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Credit Suisse bulletin, 2010/04
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Ohne Geld <strong>Konsum</strong> 17<br />
BUS<br />
TICKET<br />
schen gegenübersteht, die diese Leistungen erbringen können –<br />
sei es, weil sie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten haben, um damit<br />
den gesamtgesellschaftlichen «Cashflow» aufrechtzuerhalten, oder<br />
weil das Zusammenleben in Form von Sippe oder Klan nicht mehr<br />
länger existiert.<br />
Versicherungen übernehmen wohl die notwendigsten Pflegeleistungen,<br />
aber keines dieser Unternehmen würde den Faktor Zeit als<br />
schlagendes Verkaufsargument ins Feld führen. In diesem Spannungsfeld<br />
von Wunsch und Wirklichkeit operiert der pensionierte<br />
Jurist Tsutomu Hotta. Hotta begründete vor 15 Jahren die Sawayaka-Stiftung,<br />
die den «Fureai Kippu» ins Leben gerufen hat. Mittlerweile<br />
arbeiten rund hundert örtliche Dienste in Japan mit der alternativen<br />
Pflegewährung. Sie bieten, was die professionell Pflegenden<br />
nur begrenzt im Angebot haben: Zeithaben, Dasein, Zuhören.<br />
Clever ist die Idee der alternativen Pflegewährung zum einen, weil<br />
ältere Menschen nicht aufgrund üblicher Alterserscheinungen gleich<br />
eine Pflegeeinrichtung beanspruchen müssen – was volkswirtschaftlich<br />
nicht unwesentlich ist – und sie zum anderen ihren Lebensabend<br />
unabhängig und in Würde in ihrer gewohnten Umgebung verbringen<br />
können, auch wenn sie nicht über die Mittel für altersgerechtes<br />
Wohnen verfügen. Als zusätzliches Plus verbindet der «Fureai Kippu»<br />
Menschen verschiedener Generationen, stärkt das Gemeinschaftsgefühl<br />
und sensibilisiert für das Verhältnis zwischen Geben und<br />
Nehmen, dem Tausch – der Mutter aller Handelsbeziehungen von<br />
Mensch zu Mensch.<br />
Wie aus Muscheln Münzen wurden<br />
Geld, im Sinne einer Landeswährung, ist eine relativ neue Errungenschaft.<br />
Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, und damit im Zuge<br />
der Bildung von Nationen, wurden Währungen erfunden, die den<br />
Charakter und die Identität der Nation zu unterstreichen hatten.<br />
Geld im Sinne einer Masseinheit – um den Verhältniswert zwischen<br />
Geben und Nehmen einer Ware oder einer Dienstleistung auszudrücken<br />
– setzten bereits die Chinesen vor rund 3500 Jahren ein.<br />
In der Regel handelte es sich dabei um Kaurimuscheln, Perlen oder<br />
Steine. Tausend Jahre später erfand König Krösus Geld in Form von<br />
Münzen. Der einstige Herrscher Kleinasiens, der heutigen Türkei,<br />
liess das aus dem Fluss Paktos gewonnene Gold zu Münzen prägen<br />
und versah diese mit seinem Siegel, einem Stier und einem Löwen.<br />
Krösus beabsichtigte damit, seinen Reichtum zu demonstrieren,<br />
um bei anderen Herrschern entsprechend Eindruck zu schinden.<br />
Die Macht, die von Geld ausgeht, ist von jeher nicht nur in der vorhandenen<br />
Menge zu verorten, sondern gleichsam in seiner Erscheinung<br />
und Gestaltung. Zeitgleich mit Krösus initiierten die Ägypter<br />
das erste duale Währungssystem. Fernhandelsbeziehungen pflegten<br />
sie mit Gold und anderen Edelmetallen. Lokale Geschäfte wurden<br />
mit Weizen getätigt, denn Weizen ist leicht verderblich und daher<br />
für längere Schiffsreisen ungeeignet – Gold dafür wertbeständig.<br />
Zusätzlich wurde der lokale Handel um eine weitere Innovation ergänzt.<br />
Um die Haltbarkeit des Weizens zu erhöhen, wurde er in kühlen<br />
Speichern eingelagert. Der Nachweis des Besitzes wurde mittels<br />
Tonscherben erbracht. Diese Tonscherben standen stellvertretend<br />
für den Weizen als lokale Währung. Das Wechselspiel von Gold und<br />
Ton, beziehungsweise Weizen, veranschaulicht, wie bestechend die<br />
Idee der sich ergänzenden Währung ist.<br />
Da Geld lediglich die Vereinbarung einer Gesellschaft ist, etwas<br />
als Tauschmittel zu verwenden, muss es sich nicht zwingend um eine<br />
Münze oder eine Note handeln. Geld drückt also eine Beziehung<br />
zwischen Menschen aus. Es hat normativen Charakter und formt<br />
so unsere Kultur. Geld in Form von Papier oder Metall mag zwar<br />
den Welthandel regeln; der Ausdruck der «harten» Währung unterstreicht<br />
dies zusätzlich. Wie aber lassen sich Dinge regeln, die sich<br />
aus der Tatsache ergeben, dass sich der Mensch – in seinem Tun<br />
und Lassen – nicht alleine auf Nachfrage und Angebot reduzieren ><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 4/<strong>10</strong>