20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
nr. 3 dezember <strong>20</strong>09, 29. Jg.<br />
Perspektive von außen<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten erlebten die öffnung der Grenze<br />
<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Mauerfall</strong><br />
Wendesprache<br />
Schlüsselwörter der Vereinigung<br />
Wirtschaftskrise<br />
Mehr Moral für Manager<br />
Wohltaten<br />
Viel Engagement fürs Ehrenamt
Foto: Fotex / Lothar Kruse<br />
2<br />
InhalT<br />
Wollten endlich mitbestimmen:<br />
Studenten in Ost-Berlin<br />
S.4<br />
Wissen und Meer:<br />
Ortstermin Greifswald<br />
S.22<br />
Google-Chef Europa:<br />
<strong>DAAD</strong>-Alumnus Nelson Mattos<br />
ist leidenschaftlicher Informatiker<br />
S.39<br />
Titel:<br />
Offene Grenze:<br />
DDR-Bürger auf dem Weg in den Westen<br />
S.10<br />
Foto aus: Universität Leipzig 1943 bis 1992, Blecher/iemers,<br />
Sutton Verlag, Erfurt <strong>20</strong>06<br />
Foto: flickr.com<br />
Foto: Google<br />
<strong>DAAD</strong> Letter – Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
Dialog<br />
Die Mauer fällt zu früh<br />
Seite 4<br />
Über die Demokratiebewegung an der Humboldt-Uni<br />
vor dem <strong>Mauerfall</strong> S. 4<br />
<strong>DAAD</strong>-Standpunkt S. 6<br />
Spektrum Deutschland Seite 7<br />
Titel Seite 10<br />
Vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten waren Augenzeugen,<br />
als die Mauer fiel S. 10<br />
Eine Reform von oben<br />
Umbau der ostdeutschen Hochschulen S. 14<br />
Sprachrevolte von kurzer Dauer<br />
Wortschöpfungen der Wendezeit S. 16<br />
Hochschule Seite 18<br />
Neues vom Campus<br />
Wissenschaft Seite <strong>20</strong><br />
Moral für künftige Manager<br />
Ethik findet in Wirtschaftswissenschaften<br />
stärkere Beachtung<br />
Ortstermin Seite 22<br />
Greifswald: Kurze Wege für Wissenschaft<br />
Europa Seite 24<br />
Kein Luxus<br />
Afrika und Europa – eine Partnerschaft auf Augenhöhe<br />
Trends Seite 26<br />
Helfer aus Leidenschaft<br />
Ehrenamtliches Engagement nimmt zu<br />
Rätsel Seite 28<br />
Sprachecke Seite 29<br />
<strong>DAAD</strong> Report<br />
Deutschland „ganz normal“<br />
Bundestagswahl aus der Sicht<br />
Seite 30<br />
ausländischer Wissenschaftler<br />
Sternstunden eines Programms<br />
S. 30<br />
Umgestaltung vom Plan zum Markt S. 32<br />
Nachrichten S. 33<br />
Stipendiaten forschen<br />
Gestern Stipendiat – und heute ...<br />
S. 34<br />
Nelson Mattos S. 39<br />
Köpfe S. 41<br />
Impressum S. 42<br />
Deutsche Chronik Seite 43<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n brachten die Menschen in<br />
der DDR mit ihrer friedlichen Revolution<br />
die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten<br />
zu Fall – mit weitreichenden politischen<br />
Folgen. Viele Ausländer waren im November<br />
1989 in Berlin dabei, darunter zahlreiche<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten. Dort, wo einst Betonmauer<br />
und Todesstreifen die Deutschen voneinander<br />
trennten, herrschte vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
ausgelassene Volksfeststimmung. Der niederländische<br />
Schriftsteller Cees Nooteboom,<br />
damals Gast im Berliner Künstlerprogramm<br />
des <strong>DAAD</strong>, hielt seine Erinnerungen zeitnah<br />
in einem Tagebuch fest. Als er jetzt, im Herbst<br />
<strong>20</strong>09, wieder einmal in der Hauptstadt war,<br />
sagte er aus vollem Herzen: „Dass ich den<br />
<strong>Mauerfall</strong> erlebt habe, war ein unglaublicher<br />
Glücksfall in meinem Leben.“ Lesen Sie seine<br />
und die Erinnerungen anderer Alumni in der<br />
Titelgeschichte (Seite 10).<br />
Der Aufbruch in der DDR spiegelte sich<br />
auch in einer gewandelten Sprache. Die<br />
leeren SED-Parolen und das lähmende DDR-<br />
Amtsdeutsch hatten ausgedient. Betonkopf,<br />
Ossi, Wendehals – manche Wortschöpfungen<br />
dieser politischen Wendezeit halten sich bis<br />
heute, andere sind kaum noch in Gebrauch.<br />
Was die deutsche Wiedervereinigung für die<br />
Sprachkultur bedeutete, erfahren Sie auf den<br />
Seiten 16–17. Wie sie sich auf die Hochschulen<br />
im Osten auswirkte, ist auf Seite 14 zu lesen.<br />
Ein Beispiel ist die im Nordosten Deutschlands<br />
gelegene Universität Greifswald.<br />
Ihr brachte die politische Wende zunächst die<br />
bittere Wahrheit, international nicht mithalten<br />
zu können. Aber die Greifswalder nutzten<br />
die Chance der Erneuerung und sind heute<br />
sowohl in den Naturwissenschaften als auch<br />
in der Medizin Spitze. Das Porträt der Studentenstadt<br />
und Forschungsregion Greifswald<br />
zeichnet den wissenschaftlichen Wandel nach<br />
(Seite 22).<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Um gesellschaftlichen Wandel geht es in<br />
der Rubrik Trends (Seite 26): Immer mehr<br />
Deutsche engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich,<br />
sei es im Fußballverein oder in der<br />
Krankenbetreuung. So kommen unglaubliche<br />
4,6 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr ohne<br />
Entlohnung zusammen. Nach wie vor geht es<br />
den Helfern darum, Gutes zu tun, aber ebenso<br />
stark ist der Wunsch nach gesellschaftlicher<br />
Mitgestaltung und danach, einen eigenen Nutzen<br />
aus dem Engagement zu ziehen.<br />
Im Dienst der Gesellschaft sollte auch die<br />
Wirtschaft stehen – und nicht umgekehrt.<br />
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
lässt Zweifel aufkommen, welche Maßstäbe<br />
Banker und Unternehmer sich selbst setzen.<br />
In Deutschland hat die Krise die Diskussion<br />
um Ethik als Schwerpunkt im Studienfach<br />
Wirtschaftswissenschaften neu belebt<br />
(Seite <strong>20</strong>).<br />
Man nannte sie die Lore(ck)ley,<br />
kein Thema ging an ihr vorbei,<br />
die Harfe war ihr „Letter“;<br />
wo Heine gut war,<br />
war sie better.<br />
(unbekannter rheinischer Dichter, frühes 21.Jh.)<br />
EdITorIal 3<br />
Ein Wort in eigener Sache: Anfang <strong>20</strong>09,<br />
nach 26 <strong>Jahre</strong>n, verabschiedete sich Leonie<br />
Loreck von der Chefredaktion des Letter. Sie<br />
prägte das <strong>DAAD</strong>-Alumni<strong>magazin</strong>. „Deutschland<br />
immer wieder neu erklären“, lautete ihr<br />
Motto. Ganz zurückgezogen hat sich Leonie<br />
Loreck aber nicht: Als Autorin – sie sammelte<br />
in dieser Ausgabe unter anderem die Stimmen<br />
der Alumni zum <strong>Mauerfall</strong> – und als Ratgeberin<br />
steht sie der heutigen Redaktion nach<br />
wie vor zur Seite. Dafür danken wir ihr. Den<br />
persönlichen handgezeichneten Dank von<br />
<strong>DAAD</strong>-Generalsekretär Christian Bode sehen<br />
Sie ebenfalls auf dieser Seite.<br />
W<br />
ir wünschen allen Leserinnen und<br />
Lesern ein frohes, gesundes und friedliches<br />
Jahr <strong>20</strong>10.<br />
Der <strong>DAAD</strong> und die Letter-Redaktion<br />
Illustration: Christian Bode
4 dIalog<br />
Foto: Metin Yilmaz<br />
die Mauer fällt zu früh<br />
Der Tag, als die Mauer die Wahlurnen der Humboldt-Uni unter sich begrub VON CHRISTIAN FÜLLER<br />
Christian Füller, 45,<br />
Politikredakteur bei der<br />
Berliner Tageszeitung<br />
„taz“ und Autor mehrerer Bücher, war 1990/91<br />
Stipendiat des <strong>DAAD</strong> in Ostberlin und Leipzig.<br />
Die Zusage für das Stipendium bekam er noch<br />
zur DDR-Zeit, denn bereits seit 1988 konnten<br />
Westdeutsche an ostdeutschen Universitäten<br />
studieren und forschen. Möglich war dieser vom<br />
<strong>DAAD</strong> organisierte Studentenaustausch durch<br />
das Kulturabkommen von 1986 und eine Vereinbarung<br />
über wissenschaftliche Zusammenarbeit<br />
von 1987. Mehrere Hundert west- und<br />
ostdeutsche Studierende wechselten damals<br />
über die innerdeutsche Grenze.<br />
Christian Füller, zu der Zeit Politologiestudent<br />
an der Freien Universität Berlin, nutzte diese<br />
Chance, um für seine Diplomarbeit über „Die<br />
Rolle der Studierenden beim Umbruch in den<br />
DDR-Universitäten 1989–1990“ zu forschen.<br />
Dazu befragte er Studierende in Ostberlin<br />
und Leipzig. Am 9. November 1989 war Füller<br />
selbst nicht in Berlin, sondern steckte in einem<br />
rund 50 Kilometer langen Stau auf dem Weg<br />
von Bonn nach Berlin. Was er einen fiktiven<br />
Studenten der Humboldt-Uni im nebenstehenden<br />
Beitrag sagen lässt, ist eine Zusammenstellung<br />
aus seinen 1990 durchgeführten<br />
Recherchen und Gruppeninterviews.<br />
Foto: ullstein - dpa(85)<br />
Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer<br />
fiel und die Grenze zwischen beiden<br />
deutschen Staaten geöffnet wurde, waren<br />
davon auch die Studenten an den DDR-<br />
Hochschulen völlig überrascht. Anzeichen<br />
von Veränderung hatte es an den Unis<br />
allerdings schon vorher gegeben: Studierende<br />
suchten Auswege aus dem politisch<br />
autoritären System und begannen sich dagegen<br />
zu wehren, dass die „Freie Deutsche<br />
Jugend“ (FDJ) als staatliche Massenorganisation<br />
allein für die Vertretung der Studenten<br />
zuständig war.<br />
An der Uni Leipzig beschlossen Studierende<br />
Ende Oktober die damals illegale Gründung<br />
eines Studentenrats und forderten<br />
die Abschaffung der Pflichtstunden im<br />
Fach Marxismus-Leninismus. Auch an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin suchten<br />
Studenten nach neuen Formen der Mitsprache.<br />
Sie hatten für den 10. November<br />
eine große Pressekonferenz geplant, auf<br />
der sie die Abwahl der FDJ-Vertreter verkünden<br />
wollten. Doch durch die Ereignisse<br />
vom 9. November kam alles anders.<br />
Christian Füller rekonstruiert für Letter<br />
die Situation von damals, indem er sich in<br />
die Lage der DDR-Studenten hineinversetzt.<br />
Aus der Sicht eines dieser Studenten<br />
schildert er den Tag des <strong>Mauerfall</strong>s an der<br />
Humboldt-Universität. Dabei stützt er sich<br />
auf Interviews, die er als Westberliner Politologiestudent<br />
und <strong>DAAD</strong>-Stipendiat 1990<br />
an der Humboldt-Universität geführt hat<br />
(siehe Kasten).<br />
Ich erinnere mich nur schemenhaft an den<br />
9. November 1989. <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> sind doch eine<br />
lange Zeit. Allerdings graben sich bestimmte<br />
Erlebnisse ein – dann nämlich, wenn sie Geschichte<br />
gemacht haben. Wir hatten die Nacht<br />
über gezählt, Stimmen gezählt. Immerhin<br />
wollten wir uns als Studenten nicht weiter sagen<br />
lassen, wir seien das fünfte Rad am Wagen<br />
der Historie. Also hatten wir eine demokratische<br />
Urabstimmung darüber angesetzt, ob<br />
die FDJ als Massenorganisation weiterhin die<br />
Vertretung unserer Belange sein sollte – oder<br />
ob wir künftig selbst unsere Vertreter aufstellen<br />
und wählen sollten.<br />
Unsere Lage war nicht schlecht. Es hatten viele<br />
Studenten mit abgestimmt. Für den 10. November<br />
war eine Pressekonferenz geplant, zu<br />
der sich viele Medienleute angemeldet hatten.<br />
Wir hatten die Chance unseres jungen demokratischen<br />
Lebens: Die erste Gruppe in der<br />
DDR zu sein, die ihre im Staatsaufbau vorgesehene<br />
Vertretung einfach abwählt. Aber wir<br />
mussten fertig werden!<br />
Unser Ehrgeiz war groß, denn es gab ja auch<br />
noch die Leipziger. Dort hatten sich die Studenten<br />
nach und nach unter die Teilnehmer<br />
der Montagsdemonstrationen gemischt. Manche<br />
hatten sie auch mit organisiert - wenn<br />
auch nicht als Studenten, sondern als Mitglieder<br />
kirchlicher oder Umwelt-Gruppen, die<br />
nicht mehr mitansehen mochten, wie mit den<br />
Menschen in der DDR umgegangen wurde.<br />
Wir lieferten uns also mit den Studenten aus<br />
Leipzig ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wem würde<br />
es gelingen, eine echte demokratische Studentenvertretung<br />
aufzubauen? Und das mit demokratischen<br />
Mitteln. Wir waren sehr erpicht<br />
darauf, mit einwandfreien demokratischen<br />
Methoden die FDJ abzuwählen!<br />
Die Berliner Humboldt-Universität<br />
zur DDR-Zeit<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Wir an der Humboldt-Universität hatten den<br />
Ball aus Leipzig aufgegriffen. Nach den Sommerferien<br />
1989 waren wir zunächst verwundert,<br />
dass relativ viele Studenten wieder an<br />
die Uni zurückgekehrt waren. Nicht sehr viele<br />
waren über Prag oder Ungarn in den Westen<br />
geflüchtet. Gleichzeitig herrschte an der Uni<br />
eine sehr merkwürdige Stimmung. Allen war<br />
klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die<br />
Prügelorgie gegen Demonstranten am 7. Oktober<br />
in Berlin, dem 40. <strong>Jahre</strong>stag der Gründung<br />
der DDR, gab den Ausschlag.<br />
Manche von uns hatten das mitbekommen<br />
oder wurden selbst geschlagen oder verhaftet.<br />
Am 12. Oktober gab es eine spontane<br />
Versammlung an der Mensa Nord in der Reinhardtstraße.<br />
Wir Studenten machten deutlich:<br />
So lassen wir nicht mehr mit uns umspringen.<br />
Wir forderten die sofortige Freilassung der<br />
Inhaftierten („Zugeführten“, wie man damals<br />
sagte) und die Bestrafung der „Prügelpolizisten“.<br />
Wir wollten darüber hinaus das, was man seit<br />
Menschengedenken in demokratischen Prozessen<br />
fordert: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit,<br />
Versammlungsfreiheit. Wir wollten einen<br />
offenen Dialog über die Vorgänge in Staat und<br />
Uni und Veränderungen an der Universität<br />
selbst – also den freien Umgang mit Wissenschaft,<br />
Offenheit im Seminardiskurs und die<br />
Abschaffung der obligatorischen „Roten Woche“,<br />
in der Studenten und Dozenten politisch<br />
„auf Linie gebracht“ werden sollten.<br />
Die Versammlung vom 12. Oktober wurde uns<br />
allerdings schnell von FDJ-Funktionären aus<br />
der Hand genommen. Der Auflauf war auch<br />
gut von Leuten der Staatssicherheit (Stasi)<br />
überwacht. Doch stoppen konnten sie nichts<br />
mehr. Am 17. Oktober kam es zu einer Studenten-Versammlung<br />
in der Humboldt-Uni.<br />
Damals war es – wie wir heute wissen – das<br />
Ziel der FDJ sowie der Stasi und alarmierter<br />
Polizeikräfte, auf jeden Fall zu verhindern,<br />
dass womöglich eine spontane Versammlung<br />
aus der Humboldt-Universität heraus auf die<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: ullstein bild - Fisahn<br />
Straße marschierte – und Richtung Volkskammer<br />
zog. Oder, was schlimmer gewesen wäre,<br />
zum Brandenburger Tor! Stellen Sie sich vor:<br />
DDR-Studenten fordern vor dem Brandenburger<br />
Tor Veränderungen.<br />
Aber dazu kam es nicht. Die FDJ allerdings hatte<br />
auch keine Chance. Wir diskutierten in den<br />
einzelnen Hörsälen, und es war vollkommen<br />
klar: Die Studenten wollten eine Abstimmung<br />
über die FDJ. Genau diese Urabstimmung wurde<br />
beschlossen – und dann auch gemacht.<br />
Über diesen Stimmzetteln saßen wir am 9. November<br />
1989. Wir leerten die Urnen und freuten<br />
uns, dass wir am 10. November bei einer<br />
Pressekonferenz verkünden konnten, dass 60<br />
oder 70 Prozent der Studierenden der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin die FDJ einfach<br />
abgewählt hatten. Allein – und das müssen<br />
wir heute niemandem erklären: Zu der Pressekonferenz<br />
kam es nicht, und es wäre auch<br />
kein Mensch mehr dorthin gekommen. Nicht<br />
einmal wir. Denn auch viele von uns hatten<br />
Urnen und Wahlzettel stehen gelassen und<br />
waren rüber in den Westen auf den Kurfürstendamm.<br />
dIalog<br />
Die Mauer öffnete sich. Die DDR hatte damit<br />
faktisch aufgehört zu existieren. Auch wenn<br />
sie noch ein paar Zuckungen machte. Wir waren<br />
froh – und fühlten uns zugleich betrogen.<br />
Wieso hatte diese blöde Mauer nicht noch<br />
einen einzigen Tag länger halten können?<br />
Wir wären in der „Aktuellen Kamera“ in den<br />
Abendnachrichten des DDR-Fernsehens gewesen.<br />
Wir hätten in allen Zeitungen gestanden<br />
als jene Gruppe, die beginnt, von innen heraus<br />
die DDR zu demokratisieren. Ich erinnere<br />
mich an den Satz eines Kommilitonen:<br />
„Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich<br />
mir gewünscht, dass die Mauer bitte stehenbleiben<br />
möge – für 24 Stunden!“ So aber hatte<br />
uns die Geschichte um unsere Urabstimmung<br />
betrogen. Oder waren wir einfach zu spät aufgewacht?<br />
Studenten an der Humboldt-Uni:<br />
Diskussionsveranstaltung über die<br />
Jugendorganisation FDJ am<br />
17. Oktober 1989<br />
5
6 dIalog<br />
Zusammenarbeit<br />
mit Krisenstaaten<br />
Auch in schwierigem Umfeld engagieren sich<br />
<strong>DAAD</strong> und deutsche Hochschulen für den<br />
wissenschaftlichen Austausch<br />
Von Stefan Hormuth<br />
Jeder kennt die beunruhigenden Nachrichten<br />
aus Afghanistan, Pakistan, Irak und<br />
anderen Kriegs- und Krisengebieten der Welt.<br />
Was die wenigsten wissen: Auch in diesen<br />
Regionen unterstützt der <strong>DAAD</strong> deutsche<br />
Universitäten und Fachhochschulen darin,<br />
Kontakte zu ihren akademischen Partnern,<br />
zu Forschern und Wissenschaftlern zu halten<br />
oder zu knüpfen. Die Gründe für dieses<br />
Engagement sind vielfältig – zum einen sind<br />
wir davon überzeugt, dass wissenschaftliche<br />
Kooperation und offener Dialog mit intellektuellen<br />
Eliten und Studierenden möglichen<br />
Konflikten vorbeugen und zur Aufarbeitung<br />
beitragen können. Zum anderen sind Hochschulen<br />
zentrale Orte, um nach kriegerischen<br />
Auseinandersetzungen Fachkräfte für den<br />
Wiederaufbau auszubilden und einen wichtigen<br />
Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft<br />
zu leisten.<br />
Eines der zentralen Beispiele für die Kooperation<br />
mit krisengeschüttelten Staaten ist die Zusammenarbeit<br />
mit Afghanistan. Im Dezember<br />
<strong>20</strong>01 legte die Bundesregierung das Sonderprogramm<br />
„Stabilitätspakt Afghanistan“ auf.<br />
Der <strong>DAAD</strong> erhielt den Auftrag, mit jährlichen<br />
Zuwendungen des Auswärtigen Amtes den<br />
deutschen Beitrag zum akademischen Aufbau<br />
zu organisieren und zu koordinieren. Sondierungsreisen<br />
nach Kabul im Jahr <strong>20</strong>02 machten<br />
deutlich, dass es an allem fehlte: Es gab kaum<br />
qualifizierte Dozenten, denn viele waren im<br />
Krieg ums Leben gekommen. Die verbliebenen<br />
verfügten häufig nur über international<br />
nicht anerkannte Bachelor-Abschlüsse. Auch<br />
an Lehrmitteln, modernen Curricula sowie<br />
an Strom, Wasser und Gebäuden mangelte<br />
es. Die Soforthilfe bestand darin, möglichst<br />
viele afghanische Dozenten in speziellen<br />
Sommer- und Winterakademien an deutschen<br />
Hochschulen mit dem nötigsten Fachwissen<br />
zu versorgen und Spielräume für künftige Kooperationen<br />
auszuloten. Anschließend wurde<br />
die Zusammenarbeit mit den afghanischen<br />
Partnerhochschulen ausgeweitet und es wurden<br />
Fachkoordinatoren und Schwerpunktfächer<br />
für den weiteren zielgerichteten Aufbau<br />
ausgewählt.<br />
Die Erfolge sind bereits klar erkennbar: Das<br />
Bachelorstudium ist modernisiert, die technischen<br />
Einrichtungen sind verbessert, die Lehrmittel<br />
weitgehend aktualisiert. Die ersten Stipendiaten<br />
kehrten mit deutschen Master- und<br />
PhD-Abschlüssen an ihre Heimathochschulen<br />
zurück, wo sie nun unterrichten. Besonders<br />
erfreulich ist, dass ein Fünftel der geförderten<br />
Afghanen Frauen sind. Noch bleibt viel zu<br />
tun, doch eines ist klar: Krisenstaaten bleiben<br />
nicht immer Krisenstaaten. Ein gutes Beispiel<br />
dafür ist ein anderer Stabilitätspakt, nämlich<br />
Foto: Franz Möller<br />
daad-Standpunkt<br />
Professor Stefan Hormuth ist<br />
Präsident des <strong>DAAD</strong><br />
der für Südosteuropa. Hier konnten deutsche<br />
Hochschulen unmittelbar nach dem Ende der<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen den wissenschaftlichen<br />
Austausch nahtlos mit ihren<br />
Partnern fortsetzen, weil sie auch während der<br />
Krise verlässlich geblieben waren.<br />
Das jüngste Beispiel für die intensive Zusammenarbeit<br />
mit einem Krisenstaat ist die Strategische<br />
Akademische Partnerschaft mit dem<br />
Irak. Im Februar <strong>20</strong>09 haben der <strong>DAAD</strong> und<br />
das dortige Hochschulministerium eine weitreichende<br />
Vereinbarung geschlossen, die unter<br />
anderem ein großes kofinanziertes Stipendienprogramm<br />
umfasst sowie deutsch-irakische<br />
Hochschulpartnerschaften in ausgesuchten<br />
Fachbereichen initiiert und unterstützt.<br />
Das Fernziel dieser vom Auswärtigen Amt<br />
nach Kräften geförderten Partnerschaft ist der<br />
Aufbau einer deutsch-irakischen Universität.<br />
Auf den ersten Blick mag dieses Ziel sehr ambitioniert<br />
erscheinen – das Interesse der deutschen<br />
Universitäten und Fachhochschulen an<br />
diesem Programm ist jedoch enorm. Die Hochschulen<br />
wissen, dass in der Zusammenarbeit<br />
mit Krisenstaaten auch große Chancen liegen.<br />
Nicht zuletzt deshalb, weil sich Vertrauen und<br />
Verlässlichkeit in schwierigen Zeiten häufig<br />
später auszahlen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Foto: ullstein bild - Reuters<br />
Hohe Auszeichnung<br />
Literaturnobelpreis für Herta Müller<br />
Die in Rumänien geborene deutsche Schriftstellerin<br />
Herta Müller erhielt den diesjährigen<br />
Nobelpreis für Literatur. Ausgezeichnet wurde<br />
sie als Autorin, die sich in ihren Werken<br />
immer wieder mit ihren Erfahrungen in der<br />
Diktatur auseinandersetzt und – so das Nobelpreiskomitee<br />
– „mittels Verdichtung der Poesie<br />
und Sachlichkeit der Prosa Landschaften<br />
der Heimatlosigkeit zeichnet“.<br />
Herta Müller wurde 1953 in Nitzkydorf im<br />
Gebiet der Banater Schwaben geboren. Sie studierte<br />
Germanistik und rumänische Literatur<br />
an der Universität in Temesvar und arbeitete<br />
zunächst als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik.<br />
Nach ihrer Weigerung, mit dem rumänischen<br />
Geheimdienst zusammenzuarbeiten,<br />
wurde sie entlassen. Sie war zeitweilig als Lehrerin<br />
tätig und seit 1984 freie Schriftstellerin.<br />
Als Regimegegnerin erhielt sie Schreibverbot<br />
und wurde mehrfach durch die Geheimpolizei<br />
bedroht. 1987 reiste sie in die Bundesrepublik<br />
Deutschland aus und wohnt seitdem in Berlin.<br />
Das Leben im totalitären Staat, konkret im<br />
Rumänien des kommunistischen Diktators<br />
Ceaucescu, die Atmosphäre der Angst und das<br />
Leiden der Menschen unter der Gewaltherrschaft<br />
stehen im Zentrum ihrer Romane und<br />
Erzählungen, die in einer poetischen, bilderreichen<br />
und assoziativen Sprache geschrieben<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
sind. Ihre Erfahrungen des Schreibens unter<br />
den Bedingungen des Zwangssystems und die<br />
Bedeutung von Literatur im Totalitarismus waren<br />
auch ihre Themen bei mehreren Gastaufenthalten<br />
an ausländischen Universitäten, bei<br />
denen sie vom <strong>DAAD</strong> gefördert wurde. 1993<br />
war sie Writer-in-Residence an der britischen<br />
University of Warwick, 1995 unterrichtete sie<br />
als Poetik-Gastprofessorin an der Universidade<br />
de Lisboa in Portugal.<br />
Blick in den Lesesaal<br />
des neuen Jacob- und<br />
Wilhelm-Grimm-Zentrums<br />
Herta Müller<br />
liest aus ihrem<br />
neuen Roman<br />
„Atemschaukel“<br />
SpEKTruM dEuTSchland<br />
Aufsehen erregte Herta Müller mit ihrem<br />
jüngsten Roman „Atemschaukel“ (<strong>20</strong>09), in<br />
dem sie die Deportation der Rumäniendeutschen<br />
in sowjetische Lager gegen Ende des<br />
Zweiten Weltkrieges zum Thema macht. Den<br />
mit fast einer Million Euro dotierten Preis<br />
nahm Herta Müller im Dezember in Stockholm<br />
entgegen – zehn <strong>Jahre</strong> nach Günter Grass als<br />
erste Deutsche und weltweit als zwölfte Frau.<br />
Llo<br />
Neue Bibliothek<br />
Terrassenlandschaft mit Büchern<br />
Berlin ist um eine große Bibliothek und einen<br />
markanten Neubau reicher. Die Berliner Humboldt-Universität<br />
(HUB), die bisher mit ihren<br />
Büchern Untermieter in der Berliner Staatsbibliothek<br />
war, eröffnete im November ihr neues<br />
Bibliotheksgebäude, das Jacob- und Wilhelm-<br />
Grimm-Zentrum. Der siebenstöckige Bau des<br />
Schweizer Architekten Max Dudler hat bereits<br />
den Architekturpreis Berlin <strong>20</strong>09 erhalten.<br />
Außen streng und kantig, besticht die Bibliothek<br />
innen mit ihrem luftig-lockeren Lesesaal,<br />
in dem sich beidseitig Terrassen mit den<br />
Leseplätzen erstrecken. Von dort ist der Weg<br />
kurz zu den Büchern. 1,5 Millionen sind im<br />
Freihandbereich aufgestellt, Platz ist hier für<br />
zwei Millionen Bücher.<br />
Die Besucher – täglich nutzen bereits 5000<br />
das neue Angebot – finden neben 1250 Leseplätzen<br />
mit moderner elektronischer Ausrüstung<br />
auch viele Bände aus dem historischen<br />
Bestand der altehrwürdigen Bibliothek. Zugänglich<br />
sind rund 1000 erhaltene Bände aus<br />
der Privatbibliothek der Brüder Grimm. Für<br />
deutsche Verhältnisse besonders komfortabel:<br />
Die Bibliothek ist wochentags bis Mitternacht,<br />
am Wochenende bis 18 Uhr geöffnet. Llo<br />
7<br />
Foto: Stefan Müller
Gedenkfeiern<br />
<strong>Mauerfall</strong> mit Dominosteinen<br />
<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Grenzöffnung in Berlin<br />
ist die Mauer erneut zum Einsturz gebracht<br />
worden – symbolisch. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung<br />
zur Erinnerung an den<br />
9. November 1989 ließ die Stadt Berlin 1000<br />
von Schülern und Künstlern bunt bemalte<br />
und übermannsgroße Mauerstücke aus Styropor<br />
nahe dem Brandenburger Tor aufstellen.<br />
Polens Ex-Präsident Lech Walesa übernahm<br />
die ehrenvolle Aufgabe, ein erstes Mauerstück<br />
umzustoßen, so dass die vielen Einzelteile,<br />
aufgereiht wie Dominosteine, nacheinander<br />
umkippten.<br />
28 <strong>Jahre</strong> lang trennte die „echte“ Mauer die<br />
Berliner. Sie war am 13. August 1961 von der<br />
DDR errichtet worden, um die Fluchtwelle von<br />
Ost nach West zu stoppen. 1989 flüchteten Tausende<br />
DDR-Bürger über Ungarn und die Tschechoslowakei<br />
in den Westen. Daraufhin gab die<br />
DDR am 9. November eine neue Reiseregelung<br />
