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R a t g e b e r
Florian Wick
Das ist Ihr gutes Recht
Juristischer Begleiter
durch den Alltag
2., überarbeitete Auflage
Stiftung für Konsumentenschutz
Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) ist eine unabhängige und kritische Nonprofit-Organisation,
die sich seit 1964 engagiert für die Interessen der Konsumentinnen
und Konsumenten einsetzt. Sie vertritt diese Interessen nicht nur gegenüber der
Wirtschaft und den Anbietern, sondern nimmt auch aktiv am politischen Prozess teil.
Ziel dieser Bemühungen ist es, schon im Parlament und in der Gesetzgebung die
Weichen so zu stellen, dass die Rechte der Konsumenten gestärkt werden und ein
Ausgleich zu den Interessen der Wirtschaft erreicht werden kann.
Seit Beginn ihrer Tätigkeit ist die SKS auch in der Beratung aktiv. Über ihre Hotline
beantwortet sie den Konsumentinnen und Konsumenten Fragen zu Konsum und
rechtlichen Aspekten. Zur Beratung und Information gehören traditionsgemäss auch
die SKS-Ratgeber. Unser Bestreben ist es weiterhin, verständliche, unabhängige Orientierungshilfen
zu einem erschwinglichen Preis anzubieten. Wir hoffen, dass auch
der vorliegende Ratgeber dieses Ziel erreicht !
Mehr Infos im Internet über :
www.konsumentenschutz.ch
Inhalt
Vorwort zur zweiten Auflage 7
Vorwort zur ersten Auflage 9
Einleitung 11
1 Verträge 17
2 Augen auf : Der Kaufvertrag 53
3 Arbeitsrecht 81
4 Mietrecht 119
5 Erbrecht 149
6 Leasing, Abzahlung, Konsumkredit 175
7 Reisen 191
8 Telekommunikation 205
9 Strassenverkehrsrecht 223
10 Versicherungen 241
11 Schuldbetreibung und Konkurs 257
Register 267
Vorwort zur zweiten Auflage
7
Vorwort zur zweiten Auflage
Auf die Frage, was er von der Französischen Revolution halte, antwortete 1972 der
chinesische Ministerpräsident Tschou En-lai : «Es ist noch zu früh, darüber ein Urteil
abzugeben». Der Mann dachte in langen Zeiträumen.
Juristinnen und Juristen denken kurzfristiger, denn «drei berichtigende Worte des
Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur», wie Julius von Kirchmann,
1. Staatsanwalt in Berlin, bereits 1848 festhielt. Diese wertvolle Erkenntnis hat
an Gültigkeit über die Jahre hinweg nichts eingebüsst : Zwar wurde der Federstrich
von anno dazumal durch die Computertaste ersetzt. Der Eifer des Gesetzgebers zu
dauernder Anpassung der Gesetze scheint mit der rasanten Beschleunigung der Welt
aber ungebrochen und stetig im Wachsen begriffen.
Das führt dazu, dass vorliegender Ratgeber mit dieser Entwicklung Schritt halten
muss. Auch die Gerichte waren in den letzten Jahren nicht faul und haben neue Regeln
festgelegt. Daher wurden veraltete Gesetzesbestimmungen und die Rechtsprechung
für vorliegende Auflage aktualisiert. Einige Teile, wie derjenige über Allgemeine Vertragsbedingungen,
wurden stark überarbeitet und ausgebaut. Neue Beispiele sollen
die trockene Materie anschaulich machen und zum Denken anregen. Das Lesen soll
ja auch ein wenig Spass machen.
Wünschenswert ist natürlich, dass für Sie gar keine rechtlichen Fragen auftauchen
und Sie zwar beim Besitz zweier Hosen eine zu Geld machen und dieses Buch kaufen
sollten, aber nicht gezwungen sind, es aus Not zu lesen, sondern nur aus purer und
reiner Neugierde.
Florian Wick
Vorwort zur ersten Auflage
9
Vorwort zur ersten Auflage
Wissen Sie aus dem Stegreif, wie lange im Voraus Sie Ihre Wohnung kündigen müssen ?
Ob Sie von einem Kaufvertrag, den Sie an einer Verkaufsmesse geschlossen haben,
wieder zurücktreten können ? Oder was Sie unternehmen müssen, wenn Ihnen eine
Betreibung droht oder wenn Ihr Arbeitgeber den Lohn nicht rechtzeitig überweist ?
Dieser Ratgeber beantwortet die wichtigsten Rechtsfragen, die Ihnen als Konsumentin,
als Konsument im Alltag begegnen können. Denn oftmals ist es nicht besonders
aufwendig und auch nicht sonderlich kompliziert, zu seinem Recht zu kommen –
Sie müssen nur wissen, was Ihnen von Gesetzes wegen zusteht.
Der Zürcher Rechtsanwalt Florian Wick hat wichtige Konsumbereiche unter die
Lupe genommen. Einfach, verständlich und an zahlreichen Beispielen legt er dar, auf
welche Rechte Sie pochen können und sollen : Was kann ich tun, wenn das bestellte
Sofa viel zu lange auf sich warten lässt ? Wenn es nicht einwandfrei ist – kann ich das
Geld zurückverlangen oder ein neues Sofa einfordern ? Was kann man unternehmen,
wenn das gute Stück endlich in der Stube steht, aber bereits nach einem halben Jahr
der Stoff abgewetzt ist ?
Es scheint, als sei das Konsumieren – und die dazu gehörenden Rechte – in den
letzten Jahren komplexer geworden : Handy und Internet gehören mittlerweile zum
Alltag, wir kaufen jenseits der Grenze ein, leasen das neue Auto, statt es mit dem
Ersparten zu kaufen – und wer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungen
liest, aber nicht versteht, muss sich nicht grämen, er oder sie ist in guter Gesellschaft.
Der vorliegende Ratgeber hilft, sich auch in diesen neueren Rechtsgebieten
zurechtzufinden.
Wir hoffen, dass Sie sich in Ihrem Alltag wenig mit solchen Fragen herumschlagen
müssen. Sollte es dennoch der Fall sein, ziehen Sie dieses Buch zu Rate. Wer sein Recht
kennt, kann es auch durchsetzen und kommt zu seinem Recht !
Stiftung für Konsumentenschutz
Einleitung
Recht ist, was in den Köpfen
von Juristen vor sich geht.
