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16 | nachklang<br />
*<br />
I CAN‘T<br />
NO...<br />
Zunächst einmal: Natürlich gab es<br />
Zensur bzw. das so genannte „Lektorat“<br />
von Liedtexten - was aufs selbe hinauslief.<br />
Lektoriert wur<strong>de</strong> auf drei Stufen.<br />
Das am wenigsten harte Lektorat fand<br />
bei Amiga statt, <strong>de</strong>r einzigen Plattenfi<br />
rma <strong>de</strong>r DDR. Wenn ein Lied hier<br />
bestand, durfte es auf Platte gepresst und<br />
offi ziell verkauft wer<strong>de</strong>n. Bevor es im<br />
Radio gespielt wur<strong>de</strong>, musste es ein weiters<br />
Lektorat bestehen. Hier war es<br />
schon härter, <strong>de</strong>n gewünschten Text<br />
durchzuboxen. Das härteste Lektorat<br />
lag vor <strong>de</strong>r Fernsehübertragung. Die<br />
Erklärung Toni Krahls, Leadsänger <strong>de</strong>r<br />
noch immer populären ost<strong>de</strong>utschen<br />
Band City: „Honecker hat sehr viel Fernsehen<br />
geguckt, also war da die größte<br />
Hür<strong>de</strong>; dann hat er ‘n bisschen Radio<br />
gehört, da war‘s dann etwas schwächer,<br />
und Schallplatten hat er sich gar nicht<br />
angehört. Zumin<strong>de</strong>st nicht unsere.“ So<br />
musste Musik, die verkauft wur<strong>de</strong>, nicht<br />
Im Kalten Krieg spaltete<br />
diese Grenze nicht<br />
nur ein Land, son<strong>de</strong>rn<br />
teilte die gesamte Welt<br />
in schwarz und weiß.<br />
Schon kurz nach <strong>de</strong>r<br />
Wen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> die I<strong>de</strong>e<br />
geboren, dort wo einst<br />
schwerbewaffnete<br />
Grenzstreifen patrouillierten<br />
<strong>de</strong>n inner<strong>de</strong>utschen<br />
Grenzstreifen als<br />
ein einzigartiges Biotopverbundsystem<br />
zu<br />
schützen. Denn in Mitteleuropa<br />
ist diese „Perlenkette<br />
<strong>de</strong>r Natur“ ohne Vergleich. Der<br />
1380 km lange Streifen zwischen Ostsee<br />
und Fichtelgebirge stellt für die Pfl anzen<br />
und Tierwelt wertvollen Lebensraum dar.<br />
Durch die Unüberwindbarkeit konnte<br />
sich mit <strong>de</strong>r Zeit für die Natur ein<br />
Refugium bil<strong>de</strong>n. Rote-Liste-Vertreter<br />
wie Braunkehlchen, Schwarzstorch o<strong>de</strong>r<br />
Birkhuhn fan<strong>de</strong>n dort Ruhezonen, die<br />
in <strong>de</strong>r intensiv genutzten Agrarlandschaft<br />
meist fehlen. Neben <strong>de</strong>m Naturschutz<br />
GET<br />
>> Ließen sich<br />
keine Grenzen<br />
mehr setzen: Punkband<br />
1986 in Ostberliner<br />
Kirche<br />
„Stones <strong>de</strong>s Ostens“? Nie gehört? Nein? Wir bis vor kurzem auch nicht. Generell wussten wir über Musik in <strong>de</strong>r DDR bisher eher wenig. Klar,<br />
Namen wie „Puhdys“, „City“ o<strong>de</strong>r „Karat“ sind irgendwie geläufig - aber das war‘s dann auch. Was wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r DDR gehört? Inwieweit waren die<br />
Interpreten Zwängen und Zensur unterworfen? Wie kritisch durfte Musik sein? Von Jan-Hendrik Peters und Jan Hauke Broecker<br />
auch zwingend im Radio laufen.<br />
Waren die Texte zu kritisch, wur<strong>de</strong>n<br />
sie an die Bands zurückgeschickt. Die<br />
än<strong>de</strong>rten sie dann entwe<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r stampften<br />
sie ein. Än<strong>de</strong>rungen führten allerdings<br />
nicht immer zu <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>n Lektoren<br />
und <strong>de</strong>m Staat gewünschten Ergebnis.<br />
So kam es vor, dass gera<strong>de</strong> durch<br />
Än<strong>de</strong>rungen kritische Töne in Texte<br />
kamen. Krahl: „Im Lied ‚Z.B. Susann‘<br />
hatten wir eine Textzeile, in <strong>de</strong>r es hieß:<br />
‚Da ging im Jahre 68 <strong>de</strong>r Frühling bis<br />
in <strong>de</strong>n August‘. Das durften wir wegen<br />
<strong>de</strong>r möglichen Verbindung zum Prager<br />
