34 Aufbruch Daten und InnovationAlle zehn Jahre findet ein EU-weiter Zensus statt. In Deutschland werden2022 zehn Millionen Menschen nach ihrer Lebens-, Wohn- oder Arbeitssituationbefragt. Wozu dient die Volkszählung und wie läuft sie ab?Ein Gespräch mit Katja Wilken vom Statistischen BundesamtTEXT: CATALINA SCHRÖDERILLUSTRATION: ANTON HALLMANN»Haben wir genügendKrankenhäuser undSchulen?«
Strategien Statistik für der alleDigitalisierung35Foto: Destatis, Illustration: Anton Hallmann/SepiaFrau Wilken, wofür brauchen wir denZensus?Der Zensus gibt Auskunft über die aktuelleBevölkerungszahl für Bund, Länder undGemeinden. Wir bekommen aber auch Datenzur Anzahl der Wohnungen und Häuser inDeutschland, zur Wohnungssituation der Menschensowie Daten zu den Haushalten undFamilien, zu Erwerbstätigkeit und Bildung.Was geschieht mit den Daten, die Sie imRahmen des Zensus erfassen?Wichtig sind diese Informationen, um die Infrastrukturin unserem Land planen zu können:Haben wir genügend Krankenhäuser, Altenheimeund Schulen? Gibt es ausreichend Straßen?Die Ergebnisse des Zensus helfen denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen,die Pro-Kopf-Versorgung zu berechnenund die Situation vor Ort entsprechendanzupassen. Der Zensus ist aber auch einewichtige Quelle, wenn es darum geht, dieFinanzverteilung zwischen Ländern und denKommunen zu regeln. Und dann dient der Zensusauch dazu, die Wahlkreise in Deutschlandzuzuschneiden.Wie genau funktioniert das?Wenn wir beispielsweise durch den Zensusrausfinden, dass in einem größeren Bundeslandweniger Menschen leben als angenommen,kann das dazu führen, dass dort künftig die Zahlder Abgeordneten im Bundestag reduziertwird. Andernfalls werden die Interessen derdortigen Bevölkerung überproportional imBundestag vertreten, und das wäre keineGleichbehandlung gegenüber Menschen inanderen Bundesländern.Reicht es nicht, die Register der Einwohner -meldeämter auszuwerten, um herauszufinden,wie viele Menschen in Deutschlandleben?Die Register der Einwohnermeldeämter bildendie wichtigste Quelle für den Zensus. Wenndiese Register taggenau und präzise gepflegtwären, wären sie sogar ausreichend für dieEinwohnerzahl-Ermittlung. Leider ist es aber so,dass manchmal Personen mehrfach in verschiedenenMelderegistern eingetragen sind.Dann gibt es Leute, die nicht mehr an einem Ortgemeldet sind, obwohl sie dort noch leben. Undes gibt Personen, die weggezogen, aber nochin einer Kommune gemeldet sind. Diese dreiFälle zeigen beispielhaft mögliche Fehler in denMelderegistern, und diese müssen wir mit demZensus bereinigen, weil die amtliche Bevölkerungszahlsonst zu ungenau wäre.Der Zensusstichtag musste um ein Jahrvon 2021 auf 2022 verschoben werden. Wiekam es dazu?Bund und Länder haben entschieden, dass esaufgrund der Corona-Pandemie momentannicht angemessen ist, den Zensus durchzuführen.Innerhalb der öffentlichen Verwaltung» Wir Deutschensind sehr sensibel,wenn es um persönlicheDaten geht «müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterzum einen in der Lage sein, die Gesundheitsämterzu unterstützen. Und zum anderen müssenwir für den Zensus teilweise Interviewerinnenund Interviewer zu den Menschen nach Hauseschicken. Das ist in einer Pandemiesituation nurschwer vertretbar.Am Zensus nehmen zehn MillionenMenschen teil. Wie werden die ausgesucht?Das ist eine Zufallsauswahl, die nach Anschriftenerfolgt.Es gab bereits Demos gegen den Zensus,und Kritiker bemängeln, dass die Bevölkerungszählungein Schritt auf dem Wegzum Überwachungsstaat sei. KönnenSie es verstehen, wenn Menschen datenschutzrechtlicheBedenken haben?Wir stellen die Geheimhaltung der Daten injedem Fall sicher, insofern kann ich zusichern,dass keine Daten zu einzelnen Personen unserHaus verlassen.In den vergangenen Jahren wurde vielüber Datenschutz diskutiert. Hat sich ausIhrer Sicht die Einstellung der Menschenzur Erfassung von Daten verändert?Wir Deutschen sind sehr sensibel, wenn es umpersönliche Daten geht. Das ist bei uns natürlichhistorisch bedingt und gut nachvollziehbar. DasBewusstsein der Menschen hat sich in den letztenJahren dahingehend verändert, dass sieverstärkt kritisch nachfragen, ob wir dieseDaten wirklich brauchen.Nach dem letzten Zensus 2011 musstenKommunen auf Geld aus dem Länderfinanzausgleichverzichten, weil ihreEinwohnerzahl nach unten korrigiertwurde. Kritiker sagen: Um ganz sicher zugehen, dass keine Kommune benachteiligtwird, müsste eine Vollerhebung gemachtwerden. Wie sehen Sie das?Eine Vollerhebung ist nicht zuletzt aus Sicht desBundesverfassungsgerichts, dem dieser Sachverhaltja vorgetragen worden ist, eine unzulässigeBelastung der Bevölkerung. Wir haben dieMaßgabe, Methoden mit geringstmöglicherBelastung für die Bürgerinnen und Bürger aufBasis einer zeit gemäßen IT-Technologie zu nutzen.Die Stichprobe ist als Methode angemessenund vom Bundesverfassungsgericht auchso bestätigt worden.Die Auswertung der Daten hat beimletzten Zensus lange gedauert – teilweisemehrere Jahre. Warum ging das nichtschneller und wie lange soll die Auswertungdieses Mal dauern?Die Daten wurden 2011 hauptsächlich von Interviewerinnenund Interviewern oder postalischerhoben und kamen erst nach der Prüfung undZusammenführung in den Statistischen Landesämternzu uns und wurden weiterverarbeitet.Wir wissen aber, dass das damals zu langegedauert hat. Dieses Mal wollen wir die Datennach 18 Monaten bereitstellen, indem der Großteilder Befragungen digital erfolgt – online odertelefonisch. Das ist immer noch eine lange Zeit,aber wir müssen umfassenden Datenschutzgewährleisten. Unsere IT-Systeme sind abgeschottet,daher kosten unsere Prozesse mehrZeit. Hier geht Qualität vor Geschwindigkeit.Angenommen, ich werde vom Zufallsgeneratorfür den nächsten Zensusausgewählt – wann bekomme ich darüberBescheid?Ab dem Stichtag im Mai 2022 werden wir diezufällig ausgewählten Haushalte anschreibenbeziehungsweise kontaktieren. Wohnungseigentümerinnenund Wohnungseigentümer werdengegebenenfalls bereits im Sommer 2021 füreine Vorbefragung kontaktiert.Zur PersonDie Juristin Katja Wilkenist seit 2018 Gesamtverantwortlichefür denZensus beim StatistischenBundesamt.