10. August 2021
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>10.</strong> <strong>August</strong> <strong>2021</strong><br />
AUS DER BÜMPLIZER VERGANGENHEIT – HEITERE GESCHICHTEN VON MAX WERREN<br />
Ein Bümplizer Baumeister<br />
und der Duce<br />
Der 9-jährige Benjamin Clivio aus<br />
Italien reiste nach dem Tod<br />
seiner Mutter zusammen mit<br />
seinem Vater in die Schweiz, wo<br />
die beiden ihren Verdienst auf<br />
Bauplätzen fanden.<br />
Während der Vater als Maurer arbeitete,<br />
fertigte ihm der kleine<br />
Benjamin als sogenannter Pflasterbub<br />
den Nachschub an Mörtel.<br />
In seiner späteren langen und erfolgreichen<br />
Karriere beschäftigte<br />
er unter anderen auch einen zukünftigen<br />
italienischen Diktator.<br />
Fleiss und Genügsamkeit<br />
Über die Jugend des aufgeweckten<br />
Knaben mit Jahrgang 1872 ist wenig<br />
bekannt. Vermutlich hat sein<br />
Vater wieder geheiratet und so seinem<br />
Buben ein neues Elternhaus<br />
und eine Schulbildung in Bern ermöglicht.<br />
Nach dem Schulaustritt<br />
ergriff der Jüngling den Beruf seines<br />
Vaters und brachte es in kurzer<br />
Zeit zum Vorarbeiter. In dieser<br />
Funktion arbeitete er erfolgreich<br />
bei verschiedenen städtischen<br />
Baumeistern, so zum Beispiel<br />
auch beim Bau der Eisenbahnlinie<br />
Bern-Neuenburg.<br />
Mit dem Ziel eines eigenen Unternehmens,<br />
legte er regelmässig einen<br />
Teil seines Lohns auf die hohe<br />
Kante. Gleichzeitig bildete er sich<br />
auf dem Gebiet des Hochbaus weiter.<br />
Sein Wissensdurst weckte das<br />
Interesse des anerkannten<br />
Bümplizer Architekten Karl Indermühle,<br />
der in der Strebsamkeit<br />
des Italieners eine Parallele zu seinem<br />
eigenen Lebenslauf feststellte.<br />
Er wurde zum wichtigsten<br />
Mentor von Benjamin Clivio und<br />
ermunterte ihn 1900 zum Umzug<br />
in das damals noch bescheidene<br />
Bauerndorf Bümpliz.<br />
Das Juraquartier entsteht<br />
An seinem neuen Wohnort entwickelte<br />
Clivio als selbständiger Unternehmer<br />
eine erstaunliche Betriebsamkeit.<br />
Mit der Eröffnung<br />
des Bahnhofs Bümpliz-Bethlehem<br />
(heute Bern Bümpliz Nord) im Jahre<br />
1901 entwickelte sich das Gebiet<br />
östlich der heutigen Brünnenstrasse<br />
zu einem vorstädtischen<br />
Villenquartier. Nach dem Vorbild<br />
seines Vertrauten Karl Indermühle<br />
schuf Clivio eine für die damali-<br />
Das Mehrfamilienhaus an der Brünnenstrasse 87/89.<br />
ge Zeit anspruchsvolle Architektur<br />
mit individuellem Charakter.<br />
Ab 1905 vertraute ihm Indermühle<br />
den Bau eines ersten Abschnitts<br />
seiner geplanten Gartenstadt auf<br />
dem teilweise parzellierten<br />
Schlossareal an. Clivio durchlief<br />
gewissermassen eine Lehrzeit als<br />
Architekt. Sukzessive entwickelte<br />
er seinen Baustil zu einer Kombination<br />
zwischen dem sogenannten<br />
«Berner Barock» und der italienischen<br />
Renaissance. Während<br />
seine Rundbogen in den Fensterpartien<br />
und die Giebel-Ründen<br />
klar auf den Heimatstil von Karl<br />
Indermühle zurückgingen, baute<br />
er nach südlichen Vorbildern offene<br />
Loggias ein, die mit wenigen<br />
Ausnahmen – sehr wahrscheinlich<br />
aus klimatischen Gründen –<br />
später mit Fenstern versehen wurden.<br />
Dazu kam, dass Clivio als erfahrener<br />
Baumeister, technisch<br />
einfacher und damit kostengünstiger<br />
als Indermühle baute.<br />
Speziell in den frühen Zwanzigerjahren,<br />
