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ST:A:R_12

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Nr. <strong>12</strong>/2006<br />

Buch III - Wurm <strong>ST</strong>/A/R 19<br />

TR: Deine skulpturalen Ergebnisse verkörpern eine<br />

spezifische Befindlichkeit. Ich sehe auch keine<br />

Grenzziehung zwischen dem menschlichen Körper<br />

und dem Objekt, sondern es ist eigentlich ein nahtloser<br />

Übergang. Also auch das Haus bekommt eine<br />

Persönlichkeit und im Video spricht es dann auch<br />

und hat so etwas wie eine leicht melancholische<br />

Befindlichkeit.<br />

EW: Ja es hinterfrägt sich selbst.<br />

TR: Und das Auto macht im Grund genommen dasselbe.<br />

Also das Objekt bekommt in dieser Form wie<br />

Du es behandelst eine Persönlichkeit. Es wird sozusagen<br />

zu einem Wesen in diesem Sinne.<br />

EW: Genau, da gebe ich Dir vollkommen recht, es ist<br />

eine Subjektivierung der Dingwelt.<br />

TR: Das ist eine ganz aktuelle Situation in unserem<br />

Austausch von unserer Befindlichkeit mit der<br />

Warenwelt, die ja sehr stark miteinander korrespondieren<br />

und wir haben eine unglaubliche, zumindest<br />

in unserer westlichen Hemisphäre, Bezüglichkeit zur<br />

Warenwelt entwickelt.<br />

EW: Wir identifizieren uns über die Warenwelt. Es<br />

gibt den berühmten Begriff Haben oder Sein vom<br />

Psychologen Erich Fromm. Genau mit dem beschäftige<br />

ich mich die ganze Zeit und das thematisiere ich<br />

mit den ganzen Skulpturen, zum Beispiel mit dem<br />

Weltverschlucker. Das Aufnehmen der Welt sozusagen,<br />

das Inhalieren der Welt als Künstler.<br />

Christian W. Denker: Deine Kunst unterstreicht<br />

Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und<br />

Verdauungsprozess. Ich finde das sehr interessant.<br />

Auch der Philosoph Searle setzt ja Bewusstseinsund<br />

Verdauungsvorgänge in Bezug. Deine Arbeit<br />

Feeding Harald Kunde with chocolate? zeigt wie<br />

Nahrungsaufnahme zur Folter werden kann. Da geht<br />

es aber nicht nur um körperliche Zwänge, sondern<br />

auch um psychische Gewalt: Wenn die Menschen<br />

dann im Alltag bei McDonalds essen treibt sie ja<br />

nicht nur ein körperliches Bedürfnis, sondern auch<br />

ihre geistige Überzeugung.<br />

EW: Absolut! Wie gesagt, das ist eben sehr eng<br />

gepaart, das körperliche Bedürfnis und das seelische<br />

oder das psychische. Diese Bedürfnisse liegen so eng<br />

aneinander, dass sie nicht trennbar sind und damit<br />

arbeiten ja die ganzen Firmen letzten Endes, auch<br />

die Werbung arbeitet damit und überhaupt die ganze<br />

westliche Welt. Es werden Bedürfnisse erzeugt,<br />

die sind genauso körperlich wie psychisch. Da bin<br />

ich aber zuwenig Wissenschafter, um mich damit<br />

wirklich eingehend zu beschäftigen. Die Bedürfnisse<br />

funktionieren wahrscheinlich zuerst psychisch und<br />

dann werden sie körperlich oder umgekehrt. Keine<br />

Ahnung! Aber es gibt auf jeden Fall für mich eine<br />

logisch nachvollziehbare Verbindung.<br />

CWD: Siehe Harald Kunde...<br />

EW: Und das mit dem Harald Kunde, das ist ja diese<br />

Serie mit den Kuratoren. Es gibt ja das Märchen in der<br />

Kunstwelt, dass man zu seinen Kuratoren nett sein<br />

muss, um erfolgreich zu sein, was absoluter Quatsch<br />

ist. Und das spielt natürlich da mit. Es gibt ja auch<br />

