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PODIUM<br />
Der Kinderschutzbund fordert im <strong>Thermenland</strong>-Interview als Folge des Lockdowns:<br />
Kinderrechte müssen ins Grundgesetz!<br />
„Kinder und Jugendliche brauchen Perspektiven<br />
und Möglichkeiten statt Verbote und Stillstand.“<br />
Im Rahmen unserer Umfrage<br />
verwies uns der<br />
Ortsverein Passau des<br />
Kinderschutzbundes an<br />
seine Zentrale in München.<br />
Dort sprach das<br />
<strong>Thermenland</strong>-Magazin<br />
mit Alexandra Schreiner-<br />
Hirsch, pädagogische Leiterin des Kinderschutzbundes<br />
Bayern, allgemein über<br />
die Situation von Kindern und Jugendlichen<br />
im Land.<br />
„Streitigkeiten in Familien eskalieren<br />
öfter“<br />
<strong>Thermenland</strong> Magazin: Vermehrt wird<br />
aktuell über die Belastung berichtet, der<br />
Kinder und Jugendliche aktuell ausgesetzt<br />
sind. Mit welchen Problemen haben<br />
Kinder und Jugendliche aktuell besonders<br />
stark zu kämpfen?<br />
Alexandra Schreiner-Hirsch: Wie immer<br />
bei uns Menschen regieren wir auf die<br />
gleiche Situation sehr unterschiedlich. So<br />
ist das auch bei Kindern. Allerdings<br />
haben aktuelle Umfragen und Studien bei<br />
Kindern ergeben, dass sich erste psychische<br />
und gesundheitliche Auswirkungen<br />
zeigen. Die Ergebnisse: Mehr als 70<br />
Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen<br />
fühlen sich durch die Corona-<br />
Krise seelisch belastet. Stress, Angst und<br />
Depressionen haben zugenommen. Das<br />
Risiko für psychische Auffälligkeiten<br />
habe sich fast verdoppelt, heißt es in den<br />
Studien weiter. Die Kinder seien häufiger<br />
gereizt und antriebslos, hätten Einschlafprobleme,<br />
Konzentrationsschwierigkeiten<br />
und klagten über Kopf- und<br />
Bauchschmerzen. Jedes vierte Kind berichtet,<br />
dass es in der Familie häufiger zu<br />
Streit komme als vor der Corona-Krise.<br />
Die Eltern geben das sogar noch häufiger<br />
an und erklären, dass Streitigkeiten öfter<br />
eskalierten. Gleichzeitig achten Kinder<br />
und Jugendliche weniger auf ihre Gesundheit.<br />
Sie essen mehr Süßigkeiten,<br />
machen weniger Sport und verbringen<br />
mehr Zeit am Handy oder vor dem Fernseher/PC.<br />
Wie ist der Eindruck des Kinderschutzbundes<br />
Bayern?<br />
Schreiner-Hirsch: Den Kindern fehlen<br />
Treffen mit Freunden, Rituale, Freizeitaktivitäten,<br />
Struktur im Alltag und damit Sicherheit<br />
und Orientierung. Das alles<br />
www.thermenland-magazin.de<br />
kann sich unterschiedlich stark negativ<br />
auf ihre körperliche und seelische Entwicklung<br />
auswirken.<br />
Kinder sind stark gestresst,<br />
wenn Eltern gestresst sind.<br />
Welche Altersgruppe leidet aktuell besonders<br />
stark unter der Corona-Situation?<br />
Schreiner-Hirsch: Alle Altersgruppen leiden.<br />
Es hängt nicht allein vom Alter<br />
ab, sondern auch von der persönlichen<br />
Stressresistenz und Resilienz von Kindern<br />
sowie ganz stark von Ihrem persönlichen<br />
Umfeld.<br />
Kinder brauchen Kinder: Im Umgang mit anderen wächst soziales<br />
Miteinander.<br />
