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ERF Antenne 0708|2020 Was bringt die Welt von morgen?

Das Magazin von ERF – Der Sinnsender

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<strong>ERF</strong> THEMA<br />

„Rein theoretisch könnte es sein, dass mein<br />

Job zu meinem Renteneintritt <strong>von</strong> einer<br />

Maschine übernommen wird“, sagt mein<br />

Bruder, während wir an einem sonnigen<br />

Samstagnachmittag durch den Wald spazieren.<br />

„Eine Maschinenbauer-Maschine?“,<br />

frage ich erstaunt. Er nickt. „Noch sind wir<br />

<strong>die</strong> besseren Ingenieure. Aber vieles, was<br />

ich tue, könnte irgendwann durch digitale<br />

neuronale Netze übernommen werden.“<br />

Wenn ich meinen Bruder besuche, führen<br />

wir oft leidenschaftliche Diskussionen über<br />

spekulative Zukunftsszenarien, <strong>von</strong> der<br />

Besiedlung des Mars bis hin zur menschlosen<br />

Fabrik. Und während der KI-Maschinenbauer<br />

wohl noch ein Fall für <strong>die</strong><br />

Zukunftsforschung ist, zeichnet sich in<br />

anderen Branchen schon jetzt ein Trend<br />

zur umfassenden Digitalisierung ab: in der<br />

Fertigungsindustrie, im Bergbau oder in<br />

der Logistik. Stichwort Industrie 4.0.<br />

Kunibert der Robo-Pfleger<br />

Wir stapfen weiter über einen schmalen<br />

Waldpfad und versuchen, nicht in <strong>die</strong> Pfützen<br />

zu treten. Wir stellen uns eine <strong>Welt</strong> vor,<br />

in der Maschinen unsere Jobs wegnehmen.<br />

Selbst im Bereich der Medizin ist ja vieles<br />

denkbar. Ich habe vor kurzem <strong>von</strong> sogenannten<br />

Pflegerobotern gelesen, <strong>die</strong> durch<br />

ständiges Messen <strong>von</strong> Herzfrequenz und<br />

Blutwerten <strong>die</strong> Gesundheit eines Seniors<br />

überwachen und je nach Bedarf Medikamente<br />

verbreichen oder den Krankenwagen<br />

rufen. Ich male mir aus, wie meine<br />

ältere Nachbarin in Zukunft statt mit ihrem<br />

Hund mit dem Roboter spricht, wenn sie<br />

einsam ist. Ob er <strong>von</strong> ihr auch einen Namen<br />

bekommt? Kunibert, der freundliche<br />

Robo-Pfleger?<br />

Während wir weiter über mögliche Zukunftsszenarien<br />

spekulieren, steigt mir<br />

der typische Geruch des Waldes nach<br />

einer regnerischen Nacht in <strong>die</strong> Nase. Ein<br />

bisschen modrig, erdig, vielschichtig – und<br />

irgendwie lebendig. Viele der Bäume, an<br />

denen wir vorbeiziehen, stehen schon seit<br />

Jahrzehnten hier. Wahrscheinlich gab es<br />

noch keine PCs, als sie kleine Setzlinge<br />

waren. Keine Smartphones, keine Industrie<br />

4.0. Ich mag Bäume. Sie scheinen mir so<br />

gelassen, wie sie an Ort und Stelle verharren,<br />

während sich <strong>die</strong> menschliche <strong>Welt</strong><br />

im immer wilderen Reigentanz um sich<br />

selbst dreht.<br />

Ein deprimierendes Buch der Bibel<br />

Als wir weiterlaufen, reden wir immer noch<br />

über <strong>die</strong> Zukunft – aber nicht mehr über<br />

KI und intelligente Maschinen, sondern<br />

über unsere persönlichen Gedanken und<br />

Träume. Ich erzähle <strong>von</strong> dem, worüber<br />

ich mir gerade Sorgen mache. Meine Gedanken<br />

drehen sich im Kreis, ausgerichtet<br />

auf eine Zukunft, <strong>die</strong> ich mir genau vorstelle<br />

– und doch nicht kenne. Ich kann<br />

mir heute kaum vorstellen, dass all das,<br />

was mir gerade wichtig ist, irgendwann<br />

seine Bedeutung verliert. Dabei hat mir <strong>die</strong><br />

Corona-Krise doch unlängst bewiesen, wie<br />

schnell sich Prioritäten ändern können. Ein<br />

kleiner, unsichtbarer Virus – und plötzlich<br />

streiten sich Menschen um Klopapier, anstatt<br />

Urlaub auf den Malediven zu machen.<br />

Seitdem denke ich immer wieder an das<br />

Buch „Prediger“ aus der Bibel. Früher gehörte<br />

es zu den Abschnitten, <strong>die</strong> ich schnell<br />

überblätterte. Ich fand das Buch vor allem<br />

eins: deprimierend. Zwölf Kapitel, <strong>die</strong> sich<br />

damit beschäftigen, dass das Leben vergänglich<br />

sei. Um einen Vers zu zitieren:<br />

„Doch als ich alles prüfend betrachtete,<br />

was ich mir mit meinen Händen erworben<br />

hatte, und <strong>die</strong> Mühe dagegen hielt, <strong>die</strong> ich<br />