als nach dem 1. Weltkrieg<br />
finanzielle Abstriche gemacht<br />
werden mussten, errichtete er an<br />
Stelle bisherigen Villen Doppelmehrfamilienhäuser,<br />
wie sie heute<br />
an der Heimstrasse und an der<br />
Kehrgasse noch zu finden sind. Bis<br />
zu seinem Tod im Jahre 1928 baute<br />
Clivio, vornehmlich in Bümpliz,<br />
über 200 Häuser.<br />
Fotos: zvg<br />
La torre del Clivio<br />
Dass Clivio gelegentlich mit seiner<br />
eigenwilligen Interpretation von<br />
bürokratischen Vorschriften<br />
Mühe hatte und es ab und zu Auseinandersetzungen<br />
mit den Gemeindebehörden<br />
kam, war unausweichlich.<br />
Ein solches Problem<br />
gab es auch in der Angelegenheit<br />
des «Hochhauses» an der Jurastrasse,<br />
der heutigen Brünnenstrasse<br />
87/89. Das Mehrfamilienhaus<br />
überstieg die vorgeschriebene<br />
Höhe deutlich und Clivio weigerte<br />
sich, den Bau nachträglich zu verändern.<br />
In einem seiner letzten<br />
Geschäfte vor der Eingemeindung<br />
in die Stadt äusserste sich ein resignierter<br />
Gemeindepräsident am 1.<br />
November 1918 wie folgt:<br />
«Es wäre thöricht gewesen, jenen<br />
Wohnbau schlechthin verhindern<br />
zu wollen. In Anbetracht des bescheidenen<br />
Bodenpreises hätte<br />
man aber erwarten dürfen, dass ein<br />
Gebäude entstehe, dass sich angenehm<br />
in das Quartier einfüge, das<br />
bis jetzt wohl als das schönste des<br />
Orts angesehen werden konnte.<br />
Doch darin sind wir enttäuscht. Die<br />
grosse Höhe sticht unangenehm ab<br />
von den Wohnhäusern des Juraquartiers.<br />
Diese wirkliche Wohnkaserne<br />
ist dem Ortsteil keine Zierde<br />
und bedeutet für den Schöpfer des<br />
Quartiers kaum ein Ruhmesblatt.<br />
Schade, wir hätten von ihm besseres<br />
erwartet.»<br />
In der Bevölkerung erlangte der<br />
Bau bald einmal den Übernahmen<br />
«La torre del Clivio», der Turm des<br />
Clivio. Das Haus steht immer noch<br />
in seiner ganzen Höhe und wurde<br />
unlängst von der Stadt Bern als<br />
Wohnraumreserve gekauft.<br />
Der Jasser und Bocciaspieler<br />
1911 liess sich Clivio als Bürger der<br />
Gemeinde Bümpliz einbürgern. Er<br />
war Mitbegründer des Handwerker-<br />
und Gewerbevereins Bümpliz<br />
und in den Bümplizer Gasthöfen<br />
nicht zuletzt wegen seiner Vorliebe<br />
für das Jassen ein gern gesehener<br />
Gast. Im Dorf wurde er wegen<br />
seines Spielglücks auch «Isack»<br />
genannt. In der Silvesternacht organisierten<br />
die Wirtsleute vom<br />
«Sternen» jeweils ein Preisjassen.<br />
Die Clivios – seine Berner Frau<br />
und seine fünf Kinder – erlebten,<br />
wie ihr Familienoberhaupt am<br />
frühen Neujahrsmorgen mit einem<br />
Wäschekorb voller Schinkli,<br />
Würste und Züpfe heimkam.<br />
In seinem Garten baute er sich<br />
eine Bocciabahn. Regelmässig lud<br />
er seine italienischen Mitarbeiter<br />
ein, mit ihm zu spielen. Nicht zuletzt<br />
aus diesem Grunde, aber vielmehr<br />
noch, weil er ihnen auf den<br />
Bauplätzen stets ein Vorbild war,<br />
war Clivio bei seinen Leuten sehr<br />
beliebt. Dass dies bei manchen<br />
Kollegen zu einem Nasenrümpfen<br />
führte, war für ihn verständlich.<br />
DER AUTOR<br />
Max Werren ist ehemaliger Inhaber<br />
einer Kommunikations-Agentur und<br />
einstiger ehrenamtlicher Co-Ortsarchivar<br />
von Bümpliz. Er ist Verfasser<br />
zahlreicher Publikationen, darunter<br />
der «Bümplizer Geschichte(n)». Zudem<br />
ist Werren Präsident von «Kultur<br />
Schloss Bümpliz».