möbel kultur 9/22
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ZKZ 4937<br />
9 I 20<strong>22</strong><br />
MAGAZIN FÜR DAS MÖBEL-BUSINESS<br />
Lage spitzt<br />
sich zu<br />
Handel und Industrie<br />
zwischen Notfallplänen<br />
und Transformation<br />
Wilder<br />
Foto: Samsung „Bespoke“<br />
So bereitet sich die<br />
Branche auf den<br />
Messe-Marathon vor<br />
Herbst<br />
STATISTIK-EXTRA<br />
FRISCHE ZAHLEN<br />
AUF 24 SEITEN<br />
Carat: Zukunft in der Cloud<br />
Trendteam: Bewegte Zeiten<br />
Analyse: Der Preis ist heiß!<br />
VDM: „Komplexe Gemengelage“<br />
Beckermann: Mehrwert in Losgröße 1<br />
Küchen: Kaufargument Nachhaltigkeit
TOP-THEMA/STRATEGIE<br />
Illustration: Shutterstock / kozhedub_nc<br />
Branche zwischen<br />
Notfallplänen und<br />
Transformation<br />
Die letzen zwei Jahre waren bereits herausfordernd für die Führung vieler Unternehmen. Doch die<br />
Lage spitzt sich zu. Ukraine-Krieg, Energiekrise und die Inflation setzen auch die Möbelbranche weiter<br />
unter Druck. Nur „Brände zu löschen“ kann vor dem Hintergrund der Zeitenwende keine erfolgreiche<br />
Lösung mehr sein. Jetzt ist Business Continuity Management gefragt, sagt Dr. Timo Renz, geschäftsführender<br />
Gesellschafter von Dr. Wieselhuber & Partner im Interview mit der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Dr. Renz, in den Medien<br />
ist im Moment viel die Rede von Zeitenwende.<br />
Was bedeutet das für unsere<br />
Gesellschaft und für die Wirtschaft?<br />
Dr. Timo Renz: Wir leben in turbulenten<br />
und durch hohe Unsicherheit<br />
gekennzeichnete Zeiten. Der Begriff<br />
„Zeitenwende“ beschreibt das historische<br />
Ausmaß der Turbulenzen<br />
und Veränderung im Vergleich zu<br />
den vergangenen Jahren. Einerseits<br />
gelten weiterhin die langfristigen<br />
Megatrends wie z.B. Digitalisierung,<br />
Nachhaltigkeit, demografischer und<br />
gesellschaftlicher Wandel. Andererseits<br />
beeinflussen und dominieren<br />
aktuelle Ereignisse wie der Ukraine-<br />
Krieg, die Energiekrise, Rohstoffund<br />
Lieferengpässe oder Inflation<br />
das gesellschaftliche und wirtschaftliche<br />
Geschehen. Wir alle kennen die<br />
langfristigen Konsequenzen dieser<br />
Melange für Gesellschaft, Politik und<br />
Wirtschaft noch nicht genau. Wir<br />
wissen aber, dass im Unterschied zu<br />
den Boomjahren nach 2010 weder<br />
die Basisannahmen unseres Handelns<br />
wie z.B. Frieden, garantierte<br />
Energieversorgung, funktionierende<br />
Lieferketten, freier Welthandel,<br />
<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Geldstabilität, noch die Ziele unseres<br />
Handelns wie z.B. Wachstum,<br />
Wohlstand, Sicherheit gewährleistet<br />
sind – das ist ein Paradigmenwechsel!<br />
Die Folgen spüren wir alle.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Auf welche Bedingungen<br />
muss sich speziell die Möbelbranche<br />
einstellen?<br />
Dr. Timo Renz: Die Bedingungen<br />
waren bereits in der Coronazeit für<br />
die Unternehmen in der Möbelbranche<br />
nicht einfach. Viele haben<br />
im „Krisenmodus“ gearbeitet und<br />
unter Beweis gestellt, dass sie diese<br />
Aufgabe meistern konnten. Jedoch<br />
dürfen wir drei Dinge nicht vergessen,<br />
die veränderte Bedingungen<br />
nach sich ziehen: Erstens gab es<br />
für die Möbelwirtschaft während<br />
der Lockdown-Zeiten eine Hochkonjunktur.<br />
Viele Reise- und Vergnügungsbudgets,<br />
die nicht ausgegeben<br />
werden konnten, wurden<br />
umgeschichtet und in ein „Wohlfühlzuhause“<br />
gesteckt, wovon die<br />
Branche mit einer mengen- und<br />
auch wertmäßig steigenden Nachfrage<br />
profitierte. Und das ist jetzt<br />
anders.<br />
Mit Beginn des Krieges gegen die<br />
Ukraine veränderten sich die Konsum-Vorzeichen<br />
dramatisch: Seitdem<br />
hören die Konsumenten nicht<br />
nur von der Zeitenwende in den<br />
Medien, sondern sie spüren es auch<br />
tagtäglich in ihrem Geldbeutel. Die<br />
damit einhergehende Unsicherheit,<br />
Angst und knapper werdende Konsumbudgets,<br />
wirken sich bereits jetzt<br />
dramatisch auf das Kaufverhalten<br />
aus. Das Ifo Institut meldet Konjunkturtiefstand.<br />
Zweitens ist der<br />
Bauboom vorbei. Noch ist das in der<br />
Möbelbranche nicht angekommen,<br />
weil die laufenden Bauprojekte fertiggestellt<br />
werden. Aber jetzt schon<br />
werden viele geplante Bauvorhaben<br />
storniert und mit den steigenden<br />
Kosten und Zinsen wird die Baubranche<br />
aller Voraussicht nach einbrechen.<br />
Dies wird auch Spuren in<br />
der Möbelbranche, z.B. bei Küchenund<br />
Bad<strong>möbel</strong>n, hinterlassen. Und<br />
drittens stehen wir in Bezug auf<br />
die Veränderungstreiber Digitalisierung<br />
und Nachhaltigkeit heute ganz<br />
woanders als noch vor Corona, und<br />
der Transformationsdruck hat definitiv<br />
weiter zugenommen. Diese<br />
schwierigen Bedingungen werden<br />
vorerst wohl bleiben und führen<br />
dazu, dass die Unternehmen in der<br />
Möbelbranche derzeit den Spagat<br />
meistern müssen zwischen „kurzfristig<br />
Brände löschen“ und gleichzeitig<br />
„langfristig Transformation<br />
gestalten“.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Die Lieferketten sind nach<br />
wie vor gestört, die Energieversorgung<br />
problematisch, die Preise steigen – welchen<br />
kurzfristigen Notfallplan gibt es für<br />
die Unternehmen, um im Geschäftsjahr<br />
20<strong>22</strong> noch mit einem blauen Auge davon<br />
zu kommen?<br />
Dr. Timo Renz: Sie sprechen genau<br />
die Punkte an, die ich mit „Brände<br />
löschen“ meine: Aufrechterhaltung<br />
der Produktions- und Lieferfähigkeit,<br />
Sicherstellung der Energieversorgung,<br />
Durchführung von permanenten<br />
und völlig atypischen Preisverhandlungen<br />
mit Zulieferern und<br />
Händlern, ggf. auch Finanzierungsthemen.<br />
Der kurzfristige Notfallplan<br />
kann nur lauten: Prioritäten bilden,<br />
fokussiert, schnell sowie konsequent<br />
handeln und dabei sicherstellen,<br />
dass die jeweiligen Aufgaben und<br />
Sachverhalte aus mehreren Perspektiven<br />
bewertet werden. In der Praxis<br />
hat sich diesbezüglich der Einsatz<br />
einer „Task Force“ bewährt: Mit<br />
den richtigen Köpfen, den richtigen<br />
Qualifikationen, Kompetenzen und<br />
Befugnissen. Ich habe den Eindruck,<br />
dass viele hier von den Erfahrungen<br />
aus der Corona-Zeit profitieren.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Ein robustes Geschäftsmodell<br />
ist von je her die Basis für langfristigen<br />
Erfolg eines Unternehmens. Wie muss<br />
Robustheit heute neu definiert werden<br />
und wie sollte Unternehmensführung in<br />
unsicheren Zeiten aussehen?<br />
Dr. Timo Renz: Das Problem ist doch,<br />
dass man mit „kurzfristigem Notfallplan“<br />
und „Fahren auf Sicht“<br />
ein Unternehmen nicht langfristig<br />
absichert. Ein wesentliches Element<br />
für mehr Robustheit besteht darin,<br />
einen „präventiven Notfallplan“ für<br />
unwahrscheinliche, aber mögliche<br />
„Black Swan-Events“ in der Tasche<br />
zu haben. Denn mit diesen werden<br />
wir leider immer wieder konfrontiert<br />
werden. Es gibt dafür Methoden,<br />
die man z.B. aus der Notfallmedizin<br />
oder aus der Luftfahrt kennt<br />
und die heute unter der Überschrift<br />
Business Continuity Management<br />
(BCM) zusammengefasst werden.<br />
Statt nach jedem unvorhersehbaren<br />
Ereignis überrascht in den Krisenmodus<br />
zu schalten, besteht das Ziel<br />
des BCM darin, das Unternehmen<br />
auf so einen Notfall vorzubereiten,<br />
indem mögliche Szenarien im<br />
Vorfeld durchdacht und möglichst<br />
standardisierte Ablaufpläne<br />
für den Krisen fall<br />
entwickelt werden.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Für welche<br />
Unternehmen ist<br />
Business Continuity<br />
Management relevant?<br />
Dr. Timo Renz: In der<br />
heutigen Zeitenwende<br />
besteht die<br />
Notwendigkeit für<br />
BCM im Grunde für<br />
jede Organisation. Es<br />
wird daher teilweise schon<br />
politisch ein gesetzlich verpflichtendes<br />
BCM für bestimmte<br />
Branchen gefordert. Das halte ich<br />
für richtig und klug: Man kann doch<br />
jetzt schon darüber nachdenken,<br />
welche betrieblichen Störungen und<br />
ökonomischen Risiken z.B. einen<br />
Küchenhersteller, Polstermöbler<br />
oder einen Zulieferer treffen, und<br />
was man dagegen tun könnte, wenn<br />
– vielleicht noch nicht in diesem,<br />
aber womöglich im nächsten Jahr<br />
– die Energie rationiert wird? Oder<br />
wenn der Krieg sich ausweitet –<br />
Stichwort China/Taiwan oder Nato-<br />
Fall in Osteuropa? Wir merken in<br />
unserer Beratungspraxis vor allem<br />
bei gut aufgestellten Familienunternehmen<br />
innerhalb und außerhalb<br />
der Möbelbranche, dass das Thema<br />
BCM sehr an Stellenwert gewonnen<br />
hat. BCM hilft die gesamte Wertschöpfungskette<br />
robuster und zuverlässiger<br />
zu machen. Der Nutzen entsteht<br />
allerdings nicht nur im Notfall.<br />
Vielmehr generiert man auch einen<br />
kommunizierbaren und ggf. auch<br />
monetarisierbaren Wettbewerbsvorteil,<br />
in dem man sich als „jederzeit<br />
zuverlässiger Partner“ positioniert.<br />
BCM ist ein wirksames, aber<br />
dennoch sicher nur ein Mittel für<br />
mehr Robustheit. Das allein reicht<br />
nicht aus, um langfristigen Erfolg<br />
sicherzustellen. Gerade für die vielen<br />
Familienunternehmen in der<br />
Dr. Timo Renz, geschäftsführender<br />
Gesellschafter bei Dr. Wieselhuber<br />
& Partner rät dringend dazu, nicht<br />
mehr nur auf Sicht zu fahren,<br />
sondern jetzt den Transformationsprozess<br />
voranzutreiben.<br />
Mit Beginn des<br />
Krieges gegen die<br />
Ukraine veränderten<br />
sich die Konsum-<br />
Vorzeichen dramatisch.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 23
TOP-THEMA/MOEBEL.DE<br />
Der Preis<br />
ist heiß<br />
100 %<br />
01. Januar 20<strong>22</strong><br />
Seit dem Start vor 20 Jahren verfolgt moebel.de die Vision, dass sich jeder Endverbraucher<br />
passend einrichten kann und der Algorithmus den Nutzer zum richtigen<br />
Anbieter führt – egal ob on- oder offline. Heute sind über 250 Onlineshops und über 200<br />
lokale Händler auf der Plattform versammelt, die mehr als 50 Mio. Besucher:innen pro<br />
Jahr zu ihren Lieblingsstücken aus allen Kategorien verhelfen. Für die „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“<br />
