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20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin

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nr. 3 dezember <strong>20</strong>09, 29. Jg.<br />

Perspektive von außen<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten erlebten die öffnung der Grenze<br />

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Mauerfall</strong><br />

Wendesprache<br />

Schlüsselwörter der Vereinigung<br />

Wirtschaftskrise<br />

Mehr Moral für Manager<br />

Wohltaten<br />

Viel Engagement fürs Ehrenamt


Foto: Fotex / Lothar Kruse<br />

2<br />

InhalT<br />

Wollten endlich mitbestimmen:<br />

Studenten in Ost-Berlin<br />

S.4<br />

Wissen und Meer:<br />

Ortstermin Greifswald<br />

S.22<br />

Google-Chef Europa:<br />

<strong>DAAD</strong>-Alumnus Nelson Mattos<br />

ist leidenschaftlicher Informatiker<br />

S.39<br />

Titel:<br />

Offene Grenze:<br />

DDR-Bürger auf dem Weg in den Westen<br />

S.10<br />

Foto aus: Universität Leipzig 1943 bis 1992, Blecher/iemers,<br />

Sutton Verlag, Erfurt <strong>20</strong>06<br />

Foto: flickr.com<br />

Foto: Google<br />

<strong>DAAD</strong> Letter – Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />

Dialog<br />

Die Mauer fällt zu früh<br />

Seite 4<br />

Über die Demokratiebewegung an der Humboldt-Uni<br />

vor dem <strong>Mauerfall</strong> S. 4<br />

<strong>DAAD</strong>-Standpunkt S. 6<br />

Spektrum Deutschland Seite 7<br />

Titel Seite 10<br />

Vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten waren Augenzeugen,<br />

als die Mauer fiel S. 10<br />

Eine Reform von oben<br />

Umbau der ostdeutschen Hochschulen S. 14<br />

Sprachrevolte von kurzer Dauer<br />

Wortschöpfungen der Wendezeit S. 16<br />

Hochschule Seite 18<br />

Neues vom Campus<br />

Wissenschaft Seite <strong>20</strong><br />

Moral für künftige Manager<br />

Ethik findet in Wirtschaftswissenschaften<br />

stärkere Beachtung<br />

Ortstermin Seite 22<br />

Greifswald: Kurze Wege für Wissenschaft<br />

Europa Seite 24<br />

Kein Luxus<br />

Afrika und Europa – eine Partnerschaft auf Augenhöhe<br />

Trends Seite 26<br />

Helfer aus Leidenschaft<br />

Ehrenamtliches Engagement nimmt zu<br />

Rätsel Seite 28<br />

Sprachecke Seite 29<br />

<strong>DAAD</strong> Report<br />

Deutschland „ganz normal“<br />

Bundestagswahl aus der Sicht<br />

Seite 30<br />

ausländischer Wissenschaftler<br />

Sternstunden eines Programms<br />

S. 30<br />

Umgestaltung vom Plan zum Markt S. 32<br />

Nachrichten S. 33<br />

Stipendiaten forschen<br />

Gestern Stipendiat – und heute ...<br />

S. 34<br />

Nelson Mattos S. 39<br />

Köpfe S. 41<br />

Impressum S. 42<br />

Deutsche Chronik Seite 43<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n brachten die Menschen in<br />

der DDR mit ihrer friedlichen Revolution<br />

die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten<br />

zu Fall – mit weitreichenden politischen<br />

Folgen. Viele Ausländer waren im November<br />

1989 in Berlin dabei, darunter zahlreiche<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten. Dort, wo einst Betonmauer<br />

und Todesstreifen die Deutschen voneinander<br />

trennten, herrschte vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />

ausgelassene Volksfeststimmung. Der niederländische<br />

Schriftsteller Cees Nooteboom,<br />

damals Gast im Berliner Künstlerprogramm<br />

des <strong>DAAD</strong>, hielt seine Erinnerungen zeitnah<br />

in einem Tagebuch fest. Als er jetzt, im Herbst<br />

<strong>20</strong>09, wieder einmal in der Hauptstadt war,<br />

sagte er aus vollem Herzen: „Dass ich den<br />

<strong>Mauerfall</strong> erlebt habe, war ein unglaublicher<br />

Glücksfall in meinem Leben.“ Lesen Sie seine<br />

und die Erinnerungen anderer Alumni in der<br />

Titelgeschichte (Seite 10).<br />

Der Aufbruch in der DDR spiegelte sich<br />

auch in einer gewandelten Sprache. Die<br />

leeren SED-Parolen und das lähmende DDR-<br />

Amtsdeutsch hatten ausgedient. Betonkopf,<br />

Ossi, Wendehals – manche Wortschöpfungen<br />

dieser politischen Wendezeit halten sich bis<br />

heute, andere sind kaum noch in Gebrauch.<br />

Was die deutsche Wiedervereinigung für die<br />

Sprachkultur bedeutete, erfahren Sie auf den<br />

Seiten 16–17. Wie sie sich auf die Hochschulen<br />

im Osten auswirkte, ist auf Seite 14 zu lesen.<br />

Ein Beispiel ist die im Nordosten Deutschlands<br />

gelegene Universität Greifswald.<br />

Ihr brachte die politische Wende zunächst die<br />

bittere Wahrheit, international nicht mithalten<br />

zu können. Aber die Greifswalder nutzten<br />

die Chance der Erneuerung und sind heute<br />

sowohl in den Naturwissenschaften als auch<br />

in der Medizin Spitze. Das Porträt der Studentenstadt<br />

und Forschungsregion Greifswald<br />

zeichnet den wissenschaftlichen Wandel nach<br />

(Seite 22).<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Um gesellschaftlichen Wandel geht es in<br />

der Rubrik Trends (Seite 26): Immer mehr<br />

Deutsche engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich,<br />

sei es im Fußballverein oder in der<br />

Krankenbetreuung. So kommen unglaubliche<br />

4,6 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr ohne<br />

Entlohnung zusammen. Nach wie vor geht es<br />

den Helfern darum, Gutes zu tun, aber ebenso<br />

stark ist der Wunsch nach gesellschaftlicher<br />

Mitgestaltung und danach, einen eigenen Nutzen<br />

aus dem Engagement zu ziehen.<br />

Im Dienst der Gesellschaft sollte auch die<br />

Wirtschaft stehen – und nicht umgekehrt.<br />

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

lässt Zweifel aufkommen, welche Maßstäbe<br />

Banker und Unternehmer sich selbst setzen.<br />

In Deutschland hat die Krise die Diskussion<br />

um Ethik als Schwerpunkt im Studienfach<br />

Wirtschaftswissenschaften neu belebt<br />

(Seite <strong>20</strong>).<br />

Man nannte sie die Lore(ck)ley,<br />

kein Thema ging an ihr vorbei,<br />

die Harfe war ihr „Letter“;<br />

wo Heine gut war,<br />

war sie better.<br />

(unbekannter rheinischer Dichter, frühes 21.Jh.)<br />

EdITorIal 3<br />

Ein Wort in eigener Sache: Anfang <strong>20</strong>09,<br />

nach 26 <strong>Jahre</strong>n, verabschiedete sich Leonie<br />

Loreck von der Chefredaktion des Letter. Sie<br />

prägte das <strong>DAAD</strong>-Alumni<strong>magazin</strong>. „Deutschland<br />

immer wieder neu erklären“, lautete ihr<br />

Motto. Ganz zurückgezogen hat sich Leonie<br />

Loreck aber nicht: Als Autorin – sie sammelte<br />

in dieser Ausgabe unter anderem die Stimmen<br />

der Alumni zum <strong>Mauerfall</strong> – und als Ratgeberin<br />

steht sie der heutigen Redaktion nach<br />

wie vor zur Seite. Dafür danken wir ihr. Den<br />

persönlichen handgezeichneten Dank von<br />

<strong>DAAD</strong>-Generalsekretär Christian Bode sehen<br />

Sie ebenfalls auf dieser Seite.<br />

W<br />

ir wünschen allen Leserinnen und<br />

Lesern ein frohes, gesundes und friedliches<br />

Jahr <strong>20</strong>10.<br />

Der <strong>DAAD</strong> und die Letter-Redaktion<br />

Illustration: Christian Bode


4 dIalog<br />

Foto: Metin Yilmaz<br />

die Mauer fällt zu früh<br />

Der Tag, als die Mauer die Wahlurnen der Humboldt-Uni unter sich begrub VON CHRISTIAN FÜLLER<br />

Christian Füller, 45,<br />

Politikredakteur bei der<br />

Berliner Tageszeitung<br />

„taz“ und Autor mehrerer Bücher, war 1990/91<br />

Stipendiat des <strong>DAAD</strong> in Ostberlin und Leipzig.<br />

Die Zusage für das Stipendium bekam er noch<br />

zur DDR-Zeit, denn bereits seit 1988 konnten<br />

Westdeutsche an ostdeutschen Universitäten<br />

studieren und forschen. Möglich war dieser vom<br />

<strong>DAAD</strong> organisierte Studentenaustausch durch<br />

das Kulturabkommen von 1986 und eine Vereinbarung<br />

über wissenschaftliche Zusammenarbeit<br />

von 1987. Mehrere Hundert west- und<br />

ostdeutsche Studierende wechselten damals<br />

über die innerdeutsche Grenze.<br />

Christian Füller, zu der Zeit Politologiestudent<br />

an der Freien Universität Berlin, nutzte diese<br />

Chance, um für seine Diplomarbeit über „Die<br />

Rolle der Studierenden beim Umbruch in den<br />

DDR-Universitäten 1989–1990“ zu forschen.<br />

Dazu befragte er Studierende in Ostberlin<br />

und Leipzig. Am 9. November 1989 war Füller<br />

selbst nicht in Berlin, sondern steckte in einem<br />

rund 50 Kilometer langen Stau auf dem Weg<br />

von Bonn nach Berlin. Was er einen fiktiven<br />

Studenten der Humboldt-Uni im nebenstehenden<br />

Beitrag sagen lässt, ist eine Zusammenstellung<br />

aus seinen 1990 durchgeführten<br />

Recherchen und Gruppeninterviews.<br />

Foto: ullstein - dpa(85)<br />

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer<br />

fiel und die Grenze zwischen beiden<br />

deutschen Staaten geöffnet wurde, waren<br />

davon auch die Studenten an den DDR-<br />

Hochschulen völlig überrascht. Anzeichen<br />

von Veränderung hatte es an den Unis<br />

allerdings schon vorher gegeben: Studierende<br />

suchten Auswege aus dem politisch<br />

autoritären System und begannen sich dagegen<br />

zu wehren, dass die „Freie Deutsche<br />

Jugend“ (FDJ) als staatliche Massenorganisation<br />

allein für die Vertretung der Studenten<br />

zuständig war.<br />

An der Uni Leipzig beschlossen Studierende<br />

Ende Oktober die damals illegale Gründung<br />

eines Studentenrats und forderten<br />

die Abschaffung der Pflichtstunden im<br />

Fach Marxismus-Leninismus. Auch an der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin suchten<br />

Studenten nach neuen Formen der Mitsprache.<br />

Sie hatten für den 10. November<br />

eine große Pressekonferenz geplant, auf<br />

der sie die Abwahl der FDJ-Vertreter verkünden<br />

wollten. Doch durch die Ereignisse<br />

vom 9. November kam alles anders.<br />

Christian Füller rekonstruiert für Letter<br />

die Situation von damals, indem er sich in<br />

die Lage der DDR-Studenten hineinversetzt.<br />

Aus der Sicht eines dieser Studenten<br />

schildert er den Tag des <strong>Mauerfall</strong>s an der<br />

Humboldt-Universität. Dabei stützt er sich<br />

auf Interviews, die er als Westberliner Politologiestudent<br />

und <strong>DAAD</strong>-Stipendiat 1990<br />

an der Humboldt-Universität geführt hat<br />

(siehe Kasten).<br />

Ich erinnere mich nur schemenhaft an den<br />

9. November 1989. <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> sind doch eine<br />

lange Zeit. Allerdings graben sich bestimmte<br />

Erlebnisse ein – dann nämlich, wenn sie Geschichte<br />

gemacht haben. Wir hatten die Nacht<br />

über gezählt, Stimmen gezählt. Immerhin<br />

wollten wir uns als Studenten nicht weiter sagen<br />

lassen, wir seien das fünfte Rad am Wagen<br />

der Historie. Also hatten wir eine demokratische<br />

Urabstimmung darüber angesetzt, ob<br />

die FDJ als Massenorganisation weiterhin die<br />

Vertretung unserer Belange sein sollte – oder<br />

ob wir künftig selbst unsere Vertreter aufstellen<br />

und wählen sollten.<br />

Unsere Lage war nicht schlecht. Es hatten viele<br />

Studenten mit abgestimmt. Für den 10. November<br />

war eine Pressekonferenz geplant, zu<br />

der sich viele Medienleute angemeldet hatten.<br />

Wir hatten die Chance unseres jungen demokratischen<br />

Lebens: Die erste Gruppe in der<br />

DDR zu sein, die ihre im Staatsaufbau vorgesehene<br />

Vertretung einfach abwählt. Aber wir<br />

mussten fertig werden!<br />

Unser Ehrgeiz war groß, denn es gab ja auch<br />

noch die Leipziger. Dort hatten sich die Studenten<br />

nach und nach unter die Teilnehmer<br />

der Montagsdemonstrationen gemischt. Manche<br />

hatten sie auch mit organisiert - wenn<br />

auch nicht als Studenten, sondern als Mitglieder<br />

kirchlicher oder Umwelt-Gruppen, die<br />

nicht mehr mitansehen mochten, wie mit den<br />

Menschen in der DDR umgegangen wurde.<br />

Wir lieferten uns also mit den Studenten aus<br />

Leipzig ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wem würde<br />

es gelingen, eine echte demokratische Studentenvertretung<br />

aufzubauen? Und das mit demokratischen<br />

Mitteln. Wir waren sehr erpicht<br />

darauf, mit einwandfreien demokratischen<br />

Methoden die FDJ abzuwählen!<br />

Die Berliner Humboldt-Universität<br />

zur DDR-Zeit<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Wir an der Humboldt-Universität hatten den<br />

Ball aus Leipzig aufgegriffen. Nach den Sommerferien<br />

1989 waren wir zunächst verwundert,<br />

dass relativ viele Studenten wieder an<br />

die Uni zurückgekehrt waren. Nicht sehr viele<br />

waren über Prag oder Ungarn in den Westen<br />

geflüchtet. Gleichzeitig herrschte an der Uni<br />

eine sehr merkwürdige Stimmung. Allen war<br />

klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die<br />

Prügelorgie gegen Demonstranten am 7. Oktober<br />

in Berlin, dem 40. <strong>Jahre</strong>stag der Gründung<br />

der DDR, gab den Ausschlag.<br />

Manche von uns hatten das mitbekommen<br />

oder wurden selbst geschlagen oder verhaftet.<br />

Am 12. Oktober gab es eine spontane<br />

Versammlung an der Mensa Nord in der Reinhardtstraße.<br />

Wir Studenten machten deutlich:<br />

So lassen wir nicht mehr mit uns umspringen.<br />

Wir forderten die sofortige Freilassung der<br />

Inhaftierten („Zugeführten“, wie man damals<br />

sagte) und die Bestrafung der „Prügelpolizisten“.<br />

Wir wollten darüber hinaus das, was man seit<br />

Menschengedenken in demokratischen Prozessen<br />

fordert: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit,<br />

Versammlungsfreiheit. Wir wollten einen<br />

offenen Dialog über die Vorgänge in Staat und<br />

Uni und Veränderungen an der Universität<br />

selbst – also den freien Umgang mit Wissenschaft,<br />

Offenheit im Seminardiskurs und die<br />

Abschaffung der obligatorischen „Roten Woche“,<br />

in der Studenten und Dozenten politisch<br />

„auf Linie gebracht“ werden sollten.<br />

Die Versammlung vom 12. Oktober wurde uns<br />

allerdings schnell von FDJ-Funktionären aus<br />

der Hand genommen. Der Auflauf war auch<br />

gut von Leuten der Staatssicherheit (Stasi)<br />

überwacht. Doch stoppen konnten sie nichts<br />

mehr. Am 17. Oktober kam es zu einer Studenten-Versammlung<br />

in der Humboldt-Uni.<br />

Damals war es – wie wir heute wissen – das<br />

Ziel der FDJ sowie der Stasi und alarmierter<br />

Polizeikräfte, auf jeden Fall zu verhindern,<br />

dass womöglich eine spontane Versammlung<br />

aus der Humboldt-Universität heraus auf die<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: ullstein bild - Fisahn<br />

Straße marschierte – und Richtung Volkskammer<br />

zog. Oder, was schlimmer gewesen wäre,<br />

zum Brandenburger Tor! Stellen Sie sich vor:<br />

DDR-Studenten fordern vor dem Brandenburger<br />

Tor Veränderungen.<br />

Aber dazu kam es nicht. Die FDJ allerdings hatte<br />

auch keine Chance. Wir diskutierten in den<br />

einzelnen Hörsälen, und es war vollkommen<br />

klar: Die Studenten wollten eine Abstimmung<br />

über die FDJ. Genau diese Urabstimmung wurde<br />

beschlossen – und dann auch gemacht.<br />

Über diesen Stimmzetteln saßen wir am 9. November<br />

1989. Wir leerten die Urnen und freuten<br />

uns, dass wir am 10. November bei einer<br />

Pressekonferenz verkünden konnten, dass 60<br />

oder 70 Prozent der Studierenden der Humboldt-Universität<br />

zu Berlin die FDJ einfach<br />

abgewählt hatten. Allein – und das müssen<br />

wir heute niemandem erklären: Zu der Pressekonferenz<br />

kam es nicht, und es wäre auch<br />

kein Mensch mehr dorthin gekommen. Nicht<br />

einmal wir. Denn auch viele von uns hatten<br />

Urnen und Wahlzettel stehen gelassen und<br />

waren rüber in den Westen auf den Kurfürstendamm.<br />

dIalog<br />

Die Mauer öffnete sich. Die DDR hatte damit<br />

faktisch aufgehört zu existieren. Auch wenn<br />

sie noch ein paar Zuckungen machte. Wir waren<br />

froh – und fühlten uns zugleich betrogen.<br />

Wieso hatte diese blöde Mauer nicht noch<br />

einen einzigen Tag länger halten können?<br />

Wir wären in der „Aktuellen Kamera“ in den<br />

Abendnachrichten des DDR-Fernsehens gewesen.<br />

Wir hätten in allen Zeitungen gestanden<br />

als jene Gruppe, die beginnt, von innen heraus<br />

die DDR zu demokratisieren. Ich erinnere<br />

mich an den Satz eines Kommilitonen:<br />

„Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich<br />

mir gewünscht, dass die Mauer bitte stehenbleiben<br />

möge – für 24 Stunden!“ So aber hatte<br />

uns die Geschichte um unsere Urabstimmung<br />

betrogen. Oder waren wir einfach zu spät aufgewacht?<br />

Studenten an der Humboldt-Uni:<br />

Diskussionsveranstaltung über die<br />

Jugendorganisation FDJ am<br />

17. Oktober 1989<br />

5


6 dIalog<br />

Zusammenarbeit<br />

mit Krisenstaaten<br />

Auch in schwierigem Umfeld engagieren sich<br />

<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen für den<br />

wissenschaftlichen Austausch<br />

Von Stefan Hormuth<br />

Jeder kennt die beunruhigenden Nachrichten<br />

aus Afghanistan, Pakistan, Irak und<br />

anderen Kriegs- und Krisengebieten der Welt.<br />

Was die wenigsten wissen: Auch in diesen<br />

Regionen unterstützt der <strong>DAAD</strong> deutsche<br />

Universitäten und Fachhochschulen darin,<br />

Kontakte zu ihren akademischen Partnern,<br />

zu Forschern und Wissenschaftlern zu halten<br />

oder zu knüpfen. Die Gründe für dieses<br />

Engagement sind vielfältig – zum einen sind<br />

wir davon überzeugt, dass wissenschaftliche<br />

Kooperation und offener Dialog mit intellektuellen<br />

Eliten und Studierenden möglichen<br />

Konflikten vorbeugen und zur Aufarbeitung<br />

beitragen können. Zum anderen sind Hochschulen<br />

zentrale Orte, um nach kriegerischen<br />

Auseinandersetzungen Fachkräfte für den<br />

Wiederaufbau auszubilden und einen wichtigen<br />

Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft<br />

zu leisten.<br />

Eines der zentralen Beispiele für die Kooperation<br />

mit krisengeschüttelten Staaten ist die Zusammenarbeit<br />

mit Afghanistan. Im Dezember<br />

<strong>20</strong>01 legte die Bundesregierung das Sonderprogramm<br />

„Stabilitätspakt Afghanistan“ auf.<br />

Der <strong>DAAD</strong> erhielt den Auftrag, mit jährlichen<br />

Zuwendungen des Auswärtigen Amtes den<br />

deutschen Beitrag zum akademischen Aufbau<br />

zu organisieren und zu koordinieren. Sondierungsreisen<br />

nach Kabul im Jahr <strong>20</strong>02 machten<br />

deutlich, dass es an allem fehlte: Es gab kaum<br />

qualifizierte Dozenten, denn viele waren im<br />

Krieg ums Leben gekommen. Die verbliebenen<br />

verfügten häufig nur über international<br />

nicht anerkannte Bachelor-Abschlüsse. Auch<br />

an Lehrmitteln, modernen Curricula sowie<br />

an Strom, Wasser und Gebäuden mangelte<br />

es. Die Soforthilfe bestand darin, möglichst<br />

viele afghanische Dozenten in speziellen<br />

Sommer- und Winterakademien an deutschen<br />

Hochschulen mit dem nötigsten Fachwissen<br />

zu versorgen und Spielräume für künftige Kooperationen<br />

auszuloten. Anschließend wurde<br />

die Zusammenarbeit mit den afghanischen<br />

Partnerhochschulen ausgeweitet und es wurden<br />

Fachkoordinatoren und Schwerpunktfächer<br />

für den weiteren zielgerichteten Aufbau<br />

ausgewählt.<br />

Die Erfolge sind bereits klar erkennbar: Das<br />

Bachelorstudium ist modernisiert, die technischen<br />

Einrichtungen sind verbessert, die Lehrmittel<br />

weitgehend aktualisiert. Die ersten Stipendiaten<br />

kehrten mit deutschen Master- und<br />

PhD-Abschlüssen an ihre Heimathochschulen<br />

zurück, wo sie nun unterrichten. Besonders<br />

erfreulich ist, dass ein Fünftel der geförderten<br />

Afghanen Frauen sind. Noch bleibt viel zu<br />

tun, doch eines ist klar: Krisenstaaten bleiben<br />

nicht immer Krisenstaaten. Ein gutes Beispiel<br />

dafür ist ein anderer Stabilitätspakt, nämlich<br />

Foto: Franz Möller<br />

daad-Standpunkt<br />

Professor Stefan Hormuth ist<br />

Präsident des <strong>DAAD</strong><br />

der für Südosteuropa. Hier konnten deutsche<br />

Hochschulen unmittelbar nach dem Ende der<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen den wissenschaftlichen<br />

Austausch nahtlos mit ihren<br />

Partnern fortsetzen, weil sie auch während der<br />

Krise verlässlich geblieben waren.<br />

Das jüngste Beispiel für die intensive Zusammenarbeit<br />

mit einem Krisenstaat ist die Strategische<br />

Akademische Partnerschaft mit dem<br />

Irak. Im Februar <strong>20</strong>09 haben der <strong>DAAD</strong> und<br />

das dortige Hochschulministerium eine weitreichende<br />

Vereinbarung geschlossen, die unter<br />

anderem ein großes kofinanziertes Stipendienprogramm<br />

umfasst sowie deutsch-irakische<br />

Hochschulpartnerschaften in ausgesuchten<br />

Fachbereichen initiiert und unterstützt.<br />

Das Fernziel dieser vom Auswärtigen Amt<br />

nach Kräften geförderten Partnerschaft ist der<br />

Aufbau einer deutsch-irakischen Universität.<br />

Auf den ersten Blick mag dieses Ziel sehr ambitioniert<br />

erscheinen – das Interesse der deutschen<br />

Universitäten und Fachhochschulen an<br />

diesem Programm ist jedoch enorm. Die Hochschulen<br />

wissen, dass in der Zusammenarbeit<br />

mit Krisenstaaten auch große Chancen liegen.<br />

Nicht zuletzt deshalb, weil sich Vertrauen und<br />

Verlässlichkeit in schwierigen Zeiten häufig<br />

später auszahlen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Foto: ullstein bild - Reuters<br />

Hohe Auszeichnung<br />

Literaturnobelpreis für Herta Müller<br />

Die in Rumänien geborene deutsche Schriftstellerin<br />

Herta Müller erhielt den diesjährigen<br />

Nobelpreis für Literatur. Ausgezeichnet wurde<br />

sie als Autorin, die sich in ihren Werken<br />

immer wieder mit ihren Erfahrungen in der<br />

Diktatur auseinandersetzt und – so das Nobelpreiskomitee<br />

– „mittels Verdichtung der Poesie<br />

und Sachlichkeit der Prosa Landschaften<br />

der Heimatlosigkeit zeichnet“.<br />

Herta Müller wurde 1953 in Nitzkydorf im<br />

Gebiet der Banater Schwaben geboren. Sie studierte<br />

Germanistik und rumänische Literatur<br />

an der Universität in Temesvar und arbeitete<br />

zunächst als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik.<br />

Nach ihrer Weigerung, mit dem rumänischen<br />

Geheimdienst zusammenzuarbeiten,<br />

wurde sie entlassen. Sie war zeitweilig als Lehrerin<br />

tätig und seit 1984 freie Schriftstellerin.<br />

Als Regimegegnerin erhielt sie Schreibverbot<br />

und wurde mehrfach durch die Geheimpolizei<br />

bedroht. 1987 reiste sie in die Bundesrepublik<br />

Deutschland aus und wohnt seitdem in Berlin.<br />

Das Leben im totalitären Staat, konkret im<br />

Rumänien des kommunistischen Diktators<br />

Ceaucescu, die Atmosphäre der Angst und das<br />

Leiden der Menschen unter der Gewaltherrschaft<br />

stehen im Zentrum ihrer Romane und<br />

Erzählungen, die in einer poetischen, bilderreichen<br />

und assoziativen Sprache geschrieben<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

sind. Ihre Erfahrungen des Schreibens unter<br />

den Bedingungen des Zwangssystems und die<br />

Bedeutung von Literatur im Totalitarismus waren<br />

auch ihre Themen bei mehreren Gastaufenthalten<br />

an ausländischen Universitäten, bei<br />

denen sie vom <strong>DAAD</strong> gefördert wurde. 1993<br />

war sie Writer-in-Residence an der britischen<br />

University of Warwick, 1995 unterrichtete sie<br />

als Poetik-Gastprofessorin an der Universidade<br />

de Lisboa in Portugal.<br />

Blick in den Lesesaal<br />

des neuen Jacob- und<br />

Wilhelm-Grimm-Zentrums<br />

Herta Müller<br />

liest aus ihrem<br />

neuen Roman<br />

„Atemschaukel“<br />

SpEKTruM dEuTSchland<br />

Aufsehen erregte Herta Müller mit ihrem<br />

jüngsten Roman „Atemschaukel“ (<strong>20</strong>09), in<br />

dem sie die Deportation der Rumäniendeutschen<br />

in sowjetische Lager gegen Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges zum Thema macht. Den<br />

mit fast einer Million Euro dotierten Preis<br />

nahm Herta Müller im Dezember in Stockholm<br />

entgegen – zehn <strong>Jahre</strong> nach Günter Grass als<br />

erste Deutsche und weltweit als zwölfte Frau.<br />

Llo<br />

Neue Bibliothek<br />

Terrassenlandschaft mit Büchern<br />

Berlin ist um eine große Bibliothek und einen<br />

markanten Neubau reicher. Die Berliner Humboldt-Universität<br />

(HUB), die bisher mit ihren<br />

Büchern Untermieter in der Berliner Staatsbibliothek<br />

war, eröffnete im November ihr neues<br />

Bibliotheksgebäude, das Jacob- und Wilhelm-<br />

Grimm-Zentrum. Der siebenstöckige Bau des<br />

Schweizer Architekten Max Dudler hat bereits<br />

den Architekturpreis Berlin <strong>20</strong>09 erhalten.<br />

Außen streng und kantig, besticht die Bibliothek<br />

innen mit ihrem luftig-lockeren Lesesaal,<br />

in dem sich beidseitig Terrassen mit den<br />

Leseplätzen erstrecken. Von dort ist der Weg<br />

kurz zu den Büchern. 1,5 Millionen sind im<br />

Freihandbereich aufgestellt, Platz ist hier für<br />

zwei Millionen Bücher.<br />

Die Besucher – täglich nutzen bereits 5000<br />

das neue Angebot – finden neben 1250 Leseplätzen<br />

mit moderner elektronischer Ausrüstung<br />

auch viele Bände aus dem historischen<br />

Bestand der altehrwürdigen Bibliothek. Zugänglich<br />

sind rund 1000 erhaltene Bände aus<br />

der Privatbibliothek der Brüder Grimm. Für<br />

deutsche Verhältnisse besonders komfortabel:<br />

Die Bibliothek ist wochentags bis Mitternacht,<br />

am Wochenende bis 18 Uhr geöffnet. Llo<br />

7<br />

Foto: Stefan Müller


Gedenkfeiern<br />

<strong>Mauerfall</strong> mit Dominosteinen<br />

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Grenzöffnung in Berlin<br />

ist die Mauer erneut zum Einsturz gebracht<br />

worden – symbolisch. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung<br />

zur Erinnerung an den<br />

9. November 1989 ließ die Stadt Berlin 1000<br />

von Schülern und Künstlern bunt bemalte<br />

und übermannsgroße Mauerstücke aus Styropor<br />

nahe dem Brandenburger Tor aufstellen.<br />

Polens Ex-Präsident Lech Walesa übernahm<br />

die ehrenvolle Aufgabe, ein erstes Mauerstück<br />

umzustoßen, so dass die vielen Einzelteile,<br />

aufgereiht wie Dominosteine, nacheinander<br />

umkippten.<br />

28 <strong>Jahre</strong> lang trennte die „echte“ Mauer die<br />

Berliner. Sie war am 13. August 1961 von der<br />

DDR errichtet worden, um die Fluchtwelle von<br />

Ost nach West zu stoppen. 1989 flüchteten Tausende<br />

DDR-Bürger über Ungarn und die Tschechoslowakei<br />

in den Westen. Daraufhin gab die<br />

DDR am 9. November eine neue Reiseregelung<br />

bekannt. Sofort strömten Tausende Ostberliner<br />

an die scharf bewachten Grenzübergänge<br />

und erzwangen den Übertritt auf Westberliner<br />

Gebiet. Ein Jahr später, am 3. Oktober 1990,<br />

wurde die Deutsche Einheit offiziell vollzogen.<br />

An der <strong>20</strong>-Jahr-Feier zum <strong>Mauerfall</strong> beteiligten<br />

sich Prominente aus aller Welt, unter<br />

ihnen Russlands Präsident Medwedjew, der<br />

britische Premier Brown, Frankreichs Staatsoberhaupt<br />

Sarkozy und US-Außenministerin<br />

Clinton. Wie vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n herrschte rund um<br />

das Brandenburger Tor ausgelassene Volksfeststimmung.<br />

Die Musikband „Bon Jovi“<br />

spielte den Song „We weren’t born to follow“<br />

(„Wir waren nicht zu Untertanen geboren“)<br />

als Lobeshymne auf die DDR-Protestbewegung<br />

des <strong>Jahre</strong>s 1989.<br />

Auch der deutsche Staatsfeiertag am 3. Oktober<br />

stand im Zeichen der Einheitsfeiern. Die<br />

französische Künstlergruppe „Royal de Luxe“<br />

präsentierte in Berlin ein Märchen mit zwei<br />

hölzernen Riesenmarionetten. Von den Künstlern<br />

mit Hilfe von Kränen bewegt, kamen ein<br />

großer Riese und eine kleine Riesin aus dem<br />

Osten und Westen der Stadt aufeinander zu<br />

und fanden – symbolisch für die Wiedervereinigung<br />

Deutschlands – am Brandenburger<br />

Tor zusammen.<br />

Beide Großveranstaltungen – am 3. Oktober<br />

und am 9. November – waren aus Sicherheitsgründen<br />

mit vielen Straßensperrungen in der<br />

Berliner Innenstadt verbunden. Wie vor <strong>20</strong><br />

<strong>Jahre</strong>n gab es deshalb am Brandenburger Tor<br />

für Fußgänger kaum ein Durchkommen. CK<br />

Urteil in Dresden<br />

Höchststrafe für Mord an Ägypterin<br />

Der Russlanddeutsche Alex Wiens, der am<br />

1. Juli <strong>20</strong>09 die Ägypterin Marwa el-Sherbini<br />

ermordete, wurde am 12. November zu lebenslanger<br />

Haft verurteilt. Das Urteil wurde in<br />

Deutschland und der muslimischen Welt mit<br />

Erleichterung aufgenommen.<br />

Der Täter hatte die schwangere Ägypterin in<br />

einem Dresdner Gerichtssaal angegriffen und<br />

niedergestochen. (Letter berichtete in Heft<br />

2/<strong>20</strong>09). Zuvor hatte die junge Frau den Mann<br />

angezeigt, weil er sie als Terroristin und Islamistin<br />

bezeichnet hatte. In erster Instanz war<br />

Wiens zu einer Geldstrafe verurteilt worden.<br />

Dagegen hatte er Berufung eingelegt. Bei der<br />

Tat während des Berufungsverfahrens wurde<br />

auch Marwa el-Sherbinis Ehemann schwer verletzt.<br />

In der Urteilsbegründung heißt es, dass<br />

Wiens’ Motiv „Ausländerhass“ gewesen sei.<br />

Foto: ullstein bild - Boness<br />

Die Eheleute lebten mit ihrem dreijährigen<br />

Sohn seit <strong>20</strong>08 in Dresden, wo die junge Frau<br />

als Apothekerin arbeitete. Ihr Mann, Elwi<br />

Ali Okaz, forschte als Stipendiat der ägyptischen<br />

Regierung am Max-Planck-Institut für<br />

Zellbiologie.<br />

Ägypten begrüßte das Urteil, in dem die besondere<br />

Schwere der Schuld festgestellt wird.<br />

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung,<br />

Maria Böhmer, sieht in dem Urteil ein<br />

Zeichen, dass in Deutschland „für Islamophobie<br />

und Fremdenfeindlichkeit kein Platz ist“.<br />

Llo<br />

Deutschland demografisch<br />

Bevölkerung schrumpft<br />

Die Zahl der Menschen in Deutschland sinkt<br />

beständig. Nach Angaben des Statistischen<br />

Bundesamts hat Deutschland derzeit 81,9 Millionen<br />

Einwohner, das sind 260 000 weniger<br />

als im Vorjahr. Nach Vorausberechnungen des<br />

Bundesamts werden es <strong>20</strong>60 nur noch 65 oder<br />

70 Millionen Menschen sein. Ein wesentlicher<br />

Grund für diese Entwicklung ist, dass es hierzulande<br />

mehr Sterbefälle als Geburten gibt.<br />

Das Ergebnis hängt mit der Altersstruktur<br />

der deutschen Bevölkerung zusammen. Bereits<br />

heute sind <strong>20</strong> Prozent der Menschen 65<br />

<strong>Jahre</strong> oder älter. Im Jahr <strong>20</strong>60, so die statistische<br />

