streifzug - Gießener Allgemeine
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Bälle im BH<br />
Es waren die eigenen Eltern, die ihr Kind auf die schiefe Bahn brachten. Acht Jahre war<br />
Robin Hettrich damals gerade einmal alt. Mit Mama und Papa ging es zum Minigolf, die<br />
Bundesliga war in Wanne-Eickel zu Gast. Verzückt von der präzisen Kunst spähte der Junge<br />
zu den Bahngolf-Sportgrößen hinüber, und von da an ließ es ihn nicht mehr los.<br />
»Die Faszination ist, dass man jede Bahn auf kuriosestem Wege mit<br />
einem Schlag treffen kann«, sagt Hettrich über seine Leidenschaft.<br />
»Wenn man auf einer neuen Anlage ist, versucht man, es auf jeder Bahn bis<br />
zur Perfektion zu bringen.«<br />
Das hat nichts mehr von lustigen Familienaktivitäten: Rituale, Tricksereien, Psychokniffe<br />
– die Minigolf-Szene ist eine Welt für sich. »Leute, die mich nicht kennen, finden<br />
das eher witzig und lachen ein bisschen«, sagt der Junioren-Weltmeister. »Aber<br />
wenn ich erzähle, wie das so läuft, finden sie das ganz interessant. Es ist ja auch cool,<br />
eher etwas Ausgefallenes.« Besonders heiß geht es in der kalten Jahreszeit zu. Bewaffnet<br />
mit wintertauglicher Spezialausrüstung kämpft sich die Minigolf-Elite von Loch zu Loch.<br />
»Ich wärme die Spielbälle in zusätzlichen Socken in meiner Hose. Sie verändern dann ihre<br />
Eigenschaften, werden weicher und bleiben sofort liegen«, erklärt Hettrich das merkwürdige<br />
Treiben. »Im Winter muss man jeden Ball warm machen. Da beginnt dann die Sucherei, da<br />
steht man an der Bahn und sucht fünf Minuten lang Bälle – und erwischt immer den falschen.«<br />
Mit seinem ungewöhnlichen Prozedere ist der 18-Jährige in der Szene kein Sonderling. Weibliche<br />
Minigolferinnen greifen noch tiefer in die Trickkiste und fischen in ihren BHs nach dem Ob-<br />
jekt der Begierde. »Da gibt es viele Kniffe«, sagt Hettrich. Weniger ausgefallen geht es im Sommer<br />
zu, wenn die Bälle zu warm werden. Die Spieler schleppen dann Kühltaschen von Loch zu Loch.<br />
In Deutschland spielen 11 000 organisierte Mitglieder in 300 Vereinen von der Kreisklasse bis zur<br />
Bundesliga ihre Meister aus. Weltweit gibt es 40 nationale Verbände. Der internationale Spielbetrieb<br />
reicht vom Europacup der Landesmeister bis hin zu Europa- und Weltmeisterschaften. Der Kreis Gießen<br />
gilt in Sachen Vereinsminigolf aber bisher als unbeschriebenes Blatt. Organisiert ist man erst<br />
wieder in Wetzlar oder Aßlar. Im Freizeitbereich sollen pro Jahr rund 20 Millionen Spieler ihre Bälle<br />
durch die Bahnen jagen. Doch auch hier sieht es rund um Gießen zurzeit nicht so rosig aus:<br />
»Die Zahlen sind rückläufig«, lässt sich in Pohlheim erfahren, auf einem von sieben Anlagen in<br />
der Gegend.<br />
Für Profis ist ohnehin klar, dass die Freizeitaktivität mit dem Profisport wenig zu tun hat:<br />
Mit der Standardware vom Freibad-Kiosk können Anfänger nicht mithalten. »Damit<br />