bekannt. Sofort strömten Tausende Ostberliner<br />
an die scharf bewachten Grenzübergänge<br />
und erzwangen den Übertritt auf Westberliner<br />
Gebiet. Ein Jahr später, am 3. Oktober 1990,<br />
wurde die Deutsche Einheit offiziell vollzogen.<br />
An der <strong>20</strong>-Jahr-Feier zum <strong>Mauerfall</strong> beteiligten<br />
sich Prominente aus aller Welt, unter<br />
ihnen Russlands Präsident Medwedjew, der<br />
britische Premier Brown, Frankreichs Staatsoberhaupt<br />
Sarkozy und US-Außenministerin<br />
Clinton. Wie vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n herrschte rund um<br />
das Brandenburger Tor ausgelassene Volksfeststimmung.<br />
Die Musikband „Bon Jovi“<br />
spielte den Song „We weren’t born to follow“<br />
(„Wir waren nicht zu Untertanen geboren“)<br />
als Lobeshymne auf die DDR-Protestbewegung<br />
des <strong>Jahre</strong>s 1989.<br />
Auch der deutsche Staatsfeiertag am 3. Oktober<br />
stand im Zeichen der Einheitsfeiern. Die<br />
französische Künstlergruppe „Royal de Luxe“<br />
präsentierte in Berlin ein Märchen mit zwei<br />
hölzernen Riesenmarionetten. Von den Künstlern<br />
mit Hilfe von Kränen bewegt, kamen ein<br />
großer Riese und eine kleine Riesin aus dem<br />
Osten und Westen der Stadt aufeinander zu<br />
und fanden – symbolisch für die Wiedervereinigung<br />
Deutschlands – am Brandenburger<br />
Tor zusammen.<br />
Beide Großveranstaltungen – am 3. Oktober<br />
und am 9. November – waren aus Sicherheitsgründen<br />
mit vielen Straßensperrungen in der<br />
Berliner Innenstadt verbunden. Wie vor <strong>20</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n gab es deshalb am Brandenburger Tor<br />
für Fußgänger kaum ein Durchkommen. CK<br />
Urteil in Dresden<br />
Höchststrafe für Mord an Ägypterin<br />
Der Russlanddeutsche Alex Wiens, der am<br />
1. Juli <strong>20</strong>09 die Ägypterin Marwa el-Sherbini<br />
ermordete, wurde am 12. November zu lebenslanger<br />
Haft verurteilt. Das Urteil wurde in<br />
Deutschland und der muslimischen Welt mit<br />
Erleichterung aufgenommen.<br />
Der Täter hatte die schwangere Ägypterin in<br />
einem Dresdner Gerichtssaal angegriffen und<br />
niedergestochen. (Letter berichtete in Heft<br />
2/<strong>20</strong>09). Zuvor hatte die junge Frau den Mann<br />
angezeigt, weil er sie als Terroristin und Islamistin<br />
bezeichnet hatte. In erster Instanz war<br />
Wiens zu einer Geldstrafe verurteilt worden.<br />
Dagegen hatte er Berufung eingelegt. Bei der<br />
Tat während des Berufungsverfahrens wurde<br />
auch Marwa el-Sherbinis Ehemann schwer verletzt.<br />
In der Urteilsbegründung heißt es, dass<br />
Wiens’ Motiv „Ausländerhass“ gewesen sei.<br />
Foto: ullstein bild - Boness<br />
Die Eheleute lebten mit ihrem dreijährigen<br />
Sohn seit <strong>20</strong>08 in Dresden, wo die junge Frau<br />
als Apothekerin arbeitete. Ihr Mann, Elwi<br />
Ali Okaz, forschte als Stipendiat der ägyptischen<br />
Regierung am Max-Planck-Institut für<br />
Zellbiologie.<br />
Ägypten begrüßte das Urteil, in dem die besondere<br />
Schwere der Schuld festgestellt wird.<br />
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung,<br />
Maria Böhmer, sieht in dem Urteil ein<br />
Zeichen, dass in Deutschland „für Islamophobie<br />
und Fremdenfeindlichkeit kein Platz ist“.<br />
Llo<br />
Deutschland demografisch<br />
Bevölkerung schrumpft<br />
Die Zahl der Menschen in Deutschland sinkt<br />
beständig. Nach Angaben des Statistischen<br />
Bundesamts hat Deutschland derzeit 81,9 Millionen<br />
Einwohner, das sind 260 000 weniger<br />
als im Vorjahr. Nach Vorausberechnungen des<br />
Bundesamts werden es <strong>20</strong>60 nur noch 65 oder<br />
70 Millionen Menschen sein. Ein wesentlicher<br />
Grund für diese Entwicklung ist, dass es hierzulande<br />
mehr Sterbefälle als Geburten gibt.<br />
Das Ergebnis hängt mit der Altersstruktur<br />
der deutschen Bevölkerung zusammen. Bereits<br />
heute sind <strong>20</strong> Prozent der Menschen 65<br />
<strong>Jahre</strong> oder älter. Im Jahr <strong>20</strong>60, so die statistische<br />
Annahme, wird jeder Dritte mindestens<br />
65 <strong>Jahre</strong> alt, jeder Siebente 80 oder älter sein.<br />
Dann werde die Zahl der Sterbefälle das Dreifache<br />
der Geburtenzahl erreicht haben. Auch<br />
wenn mehr Kinder geboren würden, sei der<br />
Rückgang der Bevölkerung nicht aufzuhalten,<br />
meinen die Statistiker. Durch steigende Zuwanderung<br />
aus dem Ausland lasse sich der<br />
Trend nicht stoppen, aber abmildern. Llo<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Jubiläumsfeiern: Marionetten spielen das<br />
Märchen der Vereinigung nach (rechts), und<br />
die Mauer fällt noch einmal<br />
Tod eines jungen Afghanen<br />
Trauer um Sultan Mohammed<br />
Der Tod des jungen Afghanen Sultan Mohammed<br />
löste auch in Deutschland Bestürzung<br />
und Trauer aus. Der Master-Student an der Erfurt<br />
School of Public Policy wurde in der Nacht<br />
vom 8. auf den 9. September bei einer Befreiungsaktion<br />
nahe Kunduz getötet. Gemeinsam<br />
mit einem Journalisten der New York Times<br />
hatte er sich einige Tage in der Hand der Taliban<br />
befunden.<br />
Sultan Mohammed, Vater von zwei Kindern,<br />
hielt sich während der Semesterferien in Afghanistan<br />
auf und wollte zum Wintersemester<br />
mit seiner Familie nach Erfurt zurückkehren.<br />
Dort studierte er seit <strong>20</strong>08 gemeinsam mit 13<br />
weiteren jungen afghanischen Führungskräften<br />
in einem vom Auswärtigen Amt finanzierten<br />
und vom <strong>DAAD</strong> betreuten Master-of-Public-Policy-Programm.<br />
Sultan Mohammed hatte<br />
Journalismus studiert und in Kabul bereits<br />
als Reporter und Übersetzer für die New York<br />
Times gearbeitet.<br />
„Ich wurde im Krieg geboren, habe im Krieg<br />
gelebt und im Krieg studiert“, sagte er während<br />
eines Interviews in Erfurt. In Deutschland<br />
wollte er sich ganz auf die akademische<br />
Ausbildung konzentrieren, um in seiner Heimat<br />
später im öffentlichen Sektor für den Wiederaufbau<br />
und ein „besseres Bildungssystem“<br />
zu arbeiten. Sein tragischer Tod hat dies verhindert.<br />
Der <strong>DAAD</strong> und die Universität Erfurt<br />
trauern um ihn. Llo<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: Hans Scherhaufer<br />
Bundesregierung<br />
Politik-Star aus Vietnam<br />
Der neue Bundesgesundheitsminister Philipp<br />
Rösler (FDP), seit Oktober <strong>20</strong>09 im Amt, ist<br />
bereits zum Medien-Star avanciert. Mit 36 <strong>Jahre</strong>n<br />
gehört er nicht nur zu den jüngsten Ministern<br />
am Kabinettstisch von Kanzlerin Angela<br />
Merkel, sondern er ist außerdem der erste und<br />
einzige Bundesminister mit Migrationshintergrund.<br />
Röslers Lebenslauf liest sich wie ein Wirklichkeit<br />
gewordenes Märchen. Er wurde 1973<br />
während des Indochina-Kriegs in einem<br />
südvietnamesischen Dorf geboren, fand als<br />
Säugling Aufnahme in einem katholischen<br />
Waisenhaus und wurde von einem Ehepaar<br />
aus Hannover adoptiert. Über seine Schulzeit<br />
in Niedersachsen sagt Rösler, gerade wegen<br />
seines asiatischen Aussehens sei er von seinen<br />
Klassenkameraden akzeptiert worden,<br />
„weil die dachten, dass ich Kungfu und Karate<br />
kann“. Nach dem Abitur studierte Rösler Medizin<br />
und praktizierte als Augenarzt.<br />
Ungewöhnlich rasch machte der Mediziner<br />
in der niedersächsischen FDP Karriere: mit 27<br />
<strong>Jahre</strong>n Generalsekretär, mit 33 FDP-Fraktionschef<br />
im Landtag von Hannover. Anfang <strong>20</strong>09<br />
übernahm er das Amt des Wirtschaftsministers<br />
von Niedersachsen. Er gilt als glänzender<br />
Redner und größtes Nachwuchs-Talent der<br />
Liberalen.<br />
Rösler ist mit einer Ärztin verheiratet und<br />
Vater von Zwillingen. <strong>20</strong>06 kehrte der Politiker<br />
zum ersten Mal in sein Geburtsland Vietnam<br />
zurück. Dort existiert noch das Waisen-<br />
Minister mit Migrationshintergrund:<br />
Philipp Rösler<br />
SpEKTruM dEuTSchland<br />
haus, in dem er als Säugling versorgt wurde.<br />
Ungeklärt sind sein exaktes Geburtsdatum<br />
und die Identität seiner leiblichen Eltern, denn<br />
darüber gibt es keine Dokumente mehr. CK<br />
In Kürze<br />
In Deutschland sind Frauen in der Überzahl.<br />
49 Prozent der knapp 82 Millionen Einwohner<br />
waren Ende <strong>20</strong>08 männlich. Vergleicht<br />
man heutige Zahlen mit denen von 1961, hat<br />
sich das Geschlechterverhältnis jedoch deutlich<br />
angeglichen. 1961 standen – als Folge des<br />
Zweiten Weltkrieges – 1000 Männern noch<br />
1147 Frauen gegenüber, Ende <strong>20</strong>08 waren es<br />
nur noch 1041 Frauen. Umgekehrt verhält es<br />
sich bei den in Deutschland lebenden 7,2 Millionen<br />
Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit.<br />
Unter ihnen war Ende <strong>20</strong>08 die<br />
Mehrheit (51,1 Prozent) männlich.<br />
Polnisch gilt in Deutschland als schwierige<br />
Sprache. Um die Nachbar-Sprache populärer<br />
zu machen, gibt es an deutschen Schulen jetzt<br />
das erste Schulbuch für Polnisch als Fremdsprache.<br />
Erika Worbs, Polnisch-Professorin<br />
an der Universität Germersheim (Rheinland-<br />
Pfalz), hat es in Zusammenarbeit mit dem<br />
Deutschen Poleninstitut in Darmstadt herausgegeben.<br />
Das Lehrbuch mit dem Titel „Witaj<br />
Polsko!“ („Willkommen Polen!“) wurde für 13<br />
bis 19-Jährige verfasst. Es thematisiert unter<br />
anderem die deutsch-polnischen Beziehungen.<br />
Zurzeit lernen lediglich rund 5 000 Schüler<br />
an deutschen Schulen Polnisch. Interesse<br />
an der polnischen Sprache gibt es vor allem<br />
in den an Polen angrenzenden Bundesländern<br />
Brandenburg und Sachsen.<br />
Noch nie haben in Deutschland so viele junge<br />
Menschen ein Studium begonnen wie in<br />
diesem Jahr. Insgesamt waren es 423 400<br />
Studienanfänger, das sind nach Angaben<br />
des Statistischen Bundesamts knapp sieben<br />
Prozent mehr als <strong>20</strong>08. Die Zahl aller Studierenden<br />
ist damit auf rund 2,13 Millionen<br />
gestiegen, das sind fünf Prozent mehr als im<br />
Vorjahr. Unter den Studienanfängern sind<br />
knapp 50 Prozent Frauen. Der neue Rekord<br />
wird zum Teil auf die geburtenstarken Abiturjahrgänge<br />
der letzten <strong>Jahre</strong> zurückgeführt.<br />
Hinzu kommen doppelte Abiturjahrgänge in<br />
solchen Bundesländern, die die Schulzeit an<br />
Gymnasien um ein Jahr verkürzt haben.<br />
9
10 TITEl<br />
" Plotzlich war<br />
die Mauer weg“<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiaten waren<br />
Augenzeugen, als vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
in Berlin die Mauer fiel<br />
Groß war das internationale Interesse, als<br />
Deutschland in diesem Jahr den <strong>20</strong>. <strong>Jahre</strong>stag des<br />
<strong>Mauerfall</strong>s feierte. Und schon damals, als sich<br />
die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten<br />
plötzlich öffnete, teilten ausländische Beobachter<br />
die Begeisterung der Deutschen in Ost und<br />
West. Zeugen des welthistorischen Ereignisses<br />
waren auch internationale <strong>DAAD</strong>-Stipendiaten,<br />
die sich Ende 1989 in Deutschland aufhielten,<br />
hier studierten oder forschten. Letter fragte<br />
Alumni nach ihren Eindrücken. Ob Schriftsteller,<br />
Philosoph oder Physiker, ob aus den Niederlanden,<br />
aus Peru oder Australien – die Bilder von damals<br />
bewegen sie bis heute.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
" Sie sind das Volk“<br />
Von Cees Nooteboom, Niederlande<br />
Donnerstagabend. Ich bin zurück in Berlin<br />
und mit Fotografin und einem Freund in einem<br />
Taxi unterwegs. (...)Der Taxifahrer ist ein<br />
Mädchen (...) Sie ist aufgeregt, wirft die blonden<br />
Haare zurück, schreit fast. Die Mauer sei<br />
geöffnet, alle seien auf dem Weg zum Brandenburger<br />
Tor, ganz Berlin sei auf den Beinen,<br />
wenn wir nichts dagegen hätten, würde sie<br />
uns hinfahren, sie wolle es auch sehen, wenn<br />
es uns nichts ausmache, da jetzt hinzufahren,<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: Norbert Michalke<br />
stelle sie den Taxameter ab. Der Verkehr wird<br />
zusehends dichter, schon hundert Meter nach<br />
der Siegessäule kommt man kaum mehr weiter.<br />
In dem qualmenden Trabant neben uns<br />
halten uns junge DDR-Bürger ihr Visum entgegen,<br />
ihre Gesichter sind in der nächtlichen<br />
Beleuchtung bleich vor Aufregung. (…)<br />
Das düstere Schiff des Reichstags liegt in einem<br />
Menschenmeer, jeder versucht, auf die<br />
hohen Säulen des Brandenburger Tores zu<br />
klettern, zu den rasenden Pferden ganz oben,<br />
die früher in die andere Richtung stürmten.<br />
Das Podest, von dem aus man Unter den Linden<br />
überblicken kann, schwankt unter der<br />
Last der Menschen, mühsam kämpfen wir uns<br />
nach oben, wenn jemand herunterkommt, rücken<br />
wir wieder um einen Körper weiter. Der<br />
leere Halbkreis vor den Säulen wird von unechtem,<br />
orangefarbenem Licht beleuchtet, die<br />
geschlossene Front der Grenzsoldaten darin<br />
sieht aus wie eine machtlose Reihe gegen die<br />
Gewalt der Menge auf unserer Seite.<br />
Wenn ein Jugendlicher auf die Mauer klettert,<br />
versuchen sie ihn herunterzuspritzen,<br />
aber der Strahl ist meistens nicht stark genug,<br />
und die einsame Gestalt bleibt stehen, naß<br />
bis auf die Knochen, ein lebendiges Standbild<br />
in einer Aura weiß erleuchteten Schaumes.<br />
Schreien, Grölen, das hundertfache Blitzlicht<br />
der Kameras, als sei die Mauer schon durchsichtig,<br />
als gäbe es sie schon fast nicht mehr.<br />
Die Jungen tanzen in den Wasserstrahlen, die<br />
verletzbare Reihe der Soldaten ist das Dekor<br />
zu ihrem Ballett. Im Halbdunkel kann ich deren<br />
Gesichter nicht sehen, und sie wiederum<br />
sehen nur die Tänzer. Die anderen, das große<br />
Tier Masse, die immer mehr anschwillt, können<br />
sie nur hören. Hier findet der Abriss ihrer<br />
Welt statt, der einzigen, die sie kannten. Auch<br />
auf dem Rückweg will das Mädchen den Taxameter<br />
nicht einschalten. Sie sagt, dass sie<br />
glücklich sei, diesen Augenblick nicht mehr<br />
vergessen könne. Ihre Augen leuchten. (…)<br />
Cees Nooteboom geht am nächsten Morgen am<br />
Grenzübergang Checkpoint Charlie nach Ostberlin<br />
und kehrt später zurück. (Anm. d. Red.)<br />
Noch immer steht eine Schlange beim Checkpoint<br />
Charlie (...). Ich komme heraus wie ein<br />
Ostberliner, denn eine junge Frau bietet mir<br />
TITEl<br />
Kaugummi an und ein Junge drückt mir ein<br />
Pamphlet in die Hand über Einigkeit und Recht<br />
und Freiheit und daß die Mauer weg muß und<br />
daß die Wiedervereinigung kommen muß und<br />
daß McDonald mir „1 kleines Getränk“ anbietet,<br />
Gutschein gültig bis 12.11.89. Jetzt wird<br />
mir auch zugejubelt, Heimkehrer, der ich bin.<br />
In der U-Bahn Kochstraße warten Tausende<br />
auf einen Zug, lassen sich willenlos hineindrücken,<br />
in den Westen hinein. Als ich endlich<br />
auf dem Kudamm angekommen bin, herrscht<br />
dort Jahrmarktstimmung. Autos können nicht<br />
mehr fahren, die Stadt ist dem Wahnsinn verfallen,<br />
das Volk ein einziger taumelnder Körper<br />
geworden, ein Tier mit tausend Köpfen,<br />
es wogt, rinnt, strömt durch die Stadt, weiß<br />
nicht mehr, ob es sich selbst bewegt oder bewegt<br />
wird, und ich ströme mit, bin nun selbst<br />
Menge geworden, Bild aus einem Fernsehbericht,<br />
niemand. Auf der Hauswand Kudamm/<br />
Joachimsthaler Straße erscheinen die elektronischen<br />
Nachrichtenbulletins in schnell<br />
verlöschenden Zeilen, als ob die Nachrichten<br />
die Menge noch einholen könnten, aber nichts<br />
holt diese Menge ein, denn sie ist es, die diese<br />
Nachrichten fabriziert, und das weiß sie, und<br />
sie empfindet es wie ein Schaudern: Was die<br />
Menschen hier lesen, haben sie selbst verursacht,<br />
sie sind das Volk (...).<br />
Cees Nooteboom ist Romancier und Reiseschriftsteller<br />
und zählt zu den bedeutendsten<br />
Autoren der Niederlande. 1989 bis 1990 war<br />
er Gast des Berliner Künstlerprogramms des<br />
<strong>DAAD</strong> in Berlin und zeichnete seine Erinnerungen<br />
an den <strong>Mauerfall</strong> zeitnah auf. Den<br />
Text entnehmen wir dem Band: Cees Nooteboom,<br />
Berliner Notizen, Suhrkamp Verlag,<br />
Frankfurt am Main 1991.<br />
Selbstverwirklichung<br />
statt Patriotismus<br />
Von Ciro Alegría Varona, Peru<br />
Gleich nach dem „Sandmann“, der abendlichen<br />
Kindersendung, die unser Sohn niemals<br />
verpasste, brachte das DDR-Fernsehen die<br />
11
12 TITEl<br />
Nachrichten. Eine konfuse Liste von neuen Regelungen<br />
- und plötzlich sagte der Sprecher,<br />
dass von diesem Moment an jeder DDR-Bürger<br />
an jedem Grenzübergang ein Visum beantragen<br />
könne.<br />
Die Stimmung, die das Fernsehen übertrug,<br />
war gut, sogar begeistert, aber wir hatten<br />
dennoch ein wenig Angst für die Menschen,<br />
die auf Westberlin zuströmten. Die Krise der<br />
DDR war tief und bekannt, aber das Regime<br />
war auch hartnäckig bis zum Wahnsinn. Mit<br />
unserer – glücklicherweise unnötigen – Sorge<br />
stiegen Bilder auf von den chinesischen<br />
Studenten auf dem Tian’anmen-Platz, von<br />
den Peruanern, welche die Guerillabewegung<br />
„Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) jeden<br />
Tag weiter tötete.<br />
Am 10. November sind wir zur Mauer gegangen.<br />
Die ganze Stadt war unterwegs. Von weit<br />
her hörten wir den Lärm der Menschen am<br />
Brandenburger Tor. Wir hatten einen Hammer<br />
mitgebracht. Unser Sohn Diego, fünf <strong>Jahre</strong><br />
alt, war der Erste von uns, der an die Mauer<br />
schlug.<br />
Die Tage danach waren noch chaotischer,<br />
aber frei von Angst, denn es war keine revolutionäre<br />
Stimmung, nicht einmal Patriotismus<br />
in der Luft, nur der Elan zur Selbstverwirklichung<br />
von Hunderttausenden einzelnen<br />
Menschen, die sich mit Freunden, Verwandten<br />
oder einfach mit dem Nächsten umarmten,<br />
lachten und weinten.<br />
Ich begriff, dass wir, die Philosophen, ziemlich<br />
auf der Strecke geblieben waren. Die Zeit<br />
der politischen Verbesserung der Menschheit<br />
ist vorbei. Vielfältige soziale Lebensformen<br />
haben nun das Sagen. Sie werden den Staat<br />
mit unzähligen Formen von Ungehorsam und<br />
Selbstorganisation bearbeiten, bis er sie in<br />
Ruhe lässt.<br />
Ciro Alegría Varona studierte Philosophie an<br />
der Freien Universität (FU) Berlin. Er lebt in<br />
Lima und ist Dozent für Philosophie an der<br />
Pontificia Universidad Católica del Perú.<br />
Im Westen auch Ampeln<br />
Von Robert Sinclair, Australien<br />
Am 9. November 1989 fuhr ich mit der U-Bahn<br />
wie gewöhnlich von Dahlem nach Zoo, wo ich,<br />
ebenfalls wie üblich, einen Kebab essen wollte.<br />
Um 11 Uhr abends war ich am Zoo. Nichts<br />
fiel mir auf. Ich fuhr nach Hause und schlief<br />
gut ein. Am nächsten Morgen sah alles anders<br />
aus: Viele Trabis waren zu sehen. Als ich zum<br />
Institut kam, waren alle sehr aufgeregt. Die<br />
Westberliner hängen Luftballons an die Mauer<br />
Mauer sei jetzt offen, Trabis seien gegen Mitternacht<br />
sogar am Zoo gewesen. Einige meiner<br />
Kollegen hatten Radionachrichten gehört und<br />
waren noch in der Nacht im Osten gewesen.<br />
Am gleichen Tag kamen zwei Studenten<br />
von der Humboldt-Uni im Ostteil der Stadt<br />
zu unserem Institut an der Freien Universität.<br />
Sie wollten unsere Bibliothek sehen. Als<br />
ich später zum Checkpoint Bornholmer Straße<br />
kam, wo ich früher, wie die meisten Ausländer,<br />
über die Grenze in den Osten ging, kamen<br />
viele Menschen erst jetzt aus weiter entfernten<br />
ostdeutschen Städten hier an. Die große<br />
Menschenmenge behinderte die Trabis, und<br />
alle sprachen miteinander, auch die Autofahrer<br />
mit der Menge.<br />
Viele Stunden später, tief in der Nacht, war<br />
ich in der Nähe vom Nollendorfplatz. Eine Familie<br />
aus dem Osten ging die Straße entlang.<br />
Als wir zu einer Kreuzung kamen, hörte ich<br />
eines der Kinder sagen: „Es stimmt doch nicht,<br />
dass sie im Westen keine Regeln haben. Sie<br />
haben auch Ampeln!“<br />
Robert Sinclair studierte Physik an der<br />
Freien Universität Berlin. Er lebt heute in<br />
Japan, wo er Leiter einer Forschungsgruppe<br />
zur Mathematischen Biologie ist.<br />
Beten, dass<br />
die Mauer fallt<br />
Von Alfred Bhulai, Guyana<br />
Ende der 80er <strong>Jahre</strong> studierte ich in Berlin.<br />
Meine Frau und ich wohnten in der Glücksburger<br />
Straße im Wedding, nur einen Block<br />
entfernt von der Berliner Mauer. Manchmal<br />
lasen wir in der Berliner Morgenpost die traurige<br />
Erklärung für die Schüsse, die wir am Tag<br />
zuvor aus Richtung der Mauer gehört hatten.<br />
Meine Mutter war seit nahezu zwei Monaten<br />
bei uns zu Besuch. Als sie zum ersten Mal die<br />
Mauer sah, tat sie entschlossen kund: „This<br />
Wall must fall!“ Wir sind fromme Katholiken.<br />
Meine Mutter, die kein Deutsch sprach, setzte<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: C. Morris/Das Fotoarchiv
sich nun zur Aufgabe, täglich den Rosenkranz<br />
zu beten für den Fall der Mauer. Nach nur einer<br />
Woche verkündete sie, die Mauer müsse<br />
fallen, bevor sie nach Hause zurückkehre.<br />
Eines Abends kam ich nach Hause und fand<br />
meine Frau und meine Mutter staunend vor<br />
dem Fernseher. Es gab einen Jubelausbruch<br />
am Brandenburger Tor. Die Mauer fiel. Wir<br />
wollten dieses Geschehen miterleben. Es war<br />
schon dunkel, als wir uns dem Brückenübergang<br />
Osloer Straße näherten. Die Menschenmenge<br />
wurde immer größer, und wir wurden<br />
Zeugen unvergesslicher Willkommens- und<br />
Jubelszenen.<br />
In den Tagen nach dem <strong>Mauerfall</strong> wimmelte<br />
es überall von Menschen, und alle waren äußerst<br />
höflich zu mir, obwohl ich Farbiger bin.<br />
Eine Dame, die mir Platz machte, sagte: „Wir<br />
sind nur Gäste hier.“ Ich erwiderte: „Wir sind<br />
alle Gäste auf der Erde.“ Alle waren erfreut.<br />
Meine Mutter dankte natürlich Gott. Anders<br />
als US-Präsident Ronald Reagan, der zwar<br />
auch gesagt hatte, dass die Mauer fallen müsse,<br />
hatte sie einen bestimmten Termin gesetzt.<br />
Alfred Bhulai studierte Lebensmitteltechnologie<br />
an der Technischen Universität (TU)<br />
Berlin. Er arbeitet heute in Georgetown,<br />
Guyana, als Berater in seinem Fachgebiet.<br />
Besser als Weihnachten<br />
Von Sigridur Thorgeirsdottir, Island<br />
Als mein Mann und ich im Radio hörten, dass<br />
die Mauer geöffnet werden sollte, sind wir<br />
direkt zum Checkpoint Charlie gefahren. Wir<br />
kletterten auf die Mauer und sahen ratlose<br />
Offiziere und eine immer größer werdende<br />
Menschenmenge. Plötzlich wurden die Tore<br />
geöffnet und die Menschenflut strömte hindurch.<br />
Wir sind dann in das Menschenmeer<br />
gesprungen. Es fühlte sich wie eine Fete an,<br />
und so kam es spontan, dass ich einen Ossi<br />
fragte, ob ich bei ihm eine Zigarette schnorren<br />
könnte. Wir standen da, lächelten einander an<br />
und rauchten eine „Karo”.<br />
In den Wochen danach sind wir ein paarmal<br />
zum Checkpoint Charlie gefahren und haben<br />
Grenzübergängern angeboten, sie mit unserem<br />
Auto zum Kudamm zu fahren. Wir denken<br />
oft an eine kleine Arbeiterfamilie aus Halle<br />
zurück, die wir mitgenommen haben. Als wir<br />
den mit Weihnachtslichtern geschmückten<br />
Kudamm hinauffuhren, kamen dem Mann<br />
Tränen in die Augen. „Fühlt es sich an wie<br />
Weihnachten, als man Kind war?“, fragte ich.<br />
„Nein, besser“, antwortete er.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Das akademische Milieu, in dem wir uns befanden,<br />
war distanzierter. Anfangs standen<br />
viele Intellektuelle der Wiedervereinigung<br />
kritisch gegenüber. Ich habe die kritische<br />
Betrachtungsweise des deutschen Denkens<br />
während meines Philosophiestudiums an der<br />
Freien Universität Berlin zu schätzen gelernt.<br />
Zugleich haben mir die Emotionen, die ich<br />
bei den Leuten in diesen Novembertagen an<br />
der Mauer erlebt habe, deutlich gezeigt, dass<br />
Gefühl und Verstand nicht ohne einander auskommen,<br />
um eine Sache angemessen beurteilen<br />
zu können.<br />
Sigridur Thorgeirsdottir studierte Philosophie<br />
an der FU Berlin und ist heute Professsorin<br />
an der Universität Island in Reykjavik .<br />
Utopie ohne Freiheit<br />
Von Abdel-Karim Daud,<br />
Palästinensische Gebiete<br />
Am 9. November 1989 hat sich die Welt verändert.<br />
Alle meine Bekannten und ich können<br />
uns noch an die Woge der Emotionen an diesem<br />
Tag erinnern, als in den Abendsendungen<br />
die Nachricht verlesen wurde, dass den Bürgerinnen<br />
und Bürgern der Deutschen Demokratischen<br />
Republik die ungehinderte Ausreise in<br />
den Westen ermöglicht wurde.<br />
Dies war das Ende der Teilung Deutschlands<br />
und Europas, der Fall der Mauer, die seit 1961<br />
die Ostdeutschen an der Wahl der Freiheit<br />
hindern sollte. In der Tat war es der Anfang<br />
vom Ende eines staatlichen und sozialen Systems,<br />
das auf der Aberkennung der Freiheit,<br />
des Privatbesitzes und des Individuums gründete.<br />
Die Berliner Mauer war das Symbol der<br />
ab erkannten Freiheit: der Freiheit als einem<br />
Wert, der unvereinbar ist mit den höchsten<br />
Zielen eines politischen Systems, das die Utopie<br />
umzusetzen versuchte, indem es die Wirklichkeit<br />
erdrückte.<br />
Abdel-Karim Daud studierte Elektrotechnik an<br />
der TU Berlin und ist heute Professor an der<br />
Palestine Polytechnic University in Hebron.<br />
Maria bleibt<br />
die Spucke weg<br />
Von Sergio di Fusco, Italien<br />
Als ich nach Berlin kam, gehörte die Mauer<br />
zu der Stadt einfach dazu. Als junger Historiker<br />
wusste ich natürlich, was die Berliner<br />
TITEl<br />
Mauer war. Ich hatte auch auf den hölzernen<br />
Aussichtstürmen vor dem Brandenburger Tor<br />
gestanden und war vor der Grenzbefestigung<br />
im Osten erschaudert. Die Spaltung der Stadt<br />
gehörte zum Alltag.<br />
Und plötzlich war die Mauer weg, und Maria<br />
blieb die Spucke weg. Maria, meine Zimmervermieterin,<br />
die nie um einen Kommentar,<br />