Annahme, wird jeder Dritte mindestens<br />

65 <strong>Jahre</strong> alt, jeder Siebente 80 oder älter sein.<br />

Dann werde die Zahl der Sterbefälle das Dreifache<br />

der Geburtenzahl erreicht haben. Auch<br />

wenn mehr Kinder geboren würden, sei der<br />

Rückgang der Bevölkerung nicht aufzuhalten,<br />

meinen die Statistiker. Durch steigende Zuwanderung<br />

aus dem Ausland lasse sich der<br />

Trend nicht stoppen, aber abmildern. Llo<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Jubiläumsfeiern: Marionetten spielen das<br />

Märchen der Vereinigung nach (rechts), und<br />

die Mauer fällt noch einmal<br />

Tod eines jungen Afghanen<br />

Trauer um Sultan Mohammed<br />

Der Tod des jungen Afghanen Sultan Mohammed<br />

löste auch in Deutschland Bestürzung<br />

und Trauer aus. Der Master-Student an der Erfurt<br />

School of Public Policy wurde in der Nacht<br />

vom 8. auf den 9. September bei einer Befreiungsaktion<br />

nahe Kunduz getötet. Gemeinsam<br />

mit einem Journalisten der New York Times<br />

hatte er sich einige Tage in der Hand der Taliban<br />

befunden.<br />

Sultan Mohammed, Vater von zwei Kindern,<br />

hielt sich während der Semesterferien in Afghanistan<br />

auf und wollte zum Wintersemester<br />

mit seiner Familie nach Erfurt zurückkehren.<br />

Dort studierte er seit <strong>20</strong>08 gemeinsam mit 13<br />

weiteren jungen afghanischen Führungskräften<br />

in einem vom Auswärtigen Amt finanzierten<br />

und vom <strong>DAAD</strong> betreuten Master-of-Public-Policy-Programm.<br />

Sultan Mohammed hatte<br />

Journalismus studiert und in Kabul bereits<br />

als Reporter und Übersetzer für die New York<br />

Times gearbeitet.<br />

„Ich wurde im Krieg geboren, habe im Krieg<br />

gelebt und im Krieg studiert“, sagte er während<br />

eines Interviews in Erfurt. In Deutschland<br />

wollte er sich ganz auf die akademische<br />

Ausbildung konzentrieren, um in seiner Heimat<br />

später im öffentlichen Sektor für den Wiederaufbau<br />

und ein „besseres Bildungssystem“<br />

zu arbeiten. Sein tragischer Tod hat dies verhindert.<br />

Der <strong>DAAD</strong> und die Universität Erfurt<br />

trauern um ihn. Llo<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: Hans Scherhaufer<br />

Bundesregierung<br />

Politik-Star aus Vietnam<br />

Der neue Bundesgesundheitsminister Philipp<br />

Rösler (FDP), seit Oktober <strong>20</strong>09 im Amt, ist<br />

bereits zum Medien-Star avanciert. Mit 36 <strong>Jahre</strong>n<br />

gehört er nicht nur zu den jüngsten Ministern<br />

am Kabinettstisch von Kanzlerin Angela<br />

Merkel, sondern er ist außerdem der erste und<br />

einzige Bundesminister mit Migrationshintergrund.<br />

Röslers Lebenslauf liest sich wie ein Wirklichkeit<br />

gewordenes Märchen. Er wurde 1973<br />

während des Indochina-Kriegs in einem<br />

südvietnamesischen Dorf geboren, fand als<br />

Säugling Aufnahme in einem katholischen<br />

Waisenhaus und wurde von einem Ehepaar<br />

aus Hannover adoptiert. Über seine Schulzeit<br />

in Niedersachsen sagt Rösler, gerade wegen<br />

seines asiatischen Aussehens sei er von seinen<br />

Klassenkameraden akzeptiert worden,<br />

„weil die dachten, dass ich Kungfu und Karate<br />

kann“. Nach dem Abitur studierte Rösler Medizin<br />

und praktizierte als Augenarzt.<br />

Ungewöhnlich rasch machte der Mediziner<br />

in der niedersächsischen FDP Karriere: mit 27<br />

<strong>Jahre</strong>n Generalsekretär, mit 33 FDP-Fraktionschef<br />

im Landtag von Hannover. Anfang <strong>20</strong>09<br />

übernahm er das Amt des Wirtschaftsministers<br />

von Niedersachsen. Er gilt als glänzender<br />

Redner und größtes Nachwuchs-Talent der<br />

Liberalen.<br />

Rösler ist mit einer Ärztin verheiratet und<br />

Vater von Zwillingen. <strong>20</strong>06 kehrte der Politiker<br />

zum ersten Mal in sein Geburtsland Vietnam<br />

zurück. Dort existiert noch das Waisen-<br />

Minister mit Migrationshintergrund:<br />

Philipp Rösler<br />

SpEKTruM dEuTSchland<br />

haus, in dem er als Säugling versorgt wurde.<br />

Ungeklärt sind sein exaktes Geburtsdatum<br />

und die Identität seiner leiblichen Eltern, denn<br />

darüber gibt es keine Dokumente mehr. CK<br />

In Kürze<br />

In Deutschland sind Frauen in der Überzahl.<br />

49 Prozent der knapp 82 Millionen Einwohner<br />

waren Ende <strong>20</strong>08 männlich. Vergleicht<br />

man heutige Zahlen mit denen von 1961, hat<br />

sich das Geschlechterverhältnis jedoch deutlich<br />

angeglichen. 1961 standen – als Folge des<br />

Zweiten Weltkrieges – 1000 Männern noch<br />

1147 Frauen gegenüber, Ende <strong>20</strong>08 waren es<br />

nur noch 1041 Frauen. Umgekehrt verhält es<br />

sich bei den in Deutschland lebenden 7,2 Millionen<br />

Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit.<br />

Unter ihnen war Ende <strong>20</strong>08 die<br />

Mehrheit (51,1 Prozent) männlich.<br />

Polnisch gilt in Deutschland als schwierige<br />

Sprache. Um die Nachbar-Sprache populärer<br />

zu machen, gibt es an deutschen Schulen jetzt<br />

das erste Schulbuch für Polnisch als Fremdsprache.<br />

Erika Worbs, Polnisch-Professorin<br />

an der Universität Germersheim (Rheinland-<br />

Pfalz), hat es in Zusammenarbeit mit dem<br />

Deutschen Poleninstitut in Darmstadt herausgegeben.<br />

Das Lehrbuch mit dem Titel „Witaj<br />

Polsko!“ („Willkommen Polen!“) wurde für 13<br />

bis 19-Jährige verfasst. Es thematisiert unter<br />

anderem die deutsch-polnischen Beziehungen.<br />

Zurzeit lernen lediglich rund 5 000 Schüler<br />

an deutschen Schulen Polnisch. Interesse<br />

an der polnischen Sprache gibt es vor allem<br />

in den an Polen angrenzenden Bundesländern<br />

Brandenburg und Sachsen.<br />

Noch nie haben in Deutschland so viele junge<br />

Menschen ein Studium begonnen wie in<br />

diesem Jahr. Insgesamt waren es 423 400<br />

Studienanfänger, das sind nach Angaben<br />

des Statistischen Bundesamts knapp sieben<br />

Prozent mehr als <strong>20</strong>08. Die Zahl aller Studierenden<br />

ist damit auf rund 2,13 Millionen<br />

gestiegen, das sind fünf Prozent mehr als im<br />

Vorjahr. Unter den Studienanfängern sind<br />

knapp 50 Prozent Frauen. Der neue Rekord<br />

wird zum Teil auf die geburtenstarken Abiturjahrgänge<br />

der letzten <strong>Jahre</strong> zurückgeführt.<br />

Hinzu kommen doppelte Abiturjahrgänge in<br />

solchen Bundesländern, die die Schulzeit an<br />

Gymnasien um ein Jahr verkürzt haben.<br />

9


10 TITEl<br />

" Plotzlich war<br />

die Mauer weg“<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten waren<br />

Augenzeugen, als vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />

in Berlin die Mauer fiel<br />

Groß war das internationale Interesse, als<br />

Deutschland in diesem Jahr den <strong>20</strong>. <strong>Jahre</strong>stag des<br />

<strong>Mauerfall</strong>s feierte. Und schon damals, als sich<br />

die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten<br />

plötzlich öffnete, teilten ausländische Beobachter<br />

die Begeisterung der Deutschen in Ost und<br />

West. Zeugen des welthistorischen Ereignisses<br />

waren auch internationale <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten,<br />

die sich Ende 1989 in Deutschland aufhielten,<br />

hier studierten oder forschten. Letter fragte<br />

Alumni nach ihren Eindrücken. Ob Schriftsteller,<br />

Philosoph oder Physiker, ob aus den Niederlanden,<br />

aus Peru oder Australien – die Bilder von damals<br />

bewegen sie bis heute.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


" Sie sind das Volk“<br />

Von Cees Nooteboom, Niederlande<br />

Donnerstagabend. Ich bin zurück in Berlin<br />

und mit Fotografin und einem Freund in einem<br />

Taxi unterwegs. (...)Der Taxifahrer ist ein<br />

Mädchen (...) Sie ist aufgeregt, wirft die blonden<br />

Haare zurück, schreit fast. Die Mauer sei<br />

geöffnet, alle seien auf dem Weg zum Brandenburger<br />

Tor, ganz Berlin sei auf den Beinen,<br />

wenn wir nichts dagegen hätten, würde sie<br />

uns hinfahren, sie wolle es auch sehen, wenn<br />

es uns nichts ausmache, da jetzt hinzufahren,<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: Norbert Michalke<br />

stelle sie den Taxameter ab. Der Verkehr wird<br />

zusehends dichter, schon hundert Meter nach<br />

der Siegessäule kommt man kaum mehr weiter.<br />

In dem qualmenden Trabant neben uns<br />

halten uns junge DDR-Bürger ihr Visum entgegen,<br />

ihre Gesichter sind in der nächtlichen<br />

Beleuchtung bleich vor Aufregung. (…)<br />

Das düstere Schiff des Reichstags liegt in einem<br />

Menschenmeer, jeder versucht, auf die<br />

hohen Säulen des Brandenburger Tores zu<br />

klettern, zu den rasenden Pferden ganz oben,<br />

die früher in die andere Richtung stürmten.<br />

Das Podest, von dem aus man Unter den Linden<br />

überblicken kann, schwankt unter der<br />

Last der Menschen, mühsam kämpfen wir uns<br />

nach oben, wenn jemand herunterkommt, rücken<br />

wir wieder um einen Körper weiter. Der<br />

leere Halbkreis vor den Säulen wird von unechtem,<br />

orangefarbenem Licht beleuchtet, die<br />

geschlossene Front der Grenzsoldaten darin<br />

sieht aus wie eine machtlose Reihe gegen die<br />

Gewalt der Menge auf unserer Seite.<br />

Wenn ein Jugendlicher auf die Mauer klettert,<br />

versuchen sie ihn herunterzuspritzen,<br />

aber der Strahl ist meistens nicht stark genug,<br />

und die einsame Gestalt bleibt stehen, naß<br />

bis auf die Knochen, ein lebendiges Standbild<br />

in einer Aura weiß erleuchteten Schaumes.<br />

Schreien, Grölen, das hundertfache Blitzlicht<br />

der Kameras, als sei die Mauer schon durchsichtig,<br />

als gäbe es sie schon fast nicht mehr.<br />

Die Jungen tanzen in den Wasserstrahlen, die<br />

verletzbare Reihe der Soldaten ist das Dekor<br />

zu ihrem Ballett. Im Halbdunkel kann ich deren<br />

Gesichter nicht sehen, und sie wiederum<br />

sehen nur die Tänzer. Die anderen, das große<br />

Tier Masse, die immer mehr anschwillt, können<br />

sie nur hören. Hier findet der Abriss ihrer<br />

Welt statt, der einzigen, die sie kannten. Auch<br />

auf dem Rückweg will das Mädchen den Taxameter<br />

nicht einschalten. Sie sagt, dass sie<br />

glücklich sei, diesen Augenblick nicht mehr<br />

vergessen könne. Ihre Augen leuchten. (…)<br />

Cees Nooteboom geht am nächsten Morgen am<br />

Grenzübergang Checkpoint Charlie nach Ostberlin<br />

und kehrt später zurück. (Anm. d. Red.)<br />

Noch immer steht eine Schlange beim Checkpoint<br />

Charlie (...). Ich komme heraus wie ein<br />

Ostberliner, denn eine junge Frau bietet mir<br />

TITEl<br />

Kaugummi an und ein Junge drückt mir ein<br />

Pamphlet in die Hand über Einigkeit und Recht<br />

und Freiheit und daß die Mauer weg muß und<br />

daß die Wiedervereinigung kommen muß und<br />

daß McDonald mir „1 kleines Getränk“ anbietet,<br />

Gutschein gültig bis 12.11.89. Jetzt wird<br />

mir auch zugejubelt, Heimkehrer, der ich bin.<br />

In der U-Bahn Kochstraße warten Tausende<br />

auf einen Zug, lassen sich willenlos hineindrücken,<br />

in den Westen hinein. Als ich endlich<br />

auf dem Kudamm angekommen bin, herrscht<br />

dort Jahrmarktstimmung. Autos können nicht<br />

mehr fahren, die Stadt ist dem Wahnsinn verfallen,<br />

das Volk ein einziger taumelnder Körper<br />

geworden, ein Tier mit tausend Köpfen,<br />

es wogt, rinnt, strömt durch die Stadt, weiß<br />

nicht mehr, ob es sich selbst bewegt oder bewegt<br />

wird, und ich ströme mit, bin nun selbst<br />

Menge geworden, Bild aus einem Fernsehbericht,<br />

niemand. Auf der Hauswand Kudamm/<br />

Joachimsthaler Straße erscheinen die elektronischen<br />

Nachrichtenbulletins in schnell<br />

verlöschenden Zeilen, als ob die Nachrichten<br />

die Menge noch einholen könnten, aber nichts<br />

holt diese Menge ein, denn sie ist es, die diese<br />

Nachrichten fabriziert, und das weiß sie, und<br />

sie empfindet es wie ein Schaudern: Was die<br />

Menschen hier lesen, haben sie selbst verursacht,<br />

sie sind das Volk (...).<br />

Cees Nooteboom ist Romancier und Reiseschriftsteller<br />

und zählt zu den bedeutendsten<br />

Autoren der Niederlande. 1989 bis 1990 war<br />

er Gast des Berliner Künstlerprogramms des<br />

<strong>DAAD</strong> in Berlin und zeichnete seine Erinnerungen<br />

an den <strong>Mauerfall</strong> zeitnah auf. Den<br />

Text entnehmen wir dem Band: Cees Nooteboom,<br />

Berliner Notizen, Suhrkamp Verlag,<br />

Frankfurt am Main 1991.<br />

Selbstverwirklichung<br />

statt Patriotismus<br />

Von Ciro Alegría Varona, Peru<br />

Gleich nach dem „Sandmann“, der abendlichen<br />

Kindersendung, die unser Sohn niemals<br />

verpasste, brachte das DDR-Fernsehen die<br />

11


12 TITEl<br />

Nachrichten. Eine konfuse Liste von neuen Regelungen<br />

- und plötzlich sagte der Sprecher,<br />

dass von diesem Moment an jeder DDR-Bürger<br />

an jedem Grenzübergang ein Visum beantragen<br />

könne.<br />

Die Stimmung, die das Fernsehen übertrug,<br />

war gut, sogar begeistert, aber wir hatten<br />

dennoch ein wenig Angst für die Menschen,<br />

die auf Westberlin zuströmten. Die Krise der<br />

DDR war tief und bekannt, aber das Regime<br />

war auch hartnäckig bis zum Wahnsinn. Mit<br />

unserer – glücklicherweise unnötigen – Sorge<br />

stiegen Bilder auf von den chinesischen<br />

Studenten auf dem Tian’anmen-Platz, von<br />

den Peruanern, welche die Guerillabewegung<br />

„Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) jeden<br />

Tag weiter tötete.<br />

Am 10. November sind wir zur Mauer gegangen.<br />

Die ganze Stadt war unterwegs. Von weit<br />

her hörten wir den Lärm der Menschen am<br />

Brandenburger Tor. Wir hatten einen Hammer<br />

mitgebracht. Unser Sohn Diego, fünf <strong>Jahre</strong><br />

alt, war der Erste von uns, der an die Mauer<br />

schlug.<br />

Die Tage danach waren noch chaotischer,<br />

aber frei von Angst, denn es war keine revolutionäre<br />

Stimmung, nicht einmal Patriotismus<br />

in der Luft, nur der Elan zur Selbstverwirklichung<br />

von Hunderttausenden einzelnen<br />

Menschen, die sich mit Freunden, Verwandten<br />

oder einfach mit dem Nächsten umarmten,<br />

lachten und weinten.<br />

Ich begriff, dass wir, die Philosophen, ziemlich<br />

auf der Strecke geblieben waren. Die Zeit<br />

der politischen Verbesserung der Menschheit<br />

ist vorbei. Vielfältige soziale Lebensformen<br />

haben nun das Sagen. Sie werden den Staat<br />

mit unzähligen Formen von Ungehorsam und<br />

Selbstorganisation bearbeiten, bis er sie in<br />

Ruhe lässt.<br />

Ciro Alegría Varona studierte Philosophie an<br />

der Freien Universität (FU) Berlin. Er lebt in<br />

Lima und ist Dozent für Philosophie an der<br />

Pontificia Universidad Católica del Perú.<br />

Im Westen auch Ampeln<br />

Von Robert Sinclair, Australien<br />

Am 9. November 1989 fuhr ich mit der U-Bahn<br />

wie gewöhnlich von Dahlem nach Zoo, wo ich,<br />

ebenfalls wie üblich, einen Kebab essen wollte.<br />

Um 11 Uhr abends war ich am Zoo. Nichts<br />

fiel mir auf. Ich fuhr nach Hause und schlief<br />

gut ein. Am nächsten Morgen sah alles anders<br />

aus: Viele Trabis waren zu sehen. Als ich zum<br />

Institut kam, waren alle sehr aufgeregt. Die<br />

Westberliner hängen Luftballons an die Mauer<br />

Mauer sei jetzt offen, Trabis seien gegen Mitternacht<br />

sogar am Zoo gewesen. Einige meiner<br />

Kollegen hatten Radionachrichten gehört und<br />

waren noch in der Nacht im Osten gewesen.<br />

Am gleichen Tag kamen zwei Studenten<br />

von der Humboldt-Uni im Ostteil der Stadt<br />

zu unserem Institut an der Freien Universität.<br />

Sie wollten unsere Bibliothek sehen. Als<br />

ich später zum Checkpoint Bornholmer Straße<br />

kam, wo ich früher, wie die meisten Ausländer,<br />

über die Grenze in den Osten ging, kamen<br />

viele Menschen erst jetzt aus weiter entfernten<br />

ostdeutschen Städten hier an. Die große<br />

Menschenmenge behinderte die Trabis, und<br />

alle sprachen miteinander, auch die Autofahrer<br />

mit der Menge.<br />

Viele Stunden später, tief in der Nacht, war<br />

ich in der Nähe vom Nollendorfplatz. Eine Familie<br />

aus dem Osten ging die Straße entlang.<br />

Als wir zu einer Kreuzung kamen, hörte ich<br />

eines der Kinder sagen: „Es stimmt doch nicht,<br />

dass sie im Westen keine Regeln haben. Sie<br />

haben auch Ampeln!“<br />

Robert Sinclair studierte Physik an der<br />

Freien Universität Berlin. Er lebt heute in<br />

Japan, wo er Leiter einer Forschungsgruppe<br />

zur Mathematischen Biologie ist.<br />

Beten, dass<br />

die Mauer fallt<br />

Von Alfred Bhulai, Guyana<br />

Ende der 80er <strong>Jahre</strong> studierte ich in Berlin.<br />

Meine Frau und ich wohnten in der Glücksburger<br />

Straße im Wedding, nur einen Block<br />

entfernt von der Berliner Mauer. Manchmal<br />

lasen wir in der Berliner Morgenpost die traurige<br />

Erklärung für die Schüsse, die wir am Tag<br />

zuvor aus Richtung der Mauer gehört hatten.<br />

Meine Mutter war seit nahezu zwei Monaten<br />

bei uns zu Besuch. Als sie zum ersten Mal die<br />

Mauer sah, tat sie entschlossen kund: „This<br />

Wall must fall!“ Wir sind fromme Katholiken.<br />

Meine Mutter, die kein Deutsch sprach, setzte<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: C. Morris/Das Fotoarchiv


sich nun zur Aufgabe, täglich den Rosenkranz<br />

zu beten für den Fall der Mauer. Nach nur einer<br />

Woche verkündete sie, die Mauer müsse<br />

fallen, bevor sie nach Hause zurückkehre.<br />

Eines Abends kam ich nach Hause und fand<br />

meine Frau und meine Mutter staunend vor<br />

dem Fernseher. Es gab einen Jubelausbruch<br />

am Brandenburger Tor. Die Mauer fiel. Wir<br />

wollten dieses Geschehen miterleben. Es war<br />

schon dunkel, als wir uns dem Brückenübergang<br />

Osloer Straße näherten. Die Menschenmenge<br />

wurde immer größer, und wir wurden<br />

Zeugen unvergesslicher Willkommens- und<br />

Jubelszenen.<br />

In den Tagen nach dem <strong>Mauerfall</strong> wimmelte<br />

es überall von Menschen, und alle waren äußerst<br />

höflich zu mir, obwohl ich Farbiger bin.<br />

Eine Dame, die mir Platz machte, sagte: „Wir<br />

sind nur Gäste hier.“ Ich erwiderte: „Wir sind<br />

alle Gäste auf der Erde.“ Alle waren erfreut.<br />

Meine Mutter dankte natürlich Gott. Anders<br />

als US-Präsident Ronald Reagan, der zwar<br />

auch gesagt hatte, dass die Mauer fallen müsse,<br />

hatte sie einen bestimmten Termin gesetzt.<br />

Alfred Bhulai studierte Lebensmitteltechnologie<br />

an der Technischen Universität (TU)<br />

Berlin. Er arbeitet heute in Georgetown,<br />

Guyana, als Berater in seinem Fachgebiet.<br />

Besser als Weihnachten<br />

Von Sigridur Thorgeirsdottir, Island<br />

Als mein Mann und ich im Radio hörten, dass<br />

die Mauer geöffnet werden sollte, sind wir<br />

direkt zum Checkpoint Charlie gefahren. Wir<br />

kletterten auf die Mauer und sahen ratlose<br />

Offiziere und eine immer größer werdende<br />

Menschenmenge. Plötzlich wurden die Tore<br />

geöffnet und die Menschenflut strömte hindurch.<br />

Wir sind dann in das Menschenmeer<br />

gesprungen. Es fühlte sich wie eine Fete an,<br />

und so kam es spontan, dass ich einen Ossi<br />

fragte, ob ich bei ihm eine Zigarette schnorren<br />

könnte. Wir standen da, lächelten einander an<br />

und rauchten eine „Karo”.<br />

In den Wochen danach sind wir ein paarmal<br />

zum Checkpoint Charlie gefahren und haben<br />

Grenzübergängern angeboten, sie mit unserem<br />

Auto zum Kudamm zu fahren. Wir denken<br />

oft an eine kleine Arbeiterfamilie aus Halle<br />

zurück, die wir mitgenommen haben. Als wir<br />

den mit Weihnachtslichtern geschmückten<br />

Kudamm hinauffuhren, kamen dem Mann<br />

Tränen in die Augen. „Fühlt es sich an wie<br />

Weihnachten, als man Kind war?“, fragte ich.<br />

„Nein, besser“, antwortete er.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Das akademische Milieu, in dem wir uns befanden,<br />

war distanzierter. Anfangs standen<br />

viele Intellektuelle der Wiedervereinigung<br />

kritisch gegenüber. Ich habe die kritische<br />

Betrachtungsweise des deutschen Denkens<br />

während meines Philosophiestudiums an der<br />

Freien Universität Berlin zu schätzen gelernt.<br />

Zugleich haben mir die Emotionen, die ich<br />

bei den Leuten in diesen Novembertagen an<br />

der Mauer erlebt habe, deutlich gezeigt, dass<br />

Gefühl und Verstand nicht ohne einander auskommen,<br />

um eine Sache angemessen beurteilen<br />

zu können.<br />

Sigridur Thorgeirsdottir studierte Philosophie<br />

an der FU Berlin und ist heute Professsorin<br />

an der Universität Island in Reykjavik .<br />

Utopie ohne Freiheit<br />

Von Abdel-Karim Daud,<br />

Palästinensische Gebiete<br />

Am 9. November 1989 hat sich die Welt verändert.<br />

Alle meine Bekannten und ich können<br />

uns noch an die Woge der Emotionen an diesem<br />

Tag erinnern, als in den Abendsendungen<br />

die Nachricht verlesen wurde, dass den Bürgerinnen<br />

und Bürgern der Deutschen Demokratischen<br />

Republik die ungehinderte Ausreise in<br />

den Westen ermöglicht wurde.<br />

Dies war das Ende der Teilung Deutschlands<br />

und Europas, der Fall der Mauer, die seit 1961<br />

die Ostdeutschen an der Wahl der Freiheit<br />

hindern sollte. In der Tat war es der Anfang<br />

vom Ende eines staatlichen und sozialen Systems,<br />

das auf der Aberkennung der Freiheit,<br />

des Privatbesitzes und des Individuums gründete.<br />

Die Berliner Mauer war das Symbol der<br />

ab erkannten Freiheit: der Freiheit als einem<br />

Wert, der unvereinbar ist mit den höchsten<br />

Zielen eines politischen Systems, das die Utopie<br />

umzusetzen versuchte, indem es die Wirklichkeit<br />

erdrückte.<br />

Abdel-Karim Daud studierte Elektrotechnik an<br />

der TU Berlin und ist heute Professor an der<br />

Palestine Polytechnic University in Hebron.<br />

Maria bleibt<br />

die Spucke weg<br />

Von Sergio di Fusco, Italien<br />

Als ich nach Berlin kam, gehörte die Mauer<br />

zu der Stadt einfach dazu. Als junger Historiker<br />

wusste ich natürlich, was die Berliner<br />

TITEl<br />

Mauer war. Ich hatte auch auf den hölzernen<br />

Aussichtstürmen vor dem Brandenburger Tor<br />

gestanden und war vor der Grenzbefestigung<br />

im Osten erschaudert. Die Spaltung der Stadt<br />

gehörte zum Alltag.<br />

Und plötzlich war die Mauer weg, und Maria<br />

blieb die Spucke weg. Maria, meine Zimmervermieterin,<br />

die nie um einen Kommentar,<br />

eine Meinung oder zumindest ein „Oh Göttchen“<br />

verlegen war, sagte keinen Ton mehr.<br />

Sie hockte still auf der Vorderkante des Sofas<br />

und schaute sich die Bilder vom <strong>Mauerfall</strong> im<br />

Fernsehen an. Schließlich fasste sie sich mit<br />

beiden Händen an den Kopf, schüttelte ihn<br />

sachte und lächelte ein eigenartig stummes<br />

Lächeln.<br />

Es war nicht zu fassen. Überall auf den Straßen<br />

war in jenen Tagen dieses unbeschreibliche<br />

Lächeln zu sehen. Wenn ich mich an den<br />

Fall der Mauer erinnere, erinnere ich mich<br />

nicht an die telegene Rotkäppchen-Heiterkeit<br />

und die knatternde Zweitakter-Freude, die<br />

man häufig im Fernsehen gesehen hat und immer<br />

wieder sieht. Ich erinnere mich an diese<br />

unbeschreibliche, tiefe Freude, bei der einem<br />

die Spucke wegbleibt.<br />

Was die Mauer wirklich war, habe ich erst<br />

dann verstanden. Als ich erleben und spüren<br />

durfte, was für eine seelische Befreiung der<br />

<strong>Mauerfall</strong> war, konnte ich mir zum ersten Mal<br />

auch die unbeschreiblich tiefe Trauer vorstellen,<br />

die Berlin jahrzehntelang gefangen hielt.<br />

Sergio di Fusco studierte Geschichte an der<br />

FU Berlin. Er arbeitet als freier Journalist<br />

für deutsche Medien und lebt in Lübeck.<br />

abSTracT<br />

<strong>20</strong> Years Ago<br />

<strong>DAAD</strong> Scholars Recall<br />

How the Berlin Wall Fell<br />

Germany’s celebration of the <strong>20</strong>th anniversary<br />

of the fall of the Berlin Wall this year drew<br />

strong international attention. Even in 1989,<br />

when the border between the two Germanys<br />

suddenly opened, international observers<br />

shared East and West Germans’ joy. Among the<br />

witnesses of the historic event were international<br />

students and researchers visiting Germany<br />

on <strong>DAAD</strong> scholarships. Letter asked alumni to<br />

share their impressions of late 1989. Philosophers,<br />

physicists and others from Europe to Australia<br />

are still moved today by what they saw.<br />

13


14 TITEl<br />

Eine Reform von oben<br />

Der Umbau der ostdeutschen Hochschulen nach 1989<br />

Universitäten leben länger als Menschen, aber ihr Gedächtnis reicht kaum<br />

weiter. Als die Universität Leipzig <strong>20</strong>09 auf ihre 600-jährige Geschichte zurückblickte,<br />

dominierten die Ereignisse vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. Die sogenannte Wende<br />

in Ostdeutschland im Jahr 1989 hatte die Universität komplett umgewälzt, die<br />

