fc38_IVZorn
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AUSGABE 38 17. September 2022 € 4,90 EUROPEAN MAGAZINE AWARD WINNER 2022 POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />
40 Seiten<br />
MODE & STIL<br />
Cro legt die Maske ab,<br />
Thilo Mischke geht<br />
auf Roadtrip und<br />
Mr. Bryan Adams<br />
zeigt sein Portfolio<br />
Style<br />
StyleNr. Nr. 3<br />
Bryan<br />
Adams<br />
Bryan<br />
Adams<br />
2022<br />
SIND WIR NOCH<br />
ZU RETTEN?<br />
Energienot, Preisexplosion, Insolvenzen<br />
und die Angst vor dem Kollaps der Wirtschaft<br />
EXKLUSIV: BDI-Chef Russwurm im Gespräch<br />
PLUS: Wie Sie jetzt Energiekosten sparen<br />
King Charles III.: Game of Throne<br />
Gelingt es dem neuen König, die Monarchie ins 21. Jahrhundert zu führen?
POLITIK<br />
BUNDESWEHR<br />
L<br />
imousinen fahren vor, Männer<br />
in Uniformen, grau, blau und<br />
olivgrün, hasten vorbei – im<br />
Bendlerblock, dem zweiten<br />
Dienstsitz des Bundesverteidigungsministeriums,<br />
geht es an<br />
diesem Septembertag hektisch zu. Als<br />
wolle man jetzt gleich die Bundeswehr mit<br />
den versprochenen 100 Milliarden Euro<br />
schnellstens umbauen. Und tatsächlich<br />
treibt der freundliche Herr, der im ersten<br />
Stock das Team empfängt, die Veränderungen<br />
jeden Tag voran. Generalin spekteur<br />
Eberhard Zorn ist der Vorgesetzte der<br />
mehr als 180 000 Soldatinnen und Soldaten<br />
und der oberste Repräsentant der Bundeswehr.<br />
Wo hapert es? Wo geht’s voran?<br />
Und wie beurteilen die deutschen Militärs<br />
die Lage in der Ukraine? Legen wir los …<br />
Herr General, wie viel von den versprochenen<br />
100 Milliarden Euro ist<br />
schon bei Ihnen angekommen?<br />
Für das Gros der priorisierten Projekte<br />
haben wir eine Finanzierungszusage,<br />
das heißt: Der letzte Schritt vor dem konkreten<br />
Kaufvertrag mit der Industrie ist<br />
getan. An anderen Stellen können wir<br />
auf Rahmenverträge zurückgreifen, die<br />
wegen Finanzknappheit über einen längeren<br />
Zeitraum gestreckt waren und nun<br />
schneller realisiert werden können. Wir<br />
sind auf einem guten Weg.<br />
Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Vieles wird deutlich früher geliefert.<br />
Neue Gefechtshelme, Sprechfunksätze,<br />
Lkw und persönliche Bekleidung zum<br />
Beispiel. Und ab 2023 wird der Zulauf<br />
noch mal kontinuierlich steigen.<br />
Aber die versprochenen Schutzwesten<br />
und Nachtsichtgeräte sind<br />
noch nicht da, oder?<br />
Vieles kommt nach und nach. Wir statten<br />
Verbände jetzt in einem Schwung<br />
komplett aus, anders als vorher vereinzelt<br />
im Gießkannenprinzip. Zum Beispiel mit<br />
neuen Schutzwesten, Nachtsichtgeräten<br />
und Rucksäcken …<br />
… die früher bundeswehrintern acht<br />
Jahre lang geplant wurden …<br />
Das Beispiel ist plastisch und illustrierte<br />
leider auch unseren Hang zu Goldrandlösungen,<br />
anstatt fertige Produkte von<br />
der Stange zu kaufen. Zudem hat sich die<br />