Uwe Wesel, Juristische Weltkunde
Einleitung
13
Tag für Tag erledigen wir eine Vielzahl von Rechtsgeschäften, über die wir uns kaum
Gedanken machen. Wir haben Erfahrung darin, sie sind für uns reine Routine, genauso
wie Arbeit, Essen und Schlaf.
Genau besehen, ist aber der Alltag in rechtlicher Hinsicht ( wie auch sonst ) alles
andere als einfach – es scheint nur so, weil wir uns meist nicht mit den rechtlichen
Fussnoten herumschlagen müssen. Nehmen wir ein Beispiel. Sie gehen zum Mittagessen
ins Wirtshaus. Dass Sie dort eine Mahlzeit «kaufen», liegt auf der Hand – dafür
steht der Rechnungsbeleg, den Sie erhalten. Und mehr hatten Sie wahrscheinlich auch
gar nicht beabsichtigt.
Aber haben Sie jemals daran gedacht, dass Sie beim Essen gleichzeitig auch einen
Stuhl und Geschirr mieten oder leihen, dem Personal Aufträge erteilen, ein Essen
zubereiten lassen, bei Kälte auf eine Heizung zählen wollen, Ihren Mantel ( meist ohne
Haftung ) hinterlegen können oder dass Ihnen als Stammgast vielleicht Kredit gewährt
wird – lauter Rechtsgeschäfte aus dem Bereich des Privatrechts ? Sollten Sie in Ihrer
Suppe das sprichwörtliche Haar entdecken oder andere Ingredienzien, die nur bedingt
zum Menü gehören ( Fliegen, Reisszwecken, Plomben usw. ), wird sich das Lebensmittelinspektorat
mit der Gaststätte befassen müssen, und schon befinden wir uns im Reich
des öffentlichen Rechts. Nimmt die Person am Tisch nebenan Reissaus, ohne die
Rechnung zu begleichen, kommt sogar das Strafrecht mit ins Spiel.
Wenn man sich all diese Dinge beim Essen auch noch vergegenwärtigen müsste,
es würde einem den Appetit verderben. Ähnlich unsinnig wäre es, wenn Sie sich jedes
Mal den Kopf zerbrechen müssten, wie wohl Ihr Auto oder der Zug, in dem Sie fahren,
technisch funktionieren. Es reicht völlig, darauf zu vertrauen, dass wir es verstehen
könnten, wenn wir nur wollten. Und Hauptsache, der Zug fährt.
Auf ein solches Funktionieren der Abläufe verlassen wir uns auch bei Rechtsgeschäften,
und das meist mit gutem Grund. Nicht immer geht aber alles glatt : Jemand
bezahlt die Miete nicht. Der Gebrauchtwagen hatte früher bereits einen Unfall, von
dem Ihnen der Verkäufer nichts gesagt hat. Ihre Versicherung zahlt nicht. Ein Verlag
schickt Ihnen unaufgefordert eine fünfzigbändige Enzyklopädie zum einmaligen Sonderpreis
von nur 649.95 Fr. usw. Es ist bestimmt besser, solchen Situationen aus dem
Weg zu gehen und die wesentlichen Punkte zu klären, bevor es zu Problemen kommt –
zum Beispiel in einem Vertrag. Ist dies nicht möglich, sollten Sie zumindest Ihre Rechte
kennen und auch geltend machen, ohne dass Sie die Gerichte oder Anwälte bemühen
14
Das ist Ihr gutes Recht
( und bezahlen ) müssten. Der Gang zum Gericht ist immer der letzte Ausweg, und das
klärende Gespräch ist ihm, wenn immer möglich, vorzuziehen. Dieser Ratgeber soll
Ihnen die nötigen Grundbegriffe liefern – sowohl fürs Gespräch als auch für den Gang
ans Gericht, wenn er sich denn nicht vermeiden lässt.
Aber was ist überhaupt ein «Rechtsgeschäft»? Die Juristin sagt, ein Rechtsgeschäft
bestehe mindestens aus einer Rechtshandlung, deren Erfolg eintrete, weil er rechtlich
gewollt sei. Falls Ihnen das spanisch vorkommt, dürfen Sie beruhigt sein : Es geht auch
den meisten Juristinnen und Juristen nicht anders. Grau ist die Theorie. Wir müssen
uns hier damit begnügen, zu sagen, dass Sie rechtliche Handlungen mit entsprechender
Wirkung vornehmen können, wenn dies im Gesetz ( oder von den Gerichten ) so
vorgesehen ist. Kündigen Sie beispielsweise Ihre Wohnung, so gestalten Sie einseitig
ein Rechtsverhältnis, nämlich die Miete. Dieses Recht ist im Gesetz festgehalten,
genauer im Obligationenrecht ( OR ), das für die meisten in unserem Zusammenhang
interessierenden Rechtsbeziehungen massgebend ist. Deshalb kann der Vermieter
auch nicht behaupten, Ihre Kündigung interessiere ihn nicht.
So weit, so gut. Aber wenn nun alles so wohl geregelt ist, wozu braucht es dann
noch so viele Juristen und Juristinnen, Gerichte und Parlamente, die neue Gesetze
erlassen ? Das ist eine gute Frage, aber leider auch wieder eine, die sich nicht so einfach
beantworten lässt. Wichtig für den Alltag ist zunächst nur die alte Regel : Recht haben
und Recht bekommen ist nicht ein und dasselbe.
Das meint zunächst : Nicht jedes Unrecht gehört vor ein Gericht. Wichtiger noch :
Es gibt eine Vielzahl von Tatsachen, die sich nicht ohne Weiteres beweisen lassen.
Wenn jemand bei einem Auffahrunfall ein Schleudertrauma erlitten hat und wenn
diese Person einige Zeit allein vor Ort war, könnte eine Versicherung beispielsweise
auf den Gedanken verfallen, der Unfall sei vielleicht gar nicht so schlimm gewesen.
Vielleicht hat der Verunfallte das Auto ja noch selbst ein bisschen geschoben, damit
es nach einem stärkeren Aufprall aussieht ?
Das ist ein Fall aus der Praxis, und es liesse sich darüber jahrelang streiten, auch
wenn alle Beteiligten ziemlich genau wissen, was wirklich passiert ist. Leidtragender
wird in einem solchen Fall der Verunfallte sein, der während des ganzen Streits von
der Versicherung kein Geld erhält.