Wiedervereinigung von Bundesrepublik und DDR das westdeutsche Wissenschaftssystem<br />

im Osten etabliert.<br />

Schon im Mai 1990 hatte die neu gewählte<br />

Regierung der DDR – es sollte ihre letzte<br />

sein – die marxistisch-leninistischen Fakultäten<br />

und Studiengänge an den ostdeutschen<br />

Universitäten aufgehoben und alle Hochschullehrer<br />

in diesem Fachgebiet abberufen. Die<br />

Ideale des Sozialismus und die ideologische<br />

Einflussnahme der Politik auf die Wissenschaft<br />

hatten ausgedient. Dieser Beschluss<br />

war allerdings eher ein formaler Akt: „Die<br />

betroffenen Fakultäten hatten sich zu diesem<br />

Zeitpunkt bereits ausnahmslos umbenannt“,<br />

sagt Peer Pasternack, Direktor am Institut für<br />

Hochschulforschung in Wittenberg, das zur<br />

Martin-Luther-Universität Halle gehört. Er studierte<br />

während der Wende in Leipzig und war<br />

Studentensprecher. So firmierte die vormalige<br />

„Sektion Marxismus-Leninismus“ an der Leipziger<br />

Universität beispielsweise seit November<br />

1989 als „Sektion Gesellschaftstheorien“.<br />

Die große Personalreform an den DDR-Universitäten<br />

kam dann erst mit der Wiedervereinigung<br />

im Jahr 1990 in Gang. Eine Vorreiterrolle<br />

spielte das wiedervereinigte Berlin. Anders<br />

als in den ostdeutschen Flächenländern<br />

stützte sich die Reform im Ostteil Berlins auf<br />

den eingespielten Beamtenapparat der Westberliner<br />

Wissenschaftsverwaltung. In den fünf<br />

neuen Bundesländern hingegen musste eine<br />

solche Verwaltung überhaupt erst aufgebaut<br />

werden.<br />

Ideologisch überfrachtet<br />

Für die Ostberliner Humboldt-Universität galt<br />

mit der Vereinigung automatisch Westberliner<br />

Recht. Sie stand nun mit den Westberliner<br />

Universitäten – der 1948 als Gegenstück zur<br />

stalinistisch indoktrinierten Humboldt-Universität<br />

gegründeten Freien Universität und<br />

der Technischen Universität – auf einer Stufe.<br />

Der Erziehungswissenschaftler Erich Thies<br />

übernahm vom Berliner Senat die Aufgabe,<br />

das Fach an der Humboldt-Universität neu<br />

aufzubauen. „Die alten Studiengänge waren<br />

mit ideologischen Inhalten überfrachtet, der<br />

Lehrkörper bestand aus etlichen Professoren<br />

und Dozenten, die für die Staatssicherheit<br />

arbeiteten oder aus anderen Gründen nicht<br />

den westdeutschen Maßstäben entsprachen“,<br />

erinnert sich Thies, der später Staatssekretär<br />

für Wissenschaft in Berlin wurde und heute<br />

Generalsekretär der Kultusministerkonferenz<br />

ist. Vieles wirkte damals auf ihn befremdlich:<br />

„Einfache bis primitive Ausstattung, unglaublich<br />

viel Personal, auch in der Verwaltung.“<br />

Manches weckte Erinnerungen an die 50er<br />

und 60er <strong>Jahre</strong> in der Bundesrepublik.<br />

Thies und einige Kollegen sollten die Inhaber<br />

der Lehrstühle und deren Mitarbeiter<br />

an der Humboldt-Universität auf ihre weitere<br />

Eignung als Hochschullehrer überprüfen.<br />

Die Versuche der Professoren, ihre Leistungen<br />

und Absichten zu zeigen, waren aus seiner<br />

Sicht geprägt von Hilflosigkeit und einem<br />

grundsätzlichen Gefühl der Unterlegenheit.<br />

„Auch wenn sich die West-Vertreter in der Arbeitsgruppe<br />

bemühten, fair zu sein und hinzuhören,<br />

überwog eine gewisse Selbstherrlichkeit<br />

und Überlegenheit. Ich war davon auch<br />

nicht frei.“<br />

Die Reformer standen zusätzlich unter erheblichem<br />

Druck aus dem Westteil der Stadt.<br />

Vor allem die Freie Universität forderte, die<br />

Humboldt-Universität aufzulösen beziehungs-<br />

Ernüchterung statt Erneuerung in Leipzig:<br />

Unirektor Gerald Leutert und Studentensprecher Peer Pasternak (rechts)<br />

Fotos aus: Die Universität Leipzig 1943 bis 1992, Blecher/iemers, Sutton Verlag, Erfurt <strong>20</strong>06<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


weise konkurrierende Fächer, wie etwa die<br />

Erziehungswissenschaften, abzuwickeln. Mit<br />

der Humboldt-Universität war immerhin ein<br />

weiterer Kostgänger des chronisch unterernährten<br />

Berliner Wissenschaftshaushalts<br />

aufgetaucht, ganz zu schweigen von der einstigen<br />

Akademie der Wissenschaften der DDR.<br />

Die Akademie-Institute der DDR wurden ebenfalls<br />

in das westliche System überführt, zum<br />

Teil von westdeutschen Wissenschaftseinrichtungen<br />

wie der Fraunhofer-Gesellschaft, der<br />

Leibniz-Gemeinschaft oder der Max-Planck-<br />

Gesellschaft übernommen und umgegründet.<br />

Auch richteten die Wissenschaftsorganisationen<br />

neue Institute ein.<br />

Kein Sonderweg Ost<br />

Unter dem Strich mussten die neuen Bundesländer<br />

aufgrund der schwierigen finanziellen<br />

Situation jedoch Stellen im Wissenschaftsbereich<br />

abbauen. Nicht wenige ostdeutsche Wissenschaftler<br />

standen nur wenige <strong>Jahre</strong> nach<br />

der Wiedervereinigung ohne Job da. Trotz<br />

des „schmerzlichen Prozesses“, wie ihn der<br />

ostdeutsche Biologe und Bürgerrechtler Jens<br />

Reich einmal nannte, gilt die Erneuerung der<br />

Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern<br />

heute als geglückt. Erich Thies<br />

erinnert allerdings an die Schwierigkeiten:<br />

„Meine Vorstellung war – entsetzlich, das heute<br />

aussprechen zu müssen –, dass die unter<br />

Vierzigjährigen noch eine Chance haben, sich<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

in das nun geltende Wissenschaftssystem<br />

einzuarbeiten. Die Älteren aber hatten, bis<br />

auf Ausnahmen, den Preis für die Wiedervereinigung<br />

mit ihrer beruflichen Existenz zu<br />

zahlen.“<br />

Alle an der Humboldt-Universität tätigen<br />

Professoren mussten sich einem neuen Berufungsverfahren<br />

stellen. Diejenigen, die<br />

die Überprüfung überstanden, wurden aber<br />

nicht ohne weiteres übernommen, sie bekamen<br />

Konkurrenz aus dem Westen. Die dort<br />

ausgebildeten Wissenschaftler brachten Voraussetzungen<br />

mit, die viel stärker dem nun<br />

gefragten westdeutschen Modell entsprachen,<br />

etwa internationale Bindungen zu westlichen<br />

anstatt zu östlichen Staaten oder Publikationen<br />

in Englisch statt in Russisch. Das Ergebnis:<br />

In den höheren Besoldungsgruppen setzten<br />

sich mehrheitlich Professoren aus dem<br />

Westen durch. Die Chance, etwa eine neue<br />

Erziehungswissenschaft mit sinnvollen Ansätzen<br />

aus Ostdeutschland zu gründen, wurde<br />

dabei nie in Erwägung gezogen. „Ich würde<br />

heute eine Reihe von Professoren, die zu DDR-<br />

Zeiten eingestellt wurden, in ihren Ämtern<br />

belassen. Solche, die fachlich hervorragend<br />

qualifiziert und politisch unbelastet waren.<br />

Die gab es“, sagt Erich Thies selbstkritisch.<br />

Auch in Leipzig wurde aussortiert. Die Universität<br />

galt als „Rotes Kloster“, besonders eng<br />

dem alten DDR-System verbunden. Denn dort<br />

konzentrierten sich die Politikwissenschaften,<br />

Zeitenwende 1989: In der DDR diskutierten<br />

Professoren und Studenten über die Zukunft der Unis<br />

TITEl<br />

die Geisteswissenschaften und die Kulturwissenschaften,<br />

die als besonders belastet galten.<br />

Unter Berufung auf den Einigungsvertrag<br />

setzte eine Entlassungswelle ein. Sie machte<br />

den Weg für eine „Integritätsprüfung“ und<br />

Neuberufungen frei.<br />

Die Vereinigung der Wissenschaftssysteme<br />

machte auch vor Errungenschaften der Wendezeit<br />

nicht halt. Im Oktober 1989 hatte die<br />

Leipziger Universität ein Konzil gewählt, in<br />

dem Professoren, Mitarbeiter und Studenten<br />

zu gleichen Teilen vertreten waren – das war<br />

nach westdeutschem Recht nicht möglich. Mitte<br />

der 90er <strong>Jahre</strong> trat eine neue Universitätsverfassung<br />

in Kraft, bei der die Wissenschaftsverwaltung<br />

die Feder geführt hatte. Sie schrieb<br />

das westdeutsche System fest. Der Traum von<br />

einem Sonderweg Ost erfüllte sich nicht. Wie<br />

bei der deutsch-deutschen Wiedervereinigung<br />

insgesamt wurde auch in der Wissenschaft<br />

das westdeutsche Modell auf den Osten übertragen<br />

– unter westdeutscher Regie.<br />

Heiko Schwarzburger<br />

abSTracT<br />

Reform from the Top Down<br />

The “Wende”, as the East German political<br />

upheaval of 1989 is known, completely revolutionized<br />

universities in the GDR. The ideals<br />

of Socialism had worn thin, and the dream<br />

of an East German “third way” did not come<br />

true. After the unification of East and West<br />

Germany in 1990, the Western academic<br />

system was established in the East. Many<br />

faculty members in East German higher education<br />

lost their jobs. Some of them had acted<br />

as informants for the East German secret<br />

police; others did not fulfil certain Western<br />

standards. If they had it to do over again,<br />

reformers would do a number of things differently.<br />

Nonetheless, the process of reform<br />

in higher education is considered a success.<br />

15


16 TITEl<br />

Sprachrevolte von kurzer Dauer<br />

Wortschöpfungen der Wendezeit<br />

Zum Rückblick auf das Jahr 1989 gehören die vielen emotionalen Bilder von Begegnungen<br />

der Menschen aus Ost und West. Prägend waren aber auch Wörter, die<br />

in der Wendezeit entstanden und auch heute noch viel von der Stimmung und den<br />

Hoffnungen in den aufregenden Monaten des Herbstes 1989 vermitteln. Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler des Instituts für Deutsche Sprache deckten in<br />

verschiedenen Studien Schlüsselwörter dieser Umbruchphase auf.<br />

Worte sind Erinnerungen, die uns eintauchen<br />

lassen in die Vergangenheit: Reisefreiheit,<br />

Ossi, Wendehälse, Begrüßungsgeld<br />

– wir sind mitten in der Wendezeit. Die Nachrichten<br />

drangen 1989 in unser Bewusstsein,<br />

vieles passierte, was vorher undenkbar war<br />

– und die Sprache hielt Schritt. „Die Wendezeit<br />

hat eine Flut von neuen Wörtern hervorgebracht,<br />

allerdings von sehr unterschiedlicher<br />

Lebensdauer“, sagt Doris Steffens. Die<br />

Sprachwissenschaftlerin stammt aus der DDR<br />

und forscht seit 1992 am Institut für Deutsche<br />

Sprache (IDS) in Mannheim und seit 1997<br />

über Neologismen, also neue Wörter, die in<br />

den allgemeinen Sprachschatz aufgenommen<br />

werden.<br />

Das Zusammenwachsen zweier sehr verschiedener<br />

Kommunikationsgemeinschaften,<br />

die zwar dieselbe Sprache sprechen, aber<br />

über 40 <strong>Jahre</strong> getrennt lebten, in der Wendezeit<br />

beobachten zu können – das ist ein seltenes<br />

Glück für Sprachwissenschaftler. Fragen<br />

ergeben sich viele: Was schrieb die Presse<br />

in Ost und West? Welche Losungen wurden<br />

auf den Demonstrationen ausgegeben? Konnten<br />

Menschen aus beiden deutschen Staaten<br />

ohne Missverständnisse miteinander reden?<br />

Welche Wörter waren tabu und welche „en<br />

vogue“?<br />

Zu den unzähligen linguistischen Untersuchungen<br />

und Veröffentlichungen gehört auch<br />

das Projekt „Sprachwandel der Wendezeit“ des<br />

IDS. Ein Teilprojekt, an dem Doris Steffens beteiligt<br />

war, konzentrierte sich auf „Schlüsselwörter“.<br />

Mit dem sogenannten Wende-Korpus,<br />

einer Sammlung von Tages- und Wochenzeitungen,<br />

öffentlichen Reden aus der DDR und<br />

der alten Bundesrepublik, sowie Flugblättern<br />

und Aufrufen standen den Forscherinnen und<br />

Forschern insgesamt 3,5 Millionen Wörter zur<br />

Verfügung. „Diese Texte hatten alle etwas mit<br />

den Themen ‚Umbruch in der DDR’ und ‚Annäherung<br />

beider deutscher Staaten’ zu tun.<br />

Wir haben nach Wörtern gesucht, die besonders<br />

häufig thematisiert wurden und um die<br />

herum Wortfelder entstanden sind“, erläutert<br />

die Sprachwissenschaftlerin. In 16 Kapiteln<br />

des Buchs „Schlüsselwörter der Wendezeit“<br />

tut sich die Sprachlandschaft jener Umbruchzeit<br />

auf: Alt-Funktionäre, Betonköpfe, Blockflöten<br />

sind im Abschnitt „Vertreter des alten<br />

Systems“ ebenso zu finden wie rote Socken,<br />

Wendehälse oder Hardliner. Dabei listen die<br />

Sprachforscher nicht bloß häufig verwendete<br />

Wörter auf, sondern liefern auch ausführliche<br />

Interpretationen, Erklärungen von Wortveränderungen<br />

sowie eine zeitliche und thematische<br />

Eingruppierung.<br />

Gefühlswörter entdecken<br />

Die vielen Wörter während der Wende waren<br />

Produkte einer Sprachrevolte. Auf Transparenten<br />

und in Parolen forderten die Menschen<br />

eines deutlich: die Umkehr der Verhältnisse.<br />

„Wir drehen alte Losungen um, die uns gedrückt<br />

und verletzt haben, und geben sie postwendend<br />

zurück (…) Ja, die Sprache springt<br />

aus dem Ämter- und Zeitungsdeutsch heraus,<br />

in das sie eingewickelt war, und erinnert sich<br />

ihrer Gefühlswörter“, machte die Schriftstellerin<br />

Christa Wolf bei der Ost-Berliner Demonstration<br />

am 4. November 1989 deutlich. Und Gefühlswörter<br />

wurden häufig verwendet. Man-<br />

Die Mauer muss weg: Ein Monument wird zerlegt<br />

fred Hellmann, bis <strong>20</strong>01 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am IDS, recherchierte etwa 300<br />

Grundwörter zu Emotion, Moral oder Ethik<br />

und fand 4 000 Wortformen mit fast 50 000<br />

Belegen. Am häufigsten stieß er auf Verantwortung/verantwortungsvoll,vertrauen/Vertrauen,<br />

Angst/Ängste, Gewalt, Hoffnung. Auch<br />

hier zeigt sich die Sprache als Seismograph<br />

für Befindlichkeiten.<br />

„Wer sich nicht bewegt, fühlt seine Fesseln<br />

nicht“ oder „Nach 40 <strong>Jahre</strong>n Wüstenwanderung<br />

glauben wir nicht mehr an die alten<br />

Propheten“ – diese Parolen zeugen von der<br />

sprachlichen Kreativität, die unter der SED-<br />

Herrschaft nicht gedeihen konnte. Doris Steffens<br />

sieht das in ihren Forschungen bestätigt:<br />

„Einige der Wörter, die nun ungehindert geäußert<br />

und abgedruckt werden konnten, gab<br />

es bereits in der DDR-Alltagssprache, aber sie<br />

waren im öffentlichen Sprachgebrauch tabu.“<br />

Viele Wörter waren, wie politische Ideen und<br />

Strömungen, Übergangsphänomene: Übersiedlerflut,<br />

Gorbi-Rufe, Einheitseuphorie werden<br />

heute nicht mehr gebraucht, weil die Dinge,<br />

die sie bezeichnen, nicht mehr existieren.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: dpa-Zentralbild


Kraftvolle Sprache: Demonstranten im Herbst 1989<br />

Andere Wörter wiederum sind in den allgemeinen<br />

Sprachschatz übergegangen: <strong>Mauerfall</strong>,<br />

Einigungsvertrag oder Mauerspecht. Doch<br />

Vorsicht: Wissen junge Menschen ab Jahrgang<br />

1990 wirklich, dass es sich beim Mauerspecht<br />

nicht um eine Vogelart handelt?<br />

Der Runde Tisch<br />

Gehalten haben sich Begriffe, die in der Wendezeit<br />

emotional prägend waren und heute<br />

noch passen: Stasi-Akte gehört dazu, Betonkopf,<br />

der heute für alle geistig unbeweglichen<br />

Menschen herhalten muss, Blockflöte für die<br />

DDR-Blockparteien und deren Vertreter, die<br />

schnell zu Wendehälsen mutieren konnten,<br />

sowie eine außerparlamentarische Institution,<br />

die sich völlig losgelöst von den Ereignissen<br />

inzwischen zu vielen gesellschaftlich relevanten<br />

Fragen etabliert hat: Der Runde Tisch.<br />

„Diese Wortverbindung hat wirklich Karriere<br />

gemacht. Im Dezember 1989 trat der erste<br />

Runde Tisch zusammen und beeinflusste bis<br />

zur ersten freien Volkskammerwahl im März<br />

1990 die Politik des Kabinetts Modrow erheblich“,<br />

erläutert Doris Steffens. Auch heute<br />

treffen sich Vertreter verschiedener Interessensgruppen<br />

am Runden Tisch, um gleichberechtigt<br />

Konflikte zu besprechen und Kompromisse<br />

auszuhandeln.<br />

Wörterwanderung<br />

Schon nach kurzer Zeit zeigte die Sprache,<br />

was Realität wurde: Die einseitige Übernahme<br />

westlicher Ideen, Standards und Vorstellungen<br />

überformte die kreative Phase – Aufbruch-<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

vokabular adé. Weder politisch noch sprachlich<br />

konnte sich ein „dritter Weg“ durchsetzen.<br />

Aus dem Westen wanderten die Wörter gen<br />

Osten, vor allem solche aus Politik und Wirtschaft:<br />

Parlament, Bundestag, Koalitionsvertrag,<br />

Joint Venture, Rendite, Tarifverhandlung<br />

oder Kurzarbeitergeld. Manfred Hellmann<br />

stellte fest, dass bereits wenige Monate nach<br />

der Wende die Angleichung an den „Westsprachgebrauch“<br />

abgeschlossen war – zumindest<br />

in der öffentlichen Sprache. An der Oberfläche<br />

herrschte zwar sprachliche Einheit, von<br />

einer sprachlichen Vereinigung jedoch konnte<br />

nicht die Rede sein.<br />

„Weder Wendezeit noch Nachwendezeit<br />

konnten die Angleichung leisten, das ist vielmehr<br />

Aufgabe einer ganzen Generation“, ist<br />

sich Doris Steffens sicher. Sie hat auch die<br />

Nachwendezeit sprachlich analysiert und dabei<br />

erneut festgestellt, wie sensibel die Sprache<br />

auf politische und mentale Unterschiede<br />

reagiert. Während Besserwessi oder Buschzulage,<br />

aus den 90er <strong>Jahre</strong>n heute kaum noch in<br />

Gebrauch sind, begleitet uns Ostalgie auch im<br />

<strong>20</strong>. Jahr der deutschen Einheit.<br />

Die Hoffnung, dass die gemeinsame Sprache<br />

als einigendes Band über unterschiedliche Erfahrungen<br />

hinweghelfen könne, erfüllte sich<br />

nicht vollständig. Missverständnisse gehören<br />

zur Kommunikation zwischen Ost und West.<br />

Analog zur politischen Entwicklung ist festzustellen:<br />

Nicht zwei Sprachkulturen wuchsen<br />

zusammen, sondern die eine verschwand zugunsten<br />

der anderen.<br />

Isabell Lisberg-Haag<br />

Wende-Glossar<br />

Foto: Bundesarchiv; Ulrich Häßler<br />

TITEl<br />

Ossi: häufig abwertender Begriff für ehemalige<br />

DDR-Bürger<br />

Wendehals: Bezeichnung einer Person – in<br />

Anlehnung an den Vogel Wendehals –, die in kurzer<br />

Zeit ihren politischen Standpunkt grundlegend<br />

ändert<br />

Begrüßungsgeld: 100 D-Mark, die jeder Besucher<br />

aus der DDR einmalig in der Bundesrepublik<br />

erhielt. In den ersten drei Wochen nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />

zahlte die Bundesrepublik das Begrüßungsgeld<br />

an 18 Millionen Besucher aus<br />

Betonkopf: geistig unbeweglicher Mensch<br />

Blockflöten: DDR-Blockparteien und deren Vertreter<br />

Rote Socke: abwertende Bezeichnung für eine<br />

politisch eher links stehende Person, in der DDR<br />

spöttisch für SED-Mitglieder<br />

Gorbi-Ruf: Die Kurzform „Gorbi“ für den sowjetischen<br />

Staatschef Michail Gorbatschow wurde<br />

1989 häufig auf Demonstrationen in der DDR<br />

gerufen und bezog sich auf die von ihm eingeleitete<br />

Politik<br />

Mauerspecht: jemand, der nach der Wende die<br />

Berliner Mauer bearbeitete und zerkleinerte<br />

Stasi-Akte: Akten des Ministeriums für Staatssicherheit<br />

(Stasi), des Geheimdienstes der DDR<br />

Der Runde Tisch: Konferenz zur Bewältigung<br />

von Konflikten, besonders 1989 ein Synonym<br />

für Verhandlungen über das wiedervereinigte<br />

Deutschland<br />

Besserwessi: Das Wort des <strong>Jahre</strong>s 1991 ist die<br />

abschätzige Bezeichnung für westdeutsche Bürger,<br />

deren Verhalten gegenüber der ostdeutschen<br />

Bevölkerung als besserwisserisch und arrogant<br />

empfunden wurde<br />

Buschzulage: Sonderzahlung für Beamte aus<br />

Westdeutschland, die in Ostdeutschland eingesetzt<br />

wurden<br />

Ostalgie: Wortspiel aus „Osten“ und „Nostalgie“<br />

bedeutet „Heimweh nach dem Osten“<br />

17


18<br />

hochSchulE<br />

neues vom campus<br />

Stuttgart/Reutlingen<br />

Zentrum mit Modellcharakter<br />

Baden-Württemberg beschreitet neue Wege:<br />

Mit dem Robert Bosch Zentrum für Leistungselektronik<br />

entsteht ein ungewöhnlicher Lehr-<br />

und Forschungsverbund. Daran beteiligt sind<br />

eine Universität, eine Fachhochschule und ein<br />

Unternehmen: die Firma Bosch, die Universität<br />

Stuttgart und die Hochschule Reutlingen.<br />

„Diese Form der Zusammenarbeit hat Modellcharakter“,<br />

sagt der Stuttgarter Rektor Wolfram<br />

Ressel.<br />

Leistungselektronik spielt eine wichtige<br />

Rolle für den Zukunftsmarkt der Elektromotoren<br />

und damit für die Automobilbranche. Das<br />

neue Zentrum verfolgt zwei Ziele: qualifizierten<br />

Nachwuchs in dem Fach auszubilden und<br />

die Forschung voranzutreiben. Dazu entwickeln<br />

die Universität und die Fachhochschule<br />

ein neues Bachelor-, Master- und Promotionsprogramm.<br />

Es ermöglicht den Studierenden,<br />

an beiden Hochschultypen zu studieren. An<br />

dem gemeinsamen Graduiertenkolleg können<br />

die besten Absolventen beider Einrichtungen<br />

promovieren. Dafür stehen elf Stipendien zur<br />

Verfügung.<br />

Zum Wintersemester <strong>20</strong>10 sollen an der<br />

Universität Stuttgart zudem zwei berufsbegleitende<br />

Online-Masterstudiengänge starten.<br />

Sieben Professuren werden an dem Zentrum<br />

eingerichtet – darunter zwei Stiftungsprofessuren,<br />

die Bosch sponsert. Das Unternehmen<br />

600 <strong>Jahre</strong> Uni Leipzig: Professoren in Feierlaune<br />

Gefährdetes Heiligtum: der Hoan-Kiem-See in Hanoi<br />

investiert insgesamt 15 Millionen Euro in das<br />

Zentrum, noch einmal zwölf Millionen Euro<br />

steuert das Land Baden-Württemberg bei.<br />

Dresden<br />

Rettung für heiligen See<br />

Den Vietnamesen gilt er als heilig: der Hoan-<br />

Kiem-See inmitten der Millionenmetropole<br />

Hanoi. Dort lebt eine der vermutlich vier letzten<br />

Yangtze Riesenweichschildkröten. Doch<br />

auch sie ist in Gefahr: Abwässer haben den<br />

See stark verschlammt, er enthält zu viele<br />

Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff. Nicht<br />

nur die Wasserqualität ist gesunken, der See<br />

Foto: Anja Jungnickel<br />

wird durch Ablagerungen auch immer flacher<br />

und muss dringend saniert werden. Mehrere<br />

internationale Projekte zur Entschlammung<br />

sind bereits an den hohen Anforderungen gescheitert.<br />

Um die Schildkröte nicht zu gefährden,<br />

können die Helfer keine konventionellen<br />

Techniken einsetzen. Ein Team von deutschen<br />

Wissenschaftlern und Unternehmen unter<br />

der Federführung des Instituts für Abfallwirtschaft<br />

und Altlasten der TU Dresden startet<br />

einen vielversprechenden Versuch: Das deutsche<br />

Team, das Unterstützung von vietnamesischen<br />

Wissenschaftlern erhält, setzt auf den<br />

Unterwassersaugbagger „Sediturtle“. Er soll<br />

am Grund des Sees die oberste Bodenschicht<br />

absaugen. Eine erste öffentliche Vorführung<br />

im Sommer verlief verheißungsvoll. Nach einem<br />

weiteren Vorlauf soll <strong>20</strong>10 die Entschlammung<br />

starten.<br />

Leipzig<br />

Uni feiert 600. Geburtstag<br />

<strong>20</strong>09 begeht die Universität Leipzig ihr<br />

600-jähriges Gründungsjubiläum. Sie ist damit<br />

nach Heidelberg die zweitälteste Universität<br />

Deutschlands, an der ohne Unterbrechung<br />

gelehrt und geforscht wird. Zu den Höhepunkten<br />

des Jubiläumsprogramms gehörte die Festwoche<br />

Anfang Dezember. Bei dem Festakt am<br />

2. Dezember, dem eigentlichen Gründungstag,<br />

forderte Bundespräsident Horst Köhler vor 800<br />

Gästen eine bessere finanzielle Ausstattung<br />

der Hochschulen insgesamt. „Die Frage, wie<br />

wir unsere Hochschulen weiterentwickeln,<br />

ist auch ein Lackmustest dafür, wie ernst wir<br />

es wirklich meinen mit dem Ziel: Zukunftsfähigkeit<br />

unseres Landes“, sagte Köhler. Rektor<br />

Franz Häuser erinnerte an die Anfänge der<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: flickr.com