Industrie manchmal viel Zeit gelassen.<br />
Sie suchen jetzt nach Gerät, das nicht neu<br />
entwickelt wird, sondern auf dem Markt<br />
und daher zügig zu bekommen ist?<br />
So ist es. Zum Beispiel den neuen Transporthubschrauber<br />
CH-47, den Chinook …<br />
… den Boeing seit Jahrzehnten baut …<br />
… und der sich bewährt hat in zig<br />
Nationen dieser Welt. Ebenso wie der<br />
„Alles, was wir abgeben,<br />
brauchen wir wieder zurück“<br />
Panzer für die Ukraine, Umbau der Bundeswehr, Führung durch<br />
die Zeitenwende: Generalinspekteur Zorn im Gespräch<br />
TEXT VON FRANZISKA REICH UND THOMAS TUMA FOTOS VON NIKITA TERYOSHIN<br />
Ordensmann<br />
Eberhard Zorn,<br />
62, dient seit<br />
2018 als Generalinspekteur<br />
und damit nun<br />
der dritten<br />
Ministerin<br />
Kampfjet F-35. Das Einzige, was der noch<br />
braucht, ist eine Zulassung für den deutschen<br />
Luftraum.<br />
Die Beharrungskräfte im Apparat sind<br />
aber stark, oder? Bei der Bestellung<br />
des Radpanzers Boxer wurden gleich<br />
wieder lange Listen mit Spezifikationswünschen<br />
geschrieben …<br />
… die wir nicht alle zulassen können.<br />
Weil es zu lange dauern würde und zu<br />
teuer wäre. Die Anpassung nehmen wir<br />
top down zusammen mit den Inspekteuren<br />
und dem Forderungscontrolling vor.<br />
Eingekauft werden muss derzeit<br />
viel. Aber wenn die Nachfrage<br />
wächst, steigen die Preise, oder?<br />
Uns trifft aktuell das Thema Inflation<br />
durchaus spürbar. Bei den großen Auftraggebern<br />
merken wir auch eine Konkurrenz,<br />
gerade mit osteuropäischen<br />
Ländern, die zügig ihre Truppen modernisieren<br />
wollen. Wir streben an, die Bestellungen<br />
künftig international zu bündeln,<br />
also Marktmacht zu schaffen. Die Frage<br />
ist, wie die Industrie die Produktionskapazitäten<br />
erhöhen und vorhalten kann.<br />
In den vergangenen Monaten wurde<br />
viel über den Ringtausch diskutiert:<br />
Osteuropäische Partner liefern Waffen<br />
an die Ukraine, wir ersetzen sie mit<br />
deutschem Gerät. Bislang scheint die<br />
Idee nicht gerade erfolgreich zu sein.<br />
Das braucht Zeit. Die Geräte, die getauscht<br />
werden, müssen ja auch passen.<br />
Positiv finde ich, dass zukünftig alle Nato-<br />
Partner über Gerät westlicher Bauart verfügen<br />
werden. Das wird sehr helfen. Mit<br />
Ländern wie der Slowakei, Tschechien,<br />
Griechenland und Slowenien sind wir<br />
schon auf einem guten Weg.<br />
Welches Gerät hat die Ukraine bislang<br />
wirklich aus Deutschland bekommen?<br />
Die Liste ist beachtlich, quantitativ wie<br />
qualitativ. Sie ist übrigens jederzeit auf<br />
dem Internetauftritt der Bundesregierung<br />
einsehbar. Wir haben mit den Niederländern<br />
zusammen ein ganzes ukrainisches<br />
Bataillon mit der Panzerhaubitze 2000<br />
ausgestattet, hinzu kommt der MLRS-<br />
Mehrfachraketenwerfer. Beides kam aus<br />
eigenen Beständen. Die letzten der 30 Geparden<br />
wurden gerade an die Ukrainer<br />
übergeben. Darüber hinaus haben wir<br />
