07.05.2021 Aufrufe

Fachbuchvorschau Evangelische Verlagsanstalt | Herbst 2021

Das theologische Fachbuchprogramm für den Herbst 2021 der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig.

Das theologische Fachbuchprogramm für den Herbst 2021 der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

EDITORIAL<br />

Menschwerdung Gottes statt<br />

Gottwerdung des Menschen<br />

Die Härte der Auseinandersetzung in der kürzlich hochgekochten Debatte um Suizidbeihilfe<br />

hängt am Schlüsselwort »Selbstbestimmung«. So auch Roderich Barth in seinem<br />

Zeitzeichenartikel »Paternalismus vs. Selbstbestimmung«. Wolfgang Huber und<br />

Peter Dabrock hatten zuvor einer Verabsolutierung des Selbstbestimmungsrechts<br />

widersprochen, worin Barth eine »Haltung gegenüber humaner Selbstbestimmung«<br />

sieht, die ein paternalistisches »Verständnis von Ethik und Politik« offenbare. Eine<br />

gerade in Coronazeiten sonderbare Einstellung, wenn man bedenkt, wie hoch auch<br />

bei Selbsttötung das Ansteckungsrisiko ist. Selbstverständlich gibt es im Einzelfall<br />

unabweisbare individuelle Gründe dafür – nicht aber den eines abstrakten Selbstbestimmungsrechts.<br />

Denn hier geht es nicht um die Leid mildernde Abkürzung eines<br />

begonnen habenden Sterbepro zesses, sondern darum, grundsätzlich jedem erwachsenen<br />

Menschen das »Recht« auf Selbsttötung zuzubilligen. Doch welcher Arzt<br />

oder Psychologe wird sich zutrauen wollen, einem an Depression oder auch bloßem<br />

Liebeskummer leidenden Menschen die »Berechtigung« seines Todeswunsches zu<br />

attestieren? Ist das die neue »Humanität«? Und was ist mit der Vielzahl sterbender<br />

Menschen, deren Leid nicht abgekürzt werden kann, weil sie nicht rechtzeitig vorgesorgt<br />

haben? Natürlich weiß ich, dass es hier kaum Auswege gibt, weil dann dem<br />

Missbrauch Tor und Tür geöffnet wäre. Hinzuweisen ist aber auf die Widersprüche<br />

eines verabsolutierten Selbstbestimmungsrechts, das so tut, als seien Menschen immer<br />

Herr ihrer selbst und Einzelgottheiten im Universum.<br />

Hinzu tritt die fatale Bestrebung, es der säkularisierten (Post-)Moderne recht zu<br />

machen, um nicht ausgestoßen zu werden. Verständlich. Doch das Fatale endet in<br />

Fatalismus: Möge doch jeder tun, was ihm beliebt, und nach seiner Fasson leben<br />

oder sterben. Was Christen zu sagen haben, wollen viele nicht mehr hören, also<br />

befreien wir uns von Glaubensinhalten und reden möglichst unbeschwert. Dagegen<br />

wendet sich im neuen Programm der EVA Ulrich H. J. Körtner in seinem Sachbuch<br />

»Wahres Leben. Christsein auf evangelisch« (vgl. S. 2). Christen sollten der Welt sagen,<br />

was nur Christen ihr sagen können. Selbstvergottung im Gewand von »Selbstbestimmung«<br />

gehört nicht dazu. Denn der Mensch kommt nur im Plural vor und kann<br />

schon darum nicht Gott, also keine wirklich singuläre Entität sein.<br />

Die Folge des Bestrebens, sich radikal selbst bestimmen zu wollen, überfordert<br />

auch »postmoderne« Menschen. Darum schließen sie sich zu identitär definierten<br />

Gruppen zusammen. Die extremen Vertreter dieser Gruppen negieren inzwischen in<br />

Abweisung überkommener Rationalität biologische, mathematische und kulturelle<br />

Gegebenheiten bzw. Übereinkünfte und versuchen selbsttätig neue, aber nur für sie<br />

sinnstiftende Mythen zu schaffen. Dabei wird vergessen, das zwar »alle Modellbegriffe<br />

menschlicher Existenz« mythisch sind, »weil sie über sich selbst hinausweisen«,<br />

darum aber auch »nicht einfach hergestellt werden können«, sondern auf »etwas Höheres<br />

verweisen, das sie erhoffen und zugleich voraussetzen«. Insofern stellen »Sinn,<br />

Mythos und Vernunft« keine »in sich abgeschlossenen Entitäten« oder Gegensätze<br />

dar, sondern »greifen ständig ineinander und sind aufeinander angewiesen, um die<br />

Vielfalt und Vielschichtigkeit der Wirklichkeit ... zu erfassen und ein tragfähiges,<br />

gesichertes Lebensgefühl zu ermöglichen«. Mehr zum Mythosbegriff und zu dem,<br />

was evangelische Theologie ist, findet sich in Udo Schnelles »Einführung in die<br />

evangelische Theologie«, mit der wir die <strong>Fachbuchvorschau</strong> eröffnen (vgl. S. 5).<br />

Vertrauen wir auf die Menschwerdung Gottes statt auf die Gottwerdung des Menschen!<br />

Annette Weidhas<br />

Programm- und Verlagsleiterin<br />

3

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!