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Berichte | Rapports<br />

Carlo Gallis Baukunst in Beton<br />

und Backstein<br />

Die Bauten des heute 94-jährigen Carlo Galli prägen<br />

das Bild Biels wesentlich mit und tragen zum Ruf Biels<br />

als Architekturstadt bei.<br />

Text: Andrzej Rulka<br />

1<br />

Carlo Galli gehört der Architektengeneration<br />

an, die ihre wichtigsten<br />

Bauten ab Ende der 1950er bis Mitte der<br />

1970er Jahre realisierte. Diese Generation<br />

profitierte in der Hochkonjunktur von der<br />

architektonischen Aufbruchsstimmung<br />

der Nachkriegsmoderne. Wie auch andere<br />

Bieler Architekten dieser Zeit stand<br />

Carlo Galli im Schatten seines älteren<br />

bekannten Berufskollegen Max Schlup,<br />

einem der wichtigsten Protagonisten der<br />

«Jurasüdfuss-Architektur». Dies ist auch<br />

der Hauptgrund dafür, weshalb die Bauten<br />

von Galli dem breiten Publikum bis<br />

heute weniger bekannt sind.<br />

Galli wurde 1927 in Luzern in eine aus<br />

Norditalien eingewanderte Familie hinein -<br />

geboren. Sein Vater arbeitete als Bau -<br />

füh rer und nahm Carlo schon als Kind oft<br />

mit auf die Baustellen. Es ist deshalb<br />

nicht verwunderlich, dass Galli bereits mit<br />

zehn Jahren wusste, dass er einmal Architekt<br />

werden wollte. Sein beruflicher Werdegang<br />

begann 1943 mit einer Lehre als<br />

Hochbauzeichner im renommierten Luzerner<br />

Architekturbüro Möri und Krebs. Nach<br />

der Übernahme des Büros 1945 durch<br />

Hans von Weissenfluh wurde Galli dort<br />

fest angestellt. Für das Büro Weissenfluh<br />

hat er unter anderem am prämierten<br />

Wettbewerbsprojekt der Sekundarschule<br />

Rittermatte in Biel mitgearbeitet und anschliessend<br />

die Ausführung (1949 – 1952)<br />

begleitet. Um diese Aufgabe zu erfüllen,<br />

ist er nach Biel gezogen, wo er bis heute<br />

wohnhaft ist. In den Jahren von 1953 bis<br />

1957 war er Mitarbeiter im progressiven<br />

und erfolgreichen Bieler Architekturbüro<br />

von Gianpeter Gaudy.<br />

Ein radikal moderner Bau aus der<br />

frühen Phase<br />

1957 gründete Carlo Galli sein eigenes<br />

Architekturbüro in Biel. Zunächst realisierte<br />

er kleinere Neu- und Umbauprojekte<br />

und nahm an mehreren Wettbewerben<br />

teil. Bereits die ersten realisierten Projek<br />

te zeigen das Bekenntnis des jungen<br />

Architekten zur Architektur der Nachkriegsmoderne.<br />

Die Krönung dieser<br />

frü hen Phase bildet die 1962/63 realisierte<br />

Kartonagefabrik Brühlmann & Cie am<br />

Schützenmattweg 10 in Nidau, ein Bau,<br />

der ihm in Fachkreisen grosse Anerkennung<br />

gebracht hat. Mit der Anwendung<br />

von Sichtbeton, der klaren Trennung zwischen<br />

den tragenden und nicht tragenden<br />

Bauelementen und mit der konsequenten<br />

Umsetzung des Proportionssystems<br />

«Modulor» ist der Einfluss Le Corbusiers<br />

spürbar. Was allerdings bei diesem Bau<br />

besonders beeindruckt, ist der transparente,<br />

über Eck verglaste und auf eine<br />

einfache Form reduzierte dreieckige Baukörper<br />

in einer kompromisslos modernen<br />

Architektursprache.<br />

Bei den Wohnbauten eigene<br />

Handschrift entwickelt<br />

Dominierend im architektonischen Werk<br />

von Carlo Galli wurde dann der Wohnbau.<br />

Er konnte in den 1960er und 1970er<br />

