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Thermenland_03-2021

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PODIUM<br />

Der Kinderschutzbund fordert im <strong>Thermenland</strong>-Interview als Folge des Lockdowns:<br />

Kinderrechte müssen ins Grundgesetz!<br />

„Kinder und Jugendliche brauchen Perspektiven<br />

und Möglichkeiten statt Verbote und Stillstand.“<br />

Im Rahmen unserer Umfrage<br />

verwies uns der<br />

Ortsverein Passau des<br />

Kinderschutzbundes an<br />

seine Zentrale in München.<br />

Dort sprach das<br />

<strong>Thermenland</strong>-Magazin<br />

mit Alexandra Schreiner-<br />

Hirsch, pädagogische Leiterin des Kinderschutzbundes<br />

Bayern, allgemein über<br />

die Situation von Kindern und Jugendlichen<br />

im Land.<br />

„Streitigkeiten in Familien eskalieren<br />

öfter“<br />

<strong>Thermenland</strong> Magazin: Vermehrt wird<br />

aktuell über die Belastung berichtet, der<br />

Kinder und Jugendliche aktuell ausgesetzt<br />

sind. Mit welchen Problemen haben<br />

Kinder und Jugendliche aktuell besonders<br />

stark zu kämpfen?<br />

Alexandra Schreiner-Hirsch: Wie immer<br />

bei uns Menschen regieren wir auf die<br />

gleiche Situation sehr unterschiedlich. So<br />

ist das auch bei Kindern. Allerdings<br />

haben aktuelle Umfragen und Studien bei<br />

Kindern ergeben, dass sich erste psychische<br />

und gesundheitliche Auswirkungen<br />

zeigen. Die Ergebnisse: Mehr als 70<br />

Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen<br />

fühlen sich durch die Corona-<br />

Krise seelisch belastet. Stress, Angst und<br />

Depressionen haben zugenommen. Das<br />

Risiko für psychische Auffälligkeiten<br />

habe sich fast verdoppelt, heißt es in den<br />

Studien weiter. Die Kinder seien häufiger<br />

gereizt und antriebslos, hätten Einschlafprobleme,<br />

Konzentrationsschwierigkeiten<br />

und klagten über Kopf- und<br />

Bauchschmerzen. Jedes vierte Kind berichtet,<br />

dass es in der Familie häufiger zu<br />

Streit komme als vor der Corona-Krise.<br />

Die Eltern geben das sogar noch häufiger<br />

an und erklären, dass Streitigkeiten öfter<br />

eskalierten. Gleichzeitig achten Kinder<br />

und Jugendliche weniger auf ihre Gesundheit.<br />

Sie essen mehr Süßigkeiten,<br />

machen weniger Sport und verbringen<br />

mehr Zeit am Handy oder vor dem Fernseher/PC.<br />

Wie ist der Eindruck des Kinderschutzbundes<br />

Bayern?<br />

Schreiner-Hirsch: Den Kindern fehlen<br />

Treffen mit Freunden, Rituale, Freizeitaktivitäten,<br />

Struktur im Alltag und damit Sicherheit<br />

und Orientierung. Das alles<br />

www.thermenland-magazin.de<br />

kann sich unterschiedlich stark negativ<br />

auf ihre körperliche und seelische Entwicklung<br />

auswirken.<br />

Kinder sind stark gestresst,<br />

wenn Eltern gestresst sind.<br />

Welche Altersgruppe leidet aktuell besonders<br />

stark unter der Corona-Situation?<br />

Schreiner-Hirsch: Alle Altersgruppen leiden.<br />

Es hängt nicht allein vom Alter<br />

ab, sondern auch von der persönlichen<br />

Stressresistenz und Resilienz von Kindern<br />

sowie ganz stark von Ihrem persönlichen<br />

Umfeld.<br />

Kinder brauchen Kinder: Im Umgang mit anderen wächst soziales<br />

Miteinander.<br />

