Das Argument B83 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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16 Soziale Bewegungen und Politik<br />
(ebd.) auf den Gebieten von Erziehungswesen, Stadt- und<br />
Wohnungsbau, öffentlicher Gesundheit und Umweltschutz. Daß<br />
Kritik hier gerade von Jugendbewegungen formuliert wird,<br />
hat Hollstein zufolge den Grund, daß Jugend disponiert ist<br />
zur Innovation. "Sie repräsentiert physisch, psychisch,<br />
geistig und sozial die Kraft des Neuen ..." (132). Diese<br />
Reduktion der Jugendbewegungen auf die Funktion der Systeminnovation<br />
ist das paradoxe Gegenstück zu der vor der Enquete-Kommission<br />
des Deutschen Bundestags vorgebrachten<br />
Einschätzung, bei den Auseinandersetzungen um die neuen Jugendbewegungen<br />
handle es sich "um den ganz handfesten Konflikt<br />
von neuen und alten Werten" (120). Von daher muß auch<br />
die abschließende Forderung an die Jugendsoziologie verstanden<br />
werden, Jugendliche nicht einfach als Untersuchungsobjekt<br />
zu betrachten. Verlangt sei Empathie, d.h. Einfühlung<br />
in die Motive und Einstellungen der Jugendlichen. "Empathie<br />
als Methode kann das praktische Handeln der Jugendlichen<br />
ganzheitlicher begreifen, als es die Auswertung von<br />
Dokumenten, Umfragen, soziometrische und projektive Verfahren<br />
vermögen" (126).<br />
Hollsteins Einfühlung scheint mir den Kern des Buchs<br />
auszumachen. Es wirbt um Verständnis <strong>für</strong> das, was seine<br />
Einfühlung in den Jugendbewegungen wiederentdeckt. Zentral<br />
sind hier die Vorstellungen von "der Gegengesellschaft" und<br />
der Ausweitung herrschaftsfreier Räume, von denen aus Darstellung<br />
und Einschätzung der Jugendbewegungen strukturiert<br />
sind. Wie sehr das ein Verständnis der Bewegungen von Arbeiterjugendlichen<br />
behindert, ließe sich an einem Vergleich<br />
mit den Arbeiten der britischen CCCS-Forscher zeigen. Wo<br />
dort Stiluntersuchungen der Jugendkulturen Umorganisationen<br />
vorgegebener Bedeutungen durch die Jugendlichen entdecken,<br />
in denen Einsichten in die eigene Lebenssituation mit<br />
Selbstverurteilungen untrennbar verbunden sind, findet<br />
Hollstein nur Opfer einer restriktiven Sozial- und Bildungssituation.<br />
Widerstand als Selbstverurteilung paßt auch<br />
nicht in die Perspektive der Erweiterung befreiter Gebiete.<br />
- Aber wie mit der Vorstellung von der "Gegengesellschaft"<br />
umgehen? Der Perspektive eines Ausbaus alternativer Kultur<br />
ist sicher zuzustimmen; der Begriffsbildung gegenüber bin<br />
ich skeptisch. Auf der einen Seite werden Frauen- und Ökologie-,<br />
Jugend- und Alternativbewegung unterschiedslos in<br />
die Gegengesellschaft eingegliedert, um sie dann andrerseits<br />
"der Gesellschaft" zu konfrontieren. Aber die Kämpfe,<br />
die Hollstein beschreibt, finden überhaupt nicht außerhalb<br />
der Gesellschaft statt, an Rändern, von denen aus sie zu<br />
verändern wäre. (Hat eine Gesellschaft Ränder?) Wenn, wie<br />
Hollstein argumentiert, "Grundbedürfnisse" und Fragen der<br />
Lebensweise - mit dem Zentrum der Konsumorientierung - entscheidend<br />
sind, dann sind sie es gerade auch <strong>für</strong> die Orientierung<br />
der Arbeiterbewegung. Die theoretische Abbildungsweise<br />
und die Selbsteinschätzung der sozialen Akteure können<br />
hier entscheidend sein. Mir scheint, daß in der Kon-<br />
DAS ARGUMENT-BEIHEFT '83