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150 Jahre BOKU Festrede Olga Flor

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Lebensgefühl der permanenten Überforderung. Das Gefährliche an diesem Gefühl ist, dass es leicht ist, darüber die Handlungsfähigkeit zu verlieren.<br />

Handlungsfähigkeit, die es doch ganz bestimmt braucht, um dem Klimawandel entgegenzutreten, der wohl das wirkmächtigste aller Probleme der<br />

Menschheit ist - sofern sie sich nicht rechtzeitig selbst ausrottet, denn auch das würde dem menschengemachten Klimawandel eindeutig ein Ende<br />

bereiten.<br />

Zum Erlangen der Handlungsfähigkeit angesichts von Krisen bedarf es mindestens der Fähigkeit zur Reflexion. Um Reflexionsfähigkeit zu erwerben,<br />

braucht es Ausbildung. Die Universität für Bodenkultur Wien bildet seit <strong>150</strong> <strong>Jahre</strong>n junge Menschen aus (seit 1919 auch Frauen), zunächst, wie der<br />

Name schon nahelegt, hauptsächlich für die Theorie und Praxis in Forst- und Landwirtschaft, aber auch und immer stärker für Fragen der Nachhaltigkeit<br />

derselben, sodass es zu der schon angesprochenen beeindruckenden aktuellen Breite an Fachgebieten und interdisziplinären Forschungsstrukturen<br />

kommt. Dabei war die Geschichte der <strong>BOKU</strong>, wie die der meisten Universitäten in Österreich, leider nicht immer rühmlich, nicht unerwähnt bleiben<br />

darf auch im heutigen Kontext die nationalsozialistische Ausrichtung der damaligen <strong>BOKU</strong> schon in der Zwischenkriegszeit, einer ihrer ehemaligen<br />

Professoren, der dem entgegenstand, Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, wurde 1938 im KZ Dachau ermordet, auch 66 jüdische und mindestens neun<br />

weitere Absolvent*innen und Studierende fielen dem NS-Terror zum Opfer. Trotz eines fast völligen Wechsels der Professorenschaft nach 1945 wurde<br />

mit der Vergangenheitsaufarbeitung erst in den 1980er-<strong>Jahre</strong>n und auf Druck der Studierenden begonnen, seit den 1990ern wurde sie intensiv von der<br />

<strong>BOKU</strong> betrieben, eines ihrer Ergebnisse war die Aberkennung des anlässlich der 100-Jahr-Feier 1972 verliehenen Ehrenrings an einen ehemaligen<br />

Veterinär- und Humanmediziner dieser Universität, der in der Kriegszeit Menschenversuche an schwarzafrikanischen KZ-Gefangenen durchgeführt<br />

hatte.<br />

Zurück in die Gegenwart: Was alle diese krisenhaften Entwicklungen, zumindest in der retrospektiven Aufarbeitung, so sie denn noch möglich ist und<br />

sein wird, eint, ist die immer deutlicher an die Oberfläche drängende Ahnung, dass man wissen hätte können und müssen, wo die points of no return<br />

waren, die einen Ereignishorizont konstituieren, ab dessen Überquerung keine Rückkehr mehr möglich ist. Diese points of no return entsprechen dem<br />

Bild des „Kipppunktes“, und, möchte ich hinzufügen, ich habe mich persönlich sehr gefreut, als die Rechtschreibreform endlich eine Aneinanderreihung<br />

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