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FOCUS_11_2022_Vorschau

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KULTUR<br />

Von Verlierern und Deserteuren<br />

Südkoreas Filmindustrie erobert den Weltmarkt – vor allem mit Serien wie „Squid Game“<br />

und „D.P.“, die Gesellschaftskritik rau bis ultrabrutal präsentieren<br />

Von Deutschland aus hat man<br />

in Sachen Unterhaltung immer<br />

nach Westen geschaut,<br />

in Richtung Amerika. Action,<br />

Herzschmerz, Weltläufigkeit:<br />

Hollywood war und ist der<br />

Inbegriff einer Filmindustrie,<br />

die ihre Stoffe weltweit zu verkaufen weiß.<br />

Jeder kennt den „Hollywood“-Schriftzug,<br />

den „Walk of Fame“, die Skylines von<br />

Los Angeles, New York oder Washington.<br />

In diesem Land, in dem Kinder schon in<br />

jungen Jahren lernen, auf einen Stuhl<br />

zu steigen und sich zu präsentieren, sind<br />

Film und Fernsehen eben nicht einfach<br />

Unterhaltung, sondern hohe Kunst. Deshalb<br />

begeistern Shows wie „House of<br />

Cards“, „30 Rock“ oder „Veep“ genauso<br />

wie „Game of Thrones“, „The Office“ oder<br />

„Breaking Bad“ Abermillionen Menschen<br />

weltweit.<br />

Der Überlebenskampf der Armen<br />

Nun aber hat ausgerechnet die eher<br />

kleine asiatische Nation Südkorea Bewegung<br />

in den internationalen Film- und<br />

Fernsehmarkt gebracht, mit einer Welle<br />

herausragender TV-Serien und Spielfilme.<br />

Die ultrabrutale Geschichte „Squid<br />

Game“ erreichte im vergangenen Herbst<br />

rund <strong>11</strong>1 Millionen Menschen im ersten<br />

Monat nach Erscheinen – und wurde zum<br />

erfolgreichsten Netflix-Angebot jemals.<br />

Dabei ist der Inhalt alles andere als<br />

erbaulich: In einer dystopischen, labyrinthartigen<br />

Anlage fernab aller Zivilisation<br />

und Gesetze spielen 456 Insassen,<br />

die im wahren Leben hoch verschuldet<br />

sind, um einen immensen Jackpot. Es<br />

geht um alles, am Ende wird nur eine<br />

Person die blutigen Spiele überleben.<br />

Das „Squid Game“ ist, so wie alle anderen<br />

Herausforderungen der Serie, ein<br />

koreanisches Kinderspiel. Dem internationalen<br />

Betrachter dürfte das unbekannt<br />

gewesen sein. Trotzdem waren Spielerund<br />

Wachenkostüme zu Halloween der<br />

Renner.<br />

„Squid Game“ ist nicht das einzige<br />

Format aus Korea, das in der jüngeren<br />

Vergangenheit von sich reden machte:<br />

Im Jahr 2020 wurde der Film „Minari“<br />

zu einem Welterfolg. Das Werk über eine<br />

koreanische Familie, die sich im US-Bundesstaat<br />

Arkansas niederlässt und dabei<br />

allerlei Unbilden bestehen muss, wurde<br />

für sechs Oscars nominiert und gewann<br />

am Ende den für die beste Nebendarstellerin.<br />

Und das skurrile Drama „Parasite“<br />

von 2019 holte vier der begehrten<br />

Trophäen.<br />

Auch die Plots dieser Welterfolge sind<br />

alles andere als leichte Kost. Aber Drehbuch,<br />

Regie und die Schauspielenden<br />

verstehen es, diesen Stoff aus Korea so zu<br />

erzählen, dass er als Inbegriff für soziale<br />

Ungleichheiten überall auf dem Globus<br />

verstanden werden kann. Genau solche<br />

universellen, leicht zugänglichen Stoffe<br />

Brutal, bissig,<br />

schräg: der<br />

Kosmos des<br />

K-Dramas<br />

Im Drama „Minari“<br />

(2020) bringt<br />

das Landleben in<br />

Arkansas Familie<br />

Yi an ihre Grenzen<br />

Die Serie „D.P.“<br />

(2021) thematisiert<br />

Brutalität und Mobbing<br />

im südkoreanischen<br />

Militär<br />

Arme Familie nistet<br />

sich bei Reichen ein:<br />

Die blutige Groteske<br />

„Parasite“ (2019)<br />

gewann vier Oscars<br />

Autist Geu-ru zeigt<br />

in „Move to Heaven“<br />

(2021) seinem<br />

kaltherzigen Onkel<br />

die schönen Seiten<br />

des Lebens<br />

haben Hollywood erfolgreich gemacht.<br />

Dieses Rezept geht nun auch in Ostasien<br />

auf: In einer Umfrage aus dem Jahr 2020<br />

gab ein Drittel der Befragten aus aller<br />

Welt an, dass koreanische Produktionen<br />

in ihrem Land bekannt und populär seien.<br />

Im Jahr 2019 setzte die Bewegtfilm-<br />

Industrie Südkoreas eine Rekordsumme<br />

von zwei Milliarden US-Dollar um, doppelt<br />

so viel wie zehn Jahre zuvor. Die<br />

Pandemie hat diese Entwicklung noch<br />

verstärkt.<br />

Begonnen hat der Trend im Jahr 2009<br />

mit der Serie „Boys Over Flowers“, der<br />

Verfilmung eines japanischen Comics:<br />

Ein Mädchen aus der Unterschicht<br />

kommt an eine Schule, an die nur die<br />

Reichen ihre Kinder schicken. Das Leben<br />

dort wird dominiert von vier Jungs, Kinder<br />

reicher Eltern, die der Schule viel<br />

Geld spenden. Die Heranwachsenden<br />

fühlen sich zur neuen Mitschülerin hingezogen,<br />

das Drama nimmt seinen Lauf.<br />

Auch in China und Thailand wurde der<br />

Stoff verfilmt, aber lange nicht so gut und<br />

erfolgreich wie in Korea.<br />

Soziale Kritik ist in vielen der Produktionen<br />

ein wichtiger Bestandteil. Thematisiert<br />

werden der harte Aufstiegskampf<br />

junger Menschen, ein antiquiertes Frauenbild<br />

und die straffe Hierarchie der<br />

Gesellschaft. Es geht um Korruption in<br />

der Politik, der Wirtschaft, den Medien.<br />

Oder um Mobbing in der Schule,<br />

am Arbeitsplatz, im Militär.<br />

Etliche Stoffe spielen während<br />

zeitgeschichtlich wichtiger Stationen<br />

der noch jungen Demokratie,<br />

die erst 1987 aus einer<br />

Militärdiktatur entstand. Auch<br />

das Verhältnis von Süd- und<br />

Nordkorea wird immer wieder<br />

thematisiert. Als geteiltes Land<br />

wartet Korea auf die Wiedervereinigung.<br />

Korea im Spiegel der kritischen<br />

Reflexion seiner Filmemacher ist<br />

ein Land, in dem vieles falschläuft, es<br />

aber immer wieder Menschen gibt, die<br />

den Kampf gegen das System aufzunehmen<br />

bereit sind: Der eine Serienheld<br />

kämpft für Gerechtigkeit, ein anderer für<br />

Fotos: Noh Juhan/Netflix, Netflix, Blackaura/Netflix, Melissa Lukenbaugh/A24, ddp<br />

80 <strong>FOCUS</strong> <strong>11</strong>/<strong>2022</strong>

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