Wirtschafts-News I 2021 Wiesbaden
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
10<br />
#Authentic Economy<br />
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“<br />
In dieser Ausgabe beschäftigt sich das WN-Spezial mit Möglichkeiten für einen Kulturwandel nach<br />
Corona, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Selbstständige und Unternehmen können dabei<br />
– sehr unterschiedlich – als Vorbilder und Impulsgeber fungieren.<br />
Verstärkt durch die Krise rufen mehr und mehr<br />
Unternehmer:innen zur Nachhaltigkeit auf (und<br />
immer mehr Ohren sind dafür offen). So ermutigt<br />
zum Beispiel die<br />
erfahrene italienische<br />
Modedesignerin Orsola<br />
de Castro, alte Mode zu<br />
reparieren, statt neue zu kaufen. Sie erinnert<br />
dabei an die japanische Tradition des Wabi-<br />
Sabi: die Schönheit im Riss und im Bruch entdecken.<br />
Einige umweltbewusste Labels wie<br />
Patagonia (z. B. bei Sine-Mainz) sind hier Vorreiter<br />
und bieten inzwischen Reparatur- oder<br />
Recycling-Services an.<br />
Schönheit im Riss und<br />
im Bruch entdecken<br />
Die von de Castro mitgegründete globale Bewegung<br />
»Fashion Revolution« (Hashtag #Who-<br />
MadeMyClothes) hat eine transparentere und<br />
nachhaltigere Modeindustrie<br />
zum Ziel. Orsola de<br />
Castro ist dabei eine der<br />
wichtigsten – weil am ehrlichsten – Stimmen<br />
für ein neues System. Denn während sich auch<br />
die Kleidungsproduktion in den vergangenen<br />
15 Jahren mehr als verdoppelt hat, tragen wir<br />
die Kleidung immer kürzer. Weltweit werden<br />
jährlich 53 Millionen Tonnen Textilien produziert,<br />
75 Prozent landen im Müll. Die Designerin Eileen<br />
Fisher nannte die Modeindustrie „den zweitgrößten<br />
Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie“:<br />
ausgelaugte Böden, toxische Färbstoffe,<br />
die ins Grundwasser sickern, Plastikpartikel<br />
in den Weltmeeren.<br />
– weil am ehrlichsten –<br />
Eine Schätzung des globalen Eintrags von Plastikmüll<br />
in die Meere geht von 4,8 bis 12,7 Millionen<br />
Tonnen pro Jahr aus: pro Minute eine<br />
Lastwagenladung.Der „Vermüllung<br />
des Planeten“ entgegentreten<br />
und Plastik im Kreislauf<br />
zu halten ist ein Anliegen des<br />
Mainzer Unternehmers Reinhard Schneider. Ihm<br />
ist mit der seit 2012 tätigen Recyclat-Initative<br />
gerade ein „Recycling-Quantensprung“ geglückt,<br />
der Impulse für die gesamte Branche setzt.<br />
Allerdings, so stellt Schneider fest, sei Werner<br />
& Mertz immer noch so gut wie alleine bei der<br />
Nutzung von Recyclat aus dem Gelben Sack: „Die<br />
höheren Kosten von Recyclat im Vergleich zu<br />
Neuplastik schrecken nach wie vor viele Hersteller<br />
ab.“ (WN-Spezial, S. 30)<br />
„Recycling-<br />
Quantensprung“<br />
Unser Lebensstil produziert in vielen Bereichen<br />
unentwegt Abfall. „Erwerben, Besitzen und<br />
Gewinnmachen sind die geheiligten und unveräußerlichen<br />
Rechte des<br />
Individuums in der Industriegesellschaft“,<br />
schrieb 1976<br />
der Sozialpsychologe Erich<br />
Fromm in seinem populären gesellschaftskritischen<br />
Werk „Haben oder Sein“. Schon seit<br />
Menschengedenken ruft dieses „Haben oder<br />
Sein“ Kontroversen hervor. Die negativ wahrgenommene<br />
Steigerung des Habens ist Habgier.<br />
Sie steht im religiösen Kontext – mit dem ihr<br />
verwandten Geiz – an zweiter Stelle der Hauptlaster.<br />
Als positiv wird diese Steigerung auf<br />
Haben oder Sein