eine Meinung oder zumindest ein „Oh Göttchen“<br />
verlegen war, sagte keinen Ton mehr.<br />
Sie hockte still auf der Vorderkante des Sofas<br />
und schaute sich die Bilder vom <strong>Mauerfall</strong> im<br />
Fernsehen an. Schließlich fasste sie sich mit<br />
beiden Händen an den Kopf, schüttelte ihn<br />
sachte und lächelte ein eigenartig stummes<br />
Lächeln.<br />
Es war nicht zu fassen. Überall auf den Straßen<br />
war in jenen Tagen dieses unbeschreibliche<br />
Lächeln zu sehen. Wenn ich mich an den<br />
Fall der Mauer erinnere, erinnere ich mich<br />
nicht an die telegene Rotkäppchen-Heiterkeit<br />
und die knatternde Zweitakter-Freude, die<br />
man häufig im Fernsehen gesehen hat und immer<br />
wieder sieht. Ich erinnere mich an diese<br />
unbeschreibliche, tiefe Freude, bei der einem<br />
die Spucke wegbleibt.<br />
Was die Mauer wirklich war, habe ich erst<br />
dann verstanden. Als ich erleben und spüren<br />
durfte, was für eine seelische Befreiung der<br />
<strong>Mauerfall</strong> war, konnte ich mir zum ersten Mal<br />
auch die unbeschreiblich tiefe Trauer vorstellen,<br />
die Berlin jahrzehntelang gefangen hielt.<br />
Sergio di Fusco studierte Geschichte an der<br />
FU Berlin. Er arbeitet als freier Journalist<br />
für deutsche Medien und lebt in Lübeck.<br />
abSTracT<br />
<strong>20</strong> Years Ago<br />
<strong>DAAD</strong> Scholars Recall<br />
How the Berlin Wall Fell<br />
Germany’s celebration of the <strong>20</strong>th anniversary<br />
of the fall of the Berlin Wall this year drew<br />
strong international attention. Even in 1989,<br />
when the border between the two Germanys<br />
suddenly opened, international observers<br />
shared East and West Germans’ joy. Among the<br />
witnesses of the historic event were international<br />
students and researchers visiting Germany<br />
on <strong>DAAD</strong> scholarships. Letter asked alumni to<br />
share their impressions of late 1989. Philosophers,<br />
physicists and others from Europe to Australia<br />
are still moved today by what they saw.<br />
13
14 TITEl<br />
Eine Reform von oben<br />
Der Umbau der ostdeutschen Hochschulen nach 1989<br />
Universitäten leben länger als Menschen, aber ihr Gedächtnis reicht kaum<br />
weiter. Als die Universität Leipzig <strong>20</strong>09 auf ihre 600-jährige Geschichte zurückblickte,<br />
dominierten die Ereignisse vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. Die sogenannte Wende<br />
in Ostdeutschland im Jahr 1989 hatte die Universität komplett umgewälzt, die<br />
Wiedervereinigung von Bundesrepublik und DDR das westdeutsche Wissenschaftssystem<br />
im Osten etabliert.<br />
Schon im Mai 1990 hatte die neu gewählte<br />
Regierung der DDR – es sollte ihre letzte<br />
sein – die marxistisch-leninistischen Fakultäten<br />
und Studiengänge an den ostdeutschen<br />
Universitäten aufgehoben und alle Hochschullehrer<br />
in diesem Fachgebiet abberufen. Die<br />
Ideale des Sozialismus und die ideologische<br />
Einflussnahme der Politik auf die Wissenschaft<br />
hatten ausgedient. Dieser Beschluss<br />
war allerdings eher ein formaler Akt: „Die<br />
betroffenen Fakultäten hatten sich zu diesem<br />
Zeitpunkt bereits ausnahmslos umbenannt“,<br />
sagt Peer Pasternack, Direktor am Institut für<br />
Hochschulforschung in Wittenberg, das zur<br />
Martin-Luther-Universität Halle gehört. Er studierte<br />
während der Wende in Leipzig und war<br />
Studentensprecher. So firmierte die vormalige<br />
„Sektion Marxismus-Leninismus“ an der Leipziger<br />
Universität beispielsweise seit November<br />
1989 als „Sektion Gesellschaftstheorien“.<br />
Die große Personalreform an den DDR-Universitäten<br />
kam dann erst mit der Wiedervereinigung<br />
im Jahr 1990 in Gang. Eine Vorreiterrolle<br />
spielte das wiedervereinigte Berlin. Anders<br />
als in den ostdeutschen Flächenländern<br />
stützte sich die Reform im Ostteil Berlins auf<br />
den eingespielten Beamtenapparat der Westberliner<br />
Wissenschaftsverwaltung. In den fünf<br />
neuen Bundesländern hingegen musste eine<br />
solche Verwaltung überhaupt erst aufgebaut<br />
werden.<br />
Ideologisch überfrachtet<br />
Für die Ostberliner Humboldt-Universität galt<br />
mit der Vereinigung automatisch Westberliner<br />
Recht. Sie stand nun mit den Westberliner<br />
Universitäten – der 1948 als Gegenstück zur<br />
stalinistisch indoktrinierten Humboldt-Universität<br />
gegründeten Freien Universität und<br />
der Technischen Universität – auf einer Stufe.<br />
Der Erziehungswissenschaftler Erich Thies<br />
übernahm vom Berliner Senat die Aufgabe,<br />
das Fach an der Humboldt-Universität neu<br />
aufzubauen. „Die alten Studiengänge waren<br />
mit ideologischen Inhalten überfrachtet, der<br />
Lehrkörper bestand aus etlichen Professoren<br />
und Dozenten, die für die Staatssicherheit<br />
arbeiteten oder aus anderen Gründen nicht<br />
den westdeutschen Maßstäben entsprachen“,<br />
erinnert sich Thies, der später Staatssekretär<br />
für Wissenschaft in Berlin wurde und heute<br />
Generalsekretär der Kultusministerkonferenz<br />
ist. Vieles wirkte damals auf ihn befremdlich:<br />
„Einfache bis primitive Ausstattung, unglaublich<br />
viel Personal, auch in der Verwaltung.“<br />
Manches weckte Erinnerungen an die 50er<br />
und 60er <strong>Jahre</strong> in der Bundesrepublik.<br />
Thies und einige Kollegen sollten die Inhaber<br />
der Lehrstühle und deren Mitarbeiter<br />
an der Humboldt-Universität auf ihre weitere<br />
Eignung als Hochschullehrer überprüfen.<br />
Die Versuche der Professoren, ihre Leistungen<br />
und Absichten zu zeigen, waren aus seiner<br />
Sicht geprägt von Hilflosigkeit und einem<br />
grundsätzlichen Gefühl der Unterlegenheit.<br />
„Auch wenn sich die West-Vertreter in der Arbeitsgruppe<br />
bemühten, fair zu sein und hinzuhören,<br />
überwog eine gewisse Selbstherrlichkeit<br />
und Überlegenheit. Ich war davon auch<br />
nicht frei.“<br />
Die Reformer standen zusätzlich unter erheblichem<br />
Druck aus dem Westteil der Stadt.<br />
Vor allem die Freie Universität forderte, die<br />
Humboldt-Universität aufzulösen beziehungs-<br />
Ernüchterung statt Erneuerung in Leipzig:<br />
Unirektor Gerald Leutert und Studentensprecher Peer Pasternak (rechts)<br />
Fotos aus: Die Universität Leipzig 1943 bis 1992, Blecher/iemers, Sutton Verlag, Erfurt <strong>20</strong>06<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
weise konkurrierende Fächer, wie etwa die<br />
Erziehungswissenschaften, abzuwickeln. Mit<br />
der Humboldt-Universität war immerhin ein<br />
weiterer Kostgänger des chronisch unterernährten<br />
Berliner Wissenschaftshaushalts<br />
aufgetaucht, ganz zu schweigen von der einstigen<br />
Akademie der Wissenschaften der DDR.<br />
Die Akademie-Institute der DDR wurden ebenfalls<br />
in das westliche System überführt, zum<br />
Teil von westdeutschen Wissenschaftseinrichtungen<br />
wie der Fraunhofer-Gesellschaft, der<br />
Leibniz-Gemeinschaft oder der Max-Planck-<br />
Gesellschaft übernommen und umgegründet.<br />
Auch richteten die Wissenschaftsorganisationen<br />
neue Institute ein.<br />
Kein Sonderweg Ost<br />
Unter dem Strich mussten die neuen Bundesländer<br />
aufgrund der schwierigen finanziellen<br />
Situation jedoch Stellen im Wissenschaftsbereich<br />
abbauen. Nicht wenige ostdeutsche Wissenschaftler<br />
standen nur wenige <strong>Jahre</strong> nach<br />
der Wiedervereinigung ohne Job da. Trotz<br />
des „schmerzlichen Prozesses“, wie ihn der<br />
ostdeutsche Biologe und Bürgerrechtler Jens<br />
Reich einmal nannte, gilt die Erneuerung der<br />
Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern<br />
heute als geglückt. Erich Thies<br />
erinnert allerdings an die Schwierigkeiten:<br />
„Meine Vorstellung war – entsetzlich, das heute<br />
aussprechen zu müssen –, dass die unter<br />
Vierzigjährigen noch eine Chance haben, sich<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
in das nun geltende Wissenschaftssystem<br />
einzuarbeiten. Die Älteren aber hatten, bis<br />
auf Ausnahmen, den Preis für die Wiedervereinigung<br />
mit ihrer beruflichen Existenz zu<br />
zahlen.“<br />
Alle an der Humboldt-Universität tätigen<br />
Professoren mussten sich einem neuen Berufungsverfahren<br />
stellen. Diejenigen, die<br />
die Überprüfung überstanden, wurden aber<br />
nicht ohne weiteres übernommen, sie bekamen<br />
Konkurrenz aus dem Westen. Die dort<br />
ausgebildeten Wissenschaftler brachten Voraussetzungen<br />
mit, die viel stärker dem nun<br />
gefragten westdeutschen Modell entsprachen,<br />
etwa internationale Bindungen zu westlichen<br />
anstatt zu östlichen Staaten oder Publikationen<br />
in Englisch statt in Russisch. Das Ergebnis:<br />
In den höheren Besoldungsgruppen setzten<br />
sich mehrheitlich Professoren aus dem<br />
Westen durch. Die Chance, etwa eine neue<br />
Erziehungswissenschaft mit sinnvollen Ansätzen<br />
aus Ostdeutschland zu gründen, wurde<br />
dabei nie in Erwägung gezogen. „Ich würde<br />
heute eine Reihe von Professoren, die zu DDR-<br />
Zeiten eingestellt wurden, in ihren Ämtern<br />
belassen. Solche, die fachlich hervorragend<br />
qualifiziert und politisch unbelastet waren.<br />
Die gab es“, sagt Erich Thies selbstkritisch.<br />
Auch in Leipzig wurde aussortiert. Die Universität<br />
galt als „Rotes Kloster“, besonders eng<br />
dem alten DDR-System verbunden. Denn dort<br />
konzentrierten sich die Politikwissenschaften,<br />
Zeitenwende 1989: In der DDR diskutierten<br />
Professoren und Studenten über die Zukunft der Unis<br />
TITEl<br />
die Geisteswissenschaften und die Kulturwissenschaften,<br />
die als besonders belastet galten.<br />
Unter Berufung auf den Einigungsvertrag<br />
setzte eine Entlassungswelle ein. Sie machte<br />
den Weg für eine „Integritätsprüfung“ und<br />
Neuberufungen frei.<br />
Die Vereinigung der Wissenschaftssysteme<br />
machte auch vor Errungenschaften der Wendezeit<br />
nicht halt. Im Oktober 1989 hatte die<br />
Leipziger Universität ein Konzil gewählt, in<br />
dem Professoren, Mitarbeiter und Studenten<br />
zu gleichen Teilen vertreten waren – das war<br />
nach westdeutschem Recht nicht möglich. Mitte<br />
der 90er <strong>Jahre</strong> trat eine neue Universitätsverfassung<br />
in Kraft, bei der die Wissenschaftsverwaltung<br />
die Feder geführt hatte. Sie schrieb<br />
das westdeutsche System fest. Der Traum von<br />
einem Sonderweg Ost erfüllte sich nicht. Wie<br />
bei der deutsch-deutschen Wiedervereinigung<br />
insgesamt wurde auch in der Wissenschaft<br />
das westdeutsche Modell auf den Osten übertragen<br />
– unter westdeutscher Regie.<br />
Heiko Schwarzburger<br />
abSTracT<br />
Reform from the Top Down<br />
The “Wende”, as the East German political<br />
upheaval of 1989 is known, completely revolutionized<br />
universities in the GDR. The ideals<br />
of Socialism had worn thin, and the dream<br />
of an East German “third way” did not come<br />
true. After the unification of East and West<br />
Germany in 1990, the Western academic<br />
system was established in the East. Many<br />
faculty members in East German higher education<br />
lost their jobs. Some of them had acted<br />
as informants for the East German secret<br />
police; others did not fulfil certain Western<br />
standards. If they had it to do over again,<br />
reformers would do a number of things differently.<br />
Nonetheless, the process of reform<br />
in higher education is considered a success.<br />
15
16 TITEl<br />
Sprachrevolte von kurzer Dauer<br />
Wortschöpfungen der Wendezeit<br />
Zum Rückblick auf das Jahr 1989 gehören die vielen emotionalen Bilder von Begegnungen<br />
der Menschen aus Ost und West. Prägend waren aber auch Wörter, die<br />
in der Wendezeit entstanden und auch heute noch viel von der Stimmung und den<br />
Hoffnungen in den aufregenden Monaten des Herbstes 1989 vermitteln. Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler des Instituts für Deutsche Sprache deckten in<br />
verschiedenen Studien Schlüsselwörter dieser Umbruchphase auf.<br />
Worte sind Erinnerungen, die uns eintauchen<br />
lassen in die Vergangenheit: Reisefreiheit,<br />
Ossi, Wendehälse, Begrüßungsgeld<br />
– wir sind mitten in der Wendezeit. Die Nachrichten<br />
drangen 1989 in unser Bewusstsein,<br />
vieles passierte, was vorher undenkbar war<br />
– und die Sprache hielt Schritt. „Die Wendezeit<br />
hat eine Flut von neuen Wörtern hervorgebracht,<br />
allerdings von sehr unterschiedlicher<br />
Lebensdauer“, sagt Doris Steffens. Die<br />
Sprachwissenschaftlerin stammt aus der DDR<br />
und forscht seit 1992 am Institut für Deutsche<br />
Sprache (IDS) in Mannheim und seit 1997<br />
über Neologismen, also neue Wörter, die in<br />
den allgemeinen Sprachschatz aufgenommen<br />
werden.<br />
Das Zusammenwachsen zweier sehr verschiedener<br />
Kommunikationsgemeinschaften,<br />
die zwar dieselbe Sprache sprechen, aber<br />
über 40 <strong>Jahre</strong> getrennt lebten, in der Wendezeit<br />
beobachten zu können – das ist ein seltenes<br />
Glück für Sprachwissenschaftler. Fragen<br />
ergeben sich viele: Was schrieb die Presse<br />
in Ost und West? Welche Losungen wurden<br />
auf den Demonstrationen ausgegeben? Konnten<br />
Menschen aus beiden deutschen Staaten<br />
ohne Missverständnisse miteinander reden?<br />
Welche Wörter waren tabu und welche „en<br />
vogue“?<br />
Zu den unzähligen linguistischen Untersuchungen<br />
und Veröffentlichungen gehört auch<br />
das Projekt „Sprachwandel der Wendezeit“ des<br />
IDS. Ein Teilprojekt, an dem Doris Steffens beteiligt<br />
war, konzentrierte sich auf „Schlüsselwörter“.<br />
Mit dem sogenannten Wende-Korpus,<br />
einer Sammlung von Tages- und Wochenzeitungen,<br />
öffentlichen Reden aus der DDR und<br />
der alten Bundesrepublik, sowie Flugblättern<br />
und Aufrufen standen den Forscherinnen und<br />
Forschern insgesamt 3,5 Millionen Wörter zur<br />
Verfügung. „Diese Texte hatten alle etwas mit<br />
den Themen ‚Umbruch in der DDR’ und ‚Annäherung<br />
beider deutscher Staaten’ zu tun.<br />
Wir haben nach Wörtern gesucht, die besonders<br />
häufig thematisiert wurden und um die<br />
herum Wortfelder entstanden sind“, erläutert<br />
die Sprachwissenschaftlerin. In 16 Kapiteln<br />
des Buchs „Schlüsselwörter der Wendezeit“<br />
tut sich die Sprachlandschaft jener Umbruchzeit<br />
auf: Alt-Funktionäre, Betonköpfe, Blockflöten<br />
sind im Abschnitt „Vertreter des alten<br />
Systems“ ebenso zu finden wie rote Socken,<br />
Wendehälse oder Hardliner. Dabei listen die<br />
Sprachforscher nicht bloß häufig verwendete<br />
Wörter auf, sondern liefern auch ausführliche<br />
Interpretationen, Erklärungen von Wortveränderungen<br />
sowie eine zeitliche und thematische<br />
Eingruppierung.<br />
Gefühlswörter entdecken<br />
Die vielen Wörter während der Wende waren<br />
Produkte einer Sprachrevolte. Auf Transparenten<br />
und in Parolen forderten die Menschen<br />
eines deutlich: die Umkehr der Verhältnisse.<br />
„Wir drehen alte Losungen um, die uns gedrückt<br />
und verletzt haben, und geben sie postwendend<br />
zurück (…) Ja, die Sprache springt<br />
aus dem Ämter- und Zeitungsdeutsch heraus,<br />
in das sie eingewickelt war, und erinnert sich<br />
ihrer Gefühlswörter“, machte die Schriftstellerin<br />
Christa Wolf bei der Ost-Berliner Demonstration<br />
am 4. November 1989 deutlich. Und Gefühlswörter<br />
wurden häufig verwendet. Man-<br />
Die Mauer muss weg: Ein Monument wird zerlegt<br />
fred Hellmann, bis <strong>20</strong>01 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am IDS, recherchierte etwa 300<br />
Grundwörter zu Emotion, Moral oder Ethik<br />
und fand 4 000 Wortformen mit fast 50 000<br />
Belegen. Am häufigsten stieß er auf Verantwortung/verantwortungsvoll,vertrauen/Vertrauen,<br />
Angst/Ängste, Gewalt, Hoffnung. Auch<br />
hier zeigt sich die Sprache als Seismograph<br />
für Befindlichkeiten.<br />
„Wer sich nicht bewegt, fühlt seine Fesseln<br />
nicht“ oder „Nach 40 <strong>Jahre</strong>n Wüstenwanderung<br />
glauben wir nicht mehr an die alten<br />
Propheten“ – diese Parolen zeugen von der<br />
sprachlichen Kreativität, die unter der SED-<br />
Herrschaft nicht gedeihen konnte. Doris Steffens<br />
sieht das in ihren Forschungen bestätigt:<br />
„Einige der Wörter, die nun ungehindert geäußert<br />
und abgedruckt werden konnten, gab<br />
es bereits in der DDR-Alltagssprache, aber sie<br />
waren im öffentlichen Sprachgebrauch tabu.“<br />
Viele Wörter waren, wie politische Ideen und<br />
Strömungen, Übergangsphänomene: Übersiedlerflut,<br />
Gorbi-Rufe, Einheitseuphorie werden<br />
heute nicht mehr gebraucht, weil die Dinge,<br />
die sie bezeichnen, nicht mehr existieren.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: dpa-Zentralbild
Kraftvolle Sprache: Demonstranten im Herbst 1989<br />
Andere Wörter wiederum sind in den allgemeinen<br />
Sprachschatz übergegangen: <strong>Mauerfall</strong>,<br />
Einigungsvertrag oder Mauerspecht. Doch<br />
Vorsicht: Wissen junge Menschen ab Jahrgang<br />
1990 wirklich, dass es sich beim Mauerspecht<br />
nicht um eine Vogelart handelt?<br />
Der Runde Tisch<br />
Gehalten haben sich Begriffe, die in der Wendezeit<br />
emotional prägend waren und heute<br />
noch passen: Stasi-Akte gehört dazu, Betonkopf,<br />
der heute für alle geistig unbeweglichen<br />
Menschen herhalten muss, Blockflöte für die<br />
DDR-Blockparteien und deren Vertreter, die<br />
schnell zu Wendehälsen mutieren konnten,<br />
sowie eine außerparlamentarische Institution,<br />
die sich völlig losgelöst von den Ereignissen<br />
inzwischen zu vielen gesellschaftlich relevanten<br />
Fragen etabliert hat: Der Runde Tisch.<br />
„Diese Wortverbindung hat wirklich Karriere<br />
gemacht. Im Dezember 1989 trat der erste<br />
Runde Tisch zusammen und beeinflusste bis<br />
zur ersten freien Volkskammerwahl im März<br />
1990 die Politik des Kabinetts Modrow erheblich“,<br />
erläutert Doris Steffens. Auch heute<br />
treffen sich Vertreter verschiedener Interessensgruppen<br />
am Runden Tisch, um gleichberechtigt<br />
Konflikte zu besprechen und Kompromisse<br />
auszuhandeln.<br />
Wörterwanderung<br />
Schon nach kurzer Zeit zeigte die Sprache,<br />
was Realität wurde: Die einseitige Übernahme<br />
westlicher Ideen, Standards und Vorstellungen<br />
überformte die kreative Phase – Aufbruch-<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
vokabular adé. Weder politisch noch sprachlich<br />
konnte sich ein „dritter Weg“ durchsetzen.<br />
Aus dem Westen wanderten die Wörter gen<br />
Osten, vor allem solche aus Politik und Wirtschaft:<br />
Parlament, Bundestag, Koalitionsvertrag,<br />
Joint Venture, Rendite, Tarifverhandlung<br />
oder Kurzarbeitergeld. Manfred Hellmann<br />
stellte fest, dass bereits wenige Monate nach<br />
der Wende die Angleichung an den „Westsprachgebrauch“<br />
abgeschlossen war – zumindest<br />
in der öffentlichen Sprache. An der Oberfläche<br />
herrschte zwar sprachliche Einheit, von<br />
einer sprachlichen Vereinigung jedoch konnte<br />
nicht die Rede sein.<br />
„Weder Wendezeit noch Nachwendezeit<br />
konnten die Angleichung leisten, das ist vielmehr<br />
Aufgabe einer ganzen Generation“, ist<br />
sich Doris Steffens sicher. Sie hat auch die<br />
Nachwendezeit sprachlich analysiert und dabei<br />
erneut festgestellt, wie sensibel die Sprache<br />
auf politische und mentale Unterschiede<br />
reagiert. Während Besserwessi oder Buschzulage,<br />
aus den 90er <strong>Jahre</strong>n heute kaum noch in<br />
Gebrauch sind, begleitet uns Ostalgie auch im<br />
<strong>20</strong>. Jahr der deutschen Einheit.<br />
Die Hoffnung, dass die gemeinsame Sprache<br />
als einigendes Band über unterschiedliche Erfahrungen<br />
hinweghelfen könne, erfüllte sich<br />
nicht vollständig. Missverständnisse gehören<br />
zur Kommunikation zwischen Ost und West.<br />
Analog zur politischen Entwicklung ist festzustellen:<br />
Nicht zwei Sprachkulturen wuchsen<br />
zusammen, sondern die eine verschwand zugunsten<br />
der anderen.<br />
Isabell Lisberg-Haag<br />
Wende-Glossar<br />
Foto: Bundesarchiv; Ulrich Häßler<br />
TITEl<br />
Ossi: häufig abwertender Begriff für ehemalige<br />
DDR-Bürger<br />
Wendehals: Bezeichnung einer Person – in<br />
Anlehnung an den Vogel Wendehals –, die in kurzer<br />
Zeit ihren politischen Standpunkt grundlegend<br />
ändert<br />
Begrüßungsgeld: 100 D-Mark, die jeder Besucher<br />
aus der DDR einmalig in der Bundesrepublik<br />
erhielt. In den ersten drei Wochen nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />
zahlte die Bundesrepublik das Begrüßungsgeld<br />
an 18 Millionen Besucher aus<br />
Betonkopf: geistig unbeweglicher Mensch<br />
Blockflöten: DDR-Blockparteien und deren Vertreter<br />
Rote Socke: abwertende Bezeichnung für eine<br />
politisch eher links stehende Person, in der DDR<br />
spöttisch für SED-Mitglieder<br />
Gorbi-Ruf: Die Kurzform „Gorbi“ für den sowjetischen<br />
Staatschef Michail Gorbatschow wurde<br />
1989 häufig auf Demonstrationen in der DDR<br />
gerufen und bezog sich auf die von ihm eingeleitete<br />
Politik<br />
Mauerspecht: jemand, der nach der Wende die<br />
Berliner Mauer bearbeitete und zerkleinerte<br />
Stasi-Akte: Akten des Ministeriums für Staatssicherheit<br />
(Stasi), des Geheimdienstes der DDR<br />
Der Runde Tisch: Konferenz zur Bewältigung<br />
von Konflikten, besonders 1989 ein Synonym<br />
für Verhandlungen über das wiedervereinigte<br />
Deutschland<br />
Besserwessi: Das Wort des <strong>Jahre</strong>s 1991 ist die<br />
abschätzige Bezeichnung für westdeutsche Bürger,<br />
deren Verhalten gegenüber der ostdeutschen<br />
Bevölkerung als besserwisserisch und arrogant<br />
empfunden wurde<br />
Buschzulage: Sonderzahlung für Beamte aus<br />
Westdeutschland, die in Ostdeutschland eingesetzt<br />
wurden<br />
Ostalgie: Wortspiel aus „Osten“ und „Nostalgie“<br />
bedeutet „Heimweh nach dem Osten“<br />
17
18<br />
hochSchulE<br />
neues vom campus<br />
Stuttgart/Reutlingen<br />
Zentrum mit Modellcharakter<br />
Baden-Württemberg beschreitet neue Wege:<br />
Mit dem Robert Bosch Zentrum für Leistungselektronik<br />
entsteht ein ungewöhnlicher Lehr-<br />
und Forschungsverbund. Daran beteiligt sind<br />
eine Universität, eine Fachhochschule und ein<br />
Unternehmen: die Firma Bosch, die Universität<br />
Stuttgart und die Hochschule Reutlingen.<br />
„Diese Form der Zusammenarbeit hat Modellcharakter“,<br />
sagt der Stuttgarter Rektor Wolfram<br />
Ressel.<br />
Leistungselektronik spielt eine wichtige<br />
Rolle für den Zukunftsmarkt der Elektromotoren<br />
und damit für die Automobilbranche. Das<br />
neue Zentrum verfolgt zwei Ziele: qualifizierten<br />
Nachwuchs in dem Fach auszubilden und<br />
die Forschung voranzutreiben. Dazu entwickeln<br />
die Universität und die Fachhochschule<br />
ein neues Bachelor-, Master- und Promotionsprogramm.<br />
Es ermöglicht den Studierenden,<br />
an beiden Hochschultypen zu studieren. An<br />
dem gemeinsamen Graduiertenkolleg können<br />
die besten Absolventen beider Einrichtungen<br />
promovieren. Dafür stehen elf Stipendien zur<br />
Verfügung.<br />
Zum Wintersemester <strong>20</strong>10 sollen an der<br />
Universität Stuttgart zudem zwei berufsbegleitende<br />
Online-Masterstudiengänge starten.<br />
Sieben Professuren werden an dem Zentrum<br />
eingerichtet – darunter zwei Stiftungsprofessuren,<br />
die Bosch sponsert. Das Unternehmen<br />
600 <strong>Jahre</strong> Uni Leipzig: Professoren in Feierlaune<br />
Gefährdetes Heiligtum: der Hoan-Kiem-See in Hanoi<br />
investiert insgesamt 15 Millionen Euro in das<br />
Zentrum, noch einmal zwölf Millionen Euro<br />
steuert das Land Baden-Württemberg bei.<br />
Dresden<br />
Rettung für heiligen See<br />
Den Vietnamesen gilt er als heilig: der Hoan-<br />
Kiem-See inmitten der Millionenmetropole<br />
Hanoi. Dort lebt eine der vermutlich vier letzten<br />
Yangtze Riesenweichschildkröten. Doch<br />
auch sie ist in Gefahr: Abwässer haben den<br />
See stark verschlammt, er enthält zu viele<br />
Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff. Nicht<br />
nur die Wasserqualität ist gesunken, der See<br />
Foto: Anja Jungnickel<br />
wird durch Ablagerungen auch immer flacher<br />
und muss dringend saniert werden. Mehrere<br />
internationale Projekte zur Entschlammung<br />
sind bereits an den hohen Anforderungen gescheitert.<br />
Um die Schildkröte nicht zu gefährden,<br />
können die Helfer keine konventionellen<br />
Techniken einsetzen. Ein Team von deutschen<br />
Wissenschaftlern und Unternehmen unter<br />
der Federführung des Instituts für Abfallwirtschaft<br />
und Altlasten der TU Dresden startet<br />
einen vielversprechenden Versuch: Das deutsche<br />
Team, das Unterstützung von vietnamesischen<br />
Wissenschaftlern erhält, setzt auf den<br />
Unterwassersaugbagger „Sediturtle“. Er soll<br />
am Grund des Sees die oberste Bodenschicht<br />
absaugen. Eine erste öffentliche Vorführung<br />
im Sommer verlief verheißungsvoll. Nach einem<br />
weiteren Vorlauf soll <strong>20</strong>10 die Entschlammung<br />
starten.<br />
Leipzig<br />
Uni feiert 600. Geburtstag<br />
<strong>20</strong>09 begeht die Universität Leipzig ihr<br />
600-jähriges Gründungsjubiläum. Sie ist damit<br />
nach Heidelberg die zweitälteste Universität<br />
Deutschlands, an der ohne Unterbrechung<br />
gelehrt und geforscht wird. Zu den Höhepunkten<br />
des Jubiläumsprogramms gehörte die Festwoche<br />
Anfang Dezember. Bei dem Festakt am<br />
2. Dezember, dem eigentlichen Gründungstag,<br />
forderte Bundespräsident Horst Köhler vor 800<br />
Gästen eine bessere finanzielle Ausstattung<br />
der Hochschulen insgesamt. „Die Frage, wie<br />
wir unsere Hochschulen weiterentwickeln,<br />
ist auch ein Lackmustest dafür, wie ernst wir<br />
es wirklich meinen mit dem Ziel: Zukunftsfähigkeit<br />
unseres Landes“, sagte Köhler. Rektor<br />
Franz Häuser erinnerte an die Anfänge der<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: flickr.com
Universität, die nicht ein Fürst, sondern Magister<br />
und Scholare gegründet hatten. Diese<br />
besonderen Umstände wirken bis heute. In<br />
Leipzig haben bekannte Persönlichkeiten gelehrt,<br />
etwa die Physik-Nobelpreisträger Werner<br />
Heisenberg und Gustav Hertz sowie der<br />
Philosoph Ernst Bloch. Johann Wolfgang Goethe,<br />
