18.07.2022 Aufrufe

FOCUS_29_Agenda

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

AUSGABE <strong>29</strong><br />

16. Juli 2022<br />

EUROPEAN MAGAZINE AWARD WINNER 2022 POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />

POLITIK<br />

Die große<br />

Atomdebatte zur<br />

Energiekrise<br />

WISSEN<br />

Was wir in<br />

Zukunft essen<br />

werden<br />

ANGST VOR DER<br />

REZESSION<br />

Wenn unsere Wirtschaft einbricht<br />

und das Leben zu teuer wird<br />

Seit der Einführung<br />

hat der Euro ein<br />

Drittel an Kaufkraft<br />

verloren


AGENDA<br />

Nationale Ikone<br />

Als erster und bisher<br />

einziger Deutscher<br />

gewann Jan Ullrich 1997<br />

mit über einer Minute<br />

Vorsprung die Tour<br />

de France. Er war erst<br />

23 Jahre alt. Sein<br />

Triumph wurde als<br />

einer der wichtigsten<br />

Momente deutscher<br />

Sportgeschichte<br />

gefeiert<br />

22


HELDEN<br />

Mensch, Jan!<br />

Vor 25 Jahren gewann Jan Ullrich die Tour de France, löste einen Fahrrad-Hype aus und wurde zu einer<br />

Sportlegende. Wie Michael Schumacher, Henry Maske oder Boris Becker. Doch es folgten Doping, Drogen und ein<br />

tiefer Absturz. Zum Jubiläum fragt sich die deutsche Öffentlichkeit nun erneut: Wie konnte das passieren?<br />

TEXT VON CORINNA BAIER UND MARKUS GÖTTING<br />

Fo t o : dpa<br />

23


AGENDA<br />

Starke Konkurrenz<br />

Die Duelle zwischen Armstrong und<br />

Ullrich waren legendär. Der Amerikaner<br />

gewann sieben Mal die Tour<br />

de France. Siege, die ihm 2012<br />

wegen Dopings aberkannt wurden<br />

Seine Beine trugen ihn an die Spitze des<br />

Rad-Olymps und in die deutsche High Society.<br />

Doch sie konnten ihn nicht dort halten<br />

Zweiter Platz Jan Ullrich galt damals als Jahrhunderttalent des<br />

Radsports. Bei der Tour de France 2001 erreichte er allerdings am<br />

Ende fast sieben Minuten nach Sieger Lance Armstrong das Ziel<br />

24<br />

Schlechte Gesellschaft?<br />

1998: Der inzwischen verstorbene<br />

Manager Wolfgang Strohband (l.)<br />

baute Jan Ullrich auf. Der Belgier<br />

Rudy Pevenage (r.) war Leiter<br />

des Telekom-Teams und organisierte<br />

später Ullrichs Doping-Reisen<br />

Letzter Sieg Im Jahr 2000 holte Jan Ullrich Olympiagold<br />

im Straßenrennen in Sydney. Nach 239,4 Kilometern und<br />

fünfeinhalb Stunden. Danach ging es sportlich bergab<br />

Harter Absturz 2016 zog er<br />

in diese Finca auf Mallorca.<br />

Sein Tiefpunkt. Frau und Kinder<br />

flohen vor ihm, 2018 randalierte<br />

er betrunken auf dem Grundstück<br />

seines Nachbarn, Til Schweiger,<br />

und wurde verhaftet (r.)<br />

Große Sportler Jan Ullrich und<br />

Boris Becker sind schon seit 1997<br />

befreundet. 2009 kamen Ullrich<br />

und seine damalige Frau Sara zu<br />

Beckers (r.) Hochzeit in St. Moritz<br />

Fo t o s : Franck Faugère/dpa, Gero Breloer/dpa, Frank May/dpa, imago/Spot on Mallorca, EPA, Getty Images,