Einleitung
15
Weiter ist auch der Satz zu beachten, den wir diesem Kapitel als Motto vorangestellt
haben : Für den sogenannten Laien ist es immer leicht verwirrend festzustellen,
dass das, was sich in den Köpfen der Juristen abspielt, durchaus nicht dem entsprechen
muss, was im Kopf eines Normalsterblichen vor sich geht. Fragen Sie irgendjemanden
– bloss keine Juristin –, wie viele Personen es für eine «Bande» im strafrechtlichen
Sinne mindestens braucht. Die meisten werden raten : «drei» oder «sieben» ( ein
Bekannter von mir, eine Ethnologe, schätzte sogar – wahrscheinlich berufsbedingt –
«zwölf»). Leider alles «falsch», denn gemäss Bundesgericht genügen für eine Bande
bereits zwei Personen.
Nicht genug der Verwirrung. Zuweilen wird nämlich derselbe Begriff in verschiedenen
Gesetzen unterschiedlich definiert. Glauben Sie nicht, das sei egal, denn je
nachdem kann es entscheidend sein, auf welches Gesetz oder welchen Gesetzesartikel
man sich vor Gericht beruft.
Was zum Beispiel ist ein «Konsument»? Auf der Website der Stiftung für Konsumentenschutz
( SKS ) werden Sie eine Unmenge wichtiger Hinweise über Ihre Konsumentenrechte
finden, aber keine Definition des Begriffs «Konsument». Wozu auch ?
Was ein Konsument ist, weiss doch jedes Kind. Das Wort stammt aus dem Lateinischen
und bedeutet, ganz einfach, Verbraucher.
Der Gesetzgeber kann sich damit nicht begnügen. Der Verfassungsartikel zum
Konsumentenschutz von 1982 – von der SKS mit erkämpft – zwingt ihn zu bestimmen,
wer überhaupt von diesem Schutz profitieren soll.
Nehmen wir zunächst die Definition im Konsumkreditgesetz ( KKG ), das uns
später noch beschäftigen wird. Gemäss KKG ist ein Konsument «jede natürliche
Person, die einen Konsumkreditvertrag zu einem bestimmten Zweck abschliesst,
der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann»
( Art. 3 KKG ).
In der Zivilprozessordnung ( ZPO ) heisst es nun aber, Konsumentenverträge seien
«Verträge über Leistungen des üblichen Verbrauchs, die für die persönlichen oder
familiären Bedürfnisse des Konsumenten oder der Konsumentin bestimmt sind und
von der anderen Partei im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit
angeboten werden» ( Art. 32 Abs. 2 ZPO ).
Anders als das KKG bestimmt also die ZPO ( und andere Gesetze wie Art. 40a
OR oder Art. 120 OR ) zusätzlich, dass es um persönliche oder familiäre Bedürfnisse
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Das ist Ihr gutes Recht
gehen soll. Trifft dies nun auch auf den Kauf eines Einfamilienhauses zu ? Oder eines
Jaguars, Baujahr 1964, auf den der Familienvater vierzig Jahre lang gespart hat ?
Die Juristin wird Ihnen sagen, das sei eine Frage der Auslegung. Aber nicht jedes
Gericht und nicht jede Richterin legen die gesetzlichen Bestimmungen, soweit sie nicht
völlig klar sind, gleich aus. Es gilt das geflügelte Wort : Zwei Juristen, drei Meinungen.
Was hat dies nun mit den alltäglichen Rechtsgeschäften zu tun ? Eine ganze Menge.
Denn im Dschungel der Vorschriften ist immer zu beachten, dass Juristinnen und
Juristen keine Roboter sind, die mathematisch exakte, nachprüfbare Ergebnisse ausspucken.
Ein guter Jurist wird zwar stets versuchen, die Vorschriften und das Dafür
und Dawider im Rahmen des rechtlich Zulässigen so sorgfältig wie möglich abzuwägen.
Aber auch Richter, Juristinnen oder Gerichtsschreiber sind nur Menschen, die –
bewusst oder unbewusst – bestimmte ethische oder politische Prinzipien vertreten.
Die Erkenntnisse der Juristen und die Urteile der Gerichte beruhen nicht zuletzt auf
Wertungen und sind damit mehr oder weniger subjektiv.
Wie jemand die Vorschriften auslegt, hängt also von vielen Faktoren ab. Ein objektives
Urteil kann es nicht geben. Nebenbei bemerkt : auch deshalb nicht, weil in einem
Zivilprozess in der Regel eine Partei obsiegt und die andere unterliegt. Aber nur selten
ist ja etwas ganz schwarz oder ganz weiss, ohne jeden Zwischenton. In einer Vergleichsverhandlung
zu einer Scheidung sagte eine Richterin, wenn beide Parteien nicht recht
zufrieden seien, dann sei der Vergleich in der Regel angemessen. Das trifft die Sache
im Kern.
Nicht zu vergessen schliesslich, dass es viele Fragen gibt, die rechtlich schlicht
nicht zu entscheiden sind. Liebe zum Beispiel lässt sich nicht per Gerichtsbeschluss
wiederherstellen.
Juristen und Juristinnen können die belastenden Streitigkeiten des Alltags also nur
unzureichend lösen. Deshalb gilt als Erstes : Reden Sie miteinander ! Oft lässt sich über
ein respektvolles Gespräch viel Ärger und Ungemach vermeiden. Für alle anderen
Fälle bietet Ihnen dieser Ratgeber zumindest ein paar Grundlagen zu den alltäglichsten
Rechtsgeschäften und Ihren diesbezüglichen Rechten.
1 Verträge
Ein mündlicher Vertrag ist das Papier nicht wert,
auf dem er steht.
Samuel Goldwyn,
nach Alva Johnston, The Great Goldwyn ( 1937 )
1 Verträge
19
Der zehnjährige Noah Meier holt für seinen Vater am Kiosk die Sonntagszeitung.
Sobald Noah dem Verkäufer den Kaufpreis überreicht hat und die Zeitung in der
Hand hält, ist der Kaufvertrag vollzogen ( Ware gegen Geld ). Herr Meier hat über
seinen Sohn als Stellvertreter mit dem Kiosk einen Kaufvertrag geschlossen ; mit der
Übergabe der Zeitung an den Sohn ist Meier deren Eigentümer geworden.