Frühling so nicht stehen lassen. Statt<strong>de</strong>ssen<br />
haben wir geschrieben: ‚Da ging die<br />
erste große Liebe vom Frühling bis in<br />
<strong>de</strong>n August‘. Für viele war klar, dass wir<br />
damit auf <strong>de</strong>n Mauerbau 61 anspielten.“<br />
Auch wenn das hier nicht <strong>de</strong>r Fall war -<br />
ein Beispiel für die ausgeprägte Fähigkeit<br />
<strong>de</strong>r DDR-Bürger, zwischen <strong>de</strong>n Zeilen<br />
zu lesen. Der kleinste Hinweis im Text<br />
Mitten durch Deutschland zieht sich ein fast 1400 Kilometer langer Streifen: die ehemalige Grenze zwischen<br />
bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Staaten. Mit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung verlor sie ihre Be<strong>de</strong>utung und ihren Schrecken. Nun soll<br />
<strong>de</strong>r ehemalige To<strong>de</strong>sstreifen zur Lebenslinie wer<strong>de</strong>n - als „Grünes Band“. Von Robert Eberhardt<br />
steht aber noch ein an<strong>de</strong>rer Aspekt im<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund. Das Grüne Band soll auch<br />
als Mahnmal erhalten bleiben. Millionen<br />
Menschen verbin<strong>de</strong>n persönliche Erinnerungen<br />
mit <strong>de</strong>r Mauer. Insbeson<strong>de</strong>re die<br />
Bewohner <strong>de</strong>r grenznahen DDR-Orte<br />
sind geprägt durch die Deutsche Teilung.<br />
In ihren Dörfern und Städten waren sie<br />
von <strong>de</strong>r DDR-Obrigkeit regelrecht eingesperrt<br />
wor<strong>de</strong>n. Sogar ganze Dörfer<br />
wur<strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rgerissen, um die inner-<br />
genügte und je<strong>de</strong>r wusste Bescheid. Trotz<br />
harter Zensur gelang es <strong>de</strong>m Staat somit<br />
nicht, kritische Stimmen vollständig zu<br />
unterdrücken. Kritik am System war aber<br />
auch an an<strong>de</strong>rer Stelle zu vernehmen: Die<br />
Untergrundbewegung <strong>de</strong>r DDR blühte.<br />
Das hatte sie vor allem <strong>de</strong>r Popularität<br />
<strong>de</strong>r verbotenen kritischen Musik und <strong>de</strong>r<br />
Westmusik gera<strong>de</strong> bei Jugendlichen zu<br />
verdanken. Diese sahen in <strong>de</strong>r Musik eine<br />
Möglichkeit, sich von elitären Parteikreisen<br />
und <strong>de</strong>m Staat abzugrenzen. Manche<br />
gingen noch einen Schritt weiter, Punks<br />
beispielsweise dokumentierten durch ihr<br />
Aussehen ein<strong>de</strong>utig ihre Meinung über<br />
das System. „Für viele Punks bestand <strong>de</strong>r<br />
Reiz darin, aus <strong>de</strong>r grauen Masse hervorzutreten<br />
und aufzufallen“, so Christoph<br />
Tannert, Experte für Punk in <strong>de</strong>r DDR.<br />
Stilmäßig hörten die Bürger <strong>de</strong>r DDR<br />
Ähnliches wie wir im Westen - Rock,<br />
Schlager, Punk und was es sonst noch<br />
alles gab. Der Haken an <strong>de</strong>r Sache: Westmusik<br />
war, wenn überhaupt, offi ziell nur<br />
<strong>de</strong>utsche Grenze auszubauen und zu<br />
schützen. Dort, wo Zäune, Minenfel<strong>de</strong>r<br />
und bewaffnete Grenzer <strong>de</strong>n sozialistischen<br />
Traumstaat DDR verteidigten, war<br />
für 16 Millionen DDR-Bürger die Welt<br />
zu En<strong>de</strong>.<br />
Eben an dieser Stelle soll das Projekt<br />
„Grünes Band“ ansetzten und die Teilungslinie<br />
als Erinnerung und Naturraum<br />
erhalten. Um das Projekt umzusetzen,<br />
initiierte <strong>de</strong>r Bund für Umwelt und<br />
Naturschutz Deutschland (BUND) eine<br />
Aktion. Für 65 Euro können Naturfreun<strong>de</strong><br />
einen Anteilsschein erwerben.<br />
Mit <strong>de</strong>m gespen<strong>de</strong>ten Geld versucht<br />
<strong>de</strong>r BUND gefähr<strong>de</strong>te Gebiete entlang<br />
<strong>de</strong>r Grenze zu kaufen und damit eine<br />
landwirtschaftliche Nutzbarmachung zu<br />
verhin<strong>de</strong>rn. Nach Informationen von<br />
