlag: Finken<br />
Preis: 19,80 Euro<br />
Der Film illustriert auch diesen Vorlesetipp<br />
für mehrsprachige Familien: Selbst<br />
Eltern, die im Deutschen nicht so sicher<br />
sind, können ihren Kindern aus deutschen<br />
Büchern vorlesen. Anschließend<br />
sprechen sie mit ihnen in der Muttersprache<br />
über den Inhalt. So werden die<br />
Kinder in beiden Sprachen gestärkt.<br />
Sprachen sind Fenster zur Welt. Diese<br />
Grundidee steckt schon hinter dem<br />
mehrsprachigen Bild-Wörter-Buch » Orbis<br />
sensualium pictus«, das der berühmte<br />
tschechische Pädagoge Comenius vor<br />
350 Jahren für den Schulunterricht entwickelt<br />
hat (➝ http://de.wikipedia.org/<br />
wiki/Orbis_sensualium_pictus). Aktuell<br />
findet sich die Idee in dem schön gestalteten<br />
Lese-Schatz-Buch »ABC und alles<br />
auf der Welt« (1984/2002):<br />
ABC und alles auf der Welt.<br />
U. Andresen und M. Popp<br />
Ein Lese-Schatz-<br />
Buch, 160 Seiten<br />
Erschienen: 2002<br />
(1. Aufl. 1984)<br />
Verlag: Beltz und<br />
Gelberg<br />
Preis: 9,90 Euro<br />
(auch als Hörbuch<br />
für 8,90 Euro zum<br />
Download: http://hoerstern.de/index_<br />
product_info.php/kinder-hoerbuchdownload/ute-andresen/abc-und-allesauf-der-welt/978-3-935036-63-4/)<br />
Über das Angebot handlicher Karten<br />
öffnet Rotraut Susanne Berner diese<br />
»Welt in Wort und Bild« zum Staunen,<br />
Erzählen, Ordnen, Spielen und Lernen.<br />
Sie bezieht wie Comenius weitere Sprachen<br />
ein. Sie gibt den Kindern Raum für<br />
eigene Erfahrungen – und für die Ergänzung<br />
des »Wort-Schatzes« durch eigene<br />
Begriffe. Schon kleine Kinder können<br />
mit diesen Karten die Welt erkunden<br />
– und man kann ganz unterschiedlich<br />
mit diesen Karten spielen (vgl. den ergänzenden<br />
didaktischen Kommentar<br />
➝ ):<br />
Einfach alles. Die Welt in Bildern.<br />
R. S. Berner<br />
150 Bilderkarten<br />
Erschienen:<br />
2009<br />
Verlag: Klett<br />
Kinderbuch<br />
Preis:<br />
24,90 Euro<br />
Lesen und Schreiben lernen Kinder in<br />
der Schule. Zu Hause brauchen sie nicht<br />
zusätzlich unterrichtet zu werden. Sie<br />
sollten aber an beiden Orten Gelegenheit<br />
zum selbstständigen Schmökern in<br />
Büchern und Zeitschriften erhalten (➝<br />
siehe die Empfehlungsliste unter ).<br />
Und sie können Briefe oder eigene kleine<br />
Geschichten schreiben.<br />
Käufliche Materialien für das Üben zuhause<br />
sind meist wenig hilfreich. Vor<br />
allem Lern-Software ist nur selten didaktisch<br />
durchdacht. Zu den wenigen<br />
empfehlenswerten Programmen gehören<br />
die CDs aus der ABC-Lernlandschaft:<br />
ABC-Lernlandschaft.<br />
Brinkmann, E. u. a. (2008 ff.)<br />
Verlag für pädagogische Medien (vpm) /<br />
Klett: Stuttgart (jede CD 24,95 Euro).<br />
Die Programme konzentrieren sich jeweils<br />
auf einen typischen Stolperstein<br />
beim Lesen- und Schreibenlernen:<br />
Die Aufgaben der »Lauschwerkstatt«<br />
(ISBN 978-3-12-011116-0) zum Erkennen<br />
und Vergleichen von Einzellauten in<br />
Wörtern bereiten auf das selbstständige<br />
Schreiben und Erlesen von Wörtern vor.<br />
In der »Buchstabenwerkstatt« (ISBN<br />
978-3-12-010520-6) hilft den Kindern<br />
eine »sprechende Anlauttabelle« bei den<br />
ersten Versuchen lautorientierten Schreibens<br />
– und sie können sich ihre Schreibversuche<br />
vom Computer vorlesen lassen.<br />
Anschließend lernen die Kinder in<br />
der »Wörterwerkstatt« (ISBN 978-3-12-<br />
011118-4) Rechtschreibmuster kennen<br />
und ausgewählte Wörter richtig zu<br />
schreiben.<br />
24 02 • September 2011
Rechnen – auf eigenen Wegen<br />
Liebe Eltern,<br />
was sagt Ihnen das nebenstehende Bild?<br />
Abb. aus: Keller / Brandenburg (1999)<br />
Obststand auf dem Marktplatz. Marco, 9 Jahre alt, hilft<br />
seiner Großmutter beim Verkauf von Äpfeln, das Stück<br />
für 35 Cent.<br />
Käuferin: Ich möchte gerne vier Äpfel. Was macht das?<br />
Marco: Drei wären hundertfünf; plus dreißig, das sind<br />
hundertfünfunddreißig … ein Apfel ist fünfunddreißig<br />
… das macht … eins vierzig.<br />
Einige Tage später. Marco, der die dritte Klasse besucht,<br />
soll in der Schule die Aufgabe 35 × 4 rechnen.<br />
Er denkt laut: »Vier mal fünf ist zwanzig. Zwei übertragen.<br />
Zwei plus [3…] ist fünf, mal vier ist zwanzig. Geschriebene<br />
Lösung: 200«.<br />
Schule und Leben: zwei Welten nebeneinander – auch in<br />
der Mathematik. Die Schule sieht dabei nicht immer gut<br />
aus neben der sog. »Straßenmathematik«. Viele Kinder<br />
kämpfen mit dem Fach. Andererseits wurde festgestellt,<br />
dass Kinder und Erwachsene auch in Kulturen ohne Schule<br />
anspruchsvolle Rechenaufgaben bewältigen können.<br />
(Fortsetzung S. 26)<br />
Heißer Tipp:<br />
»Mathematik zum Anfassen«<br />
Wer im Raum Gießen wohnt oder dort unterwegs ist,<br />
hat die große Chance, das »Mathematikum« zu besuchen,<br />
um »eine neue Tür zur Mathematik« zu öffnen<br />
(www.mathematikum.de/). Vielen ist dies aber wegen<br />
zu weiter Anfahrt nicht möglich. Für sie gibt es<br />
die Wanderausstellung »Mathematik zum Anfassen«<br />
(www.mathematikum-unterwegs.de/). Die Buchung<br />
ist nicht ganz billig, aber es lohnt sich. Vielleicht ist<br />
ein Förderer vor Ort zu finden, oder sonst können sich<br />
auch verschiedene Einrichtungen zusammentun.<br />
Erwachsenen fällt spontan ein:<br />
»Wir sitzen alle in einem Boot« oder<br />
»Das Boot ist voll« oder<br />
»Gleich und gleich gesellt sich gern«<br />
Kindern wurde zu dem Bild die Frage gestellt: »Wie alt ist<br />
der Kapitän?« – offensichtlich eine Aufgabe, die sich so<br />
nicht lösen lässt. Viele versuchen sie trotzdem. Sie rechnen,<br />
indem sie irgendwie die Anzahl der Tiere nutzen.<br />
Sind sie dumm? Keller / Brandenburg (1999 ➝ ) haben<br />
Kinder gefragt, wie sie zu ihrem Ergebnis gekommen<br />
sind und erhielten interessante Antworten:<br />
»Der Kapiten ist 28 Jahre alt. Ich habe die Kühe gezählt,<br />
weil sonst käme man nie auf das Ergebnis.«<br />
»28. Weil wenn man Geburtstag hat, schenkt man<br />
30 Rosen oder eben halt 12 Ziegen und 16 Schafe. Dann<br />
habe ich es zusammengezählt …«<br />
»20 Jahre alt. Weil ein Schaf nich viel elter werden kann.«<br />
Kluge Begründungen. Vor allem, wenn man die Kommentare<br />
der Kinder liest, wie sie die Aufgabe fanden:<br />
»Ich finde die Aufgabe lustig und einbische komisch.«<br />
»… ich fürchte dass dass eine Scherzfrage ist aber vielleich<br />
auch nicht so zu sagen wie auch alle anderen Aufgaben<br />
die wir in der Schule machen.«<br />
Der letzte Satz sollte uns nachdenklich stimmen. Zumal<br />
Untersuchungen zeigen, dass von Klasse 1 an die Zahl<br />
der Kinder zunimmt, die solche unlösbaren Aufgaben<br />
»rechnen« ➝ . Anlass für eine kritische Frage: Behindert<br />
unser Unterricht Kinder beim Denken?<br />
»Auf eigenen Wegen« lernen Kinder vor und neben der<br />
Schule – warum dann nicht auch in der Schule?<br />
Im vorhergehenden Kapitel haben wir gezeigt, wie Kinder<br />
sich die Schriftsprache selbstständig erobern. Jedes<br />
startet von seinen ganz persönlichen Voraussetzungen<br />
aus. Deshalb ist für jedes Kind der nächste Schritt auch<br />
ein anderer. Und manche gehen dabei unerwartete<br />
Wege. Aber erfolgreich. Nicht anders ist das in Mathematik.<br />
Das heißt nicht: Kinder lernen von selbst. Sie<br />
brauchen Herausforderungen, Modelle, Hilfen – bei der<br />
Lösung von Problemen, die sie interessieren. Gerade in<br />
Mathematik kommt es auf Verstehen an. Und das gelingt<br />
am ehesten an Aufgaben oder Fragen aus dem eigenen<br />
Erfahrungsbereich (TIPP: Timo Leuders / Juliane Leuders<br />
(2012): Mathe können. Ein Ratgeber für Eltern. Kallmeyer /<br />
Klett: Seelze).<br />
05 • Mai 2012 25
(Rechnen – auf eigenen Wegen, Fortsetzung von S. 25)<br />
Jeder rechnet anders …<br />
Befunde aus der Forschung<br />
Die Beispiele auf den ersten Seiten stammen aus größeren<br />
Untersuchungen ➝ . Die wichtigsten Ergebnisse<br />
von Nunes u. a. (1993) zur sog. »Straßenmathematik«:<br />
aus: Selter, C. u. a. (2011): Kinder rechnen anders. Beiheft zur<br />
DVD. TU: Dortmund / Deutsche Telekom Stiftung: Bonn. S. 8<br />
Bei uns wiederum können viele Kinder vor der Schule<br />
weit über den Stoff des ersten Schuljahres hinaus rechnen.<br />
Diese Überraschung können Lehrer/innen auch bei<br />
jeder neuen Unterrichtseinheit erleben, wenn sie den<br />
Kindern sog. »Überforderungsaufgaben« stellen (Aufgaben,<br />
die die Kinder nach den Lehrplanvorgaben noch<br />
gar nicht können »dürften«). Obwohl der Stoff noch nicht<br />
»dran war«, kommen viele Kinder zu sinnvollen Ergebnissen<br />
– wenn man sie auf eigenen Wegen rechnen lässt.<br />
aus: Selter, C. u. a. (2011), S. 6<br />
Ein weiteres Problem des Mathematikunterrichts: Die in<br />
der Schule vermittelten Standardverfahren werden nur<br />
wenig genutzt. Wenn Erwachsene im Alltag 327 und 446<br />
addieren sollen, dann geht das meist so: 300 plus 400<br />
sind 700; 20 plus 40 sind 60, also 760; 7 plus 6 sind 13,<br />
760 plus 13 macht 773. Obwohl sie in der Schule gelernt<br />
haben, erst die Einer zu addieren, dann die Zehner, dann<br />
die Hunderter – und das alles auch noch schriftlich.<br />
Hinweis für Eltern<br />
●●<br />
Machen Sie Ihr Kind auf Mathematik im Alltag<br />
aufmerksam und nutzen Sie Spiele, in denen es um<br />
Mengen und Zahlen geht (s. S. 27), aber lassen Sie Ihr<br />
Kind selbst wählen – auch wie lange sie spielen!<br />
●●<br />
Akzeptieren Sie fehlerhafte Zähl- und Rechenversuche<br />
als eigenständige Annäherungs versuche<br />
der Kinder.<br />
● ● Unterrichten Sie nicht »gegen die Schule« –<br />
und falls es Schwierigkeiten gibt: reden Sie mit der<br />
Lehrerin und klären Sie Ihr Vorgehen mit ihr ab …<br />
●●<br />
Selbst in Kulturen ohne (verpflichtende) Schule entwickeln<br />
Erwachsene für ihre Aufgabenbereiche effektive<br />
Verfahren des Rechnens, Messens usw.<br />
●●<br />
Schreiner, Fischer und andere Fachleute, die dort keine<br />
Schule besucht haben, schneiden bei Sachaufgaben<br />
meist besser ab als Schüler/innen, die den entsprechenden<br />
Stoff im Unterricht bearbeitet haben.<br />
Nach der Schule nutzen Erwachsene auch in unserer<br />
Kultur lieber Alltags- statt Schulverfahren.<br />
●●<br />
●●<br />
Sogar im Unterricht wenden Schüler/innen gelernte<br />
schulische Verfahren oft nicht an, sondern greifen auf<br />
Alltagsverfahren zurück.<br />
●●<br />
Wenn sie ihre eigenen Methoden anwenden, machen<br />
sie zudem weniger Fehler, als wenn sie schulische<br />
Vorgaben einhalten. Die Begründung dafür ist einfach:<br />
Nicht verstandene Algorithmen sind störanfällig.<br />
Diese Befunde machen deutlich: Rechnen nach Normalverfahren<br />
steht am Ende eines Lernprozesses. Sie<br />
dürfen den kindlichen Rechenwegen nicht vorzeitig<br />
aufgezwungen werden.<br />
Gestützt wird diese Forderung durch Untersuchungen<br />
der deutschen Mathematikdidaktiker Christoph<br />
Selter und Hartmut Spiegel. Ihre Ergebnisse lassen sich<br />
in vier Thesen zusammenfassen:<br />
●●<br />
Kinder rechnen oft anders als Erwachsene. Auch deshalb<br />
fällt es vielen Kindern schwer, das zu übernehmen,<br />
was sie ihnen beizubringen versuchen.<br />
●●<br />
Kinder rechnen oft anders, als Erwachsene vermuten.<br />
Diesen fällt es schwer, hinter den Fehlern der Kinder die<br />
meist durchaus logischen Ansätze zu erkennen. Dann<br />
nutzen ihre »Hilfen« aber auch nur wenig.<br />
●●<br />
Kinder rechnen oft anders als andere Kinder. Eine<br />
Normierung des Vorgehens wird diesen Unterschieden<br />
nicht gerecht und darf nicht zu früh gefordert werden.<br />
●●<br />
Kinder rechnen anders als sie selbst – bei anderen<br />
Aufgaben. In der Geldwelt kann ein Kind weiter sein als<br />
beim Uhren-Lesen und Zeitvergleich. Beim Messen von<br />
Längen geht es vielleicht anders vor als beim Wiegen<br />
von Gewichten. Mathematisch mag es sich um gleiche<br />
Anforderungen handeln und doch: Für Kinder gibt es<br />
nicht die eine »Zahlenwelt«.<br />
26 05 • Mai 2012
Ideen zur Anregung und Unter stützung<br />
mathematischen Lernens<br />
Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die Zahlen, Mengen,<br />
Formen für Kinder interessant machen ( ➝ ). Auf<br />
der Autobahn: »Du zählst die VWs, ich die Opel«. Beim<br />
Kochen, Backen und Werken das Messen, Wiegen und<br />
Zählen. Preisvergleiche und der Umgang mit Geld beim<br />
Einkaufen – ein wichtiger Grund für ein eigenes kleines<br />
Taschengeld schon vor Schulbeginn. Beim »Mensch ärgere<br />
dich nicht« und ähnlichen Spielen erfassen die Kinder<br />
Würfelpunkte, aber auch die Schritte auf dem Spielplan<br />
zunehmend auf einen Blick, das Zusammenzählen<br />
der beiden Würfel trainiert das Rechnen im Zahlenraum<br />
bis zwölf, also ganz selbstverständlich auch über den<br />
Zehner hinaus.<br />
Oft unterschätzt werden geometrische Erfahrungen:<br />