unzählige Fahrzeuge, Munition und Ausrüstung<br />
geliefert. Mit IRIS-T schicken wir<br />
ein Raketenabwehrsystem, das wir selbst<br />
gerne hätten. Wir werden die Ukraine so<br />
lange unterstützen wie nötig.<br />
Kann die laufende Gegenoffensive<br />
der Ukraine Erfolg haben?<br />
Ich bin bei den Begriffen vorsichtig.<br />
Als Gegenoffensive bezeichnen wir zeitgleiche<br />
Angriffe auf breiter Front, um<br />
Gebiete zurückzuerobern. Was wir wahrnehmen,<br />
sind Gegenangriffe und Gegenstöße,<br />
mit denen man Orte oder einzelne<br />
Frontabschnitte zurückgewinnen, aber<br />
nicht Russland auf breiter Front zurückdrängen<br />
kann.<br />
Und wie agiert das russische Militär?<br />
Wir beobachten eine Stagnation, einen<br />
Abnutzungskrieg. Es werden keine weitreichenden<br />
Operationen geführt. Noch<br />
vor zwei Wochen hätte ich gesagt, dass<br />
der gesamte Donbass in sechs Monaten<br />
in russischer Hand ist. Heute sage ich:<br />
Das werden sie nicht schaffen.<br />
Woran liegt das?<br />
Die ukrainische Seite agiert klug, bietet<br />
selten eine Breitseite und führt souverän<br />
und sehr beweglich die Operationen.<br />
Hätten die Ukrainer für eine echte<br />
Gegenoffensive die Kraft?<br />
Sie bräuchten eine Überlegenheit von<br />
mindestens drei zu eins. Was nach und<br />
nach den Unterschied machen kann, ist<br />
die präzisere Bewaffnung, die sie vom<br />
Westen bekommen, etwa Munition, die<br />
die Ziele punktgenau trifft.<br />
Sie scheinen heute ein viel genaueres<br />
Wissen darüber zu haben, was gerade<br />
in der Ukraine tagesaktuell passiert.<br />
Unterschiedlich. Wir wissen mehr über<br />
die Russen als über die Ukrainer.<br />
Woran liegt das denn?<br />
Die Ukrainer verschleiern ihre Absichten<br />
sehr gut. Bei den Russen wird noch<br />
viel mit analogen Funkgeräten kommuniziert,<br />
besonders zwischen den einzelnen<br />
Gefechtsfahrzeugen<br />
und Kommandoposten. Da ist<br />
es leichter, das eine oder andere<br />
abzufangen. Zudem sehen<br />
wir Schwierigkeiten bei der<br />
Führung zusammenhängender<br />
Operationen.<br />
Die Bundeswehr arbeitet eher<br />
so analog wie die Russen?<br />
(Lacht.) So würde ich das<br />
nicht sehen. Aber nicht umsonst<br />
ist die Digitalisierung<br />
unserer Landstreitkräfte ein<br />
wesentlicher Bestandteil des<br />
Sondervermögens. Wir sind<br />
besser befähigt zur Führung geschlossener<br />
militärischer Operationen aller Waffengattungen.<br />
Gibt es irgendeinen Grund wenigstens zu<br />
leisem Optimismus in diesem Krieg?<br />
Die täglichen Bilder der zerstörten<br />
Städte und Häuser, Millionen von Ukrainerinnen<br />
und Ukrainern, die alles verloren<br />
haben, lassen niemanden unberührt.<br />
Der nahende Herbst und Winter, die kalte<br />
Jahreszeit, werden das Leid nicht mindern<br />
– im Gegenteil. Das ist das Dilemma<br />
LESERDEBATTE<br />
Sollte Deutschland<br />
Kampfpanzer<br />
liefern?<br />
Schreiben Sie<br />
uns an<br />
leserbriefe@<br />
focus-magazin.de<br />
dieses Krieges. Vorsichtig optimistisch bin<br />