Universität, die nicht ein Fürst, sondern Magister<br />

und Scholare gegründet hatten. Diese<br />

besonderen Umstände wirken bis heute. In<br />

Leipzig haben bekannte Persönlichkeiten gelehrt,<br />

etwa die Physik-Nobelpreisträger Werner<br />

Heisenberg und Gustav Hertz sowie der<br />

Philosoph Ernst Bloch. Johann Wolfgang Goethe,<br />

Gottfried Wilhelm Leibniz und Friedrich<br />

Nietzsche haben dort studiert.<br />

Aachen<br />

Zurück an der Spitze<br />

Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule<br />

(RWTH) Aachen steht wieder ganz<br />

oben: Keine andere deutsche Hochschule hat<br />

zwischen <strong>20</strong>05 und <strong>20</strong>07 mehr Geld von der<br />

Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)<br />

bekommen. Die DFG ist mit mehr als zwei<br />

Milliarden Euro pro Jahr der größte Mittelgeber<br />

für Forschung in Deutschland. Rund 257<br />

Millionen Euro Fördermittel flossen an die<br />

RWTH. Damit konnte Aachen den Spitzenplatz<br />

im DFG-Förderranking von der Münchner<br />

Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)<br />

zurückerobern, die auf Platz zwei liegt. Hinter<br />

der LMU folgen die Universität Heidelberg,<br />

die Technische Universität München und die<br />

Freie Universität Berlin.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Das Ranking fasst zusammen, wie viele Fördergelder<br />

die deutschen Hochschulen in den<br />

verschiedenen Wissenschaftsbereichen eingeworben<br />

haben. „Dem kann man ziemlich<br />

genau entnehmen, wo Universitäten ihre<br />

Stärken haben und wo sie sich weiterentwickelt<br />

haben“, betont DFG-Präsident Matthias<br />

Kleiner. Es sei deutlich zu sehen, dass die<br />

deutschen Hochschulen immer häufiger klare<br />

fachliche Schwerpunkte setzen.<br />

In Kürze<br />

Nach dem Exzellenzwettbewerb für die Forschung<br />

gibt es in Deutschland nun auch einen<br />

Exzellenzwettbewerb für die Lehre. Im Oktober<br />

haben der Stifterverband für die Deutsche<br />

Wissenschaft und die Kultusminister der Bundesländer<br />

erstmals den mit zehn Millionen<br />

Euro dotierten Preis vergeben. Preisträger<br />

sind die Universitäten Bielefeld, Freiburg und<br />

Potsdam, die RWTH Aachen, die Technischen<br />

Universitäten Kaiserslautern und München<br />

sowie die Fachhochschulen Bremerhaven,<br />

Hamburg, Köln und Potsdam. 108 Hochschulen<br />

hatten sich beteiligt. Die Gewinner ermittelte<br />

eine international besetzte Jury.<br />

hochSchulE 19<br />

Die Studienplatzbörse hat sich bewährt. Bundesbildungsministerin<br />

Annette Schavan zog<br />

eine positive Bilanz nach der Premiere zum<br />

Wintersemester <strong>20</strong>09/10: „Die Börse hat die<br />

Suche nach einem Studienplatz erheblich einfacher<br />

gemacht.“ Mehr als 460 000 Internetnutzer<br />

besuchten die Webseite. Dort hatten<br />

Hochschulen Studienplätze angeboten, die<br />

nach Ende des Bewerbungsverfahrens frei<br />

geblieben waren. Zwischenzeitlich waren bis<br />

zu 2 000 Studiengänge verfügbar. Laut einer<br />

Umfrage der Hochschulrektorenkonferenz<br />

konnten die Hochschulen deutlich mehr freie<br />

Studienplätze vergeben als zuvor.<br />

Drei neue Fachhochschulen hat das Bundesland<br />

Nordrhein-Westfalen (NRW) in diesem<br />

Jahr gegründet: die Hochschule Rhein-Waal,<br />

die Hochschule Ruhr West und die Fachhochschule<br />

Hamm-Lippstadt. Alle drei haben zum<br />

Wintersemester die ersten insgesamt 280 Studierenden<br />

aufgenommen – schneller als geplant,<br />

denn ursprünglich sollte der Studienbetrieb<br />

erst im Herbst <strong>20</strong>10 starten. „Die Verantwortlichen<br />

vor Ort haben mächtig aufs Tempo<br />

gedrückt“, lobte NRW-Innovationsminister Andreas<br />

Pinkwart. Bis zum Wintersemester <strong>20</strong>13<br />

sollen an den drei Neugründungen insgesamt<br />

7 500 Studienplätze zur Verfügung stehen. cho<br />

Anzeige


<strong>20</strong><br />

WISSEnSchafT & WIrTSchafT<br />

Moral für künftige Manager<br />

Ethik findet in den Wirtschaftswissenschaften immer mehr Beachtung<br />

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die<br />

Diskussion um die moralisch-ethische<br />

Ausbildung künftiger Banker und Wirtschaftsbosse<br />

an den Hochschulen neu<br />

belebt. Gefordert werden entsprechende<br />

Angebote schon in den ersten Semestern.<br />

Wer im offiziellen Fächerkompass der<br />

deutschen Hochschulen nach Wirtschafts-<br />

oder Unternehmensethik sucht,<br />

wird nicht fündig. Unter dem Stichwort gibt<br />

es bislang an keiner Hochschule einen eigenen<br />

Studiengang. Warum auch: Ethik soll<br />

kein Expertenwissen für einige wenige sein,<br />

sondern zur Allgemeinbildung aller angehenden<br />

Manager in der Wirtschaft gehören. Die<br />

gegenwärtige Krise führte jedoch „symptomatisch<br />

vor Augen, dass vielen Verantwortlichen<br />

der ethische und moralische Kompass<br />

abhanden gekommen ist“, stellt der Deutsche<br />

Hochschulverband fest. Die Berufsvertretung<br />

der Universitätsprofessoren und ihres Nachwuchses<br />

empfiehlt pragmatisch: „Wer keine<br />

Technokraten will, muss schon im Rahmen<br />

von Bachelor-Studiengängen fachspezifische<br />

Angebote machen, die es Studierenden ermöglichen,<br />

sich intensiv mit ethischen Grundfragen<br />

zu befassen.“ International renommierte<br />

Wirtschaftsforscher wie der Bonner Nobelpreisträger<br />

Reinhard Selten sehen vor allem in<br />

Grundtugenden wie Vertrauen, Fairness und<br />

Gerechtigkeit Wegweiser zur Umkehr.<br />

Im traditionsreichen, 1890 gegründeten<br />

akademischen „Verein für Socialpolitik“<br />

bilden heute mehr als 50 Hochschullehrer<br />

den Arbeitskreis „Wirtschaftswissenschaft<br />

und Ethik“. Außerdem bestehen Netzwerke<br />

zwischen Universitäten und Unternehmen<br />

(www.dnwe.de) sowie von Studierenden. So will<br />

sneep, student network for ethics in economic<br />

education and practice, Wirtschafts- und<br />

Unternehmensethik sowohl an den Hochschulen<br />

als auch in der unternehmerischen Praxis<br />

voranbringen. (www.sneep.info). „Wir sind<br />

total gemischt“, berichtet Jonas Gebauer über<br />

die sneep-Lokalgruppe München. „Bei uns<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: iStockphoto


treffen sich Theologen, Soziologen, Betriebs-<br />

und Volkswirte.“ Der Zulauf wächst seit der<br />

Krise. „Im April <strong>20</strong>08 hatten wir 18 örtliche<br />

Hochschulgruppen, inzwischen sind es mehr<br />

als 30.“ Viele Wirtschaftsstudierende hätten<br />

endlich gemerkt, so Jonas Gebauer, dass der<br />

Markt nicht alles richte.<br />

Die Frage nach der Ethik im Geschäftsleben<br />

findet tatsächlich seit gut <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n in<br />

Wirtschaft und Wissenschaft immer mehr<br />

Beachtung. Bezeichnend dafür sind die Einführung<br />

von Ethik- oder Verhaltens-Kodizes in<br />

Unternehmen sowie das Schlagwort von ihrer<br />

„bürgerschaftlichen Verantwortung“, etwa angesichts<br />

von Umweltzerstörung, Kinderarbeit<br />

oder ethnischer Diskriminierung.<br />

Kehrtwende und Eid<br />

Zu den Schrittmachern für mehr Ethik in den<br />

Wirtschaftswissenschaften zählen unter anderem<br />

Karl Homann und Peter Ulrich, Ökonomen<br />

mit sozialpolitischem Selbstverständnis.<br />

So studierte Karl Homann Philosophie, Theologie<br />

und Volkswirtschaft. Er lehrte an der Privatuniversität<br />

Witten/Herdecke, an der Katholischen<br />

Universität Eichstätt und schließlich<br />

bis <strong>20</strong>08 Philosophie und Ökonomik an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität in München.<br />

Peter Ulrich habilitierte sich mit einer fachübergreifenden<br />

Arbeit über „Grundprobleme<br />

der Wirtschaftsphilosophie“. Seit 1987 ist er<br />

Professor für Wirtschaftsethik an der international<br />

renommierten Universität St. Gallen/<br />

Schweiz.<br />

Beide Wissenschaftler wollen die Wirtschaft<br />

in den Dienst der Gesellschaft stellen – und<br />

nicht umgekehrt. „Ethik und Ökonomik sind<br />

als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, nicht<br />

als einander ausschließende Alternativen“,<br />

so Karl Homann. Das war zwar schon immer<br />

der Grundgedanke in der europäischen<br />

Philosophie. Aber in den vergangenen zwei<br />

Jahrhunderten haben sich die Wirtschaftswissenschaften<br />

zu „autonomen“ Disziplinen<br />

mit eigener „Sachlogik“ verselbstständigt. So<br />

bedeutet ihre erneute ethische Einordnung in<br />

die Gesellschaft eine Kehrtwende, die in der<br />

Fachwelt noch Barrieren überwinden muss.<br />

Angesichts der Weltwirtschaftskrise schworen<br />

die Absolventen der Harvard Business<br />

School im Juni dieses <strong>Jahre</strong>s erstmals einen<br />

freiwilligen Eid, ihren Beruf „in ethischer<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Weise auszuüben“. Einen solchen Eid gibt es<br />

in Deutschland (noch) nicht. Vielmehr meint<br />

Christian Homburg als Leiter der Mannheim<br />

Business School, „ethische Aspekte und soziale<br />

Verantwortung“ seien generell „feste Bestandteile“<br />

der wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Ausbildung. Für „essenziel“ hält Christian<br />

Homburg „interkulturelle Kompetenzen“, damit<br />

die Studierenden etwa mit regional unterschiedlichen<br />

Vorstellungen von Gut und Böse<br />

vertraut werden. Mit diesen kulturell wichtigen<br />

Normen müssen sich auch künftige Manager<br />

der Global Player auskennen. Von den<br />

ethisch-kulturell bedingten Verhaltensweisen<br />

hängt die „Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit“<br />

ab, wie Business-Professor Christian<br />

Homburg betont.<br />

Inzwischen bieten zehn deutsche Universitäten<br />

Unterricht in Wirtschaftsethik. „Wir wollen<br />

unsere Studierenden zu kompetenten Managern<br />

ausbilden, die dazu in der Lage sind,<br />

ganz bestimmte Probleme zu lösen. Und ganz<br />

bestimmte Probleme kann man eben mit Moral<br />

lösen“, so Professor Ingo Pies, Wirtschaftsethiker<br />

an der Universität Halle, in einem<br />

Radio-Interview zum Thema „Der ehrbare<br />

Kaufmann“. Wer in Halle Betriebs- oder Volkswirtschaft<br />

studiert, muss mehrere Seminare<br />

in Wirtschaftsethik besuchen.<br />

Verzerrte Perspektive<br />

Trotz mehr Ethik im Hörsaal kritisiert André<br />

Habisch, Professor für Christliche Sozialethik<br />

und Gesellschaftspolitik an der Katholischen<br />

Universität in Eichstätt: „Durch einseitige<br />

Konzepte haben Ökonomen bei den Studenten<br />

eine verzerrende Perspektive auf die wirtschaftliche<br />

Realität geschaffen. Ein Beispiel<br />

dafür ist die Grundvorstellung vom Individualisten,<br />

dem es ausschließlich darum geht,<br />

den größten Nutzen zu erzielen.“ Ein Gegengewicht<br />

bietet André Habisch mit dem „Master<br />

of Ethical Management“: Führungskräfte<br />

mit Personalverantwortung können den MEM<br />

erwerben – als Alternative zum herkömmlichen<br />

MBA. Zentraler Inhalt der Weiterbildung:<br />

Umgang im Team und die persönliche Verantwortung<br />

trotz Sachzwängen.<br />

Genau diese Frage behandelt das gemeinsame<br />

Kulturwissenschaftliche Institut der<br />

Universitäten in der Ruhr-Region mit dem<br />

WISSEnSchafT & WIrTSchafT<br />

abSTracT<br />

Morals for Tomorrow’s<br />

Managers<br />

The current financial and economic crisis<br />

has fanned a discussion of moral and ethical<br />

education in university courses for future<br />

bankers and business leaders. Ten German<br />

universities offer classes in business ethics, but<br />

no course of studies in business or corporate<br />

ethics. At the University of Halle, however,<br />

students in the economics and business administration<br />

courses must complete several<br />

seminars in business ethics. Furthermore,<br />

the Catholic University of Eichstätt offers a<br />

Master’s degree in Ethical Management as an<br />

alternative to the conventional MBA. And the<br />

University of Jena has established an “Ethics<br />

Centre” that all disciplines draw on: the centre<br />

is concerned with ethical standards not only<br />

for business, but also for medicine, life sciences,<br />

engineering and competitive sports.<br />

Schwerpunkt „Center for Responsibility Research“.<br />

Auch die Privatuniversität Witten/<br />

Herdecke ist ein Leuchtturm in Sachen Moral<br />

und Wirtschaft – mit zwei Professuren für<br />

Volkswirtschaft und Philosophie sowie für<br />

Wirtschaftsethik und gesellschaftlichen Wandel.<br />

Der künftige Studiengang Politik-Philosophie-Ökonomie<br />

soll angehende Manager darin<br />

schulen, vermeintlich rein wirtschaftliche Fragen<br />

im größeren gesellschaftlich-sozialen Zusammenhang<br />

anzugehen. Jermain Kaminski,<br />

Wirtschaftsstudent kurz vor dem Bachelorexamen,<br />

hat die Ethik als einen Schwerpunkt<br />

neben der Psychologie und dem Marketing gewählt.<br />

„Wer Verantwortung übernehmen will,<br />

muss wissen, was Ethik ist“, betont der angehende<br />

Ökonom. „Sie ist für mich der Weg vom<br />

Kopf zur Hand und läuft am Herzen vorbei.“<br />

Die Universität Jena hat inzwischen sogar<br />

ein „Ethikzentrum“, das in alle Fächer hineinwirkt.<br />

Unter Leitung des Theologen, Philosophen<br />

und Staatswissenschaftlers Nikolaus<br />

Knoepfler geht es hier nicht nur um ethische<br />

Maßstäbe für die Wirtschaft, sondern auch für<br />

die Medizin und die angrenzenden Biowissenschaften,<br />

die Technik und nicht zuletzt den<br />

Leistungssport. Bislang ist das „Ethikzentrum“<br />

einmalig in Deutschland.<br />

Hermann Horstkotte<br />

21


22<br />

orTSTErMIn<br />

Seit 1456 wird in Greifswald kontinuierlich<br />

gelehrt und gelernt. Der politische Umbruch<br />

von 1989 forderte eine Neuorientierung.<br />

Heute trotzt die kleine Universitätsstadt<br />

an der Ostsee dem kalten Wind der<br />

Konkurrenz erfolgreich mit einer Verbindung<br />

aus Tradition und Innovation.<br />

Man kann die Ostsee in der Stadt nicht<br />

gleich sehen. Zur Küste ist es noch eine<br />

gute Stunde strammer Fußmarsch. Aber die<br />

Nähe des Meeres macht sich in Greifswald<br />

überall bemerkbar. Es riecht nach frischem<br />

Seefisch, wenn vier Mal die Woche auf dem<br />

historischen Marktplatz die Verkaufsstände<br />

aufgebaut werden. Rundherum leuchten die<br />

farbig restaurierten und für Hansestädte so typischen<br />

Bürgerhäuser mit ihren treppenförmigen<br />

Giebeldächern. Der stete Wind aus Nordost<br />

lässt die Hände am Fahrradlenker selbst im<br />

Sommer klamm werden und macht aus jeder<br />

noch so flachen Wegstrecke eine sportliche<br />

Herausforderung.<br />

Vorbildlich modernisiert<br />

Greifswald kann mit Gegenwind umgehen. Vor<br />

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n, als im Zuge der politischen Wende<br />

die Universitäten der ehemaligen DDR einer<br />

strengen Kritik ausgesetzt waren, fiel das<br />

Ur teil des Wissenschaftsrates ausgerechnet<br />

über die traditionsreiche medizinische Fakultät<br />

vernichtend aus. Aber die viertälteste<br />

Bildungsstätte Deutschlands mit ununterbrochenem<br />

akademischem Lehrbetrieb bekam<br />

die Chance, sich zu modernisieren, und nutzte<br />

sie vorbildlich. Heute verdankt die Universität<br />

ihren herausragenden Ruf vor allem der<br />

Spitzenforschung in den Naturwissenschaften,<br />

unter anderem in der Molekular- und Mikrobiologie,<br />

Biomedizin, Landschaftsökologie<br />

oder Plasmaphysik.<br />

Getreu ihrer Tradition liegen die erfolgreichen<br />

Schwerpunkte der kleinsten „Volluniversität“<br />

erneut in der medizinischen Forschung.<br />

In weiten Teilen unterstützt mit nationalen<br />

Fördergeldern, bündelt die Hochschule inzwischen<br />

weltweit vernetzte wissenschaftliche<br />

Kompetenz. Auf dem Gebiet der funktionellen<br />

Genomforschung etwa betreiben Wissenschaftler<br />

seit zehn <strong>Jahre</strong>n in einem hochmodernen<br />

Labor international anerkannte Spitzenforschung.<br />

Forschen für die Gesundheit<br />

Das innovative Profil hat sich Greifswald aber<br />

vor allem durch das deutschlandweit einzigartige<br />

Institut für „Community Medicine“ erarbeitet,<br />

das seit 1995 als zentraler Forschungsverbund<br />

der Institute und Kliniken der Universität<br />

existiert. Hier geht es wesentlich um<br />

Greifswald<br />

Kurze Wege für<br />

Wissenschaft<br />

sogenannte „Volkskrankheiten“ und eine<br />

verbesserte Gesundheitsversorgung. Grundlage<br />

für zahlreiche Forschungsprojekte ist<br />

umfangreiches Datenmaterial zur Bevölkerungsgesundheit,<br />

das seit Beginn der 90er<br />

<strong>Jahre</strong> in der sogenannten Ship-Studie (Study<br />

of Health in Pomerania, „Leben und Gesundheit<br />

in Vorpommern“) gewonnen wurde. Der<br />

Gesundheitszustand und die Lebensumstände<br />

von rund 7 000 Personen werden darin bis<br />

heute erfasst und ausgewertet. Mit Rückgriff<br />

auf diese Datenbasis betreten auch das Kompetenzzentrum<br />

für Telemedizin und ein neues<br />

Forschungsvorhaben zur personalisierten<br />

Medizin Neuland in der medizinischen Versorgung.<br />

Im letzten Jahr befürwortete der Wissenschaftsrat<br />

schließlich den Bau eines interdisziplinären<br />

Kompetenzzentrums zur Erforschung<br />

der Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten.<br />

Ziel ist die bessere Verträglichkeit<br />

bei Dauerbehandlungen. Das Projekt wird von<br />

allen fünf Fakultäten der Universität getragen,<br />

holt Ethiker und Theologen ins Boot und rundet<br />

das Bild exzellenter klinischer Forschung<br />

in Greifswald ab.<br />

Die Wege sind kurz in der kleinen Universitätsstadt<br />

mit nur sechs Kilometern Ausdehnung.<br />

Der geografische Vorteil dient vor allem<br />

der regen interdisziplinären Vernetzung und<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Foto: Konrad Wothe/LOOK-foto<br />

Foto: Jan Meßerschmidt/Uni Greifswald<br />

engen Zusammenarbeit mit außeruniversitären<br />

Forschungsinstituten. Mit dem Drahtesel<br />

sind Forscher auf der von der Innenstadt zum<br />

Campus gebauten Fahrradstraße in Windeseile<br />

beim Leibniz-Institut für Plasmaforschung<br />

und Technologie oder dem Max-Planck-Institut<br />

für Plasmaphysik. Zum Bundesforschungsinstitut<br />

für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-<br />

Institut) auf der Insel Riems radelt man rund<br />

<strong>20</strong> Kilometer durch idyllische Küstenlandschaft.<br />

Noch einmal so weit ist es bis zur 1991<br />

gegründeten Fachhochschule in Stralsund, wo<br />

sich nicht nur in den Bereichen Medizininformatik,<br />

Biomedizintechnik oder regenerative<br />

Energien produktive Schnittstellen mit der<br />

Forschungslandschaft in Greifswald ergeben.<br />

Rechnet man zahlreiche Forschungsfördereinrichtungen<br />

in der Region wie die Stiftung<br />

Alfried Krupp Kolleg, das BioTechnikum<br />

Greifswald, das Technologiezentrum Vorpommern<br />

oder das branchenübergreifende Netzwerk<br />

BioCon Valley Mecklenburg-Vorpommern<br />

als Arbeitgeber hinzu, dann hat vermutlich<br />

die Hälfte aller Einwohner Greifswalds<br />

im weitesten Sinne etwas mit Wissenschaft<br />

zu tun. Seit Beginn des Wintersemesters<br />

kommen auf 54 000 Einwohner allein 12 <strong>20</strong>0<br />

Studierende, und in den Straßen gewinnt man<br />

den Eindruck, der Altersdurchschnitt der<br />

Stadt liege unter 30 <strong>Jahre</strong>n.<br />

Konkreter Naturschutz<br />

Ziel junger Studierender, die der Forschungsschwerpunkt<br />

„Landschaftsökologie“ lockt, ist<br />

nicht selten die Rettung der Welt. Harmonische<br />

Landschaften, wie sie der berühmteste<br />

Sohn der Stadt, der romantische Maler Caspar<br />

David Friedrich in seinen Bildern von Küste<br />

und Stadt verewigt hat, sind weltweit bedroht.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Die international ausgerichtete Greifswalder<br />

Forschungsrichtung begegnet dieser Entwicklung<br />

mit einem integrativen Ansatz. Tiere,<br />

Pflanzen, Landschaftsentwicklung, aber<br />

auch klimatische Besonderheiten werden<br />

hier zusammenhängend erforscht. Die Wissenschaftler<br />

beziehen umweltökonomische<br />

oder geowissenschaftliche Betrachtungen mit<br />

ein. Eine Professur für Umweltethik ergänzt<br />

das Forschungsgebiet. Ziel ist es, konkrete<br />

Handlungsorientierung für Naturschutz, Umwelt-<br />

und Ressourcenmanagement zu geben.<br />

Attraktiv ist der internationale Masterstudiengang<br />

deshalb vor allem als Weiterbildung für<br />

Regierungsangehörige aus osteuropäischen<br />

Ländern und dem asiatischen Raum.<br />

Offenheit und ein Tor zur Welt – dafür steht<br />

von jeher ein Zugang zum Meer. Bis 1863 verschifften<br />

die Greifswalder Salz oder Getreide<br />

Weiß dominiert: Medizin ist ein bedeutender Schwerpunkt<br />

nach Schweden und Norwegen und erhielten<br />

im Austausch Güter aus Skandinavien. Die an<br />

die Ostsee angrenzenden Länder bilden traditionell<br />

den Kulturraum, zu dem Greifswald bis<br />

heute auch wissenschaftlich in regem Kontakt<br />

steht. Am Lehrstuhl für allgemeine Geschichte<br />

der Neuzeit forscht man im Internationalen<br />

Großzügig: Die Universitätsbibliothek<br />

bietet viel Platz für<br />

Bücher und Nutzer<br />

orTSTErMIn<br />

Graduiertenkolleg „Baltic Borderlands“ über<br />

den kulturellen und mentalen Wandel im Ostseeraum.<br />

Dabei kooperiert die Ernst-Moritz-<br />

Arndt-Universität mit den Universitäten Tartu<br />

in Estland und Lund in Schweden.<br />

Gleichzeitig ist der Forschungsstandort<br />

Greifswald auf die Globalisierung bestens<br />

vorbereitet. Im „Welcome Center“ bietet die<br />

Universitätsstadt seit diesem Wintersemester<br />

eine von der Alexander von Humboldt-Stiftung<br />

prämierte Hilfestellung für ausländische<br />

Wissenschaftler aller Forschungsinstitute.<br />

Das Servicekonzept umfasst Unterstützung<br />

von Ankunft bis Ende des Aufenthalts und<br />

Hilfestellung von Arbeitsrecht bis Kinderbetreuung.<br />

Schon bald wird dann jeder Gast<br />

erfahren, dass in der dynamischen und von<br />

frischem Wind verwöhnten Stadt das Dienstfahrzeug<br />

ein Fahrrad ist.<br />

Bettina Mittelstraß<br />

abSTracT<br />

Greifswald<br />

Science and the City<br />

The nearby Baltic Sea can be felt everywhere in<br />

Greifswald, home to Germany’s smallest “full<br />

university.” The smell of fresh salt-water fish<br />

pervades the historic market square as the merchants<br />

set up their stalls. The university began<br />

a process of modernization after the fall of Communism<br />

in 1989, and today owes its outstanding<br />

reputation primarily to top-notch research in the<br />

sciences, including molecular biology, microbiology,<br />

biomedicine, landscape ecology and plasma<br />

physics. The university continues its fruitful tradition<br />

of emphasis on medical research.<br />

The city of Greifswald, with close links to<br />

Scandinavia, is young and highly educated: its<br />

population of 54,000 includes 12,<strong>20</strong>0 students.<br />

Considering all the research institutes and<br />

foundations in Greifswald, probably half the<br />

inhabitants are involved in science in one way<br />

or another.<br />

Foto: Hans-Werner Hausmann/Uni Greifswald<br />

23


24 Europa<br />

Kein luxus<br />

Afrika und Europa – eine Partnerschaft auf Augenhöhe<br />

Die wissenschaftliche Zusammenarbeit<br />

zwischen Europa und Afrika reicht mehr<br />

als 25 <strong>Jahre</strong> zurück und trägt viele Früchte:<br />

Bei einem Gemeinschaftsprojekt über<br />

hochansteckende Fieberkrankheiten arbeiten<br />

drei europäische und vier afrikanische<br />

Staaten Hand in Hand. Ein Beispiel,<br />

das zeigt, dass die strategische Partnerschaft<br />

zwischen den beiden Kontinenten<br />

gut funktioniert.<br />

Wissenschaftliche Forschung ist kein Luxus<br />

für Afrika, sondern unverzichtbare<br />

Voraussetzung, um tragfähige Lösungen für<br />

die vielen Herausforderungen des Kontinents<br />

zu finden“, erklärte der europäische Forschungskommissar<br />

Janez Potočnik kürzlich<br />

bei seinem ersten offiziellen Besuch der Afrikanischen<br />

Union (AU) und Kenias. Die wissenschaftliche<br />

Zusammenarbeit zwischen Afrika<br />

und der Europäischen Union (EU) reicht mehr<br />

als 25 <strong>Jahre</strong> zurück und hat sich stetig weiterentwickelt:<br />

Schließlich brachten die EU und<br />

die AU <strong>20</strong>07 in Lissabon die strategische Partnerschaft<br />

für Wissenschaft und Technik auf<br />

den Weg. „Es handelt sich dabei um eine echte<br />

Partnerschaft zwischen ebenbürtigen Partnern,<br />

in denen die EU weniger für Afrika, als<br />

vielmehr mit Afrika tätig ist“, sagt Potočnik.<br />

Sieben Länder in einem Boot<br />

Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert,<br />

zeigt ein europäisch-afrikanisches Gemeinschaftsprojekt<br />

über Fieberkrankheiten. Beteiligt<br />

sind mit dem Senegal, Burkina Faso,<br />

Mali und Guinea vier afrikanische Staaten<br />

sowie drei europäische Staaten (Deutschland,<br />

Schweden und Frankreich). Meist verursachen<br />

Viren die hochansteckenden Krankheiten, zu<br />

denen unter anderen das Krim-Kongo-Fieber,<br />

das Rifttal-Fieber oder auch die Ebola-Krankheit<br />

gehören, an der jedes Jahr einige Hundert<br />

Menschen in Afrika sterben. Wer an Ebola erkrankt,<br />

muss binnen weniger Stunden behandelt<br />

werden, um zu überleben. Kein einfaches<br />

Unterfangen in den Weiten des afrikanischen<br />

Kontinents, zumal oft gar nicht klar ist, woran<br />

der Betroffene erkrankt ist: Die Symptome der<br />

verschiedenen Fieberinfektionen sind sich zu<br />

ähnlich. „Aus Unkenntnis und wegen fehlender<br />

technischer Möglichkeiten verstreichen<br />

Angst vor Ansteckung:<br />

viele Viruskrankheiten verlaufen tödlich<br />

heute oft noch Wochen, ehe nach Ausbruch<br />

dieser Krankheiten reagiert werden kann“,<br />

sagt Projektleiter Dr. Manfred Weidmann aus<br />

der Abteilung Virologie am Bereich Humanmedizin<br />

der Universität Göttingen. Um das<br />

jeweilige Virus zu diagnostizieren, waren bisher<br />

aufwändige Tests notwendig, die nur wenige<br />

Labore leisten können. Ein Zustand, den<br />

Weidmann und seine Kollegen ändern wollen.<br />

Sie haben zwei Methoden entwickelt, um die<br />

Zeitspanne zwischen Ausbruch und Behandlung<br />

der Krankheiten drastisch zu senken:<br />

Ein mobiles Testverfahren sowie Teststreifen<br />

ermöglichen eine Schnelldiagnostik. 853 000<br />

Euro stellte die EU <strong>20</strong>06 für das Forschungsvorhaben<br />

zur Verfügung.<br />

Früherkennung nun möglich<br />

Nur ein Tropfen Blut ist notwendig, um mit<br />

einem Teststreifen das jeweilige Virus frühzeitig<br />

nachzuweisen. Das Krankenhauspersonal<br />

informiert sofort ein Netzwerk aus Behandlungszentren,<br />

Regierungsstellen des jeweiligen<br />

Landes und die World Health Organization<br />

(WHO). Ein mobiles Einsatzteam reist<br />

daraufhin mit einem speziellen Gerät, dem<br />

sogenannten „Smart Cycler“, in die betroffene<br />

Region, um die Diagnose zu bestätigen und die<br />

Eindämmung der Krankheit zu koordinieren.<br />

Virustyp schnell bestimmen: Manfred Weidmann,<br />

Uni Göttingen, präsentiert mobiles Testgerät<br />

Dieses Testgerät kann mit einer Autobatterie<br />

betrieben werden und binnen ein bis zwei<br />

Stunden den genauen Virus-Typ feststellen.<br />

Nach der Überprüfung der Teststreifen startet<br />

ein Feldversuch in 24 Krankenhäusern.<br />

Und auch der Smart-Cycler wird im Frühjahr<br />

<strong>20</strong>10 in der Praxis geprüft. „Die Zusammenarbeit<br />

zwischen den europäischen und den<br />

afrikanischen Forschern funktioniert hervorragend<br />

– und zwar auf Augenhöhe“, berichtet<br />

Weidmann. Teile der Entwicklungsarbeiten<br />

fanden in Dakar (Senegal) und Ouagadougou<br />

(Burkina Faso) statt, das Krankenpersonal<br />

lernt in einem Schulungszentrum in Bamako<br />

(Mali), den Teststreifen anzuwenden. Angedacht<br />

ist – ganz im Sinne von Potočnik – dass<br />

die Teststreifen günstig in Afrika hergestellt<br />

werden und somit auch anderen Ländern zur<br />

Verfügung stehen.<br />

An der Partnerschaft zwischen Afrika und<br />

Europa sind 53 AU-Mitgliedstaaten und die<br />

27 EU-Staaten beteiligt. Bereits 370 gemeinsame<br />

Projekte wurden im Zuge des siebten<br />

Forschungsrahmenprogramms (<strong>20</strong>07–<strong>20</strong>13)<br />

in einer Höhe von 53 Millionen Euro gefördert.<br />

Katja Lüers<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: picture-alliance/dpa Foto: ukg/sr


