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moneyeditorial<br />

EDITORIAL<br />

Über Afghanistan<br />

und Absurdistan<br />

Im Internet kursiert derzeit ein Witz: „Wir haben die Lage<br />

falsch eingeschätzt!“, wird dort die Bundesregierung zitiert.<br />

Die User fragen: „Welche? Corona? Flüchtlingskrise?<br />

Wirecard? Flutkatastrophe oder Afghanistan?“<br />

Tatsächlich fragt man sich, was die Damen und Herren in<br />

den mit Experten wohlgefüllten Berliner Ministerien eigentlich<br />

den ganzen Tag so treiben. Immer wenn etwas Außergewöhnliches<br />

geschieht, werden sie davon völlig überrascht.<br />

Und vor allem sieht man dann, dass niemand auch mal vorsichtshalber<br />

vorgedacht oder einen Plan gemacht hat.<br />

So war es 2015 mit den Flüchtlingen, die plötzlich und unerwartet<br />

an den Landesgrenzen auftauchten. So war es in der<br />

Energiepolitik praktisch seit über einem Jahrzehnt immer.<br />

Mal rein in die Atomkraftwerke, mal raus, den Ausbau Erneuerbarer<br />

forcieren, dann wieder einschlafen lassen. Irgendwann<br />

wird es in Bälde den ab September Regierenden<br />

wie Schuppen von den Augen fallen, dass es schön wäre, Solarstrom<br />

auch für die Nacht zu speichern. Oder Windstrom<br />

für Zeiten, in denen der Wind mal nicht so stark weht. Man<br />

könnte weitere Beispiele finden.<br />

Das spektakulärste, weil alle die Bilder vor Augen haben:<br />

Afghanistan. Zwei Jahrzehnte lang sitzen da nun deutsche<br />

Experten vor Ort und niemandem fällt auf, dass die westlich<br />

ausgebildete und mit Waffen ausgestattete Armee nun mal<br />

aus Afghanen besteht. Und die arrangieren sich miteinander<br />

halt am Hindukusch, anders, als es Außenminister Heiko<br />

Maas so vorschwebt.<br />

Für den früheren Kommandeur des Allied Joint Force Command<br />

der Nato, Bundeswehrgeneral a. D. Egon Ramms, ist<br />

die Lage klar: „Es sieht so aus, als hätte es zwischen der Armeeführung<br />

und den Taliban Absprachen gegeben. Ich kann<br />

mir einfach nicht vorstellen, dass 300 000 Soldaten und Polizisten<br />

schlicht und einfach ihre Waffen niederlegen, wenn<br />

die Taliban kommen. Bezeichnend dafür ist auch die Tatsache,<br />

dass Präsident Aschraf Ghani ja schon sehr frühzeitig<br />

sein Land verlassen hat.“<br />

Und nun wird klar: Es gibt offenbar in den Schubladen von<br />

Außen- und Verteidigungsministerium noch nicht einmal<br />

eine schnell umzusetzende Idee für die Evakuierung des Botschaftspersonals.<br />

Schon gar keine, wie man die jahrelangen<br />

Helfer der Deutschen vor den nicht gerade als zartfühlend<br />

bekannten Taliban in Sicherheit bringen kann. „Das XXL-<br />

Versagen von Kabul“, titelt denn auch die „Bild“-Zeitung und<br />

fragt sich wie so viele, warum das Außenministerium nicht<br />

auf seine eigenen Botschaftsangehörigen gehört hat, die<br />

wohl seit Wochen vor der Entwicklung gewarnt hatten.<br />

FRANK PÖPSEL<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

FOCUS-MONEY<br />

Einzig SPD-Allesexperte Karl Lauterbach hat zur Entspannung<br />

der Lage in Afghanistan einen Rat parat. „Der Impfstoff<br />

(in Deutschland, Anm. der Red.) verfällt. Hier brauchen wir<br />

eine schnelle unbürokratische Lösung. Der Impfstoff könnten<br />

z. B. nach Afghanistan weitergegeben werden. Dort liegt<br />

die Impfquote bei zwei Prozent“, twittert der Politiker doch<br />

tatsächlich am selben Tag, an dem die Evakuierungsmaßnahmen<br />

anlaufen. „Haben die Taliban bestimmt Bock drauf!<br />

Bomben Idee!“, retweetet ein Follower und ein anderer fragt<br />

sich, „ob das ein Satire Kanal ist“.<br />

Dumm nur: Der afghanische Sender Shamshad vermeldete<br />

schon Tage vorher, dass die Taliban in der afghanischen<br />

Provinz Paktia bereits ein Verbot von Corona-Impfungen<br />

verkündet haben. Aber Lauterbach könnte auch hier Überzeugungsarbeit<br />

leisten: „Warum nicht gleich Lauterbach als<br />

erfahrenen Impfarzt in den Airbus setzen“, witzelt ein Kommentator<br />

im Netz. „Als Dreingabe liegt im Flieger bereits ein<br />

schöner Turban bereit und schwups: Am Kabuler Flughafen<br />

steigt Abu Al-Vakzini von der Gangway.“<br />

Es wird einem wirklich angst und bange, wenn man sich<br />

– fiktiv – ausdenkt, wie die Politiker*innen und ihre Behörden,<br />

die sich ansonsten in Gleichstellung und Gendersternchen<br />

bestens auskennen, auf eine ernste Bedrohung wie einen<br />

Angriff Russlands reagieren würden.<br />

Um Deutschland vor russischer Spionage zu schützen,<br />

würde eine rot-rot-grüne Regierung, die derzeit laut Umfragen<br />

möglich erscheint, vermutlich erst einmal das Alphabet<br />

neu und gendergerecht umbenennen (Vorsicht: Dieser Absatz<br />

ist Satire).<br />

Tatsächlich schlägt das Institut für Normung (DIN) vor<br />

(dieser Absatz ist wahr): Ab Mitte 2022 sollen Buchstaben<br />

mit Städtenamen statt wie bisher mit Vornamen (Anton,<br />

Berta, Cäsar, Dora) veranschaulicht werden. Hintergrund:<br />

In der seit 1890 gebräuchlichen „Buchstabiertafel“ werden<br />

16 männliche, aber nur sechs weibliche Vornamen verwendet.<br />

Da es jedoch unmöglich sei, „alle relevanten ethnischen<br />

und religiösen Gruppen geschlechtergerecht ausgewogen“<br />

darzustellen, müsse eine gendergerechte Lösung gefunden<br />

werden.<br />

Nein, wir leben nicht in Afghanistan. Wir leben in Absurdistan!<br />

Ihr<br />

FOCUS-MONEY <strong>35</strong>/<strong>2021</strong><br />

Foto: D. Gust/FOCUS-MONEY Composing: FOCUS-MONEY 3

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