das Gleiche herauszuholen, geht nicht», sagt Hettrich. »Die Bälle, die man auf den<br />
Anlagen kriegt, haben Noppen und bleiben liegen. Die sind hart, da wird nur<br />
draufgekloppt.« Doch um das Spielgeschehen zu beeinflussen, beschränken<br />
sich die Cracks nicht nur auf Feintuning des Materials. »Ich versuche, die<br />
Psychologie des anderen anzugreifen, dem Gegner die Lust zu nehmen«,<br />
erzählt Hettrich. »Wenn mir ein guter Schlag gelungen ist, schreie ich ihm<br />
auch mal ins Gesicht.« Das gilt besonders für Duelle gegen Schweden,<br />
den Erzrivalen der deutschen Minigolfer. »Die sind arrogant«, sagt<br />
Hettrich. »Abseits des Platzes sind sie ganz okay, aber auf dem<br />
Platz sind das Schweine.« Minigolf ein Gentlemen’s Sport? »Bei<br />
mir nicht«, sagt Hettrich. Um im teils stundenlangen Psychokrieg<br />
auf der Bahn die Oberhand zu behalten, setzte das<br />
deutsche Team zuletzt auf die Hilfe von Psychologen.<br />
»Das hat einen großen Wert«, sagt Hettrich. »Es hat<br />
etwas gebracht, wenn man abends noch Entspannungsübungen<br />
machen kann.« Damit die Tricksereien<br />
den legalen Rahmen nicht sprengen,<br />
unterliegt auch das Minigolf den Anti-Doping-<br />
Richtlinien. »Bei Wettkämpfen kommt nach<br />
der letzten Bahn jemand von der NADA<br />
oder WADA, bleibt auf Schritt und Tritt<br />
44 <strong>streifzug</strong> 7/2011<br />
hinter dir,<br />
verfolgt<br />
dich, bis du<br />
alles unterschrieben<br />
hast. Und<br />
dann geht’s ab auf<br />
die Toilette«, sagt Hettrich.<br />
Die Gefahr eines<br />
dopingverseuchten Minigolf-Sports<br />
hält der Youngster<br />
aus Herne aber für gering. sid<br />
Minigolfplätze in der Region<br />
Laubach: Andree Allee 14. Telefon<br />
06405/5016 56. Öffnungszeiten: nur nach<br />
vorheriger Anmeldung. Preise: Kinder:<br />
1,50 Euro; Jugendliche und Studenten: 2,50 Euro;<br />
Erwachsene: 3,50 Euro.<br />
Rabenau-Londorf: Gaststätte »Burggarten«. <strong>Gießener</strong><br />
Straße. Öffnungszeiten: Mo.–Di. und Do.–Fr.<br />
16–21 Uhr, Sa. 15–21 Uhr, So. 14–21 Uhr. Preise: Kinder<br />
2 Euro. Erwachsene 2,50 Euro.<br />
Pohlheim-W.-Steinberg: Am Schwimmbad 23. Telefon<br />
01 73/771 6611. Öffnungszeiten: Do.–Mo. 16–20 Uhr. Preise:<br />
Kinder: 1Euro, Erwachsene 2Euro.<br />
Hüttenberg-Hochelheim: Gaststätte »Kunstmühle«. Kunstmühle 1.<br />
Telefon 06403/2435. Öffnungszeiten: Di.–Sa. 15–24 Uhr; So.:<br />
12–24 Uhr, Mo. Ruhetag. Preise: Kinder: 1,50 Euro; Erwachsene 2Euro<br />
Wettenberg: Wißmarer See. Telefon 06406/75697. Öffnungszeiten:<br />
Mo.–So. 11–18 Uhr. Preise: 1,50 Euro. – Freibad Gleiberger Land: Rodheimer<br />
Straße. 35435 Krofdorf-Gleiberg. 0641/82745. Öffnungszeiten: Mo.–So.<br />
9–20 Uhr. Preise: 1,50 Euro + 3Euro für Schwimmbad.<br />
Gießen: Am Freibad an der Ringallee. Gutfleischstraße 24. 35390 Gießen. Telefon<br />
0641/37742. Öffnungszeiten: Mo.–So. 13–19 Uhr. Preise: 2Euro, Kinder bis 12 Jahre<br />
frei.