Entstehung eines Vertrags durch Konsens zwischen den Parteien
Wie ist es zu diesem Vertrag gekommen ? Dazu gibt das Obligationenrecht Auskunft.
Dort heisst es in Artikel 1, ein Vertrag werde durch die «übereinstimmende gegenseitige
Willensäusserung der Parteien» geschlossen. Dabei könne diese Willensäusserung
eine «ausdrückliche oder stillschweigende» sein.
Die Formulierung klingt zunächst paradox. Übereinstimmend können die Willenserklärungen
ja nicht in dem Sinne sein, dass sie denselben Inhalt hätten. Vielmehr
müssen sich die Erklärungen der Partner gegenseitig ergänzen, damit es zum Vertrag
kommt. Ist diese Art von Übereinstimmung erreicht, spricht man von «Konsens».
Weiter besagt der OR-Text, dass es sich bei einem Vertrag um einen Austausch
von Leistungen handelt. – Rechtsgeschäfte können ja auch einseitig sein : Damit ein
Preisausschreiben rechtsgültig ist, muss beispielsweise nur eine Partei eine Belohnung
aussetzen. Eine Schenkung anderseits ist kein einseitiges Rechtsgeschäft. Auch ein
Geschenk muss angenommen werden. Sonst würden Schlaumeier anderen ihr kostenpflichtig
zu entsorgendes Auto schenken.
Beim Vertrag nun versprechen sich zwei Parteien gegenseitige Leistungen. Daher
spricht man von einem zweiseitigen Rechtsgeschäft. Solche Geschäfte kann man noch
weiter unterteilen : Handelt es sich um den Austausch von Leistungen, die beiderseits
geschuldet und einklagbar sind, reden wir von einem vollkommen zweiseitigen Vertrag :
Ich gebe dir, damit du mir auch etwas gibst. Ist andererseits nur eine Leistung geschuldet
und die andere quasi freiwillig, spricht man von einem unvollkommen zweiseitigen
Vertrag. Beispiel : ein unentgeltlicher Auftrag. Der Auftragnehmer verpflichtet sich zu
bestimmten Handlungen, der Auftraggeber hingegen muss nichts bezahlen. Die Unterscheidung
ist keineswegs akademisch, da gewisse Rechte der Parteien nur bei vollkommen
zweiseitigen Verträgen möglich sind.
20
Das ist Ihr gutes Recht
Wann stimmen Willenserklärungen überein ?
Massgebend ist die Frage, ob die Willenserklärung des einen ( Angebot, Offerte ) durch
die Annahme des anderen zu einer Übereinstimmung, einem Konsens führt ( Akzept ).
Beispiele
«Willst du ein Nilpferd von mir kaufen zum Preis von 2000 Franken ?»
( Offerte ) – Antwort : «Ja, ich will !» ( Annahme des Angebots ) – Damit
ist der Vertrag zustande gekommen. Alles klar und problemlos.
Leider nicht immer : Ein Ring im Schaufenster ist zum Beispiel statt
mit 17500 Franken mit 1750 Franken angeschrieben. Oder : Es wird
eine Ladung «Hakjöringsköd» ( norwegisch für Haifischfleisch ) angeboten,
aber eine Partei versteht darunter Walfischfleisch. Ein
Bauer verkauft seinen Traktor zu einem Spottpreis, weil er zum
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gerade einen Hitzschlag erlitten
hat. Ein sechzehnjähriger Lehrling kauft sich einen Ferrari Testarossa.
Ein Verkäufer verschweigt, dass eine Kaffeemaschine bereits
gebraucht war, und verkauft sie als neuwertiges «letztes Modell der
Serie» usw. In all diesen Fällen liegen offensichtlich Missverständnisse,
Geschäftsunfähigkeit oder Täuschungen vor.
Kurz und gut : Schon die Erörterung der Frage, ob wirklich ein Konsens
gefunden wurde, kann zuweilen philosophische Sphären
berühren.
Gefälligkeiten : Augen auf !
Unterhalb der verbindlichen Verträge ist die «Gefälligkeit» anzusiedeln. Darunter
verstehen wir Handlungen, die jemand zugunsten eines anderen erbringt, ohne dazu
rechtlich verpflichtet zu sein. Beispiel : Jemand erklärt sich im Zug bereit, auf das
Gepäck einer Mitreisenden aufzupassen. Die Abgrenzung zum verbindlichen Vertrag
ist manchmal schwierig. Eine Gefälligkeit ist in der Regel unentgeltlich, aber das trifft
auch auf die Schenkung oder die Leihe zu. Die Juristin sagt in einem solchen Fall :
«Es kommt darauf an», und meint damit, dass immer der einzelne Vorgang zu
betrachten sei. Aufpassen muss man, weil man unter Umständen plötzlich Verpflichtungen
hat, von denen man sich nicht ohne Weiteres wieder lösen kann.
1 Verträge
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Erbringt jemand zudem im Interesse eines anderen eine Leistung, ohne dazu
beauftragt zu sein, ist dies bereits keine Gefälligkeit mehr, sondern eine gesetzliche
Grundlage für eine Forderung ( ein «gesetzliches Schuldverhältnis» ). Man spricht von
sogenannter Geschäftsführung ohne Auftrag ( GoA ).
Die Selbstverständlichkeit von Vertragsschlüssen im Alltag
Im Alltag sind rechtliche Handlungen äusserst ritualisiert, wir haben darauf schon in
unserer Einleitung hingewiesen. An der Kasse im Supermarkt sagen Sie nicht jedes Mal :
Ja, ich will diesen Fisch. Ich will diesen Schokoriegel. Ich will dieses Biogemüse.
Dass sich dies erübrigt, hängt mit zwei Aspekten zusammen : Zunächst braucht es
bei einer Auslage mit Preisangabe keine Einzelofferte. Denn das OR bestimmt, dass
in der Regel die Auslage von Waren ein Angebot darstellt. Dass ein Angebot angenommen
wird, kann anderseits auch durch «schlüssiges Verhalten» angezeigt werden.
