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Ausgabe 03.2020

Magazin für Kunden der Stadtwerke Erfurt. Aktuelle Informationen zu den Leistungen und Produkten der SWE. Geschichten aus Erfurt und der Region, Porträts und Reportagen. Themen der aktuellen Ausgabe: Corona und die Auswirkung auf die Kunst, Pop-Up-Store und Papeterie in Erfurt vorgestellt, BUGA-Vorfreude in Erfurt, Fachwerkhaus auf Reisen in Hohenfelden, Sponsoringprojekt 21x1000 startet wieder

Magazin für Kunden der Stadtwerke Erfurt. Aktuelle Informationen zu den Leistungen und Produkten der SWE. Geschichten aus Erfurt und der Region, Porträts und Reportagen. Themen der aktuellen Ausgabe: Corona und die Auswirkung auf die Kunst, Pop-Up-Store und Papeterie in Erfurt vorgestellt, BUGA-Vorfreude in Erfurt, Fachwerkhaus auf Reisen in Hohenfelden, Sponsoringprojekt 21x1000 startet wieder

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1<br />

schen Quartier, hier wohnten die ärmeren<br />

Leute. „Hinter der Furt, also östlich der Gera,<br />

war alles christlich“, sagt sie. Bis dicht an die<br />

Gera waren die ärmlichen Häuser gebaut, so<br />

ähnlich wie die Bursen, die sich nur wenige<br />

Schritte entfernt befinden. Bei Bauarbeiten<br />

wurde die Mikwe 2007 entdeckt. Wie so oft<br />

war es ein Zufall, eine Stützmauer brach ein:<br />

Zum Vorschein kam ein alter Keller. „Ein bedeutender<br />

Fund, denn das jüdische Ritualbad<br />

war noch viel wichtiger als die Synagoge.<br />

Man nannte es auch das kalte Bad, denn<br />

es wurde direkt aus der Gera gespeist. Der<br />

mittelalterliche Bau war gut durchdacht“, erzählt<br />

sie. Kiesel und Steine wirkten wie Filter<br />

auf das Wasser, das durch die Fugen ins<br />

Tauchbecken floss. Dadurch war es sehr sauber,<br />

aber auch sehr kalt. Nackt und einzeln<br />

ging es ins Wasser. „Vor allem für die Frauen<br />

war die rituelle Reinigung elementar, um<br />

sich von Körperflüssigkeiten zu reinigen,<br />

besonders an den weißen Tagen fünf oder<br />

sechs Tage nach der Menstruation“, so Sabine<br />

Hahnel. Aber auch wenn Tote berührt<br />

wurden oder nach der Hilfe bei Geburten<br />

stiegen Hebammen und Ärzte nach getaner<br />

Arbeit ins Wasser. Dreimal tauchten sie tief<br />

ein, Augen und Mund offen, sprachen Gebete.<br />

In der Michaelisstraße macht uns Sabine<br />

Hahnel auf die großzügig geschnittenen<br />

Grundstücke aufmerksam. Hier wohnten<br />

sich im 14. Jahrhundert Juden und Christen<br />

gegenüber, auch die wohlhabenderen jüdischen<br />

Fernhändler. Vorbei geht es an der<br />

Großen Alten Waage, es ist die Nr. 7. Das<br />

ganze Areal gehörte einst Abraham von Rotenburg,<br />

einem jüdischen Kaufmann, der das<br />

Haus gemeinsam mit der Nr. 6 errichten ließ.<br />

„Es war einer der größten und ältesten jüdischen<br />

Besitze vor der Judenverfolgung im<br />

13. Jahrhundert“, so Sabine Hahnel. 1349<br />

– während des Pogroms – fiel es dem Brand<br />

zum Opfer, wurde später aber wieder aufgebaut,<br />

da die Stadt die Waage aus dem<br />

Rathaus dorthin verlegen wollte. Bis 1712<br />

wurden die Häuser als Waage und Kaufhaus<br />

genutzt. Viele der ehemals jüdischen<br />

Wohnhäuser in unmittelbarer Umgebung<br />

wurden damals zu Stapelspeichern umgebaut,<br />

auch in der Waagegasse – ein Schicksal,<br />

das auch die Alte Synagoge teilte. Die<br />

übrigens war nicht der Zufallsfund, wie gern<br />

2<br />

1 Sabine Hahnel mit einer<br />

Ansicht der Bebauung hinter<br />

der Krämerbrücke aus<br />

den 1940er-Jahren.<br />

2 Jahrhundertelang war die<br />

Alte Synagoge hinter Speicherhäusern<br />

versteckt. 1998<br />

wurde sie freigelegt. Seit<br />

2009 können Besucher<br />

hier mehr über die Geschichte<br />

der ersten jüdischen<br />

Gemeinde erfahren.<br />

3 Kunsthistorikerin Dr.<br />

Maria Stürzebecher im<br />

Keller des Steinernen Hauses<br />

