Leseprobe_Marmorstein und Eisen
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Bambi Lincoln nickte ungnädig. So etwas konnte sie ja<br />
wohl kaum leugnen, wenn sie als gute Mutter durchgehen<br />
wollte. „Und sind Sie an jenem Tag in die Vorschule<br />
gefahren, um Ihr Kind abzuholen <strong>und</strong> zu einem<br />
Arzt zu bringen?“, fragte ich weiter, wohl wissend, dass<br />
es nicht so gewesen war.<br />
Die blonde Frau quetschte widerwillige ein „Nein“ aus<br />
einem M<strong>und</strong>winkel, <strong>und</strong> der Richter beugte sich interessiert<br />
vor. „Und warum waren Sie nicht da, um Ihren<br />
Sohn zu holen?“, bohrte ich weiter, jetzt mit schon viel<br />
weniger seidiger Stimme, <strong>und</strong> die zukünftige Exfrau<br />
meines Mandanten, die wohl zu ahnen begann, dass ihr<br />
die Felle davonschwammen, zuckte die Achseln. „Weiß<br />
ich nicht mehr“, murmelte sie.<br />
„Ach, das wissen Sie also nicht mehr?“, fragte ich scheinheilig<br />
<strong>und</strong> zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch. „Ist<br />
es denn nicht so, Mrs. Lincoln, dass Sie an diesem Tag<br />
bei einer Massage waren <strong>und</strong> die Vorschule vergeblich<br />
versucht hat, Sie zu erreichen, weil Sie Ihr Mobiltelefon<br />
ausgeschaltet hatten?“ Die blonde Bambi zuckte jetzt<br />
schuldbewusst zusammen, <strong>und</strong> der Richter runzelte die<br />
Stirn. Das alleinige Sorgerecht konnte sie sich bereits<br />
abschminken, wenn der kleine Michael nicht sogar zur<br />
Gänze meinem Mandanten zugesprochen werden würde.<br />
„Stimmt es nicht, dass die Vorschule, weil Sie nicht erreichbar<br />
waren, schließlich Ihren Mann angerufen hat<br />
<strong>und</strong> er in seiner Praxis alles liegen <strong>und</strong> stehen ließ, um<br />
seinem verletzten Sohn zu Hilfe zu eilen?“, bohrte ich<br />
beharrlich weiter. „Verhielt es sich nicht so, dass Sie an<br />
jenem Tag erst St<strong>und</strong>en nach dem Unfall Ihres Sohnes<br />
nach Hause kamen, nachdem das Kind längst im<br />
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