HELDEN<br />

Es gibt ein Lebenszeichen<br />

von Jan Ullrich. Und das ist<br />

nach all den Meldungen der<br />

vergangenen Jahre schon<br />

mal eine gute Nachricht. Es<br />

scheint ihm gut zu gehen.<br />

Gerade teilte er auf Social<br />

Media seinen über 100000 Followern mit,<br />

dass ihm die ARD-Doku „Being Jan Ullrich“<br />

„große Emotionen“ bereite. Und ein<br />

paar Tage später zeigte er sich verschwitzt<br />

im Radtrikot und von Kindern umringt.<br />

Ullrich, das weiß man jetzt, ist wieder<br />

zurückgekehrt in seine badische Wahlheimat<br />

Merdingen; also dorthin, wo sein<br />

Aufstieg zur Legende begann und man<br />

eine Straße nach ihm benannt hat. Aber<br />

ist er auch bei sich selbst angekommen?<br />

Kommendes Wochenende rollt der Tross<br />

der Tour de France auf den Champs-Élysées<br />

ein; es wird wieder diese Bilder geben von<br />

ausgemergelten Gestalten in bunten Klamotten,<br />

die Champagner trinkend durch<br />

Paris radeln. Vor<br />

25 Jahren trug Jan<br />

Ullrich hier das<br />

Gelbe Trikot, er<br />

war der erste und<br />

bislang einzige<br />

deutsche Tour-Sieger.<br />

Das ist wohl<br />

auch der Grund für<br />

die Retro-Wochen:<br />

Die ARD zeigt die<br />

großartige Doku-<br />

Reihe, Biografien<br />

kommen auf den<br />

Markt. Was fehlt,<br />

ist ein Spielfilm.<br />

Und Ullrichs Story<br />

hätte das Potenzial<br />

dazu. Offenbar<br />

Talentiertes Kind Jan Ullrich<br />

wuchs in Rostock auf.<br />

hat er die Rechte<br />

daran schon für<br />

Schon mit neun gewann er<br />

viel Geld an einen<br />

sein erstes Radrennen<br />

Streaming-Dienst<br />

verkauft.<br />

Der Radsport ist eine gute Metapher auf<br />

das Leben. Der Weg bergauf ist zäh und<br />

quälend lang, dann geht’s rasant bergab.<br />

Bei Ullrich ging alles wie in fast forward:<br />

rauf und runter. Und das gleich mehrmals.<br />

Auch deshalb wurde er in seinen besten<br />

Zeiten zur Projektionsfläche:<br />

Sein Duell gegen den Texaner Lance<br />

Armstrong ließ die Sportromantiker jedes<br />

Jahr davon träumen, dass die spielerische<br />

Leichtigkeit des Jahrhunderttalents über<br />

den maschinoiden Seriensieger triumphieren<br />

möge. Kann gut sein, dass Ullrich auch<br />

an diesen Erwartungen zerbrochen ist.<br />

Oder dass er zum Opfer einer geifernden<br />

Mediengesellschaft wurde. Oder eines von<br />

Kindheitstraumata oder<br />

seiner charakterlichen Disposition?<br />

Kam seine Entwicklung<br />

der Popularität<br />

nicht hinterher? Fehlte<br />

ihm Halt? Sicher ist, dass<br />

ein Absturz wie dieser selten<br />

monokausalen Mustern<br />

folgt.<br />

Amateur-Weltmeister<br />

1993, Tour-Gewinner vier<br />

Jahre später, Olympiasieger<br />

2000. Sein Name wurde<br />

zum Synonym einer ganzen<br />

Sportart; er personifizierte<br />

sie wie Boris Becker<br />

das Tennis, Michael Schumacher<br />

die Formel 1 und Henry Maske das<br />

Boxen. Aber Hype kann auch gnadenlos<br />

sein. Die „Süddeutsche“ schrieb neulich,<br />

dass es genau damit zusammenhängen<br />

könne, dass „der eine alte Held in der Entzugsklinik<br />

landet und der andere alte Held<br />

im Gefängnis“. Tatsächlich sind Ullrichs<br />

Fall und Beckers Fall wesensverwandt:<br />

das Resultat einer gewissen Hybris. Der<br />

unverwundbare Übersportler, der sich irdischen<br />

Gesetzmäßigkeiten entzieht. Und<br />

womöglich delektiert sich das Publikum<br />

auch gerade deshalb so sehr daran. Weil<br />

es das eigene mediokre Leben viel erträglicher<br />

macht.<br />

Gnade der Wade, Problem im Kopf<br />

Jan Ullrich, da sind sich in der Radsportszene<br />

alle einig, hatte das Talent, die Tour<br />