Rüdiger Rosenthal, Pressesprecher <strong>de</strong>s<br />
BUND, wur<strong>de</strong>n seit <strong>de</strong>m Start <strong>de</strong>r Aktion<br />
schon mehrere tausend Anteilsscheine<br />
verkauft. Selbst Michail Gorbatschow ist<br />
politik <strong>orange</strong><br />
schwer zu bekommen. Wer die Beatles<br />
o<strong>de</strong>r die Stones auf Platte gepresst haben<br />
wollte, brauchte entwe<strong>de</strong>r viel Glück,<br />
Bekannte im Westen o<strong>de</strong>r Verbindungen<br />
zum Schwarzmarkt. Das Hörerlebnis an<br />
sich gab‘s sonst auch im Westfernsehen<br />
o<strong>de</strong>r -radio. Wesentlich beeinfl usst wur<strong>de</strong><br />
die DDR-Musik durch die Beat-Musik, die<br />
Anfang <strong>de</strong>r 60er Jahre von England aus<br />
vor allem über Westradio und - fernsehen<br />
auch in die DDR schwappte. Zunächst<br />
vom Staat geför<strong>de</strong>rt, um <strong>de</strong>n Beat staatlich<br />
zu vereinnahmen, wur<strong>de</strong> sämtlichen<br />
Beatgruppen 1965 die Lizenz entzogen.<br />
Jugendliche hatten sich das mit <strong>de</strong>m<br />
Beat einhergehen<strong>de</strong> Lebensgefühl angeeignet<br />
und ignorierten die tonangeben<strong>de</strong>n<br />
Funktionäre. Klar, dass das <strong>de</strong>n Machthabern<br />
missfi el. Erst Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre<br />
wur<strong>de</strong> die Zensur wie<strong>de</strong>r gelockert und<br />
die offensichtlich o<strong>de</strong>r unterschwellig kritische<br />
Musik durchlief die oben beschriebenen<br />
Lektorate zwecks Vorzensur. O<strong>de</strong>r<br />
suchten sich gewieft eigene Wege.<br />
Ach so: Die „Stones <strong>de</strong>s Ostens“<br />
hießen mit richtigem Namen „Renft-<br />
Combo“. Den Spitznamen verpasste<br />
ihnen die Zeitschrift ‚Stern‘. Die Renft-<br />
Combo war die erste wirklich bekannte<br />
Band in <strong>de</strong>r DDR und eine <strong>de</strong>r kritischsten,<br />
wenn nicht die kritischste. Im September<br />
1975 wur<strong>de</strong> sie verboten. Zwei<br />
<strong>de</strong>r sechs Bandmitglie<strong>de</strong>r verließen in<br />
<strong>de</strong>n zwei darauf folgen<strong>de</strong>n Jahren die<br />
DDR. Klaus Renft 1976 freiwillig, Christian<br />
Kunert und Gerulf Pannach, ein<br />
Weggefährte <strong>de</strong>r Band, 1977 unter<br />
Zwang, nach<strong>de</strong>m sie zunächst 1976 verhaftet<br />
und anschließend von <strong>de</strong>r BRD<br />
freigekauft wur<strong>de</strong>n.<br />
*<br />
WENN DER<br />
TODESSTREIFEN<br />
LEBENSLINIE WIRD<br />
im Besitz einer solchen Urkun<strong>de</strong>.<br />
Unterstützt wird das Projekt auch von<br />
an<strong>de</strong>ren Organisationen und Politikern.<br />
Im Europäischen Naturschutzjahr 1995<br />
wur<strong>de</strong> es vom Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt als beson<strong>de</strong>rs<br />
mo<strong>de</strong>llhaftes Projekt ausgezeichnet.<br />
Das Bun<strong>de</strong>sumweltministerium will sich<br />
ebenfalls „weiterhin nachhaltig für <strong>de</strong>n<br />
Schutz <strong>de</strong>s Grünen Ban<strong>de</strong>s einsetzten“,<br />
um „diese einmaligen Naturreichtümer zu<br />
erhalten. Im Juli 2003 schaffte die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />
die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Grundlage<br />
zum Schutz <strong>de</strong>s Grünen Ban<strong>de</strong>s. Sie<br />
übertrug ihre Flächen auf <strong>de</strong>m ehemaligen<br />
inner<strong>de</strong>utschen Grenzstreifen unentgeltlich<br />
<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn. Wären die bun<strong>de</strong>seigenen<br />
Flächen an Privatinvestoren<br />
veräußert wor<strong>de</strong>n, wäre die Vielfalt rasch<br />
zerstört wor<strong>de</strong>n, so <strong>de</strong>r BUND. Nun liegt<br />
es in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r, dass das<br />
„Grüne Band“ zur Schleife und nicht zum<br />
Knoten wird.