Foto: David Ausserhofer<br />

nachrichten<br />

TEMPUS<br />

Reformen anstoßen<br />

„Deutsche Hochschulen sind Spitzenreiter bei<br />

der Beteiligung an TEMPUS-Projekten“, sagt<br />

Nina Salden von der Nationalen Kontaktstelle<br />

für das TEMPUS-Programm im <strong>DAAD</strong>. Modernisierung<br />

durch Kooperation ist das Ziel des<br />

„Trans-European Mobility Programme for University<br />

Studies“ (TEMPUS), das 1990 startete.<br />

Zunächst standen Reformprozesse in mittel-<br />

und osteuropäischen Ländern in Richtung<br />

Demokratisierung und Marktwirtschaft im<br />

Fokus. Inzwischen hat sich das Länderspektrum<br />

erweitert: Zentralasien, die südlichen<br />

Mittelmeer- und die westlichen Balkanstaaten<br />

sind dazugekommen.<br />

So auch Bosnien und Herzegowina. „Universitäten<br />

und Industrie sind dort immer<br />

noch parallele Welten, seitdem der Krieg die<br />

Strukturen zerrissen hat“, sagt Stefan Wagner<br />

vom Institut für Umformtechnik an der<br />

Universität Stuttgart. Das will der Ingenieur<br />

ändern. Seine Universität entwickelte mit der<br />

Partnerinstitution in Banja Luka, Hauptstadt<br />

der Teilrepublik Srpska, ein Projekt, das die<br />

Zusammenarbeit von Hochschulen und Industrie<br />

im Maschinenwesen in ganz Bosnien und<br />

Herzegowina strukturell fördert. „Wir stellen<br />

Kontakte her und holen Industrievertreter<br />

zum Beispiel mit kostenlosen Schulungen an<br />

die Universitäten“, sagt Wagner. In das von der<br />

EU für drei <strong>Jahre</strong> bewilligte Projekt sind acht<br />

Universitäten, zahlreiche Partnerorganisationen<br />

und mittelständische Betriebe sowie nationale<br />

Behörden und Ministerien eingebunden.<br />

Voraussetzung für die Bewilligung ist, dass<br />

die Projekte in den Drittländern die Hochschulstrukturen<br />

nachhaltig modernisieren<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Verantwortlich für<br />

TEMPUS in Brüssel:<br />

Klaus Haupt<br />

(zweiter von rechts)<br />

und reformieren und dabei die Unterstützung<br />

der nationalen Behörden haben. „Wir fragen<br />

die Ministerien, welche Prioritäten sie im Rahmen<br />

des TEMPUS-Programms setzen wollen,<br />

damit diese in die nationale Reformagenda<br />

passen“, betont Klaus Haupt, in Brüssel für<br />

die Umsetzung der TEMPUS-Projekte verantwortlich.<br />

bcm<br />

http://eu.daad.de/eu/tempus/05236.html<br />

Forscherinnen<br />

Talente verschwendet<br />

Alle drei <strong>Jahre</strong> veröffentlicht die Europäische<br />

Union einen Bericht über den Frauenanteil in<br />

Forschung und Lehre („She Figures“). Dieser<br />

Anteil betrug – so die neuesten Zahlen – im<br />

Jahr <strong>20</strong>06 rund 30 Prozent (Deutschland: 21<br />

Prozent). Die EU-Kommission sieht darin eine<br />

„Verschwendung von Talenten und Potenzialen,<br />

die sich Europa nicht leisten kann.“ Zwar<br />

sind Frauen bei den Hochschulabsolventen<br />

in der Überzahl (59 Prozent), aber sie besetzen<br />

nur 18 Prozent der Professorenstellen in<br />

Europa (in den Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />

sogar nur elf Prozent). Immerhin gibt<br />

es mehr Frauen in der Forschung als bisher:<br />

Zwischen <strong>20</strong>02 und <strong>20</strong>06 stieg ihr Anteil um<br />

6,3 Prozent gegenüber dem der Männer um<br />

3,7 Prozent. Am geringsten ist der Forscherinnenanteil<br />

in der Industrie (19 Prozent), während<br />

er im Hochschulbereich und öffentlichen<br />

Dienst 37 beziehungsweise 39 Prozent beträgt.<br />

Der scheidende Forschungskommissar<br />

Janez Potočnik sieht „keine Patentlösung“ zur<br />

Behebung dieses Ungleichgewichts. Er fordert<br />

dazu auf, sich mit „allen strukturellen Hürden<br />

auf der gesamten akademischen Laufbahn von<br />

Frauen“ zu befassen. KS<br />

Europa<br />

Industrieforschung<br />

Europa legt zu<br />

Europäische Unternehmen sind bei den Ausgaben<br />

für Forschung und Entwicklung (FuE)<br />

im internationalen Vergleich gut aufgestellt.<br />

Das geht aus dem aktuellen Vier-<strong>Jahre</strong>sbericht<br />

der EU („scoreboard“) über die weltweiten<br />

FuE-Ausgaben in der Industrie hervor. EU-Firmen<br />

haben für FuE <strong>20</strong>08 demnach 8,1 Prozent<br />

mehr ausgegeben als im Vorjahr. Im Vergleich:<br />

US-Unternehmen investierten 5,7 und japanische<br />

Unternehmen 4,4 Prozent mehr in die<br />

Forschung. Weltweit verlangsamt sich der Zuwachs.<br />

So stiegen die FuE-Investitionen <strong>20</strong>08<br />

um 6,9 Prozent gegenüber neun Prozent <strong>20</strong>07<br />

und zehn Prozent <strong>20</strong>06.<br />

Zu den zehn größten Forschungsinvestoren<br />

zählen zwei Unternehmen aus der EU: der Automobilhersteller<br />

Volkswagen und der Handyproduzent<br />

Nokia. Aus den USA kommen fünf<br />

unter die „Top Ten“, darunter das Softwareunternehmen<br />

Microsoft, der Automobilkonzern<br />

General Motors und die Pharmafirma<br />

Pfizer. Das einzige japanische Unternehmen,<br />

der Autobauer Toyota, nimmt die Spitzenposition<br />

ein.<br />

Höher ist der EU-Anteil auf der „Top 50“-Liste:<br />

Hier sind 15 EU-Unternehmen dabei. Beim<br />

amerikanisch-europäischen Vergleich konstatiert<br />

der EU-Bericht diesen Trend: US-Unternehmen<br />

konzentrieren ihre FuE-Ausgaben auf<br />

solche Branchen, die von vornherein eine hohe<br />

FuE-Intensität aufweisen, also Pharma-, Bio-<br />

und Informationstechnologie. Bei EU-Unternehmen<br />

hingegen entfällt nur ein Drittel der<br />

Investitionen auf diese Branchen, das heißt,<br />

FuE-Investitionen werden in Europa breiter<br />

gestreut. Davon profitiert nicht zuletzt die Erschließung<br />

erneuerbarer Energiequellen, ein<br />

Bereich, in dem EU-Unternehmen besonders<br />

stark investieren. KS<br />

Europäische Unternehmen: VW steht an<br />

Platz drei bei Forschungsausgaben<br />

Foto: VW<br />

25


26 TrEndS<br />

helfer aus leidenschaft<br />

Ehrenamtliches Engagement wird in Deutschland immer beliebter<br />

Knapp 30 Millionen Menschen in Deutschland<br />

engagieren sich in ihrer Freizeit für<br />

einen guten Zweck – Tendenz steigend.<br />

Sie helfen unentgeltlich in Sportvereinen,<br />

Suppenküchen und Schulen, bei der freiwilligen<br />

Feuerwehr oder der Altenpflege.<br />

Viele Bereiche würden ohne die Ehrenamtlichen<br />

nicht funktionieren.<br />

Karl-Walter Göbler kümmert sich seit mehr<br />

als 45 <strong>Jahre</strong>n um die kleinen und großen<br />

Belange im Turn- und Sportverein Eudenbach<br />

in Nordrhein-Westfalen. Zunächst als Kassenwart<br />

und seit 1974 als 1. Vorsitzender hat er<br />

maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der<br />

Verein erheblich gewandelt hat: So bietet das<br />

Sportprogramm nicht mehr nur Turnen und<br />

Fußball, sondern eine breite Palette von Tennis<br />

über Tanzsport und Aerobic bis hin zu<br />

Schülersport und Eltern-Kind-Turnen. Entsprechend<br />

stieg die Mitgliederzahl von 260<br />

auf 800. Besonders stolz ist er auf den Tennisplatz<br />

und das Sportjugendheim, die der Verein<br />

in Eigenregie geplant und gebaut hat.<br />

Als Bauherr auftreten, Übungs- und Abteilungsleiter<br />

gewinnen, Finanzen regeln, Hausmeisterarbeiten<br />

erledigen – es gibt wohl kaum<br />

einen Tag, an dem er nicht für den Verein aktiv<br />

war. Die Zeit hat der 69-jährige ehemalige<br />

Bankangestellte aber gern geopfert. „Irgendwie<br />

hat sich das so ergeben“, sagt er. Geld<br />

bekommt Karl-Walter Göbler für seine Arbeit<br />

ebenso wenig wie die anderen 15 Ehrenamtlichen<br />

des Vereins. „Unsereins lebt für den Erfolg,<br />

nicht für den Erlös“, erzählt er mit einem<br />

Schmunzeln. Für sein vorbildliches Engagement<br />

verlieh ihm der Deutsche Fußballbund<br />

<strong>20</strong>03 den Ehrenamtspreis des Verbandes.<br />

Sport steht an erster Stelle<br />

Oft bleibt die Anerkennung allerdings aus.<br />

„Das Ehrenamt ist eine in der Öffentlichkeit<br />

oft unterschätzte Größe“, stellt der Soziologe<br />

und Verwaltungswissenschaftler Holger Backhaus-Maul<br />

fest. Der Versicherungskonzern<br />

AMB Generali hat in seinem „Engagementatlas<br />

<strong>20</strong>09“ ermittelt, dass die Deutschen rund<br />

4,6 Milliarden Stunden im Jahr ehrenamtliche<br />

Arbeit leisten. Das entspricht einem Gegenwert<br />

von rund 35 Milliarden Euro. „Zudem<br />

haben Untersuchungen ergeben, dass höheres<br />

Bürgerengagement den wirtschaftlichen Erfolg<br />

einer Region verbessern kann“, ergänzt<br />

der Wissenschaftler von der Martin-Luther-<br />

Universität Halle-Wittenberg.<br />

Die Bereitschaft, sich neben Arbeit und Privatleben<br />

für das Gemeinwohl einzusetzen,<br />

steigt. Laut Freiwilligensurvey der deutschen<br />

Bundesregierung ist der Anteil zwischen 1999<br />

und <strong>20</strong>04 von 34 auf 36 Prozent angewachsen.<br />

Die meisten Menschen sind wie Karl-Walter<br />

Göbler in Sport und Freizeit aktiv, unter anderem<br />

als Trainer einer Jugendmannschaft oder<br />

bei einem Karnevalsverein. Dahinter folgen<br />

Schul- und Jugendarbeit, Kirche sowie Kultur<br />

und Musik. In Deutschland beschränkt sich<br />

das Engagement allerdings häufig auf ein bestimmtes<br />

Spektrum. Ein Austausch mit anderen<br />

Bereichen findet nicht statt. „In den USA<br />

ist das anders: Dort ist der engagierte Bürger<br />

eine Grundhaltung, die sich durch alle Lebensbereiche<br />

zieht“, sagt Holger Backhaus-Maul.<br />

In den südlichen Bundesländern wie Baden-<br />

Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz<br />

helfen mehr Menschen freiwillig. Ursachen<br />

seien unter anderem der höhere Wohlstand<br />

und die niedrigere Erwerbslosenquote in<br />

diesen Bundesländern. Am aktivsten sind Familien<br />

mit Kindern, bei denen beide Partner<br />

berufstätig sind. „Die Eltern sind durch Arbeit,<br />

Schule oder Kindergarten besonders eng mit<br />

der Gesellschaft verbunden und zeigen sich in<br />

allen Lebenslagen engagiert“, erläutert Holger<br />

Mit Spaß dabei: Die meisten Ehrenamtlichen sind im Sport aktiv<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Backhaus-Maul. Außerdem gilt: Je höher die<br />

Bildung und das Einkommen, desto größer ist<br />

die Bereitschaft und auch die Fähigkeit, sich<br />

einzubringen.<br />

Gutes für andere und sich selbst<br />

In den letzten <strong>Jahre</strong>n hat sich das Ehrenamt<br />

jedoch verändert. Früher ging es vor allem<br />

darum, etwas Gutes zu tun. „Das gilt heute<br />

immer noch, gleichberechtigt tritt aber der<br />

Wunsch hinzu, auch selbst Nutzen aus dem<br />

Engagement zu ziehen“, erklärt der Soziologe.<br />

Das können Spaß und Lebensfreude sein,<br />

aber auch neue Impulse, Ideen und Kompetenzen,<br />

die einen persönlich weiterbringen.<br />

Als Motive werden heute am häufigsten der<br />

Wunsch nach gesellschaftlicher Mitgestaltung<br />

und das Zusammenkommen mit anderen genannt.<br />

In den Vordergrund rückt inzwischen<br />

die Mitarbeit an zeitlich befristeten Projekten<br />

mit klarer Ausrichtung und messbaren Zielen.<br />

Das gilt insbesondere für die Jüngeren. Immer<br />

stärker engagieren sich auch Unternehmen,<br />

insbesondere im Bildungsbereich oder mittels<br />

Stiftungen.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Fotos: iStockphoto<br />

Am stärksten gewachsen ist laut Freiwilligensurvey<br />

die Hilfe auf sozialem Gebiet. Kathrin<br />

Lange ist seit vier <strong>Jahre</strong>n ehrenamtliche<br />

Helferin im Hospiz des Waldkrankenhauses<br />

in Bonn. Die Einrichtung begleitet unheilbar<br />

kranke Menschen in ihrer letzten Lebensphase<br />

bis zum Tod. „Jeder Gast hat die Möglichkeit,<br />

sich von den freiwilligen Helfern besuchen zu<br />

lassen“, berichtet sie. Dabei wird darauf geachtet,<br />

dass Helfer und Kranke zueinander<br />

passen. Ein Patentrezept für die Besuche gibt<br />

es nicht. „Man muss auf den Gast eingehen<br />

und erkennen, was er benötigt“, erklärt die<br />

43-Jährige. Manchmal geht es darum, einfach<br />

nur da zu sein. Andere benötigen einen Ansprechpartner,<br />

um über alles Mögliche reden<br />

zu können. Sie geht mit den Kranken auch mal<br />

spazieren, liest ihnen vor und singt mit ihnen.<br />

Die Betreuung kann von wenigen Tagen bis<br />

mehrere Monate dauern. „Es gibt immer wieder<br />

Situationen, in denen ich an meine psychische<br />

Grenze komme. Nach Ende einer Betreuung<br />

nehme ich des Öfteren eine Auszeit.<br />

Das hilft mir, Distanz zu halten“, erzählt sie.<br />

Bei regelmäßigen Treffen der ehrenamtlichen<br />

Großer Bedarf:<br />

Hilfe für Ältere und Pflegebedürftige<br />

TrEndS<br />

Sterbehelfer und des Hospizpersonals können<br />

sich die Helfer in Gesprächen selbst entlasten.<br />

Für Kathrin Lange ist die Begleitung Sterbender<br />

ein „wundervolles“ Ehrenamt: „Ich lerne<br />

Menschen kennen, die ich im Alltag nie getroffen<br />

hätte. Diese an sich fremden Menschen<br />

schenken mir Vertrauen in einer Lebensphase,<br />

in der es eher um Abschied als um Bindung<br />

geht. Das berührt mich“, beschreibt sie. Ihren<br />

Beruf als Beamtin musste sie wegen einer<br />

chronischen Krankheit aufgeben. „Die Arbeit<br />

im Hospiz hat mir eine Aufgabe gegeben. Sie<br />

vermittelt mir ein gutes Gefühl – und andere<br />

fühlen sich ebenfalls gut.“<br />

Holger Backhaus-Maul sieht gute Chancen,<br />

das ehrenamtliche Engagement in Deutschland<br />

weiter auszubauen. „Neben dem Drittel<br />

der Bevölkerung, das bereits Aufgaben übernommen<br />

hat, kann sich ein weiteres Drittel<br />

vorstellen, sich künftig zu engagieren. Hier<br />

schlummert erhebliches Potenzial“, betont der<br />

Forscher. Man könne etwa wie in den USA an<br />

Schulen und Hochschulen Fähigkeiten von Eltern<br />

beziehungsweise Studienbewerbern abfragen.<br />

Wenn jemand gut kochen kann, könnte<br />

er das anderen und sogar dem Mensapersonal<br />

beibringen. Oder ein Rechtsanwalt hilft bei<br />

juristischen Fragen. Gerade bei ausländischen<br />

Studierenden, die nach Deutschland kommen,<br />

sei das eine hervorragende Möglichkeit, sie<br />

einzubinden und im Gemeinwesen der neuen<br />

Umgebung zu vernetzen. „Und es wäre<br />

eine Wertschätzung der Person, die zu uns<br />

kommt“, hebt Holger Backhaus-Maul hervor.<br />

Christian Hohlfeld<br />

abSTracT<br />

Commitment to Service<br />

One third of Germany’s population of about<br />

82 million volunteer part of their free time for<br />

good causes — and the number is growing.<br />

Unpaid volunteers help in sports clubs most<br />

of all, but also in schools, in soup kitchens,<br />

in fire brigades, and in caring for the elderly.<br />

Another third of the population would be willing<br />

to consider volunteering. Even today, there<br />

are many organizations that couldn’t function<br />

at all without volunteers. People most likely to<br />

volunteer in community service include those<br />

in southern Germany and families in which<br />

both parents are employed. Their motivation is<br />

no longer just to do others a good turn. Today’s<br />

volunteers want to benefit from their work: they<br />

expect to gain new ideas, skills, or enjoyment.<br />

27


28 rÄTSEl<br />

Seit 1835 gibt es die Eisenbahn in Deutschland.<br />

Sie gehört so sehr zum Alltag, dass sich viele Redewendungen<br />

auf die Bahn beziehen. Ist etwas sehr eilbedürftig,<br />

heißt es zum Beispiel „höchste Eisenbahn“. In diesem Rätsel geht es<br />

darum, die richtigen Begriffe aus der Welt der Eisenbahn zu finden. Die<br />

Buchstaben in den gekennzeichneten Feldern ergeben das Lösungswort.<br />

Es stammt ebenfalls aus dem Bahn-Bereich.<br />

Bei großem Unverständnis sagt man: Ich verstehe nur<br />

Soll jemand sein Verhalten ändern, drückt man das umgangssprachlich so<br />

aus: Ihm wird kräftig gemacht.<br />

Von einem großen Projekt heißt es: Das wird jetzt auf die<br />

gesetzt.<br />

Bei Foulspiel im Fußball ist eine gängige Redewendung: Der Verteidiger hat<br />

die gezogen.<br />

Ist jemand völlig außer Atem, heißt es: Er schnauft wie eine<br />

Steht der Realisierung eines Projekts nichts mehr im Wege, drückt man das<br />

oft so aus: Das steht auf grün.<br />

Wer jemandem sehr heftig widerspricht, der weist seinen Gesprächspartner<br />

in die<br />

Zeichen für eine Besserung der Lage: Endlich Licht am Ende vom<br />

Ein guter Plan lässt sich so würdigen:<br />

Die sind richtig gestellt.<br />

Schreiben Sie das Lösungswort an ▼<br />

Unter den richtigen Lösungen werden zehn Hauptgewinne und zehn Trostpreise vergeben. Bei<br />

diesem Rätsel nehmen an der Auslosung nur Einsendungen von Leserinnen und Lesern teil,<br />

deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte die vollständige<br />

Adresse des Absenders angeben!<br />

DIE GEWINNER KÖNNEN ZWISCHEN FOLGENDEN PREISEN WÄHLEN:<br />

1. Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 25. Auflage. Dudenverlag<br />

2. Der große Conrady: Das Buch deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.<br />

Hrsg. von Karl Otto Conrady. Artemis und Winkler Verlag <strong>20</strong>08<br />

3. Edgar Wolfrum: Die Mauer. Geschichte einer Teilung. C.H. Beck Verlag <strong>20</strong>09<br />

4. Kein schöner Land (1 CD Volkslieder), Knabenchor capella vocalis. Eckhard Weyand.<br />

Häussler classic<br />

Bitte geben Sie mit der Lösung auch den von Ihnen gewünschten Preis an.<br />

Wer war’s? Professor Grübler fragt<br />

Er stammt aus einer Stadt an der Mosel. In seinem<br />

Abitur-Aufsatz geht es um Kriterien für die Berufswahl.<br />

Der am besten geeignete Beruf für einen strebsamen Menschen<br />

sei jener, schreibt er, „der das größte Feld darbietet,<br />

um für die Menschheit zu wirken“. Schließlich gehe es auch<br />

darum, durch Eintreten für das Gemeinwohl „sich selbst zu<br />

veredeln.“<br />

In seinem Leben wechseln dann die beruflichen Ziele. Er promoviert<br />

in Jena. Aber eine Universitätslaufbahn bleibt ihm verschlossen.<br />

Als Alternative wählt er den Journalistenberuf. Doch<br />

so frei schreiben, wie er möchte, kann er nicht. Alle Texte, die<br />

er publiziert, müssen von einem Zensor persönlich genehmigt<br />

werden. Schließlich wird seine Zeitung verboten, und er geht<br />

ins Ausland.<br />

Es folgen viele Krisen. Er verarmt. Das wertvolle Familiensilber<br />

landet im Leihhaus. Mehrere seiner Kinder sterben im<br />

Säuglingsalter. Schmerzhafte Hautkrankheiten ruinieren<br />

seine Gesundheit.<br />

Durch Veröffentlichungen ein wenig Geld zu verdienen,<br />

ist kaum noch möglich. Über ein Manuskript, das lange<br />

ungedruckt bleibt, schreibt er, er habe es „der nagenden<br />

Kritik der Mäuse“ überlassen müssen.<br />

Er ist knapp 50 <strong>Jahre</strong> alt, als er endlich ein wissenschaftliches<br />

Buch vollendet, von dem er meint,<br />

es sei so bedeutsam wie die entwicklungsgeschichtliche<br />

Theorie von Charles Darwin. Doch<br />

das Buch wird zunächst kaum beachtet. Die<br />

weltumspannende Wirkung seines Lebenswerks<br />

tritt erst ein, als er schon längst tot<br />

ist.<br />

Professor Grübler fragt: Wer war’s?<br />

Redaktion <strong>DAAD</strong> Letter<br />

Trio MedienService<br />

Chausseestraße 103<br />

10115 Berlin, Germany<br />

Fax: +49 30/85 07 54 52<br />

E-Mail: raetsel@trio-medien.de<br />

Einsendeschluss ist der 10. März <strong>20</strong>10<br />

!<br />

Unter den richtigen Lösungen werden<br />

fünf Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg<br />

ist ausgeschlossen. Bitte wählen Sie unter<br />

den links unten genannten Preisen.<br />

Senden Sie die Lösung an ▼<br />

Die Lösung und die Gewinner<br />

der vorigen Letter-Rätsel<br />

finden Sie auf Seite 42<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


SprachWErKSTaTT<br />

Diese Hochschule ist offen für alle Nationen<br />

Substantive können für sich allein<br />

stehen oder mit einem Artikel versehen<br />

sein (der Student, ein Professor).<br />

Häufig sind sie aber auch<br />

von Artikelwörtern begleitet, und<br />

um solche geht es hier: dieser,<br />

derjenige, derselbe, sein, dessen,<br />

welcher, alle, einige, etliche, jeder,<br />

jener, keiner, mancher, mehrere.<br />

Bitte entscheiden Sie im Folgenden,<br />

welches der hier genannten<br />

Artikelwörter passt, und setzen<br />

Sie es in die richtige Form!<br />

_____ deutsche Hochschule, die sich rühmen kann, so alt zu sein wie _____ andere<br />

betriebswirtschaftliche Hochschule in Deutschland, ist zugleich die mit den meisten Auslandskontakten:<br />

Die Rede ist von der Handelshochschule Leipzig (HHL), einer privaten,<br />

staatlich anerkannten Hochschule, die _____ <strong>Jahre</strong> wieder unter den TOP drei der renommierten<br />

deutschen Business-Schools zu finden ist. Ursprünglich war die HHL 1898 als<br />

erste deutsche Handelshochschule entstanden. Nach _____ Umstrukturierungen durch<br />

den Zweiten Weltkrieg und das DDR-Regime wurde sie 1992 neu gegründet.<br />

Heute ist die HHL eine international akkreditierte Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht,<br />

_____ praxisorientierte Studienangebote sehr begehrt sind. Unter den Studierenden,<br />

die hier ihren Master of Business Administration (MBA) erwerben wollen, gibt<br />

es neben Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Medizinern auch so _____ Geisteswissenschaftler.<br />

Das Ziel _____ Studenten ist es, sich für eine _______anspruchsvollen Führungspositionen<br />

zu qualifizieren, die im globalen Kontext angeboten werden. 70 Prozent<br />

der MBA-Vollzeitstudenten und 40 Prozent ______ 372 Studierenden sind Ausländer.<br />

Nicht umsonst bezeichnet sich die HHL seit diesem Herbst als internationalste Hochschule<br />

Deutschlands. _____ Ergebnis erbrachte eine Studie zur Internationalität der<br />

deutschen Hochschulen, zu _____ Auftraggebern auch der <strong>DAAD</strong> gehörte. Unter _____<br />

62 deutschen Universitäten und privaten Hochschulen, die untersucht wurden, belegte<br />

die HHL gleich in _____ Kategorien den ersten Platz. So für _____ Marketing-Instrumente<br />

wie etwa die überwiegend englischsprachige Website (www.hhl.de) sowie für _____<br />

Betreuung ausländischer Studierender durch Tutorien und den Career Service, Beratungsangebote<br />

und Deutschkurse. Besonders herausragend: _____ partnerschaftlichen<br />

Beziehungen zu mehr als 100 ausländischen Hochschulen, darunter _____ Partneruniversitäten<br />

in den USA, Indien, Frankreich und Spanien.<br />

______ hohe Zahl an Auslandskontakten kommt auch dem interkulturellen Studentenaustausch<br />

zugute: Nie gehen mehr als maximal zwei deutsche Studierende gleichzeitig an<br />

_____ Partneruniversität; umgekehrt werden jährlich insgesamt 80 Studierende von den<br />

Partnerhochschulen an die HHL entsandt. _____ herausragende Rolle die Internationalität<br />

an dieser Hochschule spielt, zeigt sich auch daran, dass beinahe _____ angebotenen<br />

Studienprogramme von einem internationalen Dozenten-Team auf Englisch unterrichtet<br />

werden.<br />

Christine Hardt<br />

LÖSUNG: diejenige, keine, alle, einigen, deren, manchen, jedes, jener, aller, dieses, deren, allen, mehreren, ihre, ihre,<br />

ihre, etliche, diese, dieselbe, welche, alle<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: HHL<br />

aufgESpIESST<br />

Irritierende Zeitenfolge<br />

SprachEcKE<br />

„Waren Sie zufrieden gewesen?“, fragte der livrierte<br />

Kellner den Gast eines besseren Berliner<br />

Restaurants, der gerade sein Menü beendet hatte.<br />

Was soll man darauf antworten? Nimmt der<br />

Gast die Kellnerfrage wörtlich, könnte sie ihn<br />

doch erheblich irritieren und zum Nachdenken<br />

bringen. Dass die Berliner seit jeher Zielscheibe<br />

des Spotts über ihren ungewöhnlichen Gebrauch<br />

der Vorvergangenheit gewesen sind, macht die<br />

Sache nur scheinbar besser.<br />

Denn mit dem Plusquamperfekt haben viele<br />

Sprecher des Deutschen ihre Probleme. Auch<br />

wenn manche das nicht wahrhaben wollen<br />

– und vielleicht mürrisch zurückfragen: „Plusquamperfekt?<br />

Was war das nochmal gewesen?“<br />

Da kann der Absolvent eines humanistischen<br />

Gymnasiums noch so sehr auf der „consecutio<br />

temporum“ bestehen – Sätze mit falscher Zeitenfolge<br />

wie „Nachdem er ging, war ich sauer“<br />

muss er sich heute überall anhören. Wer seine<br />

Äußerung mit „nachdem“ beginnt, ist aber ans<br />

Plusquamperfekt gebunden, weil „nachdem“ zu<br />

den temporalen Bindewörtchen zählt und nicht,<br />

wie viele Zeitgenossen zu glauben scheinen, zu<br />

den kausalen wie „da“ oder „weil“.<br />

Wer also sagt: „Nachdem ich Platz genommen<br />

hatte, brachte der Ober die Speisekarte“, erzählt<br />

von einer zeitlichen Abfolge, und da kommt –<br />

völlig korrekt – die Vorvergangenheit vor der<br />

Vergangenheit, Plusquamperfekt vor Imperfekt.<br />

„Nachdem ich Platz genommen habe, bringt der<br />

Ober die Karte“ ist ein Satz mit ebenfalls richtiger<br />

Zeitenfolge: Perfekt vor Präsens.<br />

Zurück nach Berlin. Wollte der aufmerksame<br />

Kellner vielleicht wissen: „Waren Sie zufrieden<br />

gewesen, bevor Sie in unser Restaurant kamen<br />

und gegessen haben? Und sind Sie es jetzt womöglich<br />

nicht mehr?“ Wohl kaum! Er wollte<br />

wohl eher erfahren, ob das Menü gemundet hat<br />

– dann aber hätte „Waren Sie zufrieden?“ durchaus<br />

genügt.<br />

Nebenbei gesagt: Nicht nur im Deutschen ist<br />

die korrekte Zeitenfolge einzuhalten. Und eigentlich,<br />

bei einem Minimum an Aufmerksamkeit<br />

für Klarheit und Wohlklang einer Sprache,<br />

ist das auch nicht besonders schwierig.<br />

Findet jedenfalls<br />

29


30 daad<br />

deutschland „ganz normal“<br />

Die Wahl des Deutschen Bundestags aus der Sicht ausländischer Wissenschaftler<br />