analysiert moebel.de künftig die Preisentwicklung in den wichtigsten Top-Kategorien.<br />
CRO Alexander Wessels erklärt, wie die Leser:innen davon profitieren können.<br />
Alexander Wessels ist seit über sechs<br />
Jahren in unterschiedlichen Positionen<br />
bei moebel.de tätig, aktuell als Chief<br />
Revenue Officer. Berufliche Stationen<br />
zuvor: Happycar und Comdirect Bank.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Wessels, Sie werten<br />
die Preisentwicklungen der Top 100-Produkte<br />
bei moebel.de aus. Wie gehen Sie<br />
dabei vor?<br />
Alexander Wessels: Für die Analyse<br />
in der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ berücksichtigt<br />
moebel.de die Verkaufspreise<br />
der Produkte im deutschen Möbelhandel<br />
in (saisonal) relevanten Top-<br />
Kategorien. Pro Kategorie werden<br />
die 100 klickstärksten Produkte<br />
identifiziert und der (Endverbraucher-)Preis<br />
dieser Produkte wird auf<br />
100 Prozent zum 1. Januar 20<strong>22</strong><br />
indexiert. Über den Jahresverlauf ist<br />
es somit möglich, die Preisentwicklung<br />
innerhalb einer Kategorie und<br />
Gesamt aufzuzeigen und zu analysieren.<br />
Durch die Herausnahme und<br />
Hinzunahme von Produkten durch<br />
Partner und der damit verbundenen<br />
Tatsache, dass Daten für einen<br />
oder mehrere Tage für das jeweilige<br />
Produkt nicht vorliegen, ist es wichtig<br />
zu wissen, dass sich Indexwerte<br />
pro Kategorie oder Gesamt nie aus<br />
allen Produkten zusammensetzen,<br />
aber aus einem überwiegenden<br />
Teil, sodass der „moebel.de Preis-<br />
Index“ eine große Relevanz für die<br />
Branche aufweist. Betrachtet man<br />
die einzelnen Produkte, decken die<br />
Top 100 Artikel alle Preisgruppen<br />
ab, angefangen vom Preiseinstieg<br />
über die Mittelklasse bis hin zum<br />
Top-Segment. Premium-Möbel sind<br />
tendenziell unterrepräsentiert, weil<br />
es in diesem Segment noch immer<br />
nicht üblich ist, alle Modelle uneingeschränkt<br />
online zu distribuieren.<br />
Der Gesamt-Preisindex setzt sich<br />
aus folgenden acht Kategorien zusammen:<br />
Garten<strong>möbel</strong>-Sets, Ess tische,<br />
Küchenstühle, Boxspringbetten,<br />
Kleiderschränke, Sofas & Couches,<br />
Couchtische und Wohnwände.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie können „<strong>möbel</strong><br />
<strong>kultur</strong>“-Leser:innen von Ihren Auswertungen<br />
profitieren?<br />
Alexander Wessels: Mir ist aktuell kein<br />
aussagekräftigerer und sensiblerer<br />
Preis-Index bekannt, der bis auf die<br />
einzelne Warengruppe genau Preisentwicklungen<br />
im deutschen Handel<br />
abbildet. Der Erkenntnisgewinn ist<br />
dabei außerordentlich hoch, denn<br />
angesichts der aktuellen Turbulenzen<br />
fehlt doch vor allen Dingen<br />
eines: Orientierung. Und dafür<br />
sorgt der Index nun in Bezug auf<br />
die Verbraucherpreise. Insbesondere<br />
Händler können daraufhin Ableitungen<br />
für die eigene Preisgestaltung<br />
treffen. Wie entwickelt sich<br />
der Markt? Und wie verhalte ich<br />
mich als einzelner Player dazu? Versuche<br />
ich einen Trend zu verstärken,<br />
exakt abzubilden oder verhalte ich<br />
mich konträr? Der Index liefert die<br />
notwendigen Informationen, um<br />
eine eigene Preisstrategie zu entwickeln.<br />
Industrieunternehmen<br />
wiederum können ablesen, wieviel<br />
von den Preiserhöhungen ungefähr<br />
zum Endverbraucher durchgereicht<br />
werden. Wir freuen uns, dass der<br />
„moebel.de Preis-Index“ in jeder<br />
Ausgabe der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ nun<br />
mit Spannung von den Leser:innen<br />
erwartet wird.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Preise sind in diesem<br />
Jahr ein heißes Thema. Was hat Sie bei<br />
Ihrer August-Auswertung am meisten<br />
überrascht?<br />
Alexander Wessels: Der deutliche<br />
Anstieg zum 1. August zeigt, dass<br />
moebel.de die Vermarktungswirklichkeit<br />
exakt darstellt. Wir interpretieren<br />
den rasanten August-Anstieg<br />
so, dass nach der Urlaubssaison die<br />
neuen Preislisten gegriffen haben.<br />
Dafür gibt es immer eine Vorlaufzeit<br />
von drei bis vier Monaten, sodass<br />
sich nun die Marktsituation aus<br />
26 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
ca. 109 %<br />
01. August 20<strong>22</strong><br />
Preisentwicklung (gesamt) von<br />
acht Kategorien anhand der<br />
100 klickstärksten Produkte<br />
pro Kategorie<br />
Die moebel.de Einordnung: Das war tatsächlich ein sprunghafter Anstieg zum<br />
1. August über die acht wichtigsten Kategorien hinweg. Die Vermutung<br />
steht recht sattelfest, dass zum Monatsstart die neuen Hersteller-Preislisten<br />
gegriffen haben und zu knapp fünf Prozent höheren Preisen geführt haben.<br />
Die Verbraucher haben in der Haupturlaubsphase davon wohl nur wenig<br />
mitbekommen.<br />
Unserer Recherche nach gibt<br />
der Handel bisher nicht die Preissteigerungen<br />
in gleicher Höhe<br />
weiter, wie es in den vorherigen<br />
Wertschöpfungs stufen erzeugt<br />
wird, um das Abwürgen des<br />
Konsums zu verhindern. Alexander Wessels<br />
dem Frühjahr bemerkbar macht. Bis<br />
dahin verlief der Preisanstieg über<br />
alle Kategorien hinweg kontinuierlich<br />
und noch relativ milde.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Bei Wohnwänden sind<br />
die Preise seit Januar um 15 Prozent<br />
gestiegen, was vor allem an den enormen<br />
Sprüngen bei Holzwerkstoffen liegt.<br />
Welche Auswirkungen könnte das auf die<br />
Nachfrage haben?<br />
Alexander Wessels: Natürlich ist zu<br />
befürchten, dass sich der Preisanstieg<br />
negativ auf das Konsumverhalten<br />
auswirkt. Andererseits<br />
bleiben 15 Prozent seit Januar im<br />
Vergleich mit anderen Gütern wie<br />
beispielsweise Lebensmitteln noch<br />
im Rahmen und die Verbraucher<br />
können eins und eins zusammenzählen:<br />
Man muss kein Ingenieur<br />
sein, um zu erahnen, dass bei der<br />
Möbelproduktion bzw. bei der Spanplatten-Produktion<br />
viele Rohstoffe<br />
und viel Energie benötigt werden.<br />
Bei dem jetzigen Preisniveau würden<br />
wir aber noch nicht auf ein<br />
Abwürgen des Einrichtungskonsums<br />
schließen, zumal wir sehr<br />
gespannt sind, wie sich die Preise<br />
im Herbst entwickeln, wenn der<br />
ein oder andere Händler eventuell<br />
doch wieder auf Lockangebote setzt,<br />
um Impulse zu schaffen. Erst recht,<br />
wenn die Lager freigeräumt werden<br />
müssen, weil im Winter die neuen<br />
Kollektionen ausgeliefert werden,<br />
die auf den Herbstmessen gezeigt<br />
werden.<br />
Aber um Ihren Aspekt der Spanplatte<br />
noch einmal aufzugreifen:<br />
Insgesamt wird sich aufgrund der<br />
hohen Kosten in der Produktion,<br />
die Frage nach der Marktfähigkeit<br />
der Spanplatte stellen. Wenn das Gap<br />
zwischen Spanplatte und Massivholz<br />
immer kleiner wird, werden sich<br />
viele Verbraucher wahrscheinlich für<br />
die nur noch unwesentlich teureren<br />
Massivholz<strong>möbel</strong> entscheiden<br />
wollen. Das hätte Auswirkungen auf<br />
das gesamte Zerlegt<strong>möbel</strong>-Segment.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Bei Ihrer ersten Auswertung<br />
zeigen sich durchaus ambivalente Entwicklungen.<br />
Kommt es also beim Möbelkauf<br />
der Endverbraucher künftig noch<br />
mehr auf das richtige Timing an, um von<br />
günstigen Preisen zu profitieren?<br />
Alexander Wessels: In erster Linie<br />
sehen wir die ambivalenten Entwicklungen<br />
saisonal begründet<br />
und dieses Phänomen hat es schon<br />
immer gegeben. Schauen Sie sich<br />
dazu einmal die Gartensortimente<br />
an, deren saisonale Preisentwicklungen<br />
absolut logisch nachvollziehbar<br />
sind.<br />
Andererseits sind die Verbraucher<br />
aktuell wegen der Preiserhöhungen<br />
in allen Bereichen sehr<br />
sensibel. Und bei Möbeln haben<br />
die Verbraucher:innen am Ende<br />
nur ein „Gefühl für den richtigen<br />
Preis“, denn wenn Sie einhundert<br />
Menschen auf der Straße fragen,<br />
wie viel eine Schrankwand kostet,<br />
bekommen Sie sehr wahrscheinlich<br />
einhundert verschiedene Antworten.<br />
Das ist bei einem Stück Butter<br />
anders. Insofern wäre die Branche<br />
jetzt gut beraten, werthaltig zu vermarkten<br />
und die höheren Preise<br />
an entsprechende Qualitätsmerkmale<br />
zu knüpfen. Das ist auch eine<br />
Chance, solange das neue Preisgefüge<br />
noch nicht steht.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Warum werden Küchen bei<br />
dem Gesamt-Preisindex nicht erfasst?<br />
Alexander Wessels: Wir können bei<br />
dem Gesamt-Preisindex nur die Sortimente<br />
berücksichtigen, die auch<br />
mit einem entsprechenden Verbraucherpreis<br />
auf dem Portal gelistet sind.<br />
Zum Hintergrund: Wir betreiben mit<br />
unserem Küchen-Portal sehr erfolgreich<br />
Lead-Generierung für unsere<br />
Küchenpartner. Dabei werden bei<br />
Interesse an einem Beratungsgespräch<br />
alle dafür relevanten Informationen<br />
vom Kunden gesammelt. Daraufhin<br />
spricht unser Customer Service<br />
mit dem Nutzer direkt einen Termin<br />
ab und reicht diesen an das<br />
Küchenstudio weiter. Ab dann ist<br />
der Kunde aber in der Betreuung<br />
des Händlers, was auch bedeutet,<br />
dass der finale Preis zwischen dem<br />
Küchenfachberater und dem Kunden<br />
verhandelt wird. An diese Daten kommen<br />
bzw. wollen wir gar nicht ran.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie sind die Frequenzen<br />
bei moebel.de aktuell? Merken Sie auf<br />
der Plattform ein abflauendes Interesse<br />
an Möbeln?<br />
Alexander Wessels: Moebel.de ist ein<br />
Abbild des Marktes und natürlich<br />
registrieren wir, dass die Menschen<br />
sich gerade mit Urlaub und<br />
anderen Dingen beschäftigen. Wir<br />
möchten hier vorerst aber nur auf<br />
eine saisonale Phase schließen und<br />
gehen davon aus, dass das Interesse<br />
zum Herbst wieder zunehmen wird<br />
und dass die Kunden wissen, wo sie<br />
das vielfältigste und größte Möbel-<br />
Angebot sichten und filtern können.<br />
RITA BREER<br />
Preisentwicklung Sofas & Couches<br />
der 100 klickstärksten Produkte<br />
120 %<br />
115 %<br />
110 %<br />
105 %<br />
100 %<br />
95 %<br />
90 %<br />