das Nachlegen oder Zusammensetzen von Formen; der<br />
Bau von Gegenständen nach<br />
zweidimensionalen Bildern –<br />
z. B. mit LEGO oder anderen<br />
Baukästen.<br />
Weitere anschauliche Vorschläge<br />
finden sich in<br />
(Bezugsquelle siehe<br />
»Hintergrundliteratur« ➝<br />
zu: »Hilfen für Eltern« )<br />
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Was ist Dyskalkulie?<br />
Der Begriff wird leider sehr unterschiedlich verwendet –<br />
manchmal nur als Fremdwort für »Schwierigkeiten beim<br />
Rechnen«. Für andere geht es um Kinder, die zwar mindestens<br />
durchschnittlich intelligent sind, aber trotzdem<br />
in Mathematik Probleme haben. Ähnlich wird der Begriff<br />
»Legasthenie« verwendet für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten<br />
»wider Erwarten«. Umstritten ist aber, ob<br />
die Abgrenzung einer solchen Gruppe sinnvoll ist. Dazu<br />
sind vier Fragen zu klären:<br />
Gibt es zumindest andere Ursachen für die<br />
Schwierigkeiten »wider Erwarten«?<br />
Manche behaupten, die Schwierigkeiten seien über eine<br />
gestörte Hirnentwicklung erklärbar oder sogar erblich<br />
bedingt. Beide Deutungen sind umstritten – und zudem<br />
nicht sehr hilfreich: Beispielsweise gibt es Kinder mit ähnlichen<br />
Besonderheiten im Gehirn oder ähnlicher familiärer<br />
Belastung, die trotzdem erfolgreich lesen / schreiben<br />
bzw. rechnen lernen. Die Umwelt behält also auch dann<br />
ihren Einfluss und Entwicklungschancen bestehen auch<br />
bei der sog. „Dyskalkulie“ – so dass die vierte Frage bleibt:<br />
Lässt sich die Gruppe eindeutig von allgemein<br />
schulschwachen Kindern abgrenzen?<br />
Das ist nicht der Fall: je nach eingesetztem Intelligenztest,<br />
je nach ausgewähltem Mathematik- oder Lesetest<br />
ergeben sich andere Zuordnungen. Und außerdem<br />
kommt es darauf an, wo genau man bei den Testwerten<br />
die Grenze zieht und damit Kinder zu »Dyskalkulikern«<br />
erklärt. Verschärft wird diese Unklarheit noch dadurch,<br />
dass Testleistungen schwanken: Je nach Tagesform fällt<br />
ein Kind dann unter die Schwelle oder nicht.<br />
Machen Kinder mit einer Rechen- oder Lese-/Rechtschreibschwäche<br />
»wider Erwarten« andere Fehler, haben sie<br />
besondere Probleme?<br />
Nein. Zum einen gibt es innerhalb der Gruppe sehr unterschiedliche<br />
Schwierigkeiten. Zum anderen finden<br />
sich alle Fehler auch in der jeweils anderen Gruppe. Man<br />
muss also individuell überprüfen, wo ein Kind konkret<br />
Schwierigkeiten hat. Das Dyskalkulie-Etikett hilft diagnostisch<br />
nicht weiter.<br />
Brauchen diese Kinder eine andere Förderung?<br />
Nach dem bisher Gesagten verwundert das Fazit der Forschung<br />
nicht: Es gibt keine speziellen Methoden oder<br />
Programme, die nur bei Kindern mit Rechenproblemen<br />
»wider Erwarten« oder bei ihnen besonders wirksam<br />
sind. Bei jedem Kind muss man sich die konkreten Fehler<br />
und Schwierigkeiten jeweils genau anschauen und ihm<br />
dann individuell helfen. Kinder brauchen zu derselben<br />
Zeit Verschiedenes. Und selbst bei demselben Problem<br />
hilft nicht allen dieselbe Methode.<br />
Weiterführend siehe auch »Hintergrundliteratur« ➝<br />
zum Stichwort »Förderung«.<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />
Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
05 • Mai 2012 27
Informationen & Lesetipps<br />
Anregungen für Eltern<br />
Minis entdecken<br />
Mathematik<br />
Christiane Benz,<br />
Johanna Zöllner<br />
Erschienen: 2010<br />
Verlag: Westermann<br />
Preis: 14,95 Euro<br />
Eine Sammlung<br />
von »Lernchancenkarten«, die zeigen,<br />
welche mathematischen Entdeckungen<br />
man mit Alltagsmaterialien<br />
machen kann. Hier wird anregend<br />
vorgestellt, wie Kinder Mathematik<br />
entdecken: selbstständig, auf unterschiedlichen<br />
Wegen und miteinander.<br />
Die Welt durch die mathematische<br />
Brille sehen: »Wie viele Haare wachsen<br />
auf deinem Kopf?«, »Wie viel Geld<br />
passt in eine Schultasche?« Eine Aufgabenkartei<br />
zum Mathematisieren<br />
des Alltags:<br />
Die Fermi-Box<br />
Andreas Büchter u. a.<br />
Erschienen: 2007<br />
Verlag: vpm / Klett<br />
Preis: 27,50 Euro<br />
Hintergrundliteratur<br />
In der Reihe »Was Erwachsene wissen<br />
sollten« gibt es auch eine empfehlenswerte<br />
Einführung in das mathematische<br />
Denken von Kindern:<br />
Kinder und Mathematik.<br />
Was Erwachsene wissen sollten<br />
Hartmut Spiegel, Christoph Selter<br />
Erschienen: 2003<br />
Verlag: Kallmeyer<br />
Preis: 18,95 Euro<br />
Üben macht wenig Sinn, wenn man<br />
nicht verstanden hat, was man übt.<br />
Unterrichtsbeispiele, die zeigen, wie<br />
man von den individuellen Vorstellungen<br />
der Kinder ausgehen und über<br />
den Austausch zwischen ihnen zu<br />
Standardverfahren kommen kann, haben<br />
die Dortmunder Arbeitsgruppen<br />
KIRA und PIK AS entwickelt, die auch<br />
hilfreiche Informationen für Eltern anbieten:<br />
www.kira.tu-dortmund.de/beispiele<br />
www.pikas.tu-dortmund.de/eltern<br />
Bücher für Kinder zum Thema<br />
Es fährt ein Boot nach Schangrila.<br />
Ein Zähl- und Reimbuch.<br />
Lene März, Barbara Scholz<br />
Erschienen: 2006<br />
Verlag: Thienemann<br />
Preis: 12,90 Euro<br />
Ein Bilderbuch voller Wimmelbilder<br />
und mit Zähl-Reimen von 1 bis 10 und<br />
wieder von 10 bis 1 rückwärts.<br />
Wollen wir Mathe spielen?<br />
Witzige Spiele und kniffelige Rätsel.<br />
Kristin Dahl, Mati Lepp<br />
Erschienen: 2000<br />
Verlag: Oetinger (5. Aufl.)<br />
Preis: 12,90 Euro<br />
»Fast alles in unserer Umgebung<br />
hängt mit Mathematik zusammen.<br />
Mathematik ist nämlich viel mehr als<br />
Rechnen in der Schule. Mathematik ist<br />
auch, wenn du am Kiosk Süßigkeiten<br />
kaufst und dein Geld zählst. Wenn du<br />
einen Apfel in der Mitte durchschneidest<br />
und zwei gleich große Hälften<br />
bekommst. Wenn du den Tisch<br />
deckst …«<br />
Eine Liste mit weiteren Empfehlungen<br />
haben wir auf unserer Homepage<br />
zusammengestellt zum Stichwort<br />
»Kinderbücher« ➝<br />
Viele Gesellschaftsspiele fördern<br />
beiläufig den Umgang mit geometrischen<br />
Formen (z. B. »Set«, »Ubongo«,<br />
»Tangram«). Andere fordern das Erfassen<br />
von Mengen und das Rechnen mit<br />
kleinen Zahlen (z. B. »Mensch ärgere<br />
dich nicht« mit zwei Würfeln) bis hin<br />
zu großen Summen (z. B. »Mono poly«).<br />
Weitere Tipps:<br />
»Ligretto«: Zahlen und Farben<br />
simultan erfassen;<br />
»Trio«: aus drei Zahlen eine vorgegebene<br />
zusammensetzen;<br />
»TicTacToe« (auch: »3 gewinnt«).<br />
Hilfe bei Schwierigkeiten<br />
Neues zu lernen ist immer schwierig. Dabei brauchen manche Kinder<br />
besondere Unterstützung. Der Grundschulverband hat unter dem Titel<br />
»Kompetenzen stärken – individuell fördern« Ideen für Mathematik und<br />
für die anderen Lernbereiche in zwei Bänden seiner »Beiträge zur Reform<br />
der Grundschule« zusammengestellt: Nr. 134 für die Eingangsstufe (Klasse<br />
1/2) und Nr. 135 (ab Klasse 3). Die Aufgaben richten die Aufmerksamkeit auf<br />
»kritische Stellen«, typische Hürden, an denen Kinder immer wieder scheitern.<br />
28 05 • Mai 2012
Ästhetisches Lernen<br />
Malen, Singen, Tanzen, Spielen, Bewegen …<br />
Kinder sind voller Phantasie und Kreativität. Sie malen,<br />
was sie denken, fühlen und erleben – nicht nur, was sie<br />
sehen oder hören.<br />
Kinder bauen eigene Welten aus Alltagsgegenständen<br />
und mit Sand am Strand, sie machen Musik mit Töpfen<br />
und Löffeln. Ihre Rollenspiele<br />
nehmen<br />
Mit langen Beinen weglaufen –<br />
mit langen Armen fangen …;<br />
aus: Seitz, R. (1985): Die Bildsprache<br />
unserer Kinder. In: spielen<br />
und lernen, H. 9 / 85, S. 16 – 19<br />
Umwelterfahrungen<br />
auf, passen sie aber<br />
auch eigenen Bedürfnissen<br />
an (»du hättest<br />
mir gegeben …«).<br />
Das leichtfertige Urteil:<br />
»Die spielen ja<br />
nur!« verkennt, was<br />
für eine Bedeutung<br />
die Entfaltung der<br />
kindlichen Eigenwelt<br />
für die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten hat. So<br />
setzen sich Kinder auch mit technischen Fragen auseinander,<br />
wenn sie ein Fahrrad zeichnen, z. B. mit der Übersetzung<br />
von Tret kurbel zu Hinterrad.<br />
Über diesen indirekten Nutzen darf aber der Eigenwert<br />
von Musik, Bewegung, Kunst nicht aus dem Blick geraten.<br />
Das bedeutet vor allem, die Formen anzuerkennen, die<br />
Kinder selbst wählen, sich die Welt zu erklären und sie zu<br />
gestalten: nicht Geigenunterricht<br />
mit<br />
vier Jahren, sondern<br />
ein Glockenspiel zum<br />
Ausprobieren von<br />
Tönen und Melodien,<br />
Tanzen zu einer<br />
CD im Wohnzimmer;<br />
kein Leistungsdrill im<br />
Sportverein, sondern<br />
Aus: Möller (1998), in: Brügelmann,<br />
Kinder lernen anders. Libelle, S. 92<br />
gemeinsame (Ball-)Spiele im Garten oder einer Parkanlage;<br />
und statt die Tulpe nach Vorlage auszumalen das freie<br />
Zeichnen und Malen.<br />
Pablo Picasso<br />
»Als Achtzehnjähriger war ich<br />
technisch so gut wie Raffael.<br />
Den Rest meines Lebens habe ich gebraucht,<br />
um wie ein Kind malen zu lernen.«<br />
Tipp<br />
»Inklusion« war Thema unseres zweiten Kapitels. 2012<br />
startete der Film »Berg Fidel – eine Schule für alle« in den<br />
Kinos. Er dokumentiert lebendig Erfahrungen mit gemeinsamem<br />
Lernen in einer Münsteraner Grundschule:<br />
www.bergfidel.wfilm.de/berg_fidel/Start.html l<br />
Liebe Eltern,<br />
nach PISA hat sich Schule zunehmend auf die vermeintlichen<br />
Kernfächer konzentriert: auf Deutsch und Mathematik,<br />
auf Fremdsprachen und Naturwissenschaften. Innerhalb<br />
dieser Fächer wiederum stehen meist abprüfbare<br />
Leistungen im Vordergrund. Die Aufgabe von Schule ist<br />
jedoch mehr als die Vermittlung abprüfbarer Kenntnisse.<br />
Schule ist auch ein Raum der Persönlichkeitsentwicklung,<br />
in dem Kinder gefördert und gefordert werden. Im letzten<br />
Heft haben wir die Mitbestimmungsrechte der Kinder<br />
und ihre Entwicklung zu aktiven Bürgern betont. Nicht<br />
minder wichtig ist es, ihnen Möglichkeiten zu eröffnen,<br />
wie sie die Welt musisch-ästhetisch erfahren und gestalten<br />
können: durch Musik und Bewegung, über Sprache<br />
und Bilder. Tanz, Theater, Dichten – es gibt viele Möglichkeiten<br />
sich auszudrücken.<br />
Dabei ist nicht die Hinführung zur »Hochkultur« gemeint,<br />
zu Bach, Dürer, Goethe, Wagner. Vielmehr geht es darum,<br />
die sinnliche Wahrnehmung zu entwickeln, eigene Vorstellungen<br />
darzustellen und anderen mitzuteilen – mit der<br />
Hilfe von Musik, Bewegung, bildender Kunst, Theater und<br />
Literatur. Diese Sichtweise hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
über die Reformpädagogik an Gewicht gewonnen.<br />
Leider werden aber auch heute Musik, Bewegung,<br />
Kunst oft nur als Mittel gesehen, um fachliches Lernen zu<br />
fördern. So soll Fußballspielen mathematisches Lernen<br />
fördern (s. analog Musik zur Intelligenzsteigerung, S. 31).<br />
Ästhetische Wahrnehmungs- und Ausdrucksformen haben<br />
einen Eigenwert für Kinder und ihre Entwicklung:<br />
beim Theaterspielen, beim Vortrag eines selbst gewählten<br />
Gedichts, beim Drehen eines Films – und vor allem<br />
beim Spielen im Alltag. Dafür Räume zu schaffen und<br />
Anregungen zu bieten, ist eine besondere Aufgabe auch<br />
der Familie – zum Beispiel als Ausgleich zu der in vielen<br />
Schulen dominanten (Kern-)Fachorientierung.<br />
07 • November 2012 29
Lernen mit allen Sinnen – aber mit Sinn<br />
Wenn Kinder die Welt erkunden, sind alle Sinne beteiligt.<br />
Kinder lernen, wenn sie an Pflanzen riechen und auf Bäume<br />
klettern, wenn sie ihren Körper ertasten oder einfach<br />
»matschen«. Sie sammeln dabei gleichzeitig Erfahrungen,<br />
die für ihr mathematisches und sprachliches Lernen<br />
wichtig sind, z. B. wenn sie Reime singen oder mit Klötzen<br />
einen Turm bauen.<br />
Ästhetik der Mathematik<br />
Die Eleganz von Formeln verstehen Kinder noch nicht.<br />
Aber die Schönheit geometrischer Formen nehmen sie<br />
wahr – und gestalten sie selbst. Beispielsweise mit Alltagsmaterialien.<br />
»Gleiches Material in großer Menge«<br />
ist das einfache Prinzip. »Kinder erfinden Mathematik«<br />
nennt Kerensa Lee diesen Ansatz ( Nr. 1 ➝ »Praktische<br />
Tipps«). Indem die Kinder Cent-Stücke, Eislöffel, Kronkorken<br />
ordnen und zu »schönen« Formen zusammenfügen,<br />
lernen sie auch viel über Mengen und Zahlen.<br />
Foto: Fabian Bojé<br />
Aber Schule wird nicht dadurch besser, dass sie bloß bunter<br />
und lauter wird. Lernprogramme für den PC nutzen<br />
Farbe, Ton und Bewegung, um Kinder »zu motivieren« –<br />
und lenken sie damit oft von dem ab, was inhaltlich gelernt<br />
werden soll. Kinder verstehen nichts vom Aufbau<br />
der Schrift, wenn sie mit nackten Füßen über Buchstaben<br />
aus Seilen balancieren. Im Gegenteil: dabei wird das »W«<br />
Theater statt – oder fürs<br />