Gottfried Wilhelm Leibniz und Friedrich<br />
Nietzsche haben dort studiert.<br />
Aachen<br />
Zurück an der Spitze<br />
Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule<br />
(RWTH) Aachen steht wieder ganz<br />
oben: Keine andere deutsche Hochschule hat<br />
zwischen <strong>20</strong>05 und <strong>20</strong>07 mehr Geld von der<br />
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)<br />
bekommen. Die DFG ist mit mehr als zwei<br />
Milliarden Euro pro Jahr der größte Mittelgeber<br />
für Forschung in Deutschland. Rund 257<br />
Millionen Euro Fördermittel flossen an die<br />
RWTH. Damit konnte Aachen den Spitzenplatz<br />
im DFG-Förderranking von der Münchner<br />
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)<br />
zurückerobern, die auf Platz zwei liegt. Hinter<br />
der LMU folgen die Universität Heidelberg,<br />
die Technische Universität München und die<br />
Freie Universität Berlin.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Das Ranking fasst zusammen, wie viele Fördergelder<br />
die deutschen Hochschulen in den<br />
verschiedenen Wissenschaftsbereichen eingeworben<br />
haben. „Dem kann man ziemlich<br />
genau entnehmen, wo Universitäten ihre<br />
Stärken haben und wo sie sich weiterentwickelt<br />
haben“, betont DFG-Präsident Matthias<br />
Kleiner. Es sei deutlich zu sehen, dass die<br />
deutschen Hochschulen immer häufiger klare<br />
fachliche Schwerpunkte setzen.<br />
In Kürze<br />
Nach dem Exzellenzwettbewerb für die Forschung<br />
gibt es in Deutschland nun auch einen<br />
Exzellenzwettbewerb für die Lehre. Im Oktober<br />
haben der Stifterverband für die Deutsche<br />
Wissenschaft und die Kultusminister der Bundesländer<br />
erstmals den mit zehn Millionen<br />
Euro dotierten Preis vergeben. Preisträger<br />
sind die Universitäten Bielefeld, Freiburg und<br />
Potsdam, die RWTH Aachen, die Technischen<br />
Universitäten Kaiserslautern und München<br />
sowie die Fachhochschulen Bremerhaven,<br />
Hamburg, Köln und Potsdam. 108 Hochschulen<br />
hatten sich beteiligt. Die Gewinner ermittelte<br />
eine international besetzte Jury.<br />
hochSchulE 19<br />
Die Studienplatzbörse hat sich bewährt. Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan zog<br />
eine positive Bilanz nach der Premiere zum<br />
Wintersemester <strong>20</strong>09/10: „Die Börse hat die<br />
Suche nach einem Studienplatz erheblich einfacher<br />
gemacht.“ Mehr als 460 000 Internetnutzer<br />
besuchten die Webseite. Dort hatten<br />
Hochschulen Studienplätze angeboten, die<br />
nach Ende des Bewerbungsverfahrens frei<br />
geblieben waren. Zwischenzeitlich waren bis<br />
zu 2 000 Studiengänge verfügbar. Laut einer<br />
Umfrage der Hochschulrektorenkonferenz<br />
konnten die Hochschulen deutlich mehr freie<br />
Studienplätze vergeben als zuvor.<br />
Drei neue Fachhochschulen hat das Bundesland<br />
Nordrhein-Westfalen (NRW) in diesem<br />
Jahr gegründet: die Hochschule Rhein-Waal,<br />
die Hochschule Ruhr West und die Fachhochschule<br />
Hamm-Lippstadt. Alle drei haben zum<br />
Wintersemester die ersten insgesamt 280 Studierenden<br />
aufgenommen – schneller als geplant,<br />
denn ursprünglich sollte der Studienbetrieb<br />
erst im Herbst <strong>20</strong>10 starten. „Die Verantwortlichen<br />
vor Ort haben mächtig aufs Tempo<br />
gedrückt“, lobte NRW-Innovationsminister Andreas<br />
Pinkwart. Bis zum Wintersemester <strong>20</strong>13<br />
sollen an den drei Neugründungen insgesamt<br />
7 500 Studienplätze zur Verfügung stehen. cho<br />
Anzeige
<strong>20</strong><br />
WISSEnSchafT & WIrTSchafT<br />
Moral für künftige Manager<br />
Ethik findet in den Wirtschaftswissenschaften immer mehr Beachtung<br />
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die<br />
Diskussion um die moralisch-ethische<br />
Ausbildung künftiger Banker und Wirtschaftsbosse<br />
an den Hochschulen neu<br />
belebt. Gefordert werden entsprechende<br />
Angebote schon in den ersten Semestern.<br />
Wer im offiziellen Fächerkompass der<br />
deutschen Hochschulen nach Wirtschafts-<br />
oder Unternehmensethik sucht,<br />
wird nicht fündig. Unter dem Stichwort gibt<br />
es bislang an keiner Hochschule einen eigenen<br />
Studiengang. Warum auch: Ethik soll<br />
kein Expertenwissen für einige wenige sein,<br />
sondern zur Allgemeinbildung aller angehenden<br />
Manager in der Wirtschaft gehören. Die<br />
gegenwärtige Krise führte jedoch „symptomatisch<br />
vor Augen, dass vielen Verantwortlichen<br />
der ethische und moralische Kompass<br />
abhanden gekommen ist“, stellt der Deutsche<br />
Hochschulverband fest. Die Berufsvertretung<br />
der Universitätsprofessoren und ihres Nachwuchses<br />
empfiehlt pragmatisch: „Wer keine<br />
Technokraten will, muss schon im Rahmen<br />
von Bachelor-Studiengängen fachspezifische<br />
Angebote machen, die es Studierenden ermöglichen,<br />
sich intensiv mit ethischen Grundfragen<br />
zu befassen.“ International renommierte<br />
Wirtschaftsforscher wie der Bonner Nobelpreisträger<br />
Reinhard Selten sehen vor allem in<br />
Grundtugenden wie Vertrauen, Fairness und<br />
Gerechtigkeit Wegweiser zur Umkehr.<br />
Im traditionsreichen, 1890 gegründeten<br />
akademischen „Verein für Socialpolitik“<br />
bilden heute mehr als 50 Hochschullehrer<br />
den Arbeitskreis „Wirtschaftswissenschaft<br />
und Ethik“. Außerdem bestehen Netzwerke<br />
zwischen Universitäten und Unternehmen<br />
(www.dnwe.de) sowie von Studierenden. So will<br />
sneep, student network for ethics in economic<br />
education and practice, Wirtschafts- und<br />
Unternehmensethik sowohl an den Hochschulen<br />
als auch in der unternehmerischen Praxis<br />
voranbringen. (www.sneep.info). „Wir sind<br />
total gemischt“, berichtet Jonas Gebauer über<br />
die sneep-Lokalgruppe München. „Bei uns<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: iStockphoto
treffen sich Theologen, Soziologen, Betriebs-<br />
und Volkswirte.“ Der Zulauf wächst seit der<br />
Krise. „Im April <strong>20</strong>08 hatten wir 18 örtliche<br />
Hochschulgruppen, inzwischen sind es mehr<br />
als 30.“ Viele Wirtschaftsstudierende hätten<br />
endlich gemerkt, so Jonas Gebauer, dass der<br />
Markt nicht alles richte.<br />
Die Frage nach der Ethik im Geschäftsleben<br />
findet tatsächlich seit gut <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n in<br />
Wirtschaft und Wissenschaft immer mehr<br />
Beachtung. Bezeichnend dafür sind die Einführung<br />
von Ethik- oder Verhaltens-Kodizes in<br />
Unternehmen sowie das Schlagwort von ihrer<br />
„bürgerschaftlichen Verantwortung“, etwa angesichts<br />
von Umweltzerstörung, Kinderarbeit<br />
oder ethnischer Diskriminierung.<br />
Kehrtwende und Eid<br />
Zu den Schrittmachern für mehr Ethik in den<br />
Wirtschaftswissenschaften zählen unter anderem<br />
Karl Homann und Peter Ulrich, Ökonomen<br />
mit sozialpolitischem Selbstverständnis.<br />
So studierte Karl Homann Philosophie, Theologie<br />
und Volkswirtschaft. Er lehrte an der Privatuniversität<br />
Witten/Herdecke, an der Katholischen<br />
Universität Eichstätt und schließlich<br />
bis <strong>20</strong>08 Philosophie und Ökonomik an der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität in München.<br />
Peter Ulrich habilitierte sich mit einer fachübergreifenden<br />
Arbeit über „Grundprobleme<br />
der Wirtschaftsphilosophie“. Seit 1987 ist er<br />
Professor für Wirtschaftsethik an der international<br />
renommierten Universität St. Gallen/<br />
Schweiz.<br />
Beide Wissenschaftler wollen die Wirtschaft<br />
in den Dienst der Gesellschaft stellen – und<br />
nicht umgekehrt. „Ethik und Ökonomik sind<br />
als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, nicht<br />
als einander ausschließende Alternativen“,<br />
so Karl Homann. Das war zwar schon immer<br />
der Grundgedanke in der europäischen<br />
Philosophie. Aber in den vergangenen zwei<br />
Jahrhunderten haben sich die Wirtschaftswissenschaften<br />
zu „autonomen“ Disziplinen<br />
mit eigener „Sachlogik“ verselbstständigt. So<br />
bedeutet ihre erneute ethische Einordnung in<br />
die Gesellschaft eine Kehrtwende, die in der<br />
Fachwelt noch Barrieren überwinden muss.<br />
Angesichts der Weltwirtschaftskrise schworen<br />
die Absolventen der Harvard Business<br />
School im Juni dieses <strong>Jahre</strong>s erstmals einen<br />
freiwilligen Eid, ihren Beruf „in ethischer<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Weise auszuüben“. Einen solchen Eid gibt es<br />
in Deutschland (noch) nicht. Vielmehr meint<br />
Christian Homburg als Leiter der Mannheim<br />
Business School, „ethische Aspekte und soziale<br />
Verantwortung“ seien generell „feste Bestandteile“<br />
der wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Ausbildung. Für „essenziel“ hält Christian<br />
Homburg „interkulturelle Kompetenzen“, damit<br />
die Studierenden etwa mit regional unterschiedlichen<br />
Vorstellungen von Gut und Böse<br />
vertraut werden. Mit diesen kulturell wichtigen<br />
Normen müssen sich auch künftige Manager<br />
der Global Player auskennen. Von den<br />
ethisch-kulturell bedingten Verhaltensweisen<br />
hängt die „Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit“<br />
ab, wie Business-Professor Christian<br />
Homburg betont.<br />
Inzwischen bieten zehn deutsche Universitäten<br />
Unterricht in Wirtschaftsethik. „Wir wollen<br />
unsere Studierenden zu kompetenten Managern<br />
ausbilden, die dazu in der Lage sind,<br />
ganz bestimmte Probleme zu lösen. Und ganz<br />
bestimmte Probleme kann man eben mit Moral<br />
lösen“, so Professor Ingo Pies, Wirtschaftsethiker<br />
an der Universität Halle, in einem<br />
Radio-Interview zum Thema „Der ehrbare<br />
Kaufmann“. Wer in Halle Betriebs- oder Volkswirtschaft<br />
studiert, muss mehrere Seminare<br />
in Wirtschaftsethik besuchen.<br />
Verzerrte Perspektive<br />
Trotz mehr Ethik im Hörsaal kritisiert André<br />
Habisch, Professor für Christliche Sozialethik<br />
und Gesellschaftspolitik an der Katholischen<br />
Universität in Eichstätt: „Durch einseitige<br />
Konzepte haben Ökonomen bei den Studenten<br />
eine verzerrende Perspektive auf die wirtschaftliche<br />
Realität geschaffen. Ein Beispiel<br />
dafür ist die Grundvorstellung vom Individualisten,<br />
dem es ausschließlich darum geht,<br />
den größten Nutzen zu erzielen.“ Ein Gegengewicht<br />
bietet André Habisch mit dem „Master<br />
of Ethical Management“: Führungskräfte<br />
mit Personalverantwortung können den MEM<br />
erwerben – als Alternative zum herkömmlichen<br />
MBA. Zentraler Inhalt der Weiterbildung:<br />
Umgang im Team und die persönliche Verantwortung<br />
trotz Sachzwängen.<br />
Genau diese Frage behandelt das gemeinsame<br />
Kulturwissenschaftliche Institut der<br />
Universitäten in der Ruhr-Region mit dem<br />
WISSEnSchafT & WIrTSchafT<br />
abSTracT<br />
Morals for Tomorrow’s<br />
Managers<br />
The current financial and economic crisis<br />
has fanned a discussion of moral and ethical<br />
education in university courses for future<br />
bankers and business leaders. Ten German<br />
universities offer classes in business ethics, but<br />
no course of studies in business or corporate<br />
ethics. At the University of Halle, however,<br />
students in the economics and business administration<br />
courses must complete several<br />
seminars in business ethics. Furthermore,<br />
the Catholic University of Eichstätt offers a<br />
Master’s degree in Ethical Management as an<br />
alternative to the conventional MBA. And the<br />
University of Jena has established an “Ethics<br />
Centre” that all disciplines draw on: the centre<br />
is concerned with ethical standards not only<br />
for business, but also for medicine, life sciences,<br />
engineering and competitive sports.<br />
Schwerpunkt „Center for Responsibility Research“.<br />
Auch die Privatuniversität Witten/<br />
Herdecke ist ein Leuchtturm in Sachen Moral<br />
und Wirtschaft – mit zwei Professuren für<br />
Volkswirtschaft und Philosophie sowie für<br />
Wirtschaftsethik und gesellschaftlichen Wandel.<br />
Der künftige Studiengang Politik-Philosophie-Ökonomie<br />
soll angehende Manager darin<br />
schulen, vermeintlich rein wirtschaftliche Fragen<br />
im größeren gesellschaftlich-sozialen Zusammenhang<br />
anzugehen. Jermain Kaminski,<br />
Wirtschaftsstudent kurz vor dem Bachelorexamen,<br />
hat die Ethik als einen Schwerpunkt<br />
neben der Psychologie und dem Marketing gewählt.<br />
„Wer Verantwortung übernehmen will,<br />
muss wissen, was Ethik ist“, betont der angehende<br />
Ökonom. „Sie ist für mich der Weg vom<br />
Kopf zur Hand und läuft am Herzen vorbei.“<br />
Die Universität Jena hat inzwischen sogar<br />
ein „Ethikzentrum“, das in alle Fächer hineinwirkt.<br />
Unter Leitung des Theologen, Philosophen<br />
und Staatswissenschaftlers Nikolaus<br />
Knoepfler geht es hier nicht nur um ethische<br />
Maßstäbe für die Wirtschaft, sondern auch für<br />
die Medizin und die angrenzenden Biowissenschaften,<br />
die Technik und nicht zuletzt den<br />
Leistungssport. Bislang ist das „Ethikzentrum“<br />
einmalig in Deutschland.<br />
Hermann Horstkotte<br />
21
22<br />
orTSTErMIn<br />
Seit 1456 wird in Greifswald kontinuierlich<br />
gelehrt und gelernt. Der politische Umbruch<br />
von 1989 forderte eine Neuorientierung.<br />
Heute trotzt die kleine Universitätsstadt<br />
an der Ostsee dem kalten Wind der<br />
Konkurrenz erfolgreich mit einer Verbindung<br />
aus Tradition und Innovation.<br />
Man kann die Ostsee in der Stadt nicht<br />
gleich sehen. Zur Küste ist es noch eine<br />
gute Stunde strammer Fußmarsch. Aber die<br />
Nähe des Meeres macht sich in Greifswald<br />
überall bemerkbar. Es riecht nach frischem<br />
Seefisch, wenn vier Mal die Woche auf dem<br />
historischen Marktplatz die Verkaufsstände<br />
aufgebaut werden. Rundherum leuchten die<br />
farbig restaurierten und für Hansestädte so typischen<br />
Bürgerhäuser mit ihren treppenförmigen<br />
Giebeldächern. Der stete Wind aus Nordost<br />
lässt die Hände am Fahrradlenker selbst im<br />
Sommer klamm werden und macht aus jeder<br />
noch so flachen Wegstrecke eine sportliche<br />
Herausforderung.<br />
Vorbildlich modernisiert<br />
Greifswald kann mit Gegenwind umgehen. Vor<br />
<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n, als im Zuge der politischen Wende<br />
die Universitäten der ehemaligen DDR einer<br />
strengen Kritik ausgesetzt waren, fiel das<br />
Ur teil des Wissenschaftsrates ausgerechnet<br />
über die traditionsreiche medizinische Fakultät<br />
vernichtend aus. Aber die viertälteste<br />
Bildungsstätte Deutschlands mit ununterbrochenem<br />
akademischem Lehrbetrieb bekam<br />
die Chance, sich zu modernisieren, und nutzte<br />
sie vorbildlich. Heute verdankt die Universität<br />
ihren herausragenden Ruf vor allem der<br />
Spitzenforschung in den Naturwissenschaften,<br />
unter anderem in der Molekular- und Mikrobiologie,<br />
Biomedizin, Landschaftsökologie<br />
oder Plasmaphysik.<br />
Getreu ihrer Tradition liegen die erfolgreichen<br />
Schwerpunkte der kleinsten „Volluniversität“<br />
erneut in der medizinischen Forschung.<br />
In weiten Teilen unterstützt mit nationalen<br />
Fördergeldern, bündelt die Hochschule inzwischen<br />
weltweit vernetzte wissenschaftliche<br />
Kompetenz. Auf dem Gebiet der funktionellen<br />
Genomforschung etwa betreiben Wissenschaftler<br />
seit zehn <strong>Jahre</strong>n in einem hochmodernen<br />
Labor international anerkannte Spitzenforschung.<br />
Forschen für die Gesundheit<br />
Das innovative Profil hat sich Greifswald aber<br />
vor allem durch das deutschlandweit einzigartige<br />
Institut für „Community Medicine“ erarbeitet,<br />
das seit 1995 als zentraler Forschungsverbund<br />
der Institute und Kliniken der Universität<br />
existiert. Hier geht es wesentlich um<br />
Greifswald<br />
Kurze Wege für<br />
Wissenschaft<br />
sogenannte „Volkskrankheiten“ und eine<br />
verbesserte Gesundheitsversorgung. Grundlage<br />
für zahlreiche Forschungsprojekte ist<br />
umfangreiches Datenmaterial zur Bevölkerungsgesundheit,<br />
das seit Beginn der 90er<br />
<strong>Jahre</strong> in der sogenannten Ship-Studie (Study<br />
of Health in Pomerania, „Leben und Gesundheit<br />
in Vorpommern“) gewonnen wurde. Der<br />
Gesundheitszustand und die Lebensumstände<br />
von rund 7 000 Personen werden darin bis<br />
heute erfasst und ausgewertet. Mit Rückgriff<br />
auf diese Datenbasis betreten auch das Kompetenzzentrum<br />
für Telemedizin und ein neues<br />
Forschungsvorhaben zur personalisierten<br />
Medizin Neuland in der medizinischen Versorgung.<br />
Im letzten Jahr befürwortete der Wissenschaftsrat<br />
schließlich den Bau eines interdisziplinären<br />
Kompetenzzentrums zur Erforschung<br />
der Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten.<br />
Ziel ist die bessere Verträglichkeit<br />
bei Dauerbehandlungen. Das Projekt wird von<br />
allen fünf Fakultäten der Universität getragen,<br />
holt Ethiker und Theologen ins Boot und rundet<br />
das Bild exzellenter klinischer Forschung<br />
in Greifswald ab.<br />
Die Wege sind kurz in der kleinen Universitätsstadt<br />
mit nur sechs Kilometern Ausdehnung.<br />
Der geografische Vorteil dient vor allem<br />
der regen interdisziplinären Vernetzung und<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Foto: Konrad Wothe/LOOK-foto<br />
Foto: Jan Meßerschmidt/Uni Greifswald<br />
engen Zusammenarbeit mit außeruniversitären<br />
Forschungsinstituten. Mit dem Drahtesel<br />
sind Forscher auf der von der Innenstadt zum<br />
Campus gebauten Fahrradstraße in Windeseile<br />
beim Leibniz-Institut für Plasmaforschung<br />
und Technologie oder dem Max-Planck-Institut<br />
für Plasmaphysik. Zum Bundesforschungsinstitut<br />
für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-<br />
Institut) auf der Insel Riems radelt man rund<br />
<strong>20</strong> Kilometer durch idyllische Küstenlandschaft.<br />
Noch einmal so weit ist es bis zur 1991<br />
gegründeten Fachhochschule in Stralsund, wo<br />
sich nicht nur in den Bereichen Medizininformatik,<br />
Biomedizintechnik oder regenerative<br />
Energien produktive Schnittstellen mit der<br />
Forschungslandschaft in Greifswald ergeben.<br />
Rechnet man zahlreiche Forschungsfördereinrichtungen<br />
in der Region wie die Stiftung<br />
Alfried Krupp Kolleg, das BioTechnikum<br />
Greifswald, das Technologiezentrum Vorpommern<br />
oder das branchenübergreifende Netzwerk<br />
BioCon Valley Mecklenburg-Vorpommern<br />
als Arbeitgeber hinzu, dann hat vermutlich<br />
die Hälfte aller Einwohner Greifswalds<br />
im weitesten Sinne etwas mit Wissenschaft<br />
zu tun. Seit Beginn des Wintersemesters<br />
kommen auf 54 000 Einwohner allein 12 <strong>20</strong>0<br />
Studierende, und in den Straßen gewinnt man<br />
den Eindruck, der Altersdurchschnitt der<br />
Stadt liege unter 30 <strong>Jahre</strong>n.<br />
Konkreter Naturschutz<br />
Ziel junger Studierender, die der Forschungsschwerpunkt<br />
„Landschaftsökologie“ lockt, ist<br />
nicht selten die Rettung der Welt. Harmonische<br />
Landschaften, wie sie der berühmteste<br />
Sohn der Stadt, der romantische Maler Caspar<br />
David Friedrich in seinen Bildern von Küste<br />
und Stadt verewigt hat, sind weltweit bedroht.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Die international ausgerichtete Greifswalder<br />
Forschungsrichtung begegnet dieser Entwicklung<br />
mit einem integrativen Ansatz. Tiere,<br />
Pflanzen, Landschaftsentwicklung, aber<br />
auch klimatische Besonderheiten werden<br />
hier zusammenhängend erforscht. Die Wissenschaftler<br />
beziehen umweltökonomische<br />
oder geowissenschaftliche Betrachtungen mit<br />
ein. Eine Professur für Umweltethik ergänzt<br />
das Forschungsgebiet. Ziel ist es, konkrete<br />
Handlungsorientierung für Naturschutz, Umwelt-<br />
und Ressourcenmanagement zu geben.<br />
Attraktiv ist der internationale Masterstudiengang<br />
deshalb vor allem als Weiterbildung für<br />
Regierungsangehörige aus osteuropäischen<br />
Ländern und dem asiatischen Raum.<br />
Offenheit und ein Tor zur Welt – dafür steht<br />
von jeher ein Zugang zum Meer. Bis 1863 verschifften<br />
die Greifswalder Salz oder Getreide<br />
Weiß dominiert: Medizin ist ein bedeutender Schwerpunkt<br />
nach Schweden und Norwegen und erhielten<br />
im Austausch Güter aus Skandinavien. Die an<br />
die Ostsee angrenzenden Länder bilden traditionell<br />
den Kulturraum, zu dem Greifswald bis<br />
heute auch wissenschaftlich in regem Kontakt<br />
steht. Am Lehrstuhl für allgemeine Geschichte<br />
der Neuzeit forscht man im Internationalen<br />
Großzügig: Die Universitätsbibliothek<br />
bietet viel Platz für<br />
Bücher und Nutzer<br />
orTSTErMIn<br />
Graduiertenkolleg „Baltic Borderlands“ über<br />
den kulturellen und mentalen Wandel im Ostseeraum.<br />
Dabei kooperiert die Ernst-Moritz-<br />
Arndt-Universität mit den Universitäten Tartu<br />
in Estland und Lund in Schweden.<br />
Gleichzeitig ist der Forschungsstandort<br />
Greifswald auf die Globalisierung bestens<br />
vorbereitet. Im „Welcome Center“ bietet die<br />
Universitätsstadt seit diesem Wintersemester<br />
eine von der Alexander von Humboldt-Stiftung<br />
prämierte Hilfestellung für ausländische<br />
Wissenschaftler aller Forschungsinstitute.<br />
Das Servicekonzept umfasst Unterstützung<br />
von Ankunft bis Ende des Aufenthalts und<br />
Hilfestellung von Arbeitsrecht bis Kinderbetreuung.<br />
Schon bald wird dann jeder Gast<br />
erfahren, dass in der dynamischen und von<br />
frischem Wind verwöhnten Stadt das Dienstfahrzeug<br />
ein Fahrrad ist.<br />
Bettina Mittelstraß<br />
abSTracT<br />
Greifswald<br />
Science and the City<br />
The nearby Baltic Sea can be felt everywhere in<br />
Greifswald, home to Germany’s smallest “full<br />
university.” The smell of fresh salt-water fish<br />
pervades the historic market square as the merchants<br />
set up their stalls. The university began<br />
a process of modernization after the fall of Communism<br />
in 1989, and today owes its outstanding<br />
reputation primarily to top-notch research in the<br />
sciences, including molecular biology, microbiology,<br />
biomedicine, landscape ecology and plasma<br />
physics. The university continues its fruitful tradition<br />
of emphasis on medical research.<br />
The city of Greifswald, with close links to<br />
Scandinavia, is young and highly educated: its<br />
population of 54,000 includes 12,<strong>20</strong>0 students.<br />
Considering all the research institutes and<br />
foundations in Greifswald, probably half the<br />
inhabitants are involved in science in one way<br />
or another.<br />
Foto: Hans-Werner Hausmann/Uni Greifswald<br />
23
24 Europa<br />
Kein luxus<br />
Afrika und Europa – eine Partnerschaft auf Augenhöhe<br />
Die wissenschaftliche Zusammenarbeit<br />
zwischen Europa und Afrika reicht mehr<br />
als 25 <strong>Jahre</strong> zurück und trägt viele Früchte:<br />
Bei einem Gemeinschaftsprojekt über<br />
hochansteckende Fieberkrankheiten arbeiten<br />
drei europäische und vier afrikanische<br />
Staaten Hand in Hand. Ein Beispiel,<br />
das zeigt, dass die strategische Partnerschaft<br />
zwischen den beiden Kontinenten<br />
gut funktioniert.<br />
Wissenschaftliche Forschung ist kein Luxus<br />
für Afrika, sondern unverzichtbare<br />
Voraussetzung, um tragfähige Lösungen für<br />
die vielen Herausforderungen des Kontinents<br />
zu finden“, erklärte der europäische Forschungskommissar<br />
Janez Potočnik kürzlich<br />
bei seinem ersten offiziellen Besuch der Afrikanischen<br />
Union (AU) und Kenias. Die wissenschaftliche<br />
Zusammenarbeit zwischen Afrika<br />
und der Europäischen Union (EU) reicht mehr<br />
als 25 <strong>Jahre</strong> zurück und hat sich stetig weiterentwickelt:<br />
Schließlich brachten die EU und<br />
die AU <strong>20</strong>07 in Lissabon die strategische Partnerschaft<br />
für Wissenschaft und Technik auf<br />
den Weg. „Es handelt sich dabei um eine echte<br />
Partnerschaft zwischen ebenbürtigen Partnern,<br />
in denen die EU weniger für Afrika, als<br />
vielmehr mit Afrika tätig ist“, sagt Potočnik.<br />
Sieben Länder in einem Boot<br />
Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert,<br />
zeigt ein europäisch-afrikanisches Gemeinschaftsprojekt<br />
über Fieberkrankheiten. Beteiligt<br />
sind mit dem Senegal, Burkina Faso,<br />
Mali und Guinea vier afrikanische Staaten<br />
sowie drei europäische Staaten (Deutschland,<br />
Schweden und Frankreich). Meist verursachen<br />
Viren die hochansteckenden Krankheiten, zu<br />
denen unter anderen das Krim-Kongo-Fieber,<br />
das Rifttal-Fieber oder auch die Ebola-Krankheit<br />
gehören, an der jedes Jahr einige Hundert<br />
Menschen in Afrika sterben. Wer an Ebola erkrankt,<br />
muss binnen weniger Stunden behandelt<br />
werden, um zu überleben. Kein einfaches<br />
Unterfangen in den Weiten des afrikanischen<br />
Kontinents, zumal oft gar nicht klar ist, woran<br />
der Betroffene erkrankt ist: Die Symptome der<br />
verschiedenen Fieberinfektionen sind sich zu<br />
ähnlich. „Aus Unkenntnis und wegen fehlender<br />
technischer Möglichkeiten verstreichen<br />
Angst vor Ansteckung:<br />
viele Viruskrankheiten verlaufen tödlich<br />
heute oft noch Wochen, ehe nach Ausbruch<br />
dieser Krankheiten reagiert werden kann“,<br />
sagt Projektleiter Dr. Manfred Weidmann aus<br />
der Abteilung Virologie am Bereich Humanmedizin<br />
der Universität Göttingen. Um das<br />
jeweilige Virus zu diagnostizieren, waren bisher<br />
aufwändige Tests notwendig, die nur wenige<br />
Labore leisten können. Ein Zustand, den<br />
Weidmann und seine Kollegen ändern wollen.<br />
Sie haben zwei Methoden entwickelt, um die<br />
Zeitspanne zwischen Ausbruch und Behandlung<br />
der Krankheiten drastisch zu senken:<br />
Ein mobiles Testverfahren sowie Teststreifen<br />
ermöglichen eine Schnelldiagnostik. 853 000<br />
Euro stellte die EU <strong>20</strong>06 für das Forschungsvorhaben<br />
zur Verfügung.<br />
Früherkennung nun möglich<br />
Nur ein Tropfen Blut ist notwendig, um mit<br />
einem Teststreifen das jeweilige Virus frühzeitig<br />
nachzuweisen. Das Krankenhauspersonal<br />
informiert sofort ein Netzwerk aus Behandlungszentren,<br />
Regierungsstellen des jeweiligen<br />