01. JAN <strong>22</strong> 01. FEB <strong>22</strong> 01. MÄRZ <strong>22</strong> 01. APRIL <strong>22</strong> 01. MAI <strong>22</strong> 01. JUNI <strong>22</strong> 01. JULI <strong>22</strong> 01. AUG <strong>22</strong><br />
Die moebel.de Einordnung: Während Polster<strong>möbel</strong> bisher noch mit verhaltenen Preissteigerungen<br />
vermarktet wurden, kam es im August nun zu einer regelrechten Preisexplosion.<br />
Seit Ende Juli sind die Preise um über zehn Prozent gestiegen. Es sieht aber so aus, als sei ein<br />
Plateau zur Monatsmitte vorerst erreicht.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 27
TOP-THEMA/MÖBELINDUSTRIE<br />
„Wilde & komplexe<br />
Gemengelage“<br />
Jan Kurth, Geschäftsführer<br />
der Verbände der deutschen<br />
Möbelindustrie (VDM/VHK),<br />
bleibt für das Gesamtjahr<br />
verhalten optimistisch.<br />
Trotz aller Herausforderungen<br />
und Aufs und Abs<br />
hat die deutsche Möbelindustrie<br />
die letzten zwei<br />
Pandemiejahre gut gemeistert.<br />
Auch im ersten Halbjahr<br />
20<strong>22</strong> konnten die Her -<br />
steller ein Plus von 13,4<br />
Prozent auf 9,5 Mrd. Euro<br />
verbuchen. Jetzt sei aber<br />
noch ein Päckchen oben<br />
drauf gekommen durch<br />
den Ukraine-Krieg, der die<br />
Störungen der Materialverfügbarkeiten<br />
und Lieferketten<br />
zusätzlich verschärft<br />
habe, so VDM-Geschäftsführer<br />
Jan Kurth.<br />
+13,4 %<br />
Umsatz 1. Hj.<br />
+26 %<br />
Export USA<br />
+ 6-8 %<br />
Prognose 20<strong>22</strong><br />
33 %<br />
Exportquote<br />
Es bleiben volatile Zeiten für die<br />
deutsche Möbelindustrie. Von<br />
einer Achterbahnfahrt sprach<br />
VDM-Geschäftsführer Jan Kurth,<br />
was die Lage treffend skizziert. Dem<br />
Corona-Schock im Frühjahr 2020<br />
folgte eine überraschend schnelle<br />
Erholung, dann wurde die Möbelindustrie<br />
durch den drastischen<br />
Materialmangel ausgebremst mit<br />
in der Folge steigenden Preisen.<br />
Mit Ausbruch des Ukraine-Krieges<br />
gerieten die Lieferketten nachhaltig<br />
aus den Fugen, die Energieversor-<br />
gung bleibt fragil und die Konsumneigung<br />
der Endverbraucher:innen<br />
u. a. aufgrund der hohen Inflation<br />
schwer kalkulierbar.<br />
Vor diesem Hintergrund kann die<br />
deutsche Möbelindustrie mit einem<br />
Umsatzwachstum von 13,4 Prozent<br />
auf 9,5 Mrd. Euro im ersten Halbjahr<br />
20<strong>22</strong> sicherlich noch zufrieden<br />
sein. Gleichwohl spiegele dieses Plus<br />
im Wesentlichen die gestiegenen<br />
Materialkosten wider, das mengenmäßige<br />
Wachstum fiel wesentlich<br />
geringer aus. Während der Heimatmarkt<br />
in diesem Zeitraum um 13,8<br />
Prozent zulegte, lief das Auslandsgeschäft<br />
mit plus12,6 Prozent etwas<br />
verhaltener. Und bereits im Juni<br />
zeigte sich insgesamt eine deutlich<br />
abgeschwächte Dynamik. Wobei Jan<br />
Kurth zu Recht betonte, dass viele<br />
Deutsche jetzt erst einmal in Urlaub<br />
gefahren seien und zudem auch in<br />
der Vergangenheit ein Sommerloch<br />
in der Möbelbranche ein durchaus<br />
gängiges Phänomen gewesen sei.<br />
Für eine bessere Einordung: Bei<br />
der Bewertung der aktuellen Ergeb-<br />
28 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
nisse muss auf die Vorjahreswerte<br />
verwiesen werden – die Umsätze der<br />
deutschen Möbelhersteller legten im<br />
ersten Halbjahr 2021 um insgesamt<br />
4,1 Prozent zu. Der Inlandsumsatz<br />
stieg damals um 1,1 Prozent und<br />
der Auslandsumsatz um 10,7 Prozent.<br />
Die aktuellen Umsätze deutscher<br />
Möbelhersteller bewegen sich<br />
sowohl im Inland als auch im Ausland<br />
deutlich über dem Niveau des<br />
Jahres 2019 und somit über den Vergleichswerten<br />
vor der Corona-Krise.<br />
Einmal mehr Motor des Wachstums<br />
war die Küchen<strong>möbel</strong>industrie<br />
mit einem kräftigen Umsatzanstieg<br />
um 12,4 Prozent auf rund 3,2 Mrd.<br />
Euro. Den höchsten Sprung registrierten<br />
die Hersteller von Polster<strong>möbel</strong>n,<br />
deren Umsätze von Januar bis<br />
Juni 20<strong>22</strong> um 19,1 Prozent auf 577<br />
Mio. Euro zulegen konnten. Auch die<br />
Entwicklung beim größten Segment<br />
der Möbelindustrie – den sonstigen<br />
Möbeln (darunter Wohn-, Ess- und<br />
Schlafzimmer<strong>möbel</strong>) sowie Möbelteilen<br />
– fiel mit plus 17,1 Prozent<br />
auf 3,3 Mrd. Euro positiver aus<br />
als im Branchendurchschnitt. Das<br />
kleinste Segment der Branche – die<br />
Matratzenindustrie – vermeldete<br />
dagegen ein Minus in Höhe von<br />
7,1 Prozent auf 336 Mio. Euro.<br />
In Summe positiv tendierten<br />
auch die ausländischen Aktivitäten<br />
– vor allem in Europa. „Besonders<br />
erfreulich und nicht unbedingt zu<br />
erwarten war die Steigerung der<br />
Ausfuhren ins Vereinigte Königreich<br />
mit einem kräftigen Plus von 17<br />
Prozent auf gut 280 Mio. Euro. Der<br />
britische Markt erlebte nach der<br />
Unterzeichnung des Handelsabkommens<br />
mit der EU ein fulminantes<br />
Comeback und entwickelte sich zum<br />
fünftwichtigsten Exportmarkt der<br />
deutschen Möbelindustrie“, freute<br />
sich Jan Kurth. Frankreich belegt<br />
nach wie vor Platz eins im Ranking<br />
der wichtigsten Exportmärkte mit<br />
einem leichten Minus von 2,8 Prozent<br />
auf 709,7 Mio. Euro, gefolgt<br />
von der Schweiz mit plus 3 Prozent<br />
(615,8 Mio. Euro), Österreich<br />
mit minus 3,4 Prozent (530,3 Mio.<br />
Euro) und den Niederlanden mit<br />
plus 11,6 Prozent (509,7 Mio.<br />
Euro). Positiv zudem, dass auch in<br />
anderen wichtigen europäischen<br />
Exportmärkten wie Italien, Spanien,<br />
Polen, Tschechien und Norwegen<br />
ein deutliches Wachstum verzeichnet<br />
wurde.<br />
Bei den Märkten außerhalb Europas<br />
gab es jedoch ambivalente Entwicklungen.<br />
Besonders positiv war<br />
aus Branchensicht, dass die USA<br />
nach der Überwindung der Folgen<br />
der Corona-Krise wieder die Rolle<br />
des internationalen Konjunkturmotors<br />
im Möbelbereich übernahmen<br />
– die deutschen Möbelexporte<br />
über den Atlantik kletterten<br />
von Januar bis Juni 20<strong>22</strong> um stolze<br />
25,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr<br />
auf gut 145 Mio. Euro. Damit<br />
wies der US-Markt die höchste<br />
Steigerungsrate unter den wichtigsten<br />
Exportmärkten der deutschen<br />
Möbelindustrie auf. China<br />
bleibt zwar auch im Jahr 20<strong>22</strong> der<br />
zweitwichtigste außereuro päische<br />
Exportmarkt für deutsche Möbel,<br />
jedoch gingen die Ausfuhren ins<br />
Reich der Mitte im ersten Halbjahr<br />
um 10,4 Prozent auf 74,6 Mio. Euro<br />
zurück. Ursächlich hierfür war nicht<br />
zuletzt die strenge Null-Covid-Strategie<br />
der chinesischen Regierung,<br />
die das Wirtschaftswachstum negativ<br />
beeinträchtigt und erhebliche Reiseeinschränkungen<br />
zur Folge hat.<br />
Der russische Angriffskrieg gegen<br />
die Ukraine führte seit Ende Februar<br />
dazu, dass viele deutsche Möbelhersteller<br />
ihre Geschäftsaktivitäten<br />
in Russland ganz oder teilweise<br />
einstellten. In der Folge brachen<br />
die deutschen Möbelexporte nach<br />
Russland im bisherigen Jahresverlauf<br />
um 29 Prozent ein. Dagegen<br />
entwickelte sich Saudi-Arabien vor<br />
dem Hintergrund der politischen<br />
und wirtschaftlichen Öffnung<br />
des Landes ausgesprochen positiv<br />
(+18,7 %), wenngleich sich die<br />
Ausfuhren in das Land noch auf<br />
einem relativ niedrigen Niveau<br />
bewegen. Die Industrieexportquote<br />
– dies ist der Anteil der von<br />
den heimischen Möbelherstellern<br />
direkt ins Ausland gelieferten Ware<br />
am Gesamtumsatz der Branche – lag<br />
im ersten Halbjahr 20<strong>22</strong> infolge des<br />
höheren Wachstums des Inlandsmarktes<br />
bei 33 Prozent und damit<br />
geringfügig unter dem Niveau des<br />
Vorjahres.<br />
Die deutschen Möbelimporte<br />
legten im ersten Halbjahr 20<strong>22</strong> kräftig<br />
um 13,5 Prozent auf 5,8 Mrd.<br />
Euro zu. Die Dynamik in den einzelnen<br />
Ländern zeigte sich jedoch sehr<br />
uneinheitlich: Mit einem Zuwachs<br />
von 24,1 Prozent auf knapp 1,9<br />
Mrd. Euro stiegen die Einfuhren aus<br />
China überdurchschnittlich stark.<br />
Allerdings lag das Wachstum des<br />
Importwerts überwiegend an der<br />
deutlichen Verteuerung von Möbeln<br />
aus chinesischer Produktion – die<br />
Importmenge ging im gleichen<br />
Zeitraum um 8,6 Prozent zurück.<br />
In Bezug auf den Importwert baut<br />
China, dessen Anteil an den Gesamtimporten<br />
bei 32,1 Prozent liegt,<br />
seine Position als wichtigstes Möbelherkunftsland<br />
vor Polen (+10,6 %)<br />
weiter aus. Der Anteil Polens an den<br />
Gesamtimporten ging auf 26,2 Prozent<br />
zurück. Die Importe aus dem<br />
drittplatzierten Italien reduzierte<br />
sich leicht um 0,5 Prozent auf <strong>22</strong>8<br />
Mio. Euro mit einem Anteil von 3,9<br />
Prozent an den Gesamtimporten.<br />
Noch mehr Daten<br />
und Fakte über die<br />
Möbelindustrie<br />
gibt es in unserem<br />
Statistik Special<br />
auf S. 33.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 29
TOP-THEMA/STATISTIK-EXTRA<br />
Daten & Fakten<br />
in der Möbelindustrie<br />
Möbelindustrie<br />
Insgesamt sind bundesweit knapp 100.000 Mitarbeitende<br />
in 996 Betrieben der Möbelindustrie<br />
beschäftigt. Allein in NRW sind es 31.659 und damit<br />
1,3 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />
Zahl der Beschäftigten<br />
in der Möbelindustrie insgesamt 2021<br />
in Deutschland<br />
97.124<br />
(–2,1 % ** )<br />
Zahl der Betriebe<br />
in der Möbelindustrie insgesamt 2021<br />
in Deutschland<br />
996<br />
(–0,1 % ** )<br />
In den aktuell volatilen Zeiten kommt es mehr denn je darauf an,<br />
Prognosen auf aussagefähiges Datenmaterial zu stützen. Gemeinsam<br />
mit den Verbänden der Holz- und Möbelindustrie Nordrhein- Westfalen<br />
gibt die „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ deshalb erneut und exklusiv das<br />
24-Seiten-starke Extra „Statistik“ heraus. Hier finden sich aktuelle<br />
Daten zu den Umsätzen der Möbelindustrie, den Auftragseingängen,<br />
den Entwicklungen im Im- und Export, der Zahl der Beschäftigen und<br />
dessen Altersstruktur sowie zur Möbelhochburg Ostwestfalen-Lippe.<br />
Zudem gibt es eine Umfrage zu den derzeitigen Herausforderungen,<br />
