20 Jahre Mauerfall - DAAD-magazin
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im Bus am häufigsten sprechen. „Warum<br />
greifen die großen Parteien das Thema Militäreinsatz<br />
in Afghanistan nicht auf?“, fragt<br />
der Amerikaner Daniel Joseph Walther. „Ich<br />
bemerke hier eine Lücke zwischen dem, was<br />
die Menschen interessiert, und dem Interesse<br />
der Parteien.“ Der Professor für deutsche<br />
Geschichte am Wartburg College, Iowa, sieht<br />
das kritisch. Die Nigerianerin Ndidi Nnolo<br />
Edozien, <strong>DAAD</strong>-Alumna und Präsidentin der<br />
Growing Businesses Foundation, zeigt dagegen<br />
Verständnis dafür, dass Themen, die die<br />
Gesellschaft spalten, im deutschen Wahlkampf<br />
vermieden werden: „Man will den Grundkonsens<br />
nicht aufgeben. Die Erfahrung der Weimarer<br />
Republik und die Angst vor dem Zerfall<br />
der Parteien sitzt den Deutschen im Nacken.“<br />
„Eine Spaltung der deutschen Gesellschaft<br />
ist dennoch spürbar“, sagt Mona Abaza, Professorin<br />
an der schwedischen Universität<br />
Lund: „Ich habe die Menschen während der<br />
Reise überall gefragt, ob sie <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> nach dem<br />
<strong>Mauerfall</strong> noch Ostdeutsche von Westdeutschen<br />
unterscheiden könnten – und sie haben<br />
das bejaht! Darüber sollte man in Deutschland<br />
mehr sprechen.“ Der junge kanadische Doktorand<br />
Benjamin Bryce, der mit einer zweiten,<br />
international zusammengesetzten Gruppe von<br />
Doktoranden der Zentren für Deutschland-<br />
und Europastudien unterwegs ist, sieht das<br />
entspannter: „Deutschland hat so viele Identitäten<br />
– eine bayerische und eine norddeutsche<br />
und jetzt eben auch eine ostdeutsche.<br />
Gibt es denn eine gemeinsame Identität der<br />
Deutschen?“<br />
Über europäische Identität und Deutschlands<br />
Rolle in Europa, über Zukunft und<br />
Visionen hätten Krzysztof Ruchniewicz und<br />
Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Direktor des<br />
Duitsland Instituut Amsterdam, gerne mehr<br />
gehört. „Wir Holländer brauchen Deutschland<br />
in einer Vorreiterrolle, um die Idee eines föderalen<br />
Europas umzusetzen.“ Nijhuis macht<br />
sich Sorgen, weil in vielen europäischen Ländern<br />
eine rückwärtsgewandte Fokussierung<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/09<br />
auf nationale Themen zu beobachten ist: „Verunsicherte<br />
Wähler und Parteien sind derzeit<br />
in Europa überall zu finden – und auch in diesem<br />
Sinne ist Deutschland wohl ganz normal.“<br />
Zu wenige Migranten<br />
Die Integration von Ausländern ist ebenfalls<br />
Diskussionsthema. Die Beobachter wundern<br />
sich darüber, dass selbst in den Jugendorganisationen<br />
der politischen Parteien kaum Menschen<br />
mit Migrationshintergrund zu finden<br />
sind. „Junge Ausländer organisieren sich weltweit<br />
in Subkulturen“, sagt Mona Abaza. „Die<br />
großen Parteien schrumpfen auch deshalb,<br />
weil Subkulturen keinen Zugang zu ihnen<br />
haben.“ Den jungen Menschen fehlten in der<br />
klassischen Parteienlandschaft ihre ureigenen<br />
Themen, ergänzt Alexander Chepurenko,<br />
Vize-Präsident der Russischen Soziologischen<br />
Gesellschaft.<br />
Als hohe Integrationsleistung der Volksparteien<br />
in Deutschland wertet Ton Nijhuis dagegen<br />
die Tatsache, dass der politisch rechte<br />
Rand in Deutschland nicht auffällt. Er stellt<br />
die Frage nach dem Zusammenhang von<br />
rechtspopulistischem Wahlverhalten und der<br />
Berichterstattung in den Medien: „Ich beobachte,<br />
dass die Medien in Deutschland sehr<br />
verantwortungsvoll sind und Rechtspopulismus<br />
und Extremismus keine Chance geben.“<br />
Der Vorwurf, populistisch zu sein, sei generell<br />
schlimm für Deutsche, ergänzt Jay Rowell, Direktor<br />
der Groupe de sociologie politique européenne<br />
in Straßburg: „Wer hier kompetent<br />
wirken will, muss sachlich sein!“<br />
„Bitte zügig alle aussteigen!“ Als der Bus<br />
bremst und die nächste Informationsveranstaltung<br />
auf dem Programm steht, treiben sich die<br />
Teilnehmer lachend gegenseitig an: „Auf, auf!<br />
Alléz! Vamos!“ - „Das Beste ist fast die Gruppe<br />
… mit Guido Westerwelle,<br />
Freie Demokratische Partei,<br />
heute Außenminister (Mitte),<br />
… und mit Renate Künast,<br />
Vorsitzende der Bundestagsfraktion<br />
Bündnis 90/<br />
Die Grünen (rechts)<br />
daad<br />
abSTracT<br />
International Observers<br />
at German Elections<br />
The German media called the <strong>20</strong>09 electoral<br />
campaigns “boring”. International observers<br />
felt otherwise: 19 academics from 18 countries,<br />
invited to Germany by the <strong>DAAD</strong> to observe the<br />
run-up to the elections, had good things to say:<br />
Germany is a “perfectly normal” democracy, the<br />
experts on Germany concluded. The electoral<br />
campaigns were objective, peaceful, transparent<br />
and well-organized. In view of the global financial<br />
crisis it was no wonder that the focus was<br />
on economic issues. The observers remarked,<br />
however, that German society is still divided<br />
into East and West. They also showed interest in<br />
the controversial issues that were largely excluded<br />
from campaign rhetoric, such as the German<br />
military mission in Afghanistan, the integration<br />
of migrants, and Germany’s role in Europe.<br />
selbst“, sagt der Amerikaner Walther beim<br />
Aussteigen. Auch die Ägypterin Abaza freut<br />
sich darüber, wie „normal international“ diese<br />
gemeinsame Reise ist: „Wir diskutieren alles<br />
intensiv, wir lachen und machen Witze über<br />
die Stereotypen, die wir voneinander haben!“<br />
Und das, fügt Ton Nijhuis hinzu, lasse ihn darüber<br />
nachdenken, „wie national geprägt das<br />
eigene Deutschlandbild sein kann“.<br />
Bettina Mittelstraß<br />
Wahlbeobachter diskutieren …<br />
Foto: David Außerhofer<br />
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