Märchen, dass man mit seinen Galeristinnen schlafen<br />

muss, damit sie einen überhaupt ausstellen.<br />

CWD: Okay – das ist sehr gut! Die einen glauben<br />

dran, die anderen nicht. Aber wie ist es überhaupt bei<br />

Dir mit Gender-Issues? Zur Zunahme forderst Du ja<br />

nur Männer auf! Trifft Deine Kunst geschlechtsspezifische<br />

Unterscheidungen?<br />

EW: Eigentlich nicht, nein. Ich weiß nicht warum, mir<br />

kommen öfter Männer in den Sinn. Weil ich wahrscheinlich<br />

selbst ein Mann bin und mich mit meiner<br />

eigenen Problematik beschäftige. In Wahrheit ist ja<br />

so, dass am Anfang meiner Arbeit – ist schon relativ<br />

lange her – da war ich so der kleine Künstler und<br />

da war auch die hehre Kunst und die Theorie und<br />

ich habe immer versucht Verbindungen herzustellen<br />

und es ist mir nie wirklich geglückt. Es war immer so<br />

eine trockene spröde akademische Kunst, wie man sie<br />

ja sehr viel sieht. Und erst später hat sich durch tragische<br />

Schicksale etwas verändert. Aber jetzt will ich<br />

das nicht thematisieren, denn dann heißt es sofort<br />

wieder der Künstler muss leiden, um gute Kunst zu<br />

machen. Aber es war in der Tat so, dass ich Erlebnisse<br />

hatte und diese mir dann ermöglichten – auf diesen<br />

Drang, die Kunst und die Theorie zu verbinden – verzichtet<br />

habe und direkt von meinem Umfeld, also<br />

meiner Welt, ausgegangen bin und versuche das,<br />

was ich Weltsicht nenne oder Welterklärung in die<br />

Arbeit einzubauen. Und ich arbeite jetzt über meine<br />

gesamte Welt, über alles was ich sehe. Und ich<br />

sehe halt sehr viele Männer. Jetzt sehe ich schon wieder<br />

zwei Männer und über die arbeite ich dann auch.<br />

Und ich bin auch ein Mann und die Frauen existieren<br />

natürlich auch. Klar, es gibt auch Sexualität und<br />

das kommt auch vor – aber auch viele Männer, und<br />

auch Hunde.<br />

CWD: Oh ja, – Deinen Briefkastenhund habe ich<br />

wirklich sehr gerne. Bezüglich der Einbindung der<br />

Alltagswelt in die Kunst fallen mir bei Dir aber besonders<br />

die Lebensmittel auf, also Ausgangsmaterial des<br />

Verdauungsvorganges. Damit arbeitest Du oft, aber<br />

wenig oder gar nicht mit Exkremente, gibt es dafür<br />

einen Grund? – In der Kunst ist das ein ja sonst ein<br />

relativ verbreitetes Material.<br />

EW: Das interessiert mich einfach nicht. Wenn ich<br />

zum Beispiel Nacktheit zeige – dann sieht man<br />

eigentlich nie Genitalien oder wenn ich bissig und<br />

gemein bin, sieht man nie wirklich Gemeines und<br />

Bissiges. Ich versuche immer auf einer Ebene zu<br />

bleiben die allgemein erträglich ist, die aber trotzdem<br />

so an den Rand geht, dass man das auch mitbekommt.<br />

Es wurden von mir schon Fotos abgehängt,<br />

zweimal schon, einmal bei einer großen Ausstellung<br />

der Deutschen Bank, in Singapur glaube ich. Es ist<br />

in der Frankfurter Allgemeinen gestanden, ich weiß<br />

„Bildhauerei ist Arbeit am Zu- und<br />

Abnehmen, man kann auch sagen,<br />

Bildhauerei ist Arbeit am Volumen.“<br />

es nicht mehr genau. Eine Notiz über die gesamte<br />

Ausstellung – und darin ist es eigentlich nur darum<br />

gegangen, warum dort mein Bild abgehängt wurde,<br />

was ja wirklich lächerlich war. Es sind diese beiden<br />

Orangenmädchen, die sich aneinander lehnen und<br />

