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EDUCATION 4.21

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Thema | Dossier<br />

Wie gefällt dir meine Zeichnung? Wie findest du meinen Bericht<br />

vom letzten Ausflug? Dieses Spiegeln von eigenen Arbeiten hat<br />

für Schülerinnen und Schüler einen besonderen Reiz. 80 Prozent<br />

aller Feedbacks, die Schülerinnen und Schüler erhalten, stammen<br />

von ihren Klassenkolleginnen und -kollegen. 1 Dies ist wenig erstaunlich,<br />

denn Kinder und Jugendliche wollen wissen, welche<br />

Reaktionen ihre Texte, Präsentationen oder Lösungswege bei<br />

ihren «Gschpänli» hervorrufen. Dabei entdecken sie andere<br />

Varianten, erkennen neue Ansätze, die ihnen bereichernde Impulse<br />

vermitteln können. Vielleicht halten diese täglichen Rückmeldungen<br />

der Mitschülerinnen und Schüler nicht immer einer<br />

fachlichen Prüfung stand, aber sie sind Teil einer zwischenmenschlichen<br />

emotionalen Anteilnahme.<br />

Vielfältiger Gewinn<br />

Unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten sind von Natur aus beschränkt.<br />

Wie können wir die Wirkung eines Vortrags am besten<br />

erkennen? Es gibt Tausende von Blickwinkeln oder Lesearten,<br />

wie wir eine Aussage wahrnehmen und interpretieren können.<br />

Um dieses Potenzial abzurufen, ist es sinnvoll, das Instrument<br />

Feedback gezielt zu nutzen. Was denken die Schülerinnen und<br />

Schüler, wenn ich das Thema auf diese Weise einführe? Was<br />

lernen sie dabei? Fragen dieser Art führen zu einer verstärkten<br />

Orientierung an der Wahrnehmung der Schülerin, des Schülers.<br />

Aber nicht nur: Feedbacks können ebenfalls ein Gewinn für den<br />

Unterricht, für mich selbst oder für die Schule sein. Eine wichtige<br />

Voraussetzung dafür ist, dass wir anderen Sichtweisen gegenüber<br />

aufgeschlossen sind und Schülerinnen und Schüler in ihren<br />

Haltungen ernst nehmen.<br />

Lehren und Lernen sind sehr stark mit den Beziehungen verknüpft,<br />

die Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler miteinander<br />

verbinden. Ihre Motivation gewinnen sie zu einem grossen Teil<br />

aus der lernfördernden Atmosphäre und den wertschätzenden<br />

Gesprächen, die sie im Schulumfeld erfahren oder führen. Im<br />

Fernunterricht, wie wir ihn im Frühjahr 2020 erlebten, fehlten diese<br />

motivierenden Faktoren. Ein Fazit aus dem damaligen Lockdown<br />

ist, dass der Fernunterricht den Präsenzunterricht nicht vollständig<br />

ersetzen kann. Schülerinnen und Schüler arbeiten im<br />

«Distant Learning» selbstständig nach Wochenplänen und Vorgaben,<br />

aber Lehrpersonen müssen sie begleiten, indem sie<br />

wöchentliche Videokonferenzen durchführen und persönliche,<br />

förderorientierte Rückmeldungen geben. 2<br />

Was macht ein gutes Feedback aus?<br />

Ein gutes Feedback zeigt die Lücke zwischen dem Ort auf, wo<br />

die Schülerin, der Schüler gegenwärtig steht (Ist-Zustand), und<br />

jenem, wo er oder sie sein sollte (Soll-Zustand). 3 Was kann sie<br />

oder er und was sollte sie oder er können? Mit ihrem Feedback<br />

kann die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern einen Impuls<br />

geben, diese Diskrepanz zu überwinden. Sie kann ihnen Verständnis-<br />

oder Transferfragen stellen, Denkanstösse, Anregungen<br />

geben oder die Motivation und das Engagement ansprechen.<br />

Es reicht jedoch nicht, sich auf ein Falsch oder ein Richtig zu beschränken.<br />

