TE KW 06
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E IN FAHRENDER RIT<strong>TE</strong>R<br />
Eritrea – Afrikas Land der Gegensätze<br />
Ein fast vergessener Staat am Roten Meer<br />
Jahrzehnte lang hat man nicht viel von diesem Staat am Roten<br />
Meer gehört: Eritrea war 50 Jahre lang eine italienische Kolonie,<br />
dann 30 Jahre Teil des Äthiopischen Kaiserreiches, bevor es in<br />
einem blutigen Bürgerkrieg seine Selbstständigkeit erklärte. Seit<br />
kurzer Zeit findet das kleine Land wieder mehr Beachtung: Einerseits<br />
aufgrund der vielen Flüchtlinge und andererseits wegen der<br />
Teilnahme des Landes am inneräthiopischen Bürgerkrieg in Tigray.<br />
Von Eduard Meze<br />
In keinem anderen Land Afrikas<br />
gibt es so viele Unterschiede unter den<br />
Menschen, den Religionen, der Landschaft<br />
sowie in der Landwirtschaft und<br />
der Architektur wie im kleinen Land<br />
Eritrea, das von Somalia, Äthiopien,<br />
dem Sudan und Dschibuti umgeben<br />
ist. Zugleich gibt es hier aber auch eine<br />
der brutalsten Diktaturen der Welt, die<br />
das Aufkommen jeglicher Oppositionen<br />
verhindert. Der Kriegsdienst, der<br />
eigentlich einer Zwangsarbeit gleicht,<br />
dauert in Eritrea sowohl für Männer<br />
als auch Frauen jeweils zehn Jahre<br />
– dies ist mitunter ein Grund für die<br />
hohen Flüchtlingszahlen. Dennoch<br />
sind im ganzen Land – im Gegensatz<br />
zu Nordkorea oder Tadschikistan –<br />
keine politischen Plakate oder Fotos<br />
des Präsidenten-Diktators Afewerki zu<br />
finden. Dem brutalen politischen Regime<br />
gegenüber besteht hier allerdings<br />
eine weitestgehend friedliche Eintracht<br />
zwischen den drei im Land vertretenen<br />
Religionen: Die drei Religionsgruppen<br />
der koptisch-orthodoxen Kirche, der<br />
römisch-katholischen-Kirche und des<br />
sunnitischen Islams begegnen sich<br />
friedlich und wohnen beinahe im<br />
ganzen Land Haustüre an Haustüre.<br />
VIELSEITIGE BAUKUNST.<br />
Ganz große Gegensätze gibt es hier<br />
auch in Sachen Architektur. Die<br />
Hauptstadt Asmara wurde von den<br />
Italienern durch Musterbauten mitgestaltet.<br />
In ganz Italien findet man keine<br />
so hohe Anzahl an schönen Werken<br />
des Art Deco und des Futurismus.<br />
Charakteristisch ist hier auch die Fiat-<br />
Tankstelle mit zwei zehn Meter auskragenden<br />
und frei hängenden Flügeln.<br />
Einer Legende zufolge soll der Architekt,<br />
während Arbeiter die Stütze der<br />
Flügel abbauten, gegenüber mit einem<br />
geladenen Revolver gestanden haben.<br />
Sollten die Flügel brechen, hätte er<br />
sich erschossen. Die Tankstelle steht<br />
in ihrer vollen Größe nun schon seit<br />
100 Jahren. Im restlichen Land ist hingegen<br />
noch typisches Afrika-Feeling zu<br />
spüren: Runde Lehmhütten mit Schilfdach,<br />
wie man sie aus den Ländern<br />
südlich der Sahara kennt.<br />
ZAHLREICHE GEGENSÄT-<br />
ZE. Eritrea ist aber auch geprägt von<br />
fröhlichen Menschen und vor allem<br />
lachenden Kindern, die sich, ohne zu<br />
betteln, riesig über Kleinigkeiten, wie<br />
Schulhefte, Kugelschreiber oder kleine<br />
Fußbälle freuen. In der Hauptstadt gibt<br />
es aber auch eine zwei Kilometer lange,<br />
rund acht Meter breite und fünf Meter<br />
hohe Mauer des Grauens. Sie besteht<br />
aus hunderten verrostenden Wracks<br />
von Panzern, Haubitzen, Kanonen,<br />
Militärautos und anderem Kriegsmaterial<br />
– eine „Entwicklungshilfe“<br />
in Milliardenhöhe. Auch Landschaft<br />
Tausende Tonnen von zerstörtem Kriegsmaterial bilden einen kilometerlangen Wall<br />
entlang der Grenze zu Äthiopien. <br />
Fotos: Eduard Meze<br />
Italienische Architektur der ehemaligen Kolonialherren ist in nahezu allen größeren<br />
Städten anzutreffen.<br />
und Landwirtschaft könnten unterschiedlicher<br />
nicht sein: Ein fruchtbares<br />
Hochland, das sich bis Äthiopien hinzieht<br />
– dort wachsen Weizen, Mais,<br />
Teff (ein Grundnahrungsmittel auf<br />
Getreidebasis) und Kat, das in Eritrea,<br />
im Jemen und in Somalia durch<br />
seine leicht berauschende Wirkung<br />
gerne genossen wird. 2000 Höhenmeter<br />
tiefer am Roten Meer befindet<br />
sich die Wüste Danakil. Die heißeste<br />
und unfreundlichste Wüste der Welt.<br />
Heruntergekommene Dörfer aus<br />
Schilfhütten, arme Menschen, spindeldürres<br />
Vieh, die sich zumeist alle am<br />
einzigen Brunnen des Dorfes versammeln<br />
– und das bei oft 50 Grad Außentemperatur.<br />
Ein Ausflug und eine<br />
Übernachtung auf den Dachla-Inseln<br />
brachte dann noch eine Überraschung<br />
für uns Touristen: Für die Inselgruppe<br />
bestand zwar eine Reisewarnung, dennoch<br />
war es wunderschön, am klaren<br />
und warmen Wasser in einer Strohhütte<br />
zu nächtigen, als wir plötzlich ein<br />
Schiff am Horizont kommen sahen.<br />
Die deutsche Gruppe, mit denen ich<br />
unterwegs war, „erfreute“ ich mit den<br />
Worten: „Freunde, jetzt kommen wir<br />
ins Fernsehen, die Piraten sind da.“<br />
Komischerweise fanden sie es gar nicht<br />
lustig. Am Ende waren es aber nur<br />
arme Fischer, die uns ihren Fang verkaufen<br />
wollten. Eritrea, ein Land der<br />
Gegensätze und Überraschungen, ein<br />
echtes Erlebnis!<br />
Weit ausladende Arme prägen dieses architektonische Denkmal – der Name des<br />
italienischen Automobilherstellers ist in Eritrea allgegenwärtig.<br />
Drei Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander:<br />
Christen, orthodoxe Kopten<br />
und Moslems<br />
Fröhliche Kinder sind allerorts anzutreffen<br />
– im Hintergrund ein typisches<br />
strohgedecktes Rundhaus.<br />
RUNDSCHAU Seite 26 10./11. Februar 2021