ich angesichts der aktuellen regionalen<br />
militärischen Erfolge der Ukraine.<br />
Ist Ihre Angst, es könnte auch eine atomare<br />
Auseinandersetzung werden, eher<br />
größer geworden oder zurückgegangen?<br />
Ich hatte diese Angst nie. Wir beobachten<br />
von Anfang an alle russischen Atom-<br />
Arsenale. Da gibt es keine Aktivitäten,<br />
die uns derzeit besorgt sein lassen. Die<br />
Abschreckung funktioniert. Aber natürlich<br />
wird mit der nuklearen Komponente strategische<br />
Kommunikation betrieben. Mir<br />
macht größere Sorgen, wie viele Waffen<br />
unterhalb der nuklearen Schwelle zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Wie dringend braucht Deutschland<br />
den Raketenabwehrschirm, den<br />
der Kanzler angekündigt hat?<br />
Die potenzielle Bedrohung durch das<br />
russische Raketenarsenal ist hoch und<br />
erfordert einen wirkungsvollen Raketenabwehrschirm.<br />
Er wird dann in die Luftverteidigung<br />
der Nato an der gesamten<br />
Ostflanke eingebunden. Russland verfügt<br />
mit den Iskander-Raketen in Kaliningrad<br />
über eine Waffe, die binnen weniger<br />
Minuten Berlin erreichen kann.<br />
Aktuell verlangt die Ukraine wieder<br />
mehr Waffen. Der Kanzler hat jüngst<br />
erneut abgelehnt, dass die Industrie<br />
Leopard-Panzer liefern darf, geschweige<br />
denn die Bundeswehr. Warum?<br />
Alle unsere Waffenlieferungen sind<br />
mit unseren Partnern abgestimmt. Am<br />
vergangenen Donnerstag war Frau Ministerin<br />
Lambrecht wieder<br />
beim Treffen in Ramstein, wo<br />
die kommende Hilfe direkt<br />
mit den Ukrainern bespro-<br />
chen wurde. Bis dato wurden<br />
von keinem unserer Partner<br />
Kampf- und Schützenpanzer<br />
westlicher Bauart geliefert.<br />
Das ist die abgestimmte Linie.<br />
Es wird keine Alleingänge<br />
Deutschlands geben.<br />
Es heißt, die Bundesregierung<br />
zeige sich auch deshalb zögerlich,<br />
weil jede Lieferung aus<br />
Beständen die eigene Fähigkeit<br />
zur Landesverteidigung schmälern würde.<br />
Das ist auch so. Nehmen wir den<br />
Kampfpanzer Leopard 2. Wir liegen dort<br />
unter Soll, und die in der Truppe verfügbaren<br />
Panzer sind längst nicht zu hundert<br />
Prozent einsatzbereit. Viele Leos befinden<br />
sich bei der Industrie zur Umrüstung,<br />
daher haben wir aktuell zu wenige<br />
verfügbar. Bei der Panzerhaubitze sieht<br />
es ähnlich aus. Da sind wir mit unseren<br />
Abgaben eigentlich schon über das vertretbare<br />
Maß hinausgegangen.<br />
34 FOCUS 38/2022 FOCUS 38/2022 35
POLITIK<br />
BUNDESWEHR<br />
Beim Radpanzer Fuchs …<br />
… wird immer gern hinterfragt, warum<br />
wir keine liefern. Und da wird vieles in<br />
einen Topf geworfen.<br />
Stellen Sie’s gern klar!<br />
Der Fuchs ist eine Plattform, die wir in<br />
den unterschiedlichsten Ausführungen im<br />
Bestand haben. Insgesamt haben wir auf<br />
dem Papier rund 930 Füchse, davon sind<br />
etwa 640 sogenannte „Rüstsatzträger“.<br />
Darunter sind ABC-Spürpanzer, Sanitätsausführungen,<br />