die die Industrie am stärksten umtreibt. Denn in der Unsicherheit<br />
braucht die Branche Fixpunkte, an denen sie sich orientieren kann<br />
und die dabei helfen, daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.<br />
Küche<br />
Die Küchen<strong>möbel</strong>industrie ist der Wachstumsmotor für die gesamte Branche. Das<br />
spiegelt sich auch in der Zahl der Beschäftigten wieder, die weiter zulegen konnte.<br />
Zahl der Beschäftigten<br />
in der Küchen<strong>möbel</strong>industrie insgesamt 2021<br />
in Deutschland<br />
18.716<br />
(+6,9 % ** )<br />
&<br />
Zahl der Betriebe<br />
in der Küchen<strong>möbel</strong>industrie insgesamt 2021<br />
in Deutschland<br />
75<br />
(+7,1 % ** )<br />
*<br />
Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten. **Zum Vorjahr. Quellen: IHK Bielefeld, IHK Detmold, IT.NRW, Statistisches Bundesamt, VHK Herford<br />
32 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
ZKZ 4937<br />
9 I 20<strong>22</strong><br />
SPECIAL<br />
WESTFALEN<br />
Messe-Preview<br />
Neuheiten-Stopps<br />
mit Mehrwert<br />
Top: Der aktuelle Guide mit allen<br />
Messezentren und Showrooms<br />
Foto: Dunlopillo<br />
/// M.O.W.: Nah am Markt /// Actona Group: Übernahmen pushen die Polsterkompetenz<br />
/// Dunlopillo: Mit smarter Schlaf-Technologie /// Zuiver: Nachhaltige Strategie ///<br />
Trendteam: „Jetzt schlägt die Stunde der Importeure“ /// Möbelmeile: Neue Kampagne
WESTFALEN<br />
Foto: DFoto: www.freepik.com/Yacht photo created by v.ivash<br />
Auf Kurs bleiben<br />
Es ist ein unsicheres Fahrwasser, in dem sich die Möbelbranche<br />
aktuell befindet. Ukraine-Krieg, Rohstoffknappheit, Corona-Pandemie,<br />
lange Lieferzeiten, Inflation, steigende Energiekosten und nicht zuletzt<br />
die Konsumrückhaltung der Verbraucher:innen machen es den Unternehmen<br />
nicht leicht, positiv gestimmt in die Zukunft zu blicken. Und<br />
dennoch stecken sie den Kopf nicht in den Sand, sondern versuchen<br />
mit nachhaltigen Prozessen, frischen Entwicklungen und neuen PoS-<br />
Konzepten Begehrlichkeiten zu wecken und die Lust am Einrichten<br />
auf einem hohen Niveau zu halten. Geteilt werden diese Ideen jetzt<br />
wieder auf den Herbstmessen, die mit Spannung erwartet werden.<br />
Wie wichtig und gefragt diese sind, zeigt ein Blick auf die Buchungsstände<br />
und Aktionen: Die M.O.W. meldet mit über 500 Ausstellern aus<br />
41 Nationen einen neuen Rekord im Messezentrum Bad Salzuflen. Mit<br />
einem Auslandsanteil von 60 Prozent ist zudem die Internationalität<br />
nochmals gestiegen. Neuaussteller gibt es auch im Informa Messezentrum.<br />
Rom aus Belgien und Leu aus der Schweiz lassen die Anzahl<br />
der teilnehmenden Firmen vor Ort auf 15 steigen. Auf der Möbelmeile<br />
feiern Sudbrock und Thielemeyer ihr 100-jähriges Bestehen. Nicht zu<br />
vergessen sind die zahlreichen Showrooms der westfälischen Hersteller,<br />
die zeitgleich zur M.O.W. ihre Türen öffnen und Händlern wie<br />
Verbänden frischen Input für die kommende Saison liefern – ebenso<br />
wie ausreichend Gelegenheit, sich auszutauschen und zu netzwerken,<br />
um gemeinsam auch in stürmischen Zeiten Kurs zu halten.<br />
Top-Themen<br />
in diesem Westfalen-Special:<br />
Messezentren: Stopps mit<br />
Mehrwert<br />
M.O.W.: Nah am Markt &<br />
voller Einsatz<br />
Actona Group: Übernahmen<br />
pushen Polsterkompetenz<br />
Dunlopillo: Smarte<br />
Schlaf-Technologie<br />
Trendteam: „Jetzt schlägt<br />
wieder die Stunde der<br />
Importeure“<br />
ZUM TITEL<br />
Mit „Motion“, dem ersten smarten Sortiment<br />
aus drei Schlafprodukten setzt Dunlopillo einen<br />
weiteren Meilenstein in Sachen Innovation.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 45
WESTFALEN<br />
POLIPOL<br />
DIEPENAU<br />
LÜBBECKE<br />
TANJA MEISE<br />
MINDEN<br />
HÜLSTA<br />
KIRCHLENGERN<br />
MEISE<br />
COTTA GROUP<br />
M.O.W.<br />
FORTE<br />
HERFORD<br />
HOMETREND +<br />
FORESTDREAM<br />
INFORMA<br />
WERTHER<br />
INTERIOR<br />
DAYS OWL<br />
BIELEFELD<br />
BAD SALZUFLEN<br />
BEGA<br />
DETMOLD<br />
LÜGDE<br />
MÖBELMEILE<br />
STEINHEIM<br />
RHEDA-<br />
WIEDENBRÜCK<br />
An zahlreichen Stationen<br />
in Ostwestfalen können<br />
Fachbesucher:innen wieder<br />
interessante Neuheiten<br />
entdecken und sich für die<br />
kommende Einrichtungs-<br />
Saison inspirieren lassen.<br />
RIETBERG<br />
PADERBORN<br />
BAD DRIBURG<br />
HÖXTER<br />
M.O.W.<br />
Termin: 18. bis <strong>22</strong>. September 20<strong>22</strong><br />
Öffnungszeiten: Sonntag bis Mittwoch 9-18 Uhr, Donnerstag 9-16 Uhr.<br />
Messegelände: Messezentrum Bad Salzuflen mit knapp 85.000 qm Hallenfläche, die komplett belegt ist.<br />
Weitläufiges Areal mit diversen Eingängen und großzügigem Außengelände. Alle 17 Hallenbereiche sind geöffnet.<br />
Aussteller: Über 500 Aussteller aus 41 Nationen mit breiter Angebotspalette aller Warengruppen für<br />
konventionelles Wohnen, Mitnahme, JuWo/SB und Online sowie die 360 Grad Plaza mit Dienstleistern für die<br />
Möbelbranche.<br />
Besucherregistrierung: Fachbesucher:innen werden gebeten, sich vorab unter www.mow.de anzumelden.<br />
Online-Angebote: Online-Einträge der Aussteller mit Informationen zu Unternehmen, Ansprechpartner:innen,<br />
Warengruppe, Vertriebsform und Herkunft, interaktive Hallenpläne, Wegweiser zum<br />
Download und als Blätterkatalog, Online-Registrierung sowie Online-Hotelbuchung.<br />
www.mow.de<br />
Verwaltung/Postanschrift: Benzstraße 23, 32108 Bad Salzuflen<br />
Zentralparkplatz: Heerserheider Str. 2, 32107 Bad Salzuflen<br />
Foto: M.O.W.<br />
46 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Stopps mit<br />
Ein heißer Messeherbst steht<br />
vor der Tür. In Ostwestfalen<br />
öffnen neben der M.O.W.<br />
zahlreiche Hersteller ihre<br />
Showrooms, um mit nachhaltigen<br />
Entwicklungen der<br />
Konsumflaute entgegenzuwirken<br />
und dem Handel<br />
nützliche Instrumente zur<br />
Schaffung neuer Begehrlichkeiten<br />
an die Hand zu geben.<br />
Wer wann und wo seine Neuheiten<br />
präsentiert, zeigt die<br />
Übersicht der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“.<br />
Mehrwert<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 47
WESTFALEN<br />
Actona Group: Neue Wachstumsstrategie<br />
Übernahmen pushen die<br />
Polsterkompetenz<br />
Mit Spannung wird der Auftritt der Actona Group auf der diesjährigen M.O.W. erwartet. Denn durch die Übernahmen von<br />
Theca und Sits, die ebenfalls in Bad Salzuflen ausstellen, hat das zur Lars Larsen Group gehörende Unternehmen seine<br />
Polsterkompetenz gestärkt. Und gleichzeitig angekündigt, seine Position durch weitere Übernahmen ausbauen zu wollen.<br />
Jimmi Mortensen,<br />
CEO der Actona Group,<br />
die zur Lars Larsen<br />
Group gehört (r.),<br />
hat eine ehrgeizige<br />
Wachstumsstrategie<br />
herausgegeben.<br />
Foto: Ole Mortensen, Grafiken: Lars Larsen Group<br />
Ehrgeizige Ziele hat sich die<br />
Actona Group gesteckt: Nachdem<br />
sie für das Geschäftsjahr<br />
2021 ein Rekordergebnis von<br />
2,34 Mrd. DKK (ca. 314,6 Mio.<br />
Euro)verbuchen konnte, gab sie<br />
gleichzeitig neue Wachstumspläne<br />
bekannt. So will sie ihre Polsterkompetenz<br />
ausbauen und dafür<br />
entsprechende Hersteller übernehmen.<br />
Das Polster- Segment ist einer<br />
der zentralen Geschäftsbereiche des<br />
Unternehmens, das zur Lars Larsen<br />
Group gehört. Um diesen weiter<br />
auszubauen, strebt es nach eigenen<br />
Angaben insbesondere den Kauf<br />
von Firmen an, die hauptsächlich in<br />
Nord- und Südeuropa produzieren.<br />
Actona selbst betreibt Fertigungsstätten<br />
in der Ukraine und China.<br />
Den ersten Schritt in Richtung<br />
Wachstum unternahm der Konzern<br />
Anfang des Jahres mit der Übernahme<br />
von Theca. Das dänische<br />
Unternehmen fertigt seine Sofas<br />
und Ruhesessel in eigenen Fabriken<br />
in Litauen. „Die Übernahme<br />
von Theca ist die erste von einer<br />
erwarteten Reihe von strategisch<br />
wichtigen Übernahmen, die sowohl<br />
unsere Innovations- und Produktionskompetenzen<br />
stärken als auch<br />
unsere Kapazität erheblich steigern<br />
werden. Polster sind die größte<br />
Produktkategorie auf dem Möbelmarkt<br />
und daher ist es uns wichtig,<br />
sowohl durch Akquisitionen als<br />
auch durch organisches Wachstum<br />
kontinuierlich zu wachsen“, sagt<br />
Jimmi Mortensen, CEO der Actona<br />
Group. Theca hatte im vergangenen<br />
Geschäftsjahr einen Umsatz von<br />
rund 0,5 Mrd. DKK (ca. 67,2 Mio.<br />
Euro) erwirtschaftet.<br />
„Mit der Übernahme von Theca<br />
erhalten wir zusätzliche Kompetenzen<br />
und Kapazitäten. Wir werden<br />
auch einen Synergieeffekt über die<br />
Fabriken hinweg schaffen können.<br />
Die Gründung einer Polstersparte<br />
mit einem Umsatz von mehr als<br />
einer Milliarde DKK (ca. 134,3 Mio.<br />
Euro) – der während des Strategiezeitraums<br />
verdoppelt werden soll<br />
– eröffnet mehrere neue Möglichkeiten.<br />
Wir werden in der Lage sein,<br />
für ein breiteres Kundenportfolio<br />
zu produzieren und den Polstermarkt<br />
noch besser abzudecken“,<br />
führt Mortensen fort.<br />
Die neue Polstersparte verantwortet<br />
seit der Übernahme Claus<br />
Svenningsen, CEO von Theca, der<br />
damit gleichzeitig dem Managementteam<br />
der Actona Group beitrat.<br />
Der Hauptsitz von Theca bleibt<br />
im dänischen Risskov. Auch für die<br />
Mitarbeiter:innen des Labels geht es<br />
wie gewohnt weiter, da Theca und<br />
Actona als zwei separate Marken<br />
angeboten werden. Ebenso bleibt die<br />
Theca-Marke Flexlux eigenständig.<br />
Gleiches gilt für Sits. Bei dem<br />
Unternehmen, dessen Hauptsitz<br />
und Produktionsstätten sich in und<br />
um Brodnica in Nordpolen befinden,<br />
hat die Actona Group Mitte<br />
Juni zugeschlagen. „Es ist kein<br />
Geheimnis, dass wir die Messlatte<br />
hoch gelegt haben, mit unserem<br />
54 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Die Weltkarte der Actona<br />
Group: Durch die Übernahme<br />
von Theca und Sits konnte<br />
die Gruppe die Anzahl ihrer<br />
Produktionsstätten in Europa<br />
deutlich erhöhen.<br />
finanziellen Ziel, unser Geschäft<br />
innerhalb weniger Jahre zu verdoppeln“,<br />
sagt der CEO der Actona<br />
Group, Jimmi Mortensen. „Sits kann<br />
der Gruppe starke Kompetenzen<br />
