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Leseprobe_Anklaenge 2020-2021

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EINLEITUNG<br />

Während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschienen in Italien mehrere Veröffentlichungen<br />

mit Musik für eine oder mehrere Sologesangsstimmen, deren Titel<br />

den Zusatz „per cantare nel gravicembalo“ enthält und damit spezifiziert, wie die instrumentale,<br />

die Gesangsparts begleitende Bassstimme, wie also der Basso continuo,<br />

zu besetzen ist. 1<br />

Der Begriff „Basso continuo“ löst bei all jenen, die über gewisse Grundkenntnisse<br />

der Musikgeschichte verfügen, bestimmte sozusagen primäre Assoziationen aus. Diese<br />

reichen von „Generalbasszeitalter“ oder „Barockmusik“ über die als „Stilwandel“<br />

apostrophierte und teilweise immer noch als Epochenschwelle angesehene Jahrhundertwende<br />

um 1600, über Begriffe wie Monodie oder seconda pratica bis hin zum notationstechnischen<br />

Phänomen der Bezifferung. Alle diese Assoziationen sind selbstverständlich<br />

nicht schlichtweg falsch. Aber wenn Verkürzungen oder Verzerrungen<br />

der historischen und musikalischen Realität vermieden werden sollen, bedarf es der<br />

Differenzierung und vor allem der Einbettung in einen weiter gespannten historischen<br />

Horizont.<br />

Schon seit längerem steht in der Forschung als communis opinio fest, dass die oft<br />

zitierten ‚Innovationen‘ um 1600 keinen radikalen Bruch bedeuteten, sondern angemessen<br />

nur vor dem Hintergrund, wenn nicht als Ergebnis einer langen Vorgeschichte<br />

zu begreifen sind. Anders gesagt: Sie stehen in einer engen und kontinuierlichen Beziehung<br />

zu Traditionen, Stilen und Praktiken, die sich spätestens seit dem früheren<br />

16. Jahrhundert beobachten lassen. Dies gilt gerade auch für den Basso continuo,<br />

dessen historische Voraussetzungen in zum Teil weit zurückreichenden Praktiken des<br />

Begleitens auf Akkordinstrumenten, ja überhaupt des Spiels auf Akkordinstrumenten<br />

liegen. Hinzu kommt, dass diese Praktiken nicht nur zum Generalbass selbst hinführten,<br />

sondern wesentlich zur Entwicklung eines ganzen Komplexes von Erschei-<br />

1 Z.B. Raffaelo Rontani, Le varie musiche a una, a due, e tre voci, per cantare nel gravicembalo, overo, nella<br />

tiorba […] libro secondo, Rom: Giovanni Battista Robletti 1618; Girolamo Frescobaldi, Primo [bzw.]<br />

Secondo libro d’arie musicali per cantarsi nel gravicembalo, e tiorba. A una, a dua [sic], e a tre voci, Florenz:<br />

Giovanni Battista Landini 1630; Annibale Gregori, Ariosi concenti cioè la ciaccona, ruggieri, romanesca,<br />

più arie a 1 & 2 voci da cantarsi nel gravicembalo o tiorba, Venedig: Bartolomeo Magni 1635; Bartolomeo<br />

Spighi, Musical concerto d’arie e canzonette a una, due, tre voci, per cantare nel gravicembalo, o chitarrone,<br />

Florenz: Zanobi Pignoni 1641.

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