Kerners Kleckse ... eine Interimsausstellung im Literaturmuseum der Moderne
Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ... Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike. Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides haben wir nun in Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen. #SchillerFreiSpiel #SprachenDerPoesie #Hölderlin2020
Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ...
Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike.
Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides haben wir nun in Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.
#SchillerFreiSpiel #SprachenDerPoesie #Hölderlin2020
Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!
Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.
1<br />
<strong>Kerners</strong> s<br />
<strong>Kleckse</strong><br />
… <strong>eine</strong> <strong>Inter<strong>im</strong>sausstellung</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Literaturmuseum</strong><br />
<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne
Vorab und<br />
zuerst
3<br />
Schiller, Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike ...<br />
Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur<br />
Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor<br />
dem Corona-Lockdown <strong>im</strong> März 2020 vier Schriftsteller –<br />
Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig<br />
ins <strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne umgezogen. Wir haben<br />
Dinge eingepackt, die ihre poetisch beson<strong>der</strong>en Seiten<br />
zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus <strong>Kerners</strong><br />
Tintenklecksbil<strong>der</strong> und die eigenwilligen Aufschreibesysteme<br />
von Friedrich Höl<strong>der</strong>lin und Eduard Mörike.<br />
Einige dieser Dinge stecken <strong>im</strong> Museum noch in Umzugskisten<br />
und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden.<br />
An<strong>der</strong>e haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach<br />
Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides –<br />
den Inhalt <strong>der</strong> Umzugskisten und die vorübergehende Ordnung<br />
<strong>der</strong> Dinge aus <strong>der</strong>en Nachlass – haben wir nun in digitale<br />
Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu<br />
machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in<br />
den digitalen Raum hinein zu öffnen.<br />
#SchillerFreiSpiel<br />
Kerner überliefert <strong>im</strong> Bil<strong>der</strong>buch m<strong>eine</strong>r Knabenzeit das<br />
Schillerbild s<strong>eine</strong>r Ludwigsburger Verwandtschaft: bleich,<br />
hager, aufrecht und, wenn er saß, den Kopf auf die Hand<br />
gelehnt und die B<strong>eine</strong> übereinan<strong>der</strong>geschlagen. – Für unser<br />
Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (geför<strong>der</strong>t vom Ministerium<br />
für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg <strong>im</strong><br />
Rahmen des Impulsprogramms „Kunst trotz Abstand“) suchen<br />
wir Ihre und D<strong>eine</strong> Lieblingsexponate. Über <strong>eine</strong> Mail an uns<br />
mit <strong>eine</strong>r kurzen Begründung (museum@dla-marbach.de) freuen<br />
wir uns sehr.
5
7<br />
<strong>Kleckse</strong> Kerner s<br />
Der Schriftsteller und Arzt<br />
Justinus Kerner ist <strong>der</strong><br />
Surrealist unter den vier hier<br />
vorgestellten Schriftstellern.<br />
Er interessierte sich für<br />
übersinnliche Erscheinungen<br />
wie die rätselhaften Schriftzeichen,<br />
die s<strong>eine</strong> berühmteste<br />
Patientin Frie<strong>der</strong>ike Hauffe<br />
(„die Seherin von Prevorst“)<br />
auf Amulette malte, und war<br />
fasziniert vom Mesmerismus,<br />
bei dem die Körperenergien<br />
durch Handauflegen, magnetische<br />
Aufladungen und die bei<br />
Schiller so beliebten Brechund<br />
Abführmittel in ein<br />
Gleichgewicht gebracht werden<br />
sollten. An sich selbst<br />
beobachtete Kerner die Verfahren<br />
unbewusster Vorgänge<br />
wie Träumen und Phantasieren<br />
mit <strong>eine</strong>m einfachen Mittel:<br />
Tintenklecksen.
