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schönredeten, ebenso wie die Kriege in Georgien, Tschetschenien und Syrien, die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass, in Transnistrien,<br />
Südossetien und Abchasien, die Morde an Regimekritiker*innen wie etwa Anna Politkowskaja und Alexander Litwinenko, so lange der wirtschaftliche<br />
Austausch reibungslos funktionierte, also bis zum Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Und irgendwann in diesem langen Prozess des<br />
Wegsehens und Hinwirtschaftens muss es wohl auch einen Punkt gegeben haben, jenseits dessen der Machtwille des russischen Präsidenten nicht mehr<br />
zu stoppen war, ebensowenig das, was er aus einem imperialistischen Impuls heraus bereit war zu tun, einem Impuls, der irgendwo zwischen Iwan dem<br />
Schrecklichen und Stalin angesiedelt war, wie das Vladimir Sorokin in seinem hellsichtigen Buch „Der Tag des Opritschniks“ schon 2006 beschrieb: Ein<br />
Kipppunkt der Weltgeschichte hin zum großflächigen Angriffskrieg wurde überschritten.<br />
Nicht nur sorgt dieser Krieg - und dies ist offensichtlich nicht der erste in Europa seit 1945 und schon gar nicht global - für Flucht, Vertreibung,<br />
massenhaften Mord, Folter, Vergewaltigung und nicht zuletzt Umweltzerstörungen. Der Krieg hat auch Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit<br />
aufgrund der Mais- und Getreideproduktion - nicht zuletzt für die Massentierhaltung -, die auf den Schwarzerdeböden der Ukraine basiert, die, wie der<br />
altösterreichische Autor Josef Roth schrieb, ihre Fruchtbarkeit „faulenden Gebeinen“ 1 der Toten verdankten, ein Gedanke, der sich bruchlos an die<br />
Gegenwart fügt. Die Getreideproduktion der Ukraine ist nun stark gefährdet, wenn sie nicht ganz zum Erliegen kommt, von den mangelnden<br />
Exportmöglichkeiten aufgrund der Belagerung der Schwarzmeerhäfen ganz abgesehen. Die weltweite Hungerkrise verschärft sich, etwa im Jemen, in<br />
Nigeria und im Süd-Sudan 2 .<br />
Nicht nur dieser Krieg also, besonders auch die immer krasseren Folgen des scheinbar unbremsbaren ökonomischen Wachstumsgebots für alles Leben<br />
auf der Erde, nicht nur der Backlash gegen den Feminismus - durch den Krieg sowieso, aber auch durch Versuche in vielen Staaten, das Recht auf<br />
Zugang zu Abtreibung einzuschränken und überhaupt in vielfältiger Weise die Kontrolle über weibliche Körper zu erlangen - und alles, was heute<br />
„woke“ genannt wird und was doch eigentlich nur die Einfühlung und den Respekt gegenüber vielfältigen Lebens- und Identifikationsformen zum Ziel<br />
hat, nicht nur die nicht enden wollenden pandemischen Varianten, nein, nichts Einzelnes des Genannten, doch alles zusammen führt zu einem<br />
1 hier zitiert nach: Klaus Nüchtern: Wo es mir schlecht geht, dort ist mein Vaterland. Würdigung. Falter 14/22, S. 34ff.<br />
2 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/weizen-palmoel-indien-indonesien-exportverbot-1.5585553<br />
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