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Das Stadtgespraech Ausgabe-Juni 2022

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S<br />

Sie blicken<br />

nach vorne<br />

Ukrainische Schüler am<br />

Einstein-Gymnasium<br />

Die zwölfjährige Katharina kommt aus Bila<br />

Zerkwa bei Kiew und Nikita (11) aus Zaporozhia.<br />

Katharina ist mit ihrer ganzen Familie – Vater,<br />

Mutter und jüngere Schwester – aus der Ukraine<br />

geflüchtet, Nikita mit seiner Mutter. Sie leben<br />

seit etwa Ende März in Rheda-Wiedenbrück,<br />

wohnen in einer für Flüchtlinge eingerichteten<br />

Unterkunft. Seit Ende April besuchen sie das<br />

Einstein-Gymnasium. Sie sind an der Klasse 6c<br />

angedockt. <strong>Das</strong> Einstein-Gymnasium hat sich,<br />

wie auch alle anderen grund- und weiterführenden<br />

Schulen, der Verantwortung gestellt,<br />

die geflüchteten Jugendlichen unbürokratisch<br />

willkommen zu heißen und eine Beschulung<br />

sicherzustellen. Auch die Zuteilung geschieht<br />

sehr umsichtig, organisiert durch Kerstin Röscheisen<br />

von der Stadt Rheda-Wiedenbrück,<br />

erfuhren wir bei unserem Besuch in der Schule.<br />

Für die Verständigung bei unserer Unterredung<br />

hatte Schulleiter und Oberstudiendirektor<br />

Jörg Droste die Schülerin Lisa gewonnen. Sie<br />

übersetzte die wechselseitigen Gesprächsbeiträge<br />

in Russisch. Als die beiden Interviewten<br />

erfuhren, dass Lisa die 6a besucht, fragten sie<br />

nach, ob die Buchstabenkennung ein Hinweis<br />

auf unterschiedliche Leistungsebenen in dem<br />

sechsten Jahrgang sei. An den Gymnasien in<br />

ihrer ukrainischen Heimat sei das so.<br />

Ebenfalls das Verhältnis der Lehrenden zu<br />

den Schülerinnen und Schülern sei hier anders:<br />

Die Lehrenden in der Ukraine seien strenger.<br />

Man bekäme schon mal eine Fünf eingetragen,<br />

wenn man mal was nicht wüsste. Hier seien<br />

die Lehrpersonen netter. Auf die Nachfrage,<br />

was besser sei, stimmten Katharina und Nikita<br />

überein, dass es hier besser sei. Aber trotzdem<br />

hätten sie Heimweh nach ihren Schulen, möchten<br />

gerne in die Ukraine zurück. Sie vermissen<br />

so sehr ihre Freunde und Haustiere.<br />

Nikita hatte in den ersten Wochen gar nicht<br />

verstanden, dass er jetzt in Rheda-Wiedenbrück<br />

wohnt. Katharina gestand, dass für sie alles so<br />

neu und eigenartig gewesen sei. Die Ankunft<br />

hier habe auf sie wie ein Schock gewirkt.<br />

Die Schulleitung um Jörg Droste machten<br />

sich gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern<br />

viele Gedanken um das Wohl ihrer neuen<br />

<strong>Das</strong> Stadtgespräch<br />

1 (V. r.) Schulleiter Jörg Droste, Studiendirektor, mit der zwölfjährigen Katharina aus Bila Zerkwa bei Kiew und Nikita<br />