Radarträger und viele<br />
andere. Der Fuchs ist dabei eine Mangelressource.<br />
Zudem sind bei Weitem nicht<br />
alle Fahrzeuge einsatzbereit. Die Ukraine<br />
bräuchte den Fuchs als reinen Truppentransporter,<br />
davon haben wir selbst nur<br />
160 Stück einsatzbereit und liegen<br />
damit unter unserem Bedarf.<br />
Verteidigungspolitiker von SPD,<br />
Grünen und FDP fordern trotzdem<br />
vehement, mehr Waffen zu<br />
liefern. Was antworten Sie?<br />
Mein Rat ist wirklich, unsere<br />
Zahlen anzuerkennen: Alles, was<br />
wir abgeben, brauchen wir zurück,<br />
und das passiert nicht von heute<br />
auf morgen. Die Auftragsbücher<br />
der Industrie sind voll und ihre Produktionskapazitäten<br />
ausgelastet.<br />
Zudem bestellen nicht nur wir. Bleiben<br />
wir bei der Panzerhaubitze 2000. Jede<br />
Haubitze, die wir abgegeben, kann frühestens<br />
36 Monate später ersetzt werden.<br />
Vermutlich dauert es noch länger, da die<br />
gleichen Chips, die derzeit Mangelware<br />
in der Automobilindustrie sind, auch in<br />
modernen Waffensystemen verbaut werden.<br />
Bis zum nächsten Sommer produziert<br />
die Industrie Haubitzen für Ungarn.<br />
Dann kommt unsere Bestellung. Aber die<br />
Ukraine möchte auch 100 Stück haben.<br />
Beim Fuchs ist es noch schwieriger: Der<br />
wird ab 2025 ausgemustert. Es dauert<br />
aber bis zu fünf Jahre, ihn adäquat zu<br />
ersetzen. Wir sind im engen Austausch<br />
mit der Industrie, um Lösungen zu finden.<br />
Können Sie trotz dieser Schwierigkeiten Ihre<br />
Versprechen gegenüber der Nato einhalten?<br />
Ab 2025 haben wir der Nato eine voll<br />
ausgestattete Division mit 15 000 Frauen<br />
und Männern sowie 65 Flugzeugen, 20<br />
Schiffen und ein beträchtliches Paket an<br />
Spezialkräften zugesagt. Bis dahin stellt<br />
Deutschland dieses, nächstes und übernächstes<br />
Jahr jeweils etwa ein Drittel der<br />
schnellen Eingreiftruppe der Nato. Das<br />
sind circa 15 000 Frauen und Männer, die<br />
jederzeit bereit sind, dorthin zu verlegen,<br />
wo sie gebraucht werden. Hinzu kommt<br />
unser dauerhaftes Engagement an der<br />
Ostflanke. Dazu zählt der Gefechtsverband<br />
in Litauen, den wir nun um eine<br />
Was auf der Einkaufsliste<br />
der Bundeswehr steht<br />
Boeing CH-47F Chinook Bis 2030 will die<br />
Armee 60 Transporthubschrauber aus den USA<br />
beschaffen. Kosten: rund 5 Milliarden Euro<br />
Lockheed Martin F-35 Das US-Tarnkappenkampfflugzeug<br />
wird den „Tornado“ bei der Luftwaffe<br />
ersetzen. 35 Stück sollen gekauft werden.<br />
Stückpreis: etwa 100 Millionen Euro<br />
Fregatte F126 Für die Marine sind 19,3 Milliarden<br />
Euro aus dem Sondervermögen vorgesehen.<br />
Die Bundeswehr will unter anderem in neu entwickelte<br />
Kriegsschiffe investieren<br />
Kampftruppenbrigade verstärken. Truppenteile<br />
der Brigade werden immer wieder<br />
nach Litauen verlegt, um dort mit<br />
unseren Partnern zu üben. Wir schützen<br />
den Luftraum über dem Baltikum mit<br />