Der 65-jährige halb erblindete<br />
Kerner entdeckt Mitte des<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, dass er aus<br />
den vielen „Tintensäuen“,<br />
die ihm be<strong>im</strong> Schreiben unterlaufen,<br />
durch Falten des<br />
Papiers symmetrische Figuren,<br />
Zeichen und Gebilde erzeugen<br />
kann – ganz so wie er sie<br />
in s<strong>eine</strong>r Kin<strong>der</strong>zeit durch<br />
„Zerdrückung von kl<strong>eine</strong>n<br />
färbenden Beeren, ja gar<br />
Fliegenköpfen und so weiter<br />
auf zusammengelegtem Papier<br />
ohne Kunst, ohne Hilfe von<br />
Bleistift und Pinsel, Zeichnungen<br />
hervorgehen sah“.<br />
Kerner deutet diese „Klecksographien“<br />
als Typen „längst<br />
vergangener Zeiten aus<br />
<strong>der</strong> Kindheit alter Völker“:<br />
„Götzenbil<strong>der</strong>, Urnen, Mumien<br />
und so weiter. Das Menschenbild<br />
wie das Tierbild tritt<br />
da in den verschiedensten<br />
Gestalten aus diesen Kleksen<br />
hervor, beson<strong>der</strong>s sehr häufig<br />
das Gerippe des Menschen.“<br />
Was Kerner mit s<strong>eine</strong>n Klecksographien<br />
zum künstlerischen<br />
und kulturhistorischen Projekt<br />
ausbaute, wurde vom Schweizer<br />
Psychiater Hermann Rorschach<br />
in den 1910er-Jahren zu <strong>eine</strong>m<br />
heute umstrittenen Persönlichkeitstest<br />
(„Rorschachtest“)<br />
weiterentwickelt.
9<br />
Schon <strong>der</strong> 13-jährige Kerner schrieb<br />
quasi blind, weil er es – als Kaufmannslehrling<br />
in <strong>der</strong> herzoglichen,<br />
zwischen Zucht- und Irrenhaus<br />
gelegenen Tuchfabrik in Ludwigsburg<br />
– he<strong>im</strong>lich tat: „M<strong>eine</strong> Hände machten<br />
[die Zuschneidearbeit] mechanisch<br />
fort, während ich Poesien aller<br />
Art dichtete, die ich mit Bleistift<br />
auf unter den Tüchern versteckte<br />
Blätter nie<strong>der</strong>schrieb und in den<br />
Freistunden ins r<strong>eine</strong> brachte.“<br />
Abends spielte er mit <strong>der</strong> Maultrommel<br />
vor den Fenstern des Irrenhauses,<br />
um die Kranken zu beruhigen.<br />
Ihr Klang scheint ihm unmittelbarer<br />
auszudrücken, was er „tief <strong>im</strong><br />
Busen fühlte / Und nicht konnt’<br />
in Lie<strong>der</strong>n sagen.“<br />
<strong>eine</strong> von <strong>Kerners</strong> zahlreichen<br />
kl<strong>eine</strong>n Klecksographien
<strong>eine</strong> <strong>der</strong> Collagen, die Kerner aus<br />
s<strong>eine</strong>n Klecksographien und Gedichten,<br />
alten Kupferstichen und an<strong>der</strong>en<br />
Drucksachen fertigte und hier auf<br />
sich selbst bezog: „Justinus Kerner<br />
in effigie“ mit <strong>eine</strong>m auf orange<br />
leuchtendem Glanzpapier geklebten<br />
Scherenschnitt von Luise Duttenhofer,<br />
Der Tod des Anakreon. Der<br />
Sage nach erstickte <strong>der</strong> griechische<br />
Dichter Anakreon (Namensgeber für<br />
<strong>eine</strong> ganze Stilrichtung erotischlebenslustiger<br />
Poesie <strong>im</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
die Anakreontik) mit 85<br />
Jahren an <strong>eine</strong>r Traube. Bevor <strong>der</strong><br />
Götterbote Hermes Anakreons Seele –<br />
personifiziert durch Anakreons<br />
speziellen Seelenvogel, die <strong>der</strong><br />
Venus heilige (Turtel-)Taube – ins<br />
Jenseits führen kann, muss er<br />
ihm daher erst <strong>eine</strong> riesige Weintraube<br />
aus <strong>der</strong> Hand nehmen.
11
13
<strong>Kerners</strong> Texte und Dinge, die<br />
wir als bedruckte Plexiplatten<br />
in Umzugskisten gepackt haben –<br />
auf den 14 Plattenhüllen finden<br />
sich jeweils die Kommentare. >>
Kerner<br />
Seufzerinstrument<br />
K 1<br />
15
Justinus Kerner konnte auf zwei Maultrommeln gleichzeitig<br />
spielen und beschrieb sein eigenes Spiel: „Ich brachte es so<br />
weit, daß ich mein tiefstes Innere, mein ganzes Gemüt, m<strong>eine</strong>n<br />
Kummer, jeden leisen ungeborenen Seufzer in die Töne dieses<br />
Instrumentes legen und in ihnen ausdrücken konnte. Es klang<br />
bei mir [...] wie die Töne <strong>eine</strong>r Äolsharfe, die vor allen den<br />
tiefen Schmerz, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Natur liegt, ausdrücken. So konnte<br />
ich, wie die Natur in die Saiten <strong>der</strong> Äolsharfe, in die Zunge<br />
dieses Instrumentes all die Trauer m<strong>eine</strong>s Herzens legen.“<br />
Wir haben selbst ausprobiert,<br />
wie sich das angehört haben mag.