Mathematik lernen?<br />
»Die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden hat ein Drittel<br />
des klassischen Fachunterrichts abgeschafft. Die<br />
Schüler spielen stattdessen Theater – und sind gleichzeitig<br />
besser in Mathematik. Die Schule ist Preisträgerin<br />
des Deutschen Schulpreises 2007.«<br />
www.adz-netzwerk.de/Helene-Lange-Schule-Wiesbaden.php<br />
(dort auch ein Kurzfilm, ein Interview und<br />
weitere Informationen zum Konzept und zu den praktischen<br />
Erfahrungen der Schule mit diesem Ansatz)<br />
plötzlich zum »M« oder das »n« zum »u«. Und wenn sie<br />
Buchstaben als Russisch Brot essen, nutzt das ebenfalls<br />
der Schriftkenntnis wenig.<br />
»Lernen mit allen Sinnen« ist eine werbewirksame Formel,<br />
die Verlage gerne nutzen, um ihre Materialien attraktiv<br />
zu machen. Räucherkerzen und das Schwingen<br />
mit farbenfrohen Tüchern mögen zum allgemeinen<br />
Wohlbefinden beitragen – das Lernen fachlicher Inhalte<br />
erfordert spezifischere Hilfen.<br />
Sinnvoll ist es beispielsweise, wenn Kinder sich unbekannte<br />
Wörter in einem Buch mit Hilfe eines Vorlesestifts<br />
anhören können – oder Geräusche von Tieren, von Maschinen<br />
(s. »Heißer Tipp«, S. 36 unten). Ihnen hilft, geometrische<br />
Formen aus Puzzleteilen nachzulegen oder<br />
Wörter Laut für Laut aus einzelnen Buchstaben zu stempeln.<br />
Dann stützen Anschauung und äußere Handlung<br />
den Aufbau innerer Vorstellungen.<br />
In Zeichnungen wie in anderen Ausdrucksformen gelingt<br />
es Kindern aber auch, reale und Wunschwelt bruchlos<br />
zu verbinden – wie die siebenjährige kurzhaarige Lisa<br />
ihre (tatsächlichen) Zahnlücken<br />
mit den (erträumten) langen<br />
Haaren.<br />
Auch hier gilt: Maßstab für Kinder<br />
ist nicht die naturgetreue<br />
Kopie, sondern die Stimmigkeit<br />
zu ihren Vorstellungen. Abweichungen<br />
von unserer Erwachsenensicht<br />
sind kein Fehler,<br />
sondern Annäherungen auf der<br />
jeweiligen Entwicklungsstufe.<br />
Uns eröffnen sie Fenster für Einsichten in ihre individuelle<br />
Denk- und Gefühlswelt.<br />
Kindern wiederum fällt der Weg in die Erwachsenenkunst<br />
leichter, wenn sie selbst aktiv werden können: ein<br />
zerschnittenes Gedicht wieder zusammenbauen, in einer<br />
»Fälscherwerkstatt« bewusst die Bildsprache von Picasso<br />
oder Monet nachempfinden, ein Musikstück in farbige<br />
Bilder übersetzen (zu weiteren Ideen s. Nr. 1 ➝ »Praktische<br />
Tipps …«).<br />
»Rhythm is it«<br />
Ein Film über Schüler/innen, denen kaum jemand etwas<br />
zutraut – außer dem Tanzlehrer Royston Maldoom<br />
und dem Stardirigenten Sir Simon Rattle. Sie bereiten<br />
die Jugendlichen aus Berliner »Problemschulen« in<br />
wenigen Wochen auf eine Aufführung in der Arena<br />
Berlin mit den Berliner Philharmonikern vor … Einige<br />
eindrucksvolle Einblicke in den Film finden sich hier:<br />
www.rhythmisit.com/de/<br />
30 07 • November 2012
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Macht Musik schlau?<br />
Immer wieder geistern Meldungen durch die Presse, das<br />
Hören von Musik (sog. »Mozart-Effekt«) oder das Spielen<br />
eines Instruments steigere die Intelligenz bzw. bestimmte<br />
fachliche Leistungen. Das Problem mit den zitierten<br />
Studien: Effekte der untersuchten Förderprogramme<br />
oder -einrichtungen lassen sich nicht eindeutig der Musik<br />
zuordnen. So können sich die Angebote auch in weiteren<br />
Merkmalen unterscheiden. Das Personal könnte<br />
engagierter oder kompetenter gewesen sein. Oder es<br />
könnten bestimmte Kinder bzw. Eltern sein, die solche<br />
Aktivitäten wählen.<br />
Positive Effekte gemeinsamen Musizierens lassen sich<br />
jedenfalls auch indirekt erklären, zum Beispiel über eine<br />
Verbesserung der individuellen Lernmotivation bzw.<br />
der sozialen Beziehungen in der Gruppe. Insofern ist gemeinsames<br />
Musizieren – ganz unabhängig von beiläufigen<br />
fachlichen Lerneffekten – eine Aktivität, die nicht<br />
nur Freude macht, sondern sich auch lohnt. Kunst, Musik,<br />
Bewegung gehören zu einer ganzheitlichen Entwicklung<br />
dazu und bieten besondere Möglichkeiten sich auszudrücken<br />
– gerade für Kinder, die in der Schule nicht so<br />
erfolgreich sind.<br />
Besser lernen durch eigenes Tun<br />
Von Konfuzius wird die Mahnung überliefert:<br />
Erkläre mir, und ich vergesse.<br />
Zeige mir, und ich erinnere.<br />
Lass es mich tun, und ich verstehe.<br />
In heutigen Fachbüchern findet sich diese Einsicht<br />
übersetzt in scheinpräzise Prozentwerte:<br />
Soweit sich Wirkungen feststellen ließen ( Nr. 1 ➝<br />
»Untersuchungen«),<br />
●●<br />
beziehen sie sich jedenfalls nur auf aktives Musizieren,<br />
nicht bloßes Musikhören,<br />
●●<br />
waren sie vergleichsweise gering (wenige IQ-Punkte<br />
über viele Jahre hinweg),<br />
●●<br />
sind sie überwiegend an Berufsmusikern gewonnen<br />
und lassen sich deshalb nicht ohne Weiteres auf andere<br />
Berufs- bzw. Altersgruppen übertragen,<br />
●●<br />
ist die Nachhaltigkeit früher Fördereffekte für die weitere<br />
Entwicklung noch nicht gesichert,<br />
●●<br />
konnten die unterstellten Wirkungszusammenhänge<br />
noch nicht befriedigend erklärt werden,<br />
●●<br />
ließen sie sich nicht spezifischen Bereichen zuordnen<br />
(z. B. Mathematik oder Sprache).<br />
Zudem sind selbst die geringen Fördereffekte nur bei einem<br />
erheblichen Aufwand (Regelmäßigkeit und Dauer<br />
des Übens) zu beobachten. Insofern wäre zu prüfen, ob<br />
nicht auch andere Hobbys oder Förderprogramme vergleichbare<br />
Wirkungen haben können.<br />
Vor allem ist zu bedenken: Breit und vielfältig angeregt<br />
wird auch ein Kind, dass mit seinem Metallkasten baut,<br />
mit Freunden spielt, Bilder malt, am Gameboy (!) spielt,<br />
Fahrrad fährt – und die (hoffentlich …) vielfältigen Angebote<br />
seiner Schule nutzt.<br />
aus: Hüholdt, J. (1997): Wunderland des Lernens,<br />
S. 248<br />
Aber so plausibel das nach der Alltagserfahrung<br />
scheint: Es gibt keine Untersuchungen, die solche<br />
Allgemeinaussagen erlauben. Man muss genauer hinschauen,<br />
wenn das Lernen »mit allen Sinnen« Sinn machen<br />
soll (s. die Hinweise S. 30).<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />
Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
07 • November 2012 31
Informationen & Lesetipps<br />
Materialien für die Eltern<br />
Warum das Huhn vier Beine hat.<br />
Knut Philipps<br />
Erschienen: 2011 (3. Aufl.)<br />
Verlag: Toeche-Mittler<br />
Preis: 24,00 Euro<br />
Heißer Tipp:<br />
Inzwischen ist der 10. Band der<br />
Musicalreihe Ritter Rost mit Phantasiegeschichten<br />
und mitreißender<br />
Musik (inkl. Noten) von Jörg Hilbert<br />
und Felix Janosa im Terzio-Verlag<br />
erschienen. Für alle Altersstufen.<br />
Geschichten zum Thema<br />
Schon für jüngere Kinder:<br />
Die Königin der Farben.<br />
Jutta Bauer<br />
Erschienen: 2012 (15. Aufl.)<br />
Verlag: Beltz & Gelberg<br />
Preis: 12,95 Euro<br />
Zur kindlichen Entwicklung der Bildsprache<br />
und ihrer Eigengesetzlichkeit,<br />
die Erwachsene kennen sollten, um<br />
auf die individuellen Fähigkeiten der<br />
Kinder reagieren (und auf Schablonen<br />
verzichten …) zu können.<br />
Anregungen für Kinder und Hilfen zur<br />
Vorbereitung der interessanten Aktivitäten<br />
für Erwachsene bieten<br />
So seh ich das!<br />
Bildnerisches Gestalten mit Kindern<br />
Diemut Schilling<br />
Erschienen: 2005<br />
Verlag an der Ruhr<br />
Preis: 21,00 Euro<br />
Hundert einfache und anspruchsvollere<br />
Spiele zu Musik und Bewegung<br />
mit hilfreichen Kommentaren finden<br />
sich in übersichtlicher Form in<br />
Klangdörfer<br />
Klaus Holthaus<br />
Erschienen: 1994 (2. verb. Aufl.)<br />
Verlag: Fidula<br />
Preis: 14,90 Euro<br />
Anregungen zum Selbertun<br />
KINDER KÜNSTLER MITMACHBUCH<br />
Ohne die Unterstützung von Erwachsenen<br />
für Kinder direkt nutzbar:<br />
Aufschlagen – Loslegen –<br />
Spaß haben<br />
Labor Ateliergemeinschaft<br />
Erschienen: 2012 (4. Aufl.)<br />
Verlag: Beltz & Gelberg<br />
Preis: 9,95 Euro<br />
Die schwarz-weiße Königin Malwida<br />
entdeckt die Bedeutung und das Zusammenspiel<br />
der Farben. Ein Buch zum<br />
Anschauen und für eigene Versuche.<br />
Ottokar der Elefant aus Sansibar.<br />
Hückstädt, C., Anita Andrzejewska &<br />
Andrzej Pilichowski-Ragno<br />
Erschienen: 2010<br />
Verlag: Bibliographisches Institut<br />
Preis: 12,95 Euro<br />
Skurrile Geschöpfe aus Alltagsgegenständen,<br />
kommentiert in originellen<br />
Gedichten, regen zum Selberbasteln<br />
an.<br />
Weitere Empfehlungen ➝ Nr. 2<br />
und ein zweiter Band von derselben<br />
Autorin (ebenfalls in dieser Reihe):<br />
Das bin ich!<br />
Bildnerisches Gestalten mit Kindern<br />
Weitere Empfehlungen ➝ Nr. 1 ➝<br />
»Hilfen zum Verständnis« und »Prak-<br />
tische Tipps«<br />
Immer wenn Sie dies Symbol<br />
sehen, erfahren Sie Näheres<br />
auf www.grundschuleltern.<br />
info unter »Weitere Informationen«.<br />
Ebenso vielseitig, aber auf Hilfe von<br />
Erwachsenen angewiesen:<br />
Kunst. Ein Mitmachbuch für Kinder<br />
Rosie Dickins<br />
Erschienen: 2008<br />
Arena : Würzburg<br />
Preis: 12,95 Euro<br />
Kunst von Kindern für Kinder<br />
– und für Erwachsene<br />
In Berlin gibt es ein Kinder-Kunst-<br />
Museum. Seine Idee (s. www.kkmberlin.de):<br />
Wir sind ein "Museum im Koffer",<br />
auf Wanderschaft mit interaktiven<br />
Projekten.<br />
Unsere Philosophie: Kindern Mut zu<br />
machen, etwas Eigenes zu erschaffen,<br />
worauf sie stolz sein können.<br />
Wir wollen gemeinsam malen, musizieren,<br />
Theater spielen, filmen, unsere<br />
Ausstellungen gestalten und<br />
Bücher publizieren.<br />
32 07 • November 2012
Kinder bestimmen mit –<br />
in Familie und Schule<br />
Alexander S. Neill, Gründer und Leiter der freien Schule<br />
»Summerhill« in England, erinnert sich, wie eine Mutter<br />
ihre Tochter zur Anmeldung mitbrachte:<br />
»Ich warf einen Blick auf Daphne, die mit ihren schweren<br />
Schuhen auf meinem Konzertflügel stand. Sie machte<br />
einen Satz auf das Sofa und stieß beinahe die Sprungfedern<br />
durch. ›Sehen Sie, wie natürlich sie ist‹, sagte die<br />
Mutter. ›Das Neill‘sche Kind!‹ Ich fürchte, ich bin rot geworden.«<br />
Neill kommentiert:<br />
»Diesen Unterschied zwischen Freiheit und Zügellosigkeit<br />
können viele Eltern nicht begreifen. In einem Heim,<br />
in dem Disziplin herrscht, haben Kinder keine Rechte. In<br />
einem Heim, in dem sie verwöhnt werden, haben sie alle<br />
Rechte. In einem guten Heim haben Kinder und Erwachsene<br />
jedoch gleiche Rechte. Und dasselbe trifft auf die<br />
Schule zu« (Neill 1969, S. 116 – 117).<br />
Auch in anderen reformpädagogischen Konzepten wurde<br />
schon vor hundert Jahren gefordert, dass Kinder über<br />
ihr Lernen und das Zusammenleben in der Schule (mit)<br />
bestimmen sollen. Das bedeutet nicht: Jedes Kind kann<br />
tun und lassen, was ihm gefällt oder gerade in den Sinn<br />
kommt. Auch eine demokratische Schule braucht Regeln.<br />
Der wesentliche Unterschied zur herkömmlichen Schule<br />
ist aber: Die Regeln fallen nicht vom Erwachsenen-<br />
Himmel: sie werden von Lehrer/inne/n und Kindern gemeinsam<br />
entwickelt und kontrolliert.<br />
(Fortsetzung S. 34)<br />
Liebe Eltern,<br />
wozu ist die Schule eigentlich da?<br />
Damit die Kinder »etwas lernen«. So oder ähnlich antworten<br />
viele Menschen, wenn man sie im Alltagsgespräch<br />
fragt. Vor allem Lesen, Schreiben und Rechnen sollen die<br />
Kinder lernen. Das war so in der alten Volksschule und ist es<br />
auch heute noch in der Grundschule. Fachliches Lernen sehen<br />
viele als das Zentrum der Schule. Unter anderem deshalb<br />
konzentrieren sich PISA, IGLU und die anderen großen<br />
Untersuchungen auf den Vergleich von »Leistungen«.<br />
Gemeint sind damit Fachleistungen. Aber ist das alles?<br />
»Die Schule der Nation ist die Schule«, hat Bundeskanzler<br />
Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969<br />
betont. Und in der Tat: Die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen,<br />
die gemeinsame Lösung von Konflikten, der<br />
Umgang zwischen Stärkeren und Schwächeren – solche<br />
Erfahrungen von Kindern bestimmen mit, ob sie sich als<br />
Erwachsene demokratisch verhalten.<br />
Aber es geht nicht nur darum, »Demokratie zu lernen« – für<br />
die Zukunft. Sondern auch darum, sie jetzt schon leben zu<br />
dürfen. Dieses Recht räumt nämlich die bereits 1989 verabschiedete<br />
UN-Konvention schon Kindern ein (s. S. 36). Einerseits<br />
stärkt sie die Schutzrechte der Kinder, z. B. tabuisiert<br />
sie Gewalt. Darüber hinaus aber formuliert sie Beteiligungsrechte.<br />
Kinder sollen über ihr Leben selbst entscheiden, zumindest<br />
aber mit-bestimmen. Partizipation, d. h. Mitwirkung<br />
der Kinder ist ein hoher Anspruch an Familie und Schule, in<br />
der bisher meist die Erwachsenen das Sagen hatten. Schule<br />
