Leseprobe_Marmorstein und Eisen
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entzogen werden sollte, lautete, dass er durch seine<br />
Tätigkeit als Arzt keine Zeit hätte, sich um den Jungen<br />
zu kümmern. Während sich die Mutter, das blonde<br />
Gift, das auf den bezeichnenden Namen „Bambi“ hörte,<br />
den ganzen Tag nur seiner Aufzucht widmete. Oder<br />
auch nicht.<br />
„Euer Ehren, ich hätte da ein paar Fragen an Mrs. Lincoln“,<br />
meldete ich mich mit gedämpfter Stimme zu<br />
Wort. Petersen <strong>und</strong> seine Klientin sollten ruhig glauben,<br />
ich hätte nichts in der Hand <strong>und</strong> würde mich bereits<br />
geschlagen geben. Der Richter nickte, etwas ungnädig<br />
wie mir schien, aber natürlich durfte er mir nicht verweigern,<br />
auf das Argument des gegnerischen Anwalts<br />
zu reagieren. Ich stand also auf <strong>und</strong> baute mich vor der<br />
Bank, auf der die blonde Bambi mit ihrem Rechtsvertreter<br />
saß, in meiner vollen, zugegebenermaßen nicht<br />
sehr imposanten Größe auf. „Mrs. Lincoln“, sagte ich<br />
dann in trügerisch sanftem Ton, „erinnern Sie sich noch<br />
an den 17. Juni des heurigen Jahres? Können Sie dem<br />
Gericht sagen, was an diesem Tag passiert ist?“<br />
Die Blondine schüttelte unwillig den Kopf. Zwischen<br />
ihren Augenbrauen bildete sich eine unschöne Zornesfalte,<br />
welche ihr Dermatologe ihr wohl um viel Geld<br />
würde wegspritzen müssen. Das kleine Biest wusste<br />
offenbar ganz genau, wovon ich sprach, wollte es aber<br />
nicht zugeben. „Dann lassen Sie mich Ihrem Gedächtnis<br />
auf die Sprünge helfen“, sprach ich mit seidenweicher<br />
Stimme. „An diesem Tag hatte Ihr Sohn, Michael<br />
Lincoln, in der Vorschule einen Unfall. Er stürzte beim<br />
Spielen so unglücklich, dass er sich die linke Hand<br />
brach. Erinnern Sie sich jetzt wieder?“<br />
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