Welche Faktoren bestimmen im Wesentlichen,<br />
wie es Kindern geht?<br />
Schreiner-Hirsch: Nun, das sind ganz unterschiedliche:<br />
Leben sie auf dem Land<br />
mit viel Bewegungsmöglichkeiten im<br />
Freien oder in der Stadt in einer 2 Zimmerwohnung<br />
ohne Balkon und ohne<br />
Rückzugsmöglichkeit? Sind sie alt genug,<br />
sich allein draußen bewegen zu können<br />
oder brauchen sie altersbedingt die Eltern<br />
dazu? Haben Sie Geschwister oder sind<br />
sie allein und haben somit durch die Beschränkungen<br />
weniger analoge Möglichkeiten<br />
sich mit Freunden zu treffen?<br />
Leben die Eltern zusammen und können<br />
die Last der Krise gemeinsam tragen oder<br />
werden sie von einem alleinerziehenden<br />
Elternteil erzogen, der alle Herausforderungen<br />
allein stemmen muss? Können<br />
die Eltern im Home-Office arbeiten und<br />
die Kinder schulisch unterstützen oder<br />
müssen die Kinder das Homeschooling<br />
allein bewältigen? Wie verkraften die Erwachsenen<br />
im Umfeld der Kinder die<br />
Krise und wie verhalten Sie sich entsprechend<br />
den Kindern gegenüber? Können<br />
die Erwachsenen die Kinder gut durch<br />
die Krise begleiten oder sind sie mit sich<br />
und der schwierigen Lebenssituation wie<br />
etwa mit finanziellen, gesundheitlichen<br />
16<br />
oder psychischen Problemen beschäftigt<br />
und selbst von großen Ängsten und Unsicherheiten<br />
betroffen? Kinder sind dann<br />
meist stark belastet, wenn Eltern belastet<br />
und gestresst sind.<br />
„Auch Familien ohne Probleme<br />
stoßen zum Teil an ihre Grenzen“<br />
Häufiger wird nun auch über einen Anstieg<br />
der häuslichen und sexualisierten<br />
Gewalt gesprochen. Können Sie als Verband<br />
diese Erfahrung teilen? Gibt es da<br />
bereits konkrete Zahlen?<br />
Schreiner-Hirsch: Die ersten Ergebnisse<br />
der Nummer gegen Kummer, von Frauennotrufstellen<br />
oder von Erziehungsberatungsstellen<br />
zeigen, dass der Stress in den<br />
Familien stark zugenommen hat und<br />
damit auch die Gewalt. Gerade in Familien,<br />
in denen das vorher schon Thema<br />
war, hat sich die Situation durch Lockdown<br />
oder Ausgangsbeschränkungen<br />
verstärkt, denn die (meist) Frauen und<br />
Kinder haben keine Möglichkeit mehr<br />
sich Hilfe zu holen, weil sie keinen<br />
„unbewachten“ Freiraum mehr haben.<br />
Weiterhin sind durch den Lockdown<br />
Institutionen, wie Schule, Kita und<br />
Kinderärzte als Melder von häuslicher<br />
Gewalt weggefallen.<br />
Inwieweit sind die anderen Familien von<br />
der Tendenz betroffen?<br />
Schreiner-Hirsch: Auch Familien, die bisher<br />
gut zurechtgekommen sind, sind zum<br />
Teil an ihre Grenzen gestoßen. Das zeigen<br />
aktuell die erhöhten Nachfragen bei den<br />
Erziehungsberatungsstellen. Das wahre<br />
Ausmaß wird sich aber erst in jeder Hinsicht<br />
nach der Krise zeigen, wenn Familien<br />
wieder im öffentlichen Bereich auftauchen.<br />
Die Anrufe von Eltern und Kindern<br />
bei der Nummer gegen Kummer sind<br />
z.B. im ersten Lockdown um 20% bzw.<br />
Innere Stärke entwickeln: Kinder lernen Selbstbewusstsein<br />
durch selbstbewusste Vorbilder.