Ein wirksames Feedback enthält Informationen zum<br />

Warum und zu möglichen Massnahmen, die zur Zielerreichung<br />

führen. 4 Schülerinnen und Schüler erhalten damit eine Rückmeldung,<br />

wie sie ihre Lösungsstrategie verbessern können. Vielleicht<br />

gibt es einen alternativen Lösungsweg oder ein einfaches<br />

Vorgehen, eigene Fehler zu eruieren und daraus zu lernen. Die<br />

wichtigste Botschaft in Feedbacks muss fokussiert, konkret und<br />

eindeutig sein.<br />

Der australische Bildungsforscher John Hattie hat dabei ein hilfreiches<br />

Modell für gute Feedbacks entwickelt. Ein Feedback ist<br />

dann effektiv, wenn Antworten auf folgende drei Fragen gegeben<br />

werden können: 5<br />

– Feed up: Wohin gehst du? Diese Frage beinhaltet Antworten<br />

auf die Lernabsichten und Lernziele. Wenn die Ziele klar<br />

sind, erkennen die Schülerinnen und Schüler den Weg und<br />

die Massnahmen bis dorthin.<br />

– Feed back: Wie kommst du voran? Antworten auf diese<br />

Frage betreffen den Ist-Zustand. Sie zeigen die erzielten Fortschritte<br />

im Hinblick auf das angestrebte Ziel.<br />

– Feed forward: Wohin geht es als Nächstes?<br />

Wenn keine Fortschritte sichtbar sind, sollen alternative<br />

Strategien weiterhelfen.<br />

Der Sinn von Feedbacks besteht darin, die Schülerinnen und<br />

Schüler kontinuierlich auf dem Weg des Lernens – also in ihrem<br />

Arbeitsprozess – zu unterstützen. 6 Wichtig ist, dass sie Hinweise<br />

erhalten, wie sie ihre Arbeiten selbst wirksamer steuern oder kontrollieren<br />

können.<br />

«Ein wirksames Feedback enthält<br />

Informationen zum Warum und zu<br />

möglichen zielführenden Massnahmen.»<br />

Klaus Zierer<br />

Besser scheitern<br />

Lobende Worte sind für das Wohlbefinden und das Vertrauen in<br />

der Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern essenziell. In<br />

diesem Sinn sind sie ein Zeichen der persönlichen Wertschätzung,<br />

aber als Feedback zu einer gestellten Aufgabe sind sie<br />

meist wenig sinnvoll, weil sie keine lernbezogenen Informationen<br />

enthalten. 7 Ein lobendes Feedback wie «Das hast du gut gemacht!»<br />

hilft den Schülerinnen und Schülern kaum weiter, vielmehr<br />

trägt es laut Bildungsforscher Hattie dazu bei, «die Mitteilung<br />

zu verwässern». 8 Nichtsdestotrotz muss ein Lehrerfeedback von<br />

einem ermutigenden Grundton getragen sein, der mithilft, den<br />

inneren Antrieb zu stärken. Klar ist: Wer ein konstruktives Feedback<br />

erhalten hat, erbringt mit seinen Arbeitsleistungen bessere<br />

Ergebnisse und weist eine höhere Arbeitszufriedenheit auf.<br />

Fehler sind in einem Feedback direkt anzusprechen, aber sie<br />

sind keine Peinlichkeiten oder Zeichen des Versagens, sondern<br />

bieten Lerngelegenheiten, unvollständiges Wissen und Können<br />

zu vertiefen. 9 Wenn sich diese Haltung in einer Klasse als Standard<br />

etabliert hat, kann ein offeneres Lernklima entstehen. Und<br />

sie kann dazu führen, die Angst vor Fehlern und negativen Reaktionen<br />

der Mitschülerinnen und -schülern abzubauen. Es handelt<br />

sich dabei um eine Geisteshaltung, die im Scheitern oder in<br />

einem Fehler primär eine positive Chance sieht, etwas sorgfältig<br />

zu analysieren und dann zu verändern. So wie dies der Basketballspieler<br />

Michael Jordan und insbesondere der Tennisspieler<br />

Stan Wawrinka als Lebensphilosophie gewählt haben: «Immer<br />

versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere<br />

wieder. Scheitere besser.» 10<br />

12 <strong>EDUCATION</strong> <strong>4.21</strong>

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