Gemeindebote September - Dezember 2021
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gemeinsam evangelisch
„(Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.)
Gott helfe mir!“
Luthers Auftritt vor dem Reichstag
zu Worms 1521 und seine Folgen
von DDr. Erwin Schranz
Vor 500 Jahren stand ein 38-jähriger
Mönch am Reichstag zu Worms
allein vor Kaiser und Fürsten und sah
sich ungeheurem psychischen Druck
ausgesetzt: Unterwerfung oder Befolgung
des eigenen Gewissens? Dieser
18. April 1521 war nicht nur ein
Schicksalstag für Martin Luther und
die beginnende Reformation, sondern
auch ein sichtbarer Wendepunkt
im abendländischen Denken. Er wird
sogar als symbolhafte Geburtsstunde
für die kritische Zivilgesellschaft
bezeichnet.
Der denkwürdige
Auftritt Luthers,
dessen Anreise nach
Worms vielerorts
wie ein Triumphzug
ablief, hätte auch
sein letzter sein können.
Gut 100 Jahre
davor hatte Johannes
Hus in Konstanz trotz zugesichertem
freien Geleit des Kaisers sein
Leben in den Flammen des Scheiterhaufens
lassen müssen. Im aktuellen
Fall sollte das Wort des merklich
verstimmten Kaisers aber Geltung
Foto: wikipedia
behalten – schließlich hatte Luther
auch schon unter den Kurfürsten Befürworter.
Der von Luther ersehnte Disput
am Reichstag fand nicht wirklich
statt. Der 21-jährige „allergnädigste
Kaiser“ sprach gar nicht direkt mit
Luther, sondern nur über Mittelsmänner
und erwartete einzig und allein
Luthers Widerruf seiner bisherigen
Schriften, die aufgereiht auf den Seitentischen
lagen und zu denen sich
Luther ausdrücklich bekannte. Luther
verweigerte also eine Unterwerfung,
betonte, dass auch Papst und Konzile
irren könnten und anerkannte nur die
Heilige Schrift und Gott als einzige
Autoritäten, allein den „Zeugnissen
der Schrift oder offenbaren Vernunftgründen“
wolle er sich besiegt geben.
Die Bedeutung von Luthers historischem
Auftritt liegt in der den
Anlassfall übersteigenden Symbolik
und Wirkkraft und führt zu zeitlosen
Fragen: Was ist mein Gewissen wert?
Welche Rolle spielen Kirche und Autoritäten?
Wieweit ist Widerstand
gegen die Mächtigen erlaubt oder
gar geboten?