darauf verwendet hatte, merkte ich, dass<br />

alles sinnlos war. Es war so unnütz wie der<br />

Versuch, den Wind einzufangen.“ (Prediger<br />

2,11) Sehen Sie, was ich meine? Deprimierend.<br />

Der Prediger erzählt da<strong>von</strong>, was er<br />

alles getan hat, um seiner Vergänglichkeit<br />

etwas entgegenzusetzen: Er errichtet Bauwerke,<br />

schafft ein Wald-Bewässerungs-<br />

System, investiert in Kunst und hatte ein<br />

Haufen Kinder. Und trotzdem: alles blieb<br />

flüchtig. Nicht gerade eine aufbauende<br />

Message.<br />

Die Ewigkeit im Herzen<br />

Mein Bruder und ich verlassen den Wald.<br />

Vor uns liegt ein Weinberg. In sauberen<br />

Reihen ranken sich <strong>die</strong> Weinstöcke empor.<br />

Wie schon zur Zeit der Bibel. Mir gefällt der<br />

Gedanke, dass es immer noch <strong>die</strong> gleiche<br />

Sonne ist, <strong>die</strong> sie reifen lässt. Ich habe inzwischen<br />

gelernt, <strong>die</strong> Weisheit des Predigers<br />

wertzuschätzen. Er ist kein Nihilist,<br />

der an der Flüchtigkeit der <strong>Welt</strong> verzweifelt,<br />

sondern er entdeckt darin Schönheit. Der<br />

Wind, der damals für Saat und Ernte gesorgt<br />

hat, weht heute noch und pflanzt<br />

Bäume, <strong>die</strong> länger leben als so manches<br />

menschliche Industrie-Imperium. Und <strong>die</strong><br />

Zukunft, <strong>die</strong> der Prediger nicht vorhersagen<br />

konnte, entzieht sich immer noch meiner<br />

Kontrolle. Kein einziger Sorgengedanke,<br />

den ich mir heute mache, verlängert mein<br />

Leben auch nur um eine Stunde.<br />

Und mitten in den ernsten Betrachtungen,<br />

wie eitel alles Menschliche ist, findet sich<br />

einer der schönsten Verse der Bibel: „Gott<br />

hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch<br />

hat er <strong>die</strong> Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur<br />

dass der Mensch nicht ergründen kann<br />

das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch<br />

Ende.“ (Prediger 3,11)<br />

Ein erstaunlicher Perspektivwechsel.<br />

Nicht alles ist vergänglich. Im Herzen der<br />

Menschen liegt Ewigkeit. Ich erahne sie,<br />

wenn ich in den Sternenhimmel schaue<br />

und mir bewusst mache, dass das Licht,<br />

das mich <strong>von</strong> den Sternen erreicht, schon<br />

tausende Jahre unterwegs ist. Doch selbst<br />

<strong>die</strong> 2,5 Millionen Jahre, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Strahlen der<br />

Andromeda-Galaxie brauchen, um <strong>die</strong> Erde<br />

zu erreichen, sind nur ein Bruchteil der<br />

Ewigkeit. Um sie zu begreifen, reicht kein<br />

Menschenleben aus. Vor allem keines, das<br />

zugeschüttet wird <strong>von</strong> Alltagssorgen. Wir<br />

treten den Rückweg an, schließlich wartet<br />

zuhause ein guter Kaffee.<br />

Ich weiß nicht, wie sich <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> durch<br />

<strong>die</strong> Digitalisierung ändern wird, durch<br />

<strong>die</strong> Corona-Krise, durch den Klimawandel<br />

und all <strong>die</strong> anderen Dinge, <strong>die</strong> mir Angst<br />

machen. Aber ich will lernen, jeden einzelnen<br />

Tag als Geschenk zu verstehen und<br />

mit der Unsicherheit zu leben, dass ich das<br />

Morgen nicht kenne – und ich mich darauf<br />

verlassen kann, dass Gott sein Werk tut. So<br />

wie der Prediger es schon vor dreitausend<br />

Jahren gesagt hat.<br />

Wenn ich nochmals darüber nachdenke,<br />

finde ich, dass das doch ein bisschen kitschig<br />

klingt: „Das Leben ist ein Geschenk“<br />

und so weiter. Hat was <strong>von</strong> Poesie-Album.<br />

Aber vielleicht ist es okay, an einem Samstagnachmittag<br />

rührselig zu werden, wenn<br />

ich Schlamm unter mir, Sonne über mir<br />

und meinen großen Bruder neben mir<br />

habe, den ich viel zu selten besuche. Und<br />

der für mich durch keine Maschine ersetzbar<br />

ist. Und sei sie noch so schlau.<br />

<strong>ERF</strong> ANTENNE 0708|20<br />

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