SK1<br />
17
Kerner<br />
K 2<br />
bewohner<br />
raum-<br />
lp-<br />
19
Collage mit Klecksographien von Justinus Kerner.<br />
In <strong>der</strong> Mitte The Night Mare<br />
(Punktiermanier nach <strong>eine</strong>m<br />
Gemälde von Johann Heinrich<br />
Füssli, gestochen von<br />
A. Zaffonato, 30. November 1795).<br />
Dazu <strong>eine</strong> Verwandlungsszene:<br />
„Aus Dintenfleken ganz gering/<br />
Entstand <strong>der</strong> schöne Schmetterling. /<br />
Zu solcher Wandlung ich empfehle /<br />
Gott m<strong>eine</strong> flekenvolle Seele“,<br />
ein wertlos gewordener<br />
Geldschein <strong>der</strong> französischen<br />
Revolution von 1793 und<br />
gekleckste Porträts von vier<br />
berühmten Schriftstellerinnen,<br />
die Kerner z.T. persönlich kannte –<br />
Emma Herwegh (1817–1904),<br />
Helmine von Chézy (1783–1856),<br />
George Sand (1804–1876) und<br />
Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805–1880).
SK2<br />
21
Kerner<br />
K 3<br />
23<br />
iftmischer
Um <strong>eine</strong>n orientalischen Fakir<br />
(Pinsel-Tuschzeichnung, vermutlich<br />
von François Dancx, um 1690) sind<br />
angeordnet:„Prolifigat Aethiopas“<br />
(Moses führt die Israeliten aus<br />
Ägypten ins Heilige Land, Kupferstich<br />
nach <strong>eine</strong>m Gemälde von<br />
Antonio Tempesta aus <strong>der</strong> Serie<br />
Schlachten des Alten Testaments,<br />
um 1600), <strong>eine</strong> hochgiftige<br />
Brillenschlange (Kupferstich,<br />
wohl 17. Jahrhun<strong>der</strong>t, das Gift<br />
<strong>der</strong> Kobra kann fein dosiert<br />
Schmerzen lin<strong>der</strong>n), Begräbnistanz<br />
<strong>der</strong> Indianer (Radierung, wohl<br />
nie<strong>der</strong>ländisch, 17. Jahrhun<strong>der</strong>t),<br />
Adler-Mischwesen mit Wid<strong>der</strong> und<br />
Löwenkopf (Radierung, wohl 17.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t), Indianer-Kriegsrat,<br />
<strong>im</strong> Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Häuptling<br />
Paraousti Saturiona (Kupferstich<br />
von du Bry, 1593), und Szene aus<br />
dem Leben Mohammeds (Kupferstich<br />
aus <strong>eine</strong>m Buch, 17. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
illustriert ist die zweite Sure<br />
des Korans, in <strong>der</strong> Mohammed die<br />
Opferung <strong>eine</strong>r Kuh for<strong>der</strong>t, um die<br />
Wahrheit ans Licht zu bringen).<br />
Collage von Justinus Kerner mit Bil<strong>der</strong>n, die daran<br />
erinnern, wie sehr Gewalt und Religion, Tod und<br />
Leben, Gift und Heilung zusammengehören.
SK3<br />
25
ch-<br />
Kerner<br />
K 4<br />
pup-<br />
pen<br />
27
<strong>Kerners</strong> Collage s<strong>eine</strong>r eigenen Porträts, die er kommentiert:<br />
„Räuber“ („noch ein Mittelzustand“), „Econome“ (wohl <strong>im</strong> Sinn<br />
von ‚<strong>der</strong> Sparsame’ gemeint) und „S<strong>im</strong>pel“ (schwäbisch für<br />
‚Einfaltspinsel‘).<br />
Auf die Rückseite schrieb Kerner: „Zwischen <strong>der</strong> Raupe und<br />
dem Schmetterling ligt noch ein Zustand, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Puppe“.<br />
Der Sohn Theobald Kerner kommentierte: „mein Vater hat diese<br />
Schauerbil<strong>der</strong> eigenhändig mit passenden Unterschriften<br />
versehen“.
SK4<br />
29
Kerner<br />
31<br />
Panzerwesen<br />
K 5
Collage von Justinus Kerner: ,Junge‘ Frau nach <strong>eine</strong>m Gemälde von<br />
Lukas Cranach d.Ä. (um 1530, Lithografie von Johann Nepomuk<br />
Strixner, auf Velin gedruckt, Stuttgart 1825) und zwei Insekten<br />
(Kupferstiche des Monogrammisten C. Ml, wohl 17. Jahrhun<strong>der</strong>t).