hat also nicht nur die Aufgabe, auf das zukünftige Leben<br />
vorzubereiten. Als öffentliche Einrichtung hat sie auch ihren<br />
Alltag demokratisch zu gestalten (s. ➝ Nr. 5).<br />
Und das fachliche Lernen? Kommt es dabei nicht zu kurz?<br />
Nein. Man lernt auch besser, wenn man sich selbst Ziele<br />
setzen kann, wenn man an der Auswahl der Inhalte beteiligt<br />
ist, wenn man die Arbeitsformen (mit)bestimmen<br />
darf. Das zeigen psychologische Untersuchungen – und<br />
wir wissen das alle ja auch aus eigener Erfahrung. Trauen<br />
wir es auch unseren Kindern zu!<br />
© Grundschule Harmonie, Eitorf<br />
Die eigenen Angelegenheiten gemeinsam regeln<br />
Kinderrechte ins Grundgesetz<br />
Seit über hundert Jahren kämpfen Frauen für ihre Gleichberechtigung<br />
mit Männern, die erst 1949 im Grundgesetz<br />
verankert wurde. Mit der UN-Konvention von 1989 stehen<br />
wir nun vor der gleichen Aufgabe für die Selbst- und<br />
Mitbestimmungsrechte der Kinder: www.kinderrechteins-grundgesetz.de/<br />
06 • September 2012 33
(Kinder bestimmen mit – in Familie und Schule, Fortsetzung von S. 33)<br />
Selbst- und Mitbestimmung in der Schule<br />
In der Schule gibt es unterschiedliche Bereiche, in denen<br />
Kinder selbst oder mit-bestimmen können:<br />
●●<br />
im Unterricht (»Freiarbeit«),<br />
●●<br />
bei Verständigungen in der Lerngruppe (»Klassenrat«),<br />
●●<br />
bei klassenübergreifenden Entscheidungen (»Schülerparlament«).<br />
Freiarbeit gibt es in sehr verschiedenen Formen, die sich<br />
vor allem im Grad der Öffnung unterscheiden. Das lässt<br />
sich gut an zwei Beispielen für Wochenpläne illustrieren<br />
(vgl. Brügelmann / Brinkmann (1998, S. 57 ff.).<br />
Der erste Wochenplan zielt auf die unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen der Kinder. Die Lehrerin differenziert<br />
die Aufgaben immerhin nach drei Leistungsstufen. Je<br />
nachdem, zu welcher Gruppe ein Kind gehört, bekommt<br />
es genau vorgeschrieben, woran und wie es zu arbeiten<br />
hat. Aber anders als im üblichen Klassenunterricht kann<br />
jedes Kind individuell bestimmen, in welcher Reihenfolge<br />
es sich die Aufgaben vornimmt und es kann sie in seinem<br />
eigenen Tempo bearbeiten.<br />
Der zweite Wochenplan ist sehr viel offener. Jedes Kind<br />
macht eigene Vorschläge, woran es arbeiten möchte. Die<br />
Lehrerin kommentiert diese Vorschläge, sie gibt Hinweise,<br />
stellt Rückfragen, erinnert an noch nicht eingelöste<br />
Absprachen. Weder verordnet sie die Aufgaben noch<br />
sind deren Lösungen immer schon absehbar und einfach<br />
abzuhaken.<br />
Die Arbeit mit solchen individuellen Plänen, deren Inhalte<br />
zwischen Lehrer/in und Kind ausgehandelt werden,<br />
bildet den Kern eines offenen Unterrichts. Der Austausch<br />
über die Ergebnisse in der Lerngruppe fordert heraus,<br />
regt an, erweitert die Perspektiven.<br />
Diese soziale Dimension wird noch deutlicher in der Institution<br />
des Klassenrats. In ihm werden Angelegenheiten<br />
behandelt, die alle betreffen: Konflikte zwischen<br />
Kindern; die Planung einer Klassenfahrt; Absprachen<br />
über ein gemeinsames Projekt im Unterricht. Die Kinder<br />
wechseln sich in der Leitung und beim Protokollieren ab.<br />
So übernehmen sie Verantwortung nicht nur für die eigene<br />
Arbeit, sondern auch für ein gedeihliches Zusammenleben<br />
in der Gruppe – wie bei der Familienkonferenz<br />
zu Hause (s. S. 36 und ➝ Nr. 1). Im Schülerparlament<br />
geht es um noch grundsätzlichere Fragen. Gewählte Vertreter/innen<br />
aller Klassen beraten über Entscheidungen,<br />
die alle betreffen: Schulordnung, Gestaltung des Schulhofs,<br />
Konflikte (z. B. zwischen den »Großen« und den<br />
»Kleinen«). An manchen Schulen treffen sich alle Kinder<br />
und alle Erwachsenen regelmäßig, zum Beispiel in einer<br />
wöchentlichen Vollversammlung, um gemeinsame Angelegenheiten<br />
zu beraten. Dort können auch inhaltliche<br />
Ergebnisse den anderen Klassen vorgestellt werden.<br />
Gemeinsam ist allen Formen: die Kinder lernen für die<br />
Zukunft, indem sie schon jetzt ihre Rechte wahrnehmen.<br />
34 06 • September 2012
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Es gibt Unterrichtsformen, die dem demokratischen Anspruch<br />
besser gerecht werden, und andere, die dies weniger<br />
tun. Eine stark ausgeprägte Selbst- und Mitbestimmung<br />
ist Kennzeichen des sog. »offenen Unterrichts«.<br />
Diese Alternative zu einem vom Lehrer gesteuerten Unterricht<br />
wird seit vielen Jahren auch wissenschaftlich untersucht.<br />
Die Ergebnisse sind nicht leicht einzuschätzen,<br />
weil Lehrer/innen in verschiedenen Schulen, aber auch<br />
verschiedene Forscher/innen unter diesem Begriff sehr<br />
Unterschiedliches verstehen.<br />
Wie verbreitet ist offener Unterricht?<br />
Je höher der Anspruch an Mitwirkungsrechte von Kindern<br />
ist, desto seltener finden wir diese im Unterricht und<br />
im Schulleben umgesetzt. In der Regel können Kinder<br />
eher über die Reihenfolge ihrer Arbeiten bestimmen als<br />
zwischen verschiedenen Aufgaben zu wählen. Sie können<br />
eher eigene Lösungswege ausprobieren als selbst<br />
über Inhalte oder Ziele ihrer Arbeit zu entscheiden. Bei<br />
manchen Lehrer/inne/n gibt es Freiarbeit nur in festgelegten<br />
Stunden, bei anderen bestimmt sie den Unterricht<br />
insgesamt ➝ Nr. 3.<br />
Gleiche Freiräume für alle Kinder?<br />
Grundsätzlich: JA. In der Demokratie werden Rechte nicht<br />
nach Kompetenz gewährt. Aber manche Kinder sind von<br />
zu Hause weniger Selbstständigkeit gewöhnt als andere.<br />
Insofern ist es sinnvoll, mit ihnen zusammen über Hilfen<br />
nachzudenken. Zum Beispiel kann am Anfang ein Tagesplan<br />
statt eines Wochenplans helfen, die eigene Arbeit<br />
fristgemäß zu erledigen. Anderen hilft vielleicht die Zusammenarbeit<br />
im Team, sich besser zu organisieren.<br />
Wie (oft) erleben Kinder Freiräume im Unterricht?<br />
Selten. Weniger als 20 % der Dritt- und Viertklässler/innen<br />
sagen, dass sie zumindest »häufig« bestimmen dürfen,<br />
was in den Schulstunden gemacht wird. Und auch<br />
Lehrer/innen schätzen die Häufigkeit von Wahlmöglichkeiten<br />
für die Kinder in ihrem Unterricht geringer ein, als<br />
es ihrem eigenen Anspruch entspricht ➝ Nr. 3.<br />
Lernen Kinder im offenen Unterricht besser?<br />
Das kommt darauf an – wie bei allen pädagogischen Konzepten<br />
… Im Durchschnitt der verschiedenen Studien ergibt<br />
sich folgendes Bild: In den fachlichen Leistungen finden<br />
sich kaum nennenswerte Unterschiede, allenfalls mit<br />
leichten Vorteilen für traditionellen Unterricht. Aber die<br />
Streuung innerhalb der Konzepte ist größer. In den sogenannten<br />
Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit<br />
und Fähigkeit zur Zusammenarbeit ist offener Unterricht<br />
deutlich überlegen ➝ Nr. 4.<br />
© Bert Butzke, Mülheim<br />
Ein Grundschulkind leitet den Klassenrat<br />
Werden Kinder heute freier erzogen als früher?<br />
Ja. In den Familien gibt es einen Wandel »vom Befehlshaushalt<br />
zum Verhandlungshaushalt«. So sagen 43 % der<br />
Unter-30-Jährigen »Ich durfte schon als Kind vieles selbst<br />
entscheiden« – aber nur 15 % der Über-60-Jährigen. Von<br />
denen wiederum sagen fast zwei Drittel, sie seien »streng<br />
erzogen worden« ➝ Nr. 6.<br />
Welcher Erziehungsstil ist denn nun besser?<br />
Es ist leichter zu sagen, welche Erziehungsformen<br />
schlecht sind. Auf der Gefühlsebene: wenig persönliche<br />
Zuwendung, aber auch eine zu starke Bindung, also die<br />
Unfähigkeit, die eigenen Kinder loslassen zu können,<br />
sind nicht förderlich. Deren Entwicklung wird ebenfalls<br />
behindert, wenn Eltern alles für sie entscheiden, ihnen<br />
zum Beispiel vorgeben, wann und wie sie Hausaufgaben<br />
zu machen haben. Aber auch wenn die Eltern sozusagen<br />
»verschwinden«, nicht mehr als Gegenüber erkennbar<br />
sind, ihre eigenen Bedürfnisse denen des Kindes unterordnen,<br />
tut dies den Kindern nicht gut. Die optimale Balance<br />
zwischen diesen Extremen lässt sich allgemein nur<br />
schwer bestimmen.<br />
Grundbedürfnisse des Menschen G<br />
Eine »Selbstbestimmungstheorie der Motivation« haben<br />
die US-amerikanischen Psychologen Deci und Ryan entwickelt.<br />
In ihren vielfältigen Untersuchungen haben sie<br />
drei Grundbedürfnisse herausgearbeitet. Die Motivation<br />
zu lernen hänge davon ab, dass eine Person sich erlebt<br />
als …<br />
●●<br />
autonom: »Ich darf selbst entscheiden«<br />
●●<br />
zugehörig: »Andere mögen mich, ich bin<br />
anerkannt«<br />
●●<br />
kompetent: »Ich kann etwas gut«<br />
Immer wenn Sie dies Symbol sehen, erfahren<br />
Sie Näheres auf www.grundschuleltern.info<br />
unter »Weitere Informationen«.<br />
06 • September 2012 35
Informationen & Lesetipps<br />
Erziehung in Familie und Schule<br />
Immer noch aktuell (inzwischen in der<br />
49. Auflage!) und trotz des irrführenden<br />
Titels ein eindrucksvolles Plädoyer<br />
für einen respektvollen Umgang<br />
mit Kindern: Neills lebendig geschriebener<br />
Erfahrungsbericht aus einer der<br />
ersten demokratischen Schulen:<br />
Theorie und Praxis der<br />
anti autoritären Erziehung.<br />
Das Beispiel Summerhill<br />
Alexander S. Neill<br />
Erschienen: 1969<br />
Verlag: Rororo 200446<br />
Preis: 9,99 Euro<br />
Heißer Tipp:<br />
Vorlesestifte zum selbstständigen Lesen<br />
Vorlesen ist für viele Kinder eine der schönsten Situationen.<br />
Und sie lernen dabei viel über die Schrift. Leider haben Erwachsene<br />
oft zu wenig Zeit. Vorlesekassetten oder CDs laufen wiederum<br />
einfach ab. Die Kinder können nicht selbst bestimmen, was genau sie<br />
anhören wollen.<br />
Da helfen »Lese-Stifte«, mit denen Kinder sich in bestimmten Büchern<br />
Texte, einzelne Wörter oder auch ergänzende Kommentare und<br />
Hörspiel szenen gezielt auswählen können ➝ Nr. 7<br />
Demokratie – erklärt für Kinder<br />
Geschichten zum Thema<br />
Willibald schwingt sich zum tyrannischen<br />
Boss eines Mäuserudels auf. Nur<br />
das viellesende Mäusemädchen Lilli<br />
widersetzt sich und wird verbannt.<br />
Doch eines Tages kommt ihre Chance.<br />
Familienkonferenz: Die Lösung von<br />
Konflikten zwischen Eltern und Kind<br />
Thomas Gordon<br />
Erschienen: 1989<br />
Verlag: Heyne Sachbuch Nr. 15<br />
Preis: 9,95 Euro<br />
Das Buch »Familienkonferenz« entfaltet<br />
(ebenfalls schon in der 29. Auflage)<br />
praktische Konsequenzen für eine Erziehung,<br />
die Kinder als eigenständige<br />
Persönlichkeiten auch in der Familie<br />
wahr- und ernstnimmt,<br />
– ergänzt vom Verfasser um zwei<br />
Nachfolgebände:<br />
Die Neue Familienkonferenz:<br />
Kinder erziehen ohne zu strafen<br />
und<br />
Familienkonferenz in der Praxis: Wie<br />
Konflikte mit Kindern gelöst werden<br />
Nachgefragt:<br />
Menschenrechte und Demokratie.<br />
Basiswissen zum Mitreden<br />
Christine Schulz-Reiss<br />
Erschienen: 2008<br />
Verlag: Loewe Verlag<br />
Preis: 12,90 Euro<br />
Und speziell zu den 1989 von den UN<br />
proklamierten Rechten der Kinder – in<br />
Kindersprache:<br />
Die Rechte der Kinder –<br />
von logo! einfach erklärt<br />
Benno Schick / Andrea Kwasniok<br />
Erschienen: 2008 (8. Auflage)<br />
Hrsgg. vom Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
Kostenloser Download ➝ Nr. 1<br />
Kinderwille<br />
Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene<br />
Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden<br />
Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung<br />
des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.<br />
(UN-Kinderrechtskonvention Art. 12 I)<br />
Der überaus starke Willibald<br />
Willi Fährmann<br />
Erschienen: 1999<br />
Verlag: Arena<br />
Preis: 5,99 Euro<br />
Ausdrücklich angesprochen werden<br />
die Kinderrechte in der Geschichte:<br />
Justine und die Kinderrechte<br />
Antje Szillat<br />
Erschienen: 2009<br />
Verlag: Edition Zweihorn<br />
Preis: 7,95 Euro<br />
Justine und ihr Kater Joschi tauchen<br />
immer dort auf, wo die Rechte eines<br />
Kindes in Gefahr sind. Aber nur mit<br />
Hilfe vieler Kinder können sie die Kinderrechte<br />
bekannt machen und ihnen<br />
helfen, sie umzusetzen.<br />
Für weitere Buchempfehlungen siehe<br />
➝ Nr. 2<br />
36 06 • September 2012
Hausaufgaben: wozu und wie?<br />
Hausaufgaben gehören für viele zu den Selbstverständlichkeiten<br />
von Schule – wie die Noten, das Sitzenbleiben und<br />
der 45-Minuten-Takt des Unterrichts. Gleichzeitig sagt die<br />
Hälfte der Eltern, dass es zu Hause täglich oder mehrmals<br />
pro Woche Streit wegen der Hausaufgaben gebe (ELTERN/<br />
family 2011 ➝ 2c). Häufig liegt das an unterschiedlichen<br />
Vorstellungen darüber, was Hausaufgaben leisten sollen:<br />
●●<br />
durch Übungsaufgaben die Inhalte des Unterrichts<br />
festigen;<br />
●●<br />
durch angemessene Aufgaben (Eigenverantwortung)<br />
