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Blauer Mond September

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Und sie so in die Flucht geschlagen.

Der Sanierungswut Anfang der Neunziger Jahre fiel die Flügelnuß dann doch zum Opfer. Wir

haben es nicht mit ansehen müssen. Friderico und ich lebten in Cottbus. Die drei, nun erwachsenen

Kinder, waren nach Berlin ausgeflogen.

Bei einem Nostalgiespaziergang in diesem Frühjahr haben wir gemeinsam ihre ehemaligen Kindergärten

inspiziert. Die Schulen, die Spielplätze. Unseren alten Hinterhof. Ein zartes Zwei-Meter-Stämmchen

hat sich aus dem verwitterten Baumstumpf des Storaxes hervor gereckt. Wir

nahmen es als Hoffnungszeichen. –

Ich kehre zu Friderico zurück und fotografiere am Bushäuschen, das seit Jahren zusehends zerfällt,

die Graffitis. An der Rückwand, unterm zerschlissenen Wellblechdach: Bristow ~ Böhse

Jungs und Mädchen.

Vorne, unter den ausgeschlagenen Fenstern: DRUTN-LAND, auf der anderen Seite: Deutsch!

Alle von derselben ungelenken Hand.

Ein Mann in Arbeitsklamotten und knöchelhohen Schnürschuhen nähert sich der Bushaltestelle.

Er trägt einen prall gefüllten Rucksack, in dem leere Flaschen scheppern. Er fragt, ob er sich

in unserer temporären Bleibe auf dem dritten Sitz niederlassen kann. – Na klar.

Ob wir auch warten. – Ja, wir warten.

Vorsichtiges Abtasten: Was das fürn Wetter dieses Jahr ist. Erst zu kalt und dann so heiß. Ob wir

Urlauber sind. - Sind wir.

Urlauber ist okay, sagt er. Pause. Schier endloses Schweigen.

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