Legt jemand Waren auf das Band bei der Kasse, gibt er damit zu erkennen, dass er
das Angebot des Supermarkts annimmt. Es ist nicht nötig, für jeden Gegenstand
Annahme des Angebots mündlich zu bestätigen. Wenn im OR von «Stillschweigen»
die Rede ist, ist eben solch «schlüssiges Verhalten» gemeint.
Zusendung unbestellter Ware
Was, wenn ein Verlag Ihnen nun unverlangt eine fünfzigbändige Enzyklopädie
zuschickt ? Ist hier auch ein Vertrag zustande gekommen ? Die Antwort lautet «Nein».
Sie hatten weder ein Angebot studiert noch irgendwie Kontakt mit dem Zusteller.
Damit besonders gewiefte Firmen, die mit Überrumpelungstaktiken Waren zu überhöhten
Preisen verkaufen wollen, hier keine Vorteile haben, hat die Schweiz Vorschriften
der EU übernommen. Gemäss Art. 6a OR ist die Zusendung einer unbestellten
Sache kein Antrag, keine Offerte. Der Empfänger muss in einem solchen Fall die Sache
weder aufbewahren noch zurücksenden. Sie können die Ware auch benutzen oder
sogar zerstören. Nur bei einem offensichtlichen Irrtum muss der Absender benachrichtigt
werden. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn dem Postboten ein
Irrtum unterlaufen ist oder der Absender die Adresse verwechselt hat. In solchen
Fällen muss die Ware während einer bestimmten Zeit aufbewahrt werden.
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Das ist Ihr gutes Recht
Wer schweigt, ist in der Regel nicht verpflichtet
Und was, wenn Sie auf ein Angebot schweigen ? Schweigen ( als Reaktion auf ein
Angebot ) gilt in der Regel nicht als Annahme – oder nur dann, wenn die besondere
Natur eines Geschäfts oder die Umstände eine ausdrückliche Annahme nicht nötig
erscheinen lassen. Dies trifft zum Beispiel dann zu, wenn Ihnen jemand 1000 Franken
schenkt. Obwohl es sich auch bei der Schenkung um einen Vertrag handelt, ist davon
auszugehen, dass Sie ein solches Geschenk annehmen, schliesslich ziehen Sie daraus
nur Vorteile.
Der Inhalt von Verträgen
Was ist überhaupt Inhalt eines Vertrags ? Gewisse Punkte gehören notwendig dazu.
So ist es für einen Kaufvertrag unabdingbar, dass Gegenstand und Preis vereinbart
werden. Besteht über diese «objektiv wesentlichen» Punkte keine Einigkeit, kommt
kein Vertrag zustande. Ein Beispiel : Heinrich will sein Auto für 2000 Franken verkaufen.
Susanne will aber nur 1000 Franken bezahlen. Über einen «objektiv wesentlichen»
Vertragspunkt, den Preis, wird also keine Einigung erzielt, der Vertrag kommt nicht
zustande.
Daneben gibt es Punkte, die nur für eine Partei wichtig sind. Dies sind die «subjektiv
wesentlichen» Vertragspunkte. Wird über einen solchen Punkt keine Einigung
erzielt, kommt der Vertrag ebenfalls nicht zustande. Ein Beispiel : Eisenhändler Zäh
will billigen chinesischen Stahl kaufen. Damit nicht alle Konkurrenten und Käuferinnen
gleich sehen, dass es sich um China-Stahl handelt, besteht Zäh auf neutraler
Verpackung. Ohne eine solche Zusage will er den Vertrag nicht abschliessen.
Fazit : Der Vertrag kommt nur bei Einigung über alle wesentlichen Punkte
zustande. Wäre die im Beispiel genannte Verpackung für Eisenhändler Zäh kein subjektiv
wesentlicher Punkt, ohne den er den Vertrag nicht abschliessen würde, käme
der Vertrag selbst dann zustande, wenn man sich über diesen Punkt ( noch ) nicht
geeinigt hätte.
1 Verträge
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Mündlich, schriftlich oder gar beim Notar ? – Die Form von Verträgen
Ist im Gesetz nichts anderes vorgesehen, können Verträge formfrei abgeschlossen
werden. Das bedeutet, dass auch mündliche Verträge gültig sind. Allerdings ist von
mündlichen Vereinbarungen grundsätzlich abzuraten, weil die vereinbarten Punkte
später schwierig zu belegen sind.
Für gewisse Verträge oder Verbindlichkeiten sieht das Gesetz eine ganz bestimmte
Form vor. Wird diese nicht beachtet, ist der Vertrag grundsätzlich ungültig. Gesetzlich
vorgeschriebene Formen dienen meist als Schutz gegen übereiltes Handeln,
oder sie sollen die Interessen von Drittpersonen wahren und klare Verhältnisse
schaffen.
Tipp : Alles schriftlich, alles aufbewahren !
Die meisten Verträge können in der Regel mündlich abgeschlossen
werden. Bei mündlichen Verträgen können Sie jedoch verschiedene
Punkte Ihres Vertrags bei Bedarf nicht belegen. Insbesondere kann
die Gegenpartei behaupten, es gebe gar keinen Vertrag. Beharren
Sie deshalb auf schriftlichen Verträgen. Verlangen Sie immer sämtliche
Bedingungen, also auch die allgemeinen Ge schäftsbedingungen,
die AGB. Beachten Sie auch die neusten Ergebnisse der Hirnforschung,
um die allerdings bereits unsere Grosseltern wussten : Wissen
kommt im Schlaf. Während wir friedlich schlummern, arbeitet
unser Hirn brav für uns und knüpft flink Neuronen zusammen. Keine
Binsenweisheit also, sondern eine erhärtete wissenschaftliche Tatsache
: Überschlafen Sie grössere Entscheide noch einmal !
Vergessen Sie auch nicht, dass Dokumente, die Sie verloren haben,
herzlich wenig nützen. Legen Sie sich eine Schatzkiste zu oder, vielleicht
etwas weniger romantisch, ein paar Ordner, in denen Sie Ihre
Verträge und andere wichtige Dokumente aufbewahren. Sie werden
dankbar sein, wenn Sie Ihren Mietvertrag nicht stundenlang im staubigen
Estrich suchen müssen ( um ihn dann vielleicht doch nicht zu
finden ).