und neue Wachstumsmöglichkeiten<br />
einbringen, die unser bestehendes<br />
Geschäft und unsere zukünftigen<br />
Wachstumspläne ergänzen.“<br />
Sits wurde 1993 von Erik und<br />
Marianne Näsström gegründet.<br />
Heute beschäftigt das Unternehmen<br />
rund 2.000 Mitarbeiter:innen<br />
und ist in mehreren europäischen<br />
Ländern, darunter Dänemark und<br />
Deutschland, aktiv.<br />
„Mit Sits im Portfolio sind wir<br />
in der Lage, unsere Polstersparte<br />
erheblich zu stärken und eine Reihe<br />
von Synergien in der gesamten<br />
Gruppe zu schaffen, wie z. B. eine<br />
effizientere Produktion, eine bessere<br />
Materialbeschaffung, erweiterte Vertriebskanäle<br />
und eine erhöhte Kapazität“,<br />
führt Jimmi Mortensen fort.<br />
Und Erik Näsström ergänzt: „Die<br />
Familie freut sich sehr, für Sits ein<br />
neues Zuhause mit ähnlichen Werten<br />
wie Wertschätzung der Mitarbeiter<br />
und faires Wirtschaften gefunden<br />
zu haben. Wir danken allen unseren<br />
Kollegen, Kunden und Lieferanten<br />
für 30 gemeinsame Jahre und freuen<br />
uns darauf, die Entwicklung von Sits<br />
als Teil der Actona Group zu verfolgen.<br />
Wir sind sicher, dass beide<br />
Unternehmen davon profitieren und<br />
ein großer Erfolg werden!“<br />
Die Wettbewerbsbehörden müssen<br />
die Übernahme noch genehmigen.<br />
Grünes Licht wird in den<br />
kommenden Monaten erwartet.<br />
DORIS SCHMIDT<br />
www.actonagroup.com<br />
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WESTFALEN<br />
Trendteam: Ralf Müller im Interview<br />
„Jetzt schlägt wieder die<br />
Stunde der Importeure“<br />
Es sind bewegte Zeiten für den Möbel-Import. Das gilt selbst für einen erfahrenen<br />
Einkaufs-Pionier wie Ralf Müller, Inhaber und Geschäftsführer von Trendteam und<br />
Inter-Furn aus Steinheim. Nachdem es auch im Unternehmen selbst einige personelle<br />
Veränderungen gegeben hat, ist das Unternehmen nun gut aufgestellt, um den Herausforderungen<br />
am Markt zu begegnen – mit neuen Sourcing-Regionen, neuen Vertriebsleuten<br />
und einem neuen digitalen Auftritt.<br />
FACTS<br />
❯ Trendteam GmbH & Co. KG +<br />
Inter-Furn Möbelhandels<br />
GmbH & Co. KG<br />
Finkenstraße 8-10<br />
32839 Steinheim<br />
❯ Geschäftsführer: Ralf Müller<br />
❯ Mitarbeitende: 80, davon 20 in Polen<br />
❯ Warengruppen: Wohn- und<br />
Esszimmer, Media, Badezimmer,<br />
Garderobe, Kommoden,<br />
Babyzimmer, Jugendzimmer<br />
www.trendteam.eu<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Herr Müller, im Import-<br />
Geschäft ist einiges in Bewegung – wahrscheinlich<br />
so sehr wie lange nicht. Bei<br />
einem der Bega-Hauptlieferanten steigt<br />
die Lutz-Gruppe ein. Reality ist in Turbulenzen<br />
geraten. Was ist da los?<br />
Ralf Müller: Es ist eine fordernde<br />
Zeit für den Möbel-Import. Die<br />
Auftragseingänge sind seit Ende<br />
April spürbar rückläufig und auf<br />
der anderen Seite müssen wir uns<br />
ständig damit beschäftigen, dass<br />
Lieferketten gestört sind. Und dass<br />
Trendteam von dem Krieg in der<br />
Ukraine besonders betroffen ist,<br />
ist bekannt, weil die Ukraine einer<br />
unserer wichtigsten Beschaffungsmärkte<br />
war – und noch immer ist.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie ist die Lage in der<br />
Ukraine aktuell?<br />
Ralf Müller: Wie wir angekündigt<br />
haben, arbeiten wir weiter mit<br />
unseren zehn Lieferanten zusammen<br />
und entwickeln gemeinsam<br />
neue Modelle für die M.O.W. Dennoch<br />
ist die Lage angespannt. Es<br />
kommt immer wieder vor, dass<br />
Luftalarm ausgelöst wird. Dann ist<br />
an Normalbetrieb selbstverständlich<br />
nicht zu denken. Das verkompliziert<br />
das Reisen, die Produktion und den<br />
Transport.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Ikea hat laut Aussage des<br />
ukrainischen Industrieverbands alle<br />
Aufträge storniert – zum Schutz der<br />
Die Steinheimer Basis:<br />
Hier arbeiten 60 der 80<br />
Mitarbeitenden. Das<br />
Warenlager wird aber<br />
in Polen betrieben.<br />
60 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Mitarbeiter:innen in den Fabriken. Sind<br />
dadurch günstige Kapazitäten auf den<br />
Markt gekommen?<br />
Ralf Müller: Darum geht es in der<br />
Ukraine für mich gerade gar nicht.<br />
Unsere bestehenden Lieferanten<br />
können sich unserer Solidarität<br />
ganz sicher sein. Aber ich kann den<br />
Einkauf dort nicht intensivieren,<br />
weil das kein vernünftiges Risikomanagement<br />
wäre.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Können Sie das noch präzisieren?<br />
Wie stark sind Sie von der ukrainischen<br />
Industrie abhängig?<br />
Ralf Müller: Wir haben sogar schon<br />
mal 50 Prozent unseres Ordervolumens<br />
in der Ukraine abgedeckt<br />
und haben daher entschieden, Kontingente<br />
umzuschichten, denn das<br />
Risiko ist angesichts der ungewissen<br />
Zukunft in dem Land zu groß.<br />
Und denken Sie bitte daran, dass<br />
wir auch in Weißrussland Lieferanten<br />
hatten. Zu Beginn des Krieges<br />
war es noch möglich Möbel<br />
von dort zu beziehen, aber das ist<br />
mittlerweile so gut wie unmöglich<br />
geworden. Unsere Handelspartner<br />
wollen oder dürfen auch keine<br />
Ware mehr von dort beziehen.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Zeigt der Handel aber<br />
generell Verständnis für die Verwerfungen<br />
am Markt und somit auch für die<br />
Preissteigerungen?<br />
Ralf Müller: Ich drücke es mal so aus:<br />
Der Markt entwickelt sich rückläufig<br />
und die Preise nach oben. Das ist<br />
sicher keine glückliche Konstellation,<br />
zumal sich die Lage in diesem<br />
Sommer verfestigt hat.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Sie sind in ganz unterschiedlichen<br />
Vertriebskanälen aktiv. Gibt<br />
es aktuell Unterschiede in den Sparten<br />
Discount, Großfläche, LEH, E-Commerce?<br />
Ralf Müller: Nein, wir sehen in allen<br />
Bereichen wenig Bewegung. Aber das<br />
überrascht mich auch nicht. Oberste<br />
Priorität hatte in diesem Sommer der<br />
Urlaub, denn nach zwei Jahren Pandemie<br />
wollten die Menschen wieder<br />
raus. Und im Alltag geht es um die<br />
gestiegenen Lebenshaltungskosten.<br />
Die Politik sorgt mit den düsteren<br />
Energieprognosen für den Winter<br />
auch nicht für Zuversicht.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Das betrifft vor allem das<br />
untere Einkommenssegment. Wird es<br />
einen Discount im bisherigen Sinne noch<br />
geben?<br />
Ralf Müller: Aktuell ist es schwierig die<br />
Differenzierung aufrecht zu erhalten.<br />
Verjüngung im (Trend-)Team: Gerade im digitalen Bereich und im Export hat sich das<br />
Unternehmen mit frischen Kräften verstärkt.<br />
Für die Lieferanten<br />
gesprochen sehe ich das<br />
als Alarmsignal, dass<br />
Ikea die Preise so stark<br />
anhebt.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Warum ist das so? Wie ist<br />
die Situation im Wareneinkauf für Sie?<br />
Ralf Müller: Das Preisniveau ist weiter<br />
sehr hoch und es ist auch nicht<br />
abzusehen, dass sich die Preis spirale<br />
kurzfristig wieder zurückdreht.<br />
Denn jetzt beginnt die Phase der<br />
Lohnerhöhungen, was sich weiter<br />
auf die Logistik auswirkt, wo die<br />
Preise ohnehin schon explodiert<br />
sind. Das liegt nicht nur an den<br />
gestiegenen Diesel-Preisen, sondern<br />
auch an regulatorischen Maßnahmen<br />
aus Brüssel. Es gibt neue<br />
Arbeitszeitgesetze, welche die Logistik<br />
deutlich verteuern. Das summiert<br />
sich in Polen pro Fahrer auf Mehrkosten<br />
zwischen 600 und 800 Euro<br />
pro Monat.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Ikea hat die Preise ebenfalls<br />
kräftig erhöht, bei einigen Produkten<br />
sogar verdoppelt. Und das, obwohl Ikea<br />
die Wertschöpfung sehr stark vertikalisiert<br />
hat. Ist das eine Chance, Ikea die<br />
Preisführerschaft abspenstig zu machen?<br />
Ralf Müller: Im Gegenteil. Ich bewerte<br />
das eher als ein Zeichen, dass wir<br />
Ralf Müller<br />
als Importeure die Preise noch deutlicher<br />
anheben müssten, um wirtschaftlich<br />
agieren zu können. Für die<br />
Lieferanten gesprochen sehe ich das<br />
als Alarmsignal, dass Ikea die Preise<br />
so stark anhebt.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wohin verlagern Sie den<br />
Einkauf?<br />
Ralf Müller: Trendteam ist weltweit<br />
vernetzt, aber natürlich hat sich<br />
gezeigt, dass wir uns zu abhängig<br />
von Osteuropa gemacht haben.<br />
Nicht erst durch den Krieg, sondern<br />
auch schon während Corona,<br />
als wir viele Engpässe bei der Ware<br />
aus Osteuropa gesehen haben.<br />
Wir schauen beispielsweise in<br />
ganz Südamerika nach Ware, auch<br />
wenn die Containerpreise von dort<br />
ebenfalls hoch sind. Die brasilianische<br />
Kiefer hat aber schon seit 20<br />
Jahren eine Bedeutung für uns.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie bewerten Sie China?<br />
Ralf Müller: Wissen Sie, ich bin beruflich<br />
zu meinen Welle-Zeiten in<br />
China großgeworden. Ich habe dort<br />
nach wie vor ein gutes Netzwerk und<br />
telefoniere jede Woche mit meinen<br />
Kontaktleuten. Die Preise, die dort<br />
gerade gemacht geboten werden,<br />
sind ohne Zweifel wettbewerbsfähig.<br />
Aber der Transport verteuert<br />
die Ware so sehr, dass sich diese hier<br />
aktuell nicht verkaufen lässt.<br />
Zudem sind die Quarantäne-Vorschriften<br />
so streng, dass das Land<br />
quasi abgeschottet ist. Und nun<br />
kommt auch noch der schwache<br />
Euro-Kurs dazu, der den Einkauf<br />
in US-Dollar teurer macht. China<br />
ist aktuell für uns kein geeigneter<br />
Einkaufsmarkt.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Es ist wirklich nicht einfach<br />
gerade...<br />
Ralf Müller: Schon, aber eines ist doch<br />
auch ganz klar. Wir sind als Importeur<br />
gefragt, Lösungen für diese dramatischen<br />
Umbrüche am Markt zu<br />
finden. Das ist unsere Existenzberechtigung.<br />
Und gerade sind wir so<br />
gefordert wie lange nicht mehr. Man<br />
kann es aber auch positiv wenden:<br />
Jetzt schlägt wieder die Stunde der<br />
Importeure.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Machen Ihnen die großen<br />
Handelsketten mit ihren Direktimporten<br />
nicht zusätzlich das Leben schwer?<br />
Ralf Müller: Diese Bemühungen waren<br />