über ein Jahrzehnt zu dominieren. Er hätte<br />

dafür nicht mal an seine Grenzen gehen<br />

müssen. Er war ein begnadeter Radfahrer,<br />

physiologisch beschenkt. Aber<br />

dieses Geschenk steckte eben mehr in<br />

den Waden und den Oberschenkeln als<br />

im Kopf. Das trieb seinen<br />

Manager Wolfgang Strohband,<br />

einen freundlichen<br />

Autohändler, ebenso regelmäßig<br />

in den Wahnsinn wie<br />

seine Teamchefs und manche<br />

Kollegen. Antriebslosigkeit,<br />

Phlegma, Trainingsphobie –<br />

es gab nur wenige Momente,<br />

in denen Ullrich körperlich<br />

sein Potenzial erreichte. „Der<br />

Ulle war als Rennfahrer wie<br />

ein pubertierender 15-Jähriger,<br />

der keinen Bock auf seine<br />

Hausaufgaben hat“, sagt<br />

ein langjähriger Wegbegleiter,<br />

„geistig ist er ungefähr auf<br />

dem Level stehen geblieben.“<br />

Tatsächlich verprasste Ullrich<br />

sein Talent exakt so wie<br />

später die vielen Millionen,<br />

Junger Star Ullrich am Hotelpool in<br />

St. Etienne, Frankreich, im Juli 1997. Damals<br />

bestimmte er die Schlagzeilen zu Hause<br />

»<br />

Der Ulle war<br />

als Rennfahrer<br />

so wie ein<br />

pubertierender<br />

15-Jähriger,<br />

der keinen Bock<br />

hat, seine<br />

Hausaufgaben<br />

zu machen<br />

«<br />

ein langjähriger<br />

Wegbegleiter<br />

die er sich jahrelang erstrampelt<br />

hat. Er wusste<br />

seine Begabung nicht zu<br />

schätzen. Aus mangelndem<br />

Respekt vor sich<br />

selbst? Jan Ullrich ist wie<br />

ein Lottokönig, der nach<br />

zehn fetten Jahren wieder<br />

bei null ankommt.<br />

Es ist das ungute Spiel<br />

von Hoffnung und Enttäuschung,<br />

von vermeintlicher<br />

Läuterung und Ignoranz.<br />

Ullrich führte es jedes<br />

Jahr neu auf.<br />

Im Jahr 2004 veröffentlichte<br />

Ullrich gemeinsam<br />

mit einem ARD-Journalisten eine Biografie;<br />

es war eine erstaunlich schonungslose<br />

Auseinandersetzung mit sich und seinen<br />

Schwächen, und was er über seine Kindheit<br />

berichtete, mag diese permanente<br />

Berg-und-Tal-Fahrt erklären. Das Aufwachsen<br />

in der DDR, der Vater ein Hardcore-Säufer,<br />

der die Kinder verprügelte<br />

und die Ehefrau noch mehr und schließlich<br />

die Familie sitzen ließ. Jan Ullrich war<br />

inzwischen selbst Vater geworden und<br />

in die Schweiz an den Bodensee gezogen,<br />

in eine Villa, die nach Idyll aussah.<br />

Und mit einem Mal setzte auch bei ihm<br />

ein Denkprozess ein. Er stand auf der<br />

Terrasse seinen neues Hauses, goss das<br />

Planschbecken aus und sprach darüber,<br />

dass er zwar alles anders machen wolle,<br />

aber wohl mehr von seinem Vater geerbt<br />

habe, als ihm lieb sei.<br />

Er hatte damals gar keine Ahnung, wie<br />

viel von seinem Vater tatsächlich in ihm<br />

steckte. Jan Ullrich ist als Mensch ebenso<br />

ambivalent wie der gesamte Profiradsport.<br />

An nüchternen Tagen ist er charmant, der<br />

sommersprossige Nachbarsjunge.<br />

Er kann sich aber auch<br />

in einen Teufel verwandeln.<br />

Mit dem Radsport verhält<br />

es sich ähnlich. Die Tour de<br />

France ist eine Showveranstaltung,<br />

ersonnen von einem<br />

Journalisten, um auch im Sommerloch<br />

etwas berichten zu<br />

können. Allein die Streckenführung<br />

visualisiert nationale<br />

Symbolik und Geschichte;<br />

und das Rennen erzählt<br />

ein faszinierendes Epos<br />

von Leid und Grenzgängertum.<br />

Der Philosoph Roland<br />

Barthes beschrieb sie als<br />

durchinszeniertes Schauspiel;<br />

eine Mythenmaschine, die<br />

zur Heroisierung der Sportler<br />

und des technischen<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>29</strong>/2022 25