Deutsche Medien bezeichneten den Wahlkampf<br />

in diesem Jahr als „langweilig“. Das<br />

Urteil internationaler Wahlbeobachter fiel<br />

anders aus. 19 Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler aus 18 Ländern, die der<br />

<strong>DAAD</strong> zu einer zehntägigen Informationsreise<br />

quer durch Deutschland eingeladen<br />

hatte, warfen einen neugierigen und kritischen<br />

Blick auf Wahlkampfthemen, die<br />

deutsche Gesellschaft und nicht zuletzt auf<br />

sich selbst.<br />

Bitte alle zügig in den Bus einsteigen!“ Es<br />

ist Samstag vor der Bundestagswahl, und<br />

der Kampf um die Stimmen in Deutschland ist<br />

in der heißen Phase. In Berlin will die bunt gemischte<br />

Gruppe ausländischer Deutschlandexperten<br />

noch möglichst viele abschließende<br />

Wahlveranstaltungen besuchen und letzte<br />

Gespräche mit Ministern, Wahlstrategen, jungen<br />

Politikern oder Wirtschaftsexperten führen.<br />

Doch von hektischer Unruhe ist nichts zu<br />

spüren. Die fröhliche Gruppe nutzt die kurze<br />

Atempause im Bus für angeregte Gespräche<br />

und Notizen – für die Artikel, Berichte und<br />

Interviews, die sie jetzt in ihre Heimatländer<br />

schickt.<br />

„Es war ein Wahlkampf ohne Kampf“, sagt der<br />

niederländische Politologe Ton Nijhuis. „Geprägt<br />

von Sachlichkeit und sehr transparent“,<br />

lobt die ägyptische Soziologin Mona Abaza.<br />

„Perfekt organisiert“, fügt der brasilianische<br />

Philosoph Marcos Severino Nobre augenzwinkernd<br />

hinzu, und „unfassbar friedlich“, betont<br />

der libanesische Pädagoge Abdel-Raouf Sinno.<br />

„Im Libanon ist es unvorstellbar, dass konkurrierende<br />

Parteien ihre Stände nebeneinander<br />

aufstellen und freundlich guten Tag sagen!“<br />

Der russische Soziologe Alexander Chepurenko<br />

sieht „keine Machtdistanz“ zwischen Volk<br />

und Politikern und darin „ein gutes Zeichen<br />

für die Mündigkeit der Zivilgesellschaft“. Die<br />

meisten schließen sich dem Urteil des polnischen<br />

Historikers Krzysztof Ruchniewicz an:<br />

Kritischer Blick: Internationale Wissenschaftler<br />

beobachten die Bundestagswahl<br />

„Mag sein, dass die Wahl für die Deutschen<br />

langweilig war, aber uns hat sie gezeigt, wie<br />

normal Deutschland jetzt funktioniert.“<br />

Kaum Kontroversen<br />

„Eigentlich hatte ich erwartet, dass Deutschland<br />

in einem Jahr voller Jubiläen – <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><br />

Wiedervereinigung und 60 <strong>Jahre</strong> Grundgesetz<br />

und Demokratie – die Geschichte ins Zentrum<br />

des Wahlkampfes stellen würde“, merkt<br />

Ruchniewicz an. In seinem Heimatland spiele<br />

Geschichte im Wahlkampf eine wichtige Rolle.<br />

Stattdessen stand bei den deutschen Parteien<br />

die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt. Das<br />

wertet der Direktor des Willy-Brandt-Zentrums<br />

für Deutschland- und Europastudien an der<br />

Universität Wroclaw als erfreulich pragmatisch:<br />

„Wenn Geschichte Nebenschauplatz ist,<br />

fördert das den neutralen Dialog über sensible<br />

Themen deutsch-polnischer Vergangenheit.“<br />

Der Verzicht auf kontroverse Wahlkampfthemen<br />

ist das, worüber die Wahlbeobachter<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Fotos (3): Rebecka Michel


im Bus am häufigsten sprechen. „Warum<br />

greifen die großen Parteien das Thema Militäreinsatz<br />

in Afghanistan nicht auf?“, fragt<br />

der Amerikaner Daniel Joseph Walther. „Ich<br />

bemerke hier eine Lücke zwischen dem, was<br />

die Menschen interessiert, und dem Interesse<br />

der Parteien.“ Der Professor für deutsche<br />

Geschichte am Wartburg College, Iowa, sieht<br />

das kritisch. Die Nigerianerin Ndidi Nnolo<br />

Edozien, <strong>DAAD</strong>-Alumna und Präsidentin der<br />

Growing Businesses Foundation, zeigt dagegen<br />

Verständnis dafür, dass Themen, die die<br />

Gesellschaft spalten, im deutschen Wahlkampf<br />

vermieden werden: „Man will den Grundkonsens<br />

nicht aufgeben. Die Erfahrung der Weimarer<br />

Republik und die Angst vor dem Zerfall<br />

der Parteien sitzt den Deutschen im Nacken.“<br />

„Eine Spaltung der deutschen Gesellschaft<br />

ist dennoch spürbar“, sagt Mona Abaza, Professorin<br />

an der schwedischen Universität<br />

Lund: „Ich habe die Menschen während der<br />

Reise überall gefragt, ob sie <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> nach dem<br />

<strong>Mauerfall</strong> noch Ostdeutsche von Westdeutschen<br />

unterscheiden könnten – und sie haben<br />

das bejaht! Darüber sollte man in Deutschland<br />

mehr sprechen.“ Der junge kanadische Doktorand<br />

Benjamin Bryce, der mit einer zweiten,<br />

international zusammengesetzten Gruppe von<br />

Doktoranden der Zentren für Deutschland-<br />

und Europastudien unterwegs ist, sieht das<br />

entspannter: „Deutschland hat so viele Identitäten<br />

– eine bayerische und eine norddeutsche<br />

und jetzt eben auch eine ostdeutsche.<br />

Gibt es denn eine gemeinsame Identität der<br />

Deutschen?“<br />

Über europäische Identität und Deutschlands<br />

Rolle in Europa, über Zukunft und<br />

Visionen hätten Krzysztof Ruchniewicz und<br />

Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Direktor des<br />

Duitsland Instituut Amsterdam, gerne mehr<br />

gehört. „Wir Holländer brauchen Deutschland<br />

in einer Vorreiterrolle, um die Idee eines föderalen<br />

Europas umzusetzen.“ Nijhuis macht<br />

sich Sorgen, weil in vielen europäischen Ländern<br />

eine rückwärtsgewandte Fokussierung<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

auf nationale Themen zu beobachten ist: „Verunsicherte<br />

Wähler und Parteien sind derzeit<br />

in Europa überall zu finden – und auch in diesem<br />

Sinne ist Deutschland wohl ganz normal.“<br />

Zu wenige Migranten<br />

Die Integration von Ausländern ist ebenfalls<br />

Diskussionsthema. Die Beobachter wundern<br />

sich darüber, dass selbst in den Jugendorganisationen<br />

der politischen Parteien kaum Menschen<br />

mit Migrationshintergrund zu finden<br />

sind. „Junge Ausländer organisieren sich weltweit<br />

in Subkulturen“, sagt Mona Abaza. „Die<br />

großen Parteien schrumpfen auch deshalb,<br />

weil Subkulturen keinen Zugang zu ihnen<br />

haben.“ Den jungen Menschen fehlten in der<br />

klassischen Parteienlandschaft ihre ureigenen<br />

Themen, ergänzt Alexander Chepurenko,<br />

Vize-Präsident der Russischen Soziologischen<br />

Gesellschaft.<br />

Als hohe Integrationsleistung der Volksparteien<br />

in Deutschland wertet Ton Nijhuis dagegen<br />

die Tatsache, dass der politisch rechte<br />

Rand in Deutschland nicht auffällt. Er stellt<br />

die Frage nach dem Zusammenhang von<br />

rechtspopulistischem Wahlverhalten und der<br />

Berichterstattung in den Medien: „Ich beobachte,<br />

dass die Medien in Deutschland sehr<br />

verantwortungsvoll sind und Rechtspopulismus<br />

und Extremismus keine Chance geben.“<br />

Der Vorwurf, populistisch zu sein, sei generell<br />

schlimm für Deutsche, ergänzt Jay Rowell, Direktor<br />

der Groupe de sociologie politique européenne<br />

in Straßburg: „Wer hier kompetent<br />

wirken will, muss sachlich sein!“<br />

„Bitte zügig alle aussteigen!“ Als der Bus<br />

bremst und die nächste Informationsveranstaltung<br />

auf dem Programm steht, treiben sich die<br />

Teilnehmer lachend gegenseitig an: „Auf, auf!<br />

Alléz! Vamos!“ - „Das Beste ist fast die Gruppe<br />

… mit Guido Westerwelle,<br />

Freie Demokratische Partei,<br />

heute Außenminister (Mitte),<br />

… und mit Renate Künast,<br />

Vorsitzende der Bundestagsfraktion<br />

Bündnis 90/<br />

Die Grünen (rechts)<br />

daad<br />

abSTracT<br />

International Observers<br />

at German Elections<br />

The German media called the <strong>20</strong>09 electoral<br />

campaigns “boring”. International observers<br />

felt otherwise: 19 academics from 18 countries,<br />

invited to Germany by the <strong>DAAD</strong> to observe the<br />

run-up to the elections, had good things to say:<br />

Germany is a “perfectly normal” democracy, the<br />

experts on Germany concluded. The electoral<br />

campaigns were objective, peaceful, transparent<br />

and well-organized. In view of the global financial<br />

crisis it was no wonder that the focus was<br />

on economic issues. The observers remarked,<br />

however, that German society is still divided<br />

into East and West. They also showed interest in<br />

the controversial issues that were largely excluded<br />

from campaign rhetoric, such as the German<br />

military mission in Afghanistan, the integration<br />

of migrants, and Germany’s role in Europe.<br />

selbst“, sagt der Amerikaner Walther beim<br />

Aussteigen. Auch die Ägypterin Abaza freut<br />

sich darüber, wie „normal international“ diese<br />

gemeinsame Reise ist: „Wir diskutieren alles<br />

intensiv, wir lachen und machen Witze über<br />

die Stereotypen, die wir voneinander haben!“<br />

Und das, fügt Ton Nijhuis hinzu, lasse ihn darüber<br />

nachdenken, „wie national geprägt das<br />

eigene Deutschlandbild sein kann“.<br />

Bettina Mittelstraß<br />

Wahlbeobachter diskutieren …<br />

Foto: David Außerhofer<br />

31


32 daad<br />

Sternstunden eines programms<br />

Umgestaltung vom Plan zum Markt<br />

Seit 1989 fördert der <strong>DAAD</strong> Studierende der Wirtschaftswissenschaften<br />

aus Ost- und Mitteleuropa in einem Sonderprogramm.<br />

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> später trafen sich rund 100 Alumni in Berlin. Ihre beeindruckenden<br />

Lebensläufe bezeugen die Erfolgsgeschichte.<br />

Alumni aus Ost- und Mitteleuropa arbeiten heute an wichtigen Schnittstellen der Wirtschaft<br />

Rückblick: Flughafen Frankfurt am Main<br />

vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. Drei junge Männer aus<br />

der sich öffnenden Sowjetunion werden von<br />

Gregor Berghorn, heute Leiter der <strong>DAAD</strong>-<br />

Außenstelle Moskau, in Empfang genommen.<br />

Toomas Haldmar, Sergey Kostyuchenko und<br />

Andrey Borodin sind unter den ersten 60 Stipendiaten,<br />

die für ein Jahr an (west)deutschen<br />

Hochschulen in den Wirtschaftswissenschaften<br />

ausgebildet werden dürfen.<br />

„Der Aufenthalt in Deutschland war ein Eckstein<br />

für meine Karriere“, sagt Toomas Haldmar.<br />

Heute ist er Professor an der Universität<br />

Tartu und einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler<br />

in Estland. Ebenso steil verliefen<br />

die Karrieren der beiden anderen Männer.<br />

Sergey Kostyuchenko ist der Chef der belarussischen<br />

Privatbank Prior in Minsk. Andrey<br />

Borodin ist Präsident der Bank von Moskau.<br />

„Das war ein historischer Moment“, betont<br />

Gregor Berghorn. Denn nach 75 <strong>Jahre</strong>n empfing<br />

er erstmals wieder Studierende aus Län-<br />

dern jenseits des bröckelnden Eisernen Vorhangs.<br />

Als einer der letzten russischen Studenten<br />

hatte der Schriftsteller Boris Pasternak<br />

die Universität Marburg vor Beginn des Ersten<br />

Weltkrieges verlassen.<br />

Das „Sonderprogramm UdSSR“ unter Federführung<br />

des <strong>DAAD</strong> festigte die Zusammenarbeit<br />

in Wissenschaft und Hochschulen, die<br />

1989 Helmut Kohl und Michail Gorbatschow<br />

vereinbart hatten. Als sich 1991 die Sowjetunion<br />

auflöste, wurde das Programm mit Unterstützung<br />

des Auswärtigen Amtes fortgeführt.<br />

1994 erhielt es einen festen Platz in dem seit<br />

1949 bestehenden ERP-Förderportfolio des<br />

Bundeswirtschaftsministeriums.<br />

Ziel des Sonderprogramms war zunächst,<br />

den dramatischen Umgestaltungs- und Modernisierungsprozess<br />

„vom Plan zum Markt“<br />

zu begleiten und Studierende möglichst rasch<br />

in der neuen Volkswirtschaft auszubilden. Die<br />

langfristige Idee war, dass sie in Führungs-<br />

oder Schlüsselpositionen die Wirtschaft ihrer<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

Länder unter den neuen Bedingungen mitgestalten<br />

und in den globalen Markt lenken<br />

würden.<br />

Mittler der Mentalitäten<br />

Das Konzept ging auf. „Heute sind viele der<br />

mehr als 1500 ehemaligen <strong>DAAD</strong>-ERP-Stipendiaten<br />

in großen Städten Osteuropas für die<br />

mittelständische Industrie ein Wirtschafts-<br />

und Standortfaktor geworden“, sagt Gregor<br />

Berghorn. Denn sie besetzen Schnittstellen<br />

und vermitteln nicht nur zwischen Wirtschaftssystemen,<br />

sondern auch zwischen Kulturen<br />

oder Mentalitäten. „An der russischen<br />

UniCredit Bank in Moskau übersetzte ich den<br />

internationalen Kunden das russische System<br />

und erklärte den Russen, was diese Kunden<br />

überhaupt wollten“, erzählt Dmitriy Antropov,<br />

<strong>20</strong>02 <strong>DAAD</strong>-Stipendiat an der Universität<br />

Marburg. Inzwischen arbeitet er für die international<br />

agierende Vermögensverwaltungsgesellschaft<br />

Partners Group in der Schweiz.<br />

„Das Stipendium war für mich ein Tor zur<br />

Welt“, sagt die Rumänin Irina Drilea-Gasca,<br />

<strong>20</strong>02 Stipendiatin in Trier. Sie arbeitet heute<br />

für eine der größten global agierenden Management-<br />

und Technologieberatungsfirmen,<br />

die deutsche BearingPoint GmbH. Wie viele<br />

andere Almuni, die heute in internationalen<br />

Firmen als Wirtschaftsprüfer oder Finanzberater<br />

arbeiten, versteht sie sich auch als Botschafterin<br />

ihres Landes und leistet wertvolle<br />

Vermittlungs- und Verständigungsarbeit in<br />

einer globalen Marktwirtschaft.<br />

Das <strong>DAAD</strong>-ERP-Programm hat sich den neuen<br />

Studienordnungen angepasst und bietet<br />

seit <strong>20</strong>08 einen zweijährigen Masterstudiengang<br />

an. Angesichts zukünftiger Aufgaben,<br />

wie etwa die wirtschaftlichen Herausforderungen<br />

des Klimawandels, geht es noch stärker<br />

darum, kompetente Führungskräfte für ein<br />

globales Umfeld auszubilden.<br />

Bettina Mittelstraß<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


nachrichten<br />

Entwicklungsforschung<br />

Zehn <strong>Jahre</strong><br />

Doktorandenausbildung<br />

An der Bonn Interdisciplinary<br />

Graduate School for Development<br />

Research des Zentrums für Entwicklungsforschung<br />

(ZEF) setzen<br />

sich ausländische Doktoranden<br />

mit Entwicklungsthemen aus<br />

ihrer Heimat auseinander. Seit<br />

1999 haben 433 Akademiker aus<br />

77 Ländern das Doktorandenprogramm<br />

durchlaufen, darunter<br />

zahlreiche mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium.<br />

Einer ist der Biologe René Capote-Fuentes<br />

aus Kuba. Er erforschte<br />

von <strong>20</strong>03 bis <strong>20</strong>07 als Doktorand<br />

die Belastbarkeit von Mangrovenwäldern<br />

in seiner Heimat.<br />

„Wir wissen weltweit genug darüber,<br />

wie wir dieses Ökosystem<br />

wieder aufbauen können“, sagt<br />

der <strong>DAAD</strong>-Alumnus. „Der Fokus<br />

liegt aber derzeit zu sehr auf der<br />

Forschung und zu wenig auf der<br />

Umsetzung der bestehenden Lösungsansätze.“<br />

Seine Erkenntnisse<br />

gibt er heute unter anderem als<br />

Dozent für Umweltmanagement<br />

an der Hochschule für Technologie<br />

und Angewandte Wissenschaften<br />

in Havanna weiter. Zudem arbeitet<br />

der Forscher am kubanischen National<br />

Center for Biodiversity.<br />

Die Ökonomin Joy Kiiru beschäftigte<br />

sich in ihrer Promotion mit<br />

dem Wirtschaftssystem ihrer Hei-<br />

Ausbildung am Zentrum für Entwicklungsforschung<br />

Foto: Margret Jend / ZEF Vielseitig und nachhaltig:<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

mat Kenia und erforschte den Einfluss<br />

von Kleinstkrediten auf den<br />

Lebenserwerb der armen Landbevölkerung.<br />

Diese Vielseitigkeit<br />

spiegelt sich in der Doktorandenausbildung<br />

am ZEF wider. Die<br />

Teilnehmer lernen Grundlagen<br />

der Mathematik, Statistik oder<br />

Fernerkundung, um gemeinsam<br />

auf einen einheitlichen Wissensstand<br />

zu kommen. Auch ein<br />

Deutschkurs ist Pflicht. Sie betreiben<br />

Feldforschung in Deutschland<br />

oder im Ausland und tauschen<br />

sich miteinander aus, um neue<br />

Anregungen zu bekommen. „Ich<br />

habe erfahren, wie andere Länder<br />

mit ähnlichen Problemen umgehen“,<br />

sagt Joy Kiiru, heute Dozentin<br />

für Wirtschaftswissenschaften<br />

an der Universität von Nairobi.<br />

„Mein Aufenthalt in Bonn ist eine<br />

Investition, von der nicht nur ich,<br />

sondern auch mein Land profitiert.“<br />

wygas<br />

Wissenschaftsdialog<br />

Wachsendes Vertrauen<br />

„Wachstum, Bildung, Zusammenhalt<br />

– diese Maximen gelten für<br />

unsere Zusammenarbeit mit Krisenstaaten“,<br />

sagte <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />

Christian Bode Mitte November<br />

auf der <strong>Jahre</strong>stagung der<br />

Auslandsamtsleiter der deutschen<br />

Hochschulen in Bonn. Gemeinsame<br />

Hochschulprojekte könnten<br />

einer Zuspitzung von Krisen vor-<br />

Hochschulen instandsetzen: Seit <strong>20</strong>02 unterstützt der <strong>DAAD</strong><br />

den akademischen Neuaufbau in Afghanistan<br />

beugen sowie den Wiederaufbau<br />

unterstützen, so die Erfahrung<br />

der Tagungsteilnehmer. Ein Beispiel<br />

nannte Wirtschaftsprofessor<br />

Wilhelm Löwenstein von der<br />

Universität Bochum: Sein Institut<br />

entwickelte mit elf Hochschulen<br />

in Afghanistan einen international<br />

anerkannten Bachelor-Studiengang,<br />

unterstützt vom <strong>DAAD</strong>.<br />

„Das ist das erste Mal, dass es einen<br />

einheitlichen Lehrplan in einem<br />

Studienfach für Afghanistan<br />

gibt“, sagt Wilhelm Löwenstein.<br />

Das stärkt den Zusammenhalt<br />

der Hochschulen, und die für den<br />

Wiederaufbau dringend benötigten<br />

Ökonomen werden dort ausgebildet.<br />

Häufig kann eine fachliche Zusammenarbeit<br />

eine Vertrauensbasis<br />

für andere, eher politische<br />

Themen bereiten. Vor allem aber<br />

kommt es darauf an, gemeinsame<br />

Vorhaben „auf gleicher Augenhöhe“<br />

durchzuführen, unterstrich<br />

Thomas Götz, Beauftragter für<br />

Außenwissenschaftspolitik im<br />

Auswärtigen Amt. Das bedeutet<br />

praktisch: Zusammenarbeit nur<br />

in Gebieten, in denen die Einheimischen<br />

selbst Defizite erkennen<br />

und beheben wollen. Das Bundesministerium<br />

für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit (BMZ) als<br />

wichtiger internationaler Partner<br />

konzentriert sich auf Schwerpunktthemen:<br />

In der Subsahara<br />

beispielsweise sind dies Wasserwirtschaft,<br />

Finanzwesen und gute<br />

daad 33<br />

Regierungsführung. An solche politischen<br />

Vorgaben solle die Hochschulzusammenarbeit<br />

jeweils andocken,<br />

empfiehlt Thomas Albert<br />

vom BMZ. H.H.<br />

Kolumbien/Deutschland<br />

Exzellenz für Meere<br />

und Umwelt<br />

An der kolumbianischen Karibikküste<br />

entsteht ein neues Exzellenzzentrum<br />

für Meereswissenschaften.<br />

Es wird von der Universität<br />

Gießen und der Universidad<br />

Nacional de Colombia zusammen<br />

mit dem nationalen kolumbianischen<br />

Meeresforschungszentrum<br />

INVEMAR (Instituto de Investigaciones<br />

Marinas) und weiteren Partnern<br />

in Santa Marta aufgebaut. Im<br />

November unterzeichneten <strong>DAAD</strong>-<br />

Präsident Stefan Hormuth und die<br />

kolumbianischen Partner in Bonn<br />

den Kooperationsvertrag.<br />

Das Exzellenzzentrum „Coastal<br />

Colombian Resources and Environmental<br />

Changes“ soll eine<br />

funktionsfähige Infrastruktur<br />

für die meereswissenschaftliche<br />

Forschung und ein angesehenes<br />

deutsch-kolumbianisches Doktorandenprogramm<br />

bieten. Das geplante<br />

Zentrum ist eines von insgesamt<br />

vier für Forschung und<br />

Lehre im Ausland, deren Aufbau<br />

der <strong>DAAD</strong> mit Mitteln des Auswärtigen<br />

Amtes im Rahmen der<br />

Außenwissenschaftsinitiative fördert.<br />

JW<br />

Foto: Alexander Kupfer


34 daad<br />

Stipendiaten forschen<br />

Klimaforschung<br />

Hochwasser vorhersagen<br />

Verzweifelte Menschen auf ihren Hausdächern,<br />

die Semperoper in einem reißenden<br />

braunen Strom – die Erinnerungen an die<br />

„Jahrhundertflut“ der Elbe <strong>20</strong>02 sind verblasst,<br />

aber nicht verschwunden. Dank Monica<br />

Ionita könnte eine Hochwasserkatastrophe<br />

solchen Ausmaßes Geschichte bleiben: Die<br />

rumänische Physikerin hat in ihrer Promotion<br />

am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und<br />

Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven gezeigt,<br />

dass ein Elbehochwasser eine Saison im<br />

Voraus vorhergesagt werden kann. „Und das<br />

funktioniert mit einfachen statistischen Methoden“,<br />

sagt die 30-jährige <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin.<br />

Der Großteil ihrer Arbeit bestand darin,<br />

Niederschlags- und Temperaturdaten über<br />

Land und über dem Meer auszuwerten und<br />

nach Korrelationen mit Extrempunkten im<br />

Wasserpegel der Elbe zu suchen.<br />

Bei der Auswertung der Statistiken des Deutschen<br />

Meteorolgischen Instituts über die letzten<br />

hundert <strong>Jahre</strong> berücksichtigte sie globale<br />

klimatische Zusammenhänge: „Ein kalter,<br />

schneereicher Winter in Skandinavien begünstigt<br />

zum Beispiel ein Elbehochwasser im<br />

Frühling“, erklärt Monica Ionita, die seit dem<br />

Abschluss ihrer Dissertation im Juni <strong>20</strong>09 als<br />

Postdoc am Alfred-Wegener-Institut arbeitet.<br />

Sie ist sich sicher: „Meine Methode ist zu 60<br />

bis 80 Prozent zuverlässig, nur handeln müssen<br />

dann andere.“ Monica Ionita hatte während ihres<br />

Physikstudiums an der Universität Bukarest<br />

ihren Schwerpunkt auf Atmosphärische<br />

Physik gelegt und anschließend zwei <strong>Jahre</strong> im<br />

rumänischen Wetteramt gearbeitet. Zweimal<br />

wurde sie mit dem „Young Scientist Award“<br />

der Europäischen Meteorologischen Gesellschaft<br />

ausgezeichnet, bevor sie auf Empfehlung<br />

ihres Professors <strong>20</strong>06 in die Abteilung<br />

Klimaforschung am AWI kam.<br />

Zoologie<br />

Bienenschlau<br />

Die Biene ist ein Denkkünstler unter den Insekten:<br />

Sie bestimmt Tageszeiten bis auf 15<br />

Minuten genau, prägt sich die Farben und<br />

Symmetrien von Blüten ein und kann ausgezeichnet<br />

navigieren. Dabei wiegt ihr Gehirn<br />

gerade einmal ein Milligramm und beinhaltet<br />

nur eine Million Nervenzellen – der Mensch<br />

besitzt rund 10 000 Mal so viele. „Aber ihre<br />

wenigen Nervenzellen sind sehr effizient<br />

miteinander verschaltet“, erklärt der Bienenexperte<br />

Mario Pahl, der in der BEEgroup an<br />

Foto: BEEgroup Universität Würzburg<br />

der Universität Würzburg arbeitet. Seit <strong>20</strong>07<br />

forscht der Doktorand im deutschen Winter<br />

an der Australian National University in Canberra.<br />

Das zahlt sich doppelt aus: „Die Biologen<br />

in Canberra haben langjährige Erfahrung<br />

in der Biorobotik und Bionik, dort wurden<br />

auch schon zahlreiche Versuche mit Bienen<br />

gemacht“, sagt der <strong>DAAD</strong>-Stipendiat. „Und<br />

außerdem kann ich in Australien weiterforschen,<br />

wenn in Deutschland die Bienen nicht<br />

fliegen.“ Mit seinen australischen Kollegen<br />

fand Mario Pahl heraus, dass Bienen sogar bis<br />

vier zählen können.<br />

Dafür ließ die Forschergruppe zwanzig markierte<br />

Bienen in ein Y-förmiges Labyrinth<br />

fliegen, an dessen Eingang den Insekten ein<br />

bestimmtes Muster mit ein bis drei Sternen<br />

gezeigt wurde. An der Verzweigung des Ganges<br />

mussten die Bienen sich entscheiden: Auf<br />

einer Seite erschien das Motiv vom Eingang,<br />

auf der anderen Seite ein Motiv mit einer<br />

abweichenden Anzahl von Sternen. Vor dem<br />

Versuch waren die Bienen durch Belohnungen<br />

darauf konditioniert worden,<br />

den Gang mit dem gleichen Motiv wie<br />

am Eingang zu wählen. Verblüffend:<br />

Die cleveren Insekten entschieden sich<br />

bei mehreren Versuchen immer wieder<br />

für den „richtigen“ Gang. „Mit unseren<br />

Versuchen haben wir gezeigt, dass<br />

Bienen sich die Kombination von ‚was,<br />

wann und wo’ merken können – eine<br />

Eigenschaft, die bisher nur Wirbeltieren<br />

zugeschrieben wurde“, sagt Mario<br />

Pahl. Wie genau die Datenübertragung<br />

im Gehirn der Biene funktioniert, ist<br />

noch ungeklärt. Umso mehr reizt den<br />

30-jährigen Zoologen die Erforschung<br />

dieser Terra incognita: „Ich weiß, was<br />

das Gehirn der Biene leisten kann.<br />

Nun möchte ich herausfinden, wie und<br />

warum.“<br />

www.BEEgroup.de<br />

Denkkünstler: Bienen können Farben<br />

und Formen unterscheiden<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: flickr.com<br />

Textildesign<br />

Am seidenen Faden<br />

Kein Märchen aus 1001 Nacht: Die Textildesignerin<br />

Annegret Lembcke lernte zwei Monate<br />

lang im syrischen Aleppo, den Stoff Ikat herzustellen<br />

– ein fast verschüttetes Kulturgut.<br />

Der Faden aus Seide oder Baumwolle wird<br />

dabei – ähnlich wie beim Batiken – vor dem<br />

Färben mit Schnüren abgebunden und bleibt<br />

so stellenweise weiß. „Für den syrischen<br />

Ikat werden sehr viele Fäden auf einmal umwickelt,<br />

wodurch später beim Weben eher<br />

geometrische Figuren als florale Motive entstehen“,<br />

erläutert Annegret Lembcke. Bevor<br />

das gefärbte Material als Kettfaden auf den<br />

Webstuhl kommt, entfernt der Ikateur die<br />

Durch Klimabeobachtung vermeiden:<br />

Überschwemmung in Dresden<br />

Schnüre und prüft jeden einzelnen Faden auf<br />

Bruchstellen und Risse. „Das ist eine enorme<br />

Geduldsarbeit“, erklärt die deutsche Textildesignerin,<br />

die alle Schritte auf dem Weg zum<br />

Endprodukt kennt und praktiziert.<br />

Eine genaue Anleitung konnte ihr niemand<br />

geben. Lediglich die Aufzeichnungen eines<br />

Ethnologen aus den siebziger <strong>Jahre</strong>n und viele<br />

Gespräche mit syrischen Textilarbeitern<br />

halfen ihr weiter. „Der letzte noch lebende<br />

Ikatfärber, ein 86-jähriger Mann, gab mir<br />

viele Tipps“, sagt die 26-Jährige. „Aber durchkämpfen<br />

musste ich mich dann selbst.“ Weil<br />

das Traditionshandwerk äußerst aufwändig<br />

ist, betreibt es heute niemand mehr – für die<br />

Massenproduktion ist es viel zu teuer. Eine<br />

Maschine kann zwar die Tätigkeit des Ikateurs<br />

nachempfinden, aber keine aufwändigen Motive<br />

produzieren. Die Muster, die früher aus<br />

dem Ikatverfahren entstanden sind, werden<br />

heute gedruckt.<br />

Foto: Annegret Lembcke<br />

Gewebtes Kulturgut:<br />

syrischer Ikatstoff<br />

„Das ist schade, denn mit dem Aussterben<br />

des Ikats geht auch ein Stück<br />

orientalischer Kultur verloren“, sagt<br />

Annegret Lembcke. Sie hat die Technik<br />

in ihrer Masterarbeit genau dokumentiert<br />

und Vorschläge gemacht,<br />

wie sie neu interpretiert und in andere<br />

Länder gebracht werden kann. „Vor<br />

allem in den Wellness-Bereich passt<br />

der Ikatstoff gut“, sagt die Absolventin<br />

der Hochschule für Kunst und Design<br />

Halle „Burg Giebichenstein“. Das woll-<br />

te sie auch im praktischen Teil ihrer<br />

Masterarbeit zeigen: Die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin<br />

entwarf einen Morgenmantel,<br />

ein Handtuch und eine Waschtasche<br />

aus Ikat.<br />

Sprache lernen: Ähnliches entdecken<br />

und Grammatik verstehen<br />

Foto: Uwe Moosburger<br />

daad<br />

Sprachwissenschaft<br />

„Falsche Freunde“<br />

Fremdsprachen sind Marieke Gillessen von<br />

Kindesbeinen an vertraut: Die Deutsche mit<br />

dem niederländischen Namen stammt aus<br />

dem Dreiländereck um die Stadt Aachen. Als<br />

Studentin in einem deutsch-französischen<br />

Doppelstudiengang der RWTH Aachen und<br />

der Universität Reims setzte sie sich auch<br />

wissenschaftlich mit dem Fremdsprachenerwerb<br />

auseinander. Für ihre Magisterarbeit untersuchte<br />

die Linguistin sogenannte „falsche<br />

Freunde“, also Wörter, die in zwei Sprachen<br />

ähnlich klingen, aber verschiedene Bedeutungen<br />

haben und so beim Übersetzen leicht auf<br />

die falsche Fährte führen können.<br />

Die „falschen Freunde“ sind nur auf den<br />

ersten Blick tückisch, wie Marieke Gillessen<br />

herausfand. „Bei vielen Wörtern muss man<br />

nur etwas um die Ecke denken, um auf die<br />

Ähnlichkeit zu stoßen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin.<br />