nicht zu übersehen, allein schon<br />
weil man den Einkäufern auf den<br />
asiatischen Messen begegnet ist.<br />
Allerdings ist das eher ein Phänomen<br />
in normalen Zeiten, wenn das<br />
Importgeschäft nicht so kompliziert<br />
ist. Nicht jeder Konzern schickt seine<br />
Einkäufer gerade in die Ukraine oder<br />
nach China. Das ist unsere Rolle,<br />
dafür sind wir die Spezialisten.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 61
ZKZ 4937<br />
9 I 20<strong>22</strong><br />
SPECIAL<br />
KÜCHE<br />
Messeherbst Ostwestfalen<br />
Wo frische<br />
Ideen reifen<br />
→EXTRA-SERVICE:<br />
Alle Messezentren rund<br />
um die Küchenmeile<br />
Foto: Blanco<br />
/// Beckermann: Mehrwert in Losgröße 1 /// Carat: Viel Zukunft in der Cloud /// Bonial:<br />
Exklusivumfrage zur Nachhaltigkeit /// Petsch: Vom Zehnkämpfer zum Spezialisten ///<br />
Kvik: Schneller im grünen Kreislauf /// Asensu: Anker setzen mit „Unique Content“
KÜCHE<br />
Foto: Trendfairs / Sascha Bartel<br />
Echte Vorfreude in Krisenzeiten<br />
Endlich wieder eine „normale“ Ostwestfalen-Ausnahmezeit. Fünf Tage Küche satt:<br />
über Fronten streicheln, Gerätefeatures bestaunen, vor allem aber auch vertraute<br />
Menschen mal wieder live und maskenlos zu sprechen. Von morgens bis spät abends<br />
– schön, dass MHK wieder einlädt – von einem Küchenhersteller zum nächsten<br />
Ausstellungszentrum und überall gibt es so viel Neues zu sehen, dass die Zeit rast.<br />
Das ist Terminstress, wie ich ihn in Corona-Zeiten vermisst habe.<br />
Ein Wermutstropfen ist die Gewissheit, aus Zeitgründen nicht allen Ausstellern<br />
gerecht werden zu können, obwohl wir von der „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ in voller Stärke unterwegs<br />
sein werden. Bei allen 177 Unternehmen rund um die Küchenmeile vorbeizuschauen,<br />
das werden wir leider kaum schaffen.<br />
Wie der Alltag beim Küchenkauf aussieht, habe ich im vergangenen Jahr erlebt. Ich<br />
habe zwei befreundete Ehepaare, die nach 25 Jahren bzw. für ihre Neubauwohnung<br />
durchaus Geld ausgeben wollten, aus der Ferne beratend begleitet. Natürlich muss<br />
jede:r die Planung am Computer lernen, doch es ist schade, wenn sie zum echten<br />
Geduldsspiel wird, sobald eine andere Veränderung gewünscht wird. Und leider<br />
fühlte sich ein Ehepaar vom Ansatz eines Küchenstudios, die Erstberatung mit verfügbaren<br />
E-Geräten zu starten, vor den Kopf gestoßen. Pech für diesen Verkäufer,<br />
dass sie nicht den erwarteten Zeitdruck hatten. In keinem Fall klappte der Einbau<br />
dann im ersten Anlauf komplett, und das hatte keineswegs mit nicht lieferbaren<br />
E-Geräten zu tun. Warum nie im zuerst besuchten Küchenstudio bzw. Möbelgeschäft<br />
gekauft wurde, hatte auch noch andere Gründe.<br />
Bleibt zu hoffen, dass in Ostwestfalen die Produktneuheiten der Küchenbranche im<br />
Fokus stehen und ihnen nicht die Show durch Lieferprobleme oder Inflationsängste<br />
gestohlen wird, die natürlich nicht wegzudiskutieren sind.<br />
<br />
SUSANNE KRAFT<br />
Top-Themen<br />
in diesem Küchen-Special:<br />
Carat-Interview: Viel Zukunft<br />
in der Cloud<br />
Beckermann: Mehrwert in<br />
Losgröße 1<br />
Bonial-Umfrage zu Nachhaltigkeit:<br />
Spitzenwert für<br />
Langlebigkeit<br />
AMK-Länderworkshop: Wild<br />
auf Südafrika<br />
Petsch: Vom Zehnkämpfer<br />
zum Spezialisten<br />
Kvik: Schneller im grünen<br />
Kreislauf<br />
Küchenherbst: Alle Stationen<br />
mit Öffnungszeiten und<br />
Anmeldeinformationen<br />
Hardeck: Planung mit<br />
Wow-Effekt<br />
Asensu: Anker setzen mit<br />
„Unique Content“<br />
Titel: Blanco stellt zur Messe auf Gut Böckel<br />
eine neue Generation der „Blanco Unit“ vor.<br />
9/20<strong>22</strong> <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 81
KÜCHE<br />
Carat: Was der digitale Umbruch bedeutet<br />
Viel Zukunft in der Cloud<br />
Nach dem Abschied der beiden Geschäftsführer Gerhard Essig und Norbert Michael in den Ruhestand bilden<br />
seit einem Jahr Andreas Günther und Andreas Joost das Tandem an der Spitze. Zur Herbstmesse auf Gut Böckel<br />
kündigen beide nun ein neues „Look & Feel“ an, verbunden mit einigen Innovationen. Und es geht munter weiter.<br />
Wie rasant Digitalisierung mit Cloud und „KI“ den Geschäftsalltag im Küchenhandel verändert und über aktuelle<br />
Herausforderungen sprach die „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ mit dem neuen Chef-Duo.<br />
Vorbildliche Stabübergabe:<br />
Offiziell seit Sommer 2021 bilden<br />
Andreas Joost und Andreas<br />
Günther (v.l.) die Führungsspitze<br />
bei Carat. Doch beide verfügen<br />
schon über viele Jahre Erfahrung<br />
bei der MHK-Softwaretochter.<br />
Joost kam durch die Übernahme<br />
von Orgadata ins Unternehmen<br />
(2001), Günther ist seit 2011 im<br />
Vertriebsmanagement.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Sie beide, Herr Günther und<br />
Herr Joost, sind jetzt schon seit letztem<br />
Sommer das neue Geschäftsführerduo und<br />
schon viele Jahre bei Carat. Wie haben Sie<br />
die Verantwortung unter sich aufgeteilt?<br />
Andreas Joost: Die grundsätzliche Aufteilung<br />
haben wir von Gerhard Essig<br />
und Norbert Michael übernommen.<br />
Der Kollege Günther verantwortet die<br />
Kundenschnittstelle, also die Bereiche<br />
Vertrieb, Marketing, Support und<br />
Academy, während ich für die Softwareentwicklung<br />
sowie den Datenbereich<br />
zuständig bin.<br />
Andreas Günther: Wir treten heute<br />
als Tandem nach außen auf, weil<br />
wir ja auch über unterschiedliche<br />
Qualifikationen verfügen. Darüber<br />
hinaus wurde noch eine weitere<br />
Management-Ebene etabliert – das<br />
Product Owner-Team. Dies sind<br />
sechs Experten für verschiedene<br />
Skills, wie Market Research, Marketing,<br />
Key Account, Webentwicklung,<br />
Datenqualität und das breite Feld der<br />
Applikationen. Wir sind hier jetzt<br />
sehr agil organisiert und haben das<br />
gesamte Unternehmen Carat noch<br />
stärker auf die Kundenbedürfnisse<br />
ausgerichtet.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Carat war schon immer sehr<br />
agil. Was ist für Sie die größte Veränderung,<br />
die Sie miterlebt haben?<br />
Andreas Joost: Neben den zahlreichen<br />
Innovationen der letzten Jahre zählt<br />
sicher die schnelle Verfügbarkeit der<br />
Daten dazu. Früher wurden die Daten<br />
der jeweiligen Hersteller ein bis<br />
zwei Mal im Jahr aktualisiert, heute<br />
geschieht dies fast monatlich. „Just<br />
in time“ ist für uns selbstverständlich<br />
geworden. Selbst wenn Fehler in der<br />
Artikelerfassung auftauchen sollten,<br />
werden diese in der Regel noch am<br />
selben Tag korrigiert – damit der<br />
Handel immer auf dem aktuellsten<br />
Stand ist und Fehler möglichst vermieden<br />
werden. Dies stellt heute vor<br />
allem die Anbindung an die Cloud<br />
sicher.<br />
Andererseits bleiben wir natürlich<br />
abhängig von der Industrie, dass sie<br />
die Informationen frühzeitig liefert.<br />
Andreas Günther: Grundsätzlich wissen<br />
natürlich auch die Hersteller, wie<br />
wichtig die Qualität der Daten für<br />
alle ist. Denn Fehler multiplizieren<br />
sich mit fatalen Auswirkungen. Hier<br />
hat sich in der Abstimmung wirklich<br />
sehr viel verbessert. Ein gutes<br />
Beispiel hierfür ist das aktuell mit<br />
Bosch durchgeführte Projekt, in dessen<br />
Rahmen wir die elektro nische<br />
Hauspreisliste direkt an unser Planungsprogramm<br />
angebunden haben.<br />
Hierbei entsteht ein Riesenvorteil<br />
für die Carat-Nutzer, weil alle Produktinformationen<br />
in Echtzeit verfügbar<br />
werden. Genauso haben wir<br />
kürzlich in Zusammenarbeit mit der<br />
Küchenindustrie die Herausforderung<br />
gestemmt, auch Wohn- und<br />
Bad<strong>möbel</strong> für den Handel einfach<br />
planbar zu machen. Wenn neue Produktsortimente<br />
am POS nicht einfach<br />
planbar sind, werden diese schließlich<br />
im Handel auch nicht verkauft.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Kann man heute genauso<br />
Bäder und Wohnräume mit Carat planen?<br />
Andreas Joost: Alles, was die Küchenindustrie<br />
in Form von Sets anbietet,<br />
können wir auch in die Planung<br />
einbringen.<br />
Andreas Günther: Dies gehört zu den<br />
Dingen, die wir lernen mussten.<br />
Denn bei den Sets müssen sechs<br />
oder sieben Artikel gleichzeitig in<br />
die Planung übernommen werden.<br />
Andererseits können dann einzelne<br />
Elemente auch ausgetauscht oder versetzt<br />
werden.<br />
82 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Andreas Joost: Eine andere Herausforderung<br />
sind für uns die Gleittürsysteme,<br />
die einige Küchenhersteller<br />
für die Abgrenzung von Räumen<br />
anbieten. Da dieses Sortiment stark<br />
von der Küchenlogik abweicht, haben<br />
wir uns dazu entschieden, für die<br />
Planung der Gleittürensysteme den<br />
Web-Konfigurator „kitchen+space“<br />
anzudocken.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Apropos Nachfrage: Carat<br />
bietet heute eine ganze Menge mehr als<br />
nur die Planungssoftware. Was gehört zu<br />
den aktuell wichtigsten Applikationen?<br />
Andreas Joost: Zu unserem Leistungsportfolio<br />
zählt unter anderem der<br />
Online-Konfigurator „Carat planner“,<br />
der heute oft für die Leadgenerierung<br />
im Internet eingesetzt wird. So<br />
können Endkunden und -kundinnen<br />
erste Entwürfe auf ihren Grundrissen<br />
online ausprobieren und dem jeweiligen<br />
Händler zur Verfügung stellen.<br />
Dieser kann dann die Endkundenplanung<br />
in seinem Profi-Planungssystem<br />
verfeinern. Für den Bereich<br />
Aufmaß haben wir erste Erfahrungen<br />
mit der Augmented Reality-App<br />
gesammelt. Im Lockdown haben sich<br />
viele Händler auch an Distanzberatung<br />
gewöhnt, die wir mit dem<br />
neuen Produkt „Carat meeting“ als<br />
Videoberatung direkt aus der Planung<br />
heraus starten können. Außerdem<br />
haben wir mit dem neuen Produkt<br />
„Carat service“ den Montageprozess<br />
bis zum Abnahmeprotokoll und der<br />
Fotodokumentation komplett digitalisiert.<br />
Auf der Herbstmesse stellen<br />
wir eine umfangreiche Funktionserweiterung<br />
für „Carat service“ vor.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wie sieht es mit der Durchgängigkeit<br />
der digitalen Planungen<br />
