20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
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30 daad<br />
deutschland „ganz normal“<br />
Die Wahl des Deutschen Bundestags aus der Sicht ausländischer Wissenschaftler<br />
Deutsche Medien bezeichneten den Wahlkampf<br />
in diesem Jahr als „langweilig“. Das<br />
Urteil internationaler Wahlbeobachter fiel<br />
anders aus. 19 Wissenschaftlerinnen und<br />
Wissenschaftler aus 18 Ländern, die der<br />
<strong>DAAD</strong> zu einer zehntägigen Informationsreise<br />
quer durch Deutschland eingeladen<br />
hatte, warfen einen neugierigen und kritischen<br />
Blick auf Wahlkampfthemen, die<br />
deutsche Gesellschaft und nicht zuletzt auf<br />
sich selbst.<br />
Bitte alle zügig in den Bus einsteigen!“ Es<br />
ist Samstag vor der Bundestagswahl, und<br />
der Kampf um die Stimmen in Deutschland ist<br />
in der heißen Phase. In Berlin will die bunt gemischte<br />
Gruppe ausländischer Deutschlandexperten<br />
noch möglichst viele abschließende<br />
Wahlveranstaltungen besuchen und letzte<br />
Gespräche mit Ministern, Wahlstrategen, jungen<br />
Politikern oder Wirtschaftsexperten führen.<br />
Doch von hektischer Unruhe ist nichts zu<br />
spüren. Die fröhliche Gruppe nutzt die kurze<br />
Atempause im Bus für angeregte Gespräche<br />
und Notizen – für die Artikel, Berichte und<br />
Interviews, die sie jetzt in ihre Heimatländer<br />
schickt.<br />
„Es war ein Wahlkampf ohne Kampf“, sagt der<br />
niederländische Politologe Ton Nijhuis. „Geprägt<br />
von Sachlichkeit und sehr transparent“,<br />
lobt die ägyptische Soziologin Mona Abaza.<br />
„Perfekt organisiert“, fügt der brasilianische<br />
Philosoph Marcos Severino Nobre augenzwinkernd<br />
hinzu, und „unfassbar friedlich“, betont<br />
der libanesische Pädagoge Abdel-Raouf Sinno.<br />
„Im Libanon ist es unvorstellbar, dass konkurrierende<br />
Parteien ihre Stände nebeneinander<br />
aufstellen und freundlich guten Tag sagen!“<br />
Der russische Soziologe Alexander Chepurenko<br />
sieht „keine Machtdistanz“ zwischen Volk<br />
und Politikern und darin „ein gutes Zeichen<br />
für die Mündigkeit der Zivilgesellschaft“. Die<br />
meisten schließen sich dem Urteil des polnischen<br />
Historikers Krzysztof Ruchniewicz an:<br />
Kritischer Blick: Internationale Wissenschaftler<br />
beobachten die Bundestagswahl<br />
„Mag sein, dass die Wahl für die Deutschen<br />
langweilig war, aber uns hat sie gezeigt, wie<br />
normal Deutschland jetzt funktioniert.“<br />
Kaum Kontroversen<br />
„Eigentlich hatte ich erwartet, dass Deutschland<br />
in einem Jahr voller Jubiläen – <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Wiedervereinigung und 60 <strong>Jahre</strong> Grundgesetz<br />
und Demokratie – die Geschichte ins Zentrum<br />
des Wahlkampfes stellen würde“, merkt<br />
Ruchniewicz an. In seinem Heimatland spiele<br />
Geschichte im Wahlkampf eine wichtige Rolle.<br />
Stattdessen stand bei den deutschen Parteien<br />
die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt. Das<br />
wertet der Direktor des Willy-Brandt-Zentrums<br />
für Deutschland- und Europastudien an der<br />
Universität Wroclaw als erfreulich pragmatisch:<br />
„Wenn Geschichte Nebenschauplatz ist,<br />
fördert das den neutralen Dialog über sensible<br />
Themen deutsch-polnischer Vergangenheit.“<br />
Der Verzicht auf kontroverse Wahlkampfthemen<br />
ist das, worüber die Wahlbeobachter<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Fotos (3): Rebecka Michel