20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
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Unsere Mentalität prägt unser Verhalten<br />
im Internet“, sagt Nelson Mattos.<br />
„Brasilianer sind sehr offen und suchen viele<br />
Kontakte; sie lieben Social Networking.“<br />
Deutsche sind eher zurückhaltend: Sie nutzen<br />
Internet-Suchmaschinen vor allem, um mehr<br />
über aktuelle Themen zu erfahren. Der 1959<br />
in Brasilien geborene Mattos weiß, wovon er<br />
spricht. Mit Suchaktivitäten im Internet kennt<br />
er sich aus. Als Vice President of Engineering<br />
bei Google in Zürich ist er verantwortlich für<br />
sämtliche Aktivitäten des Unternehmens in<br />
Europa, im Nahen Osten und in Afrika – und<br />
somit für rund 800 Ingenieure in den Google-<br />
Entwicklungszentren Europas und Israels.<br />
Seit <strong>20</strong>07 leitet Nelson Mattos die Google-Geschäfte<br />
in Europa – wie ein Konzern-Manager<br />
wirkt er aber nicht. Er beantwortet mit viel<br />
Ruhe alle Fragen – in sehr gutem Deutsch mit<br />
leicht schweizerischer Betonung – und steckt<br />
mit der Begeisterung für seine Arbeit an.<br />
Auch spricht er viel lieber über Innovationen<br />
als über Umsatz und Marktführerschaft. Statt<br />
Erfolgsgeschichten aus der Geschäftsführung<br />
erzählt Mattos, wie wichtig es ihm ist, dass jeder<br />
Mensch Zugang zum Internet hat, auch in<br />
Entwicklungsländern. Mobile Dienstleistungen<br />
müssten dafür ausgebaut werden, ebenso<br />
die automatische Übersetzung von Webseiten.<br />
„Jeder sollte überall auf der Welt das Gleiche<br />
lesen können“, so seine Vision.<br />
Seine eigene Herkunft vergisst Nelson Mattos<br />
nicht. Als eines von fünf Geschwistern<br />
wuchs er in bescheidenen Verhältnissen in<br />
der brasilianischen Metropole Porto Alegre<br />
auf. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater<br />
arbeitete als Vertriebsangestellter. Als Mattos<br />
fünf <strong>Jahre</strong> alt war, putschte sich das Militär in<br />
Brasilien an die Macht und regierte das Land<br />
noch, als er ohne Begeisterung sein Bauingenieur-Studium<br />
begann – keine guten Voraussetzungen<br />
für eine internationale Karriere.<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
Gestern Stipendiat – und heute...<br />
nelson Mattos<br />
Europa-Chef von Google<br />
Im zweiten Semester belegte Mattos einen<br />
Kurs in der Programmiersprache BASIC: Seine<br />
Leidenschaft für Informatik war geweckt.<br />
Aber sein Vater wollte von einem Fachwechsel<br />
nichts wissen. „In den 70er <strong>Jahre</strong>n konnte<br />
sich niemand vorstellen, was ein Informatiker<br />
macht“, sagt Mattos. Er traf ein Abkommen<br />
mit dem Vater: „Ich versprach, beide Fächer zu<br />
Ende zu studieren.“ Doch dazu kam es nicht.<br />
Die Militärregierung erkannte die Bedeutung<br />
von Informatik und wollte so schnell wie möglich<br />
viele Fachleute ausbilden. So konnten<br />
Brasilianer schon nach zwei bis zweieinhalb<br />
<strong>Jahre</strong>n ihr Informatik-Studium abschließen<br />
– Mattos zählte dazu. Das Bauingenieur-Studium<br />
zu beenden, hätte ihn nun aufgehalten.<br />
Mit einem <strong>DAAD</strong>-Stipendium kam der Brasilianer<br />
1984 nach Kaiserslautern – seine Frau,<br />
eine Architektin, und ihr gemeinsamer Sohn<br />
reisten mit. Der erste Eindruck? Mattos lacht:<br />
„Wenn man Hochdeutsch lernt und dann in<br />
eine Stadt kommt, in der alle pfälzisch reden,<br />
ist das eine ziemliche Umstellung.“ Im<br />
Vergleich zu Porto Alegre ist Kaiserslautern<br />
ein kleines Dorf, doch daran gewöhnte er sich<br />
schnell. Die meisten Menschen waren herzlich<br />
und offen, die junge Familie fand dort enge<br />
Freunde.<br />
Aber nicht alle Erlebnisse waren positiv.<br />
Als Ausländer bekam Mattos damals, in den<br />
80er <strong>Jahre</strong>n, auch Diskriminierung zu spüren.<br />
Obwohl ein deutscher Freund bei der Wohnungssuche<br />
half, hagelte es Absagen. Das war<br />
dem Freund so peinlich, dass er Mattos seine<br />
eigene Wohnung vermietete. In einer Bank erfuhr<br />
der Brasilianer von einem Angestellten,<br />
man gebe Ausländern keinen Kredit – obwohl<br />
Mattos zu diesem Zeitpunkt schon fünf <strong>Jahre</strong><br />
in Deutschland lebte. Mattos spricht zögerlich<br />
über diese Erfahrungen. Man spürt, wie<br />
sehr sie ihn verletzt haben.<br />
Die Universität hingegen enttäuschte<br />
ihn nicht. „Ich arbeitete mit hochqualifizierten<br />
Leuten aus der ganzen Welt<br />
zusammen.“ Ihnen stellte er seine<br />
Arbeit vor und erhielt ihr Feedback.<br />
In Deutschland konnte er zudem<br />
tiefer in sein Fach einsteigen. „In<br />
Brasilien verschwendet man viel<br />
Zeit für die Beschaffung der technischen<br />
Ausrüstung oder der<br />
daad<br />
Forschungsmittel. In Kaiserslautern ging das<br />
schnell und unkompliziert.“<br />
Aus der Doktorarbeit entwickelten sich 1989<br />
ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
gefördertes Projekt und eine Kooperation<br />
mit dem Forschungszentrum des IBM-<br />
Konzerns in Heidelberg. Das IT-Unternehmen<br />
lud Mattos als Gastwissenschaftler für zwei<br />
<strong>Jahre</strong> nach Kalifornien ein. Mattos blieb deutlich<br />
länger: Bis zu seinem Weggang 15 <strong>Jahre</strong><br />
später entwickelte er Produkte, die dem Unternehmen<br />
mehrere hundert Millionen Dollar<br />
einbrachten. Irgendwann kam der Eindruck,<br />
alles bei IBM gesehen zu haben. Genau in diesem<br />
Moment klopfte Google an seine Tür.<br />
Boris Hänßler<br />
39<br />
Foto: Google