24
Das ist Ihr gutes Recht
Mögliche Formen von Verträgen
Als mögliche Formen sind insbesondere zu beachten : die einfache Schriftlichkeit, die
qualifizierte Schriftlichkeit und die öffentliche Beurkundung. Einfache Schriftlichkeit
bedeutet, dass die verpflichtete Person von Hand unterschreiben muss. Beispiel : wenn
Ihnen jemand eine Forderung abtritt. Qualifizierte Schriftlichkeit bedeutet, dass nicht
nur die Unterschrift, sondern weitere Teile von Hand geschrieben sein müssen. Beispiel
: Das Testament ist vom Erblasser von Anfang bis Ende, einschliesslich der
Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung, eigenhändig niederzuschreiben und
mit der Unterschrift zu versehen. Bei einer öffentlichen Beurkundung ist der Vertrag
einer Beurkundungsperson zur Beglaubigung vorzulegen, zum Beispiel einem Notar.
Beispiel : Grundstückskauf.
Die meisten Konsumentenverträge bedürfen indessen keiner Form.
Allgemeine Geschäftsbedingungen ( AGB ) : Die moderne Form
des «Kleingedruckten»
Allgemeine Geschäftsbedingungen ( AGB ) sind in der Regel durch eine Partei vorformulierte
Vertragsbedingungen. Die Vertragsbedingungen werden dabei von den
Parteien nicht im Einzelnen ausgehandelt, sondern von einer Partei der anderen quasi
als Vertragsinhalt «auferlegt». Als Grund für solche Vorformulierungen wird oft Zeitersparnis
bei der Formulierung des Vertrags genannt. Zudem regeln AGB ein Rechtsverhältnis
umfassend, während sich im Gesetz vielleicht nicht für alle Fragen Antworten
finden.
AGB sind aber grundsätzlich ziemlich problematisch. Es handelt sich nicht um
Rechtsnormen, und AGB werden in der Regel zuungunsten der jeweils anderen Vertragspartei
abgefasst ( vergleichbar mit dem berüchtigten «Kleingedruckten»). Es geht
um eine Risikoüberwälzung, die insbesondere Haftungsausschluss und -begrenzungsklauseln
zuungunsten der anderen Vertragspartei beinhaltet ( Beispiel : «Jede Garantie
ist ausgeschlossen» ). Da diese andere Vertragspartei ( oft die Konsumentin ) in der
Regel die schwächere ist, wären hier ein gesetzlicher Schutz und Kontrollmechanismen
dringend vonnöten. Denn oft werden AGB von den Konsumentinnen nicht gelesen,
weil die Zeit drängt ( zum Beispiel bei der Miete eines Autos am Flughafen ), weil die
1 Verträge
25
AGB zu klein oder schlecht gedruckt oder sie zu umfangreich und kompliziert sind.
Häufig sehen AGB auch vor, dass die Verwenderin das Recht haben soll, die AGB
einseitig abzuändern. Meist nützt es den Konsumentinnen wenig, den Anbieter zu
wechseln, da sich die Anbieter, was die AGB angeht, nur wenig unterscheiden. Teilweise
bestehen faktische Konditionenkartelle, wie bei den Banken-AGB, oder es
besteht ein faktischer Zwang zum Vertragsschluss, wie bei der Eröffnung eines Bankkontos.
Wer will, muss also in den sauren Apfel beissen oder es gleich lassen – wenn
man es sich erlauben kann.
Die Schweiz hat viele Gesetze, aber kein AGB-Gesetz
Die Schweiz ist eines der Länder, die überhaupt kein AGB-Gesetz haben. Nur im
Gesetz über den unlauteren Wettbewerb ( UWG ) wird der Themenkreis angesprochen,
der UWG-Passus blieb aber wegen «wirkungsvoller» Lobbyarbeit der interessierten
Kreise im Schweizer Parlament lange Jahre weitgehend zahnlos. Im Juli 2012
ist er verbessert worden, wobei noch unklar ist, wie weit diese Verbesserung wirklich
dem Schutz der Konsumentin dient. Von der Rechtsprechung wurden nur einige
Regeln entwickelt, die äusserst vage sind und deren Auslegung durch die Gerichte
sich kaum voraussagen lässt – Klagen sind daher eine Art Roulette. Dabei vermuten
Spezialisten, dass es nur wenige AGB gibt, die nicht Rechte von Konsumenten einschränken
oder gar gesetzliche Vorgaben missachten.
Die heute bestehenden Instrumente der AGB-Kontrolle, wie sie im Folgenden
dargestellt werden, sind für einen wirkungsvollen und zeitgemässen Konsumentenschutz
wenig geeignet. Unklare Formulierungen sind zunächst nicht immer auch für
die Gerichte unklar : Der Klageerfolg mit solcher Argumentation ist Glückssache.
Zudem werden die AGB-Verwender natürlich auch schlauer und passen ihre Verträge
so an, dass aufgrund der Unklarheitenregel ( > Seite 31 ) nichts mehr dagegen eingewendet
werden kann. Auch für die Ungewöhnlichkeitsregel ( > Seite 33 ) ist anzumerken,
dass es bereits genügt, auf eine ungewöhnliche Regel ausdrücklich hinzuweisen
oder diese hervorzuheben ( wie heute oft bei Gerichtsstandsklauseln ). Der neue
Art. 8 UWG ist als solche offene Inhaltskontrolle nun immerhin gesetzlich verankert.
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Das ist Ihr gutes Recht
Ein Beispiel
Viele Gesellschaften formulieren ihre AGB so, dass der Gerichtsstand
mit ihrem Geschäftssitz identisch ist. Artikel 32 der Zivilprozessordnung
( ZPO ) sagt aber klar, dass für Klagen des Konsumenten
gegen den Anbieter die Gerichte am Wohnsitz oder am
Sitz einer der beiden Parteien zuständig sind, für Klagen des
Anbieters aber nur die Gerichte am Wohnsitz der beklagten Partei.
Diese Bestimmung soll den Konsumenten als schwächere Vertragspartei
schützen. Der Konsument muss also eine solche AGB-
Vorschrift gar nicht beachten, da sie gegen das Gesetz verstösst,
weil eine Konsumentin nicht im Voraus auf diese Vorschriften
verzichten kann ( Art. 35 ZPO ).