aus, z. B. bei Konfiguratoren oder auch<br />
Planungstischen?<br />
Andreas Joost: Die Endkunden-Planungen<br />
aus dem „Carat planner“ können<br />
ins System des Händlers übernommen<br />
und professionalisiert werden.<br />
Andreas Günther: Wir arbeiten beim<br />
„Carat planner“ grundsätzlich mit<br />
einem für die Endkunden angepassten<br />
Artikelkatalog. Der Händler<br />
kann dann die Endkundenplanungen<br />
auf seinen favorisierten Lieferanten<br />
übertragen. Unsere Software baut die<br />
User-Planung automatisch in eine<br />
Küche von Hersteller X oder Y um.<br />
Eine Ausnahme: Bei Nobilia Elements<br />
arbeitet der „Carat planner“ auch<br />
mit echten Daten, die allerdings auf<br />
einem reduzierten Schranksortiment<br />
basieren. Denn den Endverbraucher<br />
würden 15.000 Einzeltypen völlig<br />
überfordern.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Wird denn wirklich alles<br />
genutzt, was Carat bietet? Wie stark wird<br />
beispielsweise die Visualisierung mit VR-<br />
Brille am POS gebucht?<br />
Andreas Günther: Es gibt ja nicht ein<br />
Paket für alles. Da wir unser Portfolio<br />
modular im Abomodell aufgesplittet<br />
haben, können unsere Kunden das<br />
buchen, was sie brauchen.<br />
Die Möglichkeit für Virtual Reality<br />
bietet Carat schon seit 2018 und wir<br />
sind vor der Pandemie damit gut<br />
gestartet. Im Corona-Jahr 2020 hat<br />
die Nachfrage allerdings stagniert.<br />
Der Grund dafür ist sicher die geringere<br />
Frequenz am POS. Gleichzeitig<br />
wurde aber unser „Carat planner“<br />
sehr stark genutzt, weil häufig auf<br />
Distanz geplant wurde. Inzwischen<br />
geht die Nachfrage für VR wieder<br />
steil nach oben, weil dies ein echter<br />
Eyecatcher ist.<br />
Andreas Joost: Wir haben übrigens die<br />
Auswahl der Brillen erweitert und<br />
können mit unserem Modul inzwischen<br />
alle gängigen Markenmodelle<br />
ansteuern. Dazu empfehlen wir dringend<br />
eine leistungsfähige Grafikkarte,<br />
um Schwindel bei Kopfbewegungen<br />
zu vermeiden.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: In Deutschland ist Carat<br />
schon lange Marktführer, wie verläuft das<br />
Wachstum im Ausland?<br />
Andreas Günther: Wir bedienen aktuell<br />
rund 6.000 Kunden weltweit. Die<br />
Software gibt es in 14 Sprachen. Auch<br />
unser Support muss natürlich über<br />
diese Sprachkenntnisse verfügen. Wir<br />
folgen meist der Küchenindustrie:<br />
Wenn ein Hersteller in einem Markt<br />
neu gestartet ist, braucht dieser ja<br />
auch eine auf das Land angepasste,<br />
professionelle Planungssoftware.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Was bedeuten die Anpassungen<br />
an die jeweiligen Märkte, abgesehen<br />
von der Sprache?<br />
Andreas Günther: Andere Länder,<br />
andere Sitten. Da gelten oft ganz<br />
andere Anforderungen, nicht nur bei<br />
den Küchen, sondern auch bei den<br />
Verkaufsprozessen. Diese müssen wir<br />
uns ganz genau ansehen, damit wir<br />
als Softwarehersteller entsprechend<br />
unterstützen können.<br />
Andreas Joost: Die Produktdaten sind<br />
natürlich fast identisch. Aber nehmen<br />
wir das Beispiel Frankreich:<br />
Hier gibt es die Ecomobilier-Abgabe,<br />
die auch extra ausgewiesen werden<br />
muss. In UK ist es wiederum so, dass<br />
die Händler oft Einzelbausteine verschiedener<br />
Hersteller kombinieren.<br />
Neben dem Inch-Maß ist dies für<br />
uns eine echte Herausforderung. Und<br />
China ist noch einmal ganz speziell.<br />
<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>: Hierzulande hat Carat längst<br />
Kund:innen, die nicht nur aus dem eigenen<br />
Verbund der MHK Group kommen. Was<br />
offenbar kein Problem darstellt. Wie hoch<br />
ist der Anteil der Nicht-MHKler inzwischen?<br />
Andreas Günther: Bei geschätzten<br />
60 Prozent Marktanteil von Carat<br />
können Sie sich das Volumen in etwa<br />
Anzeige<br />
Lebensraum Ballerina:<br />
Perfektion. Faszination.<br />
EINLADUNG<br />
HAUSMESSE 20<strong>22</strong><br />
17.-23. September 20<strong>22</strong><br />
www.ballerina.de
KÜCHE<br />
Exklusive Bonial-Umfrage: Nachhaltigkeit bei Küchen<br />
Spitzenwert für<br />
Langlebigkeit<br />
Nachhaltigkeit ist heute ein Kaufargument, auch bei<br />
Küchen. Welche Kriterien Endverbraucher:innen wichtig<br />
sind, ob Aufpreise akzeptiert werden und vieles weitere,<br />
wollte die „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“ wissen und hat gemeinsam mit<br />
Bonial nachgefragt. Ein Resultat: Die Bereitschaft, für ein<br />
gutes, „grünes“ Gewissen mehr zu zahlen, ist vorhanden.<br />
Zum Nulltarif ist Nachhaltigkeit<br />
meist nicht zu haben. Um<br />
Klimaziele zu erreichen und<br />
langfristig das Überleben der Menschheit<br />
zu sichern, ist nicht nur jedes<br />
Unternehmen, sondern auch jedes<br />
Individuum aufgefordert, den eigenen<br />
ökologischen Fußabdruck zu reduzieren.<br />
Ob und wie ausgeprägt das<br />
Bewusstsein für die Notwendigkeit<br />
nachhaltigen Handelns im Allgemeinen<br />
und beim Küchenkauf im Besonderen<br />
bei Verbraucher:innen schon<br />
vorhanden ist, zeigt eine Umfrage.<br />
Bonial hat für die „<strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong>“<br />
Ende Juli 1.096 Nutzer:innen der<br />
„kaufDA“- und „MeinProspekt“-App<br />
dazu interviewt.<br />
So ermutigend die Ergebnisse<br />
sind – 87 Prozent der Befragten<br />
ist Nachhaltigkeit (sehr) wichtig<br />
und immerhin 12 Prozent wären<br />
bereit, dafür einen Aufpreis unabhängig<br />
von dessen Höhe zu zahlen<br />
–, so offensichtlich gibt es jedoch<br />
Kommunikationsdefizite. Denn<br />
nur 15 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen<br />
gaben an, dass sie<br />
einen nachhaltigen Küchenher steller<br />
kennen. Natürlich mag das der Tatsache<br />
geschuldet sein, dass sie sich<br />
momentan nicht mit einem Küchenerwerb<br />
beschäftigen, aber zugleich<br />
zeigt es, dass das seit Jahren vorhandene<br />
Engagement vieler Küchenhersteller<br />
mit mehr als respektablen<br />
Nachhaltigkeitskriterien bei einer Küche<br />
Worauf Verbraucher:innen Wert legen (Mehrfachnennungen möglich)<br />
Zwei wichtige Kriterien unter der Lupe<br />
Auf einer Skala von 1 – sehr wichtig bis 6 – gar nicht wichtig (absolute Zahlen)<br />
Langlebigkeit der Küche 86 %<br />
Die Produktion der Küche läuft<br />
möglichst umweltfreundlich ab<br />
Die verarbeiteten Materialien<br />
sind umweltfreundlich<br />
Umweltfreundlich verarbeitete<br />
Materialien<br />
Umweltfreundliche Produktion<br />
66 %<br />
71 %<br />
1 403 1 460<br />
2 3<strong>22</strong> 2 313<br />
3 202 3 181<br />
Hersteller achtet auf ökologische<br />
und soziale Kriterien<br />
Möglichkeit, die Küche<br />
später zu recyceln<br />
65 %<br />
63 %<br />
4 71 4 67<br />
5 32 5 <strong>22</strong><br />
6 66 6 53<br />
Quelle Bonial,<br />
Grafiken: <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong><br />
86 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Wichtigkeit des Themas<br />
Nachhaltigkeit generell<br />
Hohe Zustimmung für den Megatrend<br />
11 % Weniger wichtig<br />
2 % Gar nicht wichtig<br />
32 % Sehr wichtig<br />
55 % Wichtig<br />
Links: Rotpunkt Küchen – hier die „Zerox HPL XT“<br />
– werden seit 2020 klimaneutral produziert. Für<br />
Spanplatten setzt Rotpunkt Recyclingholz ein.<br />
Nachhaltigkeitsargumenten wie<br />
klima neutraler Produktion oder<br />
ressourcensparendem Materialeinsatz<br />
noch wenig bis zu den Endverbraucher:innen<br />
durchgedrungen ist.<br />
Ähnlich verhält es sich mit<br />
Umweltsiegeln und -zertifizierungen.<br />
Nur 14 Prozent der Befragten<br />
gaben an, dass sie ihnen „definitiv“<br />
vertrauen, während 20 Prozent<br />
dies „eher nicht“ tun. Die Mehrheit<br />
(66 %) sagte: „Ich vertraue nur<br />
denen, die ich wirklich kenne.“<br />
Am POS sind es vor allem Händler,<br />
die Aufklärungsarbeit leisten<br />
können. Wie stark die Kriterien<br />
und die Wünsche der Befragten für<br />
eine nachhaltige Küche auf bereits<br />
real existierende Produkte treffen,<br />
offenbart der Detailblick auf die<br />
Ergebnisse.<br />
Die Langlebigkeit der Küche ist<br />
den Umfrage-Teilnehmer:innen<br />
am wichtigsten (86 %). Moderne<br />
Küchen bieten sie. Statistisch gesehen<br />
kauft jeder Deutsche in seinem<br />
Leben nur zwei von ihnen, die etwas<br />
Pflege vorausgesetzt meist 20 bis<br />
25 Jahre halten, bis sie ausgetauscht<br />
werden. Auch in Sachen Einsatz<br />
umweltfreundlicher Materialien und<br />
einer ebensolchen Produktion, die<br />
71 bzw. 66 Prozent wertschätzen,<br />
hat sich viel getan. Wasserlösliche<br />
Lacke und die Abfallnutzung zur<br />
Energiegewinnung sind schon lange<br />
Wünsche für eine nachhaltige Küche<br />
Womit Küchenhersteller ihre Produkte weiter verbessern können<br />
Küche müsste flexibel veränderbar<br />
für den Fall eines Umzugs sein<br />
10 Jahre Reparaturfähigkeit<br />
für die gesamte Küche<br />
47 %<br />
52 %<br />
Das Herz der Küchenbranche<br />
17. bis <strong>22</strong>. September 20<strong>22</strong>, Löhne<br />
Die Plattform für Neuheiten<br />
der Küchenbranche<br />
Die elfte Ausgabe der area30 mit erneut über 130<br />
Ausstellern und Marken sowie dem 2018 erstmals<br />
erfolgreich eröffneten Showroom cube30 ist das Herz<br />
während der Küchenmeile A30, „der weltgrößten Küchenfachmesse<br />
für Profis aus Handel und Industrie.“ *<br />
Seit ihrer Premiere 2011 steht die area30<br />
im Mittelpunkt der herbstlichen Haus- und Fachmesselandschaft<br />
der Küchenbranche.<br />
Sie ist die zentrale Fach- und Ordermesse für Küchenstudios,<br />
den Küchen-Fachhandel, Verbund-gruppen,<br />
die Großfläche sowie<br />
Projektanten und Architekten.<br />
*<br />
Quelle: www.kuechenmeile.de<br />
Problemloser und kostengünstiger<br />
Austausch von Fronten und Arbeitsplatten<br />
47 %<br />
Möglichkeit von Mietkauf, zumindest bei<br />
einzelnen Komponenten<br />
Nichts davon / nicht relevant für mich<br />
9 %<br />
11 %<br />
Online-Anmeldung & kostenfreier Eintritt:<br />
www.area-30.de/checkin
KÜCHE<br />
Gerade für den nahtlosen Übergang<br />
von der Küche zum Wohnraum bietet<br />
Beckermann viele maßgenaue Optionen<br />
(wie hier beim Programm „London“<br />
im neuen Nussbaum-Furnier).<br />
Beckermann: Wie sich Leistung im Detail unterscheidet<br />