(11) aus Zaporozhia sowie der Schülerin Lisa als Dolmetscherin<br />

Schülerinnen und Schüler. Sie bringen ihnen<br />

jede Menge Verständnis und Empathie entgegen<br />

– auch beim Frust mit der deutschen Sprache.<br />

Insgesamt nahmen zum Zeitpunkt unseres<br />

Besuches drei ukrainische Kinder am Unterricht<br />

im Einstein-Gymnasium teil.<br />

Durch die Zuweisung in die Regelklassen erhalten<br />

die ukrainischen Kinder die Gelegenheit,<br />

schnell die anderen Mädchen und Jungen kennenzulernen.<br />

Katharina und Nikita berichteten,<br />

dass ihre Mitschüler sie bei der Teilnahme am<br />

Unterricht in Englisch unterstützen. Ebenfalls<br />

in den Pausen würden ihnen Lehrende und Mitschüler<br />

zur Seite stehen. In manchen Situationen<br />

helfe auch das Übersetzungsprogramm von<br />

Google weiter.<br />

Wir erfuhren, dass sie Deutschkenntnisse<br />

auf verschiedenen Wegen erwerben: einmal<br />

durch den kontinuierlichen Kontakt mit den<br />

Mitschülern. Um schnell Deutsch zu lernen,<br />

brauche es auch Kinder in der Klasse, die<br />

Deutsch sprechen, empfehlen namhafte Bildungsexperten.<br />

Als besonders hilfreich nannten<br />

Katharina und Nikita einen sehr individuell gestalteten<br />

Deutschförderkurs. Für die Teilnahme<br />

stellt die Schule die beiden Interviewten vom<br />

Unterricht in einigen Fächern frei – beispielsweise<br />

von Musik und Kunst.<br />

Darüber hinaus lernen sie in ihrer Freizeit<br />

Deutsch über einen Internetkurs. Katharina<br />

schaut dabei ihrer Mutter über die Schulter. Sie<br />

trainiert mit ihr gemeinsam die Verbesserung<br />

der deutschen Sprachkenntnisse. Sie hätten<br />

zudem mit einer benachbarten Familie einen<br />

Deal geschlossen: Die Nachbarn lehren sie<br />

Deutsch und sie als Gegenleistung Ukrainisch.<br />

Dabei sprach Katharina nicht ohne Stolz ein paar<br />

kleine Sätze in Deutsch. Der Schulleiter wagte<br />

eine Prognose: Bis zu den Sommerferien werden<br />

Katharina und Nikita soweit sein, dass sie dem<br />

Unterricht selbständig folgen können.<br />

Auf Nachfrage erfuhren wir, dass die beiden<br />

via Handy nach wie vor dem Online-Unterricht<br />

ihrer alten Schulen folgen, so gut das eben geht<br />

bei ihrem Stundenplan. Vor ihnen liegt dann ein<br />

Heft für Notizen und zu erledigende Hausaufgaben.<br />

Selbst mitten im Krieg schaffen das ukrainische<br />

Lehrpersonen und Schulen gemeinsam<br />

mit ihren Schülerinnen und Schülern. Sie hatten<br />

schon die pandemiebedingte Umstellung auf<br />

den Online-Unterricht bravourös gemeistert.<br />

Durch den Fernunterricht erfahren Katharina<br />

und Nikita natürlich ebenfalls von dem Fortgang<br />

des Krieges und den ewigen Raketen- und Bombenangriffen.<br />

Eines konnten Katharina und Nikita mit<br />

Sicherheit sagen: Sie werden auf jeden Fall auf<br />

absehbare Zeit in Rheda-Wiedenbrück bleiben.<br />

Schließlich sind ihre Mütter ja auch hier. Und<br />

sie haben große Lust am Einstein-Gymnasium<br />

das Abitur zu machen. Ihnen gefällt es ja an der<br />

Schule. Aber ob es wirklich so kommt? Es ist ja<br />

nicht auszuschließen, dass sie mit ihren Eltern<br />

schon vorher wieder in ihre Heimat zurückkehren,<br />

wenn sich eine Perspektive dafür ergibt. Vorstellbar<br />

ist es aber ebenso, dass die Familien bis<br />

dahin in Deutschland angekommen sind – und<br />

gar nicht mehr zurück möchten. Wer weiß das<br />

in dieser Situation schon genau…<br />

Raimund Kemper<br />

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