die Orangen in der Mitte haben. Das war denen zu<br />

sexuell aufgeladen. So etwas hat immer mit der persönlichen<br />

Befindlichkeit zu tun beziehungsweise mit<br />

der Weltsicht der jeweiligen Gesellschaft – das ist das<br />

Interessante und das auch aufzudecken interessiert<br />

mich. Bei der Ausstellung in Singapur war am Tag<br />

der Voreröffnung, also bei der Besichtigung durch<br />

die Presse, das Bild noch da. Am Tag der Eröffnung<br />

war das Bild weg und ich habe die Direktorin darauf<br />

angesprochen: Wie kommt es, dass das Bild weg ist?<br />

Da sagte sie, ja sie kann es sich auch nicht erklären,<br />

aber jetzt ist es nun einmal im Depot und sie kann es<br />

jetzt auch nicht zurückholen. Aber warum das dort<br />

ist, weiß sie nicht.<br />

CWD: Eine letzte Frage aus dem Themenkreis<br />

Verdauung: wie<br />

erklärt sich überhaupt<br />

Ihr Interesse am<br />

Verdauensvorgang, wie<br />

sind Sie darauf gekommen<br />

zur Verdauung<br />

speziell eine Serie zu<br />

machen?<br />

EW: Da wurde ich eingeladen.<br />

Also mich hat<br />

dies schon immer interessiert,<br />

ich weiß nicht,<br />

irgendwo habe ich gelesen,<br />

das Wittgenstein<br />

Verdauungsstörungen<br />

hatte. Ich weiß nicht<br />

mal ob das stimmt, aber<br />

mir hat das Bild gut<br />

gefallen und ich habe<br />

dann keine sprachanalytische,<br />

sondern eine<br />

bewegungsanalytische<br />

Arbeit gemacht über den<br />

Wittgenstein. Es gibt vier<br />

Positionen, die man einnehmen<br />

soll, man muss<br />

dann ein paar Übungen<br />

Freudsche Rektifi zierung,(Philosophie – Verdauung), 2004<br />

machen um sozusagen die Probleme, die man mit<br />

der Verdauung hat, abzuarbeiten. Man muss sich<br />

über einen Sockel beugen und halt diese üblichen<br />

Dinge tun, was man immer gesagt bekommt als<br />

Kind – wenn du Bauchweh hast, dann beug dich vor<br />

oder wenn du Blähungen hast, dann mach das und<br />

jenes. Und das hat mich einfach interessiert so wie<br />

Wittgenstein die Welt über Sprache zu erklären versucht.<br />

Dieses Phänomen Wittgenstein sozusagen<br />

über seine Blähungen zu erklären zu versuchen.<br />

CWD: Da muss ich mich wohl mal bei einem<br />

Experten erkundigen, also ich bin da jedenfalls auch<br />

nicht informiert.<br />

EW: Eine Arbeit zu dieser Thematik habe ich für das<br />

Wilhelm Lehmbruck Museum, glaube ich, gemacht<br />

habe. Und ansonsten war die Serie schon immer<br />

in meinem Kopf. Weil es ja oft in meinen Arbeiten<br />

um Grundbedürfnisse oder Grundbedingungen<br />

geht: Nahrungszunahme, Körperpflege und ähnliches.<br />

Ob ich und wie ich mein Leben meistere, es<br />

ist immer schwierig, egal ob ich das jetzt mit Hilfe<br />

von Philosophie oder mit Ernährungsdiät mache, es<br />

bleibt immer gleich schwierig und das ist auch die<br />

Aussage meiner künstlerischen Arbeit, das interessiert<br />

mich auch daran. Und so bin ich irgendwann<br />

zur Verdauung gekommen und dann hat es ja eine<br />

gewisse Frau Kamler gegeben – ich glaube, die kennen<br />

Sie?<br />

CWD: Ja, klar! Wenn ich jetzt hier mit euch sitze,<br />

dann hat die Frau Kamler von Biocarbon einen wichtigen<br />

Anteil daran.<br />

EW: Jetzt schließt sich ein Kreis! Also ich hatte immer<br />

Wittgenstein’s space warp, 2005

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