Landes und die World Health Organization<br />
(WHO). Ein mobiles Einsatzteam reist<br />
daraufhin mit einem speziellen Gerät, dem<br />
sogenannten „Smart Cycler“, in die betroffene<br />
Region, um die Diagnose zu bestätigen und die<br />
Eindämmung der Krankheit zu koordinieren.<br />
Virustyp schnell bestimmen: Manfred Weidmann,<br />
Uni Göttingen, präsentiert mobiles Testgerät<br />
Dieses Testgerät kann mit einer Autobatterie<br />
betrieben werden und binnen ein bis zwei<br />
Stunden den genauen Virus-Typ feststellen.<br />
Nach der Überprüfung der Teststreifen startet<br />
ein Feldversuch in 24 Krankenhäusern.<br />
Und auch der Smart-Cycler wird im Frühjahr<br />
<strong>20</strong>10 in der Praxis geprüft. „Die Zusammenarbeit<br />
zwischen den europäischen und den<br />
afrikanischen Forschern funktioniert hervorragend<br />
– und zwar auf Augenhöhe“, berichtet<br />
Weidmann. Teile der Entwicklungsarbeiten<br />
fanden in Dakar (Senegal) und Ouagadougou<br />
(Burkina Faso) statt, das Krankenpersonal<br />
lernt in einem Schulungszentrum in Bamako<br />
(Mali), den Teststreifen anzuwenden. Angedacht<br />
ist – ganz im Sinne von Potočnik – dass<br />
die Teststreifen günstig in Afrika hergestellt<br />
werden und somit auch anderen Ländern zur<br />
Verfügung stehen.<br />
An der Partnerschaft zwischen Afrika und<br />
Europa sind 53 AU-Mitgliedstaaten und die<br />
27 EU-Staaten beteiligt. Bereits 370 gemeinsame<br />
Projekte wurden im Zuge des siebten<br />
Forschungsrahmenprogramms (<strong>20</strong>07–<strong>20</strong>13)<br />
in einer Höhe von 53 Millionen Euro gefördert.<br />
Katja Lüers<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: picture-alliance/dpa Foto: ukg/sr
Foto: David Ausserhofer<br />
nachrichten<br />
TEMPUS<br />
Reformen anstoßen<br />
„Deutsche Hochschulen sind Spitzenreiter bei<br />
der Beteiligung an TEMPUS-Projekten“, sagt<br />
Nina Salden von der Nationalen Kontaktstelle<br />
für das TEMPUS-Programm im <strong>DAAD</strong>. Modernisierung<br />
durch Kooperation ist das Ziel des<br />
„Trans-European Mobility Programme for University<br />
Studies“ (TEMPUS), das 1990 startete.<br />
Zunächst standen Reformprozesse in mittel-<br />
und osteuropäischen Ländern in Richtung<br />
Demokratisierung und Marktwirtschaft im<br />
Fokus. Inzwischen hat sich das Länderspektrum<br />
erweitert: Zentralasien, die südlichen<br />
Mittelmeer- und die westlichen Balkanstaaten<br />
sind dazugekommen.<br />
So auch Bosnien und Herzegowina. „Universitäten<br />
und Industrie sind dort immer<br />
noch parallele Welten, seitdem der Krieg die<br />
Strukturen zerrissen hat“, sagt Stefan Wagner<br />
vom Institut für Umformtechnik an der<br />
Universität Stuttgart. Das will der Ingenieur<br />
ändern. Seine Universität entwickelte mit der<br />
Partnerinstitution in Banja Luka, Hauptstadt<br />
der Teilrepublik Srpska, ein Projekt, das die<br />
Zusammenarbeit von Hochschulen und Industrie<br />
im Maschinenwesen in ganz Bosnien und<br />
Herzegowina strukturell fördert. „Wir stellen<br />
Kontakte her und holen Industrievertreter<br />
zum Beispiel mit kostenlosen Schulungen an<br />
die Universitäten“, sagt Wagner. In das von der<br />
EU für drei <strong>Jahre</strong> bewilligte Projekt sind acht<br />
Universitäten, zahlreiche Partnerorganisationen<br />
und mittelständische Betriebe sowie nationale<br />
Behörden und Ministerien eingebunden.<br />
Voraussetzung für die Bewilligung ist, dass<br />
die Projekte in den Drittländern die Hochschulstrukturen<br />
nachhaltig modernisieren<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Verantwortlich für<br />
TEMPUS in Brüssel:<br />
Klaus Haupt<br />
(zweiter von rechts)<br />
und reformieren und dabei die Unterstützung<br />
der nationalen Behörden haben. „Wir fragen<br />
die Ministerien, welche Prioritäten sie im Rahmen<br />
des TEMPUS-Programms setzen wollen,<br />
damit diese in die nationale Reformagenda<br />
passen“, betont Klaus Haupt, in Brüssel für<br />
die Umsetzung der TEMPUS-Projekte verantwortlich.<br />
bcm<br />
http://eu.daad.de/eu/tempus/05236.html<br />
Forscherinnen<br />
Talente verschwendet<br />
Alle drei <strong>Jahre</strong> veröffentlicht die Europäische<br />
Union einen Bericht über den Frauenanteil in<br />
Forschung und Lehre („She Figures“). Dieser<br />
Anteil betrug – so die neuesten Zahlen – im<br />
Jahr <strong>20</strong>06 rund 30 Prozent (Deutschland: 21<br />
Prozent). Die EU-Kommission sieht darin eine<br />
„Verschwendung von Talenten und Potenzialen,<br />
die sich Europa nicht leisten kann.“ Zwar<br />
sind Frauen bei den Hochschulabsolventen<br />
in der Überzahl (59 Prozent), aber sie besetzen<br />
nur 18 Prozent der Professorenstellen in<br />
Europa (in den Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />
sogar nur elf Prozent). Immerhin gibt<br />
es mehr Frauen in der Forschung als bisher:<br />
Zwischen <strong>20</strong>02 und <strong>20</strong>06 stieg ihr Anteil um<br />
6,3 Prozent gegenüber dem der Männer um<br />
3,7 Prozent. Am geringsten ist der Forscherinnenanteil<br />
in der Industrie (19 Prozent), während<br />
er im Hochschulbereich und öffentlichen<br />
Dienst 37 beziehungsweise 39 Prozent beträgt.<br />
Der scheidende Forschungskommissar<br />
Janez Potočnik sieht „keine Patentlösung“ zur<br />
Behebung dieses Ungleichgewichts. Er fordert<br />
dazu auf, sich mit „allen strukturellen Hürden<br />
auf der gesamten akademischen Laufbahn von<br />
Frauen“ zu befassen. KS<br />
Europa<br />
Industrieforschung<br />
Europa legt zu<br />
Europäische Unternehmen sind bei den Ausgaben<br />
für Forschung und Entwicklung (FuE)<br />
im internationalen Vergleich gut aufgestellt.<br />
Das geht aus dem aktuellen Vier-<strong>Jahre</strong>sbericht<br />
der EU („scoreboard“) über die weltweiten<br />
FuE-Ausgaben in der Industrie hervor. EU-Firmen<br />
haben für FuE <strong>20</strong>08 demnach 8,1 Prozent<br />
mehr ausgegeben als im Vorjahr. Im Vergleich:<br />
US-Unternehmen investierten 5,7 und japanische<br />
Unternehmen 4,4 Prozent mehr in die<br />
Forschung. Weltweit verlangsamt sich der Zuwachs.<br />
So stiegen die FuE-Investitionen <strong>20</strong>08<br />
um 6,9 Prozent gegenüber neun Prozent <strong>20</strong>07<br />
und zehn Prozent <strong>20</strong>06.<br />
Zu den zehn größten Forschungsinvestoren<br />
zählen zwei Unternehmen aus der EU: der Automobilhersteller<br />
Volkswagen und der Handyproduzent<br />
Nokia. Aus den USA kommen fünf<br />
unter die „Top Ten“, darunter das Softwareunternehmen<br />
Microsoft, der Automobilkonzern<br />
General Motors und die Pharmafirma<br />
Pfizer. Das einzige japanische Unternehmen,<br />
der Autobauer Toyota, nimmt die Spitzenposition<br />
ein.<br />
Höher ist der EU-Anteil auf der „Top 50“-Liste:<br />
Hier sind 15 EU-Unternehmen dabei. Beim<br />
amerikanisch-europäischen Vergleich konstatiert<br />
der EU-Bericht diesen Trend: US-Unternehmen<br />
konzentrieren ihre FuE-Ausgaben auf<br />
solche Branchen, die von vornherein eine hohe<br />
FuE-Intensität aufweisen, also Pharma-, Bio-<br />
und Informationstechnologie. Bei EU-Unternehmen<br />
hingegen entfällt nur ein Drittel der<br />
Investitionen auf diese Branchen, das heißt,<br />
FuE-Investitionen werden in Europa breiter<br />
gestreut. Davon profitiert nicht zuletzt die Erschließung<br />
erneuerbarer Energiequellen, ein<br />
Bereich, in dem EU-Unternehmen besonders<br />
stark investieren. KS<br />
Europäische Unternehmen: VW steht an<br />
Platz drei bei Forschungsausgaben<br />
Foto: VW<br />
25
26 TrEndS<br />
helfer aus leidenschaft<br />
Ehrenamtliches Engagement wird in Deutschland immer beliebter<br />
Knapp 30 Millionen Menschen in Deutschland<br />
engagieren sich in ihrer Freizeit für<br />
einen guten Zweck – Tendenz steigend.<br />
Sie helfen unentgeltlich in Sportvereinen,<br />
Suppenküchen und Schulen, bei der freiwilligen<br />
Feuerwehr oder der Altenpflege.<br />
Viele Bereiche würden ohne die Ehrenamtlichen<br />
nicht funktionieren.<br />
Karl-Walter Göbler kümmert sich seit mehr<br />
als 45 <strong>Jahre</strong>n um die kleinen und großen<br />
Belange im Turn- und Sportverein Eudenbach<br />
in Nordrhein-Westfalen. Zunächst als Kassenwart<br />
und seit 1974 als 1. Vorsitzender hat er<br />
maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der<br />
Verein erheblich gewandelt hat: So bietet das<br />
Sportprogramm nicht mehr nur Turnen und<br />
Fußball, sondern eine breite Palette von Tennis<br />
über Tanzsport und Aerobic bis hin zu<br />
Schülersport und Eltern-Kind-Turnen. Entsprechend<br />
stieg die Mitgliederzahl von 260<br />
auf 800. Besonders stolz ist er auf den Tennisplatz<br />
und das Sportjugendheim, die der Verein<br />
in Eigenregie geplant und gebaut hat.<br />
Als Bauherr auftreten, Übungs- und Abteilungsleiter<br />
gewinnen, Finanzen regeln, Hausmeisterarbeiten<br />
erledigen – es gibt wohl kaum<br />
einen Tag, an dem er nicht für den Verein aktiv<br />
war. Die Zeit hat der 69-jährige ehemalige<br />
Bankangestellte aber gern geopfert. „Irgendwie<br />
hat sich das so ergeben“, sagt er. Geld<br />
bekommt Karl-Walter Göbler für seine Arbeit<br />
ebenso wenig wie die anderen 15 Ehrenamtlichen<br />
des Vereins. „Unsereins lebt für den Erfolg,<br />
nicht für den Erlös“, erzählt er mit einem<br />
Schmunzeln. Für sein vorbildliches Engagement<br />
verlieh ihm der Deutsche Fußballbund<br />
<strong>20</strong>03 den Ehrenamtspreis des Verbandes.<br />
Sport steht an erster Stelle<br />
Oft bleibt die Anerkennung allerdings aus.<br />
„Das Ehrenamt ist eine in der Öffentlichkeit<br />
oft unterschätzte Größe“, stellt der Soziologe<br />
und Verwaltungswissenschaftler Holger Backhaus-Maul<br />
fest. Der Versicherungskonzern<br />
AMB Generali hat in seinem „Engagementatlas<br />
<strong>20</strong>09“ ermittelt, dass die Deutschen rund<br />
4,6 Milliarden Stunden im Jahr ehrenamtliche<br />
Arbeit leisten. Das entspricht einem Gegenwert<br />
von rund 35 Milliarden Euro. „Zudem<br />
haben Untersuchungen ergeben, dass höheres<br />
Bürgerengagement den wirtschaftlichen Erfolg<br />
einer Region verbessern kann“, ergänzt<br />
der Wissenschaftler von der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg.<br />
Die Bereitschaft, sich neben Arbeit und Privatleben<br />
für das Gemeinwohl einzusetzen,<br />
steigt. Laut Freiwilligensurvey der deutschen<br />
Bundesregierung ist der Anteil zwischen 1999<br />
und <strong>20</strong>04 von 34 auf 36 Prozent angewachsen.<br />
Die meisten Menschen sind wie Karl-Walter<br />
Göbler in Sport und Freizeit aktiv, unter anderem<br />
als Trainer einer Jugendmannschaft oder<br />
bei einem Karnevalsverein. Dahinter folgen<br />
Schul- und Jugendarbeit, Kirche sowie Kultur<br />
und Musik. In Deutschland beschränkt sich<br />
das Engagement allerdings häufig auf ein bestimmtes<br />
Spektrum. Ein Austausch mit anderen<br />
Bereichen findet nicht statt. „In den USA<br />
ist das anders: Dort ist der engagierte Bürger<br />
eine Grundhaltung, die sich durch alle Lebensbereiche<br />
zieht“, sagt Holger Backhaus-Maul.<br />
In den südlichen Bundesländern wie Baden-<br />
Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz<br />
helfen mehr Menschen freiwillig. Ursachen<br />
seien unter anderem der höhere Wohlstand<br />
und die niedrigere Erwerbslosenquote in<br />
diesen Bundesländern. Am aktivsten sind Familien<br />
mit Kindern, bei denen beide Partner<br />
berufstätig sind. „Die Eltern sind durch Arbeit,<br />
Schule oder Kindergarten besonders eng mit<br />
der Gesellschaft verbunden und zeigen sich in<br />
allen Lebenslagen engagiert“, erläutert Holger<br />
Mit Spaß dabei: Die meisten Ehrenamtlichen sind im Sport aktiv<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Backhaus-Maul. Außerdem gilt: Je höher die<br />
Bildung und das Einkommen, desto größer ist<br />
die Bereitschaft und auch die Fähigkeit, sich<br />
einzubringen.<br />
Gutes für andere und sich selbst<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n hat sich das Ehrenamt<br />
jedoch verändert. Früher ging es vor allem<br />
darum, etwas Gutes zu tun. „Das gilt heute<br />
immer noch, gleichberechtigt tritt aber der<br />
Wunsch hinzu, auch selbst Nutzen aus dem<br />
Engagement zu ziehen“, erklärt der Soziologe.<br />
Das können Spaß und Lebensfreude sein,<br />
aber auch neue Impulse, Ideen und Kompetenzen,<br />
die einen persönlich weiterbringen.<br />
Als Motive werden heute am häufigsten der<br />
Wunsch nach gesellschaftlicher Mitgestaltung<br />
und das Zusammenkommen mit anderen genannt.<br />
In den Vordergrund rückt inzwischen<br />
die Mitarbeit an zeitlich befristeten Projekten<br />
mit klarer Ausrichtung und messbaren Zielen.<br />
Das gilt insbesondere für die Jüngeren. Immer<br />
stärker engagieren sich auch Unternehmen,<br />
insbesondere im Bildungsbereich oder mittels<br />
Stiftungen.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Fotos: iStockphoto<br />
Am stärksten gewachsen ist laut Freiwilligensurvey<br />
die Hilfe auf sozialem Gebiet. Kathrin<br />
Lange ist seit vier <strong>Jahre</strong>n ehrenamtliche<br />
Helferin im Hospiz des Waldkrankenhauses<br />
in Bonn. Die Einrichtung begleitet unheilbar<br />
kranke Menschen in ihrer letzten Lebensphase<br />
bis zum Tod. „Jeder Gast hat die Möglichkeit,<br />
sich von den freiwilligen Helfern besuchen zu<br />
lassen“, berichtet sie. Dabei wird darauf geachtet,<br />
dass Helfer und Kranke zueinander<br />
passen. Ein Patentrezept für die Besuche gibt<br />
es nicht. „Man muss auf den Gast eingehen<br />
und erkennen, was er benötigt“, erklärt die<br />
43-Jährige. Manchmal geht es darum, einfach<br />
nur da zu sein. Andere benötigen einen Ansprechpartner,<br />
um über alles Mögliche reden<br />
zu können. Sie geht mit den Kranken auch mal<br />
spazieren, liest ihnen vor und singt mit ihnen.<br />
Die Betreuung kann von wenigen Tagen bis<br />
mehrere Monate dauern. „Es gibt immer wieder<br />
Situationen, in denen ich an meine psychische<br />
Grenze komme. Nach Ende einer Betreuung<br />
nehme ich des Öfteren eine Auszeit.<br />
Das hilft mir, Distanz zu halten“, erzählt sie.<br />
Bei regelmäßigen Treffen der ehrenamtlichen<br />
Großer Bedarf:<br />
Hilfe für Ältere und Pflegebedürftige<br />
TrEndS<br />
Sterbehelfer und des Hospizpersonals können<br />
sich die Helfer in Gesprächen selbst entlasten.<br />
Für Kathrin Lange ist die Begleitung Sterbender<br />
ein „wundervolles“ Ehrenamt: „Ich lerne<br />
Menschen kennen, die ich im Alltag nie getroffen<br />
hätte. Diese an sich fremden Menschen<br />
schenken mir Vertrauen in einer Lebensphase,<br />
in der es eher um Abschied als um Bindung<br />
geht. Das berührt mich“, beschreibt sie. Ihren<br />
Beruf als Beamtin musste sie wegen einer<br />
chronischen Krankheit aufgeben. „Die Arbeit<br />
im Hospiz hat mir eine Aufgabe gegeben. Sie<br />
vermittelt mir ein gutes Gefühl – und andere<br />
fühlen sich ebenfalls gut.“<br />
Holger Backhaus-Maul sieht gute Chancen,<br />
das ehrenamtliche Engagement in Deutschland<br />
weiter auszubauen. „Neben dem Drittel<br />
der Bevölkerung, das bereits Aufgaben übernommen<br />
hat, kann sich ein weiteres Drittel<br />
vorstellen, sich künftig zu engagieren. Hier<br />
schlummert erhebliches Potenzial“, betont der<br />
Forscher. Man könne etwa wie in den USA an<br />
Schulen und Hochschulen Fähigkeiten von Eltern<br />
beziehungsweise Studienbewerbern abfragen.<br />
Wenn jemand gut kochen kann, könnte<br />
er das anderen und sogar dem Mensapersonal<br />
beibringen. Oder ein Rechtsanwalt hilft bei<br />
juristischen Fragen. Gerade bei ausländischen<br />
Studierenden, die nach Deutschland kommen,<br />
sei das eine hervorragende Möglichkeit, sie<br />
einzubinden und im Gemeinwesen der neuen<br />
Umgebung zu vernetzen. „Und es wäre<br />
eine Wertschätzung der Person, die zu uns<br />
kommt“, hebt Holger Backhaus-Maul hervor.<br />
Christian Hohlfeld<br />
abSTracT<br />
Commitment to Service<br />
One third of Germany’s population of about<br />
82 million volunteer part of their free time for<br />
good causes — and the number is growing.<br />
Unpaid volunteers help in sports clubs most<br />
of all, but also in schools, in soup kitchens,<br />
in fire brigades, and in caring for the elderly.<br />
Another third of the population would be willing<br />
to consider volunteering. Even today, there<br />
are many organizations that couldn’t function<br />
at all without volunteers. People most likely to<br />
volunteer in community service include those<br />
in southern Germany and families in which<br />
both parents are employed. Their motivation is<br />
no longer just to do others a good turn. Today’s<br />
volunteers want to benefit from their work: they<br />
expect to gain new ideas, skills, or enjoyment.<br />
27
28 rÄTSEl<br />
Seit 1835 gibt es die Eisenbahn in Deutschland.<br />
Sie gehört so sehr zum Alltag, dass sich viele Redewendungen<br />
auf die Bahn beziehen. Ist etwas sehr eilbedürftig,<br />
heißt es zum Beispiel „höchste Eisenbahn“. In diesem Rätsel geht es<br />
darum, die richtigen Begriffe aus der Welt der Eisenbahn zu finden. Die<br />
Buchstaben in den gekennzeichneten Feldern ergeben das Lösungswort.<br />
Es stammt ebenfalls aus dem Bahn-Bereich.<br />
Bei großem Unverständnis sagt man: Ich verstehe nur<br />
Soll jemand sein Verhalten ändern, drückt man das umgangssprachlich so<br />
aus: Ihm wird kräftig gemacht.<br />
Von einem großen Projekt heißt es: Das wird jetzt auf die<br />
gesetzt.<br />
Bei Foulspiel im Fußball ist eine gängige Redewendung: Der Verteidiger hat<br />
die gezogen.<br />
Ist jemand völlig außer Atem, heißt es: Er schnauft wie eine<br />
Steht der Realisierung eines Projekts nichts mehr im Wege, drückt man das<br />
oft so aus: Das steht auf grün.<br />
Wer jemandem sehr heftig widerspricht, der weist seinen Gesprächspartner<br />
in die<br />
Zeichen für eine Besserung der Lage: Endlich Licht am Ende vom<br />
Ein guter Plan lässt sich so würdigen:<br />
Die sind richtig gestellt.<br />
Schreiben Sie das Lösungswort an ▼<br />
Unter den richtigen Lösungen werden zehn Hauptgewinne und zehn Trostpreise vergeben. Bei<br />
diesem Rätsel nehmen an der Auslosung nur Einsendungen von Leserinnen und Lesern teil,<br />
deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte die vollständige<br />
Adresse des Absenders angeben!<br />
DIE GEWINNER KÖNNEN ZWISCHEN FOLGENDEN PREISEN WÄHLEN:<br />
1. Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 25. Auflage. Dudenverlag<br />
2. Der große Conrady: Das Buch deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart.<br />
Hrsg. von Karl Otto Conrady. Artemis und Winkler Verlag <strong>20</strong>08<br />
3. Edgar Wolfrum: Die Mauer. Geschichte einer Teilung. C.H. Beck Verlag <strong>20</strong>09<br />
4. Kein schöner Land (1 CD Volkslieder), Knabenchor capella vocalis. Eckhard Weyand.<br />
Häussler classic<br />
Bitte geben Sie mit der Lösung auch den von Ihnen gewünschten Preis an.<br />
Wer war’s? Professor Grübler fragt<br />
Er stammt aus einer Stadt an der Mosel. In seinem<br />
Abitur-Aufsatz geht es um Kriterien für die Berufswahl.<br />
Der am besten geeignete Beruf für einen strebsamen Menschen<br />
sei jener, schreibt er, „der das größte Feld darbietet,<br />
um für die Menschheit zu wirken“. Schließlich gehe es auch<br />
darum, durch Eintreten für das Gemeinwohl „sich selbst zu<br />
veredeln.“<br />
In seinem Leben wechseln dann die beruflichen Ziele. Er promoviert<br />
in Jena. Aber eine Universitätslaufbahn bleibt ihm verschlossen.<br />
Als Alternative wählt er den Journalistenberuf. Doch<br />
so frei schreiben, wie er möchte, kann er nicht. Alle Texte, die<br />
er publiziert, müssen von einem Zensor persönlich genehmigt<br />
werden. Schließlich wird seine Zeitung verboten, und er geht<br />
ins Ausland.<br />
Es folgen viele Krisen. Er verarmt. Das wertvolle Familiensilber<br />
landet im Leihhaus. Mehrere seiner Kinder sterben im<br />
Säuglingsalter. Schmerzhafte Hautkrankheiten ruinieren<br />
seine Gesundheit.<br />
Durch Veröffentlichungen ein wenig Geld zu verdienen,<br />
ist kaum noch möglich. Über ein Manuskript, das lange<br />
ungedruckt bleibt, schreibt er, er habe es „der nagenden<br />
Kritik der Mäuse“ überlassen müssen.<br />
Er ist knapp 50 <strong>Jahre</strong> alt, als er endlich ein wissenschaftliches<br />
Buch vollendet, von dem er meint,<br />
es sei so bedeutsam wie die entwicklungsgeschichtliche<br />
Theorie von Charles Darwin. Doch<br />
das Buch wird zunächst kaum beachtet. Die<br />
weltumspannende Wirkung seines Lebenswerks<br />
tritt erst ein, als er schon längst tot<br />
ist.<br />
Professor Grübler fragt: Wer war’s?<br />
Redaktion <strong>DAAD</strong> Letter<br />
Trio MedienService<br />
Chausseestraße 103<br />
10115 Berlin, Germany<br />
Fax: +49 30/85 07 54 52<br />
E-Mail: raetsel@trio-medien.de<br />
Einsendeschluss ist der 10. März <strong>20</strong>10<br />
!<br />
Unter den richtigen Lösungen werden<br />
fünf Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg<br />
ist ausgeschlossen. Bitte wählen Sie unter<br />
den links unten genannten Preisen.<br />
Senden Sie die Lösung an ▼<br />
Die Lösung und die Gewinner<br />
der vorigen Letter-Rätsel<br />
finden Sie auf Seite 42<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
SprachWErKSTaTT<br />
Diese Hochschule ist offen für alle Nationen<br />
Substantive können für sich allein<br />
stehen oder mit einem Artikel versehen<br />
sein (der Student, ein Professor).<br />
Häufig sind sie aber auch<br />
von Artikelwörtern begleitet, und<br />
um solche geht es hier: dieser,<br />
derjenige, derselbe, sein, dessen,<br />
welcher, alle, einige, etliche, jeder,<br />
jener, keiner, mancher, mehrere.<br />
Bitte entscheiden Sie im Folgenden,<br />
welches der hier genannten<br />
Artikelwörter passt, und setzen<br />
Sie es in die richtige Form!<br />
_____ deutsche Hochschule, die sich rühmen kann, so alt zu sein wie _____ andere<br />
betriebswirtschaftliche Hochschule in Deutschland, ist zugleich die mit den meisten Auslandskontakten:<br />
Die Rede ist von der Handelshochschule Leipzig (HHL), einer privaten,<br />
staatlich anerkannten Hochschule, die _____ <strong>Jahre</strong> wieder unter den TOP drei der renommierten<br />
deutschen Business-Schools zu finden ist. Ursprünglich war die HHL 1898 als<br />
erste deutsche Handelshochschule entstanden. Nach _____ Umstrukturierungen durch<br />
den Zweiten Weltkrieg und das DDR-Regime wurde sie 1992 neu gegründet.<br />
Heute ist die HHL eine international akkreditierte Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht,<br />
_____ praxisorientierte Studienangebote sehr begehrt sind. Unter den Studierenden,<br />
die hier ihren Master of Business Administration (MBA) erwerben wollen, gibt<br />
es neben Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Medizinern auch so _____ Geisteswissenschaftler.<br />
Das Ziel _____ Studenten ist es, sich für eine _______anspruchsvollen Führungspositionen<br />
zu qualifizieren, die im globalen Kontext angeboten werden. 70 Prozent<br />
der MBA-Vollzeitstudenten und 40 Prozent ______ 372 Studierenden sind Ausländer.<br />
Nicht umsonst bezeichnet sich die HHL seit diesem Herbst als internationalste Hochschule<br />
Deutschlands. _____ Ergebnis erbrachte eine Studie zur Internationalität der<br />
deutschen Hochschulen, zu _____ Auftraggebern auch der <strong>DAAD</strong> gehörte. Unter _____<br />
62 deutschen Universitäten und privaten Hochschulen, die untersucht wurden, belegte<br />
die HHL gleich in _____ Kategorien den ersten Platz. So für _____ Marketing-Instrumente<br />
wie etwa die überwiegend englischsprachige Website (www.hhl.de) sowie für _____<br />
Betreuung ausländischer Studierender durch Tutorien und den Career Service, Beratungsangebote<br />
und Deutschkurse. Besonders herausragend: _____ partnerschaftlichen<br />
Beziehungen zu mehr als 100 ausländischen Hochschulen, darunter _____ Partneruniversitäten<br />
in den USA, Indien, Frankreich und Spanien.<br />
______ hohe Zahl an Auslandskontakten kommt auch dem interkulturellen Studentenaustausch<br />
zugute: Nie gehen mehr als maximal zwei deutsche Studierende gleichzeitig an<br />
_____ Partneruniversität; umgekehrt werden jährlich insgesamt 80 Studierende von den<br />
Partnerhochschulen an die HHL entsandt. _____ herausragende Rolle die Internationalität<br />
an dieser Hochschule spielt, zeigt sich auch daran, dass beinahe _____ angebotenen<br />
Studienprogramme von einem internationalen Dozenten-Team auf Englisch unterrichtet<br />
werden.<br />
Christine Hardt<br />
LÖSUNG: diejenige, keine, alle, einigen, deren, manchen, jedes, jener, aller, dieses, deren, allen, mehreren, ihre, ihre,<br />
ihre, etliche, diese, dieselbe, welche, alle<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: HHL<br />
aufgESpIESST<br />
Irritierende Zeitenfolge<br />
SprachEcKE<br />
„Waren Sie zufrieden gewesen?“, fragte der livrierte<br />
Kellner den Gast eines besseren Berliner<br />
Restaurants, der gerade sein Menü beendet hatte.<br />
Was soll man darauf antworten? Nimmt der<br />
Gast die Kellnerfrage wörtlich, könnte sie ihn<br />
doch erheblich irritieren und zum Nachdenken<br />
bringen. Dass die Berliner seit jeher Zielscheibe<br />
des Spotts über ihren ungewöhnlichen Gebrauch<br />
der Vorvergangenheit gewesen sind, macht die<br />
Sache nur scheinbar besser.<br />
Denn mit dem Plusquamperfekt haben viele<br />
Sprecher des Deutschen ihre Probleme. Auch<br />
wenn manche das nicht wahrhaben wollen<br />
– und vielleicht mürrisch zurückfragen: „Plusquamperfekt?<br />
Was war das nochmal gewesen?“<br />
Da kann der Absolvent eines humanistischen<br />
Gymnasiums noch so sehr auf der „consecutio<br />
temporum“ bestehen – Sätze mit falscher Zeitenfolge<br />
wie „Nachdem er ging, war ich sauer“<br />
muss er sich heute überall anhören. Wer seine<br />
Äußerung mit „nachdem“ beginnt, ist aber ans<br />
Plusquamperfekt gebunden, weil „nachdem“ zu<br />
den temporalen Bindewörtchen zählt und nicht,<br />
wie viele Zeitgenossen zu glauben scheinen, zu<br />
den kausalen wie „da“ oder „weil“.<br />
Wer also sagt: „Nachdem ich Platz genommen<br />
hatte, brachte der Ober die Speisekarte“, erzählt<br />
von einer zeitlichen Abfolge, und da kommt –<br />
völlig korrekt – die Vorvergangenheit vor der<br />
Vergangenheit, Plusquamperfekt vor Imperfekt.<br />