Schutz des Konsumenten durch die Gerichte
Allerdings ist der Konsument dem «Kleingedruckten», den AGB, nicht völlig schutzlos
ausgeliefert. Dazu kann ein eigentliches Prüfprogramm erstellt werden, das aussieht
wie folgt :
1 Verträge
27
1. Geltungskontrolle ( 1. Stufe )
Einbezug überhaupt : Globalübernahme, Verweisung; natürlicher oder normativer Konsens; stillschweigende
Übernahme nachgeschobener AGB usw.
2. Auslegungskontrolle
• Allgemeine Auslegungsregeln ( natürlicher oder normativer Konsens; Partialdissens usw.)
• Vorrang der Individualabrede vor AGB-Klauseln ( BGE 93 II 317 )
• Unklarheitenregel
3. Geltungskontrolle ( 2. Stufe )
Ungewöhnlichkeitsregel bei Globalübernahme, wenn
• schwache oder unerfahrene Gegenpartei
• subjektive Ungewöhnlichkeit (Überraschungseffekt)
• objektive Ungewöhnlichkeit (geschäftsfremder Inhalt)
4. Inhaltskontrolle
a. Zwingendes Recht
• Allgemeine nicht AGB-spezifische Normen inklusive Willensmängel und Übervorteilung
• AGB-spezifische Normen (Art. 256 Abs. 2 lit. a und Art. 288 Abs. 2 lit. a OR)
b. Art. 8 UWG (Generalklausel)
c. Art. 19 Abs. 2 OR
• Einseitige systematische Wegbedingung dispositiven Rechts
• Verstoss gegen zentrale Wertungsprinzipien der Rechtsordnung
• Verstoss gegen das Transparenzgebot
• Der Vertragsnatur widersprechende Verteilung der Vertragspflichten
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Das ist Ihr gutes Recht
Stufe 1, Schritt 1: Konsens- und Geltungskontrolle
Ein Gericht wird in jedem Fall prüfen, ob die Willensäusserung beim Abschluss
eines Vertrags «übereinstimmend» und «gegenseitig» war, ob also ein «Konsens»
zustande kam. Dazu braucht es eine entsprechende Willensübereinstimmung der
Parteien ( > Seite 19 ). Die Verwenderin der AGB muss dabei zunächst die Vertragspartner
bei Vertragsschluss auf die AGB hinweisen. Wer die AGB eines Anbieters
nie zu Gesicht bekommen hat, kann ihnen auch nicht zugestimmt haben. Dabei
reicht es nicht, wenn die AGB zum Beispiel auf der später zugesandten Rechnung,
einem Lieferschein oder auf der Internetseite der fraglichen Firma zu finden sind.
Die Konsumentin muss vor Vertragsabschluss auf die AGB hingewiesen werden und
die Möglichkeit haben, sie zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin reicht gemäss Bundesgericht
für die Übernahme der AGB aus, dass sie auf der Rückseite des Vertragsformulars
abgedruckt sind und sich auf der Vorderseite ein entsprechender Verweis
befindet ( BGE 84 II 556 ). Erforderlich ist in jedem Fall, dass der gesamte AGB-Text
vor Vertragsschluss in zumutbarer Weise zugänglich ist ( sogenannte Verfügbarkeit ).
Ein blosser Hinweis auf die AGB reicht zumindest im B2C-Verkehr ( B2C : Business
to Consumer ) nicht aus. Namentlich die Information, dass die Kundin die Kenntnisnahme
zum Beispiel durch Erwerb oder Anfordern eines AGB-Exemplars oder
durch Abruf der AGB von einer Website erlangen könnte, genügt im B2C-Bereich
im Allgemeinen nicht. Der AGB-Abdruck in Preislisten, Katalogen usw. reicht mangels
Zusammenhang mit dem konkreten Vertragsabschluss bei nichtindividualisierten
Werbesendungen auch nicht aus.
Dabei muss der Kunde die AGB in zumutbarer Weise zur Kenntnis nehmen
können ( Zugänglichkeitsregel ). Das sogenannte Transparenzgebot verlangt eine verständliche
und klar lesbare Darstellung der AGB, dies in einer Sprache, die der
Konsument versteht. Dabei ist für die rechtzeitige Zugänglichkeit derjenige Zeitpunkt
als massgebend zu erachten, in dem die Kundin die sie verpflichtende Einbeziehungserklärung
abgibt, gleichgültig ob als Bestandteil des Vertragsangebots oder der Vertragsannahme.
Das ist keine reine Theorie, denn dies bedeutet, dass grundsätzlich
nachgeschobene AGB keine verbindliche Wirkung gegenüber dem Kunden entfalten
können. Diese AGB werden nicht Vertragsinhalt. Vielmehr handelt es sich bei solchen
nachgeschobenen AGB um eine Offerte zur Vertragsänderung, wobei hier eben gilt,
dass in solchen Fällen das Stillschweigen des Kunden gerade nicht als Zustimmung
1 Verträge
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im Sinn von Art. 6 OR gewertet werden kann ( vgl. BGE 98 Ia 314; zum Schweigen
bei Angeboten > Seite 22 ).
Bei Pauschalreisen sind diese Anforderungen bereits gesetzlich in den Art. 2 und
4 Abs. 1 PauRG festgehalten. Danach werden AGB nur Vertragsbestandteil, wenn die
Veranstalterin diese dem Reisenden vor Vertragsschluss, zum Beispiel im Reiseprospekt,
schriftlich mitgeteilt oder jedenfalls schriftlich bestätigt hat. Nur bei Last-minute-
Reisen kann unter Umständen auf eine schriftliche Bestätigung verzichtet werden.
Auch für den Versicherungsvertrag gibt es Sonderbestimmungen : Bei Antrag oder
Annahme des Versicherungsvertrags muss der Versicherungsnehmer im Besitz der
AGB sowie der notwendigen Angaben zum Datenschutz sein ( Art. 3 VVG ).
