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ST:A:R_12

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<strong>ST</strong>/A/R<br />

Buch I – Krystufek<br />

Nr. <strong>12</strong>/2006<br />

7<br />

©Hannah Schwarzbach, Amsterdam, Karel Appel Foundation<br />

Jenseits der Vergänglichkeit<br />

Biographie<br />

Foto: Gabriele Wimmer<br />

geboren 1921 in Amsterdam<br />

1942-44 Studium an der Akademie<br />

of Fine Arts, Amsterdam<br />

1948 Gründung der Gruppe COBRA<br />

(die bis 1951 besteht)<br />

1950 lässt er sich in Paris nieder<br />

Ab 1957 ausgedehnte Reisen unter<br />

anderem in die Vereinigten Staaten<br />

Ab 1960 zahlreiche internationale<br />

Museumsausstellungen<br />

Seit 1972 lebte Appel sowohl in New<br />

York als auch in Europa<br />

1982 arbeitet er zusammen mit dem<br />

Dichter Allen Ginsberg an Bildern<br />

und visuellen Gedichten, gezeigt in<br />

“On the road”, The Jack Keriouc<br />

Exhibition<br />

1995 The Netherlands opera<br />

beauftragt Appel mit szenischer<br />

Gestaltung von Mozarts Zauberflöte,<br />

die 2006 bei den Salzburger<br />

Festspielen gezigt wurde<br />

2001 GroßeRetrospektive im Stedelijk<br />

Museum, Amsterdam<br />

Gestorben am 3 Mai 2006 in Zürich.<br />

Karel Appels letzte Bilder<br />

Ein leeres Atelier, noch vor kurzem verwendete<br />

Pinsel voll mit Farbe, eine ausgebeulte<br />

Arbeitshose, salopp über den Arbeitstisch geworfen –<br />

man hat bei diesem Bild das Gefühl der Maler könnte<br />

das Atelier jederzeit wieder betreten und mit seiner<br />

Inspiration beseelen. Es ist ein melancholisches<br />

Bild, vor allem mit dem Wissen, das dieses Atelier in<br />

dieser Form so nie mehr genützt werden wird. Ein<br />

melancholisches Bild, welches uns auf uns selbst<br />

zurückwirft, auch mit der Frage nach der Endlichkeit<br />

unserer eigenen Existenz. In diesem Atelier sind die<br />

letzten Bilder Karel Appels entstanden.<br />

Die letzten Werke eines Künstlers werden immer<br />

mit einem eigenen Mythos umgeben, ihnen wird<br />

eine spezifische Aura zugeschrieben; um diese Aura<br />

ranken sich Begriffe wie „Transzendenz“ oder „letztes<br />

Vermächtnis“. Ob es diese spezifische Strahlkraft gibt<br />

und ob die letzten Werke von Karel Appel sie besitzen,<br />

das möchte ich hier offen lassen und dem Betrachter<br />

der Werke selbst entscheiden lassen.<br />

Karel Appel war eine der großen Figuren in der Kunst<br />

des 20.Jahrhunderts, das steht außer Zweifel, und er<br />

war auch eine explizite Figur dieses Jahrhunderts, ein<br />

Nomade, lebend an vielen Orten – Amsterdam, Paris,<br />

New York, Toskana, Zürich, hin und her gerissen,<br />

bewegt von den Ereignissen der Zeit und konfrontiert<br />

mit einer Kunst, die auf die großen Traumata der<br />

Zeit reagierte. Beeinflusst von den zentralen Figuren<br />

und wesentlichen Strömungen – Picasso, Matisse,<br />

Schwitters, Pollock, De Kooning, dem abstrakten<br />

Expressionismus, Action Painting, und der Art Brut<br />

– setzte er einen radikalen Akt um sich von der<br />

Last der europäische Kunst- und Kulturgeschichte<br />

zu befreien. Ein neuer Primitivismus ermöglichte<br />

ihm, zurück zu gehen zu den ursprünglichsten und<br />

elementarsten menschlichen Regungen, inspiriert<br />

von bildnerischen Zeugnissen von Kindern und von<br />

der Kunst geistig Behinderter. Mit seinen Mitstreitern<br />

Corneille und Asger Jorn gründete er 1948 die<br />

Gruppe COBRA – der Name setzt sich zusammen<br />

aus den Anfangsbuchstaben der Städte Copenhagen,<br />

Brüssel und Amsterdam, aus denen die Künstler<br />

stammen. COB RA wurde zum Signal des Aufbruchs<br />

und der radikalen Haltung und löste vergleichbare<br />

Bewegungen in Europa aus.<br />

Sehr früh entwickelte Appel seine eigene Sprache, die<br />

zwischen Gegenständlichkeit und reiner Abstraktion<br />

pendelte. Der menschliche Körper, stellvertretend<br />

für die menschliche Existenz, blieb zeitlebens das<br />

große Thema für ihn. Auf seinen Bildern glühen die<br />

Farben – rot, blau, gelb fließen über die Leinwand<br />

wie durch einen Vulkanausbruch hingeworfen, um<br />

auf ihr wie Lava zu erstarren. Mit großer Geste stehen<br />

seine Figuren oft vor dunklem Hintergrund und<br />

wirken wie einem nächtlichen Traum entschlüpft.<br />

Das Gespenstische dieser Gestalten bleibt trotz ihrer<br />

Dramatik letztendlich heiter – in der Malerei Appels<br />

ist das Trauma des 20. Jahrhunderts festgehalten,<br />

aber in einer Form, die erträglich geworden ist. Die<br />

Farben in ihrer Kraft zeugen von Lebensbejahung,<br />

die Formen sind roh und elementar all dies weist auf<br />

Ursprünglichkeit und Leichtigkeit der Malerei von<br />

Kindern hin. Somit ist er einer seiner wesentlichsten<br />

Inspirationen treu geblieben. Gerade die letzten<br />

Werke lösen sich von aller Schwere und Dramatik,<br />

führen weg vom Gegenständlichen in die reine<br />

Abstraktion und zeugen von einer Gelöstheit, die nur<br />

in besonderen Momenten möglich ist.<br />

„Solange du lebst, bist du das Ereignis“, dieser Satz eines<br />

österreichischen Künstlers ist eine wunderschöne<br />

Metapher auf Lebensintensität und Endlichkeit. Im<br />

Falle Karel Appels kann man dieses Zitat erweitern<br />

mit der Anfügung „…und auch darüber hinaus.“ Damit<br />

definiert sich in der Endlichkeit einer Existenz auch<br />

ein Stück Unendlichkeit.<br />

Der Galerie Ulysses, die seit langem Appel vertritt,<br />

ist es zu verdanken, das die letzten Werke dieses<br />

großen Künstlers in Wien zu sehen sind und Wien<br />

ist gleichzeitig der erste Ort, wo man sie bewundern<br />

kann.<br />

Thomas Redl

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