SK5<br />
33
Kerner<br />
Tin-<br />
ten-<br />
35<br />
hirne<br />
K 6
Collage von Justinus Kerner,<br />
<strong>der</strong> <strong>eine</strong>r Reihe von Dichtern und Geistersehern<br />
Tintenhirne „aufpatzte“: Johann Peter Hebel,<br />
Ludwig Tieck (ein überklebter Stahlstich von<br />
F. Gießmann, um 1825), <strong>der</strong> Theaterintendant Franz Dingelstedt<br />
(darunter Anastasius Grün, Stahlstich nach <strong>eine</strong>m Gemälde von<br />
T. Pelissier, Rom 1835), <strong>der</strong> Phrenologe Franz Joseph Gall<br />
(Punktiermanier von Karl Heinrich Rahl, Wien um 1805), Fürst Hermann<br />
von Pückler-Muskau, Franz Anton Mesmer („kleksographiert von J.<br />
Kerner wie solcher ihm als Geist erschien von Allfluss umgeben“),<br />
<strong>Kerners</strong> Freund in okkulten Dingen, Friedrich von Meyer<br />
(Lithografie von E. Pichler um 1845), Frie<strong>der</strong>ike Hauffe (die ,Seherin<br />
von Prevorst‘, <strong>der</strong>en Fallgeschichte Kerner veröffentlichte) und<br />
Rahel Varnhagen als Vexierbild zwischen Hausdrachen<br />
und schutzsuchendem Wesen.
SK6<br />
37
Kerner<br />
<strong>Kleckse</strong>ötter<br />
K 7<br />
39
Collage von Justinus Kerner, rechts <strong>der</strong><br />
aztekische Kriegsgott „Vitzliputzli“.
SK7<br />
41
Kerner<br />
Verand-<br />
K 8<br />
43<br />
ungs-<br />
ituationen
Collage von Justinus Kerner:<br />
Das Abendmahl in Emmaus (<strong>der</strong> auferstandene<br />
Jesus), kombiniert mit <strong>eine</strong>r Klecksographie,<br />
die Kerner als Szenario <strong>eine</strong>r<br />
magnetisierenden Séance deutet, und<br />
<strong>eine</strong>m Gedicht von Heinrich H<strong>eine</strong>: „Ein<br />
Fichtenbaum steht einsam / Im Norden auf<br />
kahler Höh’ / Ihn schläfert; mit weißer<br />
Decke / Umhüllen ihn Eis und Schnee. //<br />
Er träumt von <strong>eine</strong>r Palme, / Die fern<br />
<strong>im</strong> Morgenland, / Einsam und schweigend<br />
trauert / Auf brennen<strong>der</strong> Felsenwand.“
SK8<br />
45
Kerner<br />
Innenschhrift<br />
47<br />
K 9
Zeichen, die <strong>Kerners</strong> Patientin Frie<strong>der</strong>ike Hauffe, die ,Seherin von<br />
Prevorst‘, um 1828 <strong>im</strong> „Schlafwach Zustand (magnet.)“ von rechts<br />
nach links als Schriftsystem ihrer „inneren Sprache“ notiert hat.<br />
Von 1826 bis zu ihrem Tod behandelte Justinus Kerner die geistersehende<br />
und schlafwandelnde junge Frau, unter an<strong>der</strong>em durch<br />
Maultrommelspielen und Magnetisieren ihres Trinkwassers mit <strong>der</strong><br />
Maultrommel. <strong>Kerners</strong> als Roman verfasster Krankenbericht<br />
Die Seherin von Prevorst (1829 nach Hauffes Tod veröffentlicht)<br />
wurde ein Bestseller.
SK9<br />
49
Kerner<br />
51<br />
on<br />
Tinten<br />
fassä-K<br />
10
Klecksographie aus Justinus <strong>Kerners</strong> Hadesbil<strong>der</strong>n.<br />
Hier das Tintenfaß mit stummer Fe<strong>der</strong>,<br />
Wenn man’s umdreht, sieht mit Staunen je<strong>der</strong>:<br />
Wie in <strong>eine</strong>n Dämon tierisch kraß<br />
Sich umwandelt oft das Tintenfaß.