Welche Faktoren bestimmen im Wesentlichen,<br />

wie es Kindern geht?<br />

Schreiner-Hirsch: Nun, das sind ganz unterschiedliche:<br />

Leben sie auf dem Land<br />

mit viel Bewegungsmöglichkeiten im<br />

Freien oder in der Stadt in einer 2 Zimmerwohnung<br />

ohne Balkon und ohne<br />

Rückzugsmöglichkeit? Sind sie alt genug,<br />

sich allein draußen bewegen zu können<br />

oder brauchen sie altersbedingt die Eltern<br />

dazu? Haben Sie Geschwister oder sind<br />

sie allein und haben somit durch die Beschränkungen<br />

weniger analoge Möglichkeiten<br />

sich mit Freunden zu treffen?<br />

Leben die Eltern zusammen und können<br />

die Last der Krise gemeinsam tragen oder<br />

werden sie von einem alleinerziehenden<br />

Elternteil erzogen, der alle Herausforderungen<br />

allein stemmen muss? Können<br />

die Eltern im Home-Office arbeiten und<br />

die Kinder schulisch unterstützen oder<br />

müssen die Kinder das Homeschooling<br />

allein bewältigen? Wie verkraften die Erwachsenen<br />

im Umfeld der Kinder die<br />

Krise und wie verhalten Sie sich entsprechend<br />

den Kindern gegenüber? Können<br />

die Erwachsenen die Kinder gut durch<br />

die Krise begleiten oder sind sie mit sich<br />

und der schwierigen Lebenssituation wie<br />

etwa mit finanziellen, gesundheitlichen<br />

16<br />

oder psychischen Problemen beschäftigt<br />

und selbst von großen Ängsten und Unsicherheiten<br />

betroffen? Kinder sind dann<br />

meist stark belastet, wenn Eltern belastet<br />

und gestresst sind.<br />

„Auch Familien ohne Probleme<br />

stoßen zum Teil an ihre Grenzen“<br />

Häufiger wird nun auch über einen Anstieg<br />

der häuslichen und sexualisierten<br />

Gewalt gesprochen. Können Sie als Verband<br />

diese Erfahrung teilen? Gibt es da<br />

bereits konkrete Zahlen?<br />

Schreiner-Hirsch: Die ersten Ergebnisse<br />

der Nummer gegen Kummer, von Frauennotrufstellen<br />

oder von Erziehungsberatungsstellen<br />

zeigen, dass der Stress in den<br />

Familien stark zugenommen hat und<br />

damit auch die Gewalt. Gerade in Familien,<br />

in denen das vorher schon Thema<br />

war, hat sich die Situation durch Lockdown<br />

oder Ausgangsbeschränkungen<br />

verstärkt, denn die (meist) Frauen und<br />

Kinder haben keine Möglichkeit mehr<br />

sich Hilfe zu holen, weil sie keinen<br />

„unbewachten“ Freiraum mehr haben.<br />

Weiterhin sind durch den Lockdown<br />

Institutionen, wie Schule, Kita und<br />

Kinderärzte als Melder von häuslicher<br />

Gewalt weggefallen.<br />

Inwieweit sind die anderen Familien von<br />

der Tendenz betroffen?<br />

Schreiner-Hirsch: Auch Familien, die bisher<br />

gut zurechtgekommen sind, sind zum<br />

Teil an ihre Grenzen gestoßen. Das zeigen<br />

aktuell die erhöhten Nachfragen bei den<br />

Erziehungsberatungsstellen. Das wahre<br />

Ausmaß wird sich aber erst in jeder Hinsicht<br />

nach der Krise zeigen, wenn Familien<br />

wieder im öffentlichen Bereich auftauchen.<br />

Die Anrufe von Eltern und Kindern<br />

bei der Nummer gegen Kummer sind<br />

z.B. im ersten Lockdown um 20% bzw.<br />

Innere Stärke entwickeln: Kinder lernen Selbstbewusstsein<br />

durch selbstbewusste Vorbilder.

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