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Credit Suisse bulletin, 2010/04
Credit Suisse bulletin, 2010/04
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Marketing <strong>Konsum</strong> 15<br />
Foto: Marc Wetli<br />
nannte man es virales Marketing, und dazwischen gab es noch<br />
Second Life. Es gibt immer kürzere Hype-Zyklen.<br />
Können Sie das etwas veranschaulichen?<br />
Etwas salopp ausgedrückt, wird heute jede Woche eine neue Idee<br />
durch die Chefetagen der Unternehmen getrieben. Eigentlich ist die<br />
Diskussion, die momentan rund um die Social Media geführt wird,<br />
immer noch die gleiche wie vor ein paar Jahren, als man sich gefragt<br />
hat, was uns das Internet eigentlich bringe. 76 Prozent aller Schweizer<br />
haben täglich mehrmals Zugang zum Internet. Damit ist es ganz klar<br />
ein Massenmedium. Gleichzeitig wird die Unter scheidung zwischen<br />
Online- und Offl ine-Welt immer kleiner. Zu sagen, da ist jetzt eine<br />
neue virtuelle Welt, ist doch gar nicht mehr der Punkt. Das Internet<br />
wird immer mehr Teil unseres Alltags. Dieser Prozess ist schleichend.<br />
Es wird also nicht plötzlich eine virtuelle Revolution geben.<br />
Wie sollen die Unternehmen damit umgehen?<br />
Ich denke, das Wichtigste ist, dass man Dinge ausprobiert. Damit<br />
man weiss, was sich in den neuen Medien tut. Nur so lassen sich<br />
konkret Erfah rungen sammeln. Wir arbeiten mit unserem Institut<br />
schon lange mit BMW zusammen. Als vor vier Jahren alle Welt über<br />
Second Life redete, gehörte BMW zu den ersten Unternehmen, die<br />
sich aktiv in Second Life engagierten. Auf der Höhe des Hypes ist<br />
BMW wieder ausgestiegen, weil sie gesagt haben: Das haben wir<br />
jetzt verstanden.<br />
Und was hat BMW in Second Life gemacht – Autos verkauft ?<br />
Überhaupt nicht. Besonders beliebt war ein Sitzungszimmer von<br />
BMW, das man mieten konnte. Aufgrund dieser Erfahrungen war es<br />
für BMW aber leichter zu erahnen und zu verstehen, was als Nächstes<br />
kommt. Zu versuchen, aus dem Nichts heraus auf einem weissen<br />
Papier eine Strategie zu definieren, das bringt nichts.<br />
Was passiert mit der ganz normalen Werbung wie zum Beispiel<br />
einem Inserat im <strong>bull</strong>etin?<br />
Ich denke, die wird teilweise bleiben. Gut gemachte Printwerbung<br />
ist ein Statement von Qualität. Wenn es mit der Zielgruppe übereinstimmt,<br />
dann wird das auch in Zukunft noch sinnvoll sein. Ich bin<br />
ganz generell der festen Überzeugung, dass trotz der Einführung<br />
von neuen Medien nichts verschwindet. Wir hören heute noch Radio,<br />
in den meisten Büros stehen auch noch Faxgeräte rum. Die Verbreitung<br />
der neuen Medien findet statt, aber sie ersetzen keine alten.<br />
Dadurch wird gleich viel Budget in immer mehr Töpfe verteilt. Und<br />
die Frage ist, wie mache ich das am besten. Gleichzeitig herrscht<br />
die Überzeugung vor, dass etwas anders gemacht werden müsste.<br />
Was sind die Auswirkungen der neuen Medien auf<br />
die Medienlandschaft ?<br />
Natürlich gibt es dadurch einen stärkeren Wettbewerb. Doch das ist<br />
nicht per se schlecht, sondern birgt auch Chancen. So hat zum Beispiel<br />
in Deutschland der Axel Springer Verlag im ersten Quartal 20<strong>10</strong><br />
das beste Ergebnis seiner Geschichte geschrieben. Ihm ist es gelungen,<br />
alte und neue Medien so zu verknüpfen, dass regionale Themen<br />
stärker betont werden. Insbesondere in den USA haben einige<br />
Zeitungen vorgemacht, wie man als Regionalzeitung mit seinen Nachrichten<br />
noch lokaler werden und sich so erfolgreich behaupten kann.<br />
Für die globalen News brauche ich keine Zeitungen mehr.<br />
Und wo kommt das iPad rein? Haben Sie selber schon eins?<br />
Nein, bis jetzt noch nicht. Dafür hab ich meiner Mutter eins zum<br />
70. Geburtstag gekauft. Seitdem nutzt sie das Internet viel stärker<br />
als mit einem normalen Computer. Ich bin überzeugt, dass der Nutzen<br />
des iPad zurzeit noch völlig falsch eingeschätzt wird. Das ist ein<br />
Gerät, das sich im Moment noch den Markt sucht. Ähnlich wie damals<br />
der iPod, wird es eine völlig andere Kundengruppe erschliessen. Der<br />
iPod kam in einen Markt reingefahren, der entweder nicht mehr da<br />
war oder auf einmal wieder attraktiv wurde, weil das Gerät neue<br />
Möglichkeiten bot. Auch das iPad sucht sich noch seinen Nutzungsbereich.<br />
Es ist das erste Gerät, mit dem das Internet passiv benutzt<br />
wird. Ich kann keine Inhalte aktiv ins Netz stellen. Es wird als passive<br />
Plattform genutzt, über die ich mich informieren kann. Damit<br />
wird es völlig neue Anwendungen erschliessen. Ich gehe davon aus,<br />
dass es für viele ein Drittgerät zwischen dem Laptop und dem Smartphone<br />
sein wird. Ganz generell glaube ich, dass sich all die Leute,<br />
die sich ein iPad gekauft haben, gerade selber überlegen, wie sie<br />
es genau nutzen sollen. Vermutlich wird es sich zwischen Buch,<br />
Zeitung und Computer etablieren. Da hat es durchaus eine Existenzberechtigung<br />
und somit einen Markt.<br />
Wie ändert sich das Berufsbild des Marketingexperten?<br />
Er muss sich mehr Wissen rund um die neuen Technologien aneignen.<br />
Ich bin überzeugt, viele Marketingleute wissen noch immer nicht,<br />
wie Google eigentlich funktioniert. Viele behaupten, sie verstünden<br />
Twitter. Ich glaube, Twitter selbst kennt sein eigenes Geschäftsmodell<br />
noch nicht. Da gibt es noch viel Entwicklungsbedarf. <<br />
Marcus Schögel ist Professor am Institute of Marketing<br />
an der Universität St. Gallen. Sein Forschungsgebiet<br />
umfasst strategisches Marketing, Distributionsmanagement,<br />
Kooperationen im Marketing und<br />
Umgang mit Trends im Marketing. Schögel ist 43 Jahre<br />
alt und studierte Betriebswirtschaft an der Freien<br />
Universität Berlin. 1997 promovierte er an der Universität<br />
St. Gallen zum Thema «Mehrkanalsysteme in<br />
der Distribution». Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift<br />
«Thexis» und Mitglied des Editorial Board des<br />
Journal of Organizational Virtualness.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 4/<strong>10</strong>