SK10<br />
53
KernerNichts<br />
55<br />
ort<br />
K 11
Vom Hades ist diß schwarze Blatt ein Bild,<br />
Hier ist kein Sternenh<strong>im</strong>mel, kein Gefild,<br />
Kein Menschenlaut ist hier, kein Vogelsang,<br />
Hier rauscht kein Bach ein grünes Tal entlang,<br />
Hier schweigt des Marktes lärmen<strong>der</strong> Verkehr,<br />
Hier, wo nur Schatten schweben stumm umher.<br />
Der <strong>eine</strong> weiß vom an<strong>der</strong>n hier kein Wort,<br />
Er meint, er sei allein an diesem Ort,<br />
Am Orte, wo sie Schl<strong>im</strong>mes einst vollbracht,<br />
Hier schweben sie als Schatten durch die Nacht.<br />
Ihr Schatten hier in schwarzer Einsamkeit<br />
Macht euch zur Einkehr in euch selbst bereit!<br />
Hier streift die Erdenschwere von euch ab,<br />
Die euch das vor’ge irre Leben gab,<br />
Die also schwer die Seele euch umfing,<br />
Daß sie statt aufwärts – weh, nach unten ging!<br />
Klecksographie aus Justinus <strong>Kerners</strong> Hadesbil<strong>der</strong>n.
SK11<br />
57
affe<br />
e-<br />
Kerner<br />
K 12<br />
59<br />
schreiberling
Klecksographie aus Justinus <strong>Kerners</strong> Hadesbil<strong>der</strong>n.<br />
Wer kommt so bleich herausgekrochen?<br />
Ob <strong>der</strong> auch wohl den Kaffee roch?<br />
Die Tinte, ha! hat er gerochen,<br />
Die zieht ihn an <strong>im</strong> Hades noch.<br />
Nur Akten waren s<strong>eine</strong> Freude,<br />
Sein einz’ger Freund <strong>der</strong> Schreibebock,<br />
Die Geldkass’ s<strong>eine</strong> Augenweide,<br />
Der Schreibfilz s<strong>eine</strong>r Seele Rock.
SK12<br />
61
Kerner<br />
Flat-<br />
63<br />
ter-<br />
K 13<br />
män-<br />
er
Klecksographie aus Justinus <strong>Kerners</strong> Hadesbil<strong>der</strong>n.
SK13<br />
65
Kerner<br />
67<br />
K 14<br />
elbstecks
Auch mein Bild kam aus dem schwarzen Tintenfaß.<br />
Als ich es sah, da wurde ich leichenblaß.<br />
Aus dem Kopfe kommen schwarze Dünste,<br />
Der Arznei – und Dichtkunst schlechte Künste,<br />
M<strong>eine</strong>s ganzen eitlen Lebens Dunst,<br />
Scham, daß ich unwert so vieler Gunst.<br />
Schaut den alten Leib, <strong>der</strong> ein Gerippe,<br />
Während ich am Lebensbaum noch nippe,<br />
An den Füßen schaut die Erdenschwere,<br />
O! wenn die noch abzustreifen wäre!<br />
Ich vermag es nicht, und ihre Macht<br />
Zieht mich nie<strong>der</strong> in des Hades Nacht.<br />
Klecksographie aus Justinus <strong>Kerners</strong> Hadesbil<strong>der</strong>n.
SK14<br />
69
Impressum<br />
Ausgewählt haben die Umzugsstücke<br />
Julia Schnei<strong>der</strong>,<br />
Verena Staack und Heike<br />
Gfrereis, die sie auch<br />
kommentiert und zusammen<br />
mit Diethard Keppler und<br />
Andreas Jung <strong>im</strong> Raum angeordnet<br />
und gestalterisch<br />
gefasst hat. Die Exponatfotografien<br />
stammen von Chris<br />
Korner und Jens Tremmel,<br />
die restauratorische Betreuung<br />
oblag Enke Huhsmann,<br />
Susanne Bœhme und Anaïs Ott,<br />
die Redaktion und Organisation<br />
Vera Hildenbrandt,<br />
Dietmar Jaegle, Lea Kaiser,<br />
Martin Kuhn, Tamara Meyer<br />
und Janina Schindler.<br />
Die Aussttellung „Schiller,<br />
Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike“<br />
wurde <strong>im</strong> Februar 2020 <strong>im</strong><br />
<strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />
eröffnet und ist dort bis<br />
zur Wie<strong>der</strong>eröffnung des<br />
Schillers-Nationalmuseums<br />
Anfang 2023 zu sehen.<br />
Gestaltung und<br />
Ausstellungsfotografie<br />
dieser Publikation:<br />
Diethard Keppler und<br />
Andreas Jung<br />
Text:<br />
Heike Gfrereis<br />
© 2020 Deutsches<br />
Literaturarchiv Marbach