AGENDA<br />

HELDEN<br />

Für ein Leben nach dem<br />

Sport fehlte Jan Ullrich<br />

der Wille und die Fähigkeit<br />

zur Gestaltung<br />

Fortschritts beiträgt. Doch was hinter<br />

der Bühne geschah, wollten viele<br />

nicht wahrhaben: Die meisten waren<br />

gedopt.<br />

Medikamente, die auf Autobahnparkplätzen<br />

gefunden, Kuriere, die<br />

vom Zoll aufgehalten wurden, Spritzen<br />

im Hotelmüll – man ahnte, was in den<br />

Zimmern vor sich ging. Die Tour galt als<br />

rollende Apotheke. Und wurde trotzdem<br />

gefeiert. Bis die spanische Polizei einen<br />

Arzt namens Eufemiano Fuentes hochnahm<br />

und in seinen Tiefkühlschränken<br />

massenweise Blutbeutel entdeckte. Das<br />

war unmittelbar vor der Tour 2006. Und<br />

dieser Fund teilt Jan Ullrichs Leben in ein<br />

Davor und ein Danach.<br />

In Deutschland nahm gerade das Sommermärchen<br />

seinen Lauf, als im Hotel<br />

„Au Boeuf“ in Blaesheim bei Straßburg<br />

der ganz persönliche Albtraum des Jan<br />

Ullrich begann. Wenige Stunden vor<br />

Tourstart war die Herberge, in der einst<br />

Helmut Schmidt und Valérie Giscard<br />

d’Estaing auf die deutsch-französische<br />

Freundschaft anstießen, belagert von<br />

der Weltpresse. Ullrich war als Fuentes-<br />

Klient aufgeflogen. Er zeterte, er leugnete.<br />

Später hörte man auf dem Flur im<br />

zweiten Stock ein Surren aus Zimmer 17.<br />

Ullrich hatte sein Rad in einen Rollentrainer<br />

eingespannt und trat wütend in die<br />

Pedale. Gerade so, als könne er vor dem<br />

Unheil flüchten. Und doch kam er nicht<br />

von der Stelle.<br />

Doping ist ein komplexes Thema. Es<br />

ist unentschuldbar, klar, aber lässt es sich<br />

relativieren? Muss man junge<br />

Menschen verurteilen, die ihre<br />

Jugend diesem Traum von der<br />

Tour de France geopfert haben<br />

und feststellen, dass er sich nur<br />

mit Beschleunigern erfüllen<br />

lässt? 2006 war die Implosion<br />

eines kriminellen Systems, in<br />

dem sogar Teamärzte ihr Gehalt<br />

als Dealer aufgebessert haben<br />

sollen. Viele deutsche Fahrer<br />

haben sich später unter Tränen<br />

geoutet. Sie waren Täter und<br />

Opfer zugleich. Jan Ullrich sieht<br />

sich immer nur als Opfer, und<br />

selbst im Moment der Beichte<br />

hat er noch gelogen. Weil er in<br />

einer Parallelwelt lebt?<br />

Neues Buch<br />

Im Jubiläumsjahr kamen<br />

viele neue Biografien auf den<br />

Markt. Wie diese von Sportjournalist<br />

Sebastian Moll<br />

Neue Liebe Jan Ullrich<br />

und die Kubanerin Elizabeth<br />

Napoles sind mit kurzer<br />

Unterbrechung seit 2018 ein<br />

Paar, sie leben gemeinsam<br />

in Merdingen bei Freiburg<br />

Alte Freunde Lance<br />

Armstrong und Jan Ullrich<br />

sind eng verbunden,<br />

halfen sich durch Krisen<br />

und fahren noch immer<br />

gemeinsam Fahrrad, wie<br />

hier, 2021 auf Mallorca<br />

Viele Leute glauben, Doping senke die<br />

Hemmschwelle für Drogenkonsum. Das<br />

ist vermutlich Unsinn. Das Peloton hat<br />

kein Heer von Junkies generiert. Dass<br />

Jan Ullrich auch zu seiner aktiven Zeit<br />

gesoffen, gekokst und Ecstasy eingeworfen<br />

hat, war wohl seine Art der Realitätsflucht.<br />

Seine Art, mit dem Druck und mit<br />

seinem Kopf umzugehen. Er wollte sich<br />