unseren Eurofightern. In die Nord- und<br />
Ostsee hat die Marine weitere Schiffe entsandt.<br />
In die Slowakei haben wir Patrioteinheiten<br />
und Infanteriekräfte geschickt.<br />
Zudem stellen wir 2025 das Gros der neuen<br />
EU-Eingreiftruppe. Da sprechen wir<br />
auch von 1500 Soldatinnen und Soldaten.<br />
2025 ist für mich ein Meilensteinjahr, da<br />
müssen wir viele Zusagen einlösen.<br />
Sie haben kürzlich gewarnt, dass<br />
Russland militärisch potent genug<br />
sei, um noch eine zweite Front zu eröffnen.<br />
Wo könnte Putin das tun?<br />
Kaliningrad, die Ostsee, die finnische<br />
Grenze, Georgien, Moldau … Es gibt viele<br />
Möglichkeiten. Die Fähigkeiten hätte<br />
Putin. Auch wenn etwa 60 Prozent seiner<br />
Landstreitkräfte im Ukraine-Krieg gebunden<br />
sind, verfügen sie sowie vor allem die<br />
russische Marine und Luftwaffe noch über<br />
ungebundene Kapazitäten. Würde Putin<br />
eine Generalmobilmachung anordnen,<br />
hätte er auch keine Personalprobleme. Die<br />
vergangenen Monate haben uns gezeigt,<br />
dass Putin nur eine Sprache versteht, und<br />
zwar die der Macht. Für eine wirkungsvolle<br />
Abschreckung brauchen wir die entsprechenden<br />
Kräfte. Unsere Partner zählen<br />
auf uns. Bei meinen Besuchen erlebe<br />
ich, wie eminent die Bedrohungswahrnehmung<br />
im Baltikum, in Polen, in der<br />
Slowakei ist. Die Menschen dort leiden<br />
viel stärker als wir unter der Situation.<br />
Es erinnert sie alles an die Sowjetunion.<br />
Stoßen Sie mit Ihrer Sicht auf Verständnis<br />
bei Olaf Scholz?<br />
Der Bundeskanzler lässt sich anlassbezogen<br />
durch meine Ministerin, die Staatssekretäre<br />
und mich briefen. Die Gespräche<br />
sind immer sehr tiefgehend. Es wird<br />
ein strategischer Gesamtzusammenhang<br />
hergestellt. Es wird Klartext gesprochen.<br />
Ich hatte immer das Gefühl, dass<br />
unser Ratschlag geschätzt wird.<br />
Im März konzentrierte sich die öffentliche<br />
Debatte aufs Militär. War das<br />
eher hilfreich oder anstrengend?<br />
Wir können uns glücklich schätzen,<br />
dass wir das Sondervermögen<br />
haben. Es ist der größte finanzielle<br />
Schub, den wir seit mindestens<br />
30 Jahren bekommen haben. Jetzt<br />
sind wir dran zu beweisen, dass wir damit<br />
wirklich etwas bewirken.<br />
Haben die Bundesbürger im Jahr 2022 ihren<br />
Frieden gemacht mit ihrer Bundeswehr?<br />
Der Krieg in der Ukraine sowie die<br />
damit verbundenen schrecklichen Bilder<br />
haben das Bewusstsein für die Notwendigkeit<br />
von Streitkräften geändert. Während<br />
der Pandemie, den Hochwassern<br />
und bei den Waldbränden haben unsere<br />
Soldatinnen und Soldaten unterstützt. Da<br />
kamen viele Menschen wieder in direkten<br />
Kontakt mit der Truppe. Ich denke,<br />
da konnte das eine oder andere Vorurteil<br />
abgebaut werden. Ich freue mich, dass<br />
unsere Gesellschaft ihre Bundeswehr in<br />
all ihren Aufgabenfeldern verstärkt wahrnimmt<br />
und schätzt.<br />
■<br />
Fo t o s : mauritius images, dpa<br />
36 FOCUS 38/2022