Franzosen zum Beispiel verwenden<br />

das Verb immatriculer nicht für das<br />

Einschreiben an einer Hochschule, sondern<br />

für die Auto-Anmeldung – die bezeichnete<br />

Handlung, nämlich das Eintragen, ist gleich.<br />

Beispiele wie diese fand Marieke Gillessen<br />

im französisch-deutschen Wortschatz in überraschend<br />

großer Anzahl. „Wer beim Spracherwerb<br />

einen zweiten Blick riskiert, kann viel<br />

mehr herleiten als gedacht“, sagt die <strong>DAAD</strong>-<br />

Alumna, die von Oktober <strong>20</strong>08 bis Februar<br />

<strong>20</strong>09 in Reims geforscht hat. Ihre Abschlussarbeit<br />

zu den „falschen Freunden“ gehört dort<br />

zum Forschungsprogramm der sogenannten<br />

Interkomprehension.<br />

Bei dieser Methode lernen Sprachschüler<br />

beim Textverstehen auf ähnliche und gleich<br />

klingende Wörter zu achten und grundlegende<br />

grammatikalische Regeln zu durchschauen<br />

– ohne die Fremdsprache konventionell<br />

zu erlernen. Diese Kompetenz kommt auch<br />

Marieke Gillessen zugute: Gerade hat sie sich<br />

um eine Stelle als Übersetzerin in Belgien beworben.<br />

Sie soll in dem dreisprachigen Land<br />

zwar nur aus dem Französischen ins Deutsche<br />

übersetzen, muss aber auch flämische Texte<br />

grob verstehen. „Da kann ich meine eigenen<br />

Forschungsergebnisse perfekt anwenden“,<br />

sagt die 26-Jährige. Julia Walter<br />

35


36<br />

daad<br />

Frankfurter Buchmesse<br />

Leben und Schreiben<br />

in zwei Kulturen<br />

„Daheim im Dazwischen“ – zu diesem<br />

Thema diskutierten zwei prominente<br />

chinesische Exil-Schriftsteller<br />

auf Einladung des <strong>DAAD</strong><br />

im Internationalen Zentrum auf<br />

der Frankfurter Buchmesse. Der<br />

1940 geborene Gao Xingjian,<br />

Literatur-Nobelpreisträger von<br />

<strong>20</strong>00, lebt seit mehr als <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />

in Paris und schreibt heute auf<br />

Französisch. Sein Gesprächspartner<br />

Yang Lian ist 15 <strong>Jahre</strong> jünger,<br />

verfasst Lyrik und Essays und lebt<br />

seit 1989 im Londoner Exil. Beide<br />

waren – kurz nachdem sie China<br />

verlassen hatten – für ein Jahr<br />

Gäste des Berliner Künstlerprogramms<br />

des <strong>DAAD</strong>.<br />

Wie finden sich die beiden Autoren<br />

„Daheim im Dazwischen“<br />

literarisch zurecht, also zwischen<br />

den Sprachen, in die sie hineingeboren<br />

und in die sie verschlagen<br />

wurden? In der Auseinandersetzung<br />

mit älterer chinesischer Literatur<br />

hatten sie dieses „Dazwischen“<br />

schon in ihrer Heimat eingeübt,<br />

berichten sie. Die westliche<br />

Moderne ergänzt diese Erfahrung<br />

und führt unwillkürlich an die<br />

dunklen, großen Themen der Literatur,<br />

die nicht an den Grenzen<br />

der Kontinente Halt machen: Erfahrungen<br />

des Exils, die Möglichkeiten<br />

und Grenzen der Sprache,<br />

Liebe, Vergänglichkeit und Tod.<br />

Der Prosaautor und Dramatiker<br />

Gao Xingjian lässt sich in keine<br />

politischen oder literarischen Raster<br />

zwängen. Der Mensch kann<br />

seine geistige Unabhängigkeit nur<br />

bewahren, wenn er sich zum Zweifel<br />

bekennt, betonte er in Frankfurt.<br />

In seinen Gedichten und<br />

Essays verknüpft Yang Lian stets<br />

das Poetische und das Politische.<br />

„Denn es ist das Gedicht, das uns<br />

eine Sprache erschließt, mit der<br />

wir lernen können, auch das Politische<br />

neu und anders zu denken“,<br />

so der Schriftsteller. Als Dissident,<br />

der nach der Niederschlagung der<br />

Demokratiebewegung 1989 China<br />

verließ, nimmt er immer wieder<br />

Stellung zur gegenwärtigen Lage<br />

in seiner Heimat.<br />

Gao Xingjian und Yang Lian<br />

sprachen über die Wahrheit in der<br />

Literatur, über die Aufrichtigkeit<br />

des Autors und kamen dann zum<br />

Kern der auf dieser Buchmesse<br />

mit dem Gastland China verhandelten<br />

Themen: Literatur kann<br />

nur unter Bedingungen der Frei-<br />

heit entstehen. Das bedeutet nach<br />

Meinung der beiden Schriftsteller<br />

in erster Linie äußere Freiheit vor<br />

staatlicher Repression. Freiheit ist<br />

aber – das betonten beide übereinstimmend<br />

– ein weiter zu fassender<br />

Begriff: Im Zentrum steht vor<br />

allem die innere Freiheit des Autors,<br />

die nicht nur durch polizeistaatliche<br />

Unterdrückung bedroht<br />

ist, sondern auch durch vorauseilenden<br />

Gehorsam, Anpassungsdruck,<br />

Opportunismus oder den<br />

Markt. Harald Loch<br />

Grimm-Preis<br />

Deutsch aus britischer Sicht<br />

Der britische Germanist Patrick<br />

Stevenson erhielt für seine Forschungsarbeiten<br />

den Jacob- und<br />

Wilhelm-Grimm-Preis <strong>20</strong>09 des<br />

<strong>DAAD</strong>. Die Auszeichnung geht<br />

an ausländische Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler für<br />

herausragende Leistungen auf<br />

dem Gebiet germanistischer Literatur-<br />

und Sprachwissenschaft.<br />

<strong>DAAD</strong>-Präsident Professor Stefan<br />

Hormuth verlieh den Preis im November<br />

im Bonner Universitätsclub.<br />

Stevenson ist Professor für Germanistik<br />

und Linguistik an der<br />

Foto: <strong>DAAD</strong><br />

<strong>DAAD</strong>-Alumni<br />

diskutieren:<br />

Literatur-Nobelpreisträger<br />

Gao<br />

Xingjian (links)<br />

und Yang Lian<br />

Foto: <strong>DAAD</strong>/Lichtenscheidt<br />

Universität Southampton. In seiner<br />

Rede während der Preisverleihung<br />

erklärte er, er wolle mit der<br />

Sprachforschung raus aus dem<br />

Labor, hinein in die Welt: „Mich<br />

interessiert, wie Menschen sich<br />

mit Sprache in Beziehung zueinander<br />

setzen und wie sie damit<br />

Macht ausüben.“ Seine bekannteste<br />

Arbeit ist die mit Stephen<br />

Barbour verfasste „Variation im<br />

Deutschen: soziolinguistische Perspektiven“<br />

von 1990. Darin unternahmen<br />

die beiden Briten den<br />

Patrick Stevenson (links) erhält<br />

den Grimm-Preis von <strong>DAAD</strong>-<br />

Präsident Stefan Hormuth<br />

Versuch, das Deutsche in all seinen<br />

Variationen zu erfassen. Das<br />

Buch ist ein Standardwerk in der<br />

deutschen Germanistik.<br />

Auch Stevensons Buch „Language<br />

and German Disunity: A Sociolinguistic<br />

History of East and West<br />

in Germany 1945-<strong>20</strong>00“ aus dem<br />

Jahr <strong>20</strong>02 fand eine breite Leserschaft.<br />

Er setzt sich darin mit der<br />

Frage auseinander, welche Rolle<br />

Sprache in den ideologischen<br />

Konflikten des Kalten Krieges<br />

und in dem schwierigen Prozess<br />

der deutschen Wiedervereinigung<br />

ab 1990 spielte.<br />

Zuletzt arbeitete der Grimm-<br />

Preisträger an dem Projekt „Die<br />

deutsche Sprache und die Zukunft<br />

Europas“ über die Ein- und<br />

Zuwanderung in Ländern, in denen<br />

Sprache einen hohen Anteil<br />

der nationalen Identität ausmacht<br />

– auch für den in der Sprachförderung<br />

sehr engagierten <strong>DAAD</strong> ein<br />

interessantes Thema. boh<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Hochschulkooperation<br />

Exportschlager aus Cottbus<br />

Wie funktioniert praxisbezogene<br />

Lehre im Bachelor-Master-System?<br />

Die Lösung lautet: Projektstudium.<br />

Das zeigten Architektur-Dozenten<br />

von der Brandenburgisch-<br />

Technischen Universität Cottbus<br />

(BTU) ihren brasilianischen Kollegen<br />

von der Associação de Ensino<br />

de Arquitetura e Urbanismo<br />

de São Paulo. Mit Projektstudien<br />

will der Cottbuser Lehrstuhl „Entwerfen,<br />

Wohn- und Sozialbauten“<br />

seine Studierenden auf die komplexe<br />

Tätigkeit des Architekten<br />

vorbereiten. In den letzten beiden<br />

<strong>Jahre</strong>n nahmen brasilianische<br />

Lehrende an Entwurfseminaren<br />

und Konferenzen in Cottbus teil.<br />

In die Gegenrichtung reisten Studierende<br />

und Lehrende der BTU<br />

im März <strong>20</strong>08 zu einem Workshop<br />

nach São Paulo. Deutsche und brasilianische<br />

Nachwuchsarchitekten<br />

entwarfen dort gemeinsam ein<br />

Wohngebiet – „ein kooperativer<br />

internationaler Dialog“ sagt BTU-<br />

Professor Bernd Huckriede. Mit<br />

einer Konferenz über „Architektur<br />

und Identität“ in São Paulo fand<br />

die <strong>DAAD</strong>-geförderte Zusammenarbeit<br />

im November <strong>20</strong>09 ihren<br />

Abschluss – vorerst. Der Lehrstuhl<br />

von Professor Bernd Huckriede<br />

will das Kooperationsprojekt bis<br />

<strong>20</strong>14 verlängern und das afrikanische<br />

Land Angola integrieren.<br />

Julia Walter/Marita Müller<br />

Mehrsprachigkeit<br />

Die Vielfalt fördern<br />

„Wissenschaftler denken oft brillanter<br />

in ihrer eigenen Sprache,“<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

sagt Jürgen Trabant, Professor<br />

für European Plurilingualism an<br />

der Jacobs University Bremen.<br />

Dort spricht er zwar den ganzen<br />

Tag mit Studierenden und Kollegen<br />

Englisch, aber für seine Forschung<br />

braucht er die deutsche<br />

Sprache, sonst fällt ihm nichts ein.<br />

Mehrsprachigkeit ist in Deutschland<br />

generell ein unterschätzter<br />

Wert. Vorschnell wird hierzulande<br />

die Vielfalt von Sprachen zu<br />

Gunsten von Englisch aufgegeben<br />

– ob in der Schule, im Unternehmen<br />

oder an den Universitäten.<br />

Darüber war man sich auf dem<br />

Internationalen Forum „Sprachen<br />

ohne Grenzen“ einig. Auf der<br />

vom Goethe-Institut organisierten<br />

Veranstaltung im September in<br />

Berlin richtete der <strong>DAAD</strong> gemeinsam<br />

mit der Alexander von Humboldt-Stiftung<br />

eine Konferenz zu<br />

„Mehrsprachigkeit in den Wissenschaften“<br />

aus. Die Aussage war<br />

eindeutig: Wissenschaft ist ohne<br />

sprachliche Vielfalt nicht denkbar,<br />

denn jede Sprache hat ihr eigenes<br />

Erkenntnispotenzial.<br />

Wer aus dem Ausland zum Studium<br />

nach Deutschland kommt,<br />

will auch die deutsche Sprache<br />

lernen. Das gelingt kaum, wenn<br />

an den Universitäten auf Englisch<br />

gelehrt wird. Chemie-Professor<br />

Lutz H. Grade macht an der Universität<br />

Heidelberg eine Ausnahme:<br />

Man spricht Deutsch, obwohl<br />

die Publikationssprache in Chemie<br />

ausschließlich Englisch ist. „Die<br />

Studierenden aus fernen Ländern<br />

staunen erst, aber sie empfinden<br />

das dann als Bereicherung.“ Statt<br />

Sprachkurse begleitend anzubieten,<br />

muss Sprachvermittlung ins<br />

Studium integriert werden, for-<br />

Foto: Jens Brinkmann<br />

Projektstudium:<br />

deutsche und<br />

brasilianische<br />

Architekten<br />

entwerfen<br />

gemeinsam<br />

derten die Teilnehmer der <strong>DAAD</strong>-<br />

Konferenz. Das bedeute Leistungspunkte<br />

auch für den Spracherwerb.<br />

Bettina Mittelstraß<br />

Alumni-Treffen<br />

Algier, Neapel und Wuhan<br />

Um die Zukunft des algerischen<br />

Bildungssystems und den Ausbau<br />

des Austauschs mit Deutschland<br />

ging es Mitte Oktober an der ältesten<br />

Universität Algeriens,<br />

der Université d‘Alger in Algier.<br />

Sie war Schauplatz für das erste<br />

<strong>DAAD</strong>-Alumnitreffen in dem nordafrikanischen<br />

Land. Unter dem<br />

Motto „Chancen der algerischdeutschenHochschulzusammenarbeit<br />

– Alumni als Motor bilateraler<br />

Beziehungen“ begrüßten<br />

Rektor Tahar Hadjar und <strong>DAAD</strong>-<br />

Generalsekretär Christian Bode<br />

mehr als <strong>20</strong>0 Teilnehmer. Neben<br />

<strong>DAAD</strong>-Alumni diskutierten auch<br />

Regierungsstipendiaten und eine<br />

kleine Gruppe Deutschlandverbundener<br />

über „Internationalisierung<br />

und Mobilität“. Mit dem<br />

Programm „Deutsch-Arabisch/Iranischer<br />

Hochschuldialog“ fördert<br />

der <strong>DAAD</strong> seit <strong>20</strong>06 ein Kooperationsprojekt<br />

in Algerien, bei dem<br />

es um die gemeinsame Entwicklung<br />

von Master-Studiengängen<br />

zur Photovoltaik geht. Vertreter<br />

der TU Ilmenau und der Université<br />

Ferhat Abbas Sétif schilderten<br />

ihre Erfahrungen und stießen<br />

damit sowohl bei den Alumni als<br />

auch bei den algerischen Medien<br />

auf großes Interesse.<br />

Mobilität war auch Thema beim<br />

Alumni-Treffen „Quo vadis Universitas?“<br />

Anfang November in<br />

Neapel. Allerdings stand es dort<br />

daad 37<br />

unter länderspezifischem Vorzeichen:<br />

Italien sieht sich mit einer<br />

Abwanderung der wissenschaftlichen<br />

Elite konfrontiert. Gleichzeitig<br />

drängen immer mehr gering<br />

qualifizierte Menschen ins Land.<br />

Der Workshop „Migration und<br />

Integration“ war daher besonders<br />

gut besucht. Darüber hinaus standen<br />

Diskussionen zur Entwicklung<br />

Europas und zum Bologna-<br />

Prozess auf dem Programm. In<br />

Anwesenheit des <strong>DAAD</strong>-Generalsekretärs<br />

nahmen 130 Alumni<br />

aller Fachrichtungen an der Veranstaltung<br />

teil.<br />

Einem gesellschaftlichen Umbruch<br />

anderer Art widmete der<br />

<strong>DAAD</strong> sein Alumni-Fachseminar<br />

Ende Oktober im chinesischen<br />

Wuhan. Es trug den Titel „Öffentliches<br />

Gesundheitswesen“ und war<br />

das vierte vom <strong>DAAD</strong> organisierte<br />

Fachseminar unter dem Oberthema<br />

„Stadtmodernisierung und<br />

Lebensqualität“. Der angeregte<br />

Meinungsaustausch der 80 Alumni<br />

aus dem Gesundheitswesen<br />

etwa zur Psychotherapie in China<br />

Mafia-Jäger Leoluca Orlando zeigt<br />

in Neapel seine Stipendien-Urkunde<br />

und zur Lebensmittelsicherheit<br />

zeigte, dass der <strong>DAAD</strong> mit diesem<br />

Seminar einen Nerv getroffen hatte.<br />

Auf die guten und vielfältigen<br />

deutsch-chinesischen Beziehungen<br />

hatte der deutsche Botschafter<br />

Michael Schaefer bereits in seiner<br />

Eröffnungsrede hingewiesen.<br />

Die Reihe der Fachseminare wird<br />

während der Expo in Shanghai im<br />

Mai <strong>20</strong>10 mit dem Thema „Von<br />

der Industrie zur Wissensgesellschaft“<br />

fortgesetzt. CW<br />

Foto: <strong>DAAD</strong>


38<br />

daad<br />

Informationsreise durch Europa: Ostafrikanische Bildungsmanager machen Halt in Bonn<br />

DIES-Informationsreise<br />

Qualität mit System<br />

„Afrika braucht das Wissen, das<br />

sich an den Universitäten sammelt“,<br />

sagt Lilian Tibatemwa<br />

Ekirikubinza, Rektorin der Makerere<br />

Universität in Uganda. Sie<br />

besuchte im September gemeinsam<br />

mit 35 weiteren ostafrikanischen<br />

Bildungsmanagern Universitäten<br />

und Bildungsexperten<br />

in Deutschland, Belgien und den<br />

Niederlanden. Dabei machten sich<br />

die Rektorinnen und Rektoren aus<br />

Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda<br />

und Burundi sowie Vertreter der<br />

nationalen Hochschulbehörden<br />

und des Inter-University Council<br />

for East Africa ein Bild von der<br />

Qualitätssicherung an europäischen<br />

Hochschulen. Zu der Informationsreise<br />

hatten im Rahmen<br />

von DIES (Dialogue on Innovative<br />

Higher Education Strategies) der<br />

<strong>DAAD</strong> und die Hochschulrektorenkonferenz<br />

eingeladen.<br />

Die Teilnehmer der Informationsreise<br />

waren sich einig: Vernetzung<br />

und Mobilität von Studierenden<br />

sowie Lehrenden sind<br />

Merkmale einer guten Hochschule<br />

– und brauchen internationale<br />

Unterstützung. Deshalb arbeiten<br />

<strong>DAAD</strong> und Hochschulrektorenkonferenz<br />

seit <strong>20</strong>06 im DIES-<br />

Projekt zur Qualitätssicherung<br />

an ostafrikanischen Hochschulen<br />

zusammen. JW<br />

Alumniportal in Jakarta<br />

Kontakte geknüpft<br />

Die Messe und Konferenz zum<br />

Launch des Alumniportals<br />

Deutsch land Mitte November in<br />

Jakarta waren ein voller Erfolg.<br />

Rund 900 Alumni am ersten Konferenztag<br />

und noch einmal 900<br />

Gäste am zweiten Tag übertrafen<br />

die Erwartungen der <strong>DAAD</strong>-Außenstelle<br />

Jakarta und des Alumnireferats<br />

des <strong>DAAD</strong>. Sie organisierten<br />

die zweitägige Veranstaltung<br />

zum Launch der Internetplattform<br />

www.alumniportal-deutschland.<br />

org in Indonesien. Besonders die<br />

neuen Kontakte zu den vielen<br />

sogenannten ehemaligen „Selbstzahlern“,<br />

also denjenigen, die<br />

ohne Stipendium in Deutschland<br />

studierten, bilden nun eine wertvolle<br />

Ergänzung des deutschen<br />

Alumni-Netzwerks in Indonesien.<br />

Das lässt sich auch am Portal ablesen:<br />

Seit der Messe stieg die Zahl<br />

der aus Indonesien registrierten<br />

Alumni von etwa 100 auf mehr als<br />

800 an. Sie sind jetzt die größte<br />

nationale Gruppe. CW<br />

Hochschultage in Baku<br />

Vertrauen in Deutschland<br />

Für viele der 30 deutschen Hochschulvertreter<br />

war es die erste Reise<br />

ans Kaspische Meer: Auf Einladung<br />

des aserbaidschanischen<br />

Bildungsministers Professor Misir<br />

Mardanov nahmen sie Anfang<br />

Oktober an den ersten deutschaserbaidschanischenHochschultagen<br />

in Baku teil. „Die Deutschen<br />

genießen in Aserbaidschan höchste<br />

Wertschätzung. Daher war das<br />

Treffen von großer Offenheit geprägt“,<br />

sagt Andrej Götze, Leiter<br />

des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />

Baku.<br />

Der <strong>DAAD</strong> ist in Aserbaidschan<br />

seit 1991 aktiv und hat bisher<br />

rund 1<strong>20</strong>0 aserbaidschanische<br />

Hochschulangehörige gefördert.<br />

Bildungsminister Mardanov erklärte,<br />

Deutschland solle das führende<br />

Zielland für akademischen<br />

Austausch werden. Die Hochschultage<br />

sollen künftig regelmäßig<br />

stattfinden. CW<br />

Belgrad<br />

Neues<br />

Informationszentrum<br />

Nach dem Informationszentrum<br />

(IC) in Budapest gibt es nun auch in<br />

Belgrad ein IC – das zweite in Südosteuropa.<br />

Es wurde im November<br />

<strong>20</strong>09 feierlich eröffnet. Bereits ein<br />

Jahr zuvor hatte dort schrittweise<br />

die Arbeit begonnen – zunächst<br />

in Räumen der Universität, jetzt<br />

in eigenen Büros in der Belgrader<br />

Innenstadt nahe der Donau. Drei<br />

Lektoren und eine Sprachassistentin<br />

stehen künftig für Fragen rund<br />

um Studieren und Forschen in<br />

Deutschland zur Verfügung.<br />

Foto: Michael Jordan<br />

In Serbien ist der <strong>DAAD</strong> mit vielen<br />

Programmen präsent. So engagieren<br />

sich zahlreiche serbische<br />

Fakultäten im Rahmen des Sonderprogramms<br />

„Akademischer<br />

Neuaufbau Südosteuropa“ in regionalen<br />

Netzwerken, die deutsche<br />

Hochschulen koordinieren. Über<br />

das Sonderprogramm „Serbien“<br />

fließen seit <strong>20</strong>08 zusätzliche Gelder<br />

in deutsch-serbische Kooperationen.<br />

<strong>DAAD</strong>-Lektoren arbeiten in ganz<br />

Südosteuropa: In Albanien, Bosnien<br />

und Herzegowina, Bulgarien,<br />

Kosovo, Montenegro, Kroatien,<br />

Mazedonien, Serbien, Slowenien<br />

und Ungarn werben sie für den<br />

Bildungs- und Forschungsstandort<br />

Deutschland und beraten Studierende,<br />

Graduierte und Wissenschaftler.<br />

bün<br />

Südafrika<br />

Keine Mauern mehr<br />

Die Berliner Mauer in Johannesburg?<br />

Kein Originalstück, aber<br />

eine eindrucksvolle, sieben Tonnen<br />

schwere Nachbildung aus<br />

Beton – errichtet von südafrikanischen<br />

Studierenden auf dem Campus<br />

der Witwatersrand Universität.<br />

Anlass der Aktion, die der<br />

Leiter des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />

Johannesburg, Ralf Hermann,<br />

initiiert hatte, war der Fall<br />

der Berliner Mauer vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n.<br />

Bitte auf Seite 40 weiterlesen<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Unsere Mentalität prägt unser Verhalten<br />

im Internet“, sagt Nelson Mattos.<br />

„Brasilianer sind sehr offen und suchen viele<br />

Kontakte; sie lieben Social Networking.“<br />

Deutsche sind eher zurückhaltend: Sie nutzen<br />

Internet-Suchmaschinen vor allem, um mehr<br />

über aktuelle Themen zu erfahren. Der 1959<br />

in Brasilien geborene Mattos weiß, wovon er<br />

spricht. Mit Suchaktivitäten im Internet kennt<br />

er sich aus. Als Vice President of Engineering<br />

bei Google in Zürich ist er verantwortlich für<br />

sämtliche Aktivitäten des Unternehmens in<br />

Europa, im Nahen Osten und in Afrika – und<br />

somit für rund 800 Ingenieure in den Google-<br />

Entwicklungszentren Europas und Israels.<br />

Seit <strong>20</strong>07 leitet Nelson Mattos die Google-Geschäfte<br />

in Europa – wie ein Konzern-Manager<br />

wirkt er aber nicht. Er beantwortet mit viel<br />

Ruhe alle Fragen – in sehr gutem Deutsch mit<br />

leicht schweizerischer Betonung – und steckt<br />

mit der Begeisterung für seine Arbeit an.<br />

Auch spricht er viel lieber über Innovationen<br />

als über Umsatz und Marktführerschaft. Statt<br />

Erfolgsgeschichten aus der Geschäftsführung<br />

erzählt Mattos, wie wichtig es ihm ist, dass jeder<br />

Mensch Zugang zum Internet hat, auch in<br />

Entwicklungsländern. Mobile Dienstleistungen<br />

müssten dafür ausgebaut werden, ebenso<br />

die automatische Übersetzung von Webseiten.<br />

„Jeder sollte überall auf der Welt das Gleiche<br />

lesen können“, so seine Vision.<br />

Seine eigene Herkunft vergisst Nelson Mattos<br />

nicht. Als eines von fünf Geschwistern<br />

wuchs er in bescheidenen Verhältnissen in<br />

der brasilianischen Metropole Porto Alegre<br />

auf. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater<br />

arbeitete als Vertriebsangestellter. Als Mattos<br />

fünf <strong>Jahre</strong> alt war, putschte sich das Militär in<br />

Brasilien an die Macht und regierte das Land<br />

noch, als er ohne Begeisterung sein Bauingenieur-Studium<br />

begann – keine guten Voraussetzungen<br />

für eine internationale Karriere.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Gestern Stipendiat – und heute...<br />

nelson Mattos<br />

Europa-Chef von Google<br />

Im zweiten Semester belegte Mattos einen<br />

Kurs in der Programmiersprache BASIC: Seine<br />

Leidenschaft für Informatik war geweckt.<br />

Aber sein Vater wollte von einem Fachwechsel<br />

nichts wissen. „In den 70er <strong>Jahre</strong>n konnte<br />

sich niemand vorstellen, was ein Informatiker<br />

macht“, sagt Mattos. Er traf ein Abkommen<br />

mit dem Vater: „Ich versprach, beide Fächer zu<br />

Ende zu studieren.“ Doch dazu kam es nicht.<br />

Die Militärregierung erkannte die Bedeutung<br />

von Informatik und wollte so schnell wie möglich<br />

viele Fachleute ausbilden. So konnten<br />

Brasilianer schon nach zwei bis zweieinhalb<br />

<strong>Jahre</strong>n ihr Informatik-Studium abschließen<br />

– Mattos zählte dazu. Das Bauingenieur-Studium<br />

zu beenden, hätte ihn nun aufgehalten.<br />

Mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium kam der Brasilianer<br />

