Leseprobe_Anklaenge 2020-2021
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Einleitung<br />
9<br />
Der vorliegende Band dokumentiert eine Veranstaltung, mit der an diese Diskussionen<br />
angeschlossen werden sollte und die von 4. bis 8. November 2019 an<br />
der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (mdw) unter dem Titel<br />
„Cantare nel gravicembalo. Ensemble- und Begleitpraxis in der italienischen Musikkultur um<br />
1600“ stattfand.<br />
Beteiligt war u.a. eine Reihe jener Expert*innen, die in den letzten Jahren wesentlich<br />
dazu beigetragen haben, unser Wissen über den frühen Basso continuo zu<br />
vertiefen und zu differenzieren. Ziel war, das Thema unter möglichst vielen Perspektiven<br />
zu verhandeln, die von konkreten aufführungspraktischen Aspekten bis hin zu<br />
kulturwissenschaftlichen Fragestellungen reichten. Zu diesem Zweck bündelte die<br />
einwöchige Veranstaltung verschiedene Formate (siehe das Programm im Anhang):<br />
Workshops, in denen Studierende der mdw unter Anleitung internationaler Dozentinnen<br />
und Dozenten einschlägiges Repertoire erarbeiteten, Konzerte sowie Vorträge,<br />
die teils in die Workshops einführten, teils zu thematisch enger umschriebenen<br />
Kurz-Symposien zusammengefasst waren. Die vorliegende Publikation enthält die<br />
Mehrzahl dieser Referate, die von den Autorinnen und Autoren für die Druckfassung<br />
überarbeitet wurden.<br />
Die ersten drei Beiträge stellen mehrere Erscheinungen der Zeit um 1600 – den instrumental<br />
begleiteten Sologesang, den Basso continuo und die generelle Aufwertung<br />
von Instrumenten und Instrumentalspiel – jeweils in einen weiteren kultur- und musikhistorischen<br />
Zusammenhang und eröffnen damit neue Perspektiven auf diese eng<br />
verwandten Phänomene und die Frage ihrer ‚Neuheit‘.<br />
Tim Carter macht auf einen im Italien des frühen Seicento verbreiteten Diskurs<br />
über den Gesang der Vögel aufmerksam. Einschlägige, in der Musikhistoriographie<br />
bislang unbeachtete Traktate und die Analyse von Madrigalen Monteverdis, deren<br />
Texte auf Vögel und ihren Gesang Bezug nehmen, legen ein mit Blick auf das übliche<br />
musikhistorische Bild vielleicht überraschendes Moment frei: Zutage tritt eine<br />
Wertschätzung des suono im Sinne eines „bloßen“ musikalischen Phänomens, das unabhängig<br />
vom vorgetragenen Text aufgefasst wurde. Diese ästhetische Haltung, die<br />
sich auf den virtuosen, ornamentreichen Sologesang, aber möglicherweise auch auf<br />
bestimmte Funktionen des Basso continuo beziehen konnte, legt die Annahme nahe,<br />
dass die Vorstellungen von – nicht zuletzt der „neuen“ – Musik um 1600 keineswegs<br />
nur vom Ideal eines am Text orientierten, quasi-rhetorischen bzw. expressiven Singens<br />
bestimmt waren.<br />
Der Beitrag von Rebecca Cypess befasst sich mit den Veränderungen des ,kulturellen<br />
Status‘ des instrumentalen Musizierens seit etwa 1600. In verschiedenen<br />
Bereichen, darunter den Naturwissenschaften, wurde während des 17. Jahrhunderts<br />
die Verwendung von Instrumenten und die damit verbundenen „handwerklichen“