Umgekehrt gilt allerdings : Wer die AGB nicht gelesen hat, obwohl er sie hätte lesen
können, hat keine guten Karten ( das Gesetz spricht von «Globalübernahme» der
AGB; BGE 119 II 443 ). Diese Bestimmung spielt etwa bei Käufen übers Internet eine
wichtige Rolle : Der Kunde muss beim elektronischen Vertragsabschluss die Möglichkeit
haben, die AGB herunterzuladen, abzuspeichern und auszudrucken – das Studium
in aller Ruhe wird wärmstens empfohlen. Gemäss Bundesgericht reicht im Übrigen
im E-Mail-Verkehr bereits der Hinweis auf die Website der AGB-Verwenderin
aus, um den Voraussetzungen zu genügen. Ob ein blosser Verweis auf die Internetseite
des Verwenders ohne Übergabe der AGB auch genügt, wenn die Parteien nicht per
E-Mail kommunizieren, wurde vom Bundesgericht offengelassen ( BGE 139 III 345 ).
Letzteres kann bei auf traditionellem Weg ( postalisch oder mündlich ) erfolgtem Hinweis
auf eine Website schon darum nicht genügen, weil nicht alle Menschen Zugang
zum Internet haben. Mit anderen Worten liegt ein Medienbruch vor, da die Präsentation
der AGB über ein anderes Medium ( Internet ) erfolgt als der Hinweis auf die
AGB ( Post, Mündlichkeit ). Zudem könnte die Prüfung der AGB regelmässig erst
nach Vertragsschluss erfolgen, da sie nicht unmittelbar zugänglich sind, womit es an
einem Konsens fehlen würde.
Anders jedoch beim E-Commerce : Hier müssen die AGB spätestens bei Abgabe
einer Willenserklärung ohne grossen Aufwand im Internet unmittelbar einsehbar und
verfügbar sein ( Direktzugriff ). Die Verfügbarkeit ist gegeben, wenn der Kunde die
AGB entweder auf der Website des Verwenders an gut sichtbarer Stelle ohne Weiteres
abrufen kann oder sie in die vertragsschlussrelevante E-Mail integriert sind. Nament-
30
Das ist Ihr gutes Recht
lich reicht ein gut sichtbarer Hyperlink auf die AGB aus, wenn er in der vertragsschlussrelevanten
E-Mail oder an gut sichtbarer Stelle auf der Bestellseite einer Website
erfolgt. Auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch ein Pop-up-Fenster ist
genügend. Online-AGB müssen daher bei der Bestellung oder Registrierung nicht
zwingend automatisch erscheinen. Allerdings genügt die blosse Angabe der Webadresse
( URL ), auf der sich die AGB befinden, nicht : Der Kunde kann erwarten, dass
die AGB-Verwenderin einen Hyperlink oder ein Pop-up-Fenster einrichtet.
Oft werden in AGB auch Änderungsklauseln aufgeführt, welche das Recht zur
einseitigen Änderung von AGB-Klauseln vorsehen. Ohne solche Klauseln gelten die
oben dargelegten Voraussetzungen der nachgeschobenen AGB : Es braucht eine ausdrückliche
Einwilligung. Besteht allerdings eine Änderungsklausel, so gelten einseitige
schrankenlose Änderungsrechte gemäss Bundesgericht als von vornherein unzulässig
( BGE 135 III 1 ), da ein solches undefiniertes Gestaltungsrecht zur einseitigen Abänderung
der Natur und dem Zweck des Vertrags widersprechen.
Stufe 1, Schritt 2 : Auslegungskontrolle
Es handelt sich zunächst um die allgemeine Auslegung, ob ein natürlicher oder normativer
Konsens vorliegt ( zum Konsens > Seite 19 ). Daneben ist folgender wichtiger
Punkt zu beachten : Individualabreden gehen AGB-Klauseln vor.
Aus dem Bundesgericht
Die Parteien vereinbarten den Bau eines Schwimmbeckens. Nach dem Bau stellte sich heraus, dass
das Schwimmbecken 5,5 bis 8 Zentimeter kürzer war als die vereinbarten 25 Meter, was das für
Sportveranstaltungen vorgesehene Becken wenig tauglich machte. Im Vertrag kamen Bauherr und
Unternehmer überein, dass für die Ansprüche des Bauherrn bei Massmängeln beim Bau des
Schwimmbeckens eine andere Regelung gelten sollte, als es die global übernommenen Bedingungen
des SIA ( Schweizer Ingenieur- und Architektenverband ) vorsahen. Es wurde vereinbart : «Bei der
Ausführung von Maurer- und Eisenbetonarbeiten gewährt die Bauleitung dem Unternehmer eine
Toleranz von höchstens 1 cm. Abweichen von den Planangaben über dieses Mass hinaus muss auf
Verlangen der Bauführung unverzüglich vom Unternehmer auf eigene Kosten abgeändert werden.»
Das Bundesgericht hielt fest, dass solche individuellen Abreden den AGB stets vorgehen ( BGE 93 II
317, E. 4b ). Daher konnte der Bauherr vom Unternehmer vorbehaltlos die Verbesserung des Mangels
auf dessen eigene Kosten verlangen.
1 Verträge
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Unklare Regelungen in AGB werden von den Gerichten eher zugunsten der Konsumentin
ausgelegt ( Unklarheitenregel ). Dies ist gesetzlich im Versicherungsvertrag
ausdrücklich vorgesehen ( Art. 33 VVG ), gilt aber für alle AGB. Diese Regel wird
damit begründet, dass es die Verwenderin von AGB in der Hand hätte, die Verträge
klar zu formulieren. Aus missverständlichen Klauseln soll die AGB-Verwenderin nicht
auch noch Vorteile ziehen können.
Ein Beispiel
In Verkaufsbedingungen ist oft folgender Passus zu finden : «Ansprüche
aus Gewährleistung bestehen nur insoweit, als sie vom
Hersteller übernommen werden». Dem Kunden kann gar nicht
bekannt sein, wie sich das Verhältnis zwischen Verkäuferin und
Hersteller gestaltet, sodass ihm mit einer solchen unklaren Regelung
die Entscheidungsmacht, ob er eine solche Klausel akzeptieren
möchte, entzogen ist. Eine solche Klausel ist missverständlich.
Vergleichbares gilt bei AGB, die von geltendem Recht abweichen, was als Restriktionsprinzip
bezeichnet wird. Solche Klauseln sind eng zu interpretieren. Die Gerichte
haben vor allem bei Werk-und Kaufverträgen damit Freizeichnungsklauseln eng interpretiert,
wenn das Werk oder die Kaufsache aussergewöhnliche Mängel aufwies, welche
den wirtschaftlichen Zweck des Geschäfts wesentlich beeinträchtigten.