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Rainer Goltz: Zeigen, worauf es ankommt (Leseprobe)

Die religionspädagogische Forschung hat auf die anhaltende Krise des Religionsunterrichts, die sich in stetig schrumpfenden Lerngruppen und der immer weniger vorhandenen Vertrautheit mit »Religiosität« manifestiert, keine erfolgversprechende Antwort gefunden. Die systemischen Reaktionen sind eher ein Verwalten der Krise, die unterrichtlichen Reaktionen in Form einer Versachkundlichung oder Ethisierung entsprechen einer Preisgabe des Wesens der Religion. Als Kontrast zu diesen Trends entwirft das Buch auf der Basis von systematisch-theologischen Überlegungen zum Wesen des Glaubens und seiner Darstellbarkeit eine religionspädagogische Skizze von Unterricht, die das Verständnis der schulischen Vermittlung von Religion aufweitet und ihr selbst nicht nur als Objekt der Betrachtung, sondern auch als sich zeigendes Subjekt Raum gibt und so die Lebensbewegung des Glaubens für Lernende erfahrbar werden lassen kann.

Die religionspädagogische Forschung hat auf die anhaltende Krise des Religionsunterrichts, die sich in stetig schrumpfenden Lerngruppen und der immer weniger vorhandenen Vertrautheit mit »Religiosität« manifestiert, keine erfolgversprechende Antwort gefunden. Die systemischen Reaktionen sind eher ein Verwalten der Krise, die unterrichtlichen Reaktionen in Form einer Versachkundlichung oder Ethisierung entsprechen einer Preisgabe des Wesens der Religion.
Als Kontrast zu diesen Trends entwirft das Buch auf der Basis von systematisch-theologischen Überlegungen zum Wesen des Glaubens und seiner Darstellbarkeit eine religionspädagogische Skizze von Unterricht, die das Verständnis der schulischen Vermittlung von Religion aufweitet und ihr selbst nicht nur als Objekt der Betrachtung, sondern auch als sich zeigendes Subjekt Raum gibt und so die Lebensbewegung des Glaubens für Lernende erfahrbar werden lassen kann.

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20<br />

2 Der Religionsunterricht in der Gegenwart -- Erfolge und Scheitern<br />

den. Daher scheint die Unterscheidung zwischen konf<strong>es</strong>sionslosen Lernenden<br />

auf der einen Seite und getauften Schülerinnen und Schülern auf der anderen<br />

Seite doch zu ungenau zu sein, insofern sich die Unterschiede häufig vor allem<br />

auf das Vorhandensein einer Taufkerze begrenzen.<br />

Als Alternative könnte die Differenzierung von Michael Domsgen dienen,<br />

der bei seinen Überlegungen zum Religionsunterricht insb<strong>es</strong>ondere mit Jugendlichen<br />

in Ostdeutschland zwischen einer dort seit Generationen »vererbten Konf<strong>es</strong>sionslosigkeit«<br />

und einer in W<strong>es</strong>tdeutschland »frisch erworbenen« 14 , unterscheidet,<br />

insofern dadurch nicht allein auf die Kirchenzugehörigkeit fokussiert<br />

wird, sondern zwischen »vererbter« und »frisch erworbener Religionsferne«<br />

differenziert wird. Auf der Basis einer solchen Distinktion lässt sich dann auch<br />

überlegen, ob --- und wenn ja, wie lange noch --- gilt, dass die frisch erworbenen<br />

Religionsfernen zwar selbst nicht an Religion partizipieren, aber für sie »eine<br />

religiöse Verortung auch nichts Abstrus<strong>es</strong> bedeutet«, insofern das Vertraut-Sein<br />

mit einer »religiösen Weltsicht an sich« 15<br />

bei ihnen durchaus vorhanden ist.<br />

Einen Hinweis zur Beantwortung di<strong>es</strong>er Frage könnten die alltäglichen Erfahrungen<br />

mit Schülerinnen und Schüler in und außerhalb d<strong>es</strong> Religionsunterrichts<br />

auch in gutbürgerlichen w<strong>es</strong>tdeutschen Einzugsgebieten sein, die den Eindruck<br />

entstehen lassen, dass auch di<strong>es</strong>e immer mehr von einem »sozialisierten Nicht-<br />

Verhältnis zum Christentum sowie zu Religionen insg<strong>es</strong>amt« 16 geprägt sind. Ist<br />

damit ausgedrückt, dass Kinder und Jugendliche heute nicht nur auf keine eigenen<br />

religiösen Erfahrung zurückgreifen können oder religiös geprägte Weltdeutungskonzepte<br />

b<strong>es</strong>itzen, sondern ihnen auch aus ihrem näheren Umfeld niemand<br />

bekannt ist, der Religiosität in einer Weise auslebt, durch die<br />

Heranwachsende --- wenngleich als Erfahrung mit dem fremden Anderen --- mit<br />

einer religiösen Lebensbewegung vertraut sind, so ist Religion und Religiosität<br />

grundsätzlich nicht mehr in ihrem Weltwahrnehmungs- und Weltinterpretationshorizont<br />

verortet.<br />

Sicherlich sind di<strong>es</strong>e Schülerinnen und Schüler für den Religionsunterricht<br />

eine Herausforderung und die relative Wirkungslosigkeit der religionspädagogischen<br />

Konzeptionen, mit denen seit nunmehr 60 Jahren versucht wird darauf zu<br />

reagieren, gibt Einblick in die Relevanz und Komplexität d<strong>es</strong> Problems. Aber<br />

zugleich liegt vielleicht in der jüngsten Entwicklung, in der Schülerinnen und<br />

Schüler b<strong>es</strong>ser als untheistisch denn als a-theistisch b<strong>es</strong>chrieben werden, auch<br />

eine religionspädagogische Chance. So sind zumind<strong>es</strong>t die entwicklungsbedingten<br />

Abgrenzungsbemühungen gegen »all<strong>es</strong> Elterliche« keine Hürde mehr im<br />

G<strong>es</strong>präch über Religion und Religiosität. Häuslich »vollkommen unbelastete«<br />

Schülerinnen und Schülern begegnen Religion und Religiosität --- so kann zumind<strong>es</strong>t<br />

gehofft werden --- vielleicht auch weniger ablehnend als Kinder und<br />

14<br />

Ders., Religionsunterricht mit konf<strong>es</strong>sionslosen Schülern in Ostdeutschland, 158.<br />

15<br />

Ders., Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen, 114.<br />

16<br />

Ders., Religionsunterricht mit konf<strong>es</strong>sionslosen Schülern in Ostdeutschland, 157.

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