zum selbstständigen Arbeiten hinführen;<br />
●●<br />
durch Sammel- oder Forscheraufträge neue Themen<br />
vorbereiten;<br />
●●<br />
den Lehrpersonen eine Rückmeldung zum Erfolg<br />
ihres Unterrichts geben;<br />
●●<br />
Eltern über den Lernstand, die Fortschritte und<br />
Schwie rig keiten ihrer Kinder informieren.<br />
Um unnötige Konflikte zwischen Schule, Eltern und Kindern<br />
zu vermeiden, ist es Aufgabe der LehrerInnen, Klarheit<br />
zu schaffen über ihre konkreten Ziele.<br />
Vor allem dürfen sie Eltern nicht als HilfslehrerInnen in<br />
die Pflicht nehmen. Gerade in der Halbtagsschule besteht<br />
die Gefahr, dass die öffentliche Schule über Hausaufgaben<br />
heimlich »privatisiert« wird. In Deutschland<br />
boomt der Nachhilfesektor: Über eine Million SchülerInnen<br />
bekommen regelmäßig bezahlten Zusatzunterricht.<br />
Über eine Mrd. Euro geben die Familien pro Jahr dafür<br />
aus – seit 2002 mit wachsender Tendenz.<br />
Hausaufgaben dürfen den Kindern nicht die Luft nehmen<br />
für selbstbestimmte Aktivitäten, für ein informelles<br />
Lernen außerhalb der Schulfächer, für soziale Beziehungen.<br />
Insofern sind die Vorgaben der Erlasse ( ➝ 2c) für<br />
zeitliche Grenzen sehr ernst zu nehmen: 30 Minuten in<br />
Klasse 1 und 2, 60 Minuten in Klasse 3 und 4; Eltern müssen<br />
sich den Kindern gegenüber auf »Hilfe zur Selbsthilfe«<br />
beschränken (s. S. 38); man muss nach Alternativen zu<br />
den traditionellen Formen suchen (s. S. 39).<br />
Lernerfolg durch Unterricht –<br />
oder durch Nachhilfe?<br />
Deutschland hat sich von PISA 2001 bis 2010 verbessert.<br />
Politiker sollten aber vorsichtig sein mit vorschnellen<br />
Erfolgsmeldungen. Die Fortschritte sind nicht zwangsläufig<br />
auf einen besseren Unterricht zurückzuführen.<br />
Seit 2002 bekommen nämlich immer mehr SchülerInnen<br />
Nachhilfe – vor allem diejenigen an Hauptschulen, wie<br />
die SHELL-Studie von Albert u. a. zeigt. (2010 ➝ 2c)<br />
Liebe Eltern,<br />
Schule und Familie – eine schwierige Beziehung. Lehrer<br />
fühlen sich bedrängt von Eltern, die meinen, alles besser<br />
zu wissen. Und die häufiger als früher vor Gericht klagen.<br />
Familien leiden vor allem unter der Hausaufgabenlast.<br />
Gewachsen ist diese Belastung noch durch G8 und durch<br />
Ganztagsschule mit anschließenden Hausaufgaben.<br />
Viele nehmen dann – für die Kinder auch noch zusätzlich<br />
– bezahlte Nachhilfe in Anspruch. Und schon in der<br />
Grundschule gibt es in vielen Familien Konflikte wegen<br />
der Hausaufgaben. Je näher der Übergang in die Sekundarstufe<br />
rückt, umso mehr.<br />
Wie so oft gäbe es viele Probleme nicht, wenn alle Seiten<br />
mehr und offener miteinander redeten. Wenn die LehrerInnen<br />
deutlich machten, worum es ihnen bei den Hausaufgaben<br />
geht. Und die Kinder nachfragten, wenn sie<br />
etwas nicht verstanden haben. Eltern wiederum sollten<br />
Schwierigkeiten nicht verdecken, indem sie schwierige<br />
Aufgaben für ihre Kinder erledigen. Sondern der Schule<br />
mitteilen, wo es gehakt hat.<br />
Aber das setzt Vertrauen voraus. Hier sind Eltern wie<br />
LehrerInnen gefragt. Nehmen Sie dieses Heft doch zum<br />
Anlass, einen Elternabend zum Thema »Hausaufgaben«<br />
zu vereinbaren! Es kann hilfreich sein, erst einmal zu sammeln,<br />
wie verschiedene Beteiligte die Situation erleben<br />
– vor allem auch die Kinder …<br />
© Schule CH-3662 Seftigen<br />
10 • September 2013 37
Tipps für Hausaufgabenbetreuung im Alltag<br />
Es gibt nicht »die beste« Art Hausaufgaben zu machen.<br />
Jedenfalls nicht für alle Kinder gleichermaßen. Das ist<br />
nicht anders als bei uns Erwachsenen. Auch jeder von<br />
uns hat seine eigene Art, wie er am besten arbeitet. Aber<br />
das bekommt man nur heraus, wenn man Verschiedenes<br />
ausprobiert – und dann bewusst entscheidet.<br />
Wie und wo kannst DU deine<br />
Hausaufgaben am besten machen?<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Vielleicht hilft dir, vorweg eine Liste der Aufgaben<br />
zu machen. Dann kannst du durchstreichen, was<br />
schon erledigt ist. Und du siehst, was noch zu machen<br />
ist.<br />
Willst du nach dem Essen lieber erst eine Pause<br />
machen? Oder geht es dir besser, wenn du die Aufgaben<br />
gleich hinter dich bringst?<br />
Nimmst du als erstes lieber eine Aufgabe, die du<br />
gerne machst – weil dann das Anfangen leichter<br />
fällt? Oder fängst du lieber mit einer schwierigen<br />
Aufgabe an – damit du dann das Unangenehmste<br />
schnell hinter dir hast?<br />
Hilft es dir, vorweg darüber zu sprechen, wie du<br />
eine Aufgabe bearbeiten willst? Oder möchtest du<br />
erst einmal versuchen, die Aufgabe allein zu lösen,<br />
und wir reden dann über das, was schwierig war?<br />
Probiere verschiedene Orte aus! Wo kannst du am<br />
besten arbeiten: in deinem Zimmer, am Wohnzimmertisch,<br />
in der Küche, wenn eine Person dabei<br />
bist oder wenn du allein bist?<br />
Eltern sollten mit ihrem Kind gemeinsam darüber nachdenken,<br />
was ihm die Hausaufgaben erleichtert und was<br />
stört. »Gleich nach dem Essen anfangen« ist nicht grundsätzlich<br />
besser als »erst mal eine Pause machen«. Manche<br />
fangen lieber mit einer leichten Aufgabe an, um schnell<br />
etwas erledigt zu haben. Andere wollen lieber loswerden,<br />
was sie besonders drückt.<br />
Ob Hausaufgaben nutzen, hängt aber auch vom Lehrer<br />
ab. Sie sind förderlicher<br />
−−<br />
wenn sie aus dem Unterricht erwachsen (und nicht<br />
einfach als ein »Mehr« drangeklebt werden),<br />
Der besondere Tipp: »Kindertausch«<br />
Hausaufgaben können den Familienfrieden nachhaltig<br />
stören. Oft tragen Eltern und Kinder dabei Kämpfe<br />
aus, die gar nichts mit den Aufgaben selbst oder mit<br />
ihrem Inhalt zu tun haben. Da kann es entspannen,<br />
wenn man zwischen befreundeten Familien die Kinder<br />
tauscht. Oder wenn das Kind eine Freundin, einen<br />
Freund zum Hausaufgabemachen mitbringen darf.<br />
Mario, 9 Jahre: »Wenn meine Mutter Staub saugt, kann ich nicht<br />
denken.«<br />
Aus: Kohler 2003, S. 47 ( ➝ Nr. 2a)<br />
−−<br />
wenn die Ergebnisse in der nächsten Stunde aufgegriffen<br />
werden,<br />
−−<br />
wenn es Musterlösungen zur Selbstkontrolle gibt oder<br />
wenn der Lehrer die Aufgaben des Vortages (zumindest<br />
stichprobenweise) kontrolliert.<br />
Es muss auch klar sein, welche Funktion die Hausaufgaben<br />
haben: Dienen sie zur Vertiefung eines Inhalts – oder<br />
sollen sie ein neues Thema vorbereiten? Geht es um das<br />
Einüben von Fertigkeiten (1 x 1 automatisieren, Vokabeln<br />
lernen, Textlesen) oder soll das Verständnis vertieft werden<br />
(Regeln finden, ein Experiment machen, Übertragung<br />
auf neue Inhalte).<br />
Ziel der Hausaufgaben sollte es sein, dass die Kinder lernen,<br />
ihre Arbeit selbst zu organisieren. Sie sind sinnlos,<br />
wenn zwar das Ergebnis stimmt – aber nur weil die Eltern<br />
geholfen haben.<br />
Die allerdings sollten aufpassen, dass der Zeitaufwand<br />
sich im Rahmen hält. In den Schulvorschriften der meisten<br />
Bundesländer steht: 1. und 2. Klasse höchstens 30 Minuten,<br />
3. und 4. Klasse eine Stunde.<br />
Hilfe bei Hausaufgaben:<br />
Nach-Fragen statt Vor-Sagen<br />
Was können Eltern tun bei konkreten Schwierigkeiten?<br />
Grundtipp: Nehmen Sie Ihrem Kind seine<br />
Arbeit nicht ab. Helfen Sie ihm durch Rückfragen,<br />
selbst weiterzukommen:<br />
●●<br />
Ich kann gerade nicht, versuch es erst noch mal<br />
allein.<br />
●●<br />
Ist dir klar, worum es bei der Aufgabe eigentlich<br />
geht?<br />
●●<br />
Wo genau hast du Schwierigkeiten?<br />
●●<br />
Wie könntest du anfangen? Wenn du den Einstieg<br />
hast: Wie könnte es weitergehen?<br />
●●<br />
Ist das nicht ähnlich wie …?<br />
●●<br />
Schau dieses Stück noch einmal durch.<br />
38 10 • September 2013
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Was bringen Hausaufgaben?<br />
Empirisch untersucht wurden vor allem zwei Fragen<br />
(➝ Nr. 2b):<br />
−−<br />
Lernen SchülerInnen, die regelmäßig Hausaufgaben<br />
aufbekommen, besser als diejenigen ohne Hausaufgaben?<br />
−−<br />
Welche Form der Begleitung von Hausaufgaben durch<br />
Eltern wirkt sich förderlich aus – welche nicht?<br />
Zur ersten Frage ist die Forschungslage unübersichtlich.<br />
Je nach Fach bzw. Leistungsbereich, Alter der SchülerInnen,<br />
Art der Aufgabe spricht mal mehr, mal weniger für<br />
Hausaufgaben. Einerseits profitieren SchülerInnen aus<br />
höheren sozialen Schichten stärker, andererseits auch<br />
besonders leistungsschwache Kinder.<br />
Eine Faustformel für die Praxis: Wenn Hausaufgaben gestellt<br />
werden, versprechen eher kürzere Aufgaben, regelmäßig<br />
gestellt und vom Lehrer kontrolliert, Erfolg.<br />
Kindermund<br />
»Hausaufgaben sind blöd,<br />
weil ich zu Hause Überstunden machen muss!«<br />
Deutlicher sind die Befunde zur zweiten Frage: Wenn Eltern<br />
die Erledigung der Aufgaben eng überwachen, hat<br />
das negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen.<br />
Vertrauen in das Kind, Ermutigung und Unterstützung<br />
durch die Eltern wirken sich dagegen positiv aus.<br />
Man muss allerdings auch die Randbedingungen beachten.<br />
Die meisten Studien sind in Ländern mit Ganztagsschulen<br />
durchgeführt worden. Diese Situation ist neu in<br />
Deutschland – denn hier liegt der Anteil der Ganztagsschulen<br />
erst bei 10 bis 15 %.<br />
Schulerfolg hängt in hohem Maße von Anregungen und<br />
Unterstützung zu Hause ab. In Deutschland noch mehr<br />
als in anderen Ländern. Das ist einer der pädagogischen<br />
Gründe für die Einführung der Ganztagsschule (neben<br />
den Betreuungsnotwendigkeiten). Denn bei den Hausaufgaben<br />
wirken sich Unterschiede in den familiären Bedingungen<br />
besonders stark aus: weil die »Hilfslehrerinnen<br />
der Nation« unterschiedlich viel Zeit erbringen, und<br />
weil sie auch unterschiedlich gut helfen können. Oder<br />
Nachhilfe organisieren und bezahlen …<br />
Ein Blick in andere Länder zeigt aber: Hausaufgaben verschwinden<br />
nicht einfach, wenn es Ganztagsschulen gibt.<br />
Zumal der Druck bei den Eltern bleibt, das Beste aus Ihrem<br />
»Juwel« machen zu wollen. In Ländern wie Japan<br />
schicken Eltern die Kinder sogar am späten Nachmittag<br />
noch in private Nachhilfeschulen.<br />
Umgekehrt zeigt ein Blick in deutsche Schulen: Auch in<br />
Halbtagsschulen kann man Hausaufgaben anders stellen<br />
– und betreuen:<br />
Hausaufgaben oder Schularbeiten?<br />
Alternativen aus der Praxis<br />
Zentrale Aufgabe der Schule ist es, Kindern zu helfen, ihr<br />
Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Dieses Ziel kann<br />
in einer Ganztagsschule grundsätzlich leichter erreicht<br />
werden, weil sie mehr Zeit für freies Arbeiten bietet. Die<br />
Betreuung durch die LehrerInnen sichert gleichzeitig Unterstützung,<br />
wenn Kinder Fragen oder Schwierigkeiten<br />
haben. Es gibt aber auch Halbtagsschulen, die mit Freiarbeitsphasen<br />
oder flexiblen Wochenplänen Räume für<br />
selbstständiges Arbeiten eröffnen – und die Kinder stärker<br />
in die Verantwortung für ihr Lernen nehmen.<br />
Ein Beispiel: In der Libellen-Grundschule in Dortmund<br />
haben Eltern und LehrerInnen in der Schulkonferenz beschlossen,<br />
Hausaufgaben probeweise ganz abzuschaffen.<br />
Stattdessen bietet die Schule sogenannte »Lernzeiten«,<br />
in denen Kinder individuell an Aufgaben arbeiten,<br />
die auf ihren Lernstand abgestimmt sind (siehe zu dem<br />
Konzept: www.libellen-grundschule.de ➝ Wichtiges für<br />
Eltern ➝ Hausaufgaben).<br />
Parallel dazu gibt die Schule Elternseminare zum Thema<br />
»Lernzeit statt Hausaufgaben«. Dort erhalten die Eltern<br />
auch Anregungen für Aktivitäten zu Hause, bei denen<br />
Kinder wichtige und für schulisches Lernen förderliche<br />
Erfahrungen machen können (Beispiel s. Kasten und zur<br />
Sprachförderung die Homepage).<br />
Mathematik kann auch in den<br />
Alltag integriert werden,<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
indem Sie Ihrem Kind ein kleines Taschengeld<br />
geben (50 Cent / Woche),<br />
indem Sie es beim Einkaufen beteiligen<br />
(z. B. suche die billigste Milch),<br />
indem Sie mit ihm kochen und backen<br />
(Mengen angaben wie: 3 Eier, 500 g Mehl)<br />
indem Sie mit Ihrem Kind bauen und basteln<br />
(Geometrie)<br />
indem Sie mit Ihrem Kind Mathematik<br />
in der Umwelt entdecken<br />
(Zahlen, Zeiten, Fahrpläne, Entfernungen …)<br />
indem Sie mit Ihrem Kind spielen,<br />
indem Sie gegenseitig Ihre Körpergröße messen,<br />
indem Sie Ihr Kind in die Terminplanung einbeziehen,<br />
indem Sie die Uhr für Absprachen mit Ihrem Kind<br />
benutzen …<br />
10 • September 2013 39
Informationen & Lesetipps: Erziehung in Familie und Schule<br />
Ein informativer Überblick über den<br />
(Un-)Wert von Hausaufgaben mit Beispielen<br />
für sinnvolle Formen und mit<br />
handfesten Ratschlägen für ihre Begleitung<br />