1984 nach Kaiserslautern – seine Frau,<br />

eine Architektin, und ihr gemeinsamer Sohn<br />

reisten mit. Der erste Eindruck? Mattos lacht:<br />

„Wenn man Hochdeutsch lernt und dann in<br />

eine Stadt kommt, in der alle pfälzisch reden,<br />

ist das eine ziemliche Umstellung.“ Im<br />

Vergleich zu Porto Alegre ist Kaiserslautern<br />

ein kleines Dorf, doch daran gewöhnte er sich<br />

schnell. Die meisten Menschen waren herzlich<br />

und offen, die junge Familie fand dort enge<br />

Freunde.<br />

Aber nicht alle Erlebnisse waren positiv.<br />

Als Ausländer bekam Mattos damals, in den<br />

80er <strong>Jahre</strong>n, auch Diskriminierung zu spüren.<br />

Obwohl ein deutscher Freund bei der Wohnungssuche<br />

half, hagelte es Absagen. Das war<br />

dem Freund so peinlich, dass er Mattos seine<br />

eigene Wohnung vermietete. In einer Bank erfuhr<br />

der Brasilianer von einem Angestellten,<br />

man gebe Ausländern keinen Kredit – obwohl<br />

Mattos zu diesem Zeitpunkt schon fünf <strong>Jahre</strong><br />

in Deutschland lebte. Mattos spricht zögerlich<br />

über diese Erfahrungen. Man spürt, wie<br />

sehr sie ihn verletzt haben.<br />

Die Universität hingegen enttäuschte<br />

ihn nicht. „Ich arbeitete mit hochqualifizierten<br />

Leuten aus der ganzen Welt<br />

zusammen.“ Ihnen stellte er seine<br />

Arbeit vor und erhielt ihr Feedback.<br />

In Deutschland konnte er zudem<br />

tiefer in sein Fach einsteigen. „In<br />

Brasilien verschwendet man viel<br />

Zeit für die Beschaffung der technischen<br />

Ausrüstung oder der<br />

daad<br />

Forschungsmittel. In Kaiserslautern ging das<br />

schnell und unkompliziert.“<br />

Aus der Doktorarbeit entwickelten sich 1989<br />

ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

gefördertes Projekt und eine Kooperation<br />

mit dem Forschungszentrum des IBM-<br />

Konzerns in Heidelberg. Das IT-Unternehmen<br />

lud Mattos als Gastwissenschaftler für zwei<br />

<strong>Jahre</strong> nach Kalifornien ein. Mattos blieb deutlich<br />

länger: Bis zu seinem Weggang 15 <strong>Jahre</strong><br />

später entwickelte er Produkte, die dem Unternehmen<br />

mehrere hundert Millionen Dollar<br />

einbrachten. Irgendwann kam der Eindruck,<br />

alles bei IBM gesehen zu haben. Genau in diesem<br />

Moment klopfte Google an seine Tür.<br />

Boris Hänßler<br />

39<br />

Foto: Google


40<br />

Foto: Maria Winkler<br />

daad<br />

Fortsetzung von Seite 38<br />

„Keine Mauern mehr“, lautet das<br />

Motto des Projekts, das zugleich<br />

an afrikanische und deutsche Geschichte<br />

erinnert. „Die Zerstörung<br />

der Mauer symbolisiert die Überwindung<br />

von Grenzen – auch die<br />

der Apartheid. Zugleich regt sie<br />

zur Diskussion über die realen<br />

und virtuellen Mauern unserer<br />

Gegenwart an“, sagt Ralf Hermann.<br />

Einen Monat lang organisierten<br />

er und sein Team Open Air-Konzerte,<br />

öffentliche Vorlesungen,<br />

Seminare, Filmvorführungen und<br />

Informationsveranstaltungen auf<br />

der Mauerbühne. Der <strong>DAAD</strong> und<br />

das German Department der Witwatersrand<br />

Universität erhielten<br />

für das Projekt viel Anerkennung,<br />

von der Hochschulleitung ebenso<br />

wie von der südafrikanischen<br />

Öffentlichkeit. In einer spektakulären<br />

Wall-Party rissen Studierende,<br />

Dozentinnen und Dozenten die<br />

Mauer schließlich ein. KS<br />

Infos: www.daadwitswallproject.<br />

wordpress.com<br />

Hochschuldialog<br />

Zwischenbilanz veröffentlicht<br />

Im Programm Deutsch-Arabisch/<br />

Iranischer Hochschuldialog fördert<br />

der <strong>DAAD</strong> seit <strong>20</strong>06 Kooperationen<br />

deutscher Hochschulen mit<br />

Partnerinstitutionen in den arabi-<br />

schen Ländern und dem Iran. Die<br />

vielfältigen Ergebnisse präsentiert<br />

die Broschüre „Dialog durch<br />

Kooperation“ mit anschaulichen<br />

Bei spielen. Die Bandbreite der<br />

Projekte ist groß: Wissenschaftler<br />

und Studierende erforschen<br />

die biologische Vielfalt im Roten<br />

Meer, Karawanenwege in Libyen<br />

oder etablieren die Kinderchirurgie<br />

als eigenständige Disziplin im<br />

Jemen.<br />

Dabei öffnet das Programm neue<br />

Wege für Toleranz und Respekt.<br />

„Wenn sich die Hochschulpartner<br />

vertrauen, dann halten diese<br />

Beziehungen wissenschaftliche,<br />

Dialog durch Kooperation<br />

Dialogue Through Cooperation<br />

Deutsch-Arabisch/Iranischer Hochschuldialog (<strong>20</strong>06-<strong>20</strong>08)<br />

German-Arab/Iranian Higher Education Dialogue (<strong>20</strong>06-<strong>20</strong>08)<br />

politische und persönliche Konflikte<br />

aus“, sagt Professor Josef<br />

Freise von der Katholischen Fachhochschule<br />

Köln. Er leitete eine<br />

Kooperation mit der Universität<br />

Bethlehem, bei der Studierende<br />

die soziale Lage von Kindern und<br />

Jugendlichen im jeweils anderen<br />

Land erkundeten. Insgesamt erlebten<br />

über 1 600 Akademikerinnen<br />

und Akademiker in der intensiven<br />

fachlichen Zusammenarbeit<br />

eine persönliche Annäherung und<br />

bauten Vorurteile ab. KS<br />

Download unter: www.daad.de/<br />

hochschuldialog<br />

Wall-Party in Johannesburg<br />

Israel/Deutschland<br />

Abschlussbericht<br />

Im Deutsch-Israelischen Jahr der<br />

Wissenschaft und Technologie<br />

<strong>20</strong>08 organisierte der <strong>DAAD</strong> eine<br />

Studienreise von 15 Studierenden<br />

aus Deutschland und 15 aus Israel.<br />

ISRAEL DEUTSCHLAND<br />

Ein Abschlussbericht <strong>20</strong>08<br />

Die Teilnehmer, die von den Universitäten<br />

Augsburg, Erlangen-<br />

Nürnberg und Haifa kamen und<br />

verschiedenste Fachrichtungen<br />

vertraten, besuchten unter dem<br />

Leitthema „Israel in Deutschland<br />

– Deutschland in Israel: 60 <strong>Jahre</strong><br />

gemeinsame Geschichte“ zahlreiche<br />

geschichtsträchtige Orte und<br />

Projekte beider Länder, trafen Politiker<br />

und Wissenschaftler. Vorbehalte<br />

und Klischees abzubauen,<br />

gelinge nur im persönlichen<br />

Gespräch, meint Oz Fridman,<br />

Geschichtsstudent aus Haifa. Er<br />

und viele seiner Kommilitoninnen<br />

und Kommilitonen schildern<br />

ihre Erlebnisse eindrucksvoll im<br />

Abschlussbericht, den der <strong>DAAD</strong><br />

jetzt veröffentlichte. KS<br />

Bestellung per Mail:<br />

h.heinen@daad.de<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09


Köpfe<br />

Als 1989 die Berliner Mauer<br />

fiel, meinte Lars Gustafsson:<br />

„Mein lieber Kollege Hegel hatte<br />

vielleicht doch damit Recht, dass<br />

es eine in die Weltereignisse eingebaute<br />

(historische) Richtung<br />

gibt.“ Mit Hegel, dem Stammvater<br />

der idealistischen Philosophie,<br />

kennt sich der schwedische Intellektuelle<br />

so gut aus wie mit vielen<br />

anderen deutschen Dichtern und<br />

Denkern, denn mit ihnen hat er<br />

sich als Germanistik- und Philosophieprofessor<br />

in den USA beschäftigt.<br />

Das literarische Werk des Romanciers<br />

und Lyrikers Gustafsson<br />

ist dagegen von persönlich erlebter<br />

deutscher Geschichte geprägt.<br />

Für sein Gesamtwerk erhielt er<br />

am 28. August, an Goethes 260.<br />

Geburtstag, in Weimar die vom<br />

Goethe-Institut verliehene Goe-<br />

the-Medaille <strong>20</strong>09.<br />

1972 kam Gustafsson als Stipendiat<br />

des Berliner Künstlerprogramms<br />

des <strong>DAAD</strong> nach<br />

Deutschland. Aus einem Jahr in<br />

Berlin wurden mehrere. Aus den<br />

Erfahrungen jener Zeit entstand<br />

der Romanzyklus „Risse in der<br />

Mauer“ um den unerfüllten, aber<br />

doch nicht unnützen Traum von<br />

großer Liebe und großer Politik.<br />

Mit dem Werk gelang ihm international<br />

der Durchbruch. Damals<br />

knüpfte Gustafsson auch Kontakte<br />

zu deutschen Kollegen wie<br />

Günter Grass. Berlin wurde für<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Foto: Maik Schuck<br />

Foto: Maik Schuck<br />

Gustafsson immer wieder ein Zielort<br />

zum Nachdenken. So kehrte<br />

der 73-Jährige <strong>20</strong>09, wiederum<br />

als Gast des Künstlerprogramms,<br />

hierher zurück. H.H.<br />

Auch er ist ein Nordländer,<br />

und wie der Schwede Lars<br />

Gustafsson wurde der Norweger<br />

Sverre Dahl in diesem Jahr mit<br />

der Goethe-Medaille des Goethe-<br />

Instituts geehrt. Ausgezeichnet<br />

wurde er für sein Lebenswerk als<br />

Übersetzer. Dahl, der Deutschland<br />

beruflich „als Herausforderung“<br />

empfindet, hat bis heute insgesamt<br />

rund 1<strong>20</strong> deutschsprachige<br />

Werke ins Norwegische übersetzt,<br />

von Goethe und Hölderlin bis zu<br />

zeitgenössischen Autoren wie<br />

Ingo Schulze und Daniel Kehlmann.<br />

Seine erste Deutschlanderfahrung<br />

sammelte Dahl vor 40 <strong>Jahre</strong>n<br />

als Germanistik-Student und<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendiat in Freiburg.<br />

Dort beschäftigte er sich mit dem<br />

österreichischen Dichter und Denker<br />

Hermann Broch, über den er<br />

später in Oslo seine Doktorarbeit<br />

schrieb. Für österreichische<br />

Schriftsteller behielt er auch im<br />

Beruf eine Vorliebe: Er übersetzte<br />

Ingeborg Bachmann, Thomas<br />

Bernhard und „Klassiker“ wie<br />

Franz Kafka und Arthur Schnitzler.<br />

Dafür wurde Dahl schon im<br />

Jahr <strong>20</strong>00 mit dem „Österreichischen<br />

Staatspreis für literarische<br />

Übersetzung“ ausgezeichnet. H.H.<br />

Die französische Schriftstellerin<br />

und Wahl-Berlinerin<br />

Marie N’Diaye erhielt als erste<br />

Schwarze den Prix Goncourt,<br />

Frank reichs begehrtesten Literaturpreis.<br />

Ausgezeichnet wurde sie<br />

für ihren Roman „Trois femmes<br />

puissantes“, in dem sie die Lebensgeschichte<br />

dreier Frauen im<br />

Spannungsfeld zwischen Frankreich<br />

und Afrika beschreibt.<br />

Als Tochter eines Senegalesen<br />

und einer Französin wurde<br />

N’Diaye 1967 in Pithiviers bei<br />

Orléans geboren. Schon vor dem<br />

Abitur schrieb sie ihren ersten<br />

Roman. „Schreiben ist etwas, das<br />

muss ich tun“, sagt die Autorin,<br />

die bereits mehr als <strong>20</strong> Romane<br />

und Novellen veröffentlicht hat<br />

und als Wunderkind der französischen<br />

Gegenwartsliteratur gilt.<br />

Sie schreibt meist über Frauen<br />

in schwierigen Familien- und Lebenssituationen.<br />

Ihr Roman „Rosie<br />

Carpe“ wurde in 15 Sprachen<br />

übersetzt. Die polyglotte Französin<br />

lebte in Spanien, auf den<br />

französischen Antillen und 1993<br />

als Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />

des <strong>DAAD</strong> ein Jahr in der<br />

deutschen Hauptstadt. Seit <strong>20</strong>08<br />

wohnt sie mit ihrem Mann und<br />

drei Kindern wieder in Berlin, das<br />

auch Handlungsort eines weiteren<br />

Romans sein soll. Llo<br />

Israel sieht sich als<br />

Nabel der Welt, doch<br />

von Europa aus gesehen<br />

nimmt sich mein Land<br />

wie ein Dorf aus“, sagt<br />

die israelische Filmemacherin<br />

Dalia Hager.<br />

Als Gast des Berliner<br />

Künstlerprogramms des<br />

<strong>DAAD</strong> lebte sie <strong>20</strong>09 in<br />

Berlin. Dabei hat sich ihr<br />

Blick auf Israel womöglich<br />

noch verschärft. Die<br />

Foto: picture-alliance/dpa<br />

daad 41<br />

Auseinandersetzung mit den politischen<br />

und sozialen Verhältnissen<br />

in ihrem Land prägt ihre Arbeit.<br />

In ihrem bisher erfolgreichsten<br />

Spielfilm „Close to Home“<br />

kritisiert sie die Wehrpflicht für<br />

Frauen. Der erste Spielfilm zu<br />

diesem Thema, den sie und ihre<br />

Kollegin Vidi Bilu auf der Basis<br />

eigener Erfahrungen drehten, erhielt<br />

weltweit auf Festivals, <strong>20</strong>06<br />

auch bei der Berlinale, hohe Anerkennung<br />

und Preise. „Frauen sind<br />

beim Militär völlig fehl am Platz“,<br />

sagt Dalia Hager. „Es ist nicht ihre<br />

Sprache.“<br />

Die 1963 in Givataim geborene<br />

Künstlerin hat an der Universität<br />

in Tel Aviv Regie und Drehbuchschreiben<br />

studiert und vorübergehend<br />

als Dozentin und Journalistin<br />

gearbeitet. „In Israel sind nur<br />

knapp zehn Prozent der Filmemacher<br />

Frauen“, sagt die bekennende<br />

Feministin. Ein Grund mehr,<br />

sich des Themas Frau verstärkt<br />

anzunehmen. In Berlin schrieb<br />

sie an einem Drehbuch über eine<br />

Frau, die als Fremde in Israel<br />

lebt. Mehr will sie über das neue<br />

Projekt noch nicht verraten, nur<br />

so viel, dass die eigene Erfahrung<br />

von Fremdheit in Berlin ihr dabei<br />

sehr geholfen hat. Llo<br />

Foto: privat


42<br />

daad<br />

Die italienische Soziologin<br />

Elena Esposito (49) ist mit<br />

dem Ladislao Mittner-Preis ausgezeichnet<br />

worden. Der Preis wird<br />

seit <strong>20</strong>02 jährlich vom <strong>DAAD</strong> für<br />

besondere Verdienste um den<br />

deutsch-italienischen Dialog verliehen.<br />

Esposito hat – mit Stipendium<br />

des <strong>DAAD</strong> – in Bielefeld bei<br />

dem Soziologen Niklas Luhmann<br />

studiert, erlangte dort auch die<br />

Promotion und <strong>20</strong>01 die Habilitation.<br />

Sie zählt zu den führenden<br />

Vertretern der von Luhmann mitgeprägten<br />

Systemtheorie. Die Mailänderin<br />

hat in Wien und Berlin<br />

gelehrt, zahlreiche soziologische<br />

Werke aus dem Deutschen ins Italienische<br />

übersetzt und ist heute<br />

an der Universität Modena und<br />

Reggio Emilia tätig.<br />

Zu ihren bekanntesten Werken<br />

zählen „Soziales Vergessen. Formen<br />

und Medien des Gedächtnisses<br />

der Gesellschaft“ (<strong>20</strong>02)<br />

und „Die Verbindlichkeiten des<br />

Vorübergehenden: Paradoxien der<br />

Mode“ (<strong>20</strong>04).<br />

Der „Premio Mittner“, genannt<br />

nach dem italienischen Germanisten<br />

Ladislao Mittner (1902–1975),<br />

ist mit einem Stipendium für<br />

einen Forschungsaufenthalt in<br />

Deutschland verbunden. Elena<br />

Esposito nahm den Preis Anfang<br />

November in Neapel entgegen. Die<br />

Laudatio hielt der Schriftsteller<br />

Umberto Eco, bei dem sie einst in<br />

Bologna das Philosophie-Examen<br />

abgelegt hatte. ors<br />

Foto: privat<br />

Der indische Ingenieur und<br />

Limnologe Nihar Ranjan<br />

Samal (geboren 1975) darf sich<br />

neuerdings „Grünes Talent“ nennen.<br />

Damit gehört er zu einer<br />

Gruppe von Wissenschaftlern, von<br />

denen man international herausragende<br />

wissenschaftliche Beiträge<br />

zur Bewältigung globaler ökologischer<br />

Herausforderungen erwartet<br />

– oder bereits gesehen hat. Bundesforschungsministerin<br />

Annette<br />

Schavan zeichnete die 15 Gewinner<br />

des Umweltwettbewerbs aus, den<br />

ihr Ministerium erstmals ausgeschrieben<br />

hatte.<br />

Samal, der <strong>20</strong>04 mit einem<br />

<strong>DAAD</strong>-Stipendium am renommierten<br />

Limnologischen Institut<br />

der Universität Konstanz geforscht<br />

hat, gilt als Experte für die Entwicklung<br />

von biologischen Verfahren<br />

zur Beseitigung toxischer<br />

Schwermetalle aus Grund- und<br />

Oberflächenwasser. Er lehrt und<br />

forscht am Nationalen Institut für<br />

Technologie in Durgapur.<br />

Rund 150 Wissenschaftler aus<br />

43 Ländern hatten sich für die<br />

Auszeichnung beworben.<br />

Die 15 Sieger wurden<br />

nach Deutschland eingeladen<br />

und hatten die<br />

Möglichkeit, Kontakte<br />

zu wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen und zur<br />

Industrie zu knüpfen. ors<br />

Foto: Lutz Voigtländer<br />

Foto: privat<br />

Der Holzbläser, Dirigent und<br />

Komponist Steffen Schorn ist<br />

mit dem WDR-Jazzpreis <strong>20</strong>09 ausgezeichnet<br />

worden. Der vom Kulturradio<br />

WDR 3 vergebene Preis<br />

ist die höchst dotierte Auszeichnung<br />

für improvisierte Musik in<br />

Deutschland. Schorn siegte in der<br />

Kategorie „Jazz Komposition“. Der<br />

weltweit gefragte Solist, Bandleader<br />

und Arrangeur ist Professor<br />

an der Musikhochschule Nürnberg<br />

und gehört seit <strong>Jahre</strong>n zur<br />

<strong>DAAD</strong>-Musikerkommission, die<br />

dreimal jährlich Stipendiaten aus<br />

dem Bereich klassische Musik<br />

und Jazz auswählt.<br />

Der 42-jährige Musiker gilt als<br />

sehr experimentierfreudig und<br />

hält sich – so die Juroren – „stilistisch<br />

und kulturell an keine<br />

Grenzen“. Häufig nimmt er Anregungen<br />

von Reisen und kulturwissenschaftlichen<br />

Studien<br />

in seine Musik auf. Das Ergebnis<br />

sind Konzerte in mehr als 50 Ländern,<br />

rund 25 Titel in seiner Discographie<br />

und zahlreiche Preise.<br />

Schorn spielt mit internationalen<br />

Big-Bands und gründete gemeinsam<br />

mit dem Klarinettisten Claudio<br />

Puntin das bekannte Schorn-<br />

Puntin-Duo. Kritiker bescheinigen<br />

ihm eine ganz eigene kompositorische<br />

Handschrift, mit der er den<br />

Jazz immer wieder neu erfindet.<br />

ors<br />

Rätsel-Lösungen<br />

Die Lösung des vorigen Letter-Rätsels lautet:<br />

BIENENSTICH<br />

Die LöSUNG ergibt sich aus folgenden Wörtern: bank,<br />

Leiter, Krebs, nagel, Gericht, Zylinder, Strauss, Futter,<br />

Kiefer, Schloss, hahn<br />

Einen Hauptpreis haben gewonnen:<br />

Farida Shorukova (Kirgisien), München/Deutschland;<br />

Oleh Radchenko, Drohobytsch/Ukraine; Jarlee Salviano,<br />

Salvador/Brasilien; Maria-Elena Muscan, Constanta/<br />

Rumänien; Levan Tsagareli, Tbilisi/Georgien; Pedro Antônio<br />

Silvério Lobo Mendoça, Florianópolis/Brasilien; Hans<br />

van der Veen, Leiden/Niederlande; Grindwit Sastravaha,<br />

Bangkok/Thailand; Michel Ph. Mattoug, Strasburg/<br />

Frankreich; Anne Njoki Hinga-Serem, Nairobi/Kenia<br />

Einen Trostpreis erhalten:<br />

Teona Nizharadze, Kutaissi/Georgien; Denise Brown,<br />

Berlin/Deutschland; Anelia Lambova, Sofia/Bulgarien;<br />

Sobirdjan Sasmakov, Taschkent/Usbekistan; Yekaterina<br />

Petrenko, Smirnowo/Kasachstan; László Bodolay,<br />

Pilisvörösvár/Ungarn; Marta Farré Capdevila, Lleida/<br />

Spanien; Idil Kurtulus, Istanbul/Türkei; Andrea Rita<br />

Severeanu, Timisoara/Rumänien; Anne Hurley, Cork/Irland<br />

Wer war’s?<br />

ENGELBERT KÄMPFER<br />

Einen Preis erhalten:<br />

Mushfig Mammadov, Berlin/Deutschland; Claudia<br />

Wosnitza-Mendo, Lima/Peru; Josina Verheijden;<br />

Budel/Niederlande; Ole Jacob Moxnes, Steinkjer/<br />

Norwegen; Gudni G. Sigurdsson, Seltjarnarnes/Island<br />

<strong>DAAD</strong> Letter<br />

Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />

Herausgeber:<br />

Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V., Bonn<br />

Kennedyallee 50, 53175 Bonn, Germany<br />

Tel.: +49-228-882-0, Fax: +49-228-882-444<br />

E-Mail: postmaster@daad.de<br />

Redaktion: Katja Sproß (verantwortlich),<br />

Uschi Heidel, Dr. Isabell Lisberg-Haag, Dr. Leonie Loreck<br />

Weitere Autoren: Doris Bünnagel, Boris Hänßler (boh),<br />

Christine Hardt, Christian Hohlfeld (cho), Hermann Horstkotte<br />

(H.H.), Dr. Klaus Hübner (Michel), Christoph Kessler (CK), Katja<br />

Lüers, Bettina Mittelstraß (bcm), Horst Willi Schors (ors), Heiko<br />

Schwarzburger, Claudia Wallendorf (CW), Julia Walter (JW),<br />

Sabine Wygas<br />

Übersetzungen Abstracts: Tony Crawford<br />

Koordination: Sabine Pauly<br />

Redaktionsbeirat: Dr. Klaus Birk, Dr. Ursula Egyptien, Claudius<br />

Habbich, Dr. Michael Harms, Francis Hugenroth (Vorsitz),<br />

Dr. Anette Pieper, Christiane Schmeken, Nina Scholtes,<br />

Friederike Schomaker, Ruth Schulze, Dr. Siegbert Wuttig<br />

Gestaltung/Titel: axeptDESIGN, Berlin<br />

Titelfoto: Karl Johaentges/Look-foto<br />

Herstellung: Bonifatius GmbH Paderborn<br />

Redaktion Bonn:<br />

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Auch nicht ausgezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall<br />

die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

<strong>DAAD</strong> Letter erscheint dreimal im Jahr.<br />

Einzelpreis 4,– Euro, <strong>Jahre</strong>sabonnement 15,– Euro<br />

inklusive Porto und MwSt.<br />

Printed in Germany – Imprimé en Allemagne PVST <strong>20</strong>357<br />

Dieser Ausgabe liegt das Magazin Letter Literatur bei. Einem Teil<br />

dieser Ausgabe liegt ein Faltblatt des <strong>DAAD</strong>-Freundeskreises bei.


Darf nicht Gas geben:<br />

Michael Schumacher<br />

<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />

Deutsche chronik<br />

Eine Auswahl von Ereignissen, die in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten (1. August bis 30. November <strong>20</strong>09)<br />

11. August<br />

Comeback geplatzt<br />

Riesige Enttäuschung bei den Motorsportfans:<br />

Rekordweltmeister<br />

Michael Schumacher sagt seine<br />

Rückkehr in die Formel 1 ab. Die<br />

Folgen eines Motorrad-Unfalls im<br />

Februar würden ihn zu stark behindern.<br />

16.–23. August<br />

WM-Party in Berlin<br />

Berlin erlebt ein rauschendes<br />

Sportfest. Bei den Leichtathletik-<br />

Weltmeisterschaften pulverisiert<br />

der jamaikanische Ausnahmesprinter<br />

Usain Bolt seine eigenen<br />

Weltrekorde über 100 und <strong>20</strong>0<br />

Meter. Deutschland gewinnt überraschend<br />

neun Medaillen, darunter<br />

zwei goldene.<br />

30. August<br />

Wahlüberraschungen<br />

Bei Landtagswahlen im Saarland<br />

und in Thüringen verliert die CDU<br />

ihre absolute Mehrheit. Auch<br />

in Sachsen bleibt sie unter dem<br />

Wahlergebnis von <strong>20</strong>04. Dennoch<br />

bleibt sie in allen drei Bundesländern<br />

stärkste Partei. FDP und Grüne<br />

können bei allen drei Wahlen<br />

zulegen. Die SPD gewinnt lediglich<br />

in Thüringen dazu.<br />

Im Saarland bilden CDU, FDP und<br />

Bündnis 90/Die Grünen die erste<br />

„Jamaika“-Koalition auf Landesebene.<br />

Die Linke kommt unerwartet<br />

auf 21 Prozent, knapp hinter<br />

der SPD.<br />

Der thüringische Ministerpräsident<br />

Dieter Althaus (CDU) tritt<br />

nach der Wahl zurück. Seine<br />

Nachfolgerin Christine Lieberknecht<br />

(CDU) stützt sich auf eine<br />

Koalition mit der SPD, die sich<br />

überraschend gegen ein Bündnis<br />

mit den Linken und den Grünen<br />

entscheidet. Grüne und FDP<br />

schaffen erstmals seit 1990 den<br />

Einzug in den Landtag.<br />

In Sachsen regiert die CDU nun<br />

mit der FDP und nicht mehr mit<br />

der SPD. Die rechtsextreme NPD<br />

verliert fast vier Prozentpunkte,<br />

zieht aber dennoch mit 5,6 Prozent<br />

erneut in den Landtag ein.<br />

Ein mögliches Verbot der nationalistischen<br />

und fremdenfeindlichen<br />

Partei, die als verfassungsfeindlich<br />

gilt, wird in der Politik kontrovers<br />

diskutiert.<br />

4. September<br />

Kritik an Luftangriff<br />

Bei einem von der Bundeswehr<br />

angeforderten Luftangriff auf gestohlene<br />

Tanklaster sterben bei<br />

Kunduz in Afghanistan über 100<br />

Menschen. Darunter sind nicht<br />

nur Taliban-Kämpfer, sondern<br />

auch Zivilisten. Der Einsatz wird<br />

international als überzogen kritisiert<br />

und führt Ende November<br />

zum Rücktritt von Bundesverteidigungsminister<br />

Jung.<br />

12. September<br />

Tödliche Attacke<br />

Zwei Jugendliche prügeln auf einem<br />

S-Bahnhof in München einen<br />

50-Jährigen zu Tode. Der Mann<br />

hatte eine Gruppe von Kindern beschützt,<br />

die von den Jugendlichen<br />

zuvor bedroht worden waren. Der<br />

Verstorbene erhält posthum den<br />

Bayerischen Verdienstorden.<br />

27. September<br />

Partnerwechsel<br />

Bei den Bundestagswahlen kommen<br />

CDU/CSU nur auf 33,8 Prozent<br />

– das schlechteste Ergebnis<br />

seit 60 <strong>Jahre</strong>n. Dennoch bleibt<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

an der Macht – dank des Wunschpartners<br />

FDP, der mit 14,6 Prozent<br />

ein Rekordergebnis erzielt.<br />

FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle<br />

wird Vize-Kanzler und<br />

Außenminister. Die SPD, bislang<br />

Koalitionspartnerin, fährt mit 23<br />

Prozent ihr schlechtestes Resultat<br />

bei einer Bundestagswahl ein.<br />

Foto: Aldo Liverani / Andia<br />

Neben der FDP sind auch Linke<br />

(11,9 Prozent) und Grüne (10,7<br />

Prozent) stark wie nie.<br />

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg<br />

bleibt die SPD stärkste<br />

Kraft, geht aber nun eine Koalition<br />

mit den Linken ein. Die CDU<br />

geht in die Opposition. FDP und<br />

Grüne gelingt der Sprung in den<br />

Landtag.<br />

In Schleswig-Holstein verlieren<br />

bei vorgezogenen Landtagswahlen<br />

die ehemaligen Koalitionspartner<br />

CDU und SPD massiv an<br />

Stimmen. Die CDU koaliert nun<br />

mit der FDP. Erstmals ist Die Linke<br />

im Landtag vertreten.<br />

Neue Polit-Ehe: Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel und Vizekanzler<br />

Guido Westerwelle<br />

19. Oktober<br />

Ende einer Tradition<br />

Der traditionsreiche Quelle-Versand<br />

wird geschlossen. Der Insolvenzverwalter<br />

hatte monatelang<br />

vergeblich einen Investor für das<br />

zahlungsunfähige Unternehmen<br />

gesucht. Tausende Mitarbeiter<br />

verlieren ihren Job.<br />

26. Oktober<br />

Impfung startet<br />

In Deutschland startet die bundesweite<br />

Impfaktion gegen die sogenannte<br />

Schweinegrippe. Während<br />

Behörden eine Impfung empfehlen,<br />

zweifeln Kritiker an der Notwendigkeit.<br />

Andere warnen vor<br />

möglichen unbekannten Folgen<br />

des neuen Impfstoffes. Nach eher<br />

schleppendem Beginn steigt Anfang<br />

November die Nachfrage.<br />

3. November<br />

Doch kein Opel-Verkauf<br />

Der amerikanische Automobilhersteller<br />

General Motors sagt den<br />

mühsam eingefädelten Verkauf<br />

der deutschen Tochter Opel an<br />

den Investor Magna ab. Der US-<br />

Konzern sieht sich nach überstandener<br />

Insolvenz selbst in der Lage,<br />

Opel zu sanieren. Einsparungen<br />

soll es dennoch geben.<br />

10. November<br />

Trauer um Torwart<br />

Der Torhüter der deutschen<br />

Fußball-Nationalelf, Robert Enke,<br />

nimmt sich im Alter von 32 <strong>Jahre</strong>n<br />

das Leben. Nicht nur Fans<br />

trauern. Der Profi von Hannover<br />

96 litt – was kaum jemand wusste<br />

– seit <strong>20</strong>03 unter schweren Depressionen.<br />

Foto: picture-alliance/dpa<br />

12. November<br />

Studenten streiken wieder<br />

Nach dem Bildungsstreik im<br />

Sommer protestieren Studenten<br />

erneut bundesweit gegen Studiengebühren<br />

sowie die Folgen der<br />

Umstellung auf Bachelor- und<br />

Masterabschlüsse. Hochschulen<br />

und Politik halten an der Reform<br />

fest, kündigen aber Korrekturen<br />

an.<br />

14. November<br />

Neuer SPD-Vorsitzender<br />

Sigmar Gabriel (50) löst auf dem<br />

SPD-Parteitag Franz Müntefering<br />

(69) als Vorsitzenden ab.<br />

27. November<br />

Minister Jung gibt auf<br />

Bundesarbeitsminister Franz Josef<br />

Jung (60) tritt zurück. Dem<br />

CDU-Politiker wird vorgeworfen,<br />

als Verteidigungsminister Informationen<br />

über zivile Opfer bei<br />

dem Luftangriff bei Kunduz am<br />

4. September zurückgehalten zu<br />

haben. Seine Nachfolgerin wird<br />

Familienministerin Ursula von<br />

der Leyen (51), ebenfalls CDU. Deren<br />

Ministerium übernimmt die<br />

32-jährige Kristina Köhler (CDU).<br />

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