„Nachdem ich Platz genommen habe, bringt der<br />
Ober die Karte“ ist ein Satz mit ebenfalls richtiger<br />
Zeitenfolge: Perfekt vor Präsens.<br />
Zurück nach Berlin. Wollte der aufmerksame<br />
Kellner vielleicht wissen: „Waren Sie zufrieden<br />
gewesen, bevor Sie in unser Restaurant kamen<br />
und gegessen haben? Und sind Sie es jetzt womöglich<br />
nicht mehr?“ Wohl kaum! Er wollte<br />
wohl eher erfahren, ob das Menü gemundet hat<br />
– dann aber hätte „Waren Sie zufrieden?“ durchaus<br />
genügt.<br />
Nebenbei gesagt: Nicht nur im Deutschen ist<br />
die korrekte Zeitenfolge einzuhalten. Und eigentlich,<br />
bei einem Minimum an Aufmerksamkeit<br />
für Klarheit und Wohlklang einer Sprache,<br />
ist das auch nicht besonders schwierig.<br />
Findet jedenfalls<br />
29
30 daad<br />
deutschland „ganz normal“<br />
Die Wahl des Deutschen Bundestags aus der Sicht ausländischer Wissenschaftler<br />
Deutsche Medien bezeichneten den Wahlkampf<br />
in diesem Jahr als „langweilig“. Das<br />
Urteil internationaler Wahlbeobachter fiel<br />
anders aus. 19 Wissenschaftlerinnen und<br />
Wissenschaftler aus 18 Ländern, die der<br />
<strong>DAAD</strong> zu einer zehntägigen Informationsreise<br />
quer durch Deutschland eingeladen<br />
hatte, warfen einen neugierigen und kritischen<br />
Blick auf Wahlkampfthemen, die<br />
deutsche Gesellschaft und nicht zuletzt auf<br />
sich selbst.<br />
Bitte alle zügig in den Bus einsteigen!“ Es<br />
ist Samstag vor der Bundestagswahl, und<br />
der Kampf um die Stimmen in Deutschland ist<br />
in der heißen Phase. In Berlin will die bunt gemischte<br />
Gruppe ausländischer Deutschlandexperten<br />
noch möglichst viele abschließende<br />
Wahlveranstaltungen besuchen und letzte<br />
Gespräche mit Ministern, Wahlstrategen, jungen<br />
Politikern oder Wirtschaftsexperten führen.<br />
Doch von hektischer Unruhe ist nichts zu<br />
spüren. Die fröhliche Gruppe nutzt die kurze<br />
Atempause im Bus für angeregte Gespräche<br />
und Notizen – für die Artikel, Berichte und<br />
Interviews, die sie jetzt in ihre Heimatländer<br />
schickt.<br />
„Es war ein Wahlkampf ohne Kampf“, sagt der<br />
niederländische Politologe Ton Nijhuis. „Geprägt<br />
von Sachlichkeit und sehr transparent“,<br />
lobt die ägyptische Soziologin Mona Abaza.<br />
„Perfekt organisiert“, fügt der brasilianische<br />
Philosoph Marcos Severino Nobre augenzwinkernd<br />
hinzu, und „unfassbar friedlich“, betont<br />
der libanesische Pädagoge Abdel-Raouf Sinno.<br />
„Im Libanon ist es unvorstellbar, dass konkurrierende<br />
Parteien ihre Stände nebeneinander<br />
aufstellen und freundlich guten Tag sagen!“<br />
Der russische Soziologe Alexander Chepurenko<br />
sieht „keine Machtdistanz“ zwischen Volk<br />
und Politikern und darin „ein gutes Zeichen<br />
für die Mündigkeit der Zivilgesellschaft“. Die<br />
meisten schließen sich dem Urteil des polnischen<br />
Historikers Krzysztof Ruchniewicz an:<br />
Kritischer Blick: Internationale Wissenschaftler<br />
beobachten die Bundestagswahl<br />
„Mag sein, dass die Wahl für die Deutschen<br />
langweilig war, aber uns hat sie gezeigt, wie<br />
normal Deutschland jetzt funktioniert.“<br />
Kaum Kontroversen<br />
„Eigentlich hatte ich erwartet, dass Deutschland<br />
in einem Jahr voller Jubiläen – <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Wiedervereinigung und 60 <strong>Jahre</strong> Grundgesetz<br />
und Demokratie – die Geschichte ins Zentrum<br />
des Wahlkampfes stellen würde“, merkt<br />
Ruchniewicz an. In seinem Heimatland spiele<br />
Geschichte im Wahlkampf eine wichtige Rolle.<br />
Stattdessen stand bei den deutschen Parteien<br />
die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt. Das<br />
wertet der Direktor des Willy-Brandt-Zentrums<br />
für Deutschland- und Europastudien an der<br />
Universität Wroclaw als erfreulich pragmatisch:<br />
„Wenn Geschichte Nebenschauplatz ist,<br />
fördert das den neutralen Dialog über sensible<br />
Themen deutsch-polnischer Vergangenheit.“<br />
Der Verzicht auf kontroverse Wahlkampfthemen<br />
ist das, worüber die Wahlbeobachter<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Fotos (3): Rebecka Michel
im Bus am häufigsten sprechen. „Warum<br />
greifen die großen Parteien das Thema Militäreinsatz<br />
in Afghanistan nicht auf?“, fragt<br />
der Amerikaner Daniel Joseph Walther. „Ich<br />
bemerke hier eine Lücke zwischen dem, was<br />
die Menschen interessiert, und dem Interesse<br />
der Parteien.“ Der Professor für deutsche<br />
Geschichte am Wartburg College, Iowa, sieht<br />
das kritisch. Die Nigerianerin Ndidi Nnolo<br />
Edozien, <strong>DAAD</strong>-Alumna und Präsidentin der<br />
Growing Businesses Foundation, zeigt dagegen<br />
Verständnis dafür, dass Themen, die die<br />
Gesellschaft spalten, im deutschen Wahlkampf<br />
vermieden werden: „Man will den Grundkonsens<br />
nicht aufgeben. Die Erfahrung der Weimarer<br />
Republik und die Angst vor dem Zerfall<br />
der Parteien sitzt den Deutschen im Nacken.“<br />
„Eine Spaltung der deutschen Gesellschaft<br />
ist dennoch spürbar“, sagt Mona Abaza, Professorin<br />
an der schwedischen Universität<br />
Lund: „Ich habe die Menschen während der<br />
Reise überall gefragt, ob sie <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> nach dem<br />
<strong>Mauerfall</strong> noch Ostdeutsche von Westdeutschen<br />
unterscheiden könnten – und sie haben<br />
das bejaht! Darüber sollte man in Deutschland<br />
mehr sprechen.“ Der junge kanadische Doktorand<br />
Benjamin Bryce, der mit einer zweiten,<br />
international zusammengesetzten Gruppe von<br />
Doktoranden der Zentren für Deutschland-<br />
und Europastudien unterwegs ist, sieht das<br />
entspannter: „Deutschland hat so viele Identitäten<br />
– eine bayerische und eine norddeutsche<br />
und jetzt eben auch eine ostdeutsche.<br />
Gibt es denn eine gemeinsame Identität der<br />
Deutschen?“<br />
Über europäische Identität und Deutschlands<br />
Rolle in Europa, über Zukunft und<br />
Visionen hätten Krzysztof Ruchniewicz und<br />
Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Direktor des<br />
Duitsland Instituut Amsterdam, gerne mehr<br />
gehört. „Wir Holländer brauchen Deutschland<br />
in einer Vorreiterrolle, um die Idee eines föderalen<br />
Europas umzusetzen.“ Nijhuis macht<br />
sich Sorgen, weil in vielen europäischen Ländern<br />
eine rückwärtsgewandte Fokussierung<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
auf nationale Themen zu beobachten ist: „Verunsicherte<br />
Wähler und Parteien sind derzeit<br />
in Europa überall zu finden – und auch in diesem<br />
Sinne ist Deutschland wohl ganz normal.“<br />
Zu wenige Migranten<br />
Die Integration von Ausländern ist ebenfalls<br />
Diskussionsthema. Die Beobachter wundern<br />
sich darüber, dass selbst in den Jugendorganisationen<br />
der politischen Parteien kaum Menschen<br />
mit Migrationshintergrund zu finden<br />
sind. „Junge Ausländer organisieren sich weltweit<br />
in Subkulturen“, sagt Mona Abaza. „Die<br />
großen Parteien schrumpfen auch deshalb,<br />
weil Subkulturen keinen Zugang zu ihnen<br />
haben.“ Den jungen Menschen fehlten in der<br />
klassischen Parteienlandschaft ihre ureigenen<br />
Themen, ergänzt Alexander Chepurenko,<br />
Vize-Präsident der Russischen Soziologischen<br />
Gesellschaft.<br />
Als hohe Integrationsleistung der Volksparteien<br />
in Deutschland wertet Ton Nijhuis dagegen<br />
die Tatsache, dass der politisch rechte<br />
Rand in Deutschland nicht auffällt. Er stellt<br />
die Frage nach dem Zusammenhang von<br />
rechtspopulistischem Wahlverhalten und der<br />
Berichterstattung in den Medien: „Ich beobachte,<br />
dass die Medien in Deutschland sehr<br />
verantwortungsvoll sind und Rechtspopulismus<br />
und Extremismus keine Chance geben.“<br />
Der Vorwurf, populistisch zu sein, sei generell<br />
schlimm für Deutsche, ergänzt Jay Rowell, Direktor<br />
der Groupe de sociologie politique européenne<br />
in Straßburg: „Wer hier kompetent<br />
wirken will, muss sachlich sein!“<br />
„Bitte zügig alle aussteigen!“ Als der Bus<br />
bremst und die nächste Informationsveranstaltung<br />
auf dem Programm steht, treiben sich die<br />
Teilnehmer lachend gegenseitig an: „Auf, auf!<br />
Alléz! Vamos!“ - „Das Beste ist fast die Gruppe<br />
… mit Guido Westerwelle,<br />
Freie Demokratische Partei,<br />
heute Außenminister (Mitte),<br />
… und mit Renate Künast,<br />
Vorsitzende der Bundestagsfraktion<br />
Bündnis 90/<br />
Die Grünen (rechts)<br />
daad<br />
abSTracT<br />
International Observers<br />
at German Elections<br />
The German media called the <strong>20</strong>09 electoral<br />
campaigns “boring”. International observers<br />
felt otherwise: 19 academics from 18 countries,<br />
invited to Germany by the <strong>DAAD</strong> to observe the<br />
run-up to the elections, had good things to say:<br />
Germany is a “perfectly normal” democracy, the<br />
experts on Germany concluded. The electoral<br />
campaigns were objective, peaceful, transparent<br />
and well-organized. In view of the global financial<br />
crisis it was no wonder that the focus was<br />
on economic issues. The observers remarked,<br />
however, that German society is still divided<br />
into East and West. They also showed interest in<br />
the controversial issues that were largely excluded<br />
from campaign rhetoric, such as the German<br />
military mission in Afghanistan, the integration<br />
of migrants, and Germany’s role in Europe.<br />
selbst“, sagt der Amerikaner Walther beim<br />
Aussteigen. Auch die Ägypterin Abaza freut<br />
sich darüber, wie „normal international“ diese<br />
gemeinsame Reise ist: „Wir diskutieren alles<br />
intensiv, wir lachen und machen Witze über<br />
die Stereotypen, die wir voneinander haben!“<br />
Und das, fügt Ton Nijhuis hinzu, lasse ihn darüber<br />
nachdenken, „wie national geprägt das<br />
eigene Deutschlandbild sein kann“.<br />
Bettina Mittelstraß<br />
Wahlbeobachter diskutieren …<br />
Foto: David Außerhofer<br />
31
32 daad<br />
Sternstunden eines programms<br />
Umgestaltung vom Plan zum Markt<br />
Seit 1989 fördert der <strong>DAAD</strong> Studierende der Wirtschaftswissenschaften<br />
aus Ost- und Mitteleuropa in einem Sonderprogramm.<br />
<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> später trafen sich rund 100 Alumni in Berlin. Ihre beeindruckenden<br />
Lebensläufe bezeugen die Erfolgsgeschichte.<br />
Alumni aus Ost- und Mitteleuropa arbeiten heute an wichtigen Schnittstellen der Wirtschaft<br />
Rückblick: Flughafen Frankfurt am Main<br />
vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. Drei junge Männer aus<br />
der sich öffnenden Sowjetunion werden von<br />
Gregor Berghorn, heute Leiter der <strong>DAAD</strong>-<br />
Außenstelle Moskau, in Empfang genommen.<br />
Toomas Haldmar, Sergey Kostyuchenko und<br />
Andrey Borodin sind unter den ersten 60 Stipendiaten,<br />
die für ein Jahr an (west)deutschen<br />
Hochschulen in den Wirtschaftswissenschaften<br />
ausgebildet werden dürfen.<br />
„Der Aufenthalt in Deutschland war ein Eckstein<br />
für meine Karriere“, sagt Toomas Haldmar.<br />
Heute ist er Professor an der Universität<br />
Tartu und einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler<br />
in Estland. Ebenso steil verliefen<br />
die Karrieren der beiden anderen Männer.<br />
Sergey Kostyuchenko ist der Chef der belarussischen<br />
Privatbank Prior in Minsk. Andrey<br />
Borodin ist Präsident der Bank von Moskau.<br />
„Das war ein historischer Moment“, betont<br />
Gregor Berghorn. Denn nach 75 <strong>Jahre</strong>n empfing<br />
er erstmals wieder Studierende aus Län-<br />
dern jenseits des bröckelnden Eisernen Vorhangs.<br />
Als einer der letzten russischen Studenten<br />
hatte der Schriftsteller Boris Pasternak<br />
die Universität Marburg vor Beginn des Ersten<br />
Weltkrieges verlassen.<br />
Das „Sonderprogramm UdSSR“ unter Federführung<br />
des <strong>DAAD</strong> festigte die Zusammenarbeit<br />
in Wissenschaft und Hochschulen, die<br />
1989 Helmut Kohl und Michail Gorbatschow<br />
vereinbart hatten. Als sich 1991 die Sowjetunion<br />
auflöste, wurde das Programm mit Unterstützung<br />
des Auswärtigen Amtes fortgeführt.<br />
1994 erhielt es einen festen Platz in dem seit<br />
1949 bestehenden ERP-Förderportfolio des<br />
Bundeswirtschaftsministeriums.<br />
Ziel des Sonderprogramms war zunächst,<br />
den dramatischen Umgestaltungs- und Modernisierungsprozess<br />
„vom Plan zum Markt“<br />
zu begleiten und Studierende möglichst rasch<br />
in der neuen Volkswirtschaft auszubilden. Die<br />
langfristige Idee war, dass sie in Führungs-<br />
oder Schlüsselpositionen die Wirtschaft ihrer<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
Länder unter den neuen Bedingungen mitgestalten<br />
und in den globalen Markt lenken<br />
würden.<br />
Mittler der Mentalitäten<br />
Das Konzept ging auf. „Heute sind viele der<br />
mehr als 1500 ehemaligen <strong>DAAD</strong>-ERP-Stipendiaten<br />
in großen Städten Osteuropas für die<br />
mittelständische Industrie ein Wirtschafts-<br />
und Standortfaktor geworden“, sagt Gregor<br />
Berghorn. Denn sie besetzen Schnittstellen<br />
und vermitteln nicht nur zwischen Wirtschaftssystemen,<br />
sondern auch zwischen Kulturen<br />
oder Mentalitäten. „An der russischen<br />
UniCredit Bank in Moskau übersetzte ich den<br />
internationalen Kunden das russische System<br />
und erklärte den Russen, was diese Kunden<br />
überhaupt wollten“, erzählt Dmitriy Antropov,<br />
<strong>20</strong>02 <strong>DAAD</strong>-Stipendiat an der Universität<br />
Marburg. Inzwischen arbeitet er für die international<br />
agierende Vermögensverwaltungsgesellschaft<br />
Partners Group in der Schweiz.<br />
„Das Stipendium war für mich ein Tor zur<br />
Welt“, sagt die Rumänin Irina Drilea-Gasca,<br />
<strong>20</strong>02 Stipendiatin in Trier. Sie arbeitet heute<br />
für eine der größten global agierenden Management-<br />
und Technologieberatungsfirmen,<br />
die deutsche BearingPoint GmbH. Wie viele<br />
andere Almuni, die heute in internationalen<br />
Firmen als Wirtschaftsprüfer oder Finanzberater<br />
arbeiten, versteht sie sich auch als Botschafterin<br />
ihres Landes und leistet wertvolle<br />
Vermittlungs- und Verständigungsarbeit in<br />
einer globalen Marktwirtschaft.<br />
Das <strong>DAAD</strong>-ERP-Programm hat sich den neuen<br />
Studienordnungen angepasst und bietet<br />
seit <strong>20</strong>08 einen zweijährigen Masterstudiengang<br />
an. Angesichts zukünftiger Aufgaben,<br />
wie etwa die wirtschaftlichen Herausforderungen<br />
des Klimawandels, geht es noch stärker<br />
darum, kompetente Führungskräfte für ein<br />
globales Umfeld auszubilden.<br />
Bettina Mittelstraß<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
nachrichten<br />
Entwicklungsforschung<br />
Zehn <strong>Jahre</strong><br />
Doktorandenausbildung<br />
An der Bonn Interdisciplinary<br />
Graduate School for Development<br />
Research des Zentrums für Entwicklungsforschung<br />
(ZEF) setzen<br />
sich ausländische Doktoranden<br />
mit Entwicklungsthemen aus<br />
ihrer Heimat auseinander. Seit<br />
1999 haben 433 Akademiker aus<br />
77 Ländern das Doktorandenprogramm<br />
durchlaufen, darunter<br />
zahlreiche mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium.<br />
Einer ist der Biologe René Capote-Fuentes<br />
aus Kuba. Er erforschte<br />
von <strong>20</strong>03 bis <strong>20</strong>07 als Doktorand<br />
die Belastbarkeit von Mangrovenwäldern<br />
in seiner Heimat.<br />
„Wir wissen weltweit genug darüber,<br />
wie wir dieses Ökosystem<br />
wieder aufbauen können“, sagt<br />
der <strong>DAAD</strong>-Alumnus. „Der Fokus<br />
liegt aber derzeit zu sehr auf der<br />
Forschung und zu wenig auf der<br />
Umsetzung der bestehenden Lösungsansätze.“<br />
Seine Erkenntnisse<br />
gibt er heute unter anderem als<br />
Dozent für Umweltmanagement<br />
an der Hochschule für Technologie<br />
und Angewandte Wissenschaften<br />
in Havanna weiter. Zudem arbeitet<br />
der Forscher am kubanischen National<br />
Center for Biodiversity.<br />
Die Ökonomin Joy Kiiru beschäftigte<br />
sich in ihrer Promotion mit<br />
dem Wirtschaftssystem ihrer Hei-<br />
Ausbildung am Zentrum für Entwicklungsforschung<br />
Foto: Margret Jend / ZEF Vielseitig und nachhaltig:<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
mat Kenia und erforschte den Einfluss<br />
von Kleinstkrediten auf den<br />
Lebenserwerb der armen Landbevölkerung.<br />
Diese Vielseitigkeit<br />
spiegelt sich in der Doktorandenausbildung<br />
am ZEF wider. Die<br />
Teilnehmer lernen Grundlagen<br />
der Mathematik, Statistik oder<br />
Fernerkundung, um gemeinsam<br />
auf einen einheitlichen Wissensstand<br />
zu kommen. Auch ein<br />
Deutschkurs ist Pflicht. Sie betreiben<br />
Feldforschung in Deutschland<br />
oder im Ausland und tauschen<br />
sich miteinander aus, um neue<br />
Anregungen zu bekommen. „Ich<br />
habe erfahren, wie andere Länder<br />
mit ähnlichen Problemen umgehen“,<br />
sagt Joy Kiiru, heute Dozentin<br />
für Wirtschaftswissenschaften<br />
an der Universität von Nairobi.<br />
„Mein Aufenthalt in Bonn ist eine<br />
Investition, von der nicht nur ich,<br />
sondern auch mein Land profitiert.“<br />
wygas<br />
Wissenschaftsdialog<br />
Wachsendes Vertrauen<br />
„Wachstum, Bildung, Zusammenhalt<br />
– diese Maximen gelten für<br />
unsere Zusammenarbeit mit Krisenstaaten“,<br />
sagte <strong>DAAD</strong>-Generalsekretär<br />
Christian Bode Mitte November<br />
auf der <strong>Jahre</strong>stagung der<br />
Auslandsamtsleiter der deutschen<br />
Hochschulen in Bonn. Gemeinsame<br />
Hochschulprojekte könnten<br />
einer Zuspitzung von Krisen vor-<br />
Hochschulen instandsetzen: Seit <strong>20</strong>02 unterstützt der <strong>DAAD</strong><br />
den akademischen Neuaufbau in Afghanistan<br />
beugen sowie den Wiederaufbau<br />
unterstützen, so die Erfahrung<br />
der Tagungsteilnehmer. Ein Beispiel<br />
nannte Wirtschaftsprofessor<br />
Wilhelm Löwenstein von der<br />
Universität Bochum: Sein Institut<br />
entwickelte mit elf Hochschulen<br />
in Afghanistan einen international<br />
anerkannten Bachelor-Studiengang,<br />
unterstützt vom <strong>DAAD</strong>.<br />
„Das ist das erste Mal, dass es einen<br />
einheitlichen Lehrplan in einem<br />
Studienfach für Afghanistan<br />
gibt“, sagt Wilhelm Löwenstein.<br />
Das stärkt den Zusammenhalt<br />
der Hochschulen, und die für den<br />
Wiederaufbau dringend benötigten<br />
Ökonomen werden dort ausgebildet.<br />
Häufig kann eine fachliche Zusammenarbeit<br />
eine Vertrauensbasis<br />
für andere, eher politische<br />
Themen bereiten. Vor allem aber<br />
kommt es darauf an, gemeinsame<br />
Vorhaben „auf gleicher Augenhöhe“<br />
durchzuführen, unterstrich<br />
Thomas Götz, Beauftragter für<br />
Außenwissenschaftspolitik im<br />
Auswärtigen Amt. Das bedeutet<br />
praktisch: Zusammenarbeit nur<br />
in Gebieten, in denen die Einheimischen<br />
selbst Defizite erkennen<br />
und beheben wollen. Das Bundesministerium<br />
für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit (BMZ) als<br />
wichtiger internationaler Partner<br />
konzentriert sich auf Schwerpunktthemen:<br />
In der Subsahara<br />
beispielsweise sind dies Wasserwirtschaft,<br />
Finanzwesen und gute<br />
daad 33<br />
Regierungsführung. An solche politischen<br />
Vorgaben solle die Hochschulzusammenarbeit<br />
jeweils andocken,<br />
empfiehlt Thomas Albert<br />
vom BMZ. H.H.<br />
Kolumbien/Deutschland<br />
Exzellenz für Meere<br />
und Umwelt<br />
An der kolumbianischen Karibikküste<br />
entsteht ein neues Exzellenzzentrum<br />
für Meereswissenschaften.<br />
Es wird von der Universität<br />
Gießen und der Universidad<br />
Nacional de Colombia zusammen<br />
mit dem nationalen kolumbianischen<br />
Meeresforschungszentrum<br />
INVEMAR (Instituto de Investigaciones<br />
Marinas) und weiteren Partnern<br />
in Santa Marta aufgebaut. Im<br />
November unterzeichneten <strong>DAAD</strong>-<br />
Präsident Stefan Hormuth und die<br />
kolumbianischen Partner in Bonn<br />
den Kooperationsvertrag.<br />
Das Exzellenzzentrum „Coastal<br />
Colombian Resources and Environmental<br />
Changes“ soll eine<br />
funktionsfähige Infrastruktur<br />
für die meereswissenschaftliche<br />
Forschung und ein angesehenes<br />
deutsch-kolumbianisches Doktorandenprogramm<br />
bieten. Das geplante<br />
Zentrum ist eines von insgesamt<br />
vier für Forschung und<br />
Lehre im Ausland, deren Aufbau<br />
der <strong>DAAD</strong> mit Mitteln des Auswärtigen<br />
Amtes im Rahmen der<br />
Außenwissenschaftsinitiative fördert.<br />
JW<br />
Foto: Alexander Kupfer
34 daad<br />
Stipendiaten forschen<br />
Klimaforschung<br />
Hochwasser vorhersagen<br />
Verzweifelte Menschen auf ihren Hausdächern,<br />
die Semperoper in einem reißenden<br />
braunen Strom – die Erinnerungen an die<br />
„Jahrhundertflut“ der Elbe <strong>20</strong>02 sind verblasst,<br />
aber nicht verschwunden. Dank Monica<br />
Ionita könnte eine Hochwasserkatastrophe<br />
solchen Ausmaßes Geschichte bleiben: Die<br />
rumänische Physikerin hat in ihrer Promotion<br />
am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und<br />
Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven gezeigt,<br />
dass ein Elbehochwasser eine Saison im<br />
Voraus vorhergesagt werden kann. „Und das<br />
funktioniert mit einfachen statistischen Methoden“,<br />
sagt die 30-jährige <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin.<br />
Der Großteil ihrer Arbeit bestand darin,<br />
Niederschlags- und Temperaturdaten über<br />
Land und über dem Meer auszuwerten und<br />
nach Korrelationen mit Extrempunkten im<br />
Wasserpegel der Elbe zu suchen.<br />
Bei der Auswertung der Statistiken des Deutschen<br />
Meteorolgischen Instituts über die letzten<br />
hundert <strong>Jahre</strong> berücksichtigte sie globale<br />
klimatische Zusammenhänge: „Ein kalter,<br />
schneereicher Winter in Skandinavien begünstigt<br />
zum Beispiel ein Elbehochwasser im<br />
Frühling“, erklärt Monica Ionita, die seit dem<br />
Abschluss ihrer Dissertation im Juni <strong>20</strong>09 als<br />
Postdoc am Alfred-Wegener-Institut arbeitet.<br />
Sie ist sich sicher: „Meine Methode ist zu 60<br />
bis 80 Prozent zuverlässig, nur handeln müssen<br />
dann andere.“ Monica Ionita hatte während ihres<br />
Physikstudiums an der Universität Bukarest<br />
ihren Schwerpunkt auf Atmosphärische<br />
Physik gelegt und anschließend zwei <strong>Jahre</strong> im<br />
rumänischen Wetteramt gearbeitet. Zweimal<br />
wurde sie mit dem „Young Scientist Award“<br />
der Europäischen Meteorologischen Gesellschaft<br />
ausgezeichnet, bevor sie auf Empfehlung<br />
ihres Professors <strong>20</strong>06 in die Abteilung<br />
Klimaforschung am AWI kam.<br />
Zoologie<br />
Bienenschlau<br />
Die Biene ist ein Denkkünstler unter den Insekten:<br />
Sie bestimmt Tageszeiten bis auf 15<br />
Minuten genau, prägt sich die Farben und<br />
Symmetrien von Blüten ein und kann ausgezeichnet<br />
navigieren. Dabei wiegt ihr Gehirn<br />
gerade einmal ein Milligramm und beinhaltet<br />
nur eine Million Nervenzellen – der Mensch<br />
besitzt rund 10 000 Mal so viele. „Aber ihre<br />
wenigen Nervenzellen sind sehr effizient<br />
miteinander verschaltet“, erklärt der Bienenexperte<br />
Mario Pahl, der in der BEEgroup an<br />
Foto: BEEgroup Universität Würzburg<br />
der Universität Würzburg arbeitet. Seit <strong>20</strong>07<br />
forscht der Doktorand im deutschen Winter<br />
an der Australian National University in Canberra.<br />
Das zahlt sich doppelt aus: „Die Biologen<br />
in Canberra haben langjährige Erfahrung<br />
in der Biorobotik und Bionik, dort wurden<br />
auch schon zahlreiche Versuche mit Bienen<br />
gemacht“, sagt der <strong>DAAD</strong>-Stipendiat. „Und<br />
außerdem kann ich in Australien weiterforschen,<br />
wenn in Deutschland die Bienen nicht<br />
fliegen.“ Mit seinen australischen Kollegen<br />
fand Mario Pahl heraus, dass Bienen sogar bis<br />
vier zählen können.<br />
Dafür ließ die Forschergruppe zwanzig markierte<br />
Bienen in ein Y-förmiges Labyrinth<br />
fliegen, an dessen Eingang den Insekten ein<br />
bestimmtes Muster mit ein bis drei Sternen<br />
gezeigt wurde. An der Verzweigung des Ganges<br />
mussten die Bienen sich entscheiden: Auf<br />
einer Seite erschien das Motiv vom Eingang,<br />
auf der anderen Seite ein Motiv mit einer<br />
abweichenden Anzahl von Sternen. Vor dem<br />
Versuch waren die Bienen durch Belohnungen<br />
darauf konditioniert worden,<br />
den Gang mit dem gleichen Motiv wie<br />
am Eingang zu wählen. Verblüffend:<br />
Die cleveren Insekten entschieden sich<br />
bei mehreren Versuchen immer wieder<br />
für den „richtigen“ Gang. „Mit unseren<br />
Versuchen haben wir gezeigt, dass<br />
Bienen sich die Kombination von ‚was,<br />
wann und wo’ merken können – eine<br />
Eigenschaft, die bisher nur Wirbeltieren<br />
zugeschrieben wurde“, sagt Mario<br />
Pahl. Wie genau die Datenübertragung<br />
im Gehirn der Biene funktioniert, ist<br />
noch ungeklärt. Umso mehr reizt den<br />
30-jährigen Zoologen die Erforschung<br />
dieser Terra incognita: „Ich weiß, was<br />
das Gehirn der Biene leisten kann.<br />
Nun möchte ich herausfinden, wie und<br />
warum.“<br />
www.BEEgroup.de<br />
Denkkünstler: Bienen können Farben<br />
und Formen unterscheiden<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: flickr.com<br />
Textildesign<br />
Am seidenen Faden<br />
Kein Märchen aus 1001 Nacht: Die Textildesignerin<br />
Annegret Lembcke lernte zwei Monate<br />
lang im syrischen Aleppo, den Stoff Ikat herzustellen<br />
– ein fast verschüttetes Kulturgut.<br />
Der Faden aus Seide oder Baumwolle wird<br />
dabei – ähnlich wie beim Batiken – vor dem<br />
Färben mit Schnüren abgebunden und bleibt<br />
so stellenweise weiß. „Für den syrischen<br />
Ikat werden sehr viele Fäden auf einmal umwickelt,<br />
wodurch später beim Weben eher<br />
geometrische Figuren als florale Motive entstehen“,<br />
erläutert Annegret Lembcke. Bevor<br />
das gefärbte Material als Kettfaden auf den<br />
Webstuhl kommt, entfernt der Ikateur die<br />
Durch Klimabeobachtung vermeiden:<br />
Überschwemmung in Dresden<br />
Schnüre und prüft jeden einzelnen Faden auf<br />