zu Hause, auch bei den üblichen<br />
Schwierigkeiten:<br />
Auf Selbstständigkeit zielt<br />
»Mein Aufgabenheft Deutsch 1/2«<br />
… zum individuellen Arbeiten mit vielfältigen Übungsmöglichkeiten aus<br />
dem Klett-Verlag (ISBN 978-3-12-011415-4). Zu Hause oder in freien Arbeitszeiten<br />
in der Schule kann sich jedes Kind passende Aufgaben heraussuchen.<br />
Im dem Heft mischen sich Aufgaben (steigender Schwierigkeit) aus allen<br />
Lernbereichen des Sprachunterrichts: Sprechen und Zuhören, Schreiben,<br />
Lesen sowie Sprache und Sprachgebrauch untersuchen.<br />
Hausaufgaben: Helfen – aber wie?<br />
Britta Kohler<br />
Erschienen: 2003 (7. Aufl.)<br />
Beltz Verlag<br />
Preis: 14,90 Euro<br />
Als Impuls für Diskussionen auf einem<br />
Elternabend eignen sich Ausschnitte<br />
aus dem Video eines Vortrags von<br />
Detlef Träbert (2012) in Koopera-<br />
Hausaufgaben<br />
als Vorwand …<br />
Mangels einer öffentlichen Bibliothek<br />
und weil die privaten Leihbüchereien<br />
hohe Gebühren verlangten,<br />
lieh sich der Kinderbuchautor<br />
Paul Maar kostenlos Erwachsenenbücher<br />
in der Bibliothek des<br />
Amerika-Hauses Schweinfurt aus,<br />
auch wenn er sie nicht immer verstand.<br />
Weil er daheim nicht lesen<br />
durfte, deponierte er die Bücher<br />
bei einem Freund, den er unter<br />
dem Vorwand, dort Hausaufgaben<br />
zu machen, besuchte. Er las<br />
dann in dessen Zimmer, während<br />
der Freund mit seinem Bruder<br />
draußen Fußball spielte.<br />
(aus: Wikipedia, 12. 6. 2013)<br />
tion mit dem Landeselternbüro des<br />
Landes elternverbandes Vorarlberg:<br />
»Hausaufgaben =<br />
Hausfriedensbruch?«<br />
Themen: »Sollen Eltern überhaupt bei<br />
den Hausaufgaben helfen, und wenn<br />
ja, wie? Oder können SchülerInnen<br />
ihre Hausaufgaben selbstständig und<br />
effektiv erledigen?«<br />
Download: www.youtube.com/<br />
watch?v=yGViBYcRs5U<br />
Hilfreich sind auch die Vorschläge von<br />
Träbert in seinem Buch »Disziplin, Respekt<br />
und gute Noten« ( ➝ 2a).<br />
Dieses Buch verknüpft geschickt eine<br />
amüsante Geschichte rund um ›Hausaufgaben‹<br />
mit Tipps für den alltäglichen<br />
Umgang mit ihnen:<br />
Frau Ulkig – oder: Wie man<br />
Hausaufgaben richtig macht<br />
Annette Neubauer /<br />
Mirella Fortunato<br />
Erschienen: 2005<br />
Albarello Verlag<br />
Preis: 10,90 Euro<br />
In manchen Bereichen reicht es nicht,<br />
die Grundlagen zu verstehen. Oft gebrauchte<br />
Fertigkeiten müssen automatisiert<br />
werden. Dass man die dafür erforderlichen<br />
Übungen auch reizvoller<br />
als über Arbeitsblätter gestalten kann,<br />
zeigen die Audiobücher aus der Reihe<br />
»Junge Dichter und Denker«, z. B.<br />
Das kleine 1 × 1 als Rap,<br />
2 Audio-CDs<br />
Inkl. Karaoke-Version<br />
Erschienen: 2006<br />
Schroedel Verlag<br />
Preis: 21,00 Euro<br />
Raus-Aufgaben<br />
statt Hausaufgaben<br />
Viele Anregungen, was Eltern mit<br />
ihren Kindern als Ausgleich zur<br />
Schule machen und wie sie ihr<br />
Lernen breiter und vielfältiger anregen<br />
können, findet sich in dem<br />
reich bebilderten Buch<br />
Komm, wir gehen raus:<br />
Mit Kindern aktiv sein: forschen,<br />
entdecken, basteln, spielen<br />
von Sabine Lohf u.a.,<br />
erschienen bei Kösel:<br />
München 2010 (14,95 Euro).<br />
40 10 • September 2013
Kinder mit Problemen –<br />
Probleme mit Kindern?<br />
aus: Heinrich Hoffmann »Der Struwwelpeter«, 1854<br />
Wie gehen wir mit<br />
Verhaltens»störungen« und<br />
Lern»schwächen« um?<br />
Liebe Eltern,<br />
das Thema dieses Hefts ist besonders schwierig. Es geht<br />
um Situationen, die mit hohen Belastungen für die Beteiligten<br />
verbunden sind. Aber auch für uns war es nicht<br />
einfach, dieses Thema zu bearbeiten. Die Probleme fingen<br />
schon bei der Suche des Titels an. Was trifft es besser:<br />
»Problemschüler« oder »Risikokinder« oder »Verhaltensstörungen<br />
und Lernschwächen« oder »Kinder mit Auffälligkeiten«<br />
oder …? Jeder Titel signalisiert eine besondere<br />
Sicht: Sind die Kinder das Problem? Rühren die Probleme<br />
aus persönlichen Eigenschaften des Kindes? Oder haben<br />
die Kinder Probleme – mit sich und mit ihrer Umwelt?<br />
Haben vielleicht gar nur bestimmte Erwachsene Probleme<br />
mit dem Kind?<br />
Wir haben uns entschieden für einen Titel mit Fragezeichen.<br />
Damit wollen wir deutlich machen: Auch sog.<br />
»Problemkinder« haben viele Seiten, und ihre sichtbaren<br />
Schwierigkeiten sind nur eine davon. Wir lassen zudem<br />
bewusst offen, wo die Ursache für diese Schwierigkeiten<br />
liegt. Denn das ist eine der wichtigsten Botschaften der<br />
Forschung zu »Lernschwächen« und »Verhaltensstörungen«:<br />
Diese sind keine festen Eigenschaften – und<br />
darum setzen wir diese Begriffe auch in Anführungszeichen.<br />
Je nach den Umständen, unter denen ein Kind aufwächst,<br />
können sich seine Anlagen sehr unterschiedlich<br />
entwickeln. Und auch ein »schwieriges Kind« kann sich<br />
plötzlich ganz anders verhalten, wenn sich die Situation<br />
verändert, in der es lebt und lernt. Nicht beliebig, aber oft<br />
doch erstaunlich anders: Einige haben Schwierigkeiten<br />
zu Hause, sind aber »problemfrei« in der Schule; andere<br />
haben Probleme in der Schule, aber keine in der Freizeit.<br />
Verhalten ist nicht fest vorprogrammiert.<br />
Genau darin liegt unsere große Chance als Eltern und<br />
PädagogInnen: Die Bedingungen so zu gestalten, dass<br />
es dem Kind leichter fällt, zurechtzukommen. Und ihm<br />
gleichzeitig Aufgaben zu stellen, an denen es wachsen<br />
kann. Die es herausfordern, aber nicht überfordern.<br />
Wir wissen wohl: Das ist leichter gesagt als getan – zumal<br />
schon der Alltag vielfältige Anforderungen bereithält. Da<br />
wird jede/r von uns immer mal wieder an diesem hohen<br />
Anspruch scheitern. Aber wichtig ist die Grundhaltung:<br />
Dass das Kind spürt: Selbst wenn das Leben schwierig ist<br />
– das Problem bin nicht ich.<br />
Wir wünschen Ihnen die Kraft, diese Haltung auch unter<br />
Stress bewahren zu können – möglichst oft …<br />
Und noch eins: Medikamente sind Nothelfer. Sie auf<br />
Dauer zu nehmen, schließt meist ungewollte Nebenwirkungen<br />
ein. Wenn ein Kind weniger unruhig wird, verliert<br />
es auch seine Lebendigkeit. Der Preis für eine stärkere<br />
Konzentration auf »Aufgaben«: weniger Offenheit für Interessantes<br />
in der Welt »drumrum«.<br />
Kinder und ihre Eltern haben oft schwierige Entscheidungen<br />
zu fällen. Die Grundfrage: Wie möchte ich selber<br />
sein? Und wer darf ich sein – in der Gesellschaft, in der<br />
ich lebe und leben werde? Bei solchen Überlegungen<br />
können andere, auch Fachleute, hilfreiche Berater sein.<br />
Abnehmen können sie die Entscheidung nicht.<br />
Helfen Sie Ihrem Kind,<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Räume zu finden, um seine Stärken zu entfalten<br />
und an Selbstwert zu gewinnen;<br />
an seinen Schwächen zu arbeiten, damit diese es<br />
selbst und seine Umwelt möglichst wenig belasten;<br />
wenn der Aufwand dafür zu groß wird:<br />
die Schwäche zu akzeptieren und im Alltag Hilfsstrategien<br />
zu nutzen;<br />
sich selbst mit seinen Stärken UND Schwächen als<br />
einen besonderen Menschen anzunehmen.<br />
12 • Februar 2014 41
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Was bedeuten Etiketten wie »ADHS«<br />
oder »Legasthenie«?<br />
Zunächst einmal sind solche Fachbegriffe nur Namen für<br />
für bestimmte Auffälligkeiten und noch keine Diagnosen<br />
(ausführlicher ➝ Nr. 1a). Immerhin sind sie genauer<br />
definiert als Alltagsbegriffe wie »Unaufmerksamkeit«<br />
und »ständige Unruhe« oder als die Beschreibung »Probleme<br />
beim Lesen und Schreiben«. Damit liefern sie aber<br />
noch keine Erklärung. Für den Umgang mit betroffenen<br />
Kindern heißt das erst einmal nicht mehr als: Achtung –<br />
in diesem Bereich müssen wir besonders aufmerksam<br />
sein und genauer hinschauen. Erklärungen und Lösungen<br />
bieten diese Etiketten aber nicht. Denn festzuhalten ist:<br />
●●<br />
In jeder dieser Schubladen finden sich Kinder mit ganz<br />
unterschiedlichen Schwierigkeiten.<br />
●●<br />
Selbst für oberflächlich ähnliche Schwierigkeiten innerhalb<br />
einer Schublade kann es sehr verschiedene<br />
Gründe geben.<br />
●●<br />
Deshalb hilft den Kindern einer Gruppe auch keine<br />
einheitliche Förderung; Unterstützung muss vielmehr für<br />
jedes Kind individuell abgestimmt werden.<br />
Mit Sammelbegriffen kann man die Vielfalt von Auffälligkeiten<br />
zwar grob sortieren. Ja, Menschen brauchen sogar<br />
Schub laden, um die Fülle der Welt zu ordnen – und in ihr<br />
handeln zu können. Aber Schubladen sind nicht »gegeben«,<br />
sie sind von Menschen erfundene Hilfskonstruktionen.<br />
Und diese verändern sich rasch. Noch vor wenigen<br />
Jahren gab es die Diagnose MCD. Heute weiß kaum<br />
jemand mehr, was man damals unter einer »minimalen<br />
cerebralen Dysfunktion« verstand.<br />
Sind Besonderheiten wie »ADHS«,<br />
»Legasthenie« usw. angeboren?<br />
Jede Leistung, jedes Verhalten ergibt sich aus dem Zusammenspiel<br />
von Begabung, Erfahrung und konkreten<br />
Lebensbedingungen. Auch die Gene wirken auf das Können<br />
und Verhalten ein, aber sie bestimmen es nicht. Unbestreitbar<br />
ist: Manche Menschen erwerben bestimmte<br />
Fähigkeiten leichter, z. B. ein Instrument zu spielen, weil<br />
sie besonders musikalisch sind. Andere wiederum haben<br />
es in bestimmten Situationen schwerer, z. B. weil<br />
sie besonders impulsiv sind. Aber festgelegt ist ihre<br />
Entwicklung damit nicht. Insofern lassen sich besondere<br />
Verhaltensweisen auch nicht allein aus persönlichen<br />
»Eigenschaften« erklären: Ob sich jemand »konzentrieren<br />
kann« hängt auch von der Aufgabe und den Umständen<br />
ab. Zum Beispiel davon, ob sich das Kind für das konkrete<br />
Thema interessiert. Also muss man schauen, günstige<br />
Bedingungen zu schaffen – am besten in Absprache mit<br />
dem Kind.<br />
Darf oder soll man sogar<br />
Medikamente geben?<br />
Menschen sind auch chemische Wesen. Manche verzichten<br />
tagelang auf Kohlenhydrate, damit sie dünner werden.<br />
Anstieg der Verkäufe von Methylphenidat (Ritalin usw.)<br />
Quelle: Paul-Ehrlich-Institut (BfArM), 2010<br />
Viele trinken Wein und Bier, um sich in Stimmung zu<br />
bringen. Andere nehmen Medikamente: Antidepressiva,<br />
Beta-Blocker – und eben auch Methylphenidat, bekannt<br />
etwa unter dem Markennamen »Ritalin«. Chemie wirkt.<br />
Und sie bewirkt viel Gutes. Deshalb sollte man auch bei<br />
Kindern den Einsatz von Medikamenten nicht grundsätzlich<br />
verteufeln. Aber sie allein bieten noch keine Lösung.<br />
Allenfalls verschaffen sie den Beteiligten Luft, um nach<br />
Wegen zu suchen, wie die Bedürfnisse und Möglichkei ten<br />
des Kindes besser mit den Anforderungen seiner Umwelt<br />
in Einklang zu bringen sind – und umgekehrt. Die zunehmende<br />
Verschreibung von Ritalin in den letzten Jahren<br />
(s. Abb.) ist auffällig. Sie kann positiv zwar damit erklärt<br />
werden, dass bestimmte Probleme heute mehr Aufmerksamkeit<br />
finden. Umgekehrt muss die Zunahme auch als<br />
Modeerscheinung gedeutet werden. Viele Kinder erhalten<br />
heute ein Medikament, ohne dass es indiziert ist.<br />
Es sollte deshalb nur in Absprache mit allen Beteiligten<br />
– und befristet verordnet werden (ausführlicher ➝<br />
Nr. 1b). Und dann beginnt erst die eigentliche Arbeit …<br />
Kinder mit einer besonders reizempfindlichen Wahrnehmung<br />
erleben ihre Welt so intensiv, dass ihr »anderes«<br />
Verhalten ein oft lebensnotwendiges Ventil für den<br />
kaum aushaltbaren inneren Überdruck ist. Nachvollziehbar<br />
wird dies aus der Innensicht in: Fleischmann, A. /<br />
Fleischmann, C. (2013): »In mir ist es laut und bunt.« Eine<br />
Autistin findet ihre Stimme – ein Vater entdeckt seine Tochter.<br />
Wilhelm Heyne 64049: München (engl. 2012).<br />
Literatur zu den Verweisen ➝ findet sich unter<br />
www.grundschuleltern.info ➝ »Weitere Informationen«<br />
➝ »GrundschulEltern zur Ansicht«<br />
42 12 • Februar 2014
Umgang mit Schwierigkeiten im Alltag<br />
ADHS, Legasthenie usw. werden oft als »Krankheit« bezeichnet.<br />
Damit wird unterstellt, dass Abweichungen<br />
vom Durchschnitt immer als Defizit zu betrachten sind.<br />
Aber was den einen stört, ist für einen anderen noch<br />
normal – oder sogar interessant. Und: Jede »Schwäche«<br />
kann auch eine Stärke sein. Es kommt jeweils auf die<br />
Umstände an. So suchen Softwarefirmen wie SAP und<br />
ORACLE für die Entwicklung von Computerprogrammen<br />
gezielt Autisten wegen ihrer besonderen Fähigkeiten.<br />
Und mancher Popstar ist erfolgreich gerade durch<br />
seine Hyperaktivität. Unsere Gesellschaft braucht keine<br />
»Standard«-Menschen, sondern – in jede Richtung – besondere<br />
Menschen.<br />
Ab wann werden solche Besonderheiten aber zu Problemen?<br />