Mehrwert in Losgröße 1<br />
Mit 50 Mio. Euro Umsatz und 230 Mitarbeitenden ist Beckermann Küchen ein typischer<br />
Mittelständler, der sich mit seinen Leistungen jedoch nicht hinter den Großen der Branche<br />
verstecken muss. Im Gegenteil: In den letzten Jahren wurde erheblich in die Produktion<br />
investiert, um beim Industriestandard 4.0 mitzuhalten und zugleich mit Mehrwert durch<br />
Maßfertigung zu punkten. Wie Handelspartner aktuell davon profitieren und wie das<br />
Unternehmen die Kosten-Balance bewältigt, zeigte sich beim Lokaltermin in Cappeln.<br />
90 <strong>möbel</strong> <strong>kultur</strong> 9/20<strong>22</strong>
Seit 1978 ist GF Bernd Lampe (68, l.) bei Beckermann, hat Höhen und Tiefen erlebt. Für Rückendeckung<br />
sorgt seit 1993 die Horstmann Group – und mit 67 Prozent Export gab es 2021 ein<br />
zweistelliges Umsatzplus. Robert Woelk (r.) leitet seit einem Jahr den Gesamtvertrieb.<br />
Das vor einem Jahr neu entwickelte POS-Material stellt<br />
gezielt den „Lebensraum“ in den Mittelpunkt.<br />
Nicht im Küchenmekka OWL,<br />
sondern im Oldenburger<br />
Münsterland ist Beckermann<br />
zu Hause. Und dies seit<br />
1896, weshalb das Unternehmen<br />
wohl einer der ältesten Küchenhersteller<br />
Deutschlands ist. Auch die<br />
Herbstmesse wird sich ganz auf den<br />
Heimat standort fokussieren. Das<br />
heißt also, dass noch keine Rückkehr<br />
an den Stammplatz in der Area30 in<br />
Löhne stattfindet. Die Entscheidung<br />
wurde ausführlich diskutiert, erklärt<br />
Geschäftsführer Bernard (Bernd)<br />
Lampe im Redaktionsgespräch.<br />
Doch im Frühjahr waren die Aussichten<br />
für die Pandemie-Entwicklung<br />
noch zu vage im Verhältnis zum<br />
nicht unerheblichen Aufwand, sagt<br />
er und hofft, dass den Handel nun<br />
die Neugier zur Reise nach Cappeln<br />
bewegt. Nicht nur um nach einem<br />
Jahr Corona-Verzögerung auf 125<br />
Jahre Beckermann anzustoßen, sondern<br />
auch um die Updates im Leistungsportfolio<br />
mit eigenen Augen<br />
zu begutachten. Immerhin ist in<br />
den vergangenen Jahren viel und<br />
Grundlegendes passiert.<br />
Seit März 2021 ist die neue Produktionshalle<br />
in Betrieb, in der auf<br />
17.000 qm das umsetzt wird, was<br />
der Slogan „Die Details machen den<br />
Unterschied“ verspricht. Bereits<br />
2012 wurde mit der Umstellung auf<br />
Losgröße 1 begonnen und sukzessive<br />
in die Automatisierung investiert.<br />
Voraussetzung für die industrielle<br />
Maßfertigung, die höchste Individualität<br />
in der Planung ermöglicht und<br />
zugleich die wirtschaftliche Rentabilität<br />
im Auge behält. Um nicht wie<br />
einige Manufakturen „in Schönheit<br />
zu sterben“. So werden mittlerweile<br />
alle wichtigen Steps vom Plattenzuschnitt<br />
über die Frontenbearbeitung<br />
bis zur Bekantung durch Robotertechnik<br />
übernommen. Alle Prozesse<br />
sind barcodegesteuert. Auch das<br />
erste fahrerlose Transportsystem<br />
ist im Einsatz. Zwar gibt es immer<br />
noch weitere Ausbaupläne, die<br />
Produktionsgeschäftsführer Jürgen<br />
Gieske im Kopf hat, doch längst gilt<br />
Beckermann als Musterbeispiel in<br />
der Klasse der Mittelständler, u. a. als<br />
Referenz von Anlagenbauer Homag.<br />
Die finanzielle Sicherheit und auch<br />
der strategische Impuls kommen<br />
nicht zuletzt durch die Horstmann<br />
Gruppe (rd. 300 Mio. Euro Umsatz),<br />
für die Jürgen Horstmann seit 1993<br />
Rückendeckung gibt.<br />
Was bei Beckermann alles möglich<br />
ist und welcher Mehrwert darin<br />
steckt, kann jeder auf der Website<br />
nachlesen. Ob Türen nach Maß,<br />
von übergroß und überbreit bis zur<br />
Rahmenfront für Weinkühler, ob<br />
sockelfrei und „schwebend“, begehbare<br />
Hauswirtschafträume mit<br />
Durchgangstür oder Lackierungen<br />
in allen NCS- und RAL-Farben: Die<br />
Leistungen klingen eher nach einer<br />
Schreinerei als nach einem Industriebetrieb.<br />
Schon die bildreiche<br />
Website-Gestaltung macht Lust auf<br />
das Besondere, das vielleicht andere<br />
nicht bieten können. Sondermaße<br />
gehören zum täglich Brot (je nach<br />
Aufwand sogar ohne Aufpreis) und<br />
die meisten Fronten, die früher<br />
eingekauft wurden, kommen jetzt<br />
aus eigener Herstellung. Vor allem<br />
die Lackierkompetenz werde stark<br />
genutzt, um extravagante Wünsche<br />
zu erfüllen oder wohnliche Perfektion<br />
zu schaffen. Das Korpusraster<br />
mit 133 mm wurde im Zuge ergonomischer<br />
Anpassungen schon in<br />
den 90er Jahren entwickelt. Die<br />
Korpusfarben wurden jetzt nochmals<br />
auf 34 erweitert.<br />
Durch den hohen Eigenfertigungsanteil<br />
und die eingespielte<br />
Flexibilität konnte Beckermann<br />
gerade während der jüngsten Phase<br />
der unterbrochenen Lieferketten<br />
punkten. Während größere Küchenhersteller<br />
monatelang ihre Liefertermine<br />
verschieben mussten, gab<br />
es in Cappeln höchstens mal eine<br />
Woche Verzögerung, betont Robert<br />
Woelk, seit Januar Gesamtvertriebsleiter<br />
(ehemals Bax). Und dies trotz<br />
der Komplexität der Produkte.<br />
Das Wissen, dass bei Beckermann<br />
alles möglich ist, sei vor allem eine<br />
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65<br />
239<br />
FORUM 26<br />
Rödinghausen<br />
ARCHITEKTURWERKSTATT<br />
GUT BÖCKEL<br />
30<br />
KÜCHENMEILE A30<br />
IDF34<br />
Corona-Zeiten. Man kann die Messe<br />
also getrost als das größte deutsche<br />
Küchenevent aller Zeiten bezeichnen.<br />
Eine beeindruckende Entwicklung<br />
– vor allem, wenn man an die<br />
ersten Meilensteine rund um die<br />
A30 zurückdenkt, die hier heimische<br />
Hersteller als Marketinginitiative<br />
für ihre Hausmessen setzten.<br />
Der konstante Zulauf aus anderen<br />
Gegenden Deutschlands bestätigt<br />
wiederum die Rolle von Ostwest-<br />
KITCHEN-<br />
CENTER<br />
LÖHNE<br />
AREA30<br />
Löhne<br />
HOUSE4KITCHEN<br />
2<br />
Bad Oeynhausen<br />
Herford<br />
Bielefeld<br />
61<br />
Bad<br />
Salzuflen<br />
Preview auf die Messetour durch OWL<br />
Wo neue<br />
Ideen reifen<br />
239<br />
Verl<br />
2<br />
Auch wenn aktuell viele Messeschauplätze in Frage<br />
stehen: Ostwestfalen hat für die Küchenbranche seine<br />
Strahlkraft nicht verloren. Im Gegenteil: Noch nie haben<br />
sich so viele Aussteller rund um Löhne und Röding hausen<br />
und von Cappeln bis nach Verl zusammengefunden.<br />
Gerade in dieser unsicheren Zeit vermittelt dieses „Back<br />
to Normal“ ein Gefühl von Stabilität. Diese zu erhalten,<br />
neue Ideen zu sehen und zu ernten, ist allemal ein Grund<br />
für die Reise durch die aktuelle Küchen-Welt.<br />
Erst recht, weil 2021 pandemiebedingt<br />
noch nicht auf Hochtouren<br />
gefahren wurde, fällt<br />
die Größe der diesjährigen Ostwestfalen-Schau<br />
auf. Immerhin<br />
über 170 Unternehmen sind es<br />
diesmal, die sich ab dem 17. September<br />
rund eine Woche lang an<br />
der Küchenmeile A30 und darüber<br />
hinaus präsentieren. Damit<br />
sind es wieder deutlich mehr als<br />
zuvor, sogar im Vergleich zu Vor-<br />
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KüchenmeileA30 (Haus Beck)<br />
Eine<br />
Zukunft<br />
ohne<br />
Öko-Angst.<br />
Nachhaltigkeit<br />
beginnt zuhause:<br />
Geben Sie Ihr Bestes,<br />
und wir geben unseres.<br />
Mehr erfahren Sie unter:<br />
grundig.de/oekoangst<br />
falen als Küchen-Mekka. Zumal sich<br />
viele auswärtige Unternehmen auch<br />
dauerhaft hier niederlassen, um sich<br />
enger mit der Branche zu vernetzen<br />
und leichter Kontakte aufzubauen.<br />
So lässt sich kaum mehr von<br />
einer typischen Regionalmesse<br />
sprechen. Denn auch die gesamte<br />
Entourage zur westfälischen Möbel-<br />
Prominenz – ob für Gerätetechnik,<br />
Arbeitsplatten, Spülen, Armaturen,<br />
Nischensysteme oder sonstige<br />
Kompetenzen – findet sich hier<br />
an einem Platz. Überdies wird das<br />
Besucheraufkommen tendenziell<br />
immer internationaler. Selbst wenn<br />
sich das Feedback aus dem Ausland<br />
diesmal corona- oder krisenbedingt<br />
eher abschwächen sollte. Eine gute<br />
Bilanz für die Aussteller wäre es<br />
jedoch schon, wenn der deutsche<br />
Handel, auf den die Messe traditionell<br />
fokussiert ist, die Chance zum<br />
Austausch in größerer Zahl nutzt.<br />
Neben den Showrooms der Big<br />
Player in Verl, Löhne und Rödinghausen<br />
gibt es auch immer mehr<br />
Zentren, die ihrerseits enorme<br />
Zuwächse verzeichnen. Nach den<br />
ersten Dauermietern Leicht, V-Zug,<br />
Liebherr, Inalco und Gessi zählt jetzt<br />
beispielsweise die Architekturwerkstatt<br />
in Löhne bereits insgesamt<br />
elf Unternehmen auf 4.000 qm.<br />
Frisch eingezogen ist der niederländische<br />
Arbeitsplatten-Spezialist<br />
Dekker. Temporär für die Dauer<br />
der Küchenmeile kommen zudem<br />
Out4kitchen, BBQtion by Village<br />
Garden sowie Refsta hinzu. Eine<br />
ganze Reihe von Newcomern und<br />
Rückkehrern aus den Bereichen<br />
Geräte, Küchenausstattung und<br />
Dienstleistung verzeichnet die<br />
Area30 in Löhne und ist mit ihren<br />
84 Ständen so groß wie nie. Premiere<br />
feiern hier u. a. Haier und<br />
Massivholzspezialist Decker.<br />
Im House4Kitchen ist die BSH-<br />
Tochter Solitaire mit ihrer in Mailand<br />
erstmals gezeigten Weltneuheit<br />
eines vernetzten Wasserplatzes ganz<br />
sicher ein Besuchermagnet – neben<br />
den Schwestern Neff und Gaggenau<br />
sowie Schüller/Next125 und<br />
Franke.<br />
Über aktuell 13 Dauermieter<br />
freut sich das IDF34, das erst im<br />
vergangenen Herbst eröffnet hat.<br />
Und auch Gut Böckel wird durch<br />
Zuwächse noch attraktiver. Mit<br />
Gorenje und Küppersbusch sowie<br />
in diesem Jahr wieder Miele sind<br />
nun insgesamt acht Gerätehersteller<br />
auf dem idyllischen Gut beheimatet.<br />
Darüber hinaus hat sich hier MHK<br />
eine neue Anlaufstelle in einer ehemaligen<br />
Remise geschaffen, nur ein<br />
paar Schritte von der Softwaretochter<br />
Carat entfernt.<br />
Gerade vor dem Hintergrund<br />
unwägbarer weltweiter Veränderungen<br />
sollte es also möglichst viele<br />
Besucher:innen aus der gesamten<br />
Branche nach Ostwestfalen ziehen.<br />
Möge das „Herz der Küchenbranche“<br />
pulsieren!<br />
HEIKE LORENZ<br />
Foto: Shutterstock / high fliers<br />
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