05.07.2022 Aufrufe

150 Jahre BOKU Festrede Olga Flor

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Kipppunkte<br />

Langsam sollten wir als Menschen das verinnerlicht haben: Dinge, die ins Rutschen geraten, sind dann irgendwann erstaunlich oft wirklich weg, über die<br />

Kante geglitten, abgestürzt und aus dem Blick geraten. Von einem Moment auf den anderen passiert das, und dieser Zwischenraum, dieser auf seltsame<br />

Weise eingefrorene Augenblick, an dem das Entscheidende passiert, ist ein Kipppunkt: Er markiert die Grenze, ab der es kein Zurück mehr gibt. Points<br />

of no return, wie sie den Ereignishorizont um ein Schwarzes Loch bilden, eine astronomische Singularität, die alles Licht und alle Materie aufsaugt, die<br />

ihr zu nahekommen.<br />

Wenn etwas aus der Hand rutscht, und man hält es zuerst noch mit drei Fingern, dann mit zwei, schafft einen Zangengriff mithilfe des Daumens, glaubt<br />

für ein paar Sekunden, die Bewegung zumindest stabilisieren zu können, den Status quo zu halten, aber leider, leider ist der Schwerpunkt schon zu tief<br />

unten, muss man schließlich einsehen, dass die Sache entgleitet, und kann nur noch hoffen, dass sie bis zum Aufprall nicht mehr ausreichend beschleunigt<br />

wird, als dass das Gefüge völlig zerstört würde. Natürlich gibt es immer Stimmen, die meinen, man könne den Vorgang, da er nun einmal nicht mehr<br />

zu bremsen sei, wenigstens zum eigenen Vorteil nutzen, nutzbringend vermarkten, zumindest entsteht ja so etwas wie Reibungswärme, und Wärme<br />

ist Energie, Energie ist Geld. Man will schließlich weiterleben, und da hält man sich am besten an dem bisschen Gewohnten fest, das noch zu finden ist:<br />

der Suche nach dem eigenen Vorteil, und sei er noch so kurzfristig.<br />

Menschen scheinen auch durchaus imstande zu sein, solche Bewegungsabläufe zu erkennen, zu beschreiben, als systematisch zu begreifen und ihren<br />

zukünftigen Verlauf vorherzusagen - ein Problem haben wir allerdings damit, diesen Entwicklungen entgegenzusteuern. Nun ist naturgemäß nicht jede<br />

Entwicklung eine zum Schlechteren hin. Angesichts des Ausbeutungsgrades unserer Biosphäre durch die Hochleistungsökonomie und den immer<br />

gravierender werdenden Umweltfolgen muss jedoch konstatiert werden, dass es viele Entwicklungen gibt, die nicht nur dem Überleben bestimmter<br />

Ökosysteme etwa entgegenstehen, sondern dem eines stabilen Erdklimas insgesamt und damit eines Großteils des Lebens auf der Erde, nicht zuletzt<br />

des menschlichen. Denkbar ist allerdings auch, dass sich die Menschheit zwar selbst um die eigene Lebensgrundlage bringt, dass aber Leben in anderer<br />

2

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!