Leistungen wie auch Verhaltensweisen verschiedener<br />
Menschen unterscheiden sich in allen Bereichen<br />
sehr stark. Das ist normal. Dabei handelt es sich zudem<br />
um graduelle Unterschiede. Es ist also willkürlich und<br />
letztlich eine Vereinbarung, an welchem Punkt man die<br />
Grenze zum »Unnormalen« und damit zur »Krankheit«<br />
setzt. Dennoch ist klar: Je mehr wir in die Extrembereiche<br />
kommen, desto stärker kann eine Minderleistung,<br />
eine Verhaltensauffälligkeit, aber auch eine besondere<br />
Begabung belasten: das Kind selbst und seine Umwelt.<br />
Darum brauchen manche Kinder mehr Aufmerksamkeit<br />
und mehr Hilfe als andere. Daraus folgt aber noch nicht,<br />
dass sie etwas anderes brauchen, ein »Training« oder eine<br />
»Therapie« oder ein »Medikament«. So lange die Beteiligten<br />
es können, sollten sie es mit mehr Zuwendung, mehr<br />
Übrigens …<br />
Auffälliges Verhalten kann ein Warnsignal sein. Es ist<br />
oft ein Anzeichen für Probleme, die das Kind in anderen<br />
Bereichen hat. Das gilt besonders, wenn ein Kind<br />
sich (plötzlich) anders verhält als zuvor: sich stärker zurückzieht,<br />
ständig stört, »den Kasper spielt« …<br />
Dann hat das Verhalten gar nichts mit der aktuellen<br />
Situation in der Schule zu tun, sondern mit Schwierigkeiten<br />
zu Hause. Oder umgekehrt. Darum ist es wichtig,<br />
dass Eltern und LehrerInnen miteinander sprechen.<br />
Wenn ein entsprechendes Vertrauensverhältnis besteht,<br />
sollten Eltern die LehrerInnen unbedingt über<br />
familiäre Probleme informieren – wenigstens in allgemeiner<br />
Form. Auch wenn es schwer fällt, z. B. bei einer<br />
bevorstehenden Trennung. Doch möglicherweise hilft<br />
erst das dem Lehrer, das Kind zu verstehen, ihm die<br />
Spielräume zu eröffnen, die es braucht, um auch in<br />
dieser Situation leben und lernen zu können.<br />
Unterstützung, mehr Anerkennung versuchen. Wann das<br />
nicht mehr reicht, lässt sich nur fall- und situationsbezogen<br />
entscheiden – nicht durch eine auf die Person beschränkte<br />
»Diagnose« allein (s. »ADHS- na und?«, S. 44).<br />
Hilfen bei auffälligem Verhalten<br />
Menschen »stören«, wenn ihre persönlichen Bedürfnisse<br />
nicht verträglich sind mit den äußeren Umständen. Sie<br />
kommen eher zurecht, wenn sie Raum für eigene Entscheidungen<br />
und ein Gefühl der Sicherheit haben – und<br />
wenn sie sich sozial anerkannt fühlen.<br />
Manche brauchen festere Strukturen, andere mehr Freiraum.<br />
Das muss man gemeinsam erspüren, am besten<br />
konkret ausprobieren. Gerade in unsicheren Beziehungen<br />
sind Regeln unverzichtbar. Allerdings heißt das nicht:<br />
Vorgabe von außen oder gar von oben. Absprachen sind<br />
wichtig, damit die Lösung individuell »passt«. Aber auch<br />
damit sich die Kinder als aktiv erleben – und damit sie<br />
Mitverantwortung für die Regelung von Konflikten übernehmen.<br />
Das ist oft schwierig. Manchmal hilft eine äußere Veränderung<br />
der festgefahrenen Situation: Einzelarbeit statt<br />
Lerngruppe oder ein Wechsel der Bezugsperson für bestimmte<br />
Aufgaben (z. B. älterer Schüler statt Eltern). Manche<br />
Kinder fühlen sich einfach überwältigt von Gefühlen,<br />
die sie nicht unter Kontrolle bringen können. Hilfreich<br />
können in diesen Fällen Tipps sein, wie sie im Programm<br />
»Faustlos« vorgestellt werden ( ➝ www.faustlos.de ).<br />
Schwierigkeiten beim<br />
fachlichen Lernen<br />
Etwas Neues zu lernen kostet alle Menschen Anstrengung.<br />
Je nach ihren persönlichen Voraussetzungen und<br />
je nach den äußeren Umständen unterschiedlich viel.<br />
Je anspruchsvoller der Gegenstand und je schlechter<br />
die Voraussetzungen, desto wichtiger wird die Motivation.<br />
Am stärksten wirkt ein persönliches Interesse (s.<br />
»Der Lesemuffel« ➝ S. IV). Lesen und Schreiben kann<br />
man über Texte zu ganz verschiedenen Themen lernen,<br />
Rechnen mit Mengen und Maßen in verschiedenen Bereichen.<br />
Lassen sich keine Brücken zu persönlichen Interessen<br />
schlagen, können externe Verstärker helfen:<br />
Fehlerkurven, um auch kleine Fortschritte sichtbar zu<br />
machen; Belohnungen, wenn bestimmte Absprachen<br />
eingehalten oder vereinbarte Ziele erreicht sind (s. »Wie<br />
aus dem kleinen Kater Leo ein Löwe wurde« ➝ S. IV und<br />
zum methodischen Vorgehen im Einzelnen die Empfehlungen<br />
in <strong>GSE</strong> Nr. 2 [Lesen und Schreiben] und Nr. 5<br />
[Mathematik] sowie die Literatur zu diesem Beihefter<br />
unter ➝ Nr. 1c).<br />
12 • Februar 2014 43
Informationen & Lesetipps (Zu weiterer Literatur siehe ➝ Nr. 1 und 2)<br />
Auffälliges Verhalten<br />
Einen differenzierteren Blick auf die<br />
Ursachen der sog. ADHS und den Umgang<br />
mit besonders sensiblen und aktiven<br />
Kindern vermittelt:<br />
ADHS –<br />
na und?<br />
Helmut Bonney<br />
Erschienen: 2012<br />
Verlag:<br />
Carl Auer<br />
Preis: 16,95 €<br />
Nur selten in den Blick genommen wird<br />
die Sicht von Kindern – hier sehr persönlich<br />
dargestellt und ergänzt um die<br />
Perspektiven ihrer Bezugspersonen:<br />
Moritz« von Wilhelm Busch. Ihnen<br />
sind auch manche neuere Bücher<br />
nachempfunden wie »Lola rast« von<br />
Wilfried von Bredow.<br />
Für ältere Kinder – und spezifischer<br />
auf ADHS bezogen – empfehlen wir<br />
Kopfüber –<br />
Kopfunter<br />
Anja Tuckermann<br />
Erschienen:<br />
2013<br />
Verlag: KLAK<br />
Preis: 6,90 €<br />
Dieses Buch ist auch auf eindrucksvolle<br />
Weise verfilmt worden.<br />
Für manche Jüngere hilfreich: die<br />
»Selbstwert stärkende Geschichte für<br />
Kinder mit ADHS. Inklusive einer fachlichen<br />
Information für Eltern« in dem<br />
(Vor-)Lesebuch<br />
Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten<br />
Aus langjähriger praktischer Erfahrung<br />
in der Förderung von Kindern<br />
erwachsen ist der übersichtlich gestaltete<br />
und verständlich geschriebene<br />
Ratgeber für Eltern mit vielen konkreten<br />
Aufgaben und Hilfen<br />
Jedes Kind kann<br />
lesen und schreiben lernen<br />
Ingrid Naegele<br />
Erschienen: 2011<br />
Verlag: Beltz<br />
Preis: 12,95 €<br />
Die große Bedeutung der Motivation<br />
für die Überwindung von Lernschwierigkeiten<br />
zeigt das Buch für Kinder<br />
(und Eltern …)<br />
ADHS?<br />
Ein Buch von Kindern für Kinder<br />
Katja Heinrich / Jörg Letzel<br />
Erschienen: 2011 (2. Aufl.)<br />
Verlag: Militzke<br />
Preis: 10,00 €<br />
Unter den Kinderbüchern gibt es immer<br />
noch gerne (vor-)gelesene Klassiker<br />
wie »Der Struwwelpeter« von<br />
Heinrich Hoffmann oder »Max und<br />
Standards für die Zusammenarbeit<br />
von Familie und Schule<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
Alle Familien in der Schul gemeinschaft willkommen heißen<br />
Sich regelmäßig und offen miteinander austauschen<br />
Gemeinsam den Lernerfolg der Kinder unterstützen<br />
Eltern als Fürsprecher ihrer Kinder anerkennen und ermutigen<br />
In gleichberechtigter Partnerschaft zusammenarbeiten<br />
Andere Einrichtungen zur Unterstützung einbeziehen<br />
nach Peters, in: Grundschulzeitschrift 271 (2014), S. 7<br />
Wie aus dem kleinen Kater Leo<br />
ein Löwe wurde<br />
Monika Kreyenbühl-Blaser /<br />
Margret Baumann<br />
Erschienen: 2012<br />
Verlag: Books on Demand<br />
Preis: 18,80 €<br />
Der Lesemuffel<br />
Saskia Hula / Ute Krause<br />
Erschienen: 2007<br />
Verlag: Patmos/ Sauerländer<br />
Preis: 9,90 €<br />
Muffel kann so viel – nur lesen mag<br />
er nicht. Bis ihm Sofie ein Buch über<br />
Fische schenkt: Da der Inhalt ihn interessiert,<br />
bekommt auch die Anstrengung<br />
des Lesens einen Sinn.<br />
44 12 • Februar 2014
Gewaltvideos<br />
machen aggressiv bis hin<br />
zum Amoklauf<br />
Computerspiele<br />
trainieren Konzentration<br />
und Reaktionsfähigkeit<br />
Das Fernsehen<br />
verdrängt das Lesen<br />
Erfahrung aus<br />
zweiter Hand trübt<br />
den Realitätssinn<br />
Fernsehen und Internet<br />
öffnen Fenster<br />
in unbekannte Welten<br />
Kinder und die<br />
»neuen Medien«<br />
Lernsoftware<br />
motiviert mehr<br />
als Übungshefte<br />
Die neuen Medien treiben<br />
Kinder in die soziale Isolation<br />
Liebe Eltern,<br />
»ein richtiger Junge verkriecht sich nicht hinter Büchern!«,<br />
musste man sich in den 1950er Jahren sagen lassen.<br />
»Neue« Medien gibt es nicht erst seit heute:<br />
Schriftrollen, Bücher, Zeitungen, Telefon, Film, Fernsehen,<br />
PC, Internet – für die ältere Generation war es schon<br />
immer schwierig sich umzustellen. Und sie hatte Angst<br />
um die Entwicklung ihrer Kinder, wenn diese unbefangen<br />
nutzten, was den Alten fremd war. Kinder wachsen<br />
oft selbstverständlich mit dem jeweils neuen Medium<br />
auf (heute als »digital natives«), um sich dann nur zehn,<br />
zwanzig Jahre später Sorgen über die Veränderungen in<br />
der Lebenswelt ihrer eigenen Kinder zu machen: Anlass<br />
zu etwas mehr Gelassenheit.<br />
Das heißt nicht, die Kinder sich selbst zu überlassen. Aber<br />
statt »die neuen Medien« pauschal zu verteufeln, sollten<br />
wir die Kinder begleiten, ihnen helfen, verantwortungsvoll<br />
mit mit dem vielfältigen Angebot an Medien umzugehen<br />
– und sie gemeinsam mit ihnen nutzen, wo sie<br />
hilfreich sein können. Auch wenn das zunächst anstrengender<br />
erscheint als ein schnell ausgesprochenes Fernseh-<br />
oder Computer-Verbot und umgekehrt ihr Einsatz<br />
als Babysitter …<br />
11 • November 2013 45
Fragen von Eltern – Antworten aus der Forschung<br />
Schaden oder nutzen die »neuen Medien«?<br />
So fragen nicht nur Eltern. Auch die Forschung hat Medienwirkungen<br />
lange Zeit als Einbahn-Straße betrachtet.<br />
Das Medium ist die Botschaft – schrieb 1968 Marshall<br />
McLuhan: Jedes Medium präge die Menschen in einer<br />
bestimmten Weise. Unabhängig vom Inhalt und von der<br />
Situation, in der der Fernseher, der PC, das Buch genutzt<br />
wird. Und es wirke auf alle Menschen in gleicher Weise.<br />
Die heutige Medienforschung fragt anders: Wer nutzt<br />
das Medium? Mit welchen Inhalten? Und vor allem: in<br />
welcher Form und unter welchen Bedingungen?<br />
Oft wird behauptet, dass Kinder schlechter lesen, wenn<br />
sie mehr fernsehen als andere. Untersuchungen zeigen<br />
allenfalls, dass Kinder, die drei und mehr Stunden am Tag,<br />
also außerordentlich lange vor dem Fernseher sitzen, in<br />
Lesetests schlechter abschneiden. Und da stellt sich die<br />
Frage: Was ist die Ursache? Ist es vielleicht umgekehrt,<br />
und sie sehen so viel fern, weil sie schlecht lesen?<br />
Oder gibt es einen dritten Faktor, z. B. die Vernachlässigung<br />
zu Hause, die die beiden anderen Verhaltensweisen,<br />
den hohen Fernsehkonsum und die<br />
Probleme beim Lesen, hervorruft? Viel spricht dafür,<br />
dass übermäßiger Medienkonsum nur ein Symptom<br />
ist, Hinweis auf tiefer liegende Probleme:<br />
●●<br />
dass es Kindern langweilig ist,<br />
●●<br />
dass sie keine sozialen Kontakte haben,<br />
●●<br />
dass ihnen Spielmöglichkeiten im Freien fehlen.<br />
Durch ein schnell erteiltes Fernsehverbot für Kleinkinder<br />
lassen sich diese Ursachen nicht aus der Welt<br />
schaffen.<br />
In ihrem Buch »Die Wunschmaschine« (1985) beschreibt<br />
die Psychologin Sherry Turkle, wie unterschiedlich<br />
verschiedene Kinder mit dem damals<br />
noch ganz neuen PC umgingen. Sie untersuchte<br />
Formen des Programmierens und fand sehr unterschiedliche<br />
Stile, z. B. einen eher »weichen« (häufiger bei<br />
Mädchen) und einen eher »harten« – bei vielen Jungen.<br />
Ihre faszinierende Untersuchung zeigte, wie alte Bedürfnisse<br />
auf neue Medien projiziert werden. Die Nutzer bestimmen<br />
also den Umgang mit dem Medium maßgeblich<br />
mit. Wie bei anderen Werkzeugen. Ein Messer kann<br />
man zum Schnitzen eines Kunstwerks nutzen – oder zum<br />
Töten. Jedes Medium birgt Chancen und Gefahren. Ein<br />
PC beispielsweise erlaubt mehr Eigenaktivität, gibt mehr<br />
Gestaltungsfreiheit als ein Fernseher, der wiederum erlaubt<br />
es, komplexere Vorgänge genauer zu betrachten<br />
als eine Zeichnung.<br />
Ähnlich ist es mit der Gewalt. In den Jahren, in<br />
denen in den USA der Konsum von Gewalt -<br />
vi deos zugenommen hat, hat die Gewaltkriminalität<br />
unter Jugendlichen z. B. abgenommen!<br />
(➝ Nr. 3). Und auch für Einzelne gilt nicht: je<br />
mehr Gewaltspiele, desto aggressiver. Mit diesen<br />
Hinweisen sollen die Probleme nicht verharmlost<br />
werden. Aber sie zeigen, dass das Wirkungsverhältnis<br />
komplizierter ist als ein einfaches »je<br />
mehr – desto …«.<br />
Generell kommt es darauf an, welche Programme<br />
ein Kind am Computer spielt, ob es allein oder<br />
mit seinen Eltern fernsieht, ob es eher ängstlich<br />
oder selbstbewusst ist – und auch, ob die neuen<br />
Medien nur ein Element seines Alltags sind oder diesen<br />
dominieren. Viele Studien zeigen, dass die meisten<br />
Kinder einen Medien-Mix nutzen – sehr individuell und<br />
