recke:in - Das Magazin der Graf Recke Stiftung Ausgabe 2/2022
In der zweiten Ausgabe unserer recke:in im Jubiläumsjahr geht es um einen bunten Haufen, einige Meilensteine der Stiftungsgeschichte und viele schöne Töne. Mehr erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe 2/2022.
In der zweiten Ausgabe unserer recke:in im Jubiläumsjahr geht es um einen bunten Haufen, einige Meilensteine der Stiftungsgeschichte und viele schöne Töne. Mehr erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe 2/2022.
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SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK<br />
Die Kontrolle<br />
über das Leben<br />
zurückbekommen<br />
Sozialarbeiter<strong>in</strong> Atia Najibullah bietet bei <strong>der</strong> <strong>Graf</strong> <strong>Recke</strong> <strong>Stiftung</strong><br />
seit gut e<strong>in</strong>em Jahr e<strong>in</strong> sogenanntes Traumacoach<strong>in</strong>g an für<br />
junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung – und<br />
ungeklärtem Aufenthaltsstatus. So belastend die Situation<br />
für die Betroffenen ist, so dankbar s<strong>in</strong>d sie für diese Form <strong>der</strong><br />
Unterstützung. E<strong>in</strong>e Frau aus dem Libanon etwa empf<strong>in</strong>det die<br />
Treffen an <strong>der</strong> <strong>Graf</strong>enberger Allee als Gew<strong>in</strong>n, für e<strong>in</strong>en Mann aus<br />
Gu<strong>in</strong>ea s<strong>in</strong>d sie »e<strong>in</strong>e Hilfe, die bleibt«. <strong>Das</strong>s dies so ist, könnte<br />
auch mit <strong>der</strong> Lebensgeschichte ihrer Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong> zusammenhängen.<br />
Von Achim <strong>Graf</strong><br />
Wer se<strong>in</strong>e Heimat verlassen<br />
muss und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />
Land kommt, mit frem<strong>der</strong><br />
Sprache und Kultur, hat<br />
es zweifellos nicht leicht. Wird dies aber<br />
komb<strong>in</strong>iert mit <strong>der</strong> Ungewissheit darüber,<br />
überhaupt bleiben zu dürfen, wird es oft<br />
traumatisch. <strong>Das</strong> ist <strong>in</strong> diesen Fällen durchaus<br />
wörtlich zu nehmen – und an diesem<br />
Punkt kommt Atia Najibullah <strong>in</strong>s Spiel. Sie<br />
nimmt sich seit gut e<strong>in</strong>em Jahr bei <strong>der</strong> <strong>Graf</strong><br />
<strong>Recke</strong> <strong>Stiftung</strong> genau jener Menschen an.<br />
Im Rahmen e<strong>in</strong>es Landesprojekts bietet sie<br />
<strong>in</strong> Düsseldorf-<strong>Graf</strong>enberg e<strong>in</strong> sogenanntes<br />
Traumacoach<strong>in</strong>g an.<br />
Rund 30 junge Menschen mit Flucht- und<br />
Migrationserfahrung hat Atia Najibullah<br />
über die Monate bereits begleitet, sie beraten<br />
und gestärkt. 18 s<strong>in</strong>d es aktuell, sie alle haben<br />
belastende D<strong>in</strong>ge erlebt, haben zum Teil auf<br />
<strong>der</strong> Flucht o<strong>der</strong> auch hier Depressionen o<strong>der</strong><br />
Psychosen ausgebildet. »Aber es ist ke<strong>in</strong>e<br />
Therapie«, macht die Sozialarbeiter<strong>in</strong> klar.<br />
»Wir setzen da an, wo die Menschen den<br />
größten Hilfebedarf haben. Und das ist ganz<br />
oft <strong>der</strong> Aufenthaltsstatus.« Deshalb geht es<br />
<strong>in</strong> ihrem Büro nicht selten um das Verstehen<br />
amtlicher Schreiben o<strong>der</strong> die Vermittlung<br />
von Rechtsberatung. Auch das Verfassen<br />
von psychosozialen Stellungnahmen und<br />
die Vermittlung an Fachberatungsstellen<br />
gehören zu ihrem Alltag. <strong>Das</strong> sieht die<br />
39-Jährige ganz pragmatisch. Der Mensch<br />
als <strong>in</strong>dividuelle Persönlichkeit steht jedoch<br />
stets im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
EIN LEBEN IN UNGEWISSHEIT<br />
Wer mit e<strong>in</strong>er Duldung o<strong>der</strong> Aufenthaltsgestattung<br />
<strong>in</strong> Deutschland lebe, lebe auch<br />
<strong>in</strong> stetiger Ungewissheit, verdeutlicht Atia<br />
Najibullah. Alle<strong>in</strong> das könne krank machen.<br />
Viele wohnten auch nach Jahren noch <strong>in</strong><br />
Flüchtl<strong>in</strong>gsunterkünften, ohne Privatsphäre.<br />
E<strong>in</strong> Vergewaltigungsopfer etwa<br />
könne so ke<strong>in</strong>e Sicherheit empf<strong>in</strong>den. An<br />
<strong>der</strong> Wohnsituation kann sie als Coach <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel nicht viel än<strong>der</strong>n. »Aber wir müssen<br />
mit beiden Augen auf den Menschen<br />
schauen«, das ist ihr wichtig. »Wir dürfen<br />
ihn nicht nur als Opfer sehen, son<strong>der</strong>n müssen<br />
auch se<strong>in</strong>e Stärken erkennen, ihn auch<br />
würdigen.« <strong>Das</strong> Wichtigste nach erlebten<br />
Traumata sei, wie<strong>der</strong> die Kontrolle über das<br />
eigene Leben zu bekommen. »Selbstwirksamkeit«<br />
heiße das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachsprache. Und<br />
genau das ist ihr Ansatz.<br />
Bei Nour Khazem ist das offensichtlich<br />
gelungen. Die 28-Jährige stammt aus dem<br />
Libanon, hat bis 2015 dort gelebt. Sie war<br />
damals mit ihrem Mann und ihrer kle<strong>in</strong>en<br />
Tochter nach Deutschland geflohen und<br />
hatte hier e<strong>in</strong>en Asylantrag gestellt. Ihre<br />
beiden Söhne kamen <strong>in</strong> Düsseldorf zur<br />
Welt, doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung kriselte es recht<br />
2/<strong>2022</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong><br />
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