betäuben.<br />

Für ein Leben nach dem Sport fehlte<br />

Jan Ullrich der Wille – und die Fähigkeit<br />

zur Gestaltung. Er schuf sich eine ganz<br />

andere Hölle. Ohne Identität,<br />

ohne Team, ohne Halt, dafür<br />

aber mit Hang zu Alkohol,<br />

Drogen und Selbstzerstörung;<br />

er schlitterte von einer verheerenden<br />

Schlagzeile in die<br />

nächste. Dabei entstanden so<br />

tragische Zeitzeugnisse wie<br />

das Video, in dem er betrunken<br />

versucht, den Weltrekord<br />

im Rauchen zu brechen, und<br />

sich zig Zigaretten in den<br />

Mund steckt. Lallend und sabbernd<br />

beschimpfte er Leute.<br />

Es schien, als begegnete er<br />

seiner Abwärtsspirale mit dem<br />

gleichen unmotivierten Fatalismus,<br />

der ihn durch seine<br />

Radkarriere stolpern ließ. Er ergab<br />

sich lange dem Schicksal, das schon<br />

seinen Vater aufgefressen hatte.<br />

2014 verursachte er mit ordentlich<br />

Promille in der Schweiz einen Autounfall<br />

mit zwei Verletzten, bekam<br />

dafür 21 Monate auf Bewährung und<br />

eine Geldstrafe.<br />

2016 zog er mit der Familie nach<br />

Mallorca, wo alles nur schlimmer<br />

wurde. 2018 ergriff seine Frau die<br />

Flucht. Ulle blieb, randalierte auf Til<br />

Schweigers Grundstück, wurde verhaftet.<br />

Nur Tage später<br />

klickten die Handschellen<br />

wieder, diesmal in<br />

Frankfurt. Ullrich soll in<br />

einem Luxushotel eine<br />

Prostituierte gewürgt haben,<br />

kurz darauf stellte<br />

ein Restaurantbesitzer<br />

Anzeige wegen Körperverletzung.<br />

Ullrich drehte frei und<br />

sorgte für Fotos, die der<br />

Welt das Bild eines Mannes<br />

zeigten, der versucht,<br />

Boden unter die Füße zu<br />

bekommen – nur um<br />

wieder abzurutschen. Er<br />

machte einen Entzug in<br />

der Betty-Ford-Klinik, zog<br />

zurück in den Schwarzwald, gab den<br />

bodenständigen Familienvater. Doch auf<br />

die Inszenierung einer Wiedergeburt bei<br />

einem Fahrradurlaub mit Lance Armstrong<br />

folgte die Nachricht eines erneuten<br />

Zusammenbruchs in Mexiko, der auf<br />

einer Intensivstation endete.<br />

Halt für den Haltlosen<br />

Bei einem seiner wenigen öffentlichen<br />

Auftritte der vergangenen Jahre, einem<br />

Podcast-Gespräch mit seinem einstigen<br />

Erzrivalen und guten Freund Armstrong<br />

im vergangenen September, sagte er:<br />

„Ich war auf demselben Weg wie Marco<br />

Pantani. Ich war beinahe tot.“ Wie Ullrich<br />

wurde Pantani über Nacht vom Nationalhelden<br />

zum Antihelden. Der Tour-de-<br />

France-Sieger des Jahres 1998 wurde<br />

mit einer Überdosis Kokain tot in einem<br />

Hotelzimmer in Rimini aufgefunden.<br />

Nun, in Merdingen, wird die Zeit ein<br />

wenig zurückgedreht. Seine alten Radkumpels<br />

Dirk und Mike Baldinger hatten<br />

den Kontakt zu Armstrong hergestellt;<br />

es wirkt, als hätten sie Ullrich damit das<br />

Leben gerettet. Und auch wenn die Pläne<br />

für ein Radzentrum im 2500-Einwohner-<br />

Ort einstweilen gescheitert sind, so versuchen<br />

seine Freunde doch, dem ewig<br />

Haltlosen den nötigen Halt zu geben. ■<br />

Fo t o s : action press, instagram.com/lancearmstrong<br />

26 <strong>FOCUS</strong> <strong>29</strong>/2022

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!