ohne andere Aktivitäten zu vernachlässigen. (➝ Nr. 3<br />
Wagener 2012 und Kai Schubert 2013). Es kommt darauf<br />
an, welche Aktivitäten wir unseren Kindern ermöglichen.<br />
46 11 • November 2013
Zum Umgang mit den Medien im Alltag<br />
Fast 80 Prozent der 6- bis 13-Jährigen sehen (beinahe) jeden<br />
Tag fern (KIM-Studie 2012 ➝ Nr. 3). Eine andere<br />
Befragung von 9- bis 14-jährigen Kindern zeigt: nur 5 %<br />
haben zu Hause keinen Zugang zu einem Computer,<br />
knapp 10 % keinen Zugang zum Internet (LBS-Kinderbarometer<br />
2011 ➝ Nr. 3). Aber: Sitzen unsere Kinder<br />
nur noch alleine vor dem Bildschirm? Nein, in der Regel<br />
ist die Mediennutzung eingebunden in soziale Aktivitäten:<br />
mit Freunden, mit Geschwistern und Eltern.<br />
Alleine vor und mit dem Bildschirm …<br />
Und auch das Lesen wird nicht verdrängt. Die IGLU-Studien<br />
haben für die letzten 10 Jahre sogar eine Zunahme<br />
der Leselust festgestellt (Bos u. a. 2012, 58➝ Nr. 3).<br />
Historische Vergleiche sind sowieso nur schwer durchführbar.<br />
Soweit einigermaßen verlässliche Zahlen vorliegen,<br />
zeigen sie aber: Kinder heute lesen eher mehr als<br />
Kinder früher – und vor allem lesen sie mehr als Erwachsene<br />
heute (die übrigens weit mehr fernsehen als die<br />
Vor- und Grundschulkinder!).<br />
Im Vor- und Grundschulalter ist der Fernsehkonsum dagegen<br />
seit den 1990er Jahren konstant geblieben – während<br />
er bei den älteren Menschen stark zugenommen<br />
hat …<br />
Das Problem sind also nicht die Kinder und auch nicht<br />
Medien allein, sondern wir Erwachsenen: als (schlechte)<br />
Modelle – und indem wir die Medien gerne als bequeme<br />
Babysitter nutzen.<br />
Das Fazit aus der Forschung ist jedenfalls einfach:<br />
Eltern sollten ihre Kinder weder vor »neuen Medien bewahren«<br />
noch sie mit den Medien allein lassen. Sie sollten<br />
vielmehr ihre Reaktionen genau beobachten. Das<br />
eine Kind lacht über Prügelszenen in einem Zeichentrickfilm<br />
– und weint, wenn die kleine Ente im Bilderbuch seine<br />
Mutter verliert. Manche Kinder bekommen Albträume,<br />
weil ihnen Märchenfiguren Angst machen. Andere<br />
können nicht schlafen, weil sie die Kriegsbilder in den<br />
Nachrichten nicht aus dem Kopf bekommen.<br />
Erste Regel also: Eltern sollten möglichst oft gemeinsam<br />
mit den Kindern (vor)lesen, fernsehen, am Computer<br />
spielen – und mit ihnen über das Gesehene und Gehörte<br />
reden. So können sie ihnen helfen, dass sie das Erlebte<br />
besser verstehen und einordnen. Zugleich bekommen<br />
sie Hinweise, was ihr Kind überfordert oder belastet –<br />
aber auch, was es interessiert, was es besonders gut<br />
kann.<br />
Zweiter Tipp: den Kindern Gelegenheiten anbieten, die<br />
Medienerfahrung aktiv zu verarbeiten – über das Erzählen,<br />
durch Zeichnungen und Malen, im Rollenspiel, mit<br />
Puppen.<br />
Drittens bekommen Kinder ein anderes Verhältnis zu<br />
den Medienangeboten, wenn sie selber etwas produzieren<br />
– wenn sie Geschichten erfinden und einem Erwachsenen<br />
diktieren oder sie (später) selbst aufschreiben<br />
oder wenn gemeinsam ein Hörspiel oder ein Video mit<br />
besonderen Effekten erstellt wird oder wenn die Kinder<br />
mit »Scratch« programmieren (s. S. 48).<br />
Viertens: Der Zugang zu Medien sollte nach sachlichen<br />
Gesichtspunkten geregelt – und nicht als Belohnung<br />
oder als Strafe eingesetzt werden. Sonst wird aus dem<br />
Sach- ein Beziehungsproblem. Am besten sind gemeinsame<br />
Vereinbarungen, in die Erwachsene und Kinder<br />
ihre Vorstellungen und Wünsche einbringen können.<br />
Ratgeber (wie »Kinder&Medien«, S. 128 ff. ➝ S. 48) können<br />
hilfreiche Hinweise geben. Aber allgemein gültige<br />
Regeln gibt es nicht. Dazu sind die Bedürfnisse, die<br />
Normvorstellungen und die Rahmenbedingungen in<br />
verschiedenen Familien zu unterschiedlich. Wichtig aber<br />
ist: Überzeugend sind Regeln für Kinder nur, wenn sich<br />
auch die Erwachsenen an sie halten. Und ganz generell:<br />
Die Vorbildwirkung der Eltern ist mit am wichtigsten.<br />
… oder gemeinsam mit anderen<br />
11 • November 2013 47
Informationen & Lesetipps<br />
Leseempfehlungen für Eltern<br />
Fachlich fundiert, durch viele praktische<br />
Beispiele anschaulich gestaltet<br />
und vor allem unaufgeregt in seinen<br />
Folgerungen ist der Eltern-Ratgeber:<br />
Kinder & Medien<br />
Was Erwachsene wissen sollten<br />
Norbert Neuss<br />
Erschienen: 2013<br />
Verlag: Friedrich<br />
Preis: 24,95 Euro<br />
Auch wenn es den Medien, ihrem Gebrauch<br />
und ihren Wirkungen nur ein<br />
Kapitel widmet, ist das Buch<br />
Wie Kinder heute wachsen<br />
Herbert Renz-Polster / Gerald Hüther<br />
Erschienen: 2013<br />
Verlag: Beltz<br />
Preis: 17,95 Euro<br />
besonders empfehlenswert. Denn es<br />
verzichtet auf Pauschalurteile und stellt<br />
– über das Medien-Kapitel hin aus – das<br />
Thema in einen weiteren Kontext. Vor<br />
allem machen die Autoren deutlich,<br />
dass Kinder mehr brauchen als ein Kurieren<br />
an den (Medien-)Symptomen:<br />
sie brauchen tragfähige und anregungsreiche<br />
Beziehungen zu Erwachsenen<br />
und zu Gleichaltrigen und sie<br />
brauchen Räume, in denen sie die Welt<br />
selbstständig erkunden können.<br />
Praktische Tipps und Hintergrundinformationen<br />
für Eltern, die Facebook<br />
nicht verbieten, sondern ihre Kinder<br />
beim richtigen Umgang mit Facebook<br />
unterstützen wollen:<br />
Mein Kind ist bei Facebook<br />
Thomas Pfeiffer /<br />
Jöran Muuß-Merholz<br />
Erschienen: 2012<br />
Verlag: Addison-Wesley<br />
Preis: 19,80 Euro<br />
Auch erwachsene Einsteiger finden<br />
außerdem Erklärungen, wie Facebook<br />
funktioniert und was eine Milliarde<br />
Menschen dort eigentlich machen.<br />
Es gibt auch einen Elternbrief mit Informationen<br />
»für mehr Sicherheit von<br />
Kindern im Netz«:<br />
www.bmfsfj.de/BMFSFJ/kinder-undjugend,did=200174.html<br />
Empfehlenswerte Kindermedien<br />
Als Fernsehsendung für Grundschulkinder<br />
sticht »Logo« mit Nachrichten<br />
und Informationen in verständlicher<br />
Sprache heraus:<br />
www.tivi.de/fernsehen/logo/start<br />
im Radio der tägliche »Kakadu« bei<br />
Deutschlandradio Kultur:<br />
www.kakadu.de<br />
dessen Sendungen auch über die Website<br />
(nach-)gehört werden können.<br />
Auf dem PC können Kinder selbst aktiv<br />
werden und mit »Scratch«:<br />
http://scratch.mit.edu<br />
etwas Eigenes, Neues erschaffen, z. B.,<br />
um dadurch andere Medienerfahrungen<br />
zu verarbeiten (sehr beliebt sind<br />
eigene Geschichten zu bekannten<br />
Trickfilmserien o. Ä.).<br />
Immer noch empfehlenswert sind Klassiker<br />
wie die »Unglaubliche Maschine«:<br />
www.techspot.com/downloads/5852-<br />
the-incredible-machine-2.html<br />
Für die Förderung schulisch relevanter<br />
Fähigkeiten gibt es nur wenig geeignete<br />
Software. Darum noch einmal<br />
der Hinweis auf den TING-Stift, der<br />
Bücher zum Sprechen bringt (s. <strong>GSE</strong> 6<br />
und 9).<br />
Link-Tipps, die im Internet zu besonders<br />
interessanten Suchmaschinen für<br />
Kinder führen:<br />
www.blinde-kuh.de<br />
www.fragfinn.de<br />
und zu Kinderforen, in denen die Kinder<br />
selber zu Wort kommen können –<br />
Internet von und für Kinder:<br />
www.klickerkids.de oder<br />
www.labbe.de/mellvil<br />
Ein Hinweis zum Schluss: Für die Entwicklung<br />
von Kindern sind Geschichten<br />
unentbehrlich: erzählte, (vor-)gelesene,<br />
(vor-)gespielte, auf CD gehörte,<br />
von DVD gesehene Geschichten über<br />
Erlebnisse anderer Menschen und wie<br />
sie daran gewachsen sind. Für manche<br />
sicher überraschend: Die Forschung<br />
zeigt, dass es oft die »neuen« Medien<br />
sind, die Kinder (und Erwachsene …)<br />
zum Genuss derselben Geschichte in<br />
den »alten« Medien führen …<br />
Dieser Elternratgeber ist ein überarbeiteter<br />
Sammelband der Serie »GrundschulEltern«<br />
aus den Heften der Zeitschrift<br />
»Grundschule aktuell« (Mai 2011<br />
bis Februar 2014). Zu einigen Themen<br />
sind auch noch 25er-Pakete für Elternabende<br />
erhältlich.<br />
Herausgeber: Grundschulverband e. V.<br />
in Zusammenarbeit mit Hans Brügelmann.<br />
Redaktion: Axel Backhaus, Erika Brinkmann,<br />
Hans Brügelmann und Babette<br />
Danckwerts.<br />
Fotos Titel und Rücktitel: Bert Butzke,<br />
Mülheim<br />
Hinweise auf ergänzende Informationen<br />
im Internet – meist mit dem Zeichen<br />
– lassen sich verfolgen über<br />
www.grundschuleltern.info/ ➝ »Weitere<br />
Informationen …« ➝ »Grundschuleltern<br />
zur Ansicht«.<br />
Bestell-Nr. 6064, 7,50 Euro<br />
(für Mitglieder 5,50 Euro)<br />
48 11 • November 2013
Der Grundschulverband e. V.<br />
setzt sich für die Weiterentwicklung der Grundschule<br />
ein. Er will bundesweit und in den einzelnen<br />
Bundesländern<br />
bildungspolitisch<br />
die Stellung der Grundschule als grundlegende<br />
Bildungseinrichtung verbessern und die notwendigen<br />
Investitionen für ihren Ausbau zur zeitgemäßen<br />
und kindgerechten Schule von den politisch<br />
Verantwortlichen einfordern,<br />
schulpädagogisch<br />
die Reform der Schulpraxis und der Lehrerbildung<br />
entsprechend den Erkenntnissen aus Wissenschaft<br />
und Praxis unterstützen und<br />
wissenschaftlich<br />
neue Erkenntnisse über die Bildungsmöglichkeiten<br />
und Ansprüche von Kindern fördern und verbreiten.<br />
Wirksam wird der Grundschulverband über regionale<br />
Aktionen, bundesweite Initiativen und<br />
seine Veröffentlichungen: Buchreihe »Beiträge<br />
zur Reform der Grundschule«, wissenschaftliche<br />
Expertisen, die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift<br />
Grundschule aktuell, die interessante<br />
Expertenbeiträge, jeweils zu einem Schwerpunktthema,<br />
ein Praxisdossier und passend dazu<br />
Berichte aus der Grundschulforschung enthält,<br />
Nachrichtenseiten in verschiedenen Grundschulzeitschriften.<br />
Der Grundschulverband bietet Ihnen vielfältige<br />
Anregungen, Ideen und Hilfen für die praktische<br />
Arbeit und einen Rahmen für Ihr Engagement für<br />
eine kindgerechte Grundschule. Wir brauchen Ihre<br />
Erfahrungen und Ihr Engagement. Nutzen und<br />
multiplizieren Sie die Erkenntnisse einer Gemeinschaft<br />
reformorientierter Pädagoginnen und Pädagogen<br />
und werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />
Sitz und Geschäftsstelle des Grundschulverbandes<br />
ist Frankfurt am Main.<br />
www.<br />
www.grundschulverband.de<br />
Buchpublikationen<br />
der letzten Jahre in der Reihe<br />
»Beiträge zur Reform der Grundschule«<br />
138 Inklusive Schule (2014)<br />
137 Lernwerkstätten – Potenziale<br />
für Schulen von morgen (2014)<br />
136 Sachunterricht in der Grundschule:<br />
entwickeln – gestalten – reflektieren<br />
135 Kompetenzen stärken – individuell fördern,<br />
Schuber II (ab Kl. 3)<br />
134 Kompetenzen stärken – individuell fördern,<br />
Schuber I in der Eingangsstufe (Kl. 1 und 2)<br />
133 Schreibkompetenz und Schriftkultur<br />
131 Grundschule entwickeln –<br />
Gestaltungsspielräume nutzen<br />
130 Aktuelle Kindheiten<br />
129 Allen Kindern gerecht werden.<br />
Aufgabe und Wege<br />
126 Fremdsprachen in der Grundschule.<br />
Auf dem Weg zu einer neuen<br />
Lern- und Leistungskultur<br />
125 Schule außerhalb der Schule.<br />
Lehren und Lernen an außerschulischen Orten<br />
124 Pädagogische Leistungskultur: Ästhetik, Sport,<br />
Englisch, Arbeits-/Sozialverhalten<br />
123 Leben und Lernen in jahrgangs -<br />
gemischten Klassen<br />
122 Auf dem Weg zur Ganztagsgrundschule<br />
121 Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für Klasse 3 und 4<br />
120 Deutsch als Zweitsprache lernen<br />
119 Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für Klasse 1 und 2<br />
118 Leistungen von Kindern<br />
wahrnehmen – würdigen – fördern<br />
117 Mathematik für Kinder –<br />
Mathematik von Kindern<br />
116 Kinder beteiligen – Demokratie lernen?<br />
115 Länger gemeinsam lernen.<br />
Positionen, Forschungsergebnisse, Beispiele<br />
114 Freiarbeit in der Grundschule –<br />
offener Unterricht in Theorie und Praxis<br />
113 Schatzkiste Sprache 2<br />
111 Schulanfang ohne Umwege<br />
104 Schatzkiste Sprache 1<br />
92/93 Religion in der Grundschule<br />
87 Leistung der Schule – Leistung der Kinder
Schulanfang<br />
Die Not mit den Noten<br />
Kinder erforschen die Welt –<br />
wie Wissenschaftler<br />
Hausaufgaben: wozu und wie?<br />
Schulwechsel: Welche Schule ist gut<br />
für unsere Kinder?<br />
Kinder und die »neuen Medien«<br />
Ästhetisches Lernen: Malen, Singen,<br />
Tanzen, Spielen, Bewegen …<br />
Inklusion – Integration<br />
Rechnen –<br />
auf eigenen Wegen<br />
Kinder: Entdecker und Erfinder –<br />
auch beim Lesen- und Schreibenlernen<br />
Kinder bestimmen mit –<br />
in Familie und Schule<br />
Kinder mit Problemen –<br />
Probleme mit Kindern