Bruchstellen und Risse. „Das ist eine enorme<br />
Geduldsarbeit“, erklärt die deutsche Textildesignerin,<br />
die alle Schritte auf dem Weg zum<br />
Endprodukt kennt und praktiziert.<br />
Eine genaue Anleitung konnte ihr niemand<br />
geben. Lediglich die Aufzeichnungen eines<br />
Ethnologen aus den siebziger <strong>Jahre</strong>n und viele<br />
Gespräche mit syrischen Textilarbeitern<br />
halfen ihr weiter. „Der letzte noch lebende<br />
Ikatfärber, ein 86-jähriger Mann, gab mir<br />
viele Tipps“, sagt die 26-Jährige. „Aber durchkämpfen<br />
musste ich mich dann selbst.“ Weil<br />
das Traditionshandwerk äußerst aufwändig<br />
ist, betreibt es heute niemand mehr – für die<br />
Massenproduktion ist es viel zu teuer. Eine<br />
Maschine kann zwar die Tätigkeit des Ikateurs<br />
nachempfinden, aber keine aufwändigen Motive<br />
produzieren. Die Muster, die früher aus<br />
dem Ikatverfahren entstanden sind, werden<br />
heute gedruckt.<br />
Foto: Annegret Lembcke<br />
Gewebtes Kulturgut:<br />
syrischer Ikatstoff<br />
„Das ist schade, denn mit dem Aussterben<br />
des Ikats geht auch ein Stück<br />
orientalischer Kultur verloren“, sagt<br />
Annegret Lembcke. Sie hat die Technik<br />
in ihrer Masterarbeit genau dokumentiert<br />
und Vorschläge gemacht,<br />
wie sie neu interpretiert und in andere<br />
Länder gebracht werden kann. „Vor<br />
allem in den Wellness-Bereich passt<br />
der Ikatstoff gut“, sagt die Absolventin<br />
der Hochschule für Kunst und Design<br />
Halle „Burg Giebichenstein“. Das woll-<br />
te sie auch im praktischen Teil ihrer<br />
Masterarbeit zeigen: Die <strong>DAAD</strong>-Stipendiatin<br />
entwarf einen Morgenmantel,<br />
ein Handtuch und eine Waschtasche<br />
aus Ikat.<br />
Sprache lernen: Ähnliches entdecken<br />
und Grammatik verstehen<br />
Foto: Uwe Moosburger<br />
daad<br />
Sprachwissenschaft<br />
„Falsche Freunde“<br />
Fremdsprachen sind Marieke Gillessen von<br />
Kindesbeinen an vertraut: Die Deutsche mit<br />
dem niederländischen Namen stammt aus<br />
dem Dreiländereck um die Stadt Aachen. Als<br />
Studentin in einem deutsch-französischen<br />
Doppelstudiengang der RWTH Aachen und<br />
der Universität Reims setzte sie sich auch<br />
wissenschaftlich mit dem Fremdsprachenerwerb<br />
auseinander. Für ihre Magisterarbeit untersuchte<br />
die Linguistin sogenannte „falsche<br />
Freunde“, also Wörter, die in zwei Sprachen<br />
ähnlich klingen, aber verschiedene Bedeutungen<br />
haben und so beim Übersetzen leicht auf<br />
die falsche Fährte führen können.<br />
Die „falschen Freunde“ sind nur auf den<br />
ersten Blick tückisch, wie Marieke Gillessen<br />
herausfand. „Bei vielen Wörtern muss man<br />
nur etwas um die Ecke denken, um auf die<br />
Ähnlichkeit zu stoßen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin.<br />
Franzosen zum Beispiel verwenden<br />
das Verb immatriculer nicht für das<br />
Einschreiben an einer Hochschule, sondern<br />
für die Auto-Anmeldung – die bezeichnete<br />
Handlung, nämlich das Eintragen, ist gleich.<br />
Beispiele wie diese fand Marieke Gillessen<br />
im französisch-deutschen Wortschatz in überraschend<br />
großer Anzahl. „Wer beim Spracherwerb<br />
einen zweiten Blick riskiert, kann viel<br />
mehr herleiten als gedacht“, sagt die <strong>DAAD</strong>-<br />
Alumna, die von Oktober <strong>20</strong>08 bis Februar<br />
<strong>20</strong>09 in Reims geforscht hat. Ihre Abschlussarbeit<br />
zu den „falschen Freunden“ gehört dort<br />
zum Forschungsprogramm der sogenannten<br />
Interkomprehension.<br />
Bei dieser Methode lernen Sprachschüler<br />
beim Textverstehen auf ähnliche und gleich<br />
klingende Wörter zu achten und grundlegende<br />
grammatikalische Regeln zu durchschauen<br />
– ohne die Fremdsprache konventionell<br />
zu erlernen. Diese Kompetenz kommt auch<br />
Marieke Gillessen zugute: Gerade hat sie sich<br />
um eine Stelle als Übersetzerin in Belgien beworben.<br />
Sie soll in dem dreisprachigen Land<br />
zwar nur aus dem Französischen ins Deutsche<br />
übersetzen, muss aber auch flämische Texte<br />
grob verstehen. „Da kann ich meine eigenen<br />
Forschungsergebnisse perfekt anwenden“,<br />
sagt die 26-Jährige. Julia Walter<br />
35
36<br />
daad<br />
Frankfurter Buchmesse<br />
Leben und Schreiben<br />
in zwei Kulturen<br />
„Daheim im Dazwischen“ – zu diesem<br />
Thema diskutierten zwei prominente<br />
chinesische Exil-Schriftsteller<br />
auf Einladung des <strong>DAAD</strong><br />
im Internationalen Zentrum auf<br />
der Frankfurter Buchmesse. Der<br />
1940 geborene Gao Xingjian,<br />
Literatur-Nobelpreisträger von<br />
<strong>20</strong>00, lebt seit mehr als <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
in Paris und schreibt heute auf<br />
Französisch. Sein Gesprächspartner<br />
Yang Lian ist 15 <strong>Jahre</strong> jünger,<br />
verfasst Lyrik und Essays und lebt<br />
seit 1989 im Londoner Exil. Beide<br />
waren – kurz nachdem sie China<br />
verlassen hatten – für ein Jahr<br />
Gäste des Berliner Künstlerprogramms<br />
des <strong>DAAD</strong>.<br />
Wie finden sich die beiden Autoren<br />
„Daheim im Dazwischen“<br />
literarisch zurecht, also zwischen<br />
den Sprachen, in die sie hineingeboren<br />
und in die sie verschlagen<br />
wurden? In der Auseinandersetzung<br />
mit älterer chinesischer Literatur<br />
hatten sie dieses „Dazwischen“<br />
schon in ihrer Heimat eingeübt,<br />
berichten sie. Die westliche<br />
Moderne ergänzt diese Erfahrung<br />
und führt unwillkürlich an die<br />
dunklen, großen Themen der Literatur,<br />
die nicht an den Grenzen<br />
der Kontinente Halt machen: Erfahrungen<br />
des Exils, die Möglichkeiten<br />
und Grenzen der Sprache,<br />
Liebe, Vergänglichkeit und Tod.<br />
Der Prosaautor und Dramatiker<br />
Gao Xingjian lässt sich in keine<br />
politischen oder literarischen Raster<br />
zwängen. Der Mensch kann<br />
seine geistige Unabhängigkeit nur<br />
bewahren, wenn er sich zum Zweifel<br />
bekennt, betonte er in Frankfurt.<br />
In seinen Gedichten und<br />
Essays verknüpft Yang Lian stets<br />
das Poetische und das Politische.<br />
„Denn es ist das Gedicht, das uns<br />
eine Sprache erschließt, mit der<br />
wir lernen können, auch das Politische<br />
neu und anders zu denken“,<br />
so der Schriftsteller. Als Dissident,<br />
der nach der Niederschlagung der<br />
Demokratiebewegung 1989 China<br />
verließ, nimmt er immer wieder<br />
Stellung zur gegenwärtigen Lage<br />
in seiner Heimat.<br />
Gao Xingjian und Yang Lian<br />
sprachen über die Wahrheit in der<br />
Literatur, über die Aufrichtigkeit<br />
des Autors und kamen dann zum<br />
Kern der auf dieser Buchmesse<br />
mit dem Gastland China verhandelten<br />
Themen: Literatur kann<br />
nur unter Bedingungen der Frei-<br />
heit entstehen. Das bedeutet nach<br />
Meinung der beiden Schriftsteller<br />
in erster Linie äußere Freiheit vor<br />
staatlicher Repression. Freiheit ist<br />
aber – das betonten beide übereinstimmend<br />
– ein weiter zu fassender<br />
Begriff: Im Zentrum steht vor<br />
allem die innere Freiheit des Autors,<br />
die nicht nur durch polizeistaatliche<br />
Unterdrückung bedroht<br />
ist, sondern auch durch vorauseilenden<br />
Gehorsam, Anpassungsdruck,<br />
Opportunismus oder den<br />
Markt. Harald Loch<br />
Grimm-Preis<br />
Deutsch aus britischer Sicht<br />
Der britische Germanist Patrick<br />
Stevenson erhielt für seine Forschungsarbeiten<br />
den Jacob- und<br />
Wilhelm-Grimm-Preis <strong>20</strong>09 des<br />
<strong>DAAD</strong>. Die Auszeichnung geht<br />
an ausländische Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler für<br />
herausragende Leistungen auf<br />
dem Gebiet germanistischer Literatur-<br />
und Sprachwissenschaft.<br />
<strong>DAAD</strong>-Präsident Professor Stefan<br />
Hormuth verlieh den Preis im November<br />
im Bonner Universitätsclub.<br />
Stevenson ist Professor für Germanistik<br />
und Linguistik an der<br />
Foto: <strong>DAAD</strong><br />
<strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
diskutieren:<br />
Literatur-Nobelpreisträger<br />
Gao<br />
Xingjian (links)<br />
und Yang Lian<br />
Foto: <strong>DAAD</strong>/Lichtenscheidt<br />
Universität Southampton. In seiner<br />
Rede während der Preisverleihung<br />
erklärte er, er wolle mit der<br />
Sprachforschung raus aus dem<br />
Labor, hinein in die Welt: „Mich<br />
interessiert, wie Menschen sich<br />
mit Sprache in Beziehung zueinander<br />
setzen und wie sie damit<br />
Macht ausüben.“ Seine bekannteste<br />
Arbeit ist die mit Stephen<br />
Barbour verfasste „Variation im<br />
Deutschen: soziolinguistische Perspektiven“<br />
von 1990. Darin unternahmen<br />
die beiden Briten den<br />
Patrick Stevenson (links) erhält<br />
den Grimm-Preis von <strong>DAAD</strong>-<br />
Präsident Stefan Hormuth<br />
Versuch, das Deutsche in all seinen<br />
Variationen zu erfassen. Das<br />
Buch ist ein Standardwerk in der<br />
deutschen Germanistik.<br />
Auch Stevensons Buch „Language<br />
and German Disunity: A Sociolinguistic<br />
History of East and West<br />
in Germany 1945-<strong>20</strong>00“ aus dem<br />
Jahr <strong>20</strong>02 fand eine breite Leserschaft.<br />
Er setzt sich darin mit der<br />
Frage auseinander, welche Rolle<br />
Sprache in den ideologischen<br />
Konflikten des Kalten Krieges<br />
und in dem schwierigen Prozess<br />
der deutschen Wiedervereinigung<br />
ab 1990 spielte.<br />
Zuletzt arbeitete der Grimm-<br />
Preisträger an dem Projekt „Die<br />
deutsche Sprache und die Zukunft<br />
Europas“ über die Ein- und<br />
Zuwanderung in Ländern, in denen<br />
Sprache einen hohen Anteil<br />
der nationalen Identität ausmacht<br />
– auch für den in der Sprachförderung<br />
sehr engagierten <strong>DAAD</strong> ein<br />
interessantes Thema. boh<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Hochschulkooperation<br />
Exportschlager aus Cottbus<br />
Wie funktioniert praxisbezogene<br />
Lehre im Bachelor-Master-System?<br />
Die Lösung lautet: Projektstudium.<br />
Das zeigten Architektur-Dozenten<br />
von der Brandenburgisch-<br />
Technischen Universität Cottbus<br />
(BTU) ihren brasilianischen Kollegen<br />
von der Associação de Ensino<br />
de Arquitetura e Urbanismo<br />
de São Paulo. Mit Projektstudien<br />
will der Cottbuser Lehrstuhl „Entwerfen,<br />
Wohn- und Sozialbauten“<br />
seine Studierenden auf die komplexe<br />
Tätigkeit des Architekten<br />
vorbereiten. In den letzten beiden<br />
<strong>Jahre</strong>n nahmen brasilianische<br />
Lehrende an Entwurfseminaren<br />
und Konferenzen in Cottbus teil.<br />
In die Gegenrichtung reisten Studierende<br />
und Lehrende der BTU<br />
im März <strong>20</strong>08 zu einem Workshop<br />
nach São Paulo. Deutsche und brasilianische<br />
Nachwuchsarchitekten<br />
entwarfen dort gemeinsam ein<br />
Wohngebiet – „ein kooperativer<br />
internationaler Dialog“ sagt BTU-<br />
Professor Bernd Huckriede. Mit<br />
einer Konferenz über „Architektur<br />
und Identität“ in São Paulo fand<br />
die <strong>DAAD</strong>-geförderte Zusammenarbeit<br />
im November <strong>20</strong>09 ihren<br />
Abschluss – vorerst. Der Lehrstuhl<br />
von Professor Bernd Huckriede<br />
will das Kooperationsprojekt bis<br />
<strong>20</strong>14 verlängern und das afrikanische<br />
Land Angola integrieren.<br />
Julia Walter/Marita Müller<br />
Mehrsprachigkeit<br />
Die Vielfalt fördern<br />
„Wissenschaftler denken oft brillanter<br />
in ihrer eigenen Sprache,“<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
sagt Jürgen Trabant, Professor<br />
für European Plurilingualism an<br />
der Jacobs University Bremen.<br />
Dort spricht er zwar den ganzen<br />
Tag mit Studierenden und Kollegen<br />
Englisch, aber für seine Forschung<br />
braucht er die deutsche<br />
Sprache, sonst fällt ihm nichts ein.<br />
Mehrsprachigkeit ist in Deutschland<br />
generell ein unterschätzter<br />
Wert. Vorschnell wird hierzulande<br />
die Vielfalt von Sprachen zu<br />
Gunsten von Englisch aufgegeben<br />
– ob in der Schule, im Unternehmen<br />
oder an den Universitäten.<br />
Darüber war man sich auf dem<br />
Internationalen Forum „Sprachen<br />
ohne Grenzen“ einig. Auf der<br />
vom Goethe-Institut organisierten<br />
Veranstaltung im September in<br />
Berlin richtete der <strong>DAAD</strong> gemeinsam<br />
mit der Alexander von Humboldt-Stiftung<br />
eine Konferenz zu<br />
„Mehrsprachigkeit in den Wissenschaften“<br />
aus. Die Aussage war<br />
eindeutig: Wissenschaft ist ohne<br />
sprachliche Vielfalt nicht denkbar,<br />
denn jede Sprache hat ihr eigenes<br />
Erkenntnispotenzial.<br />
Wer aus dem Ausland zum Studium<br />
nach Deutschland kommt,<br />
will auch die deutsche Sprache<br />
lernen. Das gelingt kaum, wenn<br />
an den Universitäten auf Englisch<br />
gelehrt wird. Chemie-Professor<br />
Lutz H. Grade macht an der Universität<br />
Heidelberg eine Ausnahme:<br />
Man spricht Deutsch, obwohl<br />
die Publikationssprache in Chemie<br />
ausschließlich Englisch ist. „Die<br />
Studierenden aus fernen Ländern<br />
staunen erst, aber sie empfinden<br />
das dann als Bereicherung.“ Statt<br />
Sprachkurse begleitend anzubieten,<br />
muss Sprachvermittlung ins<br />
Studium integriert werden, for-<br />
Foto: Jens Brinkmann<br />
Projektstudium:<br />
deutsche und<br />
brasilianische<br />
Architekten<br />
entwerfen<br />
gemeinsam<br />
derten die Teilnehmer der <strong>DAAD</strong>-<br />
Konferenz. Das bedeute Leistungspunkte<br />
auch für den Spracherwerb.<br />
Bettina Mittelstraß<br />
Alumni-Treffen<br />
Algier, Neapel und Wuhan<br />
Um die Zukunft des algerischen<br />
Bildungssystems und den Ausbau<br />
des Austauschs mit Deutschland<br />
ging es Mitte Oktober an der ältesten<br />
Universität Algeriens,<br />
der Université d‘Alger in Algier.<br />
Sie war Schauplatz für das erste<br />
<strong>DAAD</strong>-Alumnitreffen in dem nordafrikanischen<br />
Land. Unter dem<br />
Motto „Chancen der algerischdeutschenHochschulzusammenarbeit<br />
– Alumni als Motor bilateraler<br />
Beziehungen“ begrüßten<br />
Rektor Tahar Hadjar und <strong>DAAD</strong>-<br />
Generalsekretär Christian Bode<br />
mehr als <strong>20</strong>0 Teilnehmer. Neben<br />
<strong>DAAD</strong>-Alumni diskutierten auch<br />
Regierungsstipendiaten und eine<br />
kleine Gruppe Deutschlandverbundener<br />
über „Internationalisierung<br />
und Mobilität“. Mit dem<br />
Programm „Deutsch-Arabisch/Iranischer<br />
Hochschuldialog“ fördert<br />
der <strong>DAAD</strong> seit <strong>20</strong>06 ein Kooperationsprojekt<br />
in Algerien, bei dem<br />
es um die gemeinsame Entwicklung<br />
von Master-Studiengängen<br />
zur Photovoltaik geht. Vertreter<br />
der TU Ilmenau und der Université<br />
Ferhat Abbas Sétif schilderten<br />
ihre Erfahrungen und stießen<br />
damit sowohl bei den Alumni als<br />
auch bei den algerischen Medien<br />
auf großes Interesse.<br />
Mobilität war auch Thema beim<br />
Alumni-Treffen „Quo vadis Universitas?“<br />
Anfang November in<br />
Neapel. Allerdings stand es dort<br />
daad 37<br />
unter länderspezifischem Vorzeichen:<br />
Italien sieht sich mit einer<br />
Abwanderung der wissenschaftlichen<br />
Elite konfrontiert. Gleichzeitig<br />
drängen immer mehr gering<br />
qualifizierte Menschen ins Land.<br />
Der Workshop „Migration und<br />
Integration“ war daher besonders<br />
gut besucht. Darüber hinaus standen<br />
Diskussionen zur Entwicklung<br />
Europas und zum Bologna-<br />
Prozess auf dem Programm. In<br />
Anwesenheit des <strong>DAAD</strong>-Generalsekretärs<br />
nahmen 130 Alumni<br />
aller Fachrichtungen an der Veranstaltung<br />
teil.<br />
Einem gesellschaftlichen Umbruch<br />
anderer Art widmete der<br />
<strong>DAAD</strong> sein Alumni-Fachseminar<br />
Ende Oktober im chinesischen<br />
Wuhan. Es trug den Titel „Öffentliches<br />
Gesundheitswesen“ und war<br />
das vierte vom <strong>DAAD</strong> organisierte<br />
Fachseminar unter dem Oberthema<br />
„Stadtmodernisierung und<br />
Lebensqualität“. Der angeregte<br />
Meinungsaustausch der 80 Alumni<br />
aus dem Gesundheitswesen<br />
etwa zur Psychotherapie in China<br />
Mafia-Jäger Leoluca Orlando zeigt<br />
in Neapel seine Stipendien-Urkunde<br />
und zur Lebensmittelsicherheit<br />
zeigte, dass der <strong>DAAD</strong> mit diesem<br />
Seminar einen Nerv getroffen hatte.<br />
Auf die guten und vielfältigen<br />
deutsch-chinesischen Beziehungen<br />
hatte der deutsche Botschafter<br />
Michael Schaefer bereits in seiner<br />
Eröffnungsrede hingewiesen.<br />
Die Reihe der Fachseminare wird<br />
während der Expo in Shanghai im<br />
Mai <strong>20</strong>10 mit dem Thema „Von<br />
der Industrie zur Wissensgesellschaft“<br />
fortgesetzt. CW<br />
Foto: <strong>DAAD</strong>
38<br />
daad<br />
Informationsreise durch Europa: Ostafrikanische Bildungsmanager machen Halt in Bonn<br />
DIES-Informationsreise<br />
Qualität mit System<br />
„Afrika braucht das Wissen, das<br />
sich an den Universitäten sammelt“,<br />
sagt Lilian Tibatemwa<br />
Ekirikubinza, Rektorin der Makerere<br />
Universität in Uganda. Sie<br />
besuchte im September gemeinsam<br />
mit 35 weiteren ostafrikanischen<br />
Bildungsmanagern Universitäten<br />
und Bildungsexperten<br />
in Deutschland, Belgien und den<br />
Niederlanden. Dabei machten sich<br />
die Rektorinnen und Rektoren aus<br />
Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda<br />
und Burundi sowie Vertreter der<br />
nationalen Hochschulbehörden<br />
und des Inter-University Council<br />
for East Africa ein Bild von der<br />
Qualitätssicherung an europäischen<br />
Hochschulen. Zu der Informationsreise<br />
hatten im Rahmen<br />
von DIES (Dialogue on Innovative<br />
Higher Education Strategies) der<br />
<strong>DAAD</strong> und die Hochschulrektorenkonferenz<br />
eingeladen.<br />
Die Teilnehmer der Informationsreise<br />
waren sich einig: Vernetzung<br />
und Mobilität von Studierenden<br />
sowie Lehrenden sind<br />
Merkmale einer guten Hochschule<br />
– und brauchen internationale<br />
Unterstützung. Deshalb arbeiten<br />
<strong>DAAD</strong> und Hochschulrektorenkonferenz<br />
seit <strong>20</strong>06 im DIES-<br />
Projekt zur Qualitätssicherung<br />
an ostafrikanischen Hochschulen<br />
zusammen. JW<br />
Alumniportal in Jakarta<br />
Kontakte geknüpft<br />
Die Messe und Konferenz zum<br />
Launch des Alumniportals<br />
Deutsch land Mitte November in<br />
Jakarta waren ein voller Erfolg.<br />
Rund 900 Alumni am ersten Konferenztag<br />
und noch einmal 900<br />
Gäste am zweiten Tag übertrafen<br />
die Erwartungen der <strong>DAAD</strong>-Außenstelle<br />
Jakarta und des Alumnireferats<br />
des <strong>DAAD</strong>. Sie organisierten<br />
die zweitägige Veranstaltung<br />
zum Launch der Internetplattform<br />
www.alumniportal-deutschland.<br />
org in Indonesien. Besonders die<br />
neuen Kontakte zu den vielen<br />
sogenannten ehemaligen „Selbstzahlern“,<br />
also denjenigen, die<br />
ohne Stipendium in Deutschland<br />
studierten, bilden nun eine wertvolle<br />
Ergänzung des deutschen<br />
Alumni-Netzwerks in Indonesien.<br />
Das lässt sich auch am Portal ablesen:<br />
Seit der Messe stieg die Zahl<br />
der aus Indonesien registrierten<br />
Alumni von etwa 100 auf mehr als<br />
800 an. Sie sind jetzt die größte<br />
nationale Gruppe. CW<br />
Hochschultage in Baku<br />
Vertrauen in Deutschland<br />
Für viele der 30 deutschen Hochschulvertreter<br />
war es die erste Reise<br />
ans Kaspische Meer: Auf Einladung<br />
des aserbaidschanischen<br />
Bildungsministers Professor Misir<br />
Mardanov nahmen sie Anfang<br />
Oktober an den ersten deutschaserbaidschanischenHochschultagen<br />
in Baku teil. „Die Deutschen<br />
genießen in Aserbaidschan höchste<br />
Wertschätzung. Daher war das<br />
Treffen von großer Offenheit geprägt“,<br />
sagt Andrej Götze, Leiter<br />
des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />
Baku.<br />
Der <strong>DAAD</strong> ist in Aserbaidschan<br />
seit 1991 aktiv und hat bisher<br />
rund 1<strong>20</strong>0 aserbaidschanische<br />
Hochschulangehörige gefördert.<br />
Bildungsminister Mardanov erklärte,<br />
Deutschland solle das führende<br />
Zielland für akademischen<br />
Austausch werden. Die Hochschultage<br />
sollen künftig regelmäßig<br />
stattfinden. CW<br />
Belgrad<br />
Neues<br />
Informationszentrum<br />
Nach dem Informationszentrum<br />
(IC) in Budapest gibt es nun auch in<br />
Belgrad ein IC – das zweite in Südosteuropa.<br />
Es wurde im November<br />
<strong>20</strong>09 feierlich eröffnet. Bereits ein<br />
Jahr zuvor hatte dort schrittweise<br />
die Arbeit begonnen – zunächst<br />
in Räumen der Universität, jetzt<br />
in eigenen Büros in der Belgrader<br />
Innenstadt nahe der Donau. Drei<br />
Lektoren und eine Sprachassistentin<br />
stehen künftig für Fragen rund<br />
um Studieren und Forschen in<br />
Deutschland zur Verfügung.<br />
Foto: Michael Jordan<br />
In Serbien ist der <strong>DAAD</strong> mit vielen<br />
Programmen präsent. So engagieren<br />
sich zahlreiche serbische<br />
Fakultäten im Rahmen des Sonderprogramms<br />
„Akademischer<br />
Neuaufbau Südosteuropa“ in regionalen<br />
Netzwerken, die deutsche<br />
Hochschulen koordinieren. Über<br />
das Sonderprogramm „Serbien“<br />
fließen seit <strong>20</strong>08 zusätzliche Gelder<br />
in deutsch-serbische Kooperationen.<br />
<strong>DAAD</strong>-Lektoren arbeiten in ganz<br />
Südosteuropa: In Albanien, Bosnien<br />
und Herzegowina, Bulgarien,<br />
Kosovo, Montenegro, Kroatien,<br />
Mazedonien, Serbien, Slowenien<br />
und Ungarn werben sie für den<br />
Bildungs- und Forschungsstandort<br />
Deutschland und beraten Studierende,<br />
Graduierte und Wissenschaftler.<br />
bün<br />
Südafrika<br />
Keine Mauern mehr<br />
Die Berliner Mauer in Johannesburg?<br />
Kein Originalstück, aber<br />
eine eindrucksvolle, sieben Tonnen<br />
schwere Nachbildung aus<br />
Beton – errichtet von südafrikanischen<br />
Studierenden auf dem Campus<br />
der Witwatersrand Universität.<br />
Anlass der Aktion, die der<br />
Leiter des <strong>DAAD</strong>-Informationszentrums<br />
Johannesburg, Ralf Hermann,<br />
initiiert hatte, war der Fall<br />
der Berliner Mauer vor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n.<br />
Bitte auf Seite 40 weiterlesen<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Unsere Mentalität prägt unser Verhalten<br />
im Internet“, sagt Nelson Mattos.<br />
„Brasilianer sind sehr offen und suchen viele<br />
Kontakte; sie lieben Social Networking.“<br />
Deutsche sind eher zurückhaltend: Sie nutzen<br />
Internet-Suchmaschinen vor allem, um mehr<br />
über aktuelle Themen zu erfahren. Der 1959<br />
in Brasilien geborene Mattos weiß, wovon er<br />
spricht. Mit Suchaktivitäten im Internet kennt<br />
er sich aus. Als Vice President of Engineering<br />
bei Google in Zürich ist er verantwortlich für<br />
sämtliche Aktivitäten des Unternehmens in<br />
Europa, im Nahen Osten und in Afrika – und<br />
somit für rund 800 Ingenieure in den Google-<br />
Entwicklungszentren Europas und Israels.<br />
Seit <strong>20</strong>07 leitet Nelson Mattos die Google-Geschäfte<br />
in Europa – wie ein Konzern-Manager<br />
wirkt er aber nicht. Er beantwortet mit viel<br />
Ruhe alle Fragen – in sehr gutem Deutsch mit<br />
leicht schweizerischer Betonung – und steckt<br />
mit der Begeisterung für seine Arbeit an.<br />
Auch spricht er viel lieber über Innovationen<br />
als über Umsatz und Marktführerschaft. Statt<br />
Erfolgsgeschichten aus der Geschäftsführung<br />
erzählt Mattos, wie wichtig es ihm ist, dass jeder<br />
Mensch Zugang zum Internet hat, auch in<br />
Entwicklungsländern. Mobile Dienstleistungen<br />
müssten dafür ausgebaut werden, ebenso<br />
die automatische Übersetzung von Webseiten.<br />
„Jeder sollte überall auf der Welt das Gleiche<br />
lesen können“, so seine Vision.<br />
Seine eigene Herkunft vergisst Nelson Mattos<br />
nicht. Als eines von fünf Geschwistern<br />
wuchs er in bescheidenen Verhältnissen in<br />
der brasilianischen Metropole Porto Alegre<br />
auf. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater<br />
arbeitete als Vertriebsangestellter. Als Mattos<br />
fünf <strong>Jahre</strong> alt war, putschte sich das Militär in<br />
Brasilien an die Macht und regierte das Land<br />
noch, als er ohne Begeisterung sein Bauingenieur-Studium<br />
begann – keine guten Voraussetzungen<br />
für eine internationale Karriere.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Gestern Stipendiat – und heute...<br />
nelson Mattos<br />
Europa-Chef von Google<br />
Im zweiten Semester belegte Mattos einen<br />
Kurs in der Programmiersprache BASIC: Seine<br />
Leidenschaft für Informatik war geweckt.<br />
Aber sein Vater wollte von einem Fachwechsel<br />
nichts wissen. „In den 70er <strong>Jahre</strong>n konnte<br />
sich niemand vorstellen, was ein Informatiker<br />
macht“, sagt Mattos. Er traf ein Abkommen<br />
mit dem Vater: „Ich versprach, beide Fächer zu<br />
Ende zu studieren.“ Doch dazu kam es nicht.<br />
Die Militärregierung erkannte die Bedeutung<br />
von Informatik und wollte so schnell wie möglich<br />
viele Fachleute ausbilden. So konnten<br />
Brasilianer schon nach zwei bis zweieinhalb<br />
<strong>Jahre</strong>n ihr Informatik-Studium abschließen<br />
– Mattos zählte dazu. Das Bauingenieur-Studium<br />
zu beenden, hätte ihn nun aufgehalten.<br />
Mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium kam der Brasilianer<br />
1984 nach Kaiserslautern – seine Frau,<br />
eine Architektin, und ihr gemeinsamer Sohn<br />
reisten mit. Der erste Eindruck? Mattos lacht:<br />
„Wenn man Hochdeutsch lernt und dann in<br />
eine Stadt kommt, in der alle pfälzisch reden,<br />
ist das eine ziemliche Umstellung.“ Im<br />
Vergleich zu Porto Alegre ist Kaiserslautern<br />
ein kleines Dorf, doch daran gewöhnte er sich<br />
schnell. Die meisten Menschen waren herzlich<br />
und offen, die junge Familie fand dort enge<br />
Freunde.<br />
Aber nicht alle Erlebnisse waren positiv.<br />
Als Ausländer bekam Mattos damals, in den<br />
80er <strong>Jahre</strong>n, auch Diskriminierung zu spüren.<br />
Obwohl ein deutscher Freund bei der Wohnungssuche<br />
half, hagelte es Absagen. Das war<br />
dem Freund so peinlich, dass er Mattos seine<br />
eigene Wohnung vermietete. In einer Bank erfuhr<br />