mit dem spannendsten<br />

jüdischen Grabstein, der<br />

jemals gefunden wurde.<br />

4 2010 wurde die Plastik<br />

eines Mannes an einem<br />

Sandstein in der Mikwe entdeckt.<br />

Sie zeigt die umgekehrte<br />

Ansicht eines Mannes<br />

mit Lilienkrone, die<br />

vermutlich aus dem 12. Jahrhundert<br />

stammt. Jahrhundertelang<br />

war sie unter<br />

dem Mörtel verborgen.<br />

dargestellt, erzählt Sabine Hahnel. Ende der<br />

1980er-Jahre, als das politische Klima milder<br />

wurde, tauchten in der ganzen DDR plötzlich<br />

Befunde jüdischen Ursprungs auf. Dass die<br />

Synagoge sich zu Teilen in der „Feuerkugel“<br />

befand, wurde schon lange vermutet, erzählt<br />

Sabine Hahnel und berichtet von Rosita Peterseim,<br />

einer Denkmalpflegerin und Kunsthistorikerin,<br />

die es genau wissen wollte und<br />

sich auf die Personaltoiletten des Restaurants<br />

schlich, den Putz abkratzte und mittelalterliches<br />

Mauerwerk entdeckte. Erst, als<br />

die Stadt das Grundstück 1998 zurückkaufte,<br />

konnte man der Sache auf den Grund gehen<br />

und fand Erfurts großartige Besonderheit,<br />

eine mittelalterliche Synagoge, die von den<br />

Grundmauern bis zum Dach aus dem Mittelalter<br />

– in ihren ältesten Teilen sogar aus dem<br />

11. Jahrhundert – stammt und komplett erhalten<br />

ist, trotz des Umbaus zum Speicher.<br />

„Das gibt es so nirgendwo anders und es ist<br />

absolut richtig, dafür das Weltkulturerbe zu<br />

beantragen“, sagt sie.<br />

Den Abschluss macht das Steinerne Haus<br />

aus dem 13. Jahrhundert. Hier treffen wir<br />

Kunsthistorikerin Dr. Maria Stürzebecher, die<br />

uns mit in den Keller nimmt. Über 100 alte<br />

jüdische Grabsteine und Fragmente des frühen<br />

13. bis frühen 15. Jahrhunderts sind hier<br />

3 4<br />

aufgestellt. Manche Inschriften sind kaum<br />

noch lesbar, andere sehen aus, als hätten<br />

die Steinmetze ihre Arbeit erst gestern beendet.<br />

„Sie waren im ganzen Stadtgebiet in<br />

alten Mauern und Kellern verbaut“, sagt sie<br />

und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf einen<br />

Stein. „Das ist der Spannendste. Ich dachte<br />

damals, jetzt haben wir endlich unseren<br />

Rabbiner-Grabstein, der hat so viel Text.<br />

Aber nein, es war der Leichenstein für eine<br />

Frau, die liebenswerte, ehrbare Frau Hannah.<br />

Und auch der Ehemann kommt zu Wort. Er<br />

spricht sie als sein Hannele direkt an, das ist<br />

nicht nur anrührend, sondern zutiefst ungewöhnlich“,<br />

sagt sie, denn einen solchen<br />

Grabstein hat man bisher noch nicht gefunden,<br />

weder in Erfurt noch anderswo.<br />

TEXT: ANKE ROEDER-ECKERT<br />

FOTOS: STEVE BAUERSCHMIDT<br />

Mehr zum jüdischen Leben lesen Sie im<br />

Blog www.swefuererfurt.de. Einfach den<br />

QR-Code scannen oder unter www.stadtwerke-erfurt.de/swejournal<br />

schauen.<br />

Reise durch die Zeit<br />

Viele Stadtführungen bietet die Erfurt Tourismus<br />

und Marketing GmbH an, die auch<br />

für Erfurter interessant sind. Wie wäre es<br />

mit dem „Romantischen Abendspaziergang“?<br />

Ein gemütlicher Rundgang mit einem<br />

Erfurter Original durch Altstadt, Universitätsviertel<br />

und „Klein Venedig“. Auch<br />

das „Erfurter Tratschweib“ lohnt sich, denn<br />

es kann keine Geheimnisse bewahren. „Unterwegs<br />

mit dem Erfurter Weinmönch“<br />

heißt die Tour durch Erfurts Weingeschichte<br />

vom Mittelalter bis heute.<br />

Sehr beliebt ist auch die „Erfurt-Tour<br />

mit der Straßenbahn“. Mit der historischen<br />

Stadtbahn geht es zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten<br />

der jüngeren und älteren<br />

Erfurter Stadtgeschichte. Informationen<br />

zur Buchung gibt es im Internet unter<br />

www.erfurt-tourismus.de.<br />

6<br />

SWE-Journal 03_2020<br />

SWE-Journal 03_2020 7

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