Jahren etliche Mehrfamilienhäuser bauen,<br />

die sich an verschiedenen Standorten im<br />

Stadtgebiet auf selbstverständliche Art<br />

und Weise in die vorhandene Bebauungsstruktur<br />

einfügen. Ihr charakteristisches<br />

Merkmal ist der Wechsel von Sichtbackstein-<br />

und Betonelementen, der die<br />

Fassaden gliedert. Ein weiteres Markenzeichen<br />

sind elegante, mit hochwertigen<br />

Materialien ausgestattete Eingangshallen.<br />

Die früheren Wohnbauten, wie beispielsweise<br />

die Mehrfamilienhäuser Blumenstrasse<br />

9 (1963/64) und Seevorstadt 42<br />

(1969), weisen eher noch schlichte Bauformen<br />

mit geradlinig verlaufenden Fassaden<br />

auf. Die späteren Wohnbauten, wie<br />

die Mehrfamilienhäuser Seevorstadt 44<br />

2<br />

1 Im Zickzack verlaufende Fassaden erzielen eine<br />

starke plastische Wirkung: Mehrfamilienhaus von 1971<br />

in der Seevorstadt 44 in Biel.<br />

2 Transparenter, verglaster Baukörper über einem dreieckigen<br />

Grundriss: Kartonagefabrik Brühlmann & Cie<br />

von 1962/63 am Schützenmattweg 10 in Nidau.<br />

(1971) und Mühlefeldallee 2, 4 (1974),<br />

werden durch zickzackförmig verlaufende<br />

Fassaden oder durch abgerundete, vorstehende<br />

Bauteile plastischer gestaltet.<br />

Bei allen Werken dieser Baugattung wird<br />

der Wohnlichkeit, der Einbettung in die<br />

Umgebung und der Symbiose zwischen<br />

Architektur und Natur grosse Bedeutung<br />

beigemessen, was auf den Einfluss des<br />

amerikanischen Architekten Frank Lloyd<br />

Wright hinweist. Eine weitere Verwandtschaft<br />

zeigt sich mit den Bauten der<br />

Nachkriegsmoderne im Tessin und in<br />

Norditalien.<br />

Wichtigste Bauten von Carlo Galli<br />

1961 Galerie Carrera, General-Dufour-Strasse 87, Biel<br />

1962/63 Kartonagefabrik Brühlmann & Cie, Schützenmattweg 10, Nidau<br />

1963 Ferienhaus Maurer, Impasse des Cerisiers 20, Bellerive, VD<br />

1963/64 Mehrfamilienhaus, Blumenstrasse 9, Biel<br />

1965 Mehrfamilienhaus, Gerberweg 22/24, Nidau<br />

1967 – 1969 Schulhaus Sahligut, Beaulieuweg 2, 4, Jägerweg 1, Biel, Gruppe 44<br />

(Carlo Galli, Otto Leuenberger, Benoît de Montmollin, Alain-G. Tschumi)<br />

1967 – 1970 Schulhaus Walkermatte, Dreiangelweg 12, 14, 14a, Biel, Gruppe 44<br />

1968 Mehrfamilienhaus, Seevorstadt 42, Biel<br />

1969 Umbau Altstadthaus, Kanalgasse17/Schmiedengasse 18, Biel<br />

1971 Mehrfamilienhaus, Seevorstadt 44, Biel<br />

1972 Mehrfamilienhäuser, Neuenburgstrasse 34, 36, Biel<br />

1974 Mehrfamilienhäuser, Mühlefeldallee 2, 4, Biel<br />

1974 Mehrfamilienhaus, Sandrainstrasse 7, Biel<br />

1986 – 1990 Alters- und Pflegeheim «La Lisière», Chemin de la Maison-Blanche 1,<br />

Leubringen<br />

3<br />

3 Abgerundete, vorstehende Bauteile kontrastieren mit<br />

den würfelförmigen Bauvolumen: Mehrfamilienhäuser<br />

von 1974 Mühlefeldallee 2, 4 in Biel.<br />

Carlo Gallis architektonisches Werk ist<br />

sehr facettenreich. In seinen Bauten<br />

nimmt er verschiedene architektonische<br />

Einflüsse auf und kombiniert sie mit eigenen<br />

Ideen. Aufgrund dieses Vorgehens<br />

sind keine Kopien, sondern eigenständige<br />

qualitätvolle Bauten entstanden.<br />

Insbesondere bei seinen Wohnbauten<br />

entwickelte er eine eigene, klar wiedererkennbare<br />

architektonische Handschrift.<br />

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