der Brasilianer von einem Angestellten,<br />
man gebe Ausländern keinen Kredit – obwohl<br />
Mattos zu diesem Zeitpunkt schon fünf <strong>Jahre</strong><br />
in Deutschland lebte. Mattos spricht zögerlich<br />
über diese Erfahrungen. Man spürt, wie<br />
sehr sie ihn verletzt haben.<br />
Die Universität hingegen enttäuschte<br />
ihn nicht. „Ich arbeitete mit hochqualifizierten<br />
Leuten aus der ganzen Welt<br />
zusammen.“ Ihnen stellte er seine<br />
Arbeit vor und erhielt ihr Feedback.<br />
In Deutschland konnte er zudem<br />
tiefer in sein Fach einsteigen. „In<br />
Brasilien verschwendet man viel<br />
Zeit für die Beschaffung der technischen<br />
Ausrüstung oder der<br />
daad<br />
Forschungsmittel. In Kaiserslautern ging das<br />
schnell und unkompliziert.“<br />
Aus der Doktorarbeit entwickelten sich 1989<br />
ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
gefördertes Projekt und eine Kooperation<br />
mit dem Forschungszentrum des IBM-<br />
Konzerns in Heidelberg. Das IT-Unternehmen<br />
lud Mattos als Gastwissenschaftler für zwei<br />
<strong>Jahre</strong> nach Kalifornien ein. Mattos blieb deutlich<br />
länger: Bis zu seinem Weggang 15 <strong>Jahre</strong><br />
später entwickelte er Produkte, die dem Unternehmen<br />
mehrere hundert Millionen Dollar<br />
einbrachten. Irgendwann kam der Eindruck,<br />
alles bei IBM gesehen zu haben. Genau in diesem<br />
Moment klopfte Google an seine Tür.<br />
Boris Hänßler<br />
39<br />
Foto: Google
40<br />
Foto: Maria Winkler<br />
daad<br />
Fortsetzung von Seite 38<br />
„Keine Mauern mehr“, lautet das<br />
Motto des Projekts, das zugleich<br />
an afrikanische und deutsche Geschichte<br />
erinnert. „Die Zerstörung<br />
der Mauer symbolisiert die Überwindung<br />
von Grenzen – auch die<br />
der Apartheid. Zugleich regt sie<br />
zur Diskussion über die realen<br />
und virtuellen Mauern unserer<br />
Gegenwart an“, sagt Ralf Hermann.<br />
Einen Monat lang organisierten<br />
er und sein Team Open Air-Konzerte,<br />
öffentliche Vorlesungen,<br />
Seminare, Filmvorführungen und<br />
Informationsveranstaltungen auf<br />
der Mauerbühne. Der <strong>DAAD</strong> und<br />
das German Department der Witwatersrand<br />
Universität erhielten<br />
für das Projekt viel Anerkennung,<br />
von der Hochschulleitung ebenso<br />
wie von der südafrikanischen<br />
Öffentlichkeit. In einer spektakulären<br />
Wall-Party rissen Studierende,<br />
Dozentinnen und Dozenten die<br />
Mauer schließlich ein. KS<br />
Infos: www.daadwitswallproject.<br />
wordpress.com<br />
Hochschuldialog<br />
Zwischenbilanz veröffentlicht<br />
Im Programm Deutsch-Arabisch/<br />
Iranischer Hochschuldialog fördert<br />
der <strong>DAAD</strong> seit <strong>20</strong>06 Kooperationen<br />
deutscher Hochschulen mit<br />
Partnerinstitutionen in den arabi-<br />
schen Ländern und dem Iran. Die<br />
vielfältigen Ergebnisse präsentiert<br />
die Broschüre „Dialog durch<br />
Kooperation“ mit anschaulichen<br />
Bei spielen. Die Bandbreite der<br />
Projekte ist groß: Wissenschaftler<br />
und Studierende erforschen<br />
die biologische Vielfalt im Roten<br />
Meer, Karawanenwege in Libyen<br />
oder etablieren die Kinderchirurgie<br />
als eigenständige Disziplin im<br />
Jemen.<br />
Dabei öffnet das Programm neue<br />
Wege für Toleranz und Respekt.<br />
„Wenn sich die Hochschulpartner<br />
vertrauen, dann halten diese<br />
Beziehungen wissenschaftliche,<br />
Dialog durch Kooperation<br />
Dialogue Through Cooperation<br />
Deutsch-Arabisch/Iranischer Hochschuldialog (<strong>20</strong>06-<strong>20</strong>08)<br />
German-Arab/Iranian Higher Education Dialogue (<strong>20</strong>06-<strong>20</strong>08)<br />
politische und persönliche Konflikte<br />
aus“, sagt Professor Josef<br />
Freise von der Katholischen Fachhochschule<br />
Köln. Er leitete eine<br />
Kooperation mit der Universität<br />
Bethlehem, bei der Studierende<br />
die soziale Lage von Kindern und<br />
Jugendlichen im jeweils anderen<br />
Land erkundeten. Insgesamt erlebten<br />
über 1 600 Akademikerinnen<br />
und Akademiker in der intensiven<br />
fachlichen Zusammenarbeit<br />
eine persönliche Annäherung und<br />
bauten Vorurteile ab. KS<br />
Download unter: www.daad.de/<br />
hochschuldialog<br />
Wall-Party in Johannesburg<br />
Israel/Deutschland<br />
Abschlussbericht<br />
Im Deutsch-Israelischen Jahr der<br />
Wissenschaft und Technologie<br />
<strong>20</strong>08 organisierte der <strong>DAAD</strong> eine<br />
Studienreise von 15 Studierenden<br />
aus Deutschland und 15 aus Israel.<br />
ISRAEL DEUTSCHLAND<br />
Ein Abschlussbericht <strong>20</strong>08<br />
Die Teilnehmer, die von den Universitäten<br />
Augsburg, Erlangen-<br />
Nürnberg und Haifa kamen und<br />
verschiedenste Fachrichtungen<br />
vertraten, besuchten unter dem<br />
Leitthema „Israel in Deutschland<br />
– Deutschland in Israel: 60 <strong>Jahre</strong><br />
gemeinsame Geschichte“ zahlreiche<br />
geschichtsträchtige Orte und<br />
Projekte beider Länder, trafen Politiker<br />
und Wissenschaftler. Vorbehalte<br />
und Klischees abzubauen,<br />
gelinge nur im persönlichen<br />
Gespräch, meint Oz Fridman,<br />
Geschichtsstudent aus Haifa. Er<br />
und viele seiner Kommilitoninnen<br />
und Kommilitonen schildern<br />
ihre Erlebnisse eindrucksvoll im<br />
Abschlussbericht, den der <strong>DAAD</strong><br />
jetzt veröffentlichte. KS<br />
Bestellung per Mail:<br />
h.heinen@daad.de<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09
Köpfe<br />
Als 1989 die Berliner Mauer<br />
fiel, meinte Lars Gustafsson:<br />
„Mein lieber Kollege Hegel hatte<br />
vielleicht doch damit Recht, dass<br />
es eine in die Weltereignisse eingebaute<br />
(historische) Richtung<br />
gibt.“ Mit Hegel, dem Stammvater<br />
der idealistischen Philosophie,<br />
kennt sich der schwedische Intellektuelle<br />
so gut aus wie mit vielen<br />
anderen deutschen Dichtern und<br />
Denkern, denn mit ihnen hat er<br />
sich als Germanistik- und Philosophieprofessor<br />
in den USA beschäftigt.<br />
Das literarische Werk des Romanciers<br />
und Lyrikers Gustafsson<br />
ist dagegen von persönlich erlebter<br />
deutscher Geschichte geprägt.<br />
Für sein Gesamtwerk erhielt er<br />
am 28. August, an Goethes 260.<br />
Geburtstag, in Weimar die vom<br />
Goethe-Institut verliehene Goe-<br />
the-Medaille <strong>20</strong>09.<br />
1972 kam Gustafsson als Stipendiat<br />
des Berliner Künstlerprogramms<br />
des <strong>DAAD</strong> nach<br />
Deutschland. Aus einem Jahr in<br />
Berlin wurden mehrere. Aus den<br />
Erfahrungen jener Zeit entstand<br />
der Romanzyklus „Risse in der<br />
Mauer“ um den unerfüllten, aber<br />
doch nicht unnützen Traum von<br />
großer Liebe und großer Politik.<br />
Mit dem Werk gelang ihm international<br />
der Durchbruch. Damals<br />
knüpfte Gustafsson auch Kontakte<br />
zu deutschen Kollegen wie<br />
Günter Grass. Berlin wurde für<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Foto: Maik Schuck<br />
Foto: Maik Schuck<br />
Gustafsson immer wieder ein Zielort<br />
zum Nachdenken. So kehrte<br />
der 73-Jährige <strong>20</strong>09, wiederum<br />
als Gast des Künstlerprogramms,<br />
hierher zurück. H.H.<br />
Auch er ist ein Nordländer,<br />
und wie der Schwede Lars<br />
Gustafsson wurde der Norweger<br />
Sverre Dahl in diesem Jahr mit<br />
der Goethe-Medaille des Goethe-<br />
Instituts geehrt. Ausgezeichnet<br />
wurde er für sein Lebenswerk als<br />
Übersetzer. Dahl, der Deutschland<br />
beruflich „als Herausforderung“<br />
empfindet, hat bis heute insgesamt<br />
rund 1<strong>20</strong> deutschsprachige<br />
Werke ins Norwegische übersetzt,<br />
von Goethe und Hölderlin bis zu<br />
zeitgenössischen Autoren wie<br />
Ingo Schulze und Daniel Kehlmann.<br />
Seine erste Deutschlanderfahrung<br />
sammelte Dahl vor 40 <strong>Jahre</strong>n<br />
als Germanistik-Student und<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendiat in Freiburg.<br />
Dort beschäftigte er sich mit dem<br />
österreichischen Dichter und Denker<br />
Hermann Broch, über den er<br />
später in Oslo seine Doktorarbeit<br />
schrieb. Für österreichische<br />
Schriftsteller behielt er auch im<br />
Beruf eine Vorliebe: Er übersetzte<br />
Ingeborg Bachmann, Thomas<br />
Bernhard und „Klassiker“ wie<br />
Franz Kafka und Arthur Schnitzler.<br />
Dafür wurde Dahl schon im<br />
Jahr <strong>20</strong>00 mit dem „Österreichischen<br />
Staatspreis für literarische<br />
Übersetzung“ ausgezeichnet. H.H.<br />
Die französische Schriftstellerin<br />
und Wahl-Berlinerin<br />
Marie N’Diaye erhielt als erste<br />
Schwarze den Prix Goncourt,<br />
Frank reichs begehrtesten Literaturpreis.<br />
Ausgezeichnet wurde sie<br />
für ihren Roman „Trois femmes<br />
puissantes“, in dem sie die Lebensgeschichte<br />
dreier Frauen im<br />
Spannungsfeld zwischen Frankreich<br />
und Afrika beschreibt.<br />
Als Tochter eines Senegalesen<br />
und einer Französin wurde<br />
N’Diaye 1967 in Pithiviers bei<br />
Orléans geboren. Schon vor dem<br />
Abitur schrieb sie ihren ersten<br />
Roman. „Schreiben ist etwas, das<br />
muss ich tun“, sagt die Autorin,<br />
die bereits mehr als <strong>20</strong> Romane<br />
und Novellen veröffentlicht hat<br />
und als Wunderkind der französischen<br />
Gegenwartsliteratur gilt.<br />
Sie schreibt meist über Frauen<br />
in schwierigen Familien- und Lebenssituationen.<br />
Ihr Roman „Rosie<br />
Carpe“ wurde in 15 Sprachen<br />
übersetzt. Die polyglotte Französin<br />
lebte in Spanien, auf den<br />
französischen Antillen und 1993<br />
als Gast des Berliner Künstlerprogramms<br />
des <strong>DAAD</strong> ein Jahr in der<br />
deutschen Hauptstadt. Seit <strong>20</strong>08<br />
wohnt sie mit ihrem Mann und<br />
drei Kindern wieder in Berlin, das<br />
auch Handlungsort eines weiteren<br />
Romans sein soll. Llo<br />
Israel sieht sich als<br />
Nabel der Welt, doch<br />
von Europa aus gesehen<br />
nimmt sich mein Land<br />
wie ein Dorf aus“, sagt<br />
die israelische Filmemacherin<br />
Dalia Hager.<br />
Als Gast des Berliner<br />
Künstlerprogramms des<br />
<strong>DAAD</strong> lebte sie <strong>20</strong>09 in<br />
Berlin. Dabei hat sich ihr<br />
Blick auf Israel womöglich<br />
noch verschärft. Die<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
daad 41<br />
Auseinandersetzung mit den politischen<br />
und sozialen Verhältnissen<br />
in ihrem Land prägt ihre Arbeit.<br />
In ihrem bisher erfolgreichsten<br />
Spielfilm „Close to Home“<br />
kritisiert sie die Wehrpflicht für<br />
Frauen. Der erste Spielfilm zu<br />
diesem Thema, den sie und ihre<br />
Kollegin Vidi Bilu auf der Basis<br />
eigener Erfahrungen drehten, erhielt<br />
weltweit auf Festivals, <strong>20</strong>06<br />
auch bei der Berlinale, hohe Anerkennung<br />
und Preise. „Frauen sind<br />
beim Militär völlig fehl am Platz“,<br />
sagt Dalia Hager. „Es ist nicht ihre<br />
Sprache.“<br />
Die 1963 in Givataim geborene<br />
Künstlerin hat an der Universität<br />
in Tel Aviv Regie und Drehbuchschreiben<br />
studiert und vorübergehend<br />
als Dozentin und Journalistin<br />
gearbeitet. „In Israel sind nur<br />
knapp zehn Prozent der Filmemacher<br />
Frauen“, sagt die bekennende<br />
Feministin. Ein Grund mehr,<br />
sich des Themas Frau verstärkt<br />
anzunehmen. In Berlin schrieb<br />
sie an einem Drehbuch über eine<br />
Frau, die als Fremde in Israel<br />
lebt. Mehr will sie über das neue<br />
Projekt noch nicht verraten, nur<br />
so viel, dass die eigene Erfahrung<br />
von Fremdheit in Berlin ihr dabei<br />
sehr geholfen hat. Llo<br />
Foto: privat
42<br />
daad<br />
Die italienische Soziologin<br />
Elena Esposito (49) ist mit<br />
dem Ladislao Mittner-Preis ausgezeichnet<br />
worden. Der Preis wird<br />
seit <strong>20</strong>02 jährlich vom <strong>DAAD</strong> für<br />
besondere Verdienste um den<br />
deutsch-italienischen Dialog verliehen.<br />
Esposito hat – mit Stipendium<br />
des <strong>DAAD</strong> – in Bielefeld bei<br />
dem Soziologen Niklas Luhmann<br />
studiert, erlangte dort auch die<br />
Promotion und <strong>20</strong>01 die Habilitation.<br />
Sie zählt zu den führenden<br />
Vertretern der von Luhmann mitgeprägten<br />
Systemtheorie. Die Mailänderin<br />
hat in Wien und Berlin<br />
gelehrt, zahlreiche soziologische<br />
Werke aus dem Deutschen ins Italienische<br />
übersetzt und ist heute<br />
an der Universität Modena und<br />
Reggio Emilia tätig.<br />
Zu ihren bekanntesten Werken<br />
zählen „Soziales Vergessen. Formen<br />
und Medien des Gedächtnisses<br />
der Gesellschaft“ (<strong>20</strong>02)<br />
und „Die Verbindlichkeiten des<br />
Vorübergehenden: Paradoxien der<br />
Mode“ (<strong>20</strong>04).<br />
Der „Premio Mittner“, genannt<br />
nach dem italienischen Germanisten<br />
Ladislao Mittner (1902–1975),<br />
ist mit einem Stipendium für<br />
einen Forschungsaufenthalt in<br />
Deutschland verbunden. Elena<br />
Esposito nahm den Preis Anfang<br />
November in Neapel entgegen. Die<br />
Laudatio hielt der Schriftsteller<br />
Umberto Eco, bei dem sie einst in<br />
Bologna das Philosophie-Examen<br />
abgelegt hatte. ors<br />
Foto: privat<br />
Der indische Ingenieur und<br />
Limnologe Nihar Ranjan<br />
Samal (geboren 1975) darf sich<br />
neuerdings „Grünes Talent“ nennen.<br />
Damit gehört er zu einer<br />
Gruppe von Wissenschaftlern, von<br />
denen man international herausragende<br />
wissenschaftliche Beiträge<br />
zur Bewältigung globaler ökologischer<br />
Herausforderungen erwartet<br />
– oder bereits gesehen hat. Bundesforschungsministerin<br />
Annette<br />
Schavan zeichnete die 15 Gewinner<br />
des Umweltwettbewerbs aus, den<br />
ihr Ministerium erstmals ausgeschrieben<br />
hatte.<br />
Samal, der <strong>20</strong>04 mit einem<br />
<strong>DAAD</strong>-Stipendium am renommierten<br />
Limnologischen Institut<br />
der Universität Konstanz geforscht<br />
hat, gilt als Experte für die Entwicklung<br />
von biologischen Verfahren<br />
zur Beseitigung toxischer<br />
Schwermetalle aus Grund- und<br />
Oberflächenwasser. Er lehrt und<br />
forscht am Nationalen Institut für<br />
Technologie in Durgapur.<br />
Rund 150 Wissenschaftler aus<br />
43 Ländern hatten sich für die<br />
Auszeichnung beworben.<br />
Die 15 Sieger wurden<br />
nach Deutschland eingeladen<br />
und hatten die<br />
Möglichkeit, Kontakte<br />
zu wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen und zur<br />
Industrie zu knüpfen. ors<br />
Foto: Lutz Voigtländer<br />
Foto: privat<br />
Der Holzbläser, Dirigent und<br />
Komponist Steffen Schorn ist<br />
mit dem WDR-Jazzpreis <strong>20</strong>09 ausgezeichnet<br />
worden. Der vom Kulturradio<br />
WDR 3 vergebene Preis<br />
ist die höchst dotierte Auszeichnung<br />
für improvisierte Musik in<br />
Deutschland. Schorn siegte in der<br />
Kategorie „Jazz Komposition“. Der<br />
weltweit gefragte Solist, Bandleader<br />
und Arrangeur ist Professor<br />
an der Musikhochschule Nürnberg<br />
und gehört seit <strong>Jahre</strong>n zur<br />
<strong>DAAD</strong>-Musikerkommission, die<br />
dreimal jährlich Stipendiaten aus<br />
dem Bereich klassische Musik<br />
und Jazz auswählt.<br />
Der 42-jährige Musiker gilt als<br />
sehr experimentierfreudig und<br />
hält sich – so die Juroren – „stilistisch<br />
und kulturell an keine<br />
Grenzen“. Häufig nimmt er Anregungen<br />
von Reisen und kulturwissenschaftlichen<br />
Studien<br />
in seine Musik auf. Das Ergebnis<br />
sind Konzerte in mehr als 50 Ländern,<br />
rund 25 Titel in seiner Discographie<br />
und zahlreiche Preise.<br />
Schorn spielt mit internationalen<br />
Big-Bands und gründete gemeinsam<br />
mit dem Klarinettisten Claudio<br />
Puntin das bekannte Schorn-<br />
Puntin-Duo. Kritiker bescheinigen<br />
ihm eine ganz eigene kompositorische<br />
Handschrift, mit der er den<br />
Jazz immer wieder neu erfindet.<br />
ors<br />
Rätsel-Lösungen<br />
Die Lösung des vorigen Letter-Rätsels lautet:<br />
BIENENSTICH<br />
Die LöSUNG ergibt sich aus folgenden Wörtern: bank,<br />
Leiter, Krebs, nagel, Gericht, Zylinder, Strauss, Futter,<br />
Kiefer, Schloss, hahn<br />
Einen Hauptpreis haben gewonnen:<br />
Farida Shorukova (Kirgisien), München/Deutschland;<br />
Oleh Radchenko, Drohobytsch/Ukraine; Jarlee Salviano,<br />
Salvador/Brasilien; Maria-Elena Muscan, Constanta/<br />
Rumänien; Levan Tsagareli, Tbilisi/Georgien; Pedro Antônio<br />
Silvério Lobo Mendoça, Florianópolis/Brasilien; Hans<br />
van der Veen, Leiden/Niederlande; Grindwit Sastravaha,<br />
Bangkok/Thailand; Michel Ph. Mattoug, Strasburg/<br />
Frankreich; Anne Njoki Hinga-Serem, Nairobi/Kenia<br />
Einen Trostpreis erhalten:<br />
Teona Nizharadze, Kutaissi/Georgien; Denise Brown,<br />
Berlin/Deutschland; Anelia Lambova, Sofia/Bulgarien;<br />
Sobirdjan Sasmakov, Taschkent/Usbekistan; Yekaterina<br />
Petrenko, Smirnowo/Kasachstan; László Bodolay,<br />
Pilisvörösvár/Ungarn; Marta Farré Capdevila, Lleida/<br />
Spanien; Idil Kurtulus, Istanbul/Türkei; Andrea Rita<br />
Severeanu, Timisoara/Rumänien; Anne Hurley, Cork/Irland<br />
Wer war’s?<br />
ENGELBERT KÄMPFER<br />
Einen Preis erhalten:<br />
Mushfig Mammadov, Berlin/Deutschland; Claudia<br />
Wosnitza-Mendo, Lima/Peru; Josina Verheijden;<br />
Budel/Niederlande; Ole Jacob Moxnes, Steinkjer/<br />
Norwegen; Gudni G. Sigurdsson, Seltjarnarnes/Island<br />
<strong>DAAD</strong> Letter<br />
Das Magazin für <strong>DAAD</strong>-Alumni<br />
Herausgeber:<br />
Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V., Bonn<br />
Kennedyallee 50, 53175 Bonn, Germany<br />
Tel.: +49-228-882-0, Fax: +49-228-882-444<br />
E-Mail: postmaster@daad.de<br />
Redaktion: Katja Sproß (verantwortlich),<br />
Uschi Heidel, Dr. Isabell Lisberg-Haag, Dr. Leonie Loreck<br />
Weitere Autoren: Doris Bünnagel, Boris Hänßler (boh),<br />
Christine Hardt, Christian Hohlfeld (cho), Hermann Horstkotte<br />
(H.H.), Dr. Klaus Hübner (Michel), Christoph Kessler (CK), Katja<br />
Lüers, Bettina Mittelstraß (bcm), Horst Willi Schors (ors), Heiko<br />
Schwarzburger, Claudia Wallendorf (CW), Julia Walter (JW),<br />
Sabine Wygas<br />
Übersetzungen Abstracts: Tony Crawford<br />
Koordination: Sabine Pauly<br />
Redaktionsbeirat: Dr. Klaus Birk, Dr. Ursula Egyptien, Claudius<br />
Habbich, Dr. Michael Harms, Francis Hugenroth (Vorsitz),<br />
Dr. Anette Pieper, Christiane Schmeken, Nina Scholtes,<br />
Friederike Schomaker, Ruth Schulze, Dr. Siegbert Wuttig<br />
Gestaltung/Titel: axeptDESIGN, Berlin<br />
Titelfoto: Karl Johaentges/Look-foto<br />
Herstellung: Bonifatius GmbH Paderborn<br />
Redaktion Bonn:<br />
Trio Service GmbH – www.trio-medien.de<br />
Kaiserstr. 139-141<br />
53113 Bonn, Germany<br />
Tel.: +49-228-1801662, Fax: +49-228-1801663<br />
E-Mail: spross@trio-medien.de<br />
Redaktion Berlin:<br />
Chausseestr.103<br />
10115 Berlin, Germany<br />
Tel.: +49-30-48810128, Fax: +49-30-85075452<br />
E-Mail: loreck@trio-medien.de<br />
Auch nicht ausgezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall<br />
die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter erscheint dreimal im Jahr.<br />
Einzelpreis 4,– Euro, <strong>Jahre</strong>sabonnement 15,– Euro<br />
inklusive Porto und MwSt.<br />
Printed in Germany – Imprimé en Allemagne PVST <strong>20</strong>357<br />
Dieser Ausgabe liegt das Magazin Letter Literatur bei. Einem Teil<br />
dieser Ausgabe liegt ein Faltblatt des <strong>DAAD</strong>-Freundeskreises bei.
Darf nicht Gas geben:<br />
Michael Schumacher<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Deutsche chronik<br />
Eine Auswahl von Ereignissen, die in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten (1. August bis 30. November <strong>20</strong>09)<br />
11. August<br />
Comeback geplatzt<br />
Riesige Enttäuschung bei den Motorsportfans:<br />
Rekordweltmeister<br />
Michael Schumacher sagt seine<br />
Rückkehr in die Formel 1 ab. Die<br />
Folgen eines Motorrad-Unfalls im<br />
Februar würden ihn zu stark behindern.<br />
16.–23. August<br />
WM-Party in Berlin<br />
Berlin erlebt ein rauschendes<br />
Sportfest. Bei den Leichtathletik-<br />
Weltmeisterschaften pulverisiert<br />
der jamaikanische Ausnahmesprinter<br />
Usain Bolt seine eigenen<br />
Weltrekorde über 100 und <strong>20</strong>0<br />
Meter. Deutschland gewinnt überraschend<br />
neun Medaillen, darunter<br />
zwei goldene.<br />
30. August<br />
Wahlüberraschungen<br />
Bei Landtagswahlen im Saarland<br />
und in Thüringen verliert die CDU<br />
ihre absolute Mehrheit. Auch<br />
in Sachsen bleibt sie unter dem<br />
Wahlergebnis von <strong>20</strong>04. Dennoch<br />
bleibt sie in allen drei Bundesländern<br />
stärkste Partei. FDP und Grüne<br />
können bei allen drei Wahlen<br />
zulegen. Die SPD gewinnt lediglich<br />
in Thüringen dazu.<br />
Im Saarland bilden CDU, FDP und<br />
Bündnis 90/Die Grünen die erste<br />
„Jamaika“-Koalition auf Landesebene.<br />
Die Linke kommt unerwartet<br />
auf 21 Prozent, knapp hinter<br />
der SPD.<br />
Der thüringische Ministerpräsident<br />
Dieter Althaus (CDU) tritt<br />
nach der Wahl zurück. Seine<br />
Nachfolgerin Christine Lieberknecht<br />
(CDU) stützt sich auf eine<br />
Koalition mit der SPD, die sich<br />
überraschend gegen ein Bündnis<br />
mit den Linken und den Grünen<br />
entscheidet. Grüne und FDP<br />
schaffen erstmals seit 1990 den<br />
Einzug in den Landtag.<br />
In Sachsen regiert die CDU nun<br />
mit der FDP und nicht mehr mit<br />
der SPD. Die rechtsextreme NPD<br />
verliert fast vier Prozentpunkte,<br />
zieht aber dennoch mit 5,6 Prozent<br />
erneut in den Landtag ein.<br />
Ein mögliches Verbot der nationalistischen<br />
und fremdenfeindlichen<br />
Partei, die als verfassungsfeindlich<br />
gilt, wird in der Politik kontrovers<br />
diskutiert.<br />
4. September<br />
Kritik an Luftangriff<br />
Bei einem von der Bundeswehr<br />
angeforderten Luftangriff auf gestohlene<br />
Tanklaster sterben bei<br />
Kunduz in Afghanistan über 100<br />
Menschen. Darunter sind nicht<br />
nur Taliban-Kämpfer, sondern<br />
auch Zivilisten. Der Einsatz wird<br />
international als überzogen kritisiert<br />
und führt Ende November<br />
zum Rücktritt von Bundesverteidigungsminister<br />
Jung.<br />
12. September<br />
Tödliche Attacke<br />
Zwei Jugendliche prügeln auf einem<br />
S-Bahnhof in München einen<br />
50-Jährigen zu Tode. Der Mann<br />
hatte eine Gruppe von Kindern beschützt,<br />
die von den Jugendlichen<br />
zuvor bedroht worden waren. Der<br />
Verstorbene erhält posthum den<br />
Bayerischen Verdienstorden.<br />
27. September<br />
Partnerwechsel<br />
Bei den Bundestagswahlen kommen<br />
CDU/CSU nur auf 33,8 Prozent<br />
– das schlechteste Ergebnis<br />
seit 60 <strong>Jahre</strong>n. Dennoch bleibt<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
an der Macht – dank des Wunschpartners<br />
FDP, der mit 14,6 Prozent<br />
ein Rekordergebnis erzielt.<br />
FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle<br />
wird Vize-Kanzler und<br />
Außenminister. Die SPD, bislang<br />
Koalitionspartnerin, fährt mit 23<br />
Prozent ihr schlechtestes Resultat<br />
bei einer Bundestagswahl ein.<br />
Foto: Aldo Liverani / Andia<br />
Neben der FDP sind auch Linke<br />
(11,9 Prozent) und Grüne (10,7<br />
Prozent) stark wie nie.<br />
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg<br />
bleibt die SPD stärkste<br />
Kraft, geht aber nun eine Koalition<br />
mit den Linken ein. Die CDU<br />
geht in die Opposition. FDP und<br />
Grüne gelingt der Sprung in den<br />
Landtag.<br />
In Schleswig-Holstein verlieren<br />
bei vorgezogenen Landtagswahlen<br />
die ehemaligen Koalitionspartner<br />
CDU und SPD massiv an<br />
Stimmen. Die CDU koaliert nun<br />
mit der FDP. Erstmals ist Die Linke<br />
im Landtag vertreten.<br />
Neue Polit-Ehe: Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel und Vizekanzler<br />
Guido Westerwelle<br />
19. Oktober<br />
Ende einer Tradition<br />
Der traditionsreiche Quelle-Versand<br />
wird geschlossen. Der Insolvenzverwalter<br />
hatte monatelang<br />
vergeblich einen Investor für das<br />
zahlungsunfähige Unternehmen<br />
gesucht. Tausende Mitarbeiter<br />
verlieren ihren Job.<br />
26. Oktober<br />
Impfung startet<br />
In Deutschland startet die bundesweite<br />
Impfaktion gegen die sogenannte<br />
Schweinegrippe. Während<br />
Behörden eine Impfung empfehlen,<br />
zweifeln Kritiker an der Notwendigkeit.<br />
Andere warnen vor<br />
möglichen unbekannten Folgen<br />
des neuen Impfstoffes. Nach eher<br />
schleppendem Beginn steigt Anfang<br />
November die Nachfrage.<br />
3. November<br />
Doch kein Opel-Verkauf<br />
Der amerikanische Automobilhersteller<br />
General Motors sagt den<br />
mühsam eingefädelten Verkauf<br />
der deutschen Tochter Opel an<br />
den Investor Magna ab. Der US-<br />
Konzern sieht sich nach überstandener<br />
Insolvenz selbst in der Lage,<br />
Opel zu sanieren. Einsparungen<br />
soll es dennoch geben.<br />
10. November<br />
Trauer um Torwart<br />
Der Torhüter der deutschen<br />
Fußball-Nationalelf, Robert Enke,<br />
nimmt sich im Alter von 32 <strong>Jahre</strong>n<br />
das Leben. Nicht nur Fans<br />
trauern. Der Profi von Hannover<br />
96 litt – was kaum jemand wusste<br />
– seit <strong>20</strong>03 unter schweren Depressionen.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
12. November<br />
Studenten streiken wieder<br />
Nach dem Bildungsstreik im<br />
Sommer protestieren Studenten<br />
erneut bundesweit gegen Studiengebühren<br />
sowie die Folgen der<br />
Umstellung auf Bachelor- und<br />
Masterabschlüsse. Hochschulen<br />
und Politik halten an der Reform<br />
fest, kündigen aber Korrekturen<br />
an.<br />
14. November<br />
Neuer SPD-Vorsitzender<br />
Sigmar Gabriel (50) löst auf dem<br />
SPD-Parteitag Franz Müntefering<br />
(69) als Vorsitzenden ab.<br />
27. November<br />
Minister Jung gibt auf<br />
Bundesarbeitsminister Franz Josef<br />
Jung (60) tritt zurück. Dem<br />
CDU-Politiker wird vorgeworfen,<br />
als Verteidigungsminister Informationen<br />
über zivile Opfer bei<br />
dem Luftangriff bei Kunduz am<br />
4. September zurückgehalten zu<br />
haben. Seine Nachfolgerin wird<br />
Familienministerin Ursula von<br />
der Leyen (51), ebenfalls CDU. Deren<br />
Ministerium übernimmt die<br />
32-jährige Kristina Köhler (CDU).<br />
43